Die Kunst der verantwortungsvollen Führung - Klaus M. Leisinger - E-Book

Die Kunst der verantwortungsvollen Führung E-Book

Klaus M. Leisinger

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Beschreibung

Basiert wirtschaftlicher Erfolg auf moralischem Bankrott? Angesichts der Betrügereien und Tricksereien des Topmanagements einstiger Industrie-Leuchttürme kann dieser Eindruck entstehen. Die Schäden, die Spitzenmanager durch ihre Entscheidungen anrichteten, tangieren ihre Einkommen kaum. Boni, bezahlt für auf Betrug beruhendem Geschäftserfolg, müssen nicht zurückgezahlt werden; Strafzahlungen und Gewinnrückgänge werden durch Entlassungen kompensiert. Kein Wunder also, dass das Vertrauen in Unternehmen und die Glaubwürdigkeit von Führungskräften im Keller ist. Klaus Leisinger entwickelt in seinem Buch "Die Kunst der verantwortungsvollen Führung" ein Anforderungsprofil für Topmanager unter Nutzung des Gedankenguts des Sozialphilosophen und Psychoanalytikers Erich Fromm. Was Fromm vor Jahrzehnten aus seiner (politisch im Humanismus verankerten) Perspektive zur Diskussion gestellt hat, setzt noch heute Standards für gute Unternehmensführung

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Seitenzahl: 255

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Klaus M. Leisinger

Die Kunst derverantwortungsvollenFührung

Vertrauen schaffendes Managementim internationalen Business

Klaus M. Leisinger

Die Kunst derverantwortungsvollenFührung

Vertrauen schaffendes Managementim internationalen Business

Haupt Verlag

Dr. Klaus M. Leisinger ist Gründer und Präsident der Stiftung Globale Werte Allianz (www.globalewerteallianz.ch) sowie Professor für Soziologie an der Universität Basel. Er arbeitete über 30 Jahre in leitender Stellung eines großen Pharmaunternehmens, dient den Vereinten Nationen als Senior Advisor und der Europäischen Kommission als Experte für ethische Beurteilungen.

Dieses Buch wurde inspiriert von Karl Schlecht, dem Gründer und Vorstandsvorsitzenden der Karl Schlecht Stiftung, der sich u.a. in hohem Maße um das geistige Vermächtnis Erich Fromms verdient macht und der seit 2014 umfangreich die mehr als 40-jährige Arbeit und das Wirken des von Erich Fromm eingesetzten Nachlassverwalters und Psychoanalytikers Rainer Funk fördert.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Art der Vervielfältigung ist ohne Zustimmung des Verlags, der Stiftung Globale Werte Allianz und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

1. Auflage: 2018

Umschlagbild: © Sean Scully, Wall of Light Pale Yellow, 2010

(Öl auf Aluminium, 216 x 190 cm). Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und des Kunstmuseums Bern.

Diese Publikation ist in der Deutschen Nationalbibliografie verzeichnet.

Mehr Informationen dazu finden Sie unter http://dnb.dnb.de

E-Book ISBN 978-3-258-48059-6

Alle Rechte vorbehalten.

Copyright © 2018 Haupt Bern

Umschlaggestaltung und Layout: Daniela Vacas, Bern

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

www.haupt.ch

Inhaltsverzeichnis

GeleitwortProf. Dr. Ulrich Lehner

Vorwort

1 Einleitung und Hintergrund

1.1 Das Unbehagen der Menschen in modernen Gesellschaften

1.2 Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Führungskräften der Wirtschaft

1.3 «Ethik des geschäftlichen Tuns» als prinzipiengeleitetes Nachdenken über integres Handeln von Führungskräften

1.3.1 Unternehmensethik: Die Organisation als moralischer Akteur

1.3.2 Individualethik: Der Mensch als moralischer Akteur

2 Erich Fromms Gedankengut und der moderne Diskurs über ethische Desiderata für Führungspersönlichkeiten in Unternehmen

2.1 Erich Fromms Verständnis von Ethik und das damit verbundene Menschenbild

2.1.1 Was ist Erich Fromms Verständnis von Ethik?

2.1.2 Das Menschenbild Erich Fromms

2.2 Haben oder Sein als seelische Grundlage einer neuen Gesellschaft

2.2.1 Religion

2.2.2 Kapitalismus

2.2.3 Der Marketing-Charakter

2.2.4 Der neue Mensch in einer neuen Gesellschaft

2.2.5 Können und Sollen

2.3 Was bleibt, wenn man den ideologischen Ballast des «kommunitären Sozialismus» abwirft?

2.3.1 Inhaltliche Vielfalt scheinbar eindeutiger Begriffe

2.3.2 Kavalleriepferde beim Hornsignal

2.3.3 Zivilisiert den Kapitalismus

2.3.4 Stimmen aufgeklärter Liberaler

2.3.5 Stimmen gestandener Wirtschaftsführer

2.3.6 Stimmen christlicher Kirchen und der Vereinten Nationen

2.3.7 Praktische Evolution, nicht theoretische Revolution

2.3.8 Licht am Horizont?

3 Kann man ein Unternehmen im globalen Wettbewerb erfolgreich mit «Liebe» führen?

3.1 Die Sache mit der Liebe

3.1.1 Fürsorge

3.1.2 Verantwortungsgefühl

3.1.3 Achtung vor den anderen

3.1.4 Erkenntnis

3.2 Die Sache mit der Erkenntnis

3.2.1 Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

3.2.2 Privilegierte Positionierung bedeutet nicht höhere Erkenntnisfähigkeit

3.3 Zentrale Botschaften moderner Managementliteratur zum Thema «Führung»

4 Erich Fromm vom Kopf auf die Füße gestellt

4.1 Was kann ich wissen?

4.1.1 Primum non nocere, secundum cavere, tertium sanare

4.1.2 «Vorsichtig agieren» und «heilen» als Teil gesellschaftlicher Erwartungen

4.1.3 Die Bedeutung zielführender Rahmenbedingungen

4.2 Was kann ich tun?

4.2.1 Erweiterung des Anforderungsprofils von Führungskräften

4.2.2 Anreicherung der Zielsetzungen, Mitarbeiterbeurteilungen und Beförderungskriterien mit Elementen der humanistischen Ethik

5 Vorläufige Schlussfolgerungen: Was darf ich hoffen?

5.1 Führungspersönlichkeiten der Wirtschaft als wirkmächtige Gestalter einer nachhaltigen Entwicklung mit menschlichem Antlitz

5.2 Persönlichkeitsentwicklung und Charakterschulung als «missing link»

5.3 Integres, biophiles Handeln als Wettbewerbsfaktor

5.4 Anspruchsvolle Kunden (Aspirational Consumers)

5.5 Der Mensch lebt nicht vom Brot allein

5.6 Noch mehr Licht am Ende des Tunnels

5.6.1 Das Leipziger Führungsmodell

5.6.2 Veränderte Wahlkriterien für den CEO des Jahres

5.6.3 Beispiele von individueller «Leadership»

Ausblick

Epilog

Literaturverzeichnis

Geleitwort

Prof. Dr. Ulrich Lehner*

Unternehmensführung ist eine Kunst und setzt daher hohe handwerkliche Fähigkeiten voraus. Unternehmensführung betrifft die Führung des Unternehmens nach innen mit der gewünschten Wirkung nach außen.

Unternehmensführung betrifft aber auch die Art und Weise, wie eine Gesellschaft ihre Unternehmen führt, wie sie Wirtschaften gestaltet. Wir sind bei diesen Fragen in einem Zentrum unserer gesellschaftlichen Gestaltungsaufgaben. Prof. Leisinger geht sie sehr grundsätzlich an und leistet damit einen wertvollen Beitrag zur Reflexion und Kritik unseres Tuns, das allzu oft nicht langfristig und grundsätzlich ausgerichtet ist. Dass er dabei zum Gedankenabgleich die Gedankenwelt Erich Fromms benutzt, des bekennenden Anhängers eines sozialistischen Humanismus mit einem ideal-sozialistischen, zutiefst kapitalismus-kritischen Weltbild, der einen neuen Menschen in einer neuen Gesellschaft schaffen möchte, einer sozialistischen, legt die Messlatte besonders hoch.

Die Marktwirtschaft erlebt aktuell immer wieder heftige Kritik, obwohl sie historisch als das effektivere Wirtschaftssystem beschrieben werden kann. Ist sie zukunftsfähig?

Die Wirtschaft ist das wichtigste, sicher aber das nötigste Subsystem der menschlichen Gesellschaft. Bei der Gestaltung dieses Systems der Daseinsfürsorge ist für Effektivität und Effizienz zu sorgen. Dies ist eine der hervorragendsten Aufgaben der Politik. Das Subsystem Wirtschaft steht mit den anderen Subsystemen der Gesellschaft in vielfältigen, komplexen Zusammenhängen, die es zu verstehen und zu gestalten gilt. Dabei gilt sicher, dass eine Theorie, die die kapitalistische Wirtschaftsordnung für das Ganze der Gesellschaft hält und alle menschlichen Beziehungen ökonomisiert, nicht zielführend ist. Was ist das Ziel der Gesellschaft und wie ist die Zielfunktion guter Unternehmensführung?

Das Unternehmen ist eingebettet in die verschiedensten Umfeld-Segmente, mit denen es – will es erfolgreich sein – in einem ausbalancierten Verhältnis stehen muss. Das wichtigste Umfeld-Segment ist der Absatzmarkt, aber auch der Beschaffungsmarkt, der Arbeitsmarkt, der Finanzmarkt, der Steuermarkt und in zunehmendem Maße der allgemeine, differenzierte Meinungsmarkt, der die allgemeine Reputation des Unternehmens bestimmt, müssen in ihren Erwartungen gemanaged werden. Corporate Social Responsibility (CSR) und die mit CSR verbundenen Berichtspflichten zeigen die veränderte Sicht von der gesellschaftlichen Rolle von Unternehmen.

Regelmäßig findet man in allen Beziehungen zwischen Unternehmen und den verschiedenen Umfeld-Segmenten Erwartungslücken vor, die gemanaged werden müssen. Denn mit (offenen) Erwartungslücken lässt sich langfristig nicht leben. So schwierig Unternehmensführung in der Sache sein kann, sie sollte einfach sein, wenn es um den Stil geht: Die Handelnden müssen mit Haltung handeln, in Verantwortung für ihr Unternehmen, ihre Mitarbeitenden und alle anderen am Unternehmen beteiligten Gruppen. Sie müssen durch ihr Handeln das Vertrauen in das System – hier die soziale Marktwirtschaft – in ihrem Interesse und auch im Interesse der Gesellschaft immer wieder bestätigen.

In der Marktwirtschaft bedarf es aber auch kundiger und mündiger Bürger, die ihre Nachfrage im Interesse der Gesellschaft kontrollierend gestalten.

Die Führung des Unternehmens nach innen ist zielorientierte Kommunikation zwischen den Führenden und den Mitarbeitenden, die auf Werten beruht und auf Werten besteht.

Das unternehmerische Handeln erfüllt den Eigennutz der Akteure nur im Erfüllen eines gesellschaftlichen Zweckes. Und daher kann eine an die Gesellschaft gerichtete Kommunikation einer Mission / Vision nur die Kommunikation einer gesellschaftlichen Bestimmung (purpose) sein. Auch die Mitarbeitenden werden dies als Arbeitsinhalt wünschen.

Damit ist auch die Frage der Erfolgsmessung, die Frage des kurzfristigen und des langfristigen Erfolges, der inhaltlichen Nachhaltigkeit, die Frage des geeigneten Incentive-Systems und die Frage eines anreizkompatiblen Vergütungssystems angesprochen.

Die neueste Fassung des Deutschen Corporate Governance Kodex stellt insofern auch klar: Kapitalgesellschaften sollen so geführt werden, dass durch sie ein betriebswirtschaftlicher wie ein gesamtwirtschaftlicher Nutzen entsteht. Dies ist im Kern die marktwirtschaftliche Idee. Prof. Leisinger adressiert in seinem Buch die Vielfältigkeit der Facetten dieser Gestaltungsaufgabe. Ich möchte einen Appell an die Unternehmensführung richten, sich intensiv in die Diskussion zur Gestaltung unseres Wirtschaftssystems einzubringen und dies zu tun auf ihrem umfassenden Erfahrungsschatz auch im internationalen Vergleich. Der ehrbare Kaufmann trägt auch politische Verantwortung.

* Prof. Dr. Ulrich Lehner ist eine der einflussreichsten Führungspersönlichkeiten der Wirtschaft Deutschlands, u.a. Vorsitzender des Aufsichtsrats der Deutschen Telekom AG und der ThyssenKrupp AG, ehem. Vorsitzender des Vorstands und jetziges Mitglied des Gesellschafter-Ausschusses der Henkel AG & Co. KGaA, Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Düsseldorf (– 2016), Präsident des VCI Verband der Chemischen Industrie e.V. (2007–2010), ebenfalls Mitglied des Verwaltungsrats Novartis AG (2002 – 2015) sowie deren Lead Director und Interims-Präsident (2013). Als Honorarprofessor an der Universität Münster und Mitgestalter des Leipziger Führungsmodells ist er auch der Wissenschaft eng verbunden.

Vorwort

Dass «Geld allein» den Menschen nicht glücklich macht, weiß schon der Volksmund zu berichten. Auch dass das verfügbare Einkommen eine große Rolle für das Glücksempfinden oder zumindest die Zufriedenheit der Menschen spielt, ist bekannt. Mangel an Geld zur Deckung der Grundbedürfnisse verursacht Stress und macht unglücklich. Nicht einfach zu erklären ist, dass die Menschen in modernen Gesellschaften trotz über Jahrzehnte stetig gestiegener Einkommen und besserer Sozialindikatoren (u. a. Lebenserwartung, Gesundheit, Ausbildung) im Großen und Ganzen skeptischer, misstrauischer und diffus pessimistischer sind denn je. Skeptisch sind sie insbesondere denen gegenüber, deren Aktivitäten maßgeblich zum Wirtschaftswachstum und den dadurch möglichen größeren individuellen Wahlmöglichkeiten beigetragen haben – Unternehmen und deren Führungspersonal.

Etwas lief falsch, was mit «Geld allein» nicht erklärbar ist, sondern mit den Begleitumständen, unter denen Wirtschaftswachstum und Einkommenserhöhung zustande kommen, sowie mit enttäuschten Erwartungen der Menschen über den Preis, der für «mehr Geld» anfiel. Der destruktive Umgang mit den natürlichen Ressourcen dieser Erde, die als unfair empfundene Verteilung geschaffenen Mehrwerts sowie der Umgang mit Menschen und ihren seelischen Bedürfnissen sind hier von Bedeutung. Was den menschlichen Preis der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte angeht, so sprechen die Zunahme an Depressionen und dem Burn-out-Syndrom eine deutliche Sprache.1

Die Zunahme an seelischen Krankheiten wäre allein schon Grund genug, sich Gedanken über den Status quo und Voraussetzungen für menschliches Glück zu machen. Die heute lebenden Menschen stehen jedoch, so sah das die internationale Gemeinschaft im September 2015, zusätzlich vor Herausforderungen, die weit über die Vernachlässigung individueller seelischer Bedürfnisse hinausgehen:

«Milliarden unserer Bürger leben nach wie vor in Armut, und ein Leben in Würde wird ihnen verwehrt. Die Ungleichheiten innerhalb der Länder und zwischen ihnen nehmen zu. Es bestehen enorme Unterschiede der Chancen, des Reichtums und der Macht. Geschlechterungleichheit stellt nach wie vor eine der größten Herausforderungen dar. Arbeitslosigkeit, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit, ist ein erhebliches Problem. Weltweite Gesundheitsgefahren, häufiger auftretende und an Intensität zunehmende Naturkatastrophen, eskalierende Konflikte, gewalttätiger Extremismus, Terrorismus und damit zusammenhängende humanitäre Krisen und die Vertreibung von Menschen drohen einen Großteil der in den letzten Jahrzehnten erzielten Entwicklungsfortschritte zunichte zu machen. Die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen und die nachteiligen Auswirkungen der Umweltzerstörung, darunter Wüstenbildung, Dürre, Landverödung, Süßwasserknappheit und Verlust der Biodiversität, haben eine immer länger werdende Liste sich verschärfender Menschheitsprobleme zur Folge. Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit, und seine nachteiligen Auswirkungen untergraben die Fähigkeit aller Länder, eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Der globale Temperaturanstieg, der Anstieg des Meeresspiegels, die Versauerung der Ozeane und andere Auswirkungen des Klimawandels haben schwerwiegende Folgen für die Küstengebiete und für tiefliegende Küstenstaaten, darunter viele der am wenigsten entwickelten Länder und kleinen Inseln. Das Überleben vieler Gesellschaften und der biologischen Unterstützungssysteme der Erde ist in Gefahr.»2

Um die schon heute bestehenden Probleme zu lösen und absehbaren Verschlechterungen bei überlebenswichtigen Umwelt- und Sozialindikatoren entgegen zu wirken, zeigten sich die Teilnehmer der Generalversammlung einstimmig «entschlossen, die kühnen und transformativen Schritte zu unternehmen, die dringend notwendig sind, um die Welt auf den Pfad der Nachhaltigkeit und der Widerstandsfähigkeit zu bringen und […] auf dieser gemeinsamen Reise, die wir heute antreten, niemanden zurückzulassen.» Weiterhin zeigte man sich «entschlossen»3,

• Armut und Hunger in allen ihren Formen und Dimensionen ein Ende zu setzen und sicherzustellen, dass alle Menschen ihr Potenzial in Würde und Gleichheit und in einer gesunden Umwelt voll entfalten können;

• den Planeten vor Schädigung zu schützen, unter anderem durch nachhaltigen Konsum und nachhaltige Produktion, die nachhaltige Bewirtschaftung seiner natürlichen Ressourcen und durch umgehende Maßnahmen gegen den Klimawandel, damit die Erde die Bedürfnisse der heutigen und der kommenden Generationen decken kann;

• dafür zu sorgen, dass alle Menschen ein von Wohlstand geprägtes und erfülltes Leben genießen können und dass sich der wirtschaftliche, soziale und technische Fortschritt in Harmonie mit der Natur vollzieht;

• friedliche, gerechte und inklusive Gesellschaften zu fördern, die frei von Furcht und Gewalt sind. Ohne Frieden kann es keine nachhaltige Entwicklung geben und ohne nachhaltige Entwicklung keinen Frieden;

• die für die Umsetzung dieser Agenda benötigten Mittel durch eine mit neuem Leben erfüllte Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung zu mobilisieren, die auf einem Geist verstärkter globaler Solidarität gründet, insbesondere auf die Bedürfnisse der Ärmsten und Schwächsten ausgerichtet ist und an der sich alle Länder, alle Interessenträger und alle Menschen beteiligen.

Die Teilnehmer der UNO Generalversammlung erklärten einstimmig, dass die Erreichung dieser ambitionierten Ziele mit einem «Weiter so» nicht vereinbar sei und es eines neuen Ansatzes bedürfe (Artikel 13). Zur Bewältigung von Problemen der vorliegenden Dimension und Komplexität müssen alle gesellschaftlichen Akteure ihren Beitrag leisten – auch die Unternehmen mit ihren hohen Organisations-, Kreativitäts- und Innovationspotentialen.

Großer internationaler Konsens besteht auch darüber, dass «business as usual» verheerend wäre – oder, um es wie Albert Einstein zu sagen, man kann Probleme nicht mit denselben Denkweisen lösen, durch die sie entstanden sind. Im vorliegenden Zusammenhang geht es insbesondere um die Denkstrukturen derjenigen, die Führungsverantwortung in Unternehmen inne haben, denn diese filtern aus der unendlichen Anzahl möglicher Handlungsweisen diejenigen heraus, die sie für legitim halten. Das bedeutet nicht, dass nicht auch eine veränderte Geisteshaltung politischer, zivilgesellschaftlicher und anderer Verantwortungsträger notwendig ist. Die Führungsverantwortlichen von Unternehmen stehen hier jedoch im Vordergrund, weil sie anerkannt hohe Organisations-, Kreativitäts- und Innovationspotentiale haben, deren Realisierung größte Bedeutung für eine nachhaltige, menschenfreundliche Entwicklung hat.

Wenn es um neue Denkstrukturen der Menschen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft geht, lohnt sich oft auch ein Rückgriff auf bereits bestehendes, aber in der Öffentlichkeit etwas in Vergessenheit geratenes Gedankengut: beispielsweise das des großen deutsch-amerikanischen Philosophen und Psychoanalytikers Erich Fromm. Erich Fromm kommt das große Verdienst zu, wirtschaftliches Geschehen und die Menschen, deren Entscheidungen und Unterlassungen dieses gestalten, aus einer völlig anderen Perspektive zu betrachten, als dies die Curricula etablierter Business Schools tun: aus Sicht der Psychoanalyse und im Blick auf die Persönlichkeitsstruktur. Das mag Betriebswirtschaftler und puristische Ökonomen irritieren oder gar belustigen. Wer jedoch beim Diskurs über die normative Richtigkeit geschäftlichen Handelns den Faktor Mensch außen vor lässt, macht das, was Jakob Burckhardt «simplification terrible» nannte.

Wir sind alle Kinder unserer Zeit, geprägt von unserer spezifischen Werte-Sozialisation, den historischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen wir heranwuchsen und leben sowie den Erfahrungen, die wir machten. Wissen und intellektuelle Substanz aus einer anderen Zeit muss daher im Lichte ihres Entstehungskontextes verstanden und auf seine Aussagekraft für die gegenwärtige Lebenswelt geprüft werden.

Das gilt natürlich nicht nur für Erich Fromm, sondern für alle großen Denker der Menschheitsgeschichte – von Platon und Konfuzius bis zu den heute relevanten Intellektuellen. Und in einem so umfassenden Werk wie dem Erich Fromms steht vieles, das in einer verkürzten Behandlung aus dem Zusammenhang gerissen und missverstanden werden kann.

Um die Bedeutung der Erkenntnisse Erich Fromms für die moderne Gesellschaft würdigen zu können, muss man sich einerseits auf seine Begriffsdefinitionen, den gesellschaftspolitischen Kontext seines Denkens und den historischen Kontext einlassen, in dem sie entstanden sind. Andererseits muss man versuchen, das heraus zu destillieren, was an Substanz über die damaligen historischen und politischen Umstände hinaus für heutiges Handeln bedeutsam ist.

Eine solche Arbeit – das muss der Transparenz und Wahrhaftigkeit wegen klar gemacht werden – hat immer subjektiven Charakter. Die von mir bewusst gesuchte Nähe meines Buchtitels zu Erich Fromms wohl bekanntestem4 Werk «Die Kunst des Liebens» soll darauf hinweisen, dass meine Empfehlungen vom Gedankengut Erich Fromms inspiriert sind. Sie sind jedoch geprägt von meinen persönlichen Werturteilen und meiner Lebenserfahrung.5 Ebenso wahr ist, dass die verkürzte Darstellung von Gedanken aus einem so komplexen Lebenswerk wie dem Erich Fromms immer ihren Preis hat – ob der hier bezahlte angemessen ist, mögen andere beurteilen.

Angeregt zu dieser Arbeit wurde ich von Karl Schlecht, dem Stifter und Vorstandsvorsitzenden der Karl Schlecht Stiftung,6 der sich in hohem Maße um das geistige Vermächtnis Erich Fromms verdient macht, indem er seit 2012 die mehr als vierzigjährige Arbeit des von Erich Fromm eingesetzten Nachlassverwalters und Psychoanalytikers Rainer Funk fördert – zuletzt durch die gemeinsame Gründung der Erich Fromm Stiftung und des Erich Fromm Instituts in Tübingen. So wird sichergestellt, dass die intellektuelle und ethisch fundierte Hinterlassenschaft Erich Fromms und die Anwendung seines Wissens für Führungspersönlichkeiten generationenübergreifend bewahrt, weiterentwickelt und verbreitet wird.

Klaus M. Leisinger

Basel, im Herbst 2017

1 Siehe Rebscher, H. (Hrsg.) (2016): 36. Dort heißt es: «Die gestiegene Bedeutung von psychischen Erkrankungen hat die DAK-Gesundheit bereits mit Sonderanalysen in den Gesundheitsreports 2002, 2005 und 2013 berücksichtigt. Im Jahr 2015 gingen 16,2 Prozent aller Fehltage auf das Konto von psychischen Erkrankungen. Diese Erkrankungsgruppe lag damit auf Platz 3 bei den Ursachen für Fehlzeiten.»

2 Vereinte Nationen (2015): Art. 15.

3 Vereinte Nationen (2015): Art. 15.

4 Neben dem 20 Jahre später erschienenen Haben oder Sein war Die Kunst des Liebens ein weltweiter Bestseller.

5 Menschen nehmen die Welt um sich herum durch einen subjektiven Filter wahr. Es wird hauptsächlich im zustimmenden Sinne zur Kenntnis genommen, was mit den persönlichen Werturteilen, den eigenen Ansichten über «Gott und die Welt» und als Folge von in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen vereinbar ist. Die gleichen Faktoren bestimmen auch die Struktur unserer Handlungsweisen. Ich bin auf meine Werturteile und axiomatischen Annahmen eingegangen in: Leisinger, K. M. (2009): 3–23. Für Erich Fromm hängen das Glück und die seelische Gesundheit eines Menschen von der Gültigkeit der gefällten Werturteile ab.

6 Siehe www.ksfn.de/die-stiftung.html.

1 Einleitung und Hintergrund

1.1 Das Unbehagen der Menschen in modernen Gesellschaften

Vieles deutet darauf hin, dass in unserer westlichen Gesellschaft alte Gewissheiten ins Wanken geraten: Gesellschaftliche, politische, soziale und ökologische Probleme scheinen komplexer und größer denn je. Die individuellen, institutionellen und nationalen Einflussmöglichkeiten auf Lösungen scheinen geringer. Immer mehr Menschen fürchten, dass alles, worauf sie für ihre Wohlfahrt und die ihrer Familie hingearbeitet haben, vernichtet wird. Angst vor drohenden Veränderungen und Zweifel daran, ob die heutigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme noch mit dem traditionellen Paket von Demokratie und Marktwirtschaft bewältigt werden können, schafft neue politische Realitäten. Selbst in den USA, einem Musterland des Kapitalismus, unterstützen nur noch weniger als die Hälfte der 18- bis 29-Jährigen den Kapitalismus, zumindest nicht in der Erscheinungsform, die sich während der letzten zwanzig Jahre ausgeprägt hat.7

Die Mehrheit der Deutschen (55 %) blickt eher mit Angst als mit Zuversicht in die Zukunft. Besonders pessimistisch ist die mittlere Generation (35- bis 54-Jährige); 83 Prozent dieser Befragten rechnen mit schlechteren Zeiten.8 Viele Erwerbstätige befürchten, ihren Lebensstandard nicht halten zu können. Auch die große Mehrzahl der befragten Menschen anderer «reifer» Industrieländer (OECD-Länder wie Frankreich, Großbritannien oder Japan) glaubt nicht, dass es ihnen in fünf Jahren besser gehen wird. Gemäß einer Umfrage des Wall Street Journal (Juli 2016) sind 73 % der US-Amerikaner der pessimistischen Ansicht, das Land entwickle sich in eine falsche Richtung.9 Ängste dieser Art werden von denjenigen politischen Lagern instrumentalisiert, die sich von einer Abschottung der Nationen die Sicherung aller Besitzstände erhoffen.10

Hinzu kommen Skandale: Unternehmen, darunter einstige Leuchttürme des Aufschwungs, werden bei Betrügereien und Schmiergeldzahlungen erwischt. Firmenchefs werden bei illegalem Handeln ertappt, gestürzt, stehen vor Gericht und verlieren Ehre und Ansehen. Topmanager, die ihre hohen variablen Vergütungen wortreich mit der gewaltigen Dimension ihrer Verantwortung sowie den hohen, mit ihrer Position verbundenen Risiken rechtfertigen, bestehen auch nach offenkundig gewordenen Fehlleistungen auf der Zahlung von Erfolgsprämien, so als wäre nichts geschehen. All das schafft Unbehagen, wenn nicht gar Zorn, verbreitet Unsicherheit und Misstrauen. Wenn ein Vorstand eines großen Unternehmens nach 11 Monaten Arbeit eine Abfindung von 12 Millionen Euro bekommt und eine Reinigungskraft im selben Konzern nach 40 Jahren Arbeit nicht von ihrer Rente leben kann, läuft etwas Prinzipielles falsch. Eine kapitalistische Wirtschaftsordnung, die solche Verhaltensweisen zulässt, untergräbt die eigene Vertrauenswürdigkeit.

Das ist schade, denn erfolgreiche Wirtschaftsunternehmen sind gesellschaftlich enorm wertvoll: Menschen arbeiten zusammen, um wichtige Güter und Dienstleistungen herzustellen und anzubieten. Erfolgreiche Unternehmen stellen neuartige Dienstleistungen zur Verfügung, die das Leben von Menschen leichter machen. Erfindungen und Innovationen helfen, Probleme zu lösen, die für unsere Vorfahren unlösbar waren. Durch Unternehmen und Zulieferbetriebe werden Arbeitsplätze geschaffen, Löhne sowie Gehälter bezahlt und Gewinne erwirtschaftet. Ebenso werden Steuern abgeführt, die das Gemeinwesen in die Lage versetzen, seine Aufgaben zu erledigen. Und schließlich werden Beiträge für Sozialabgaben sowie Versicherungsprämien bezahlt. Das sind alles Leistungen, die aus sozialethischer Sicht höchst positiv zu bewerten sind. Ein erfolgreicher Wirtschaftssektor und darin tätige, florierende Unternehmen sind zwar für eine Gesellschaft nicht alles11, doch ohne erfolgreiche Unternehmen gibt es keinen Wohlstand. Stagnierende oder gar scheiternde Gesellschaften sind in niemandes Interesse – im Gegenteil: Sie verursachen in den betroffenen Ländern großes menschliches Leid und, z. B. durch Migration, darüber hinaus weitere Probleme an anderen Orten.

Es wäre also zu erwarten, dass insbesondere in marktwirtschaftlich organisierten und demokratisch gestalteten Industriegesellschaften die Menschen Unternehmen und ihr Wirken wertschätzen. Das aber ist nicht der Fall. Seit vielen Jahren empfinden Menschen in modernen Gesellschaften gegenüber großen Unternehmen eine nur diffus beschreibbare, aber wachsende Antipathie. Knapp die Hälfte der Menschen in Industrie- und Schwellenländern ist nicht der Ansicht, dass (große) Unternehmen im besten Interesse der Gesellschaft arbeiten. Je höher der Grad der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes, desto größer die Skepsis.12 Nach einer im Juli 2016 weltweit durchgeführten Erhebung von GlobeScan13 vertrauen

• 48 % der Befragten wissenschaftlichen und akademischen Institutionen;

• 30 % Nichtregierungsorganisationen (NGOs);

• 25 % großen karitativen Organisationen;

• 16 % den Vereinten Nationen (UNO);

• 12 % den nationalen Unternehmen in ihren jeweiligen Ländern;

• 1 % den jeweiligen nationalen Regierungen und

• 0 % international tätigen Unternehmen.

Die Daten des 2017 Edelman Trust Barometer14 zeigen ein ähnliches Bild: Auf die in 28 Ländern gestellte Frage, welcher Institution sie vertrauen, das Richtige zu tun («to do what is right»), nennen 53 % der Menschen «Nichtregierungsorganisationen», 52 % nennen «Business» und 43 % «Medien» sowie 41 % «Regierungen».

Mit Ausnahme für wissenschaftlich akademische Institutionen und Nichtregierungsorganisationen nahm das Vertrauen in den meisten Industrieländern in den letzten Jahren ab. Menschen mit niedrigen Einkommen fühlen sich von der positiven wirtschaftlichen Gesamtentwicklung ausgeschlossen und vertrauen Unternehmen und Staat weniger als Menschen mit hohem Einkommen. Zunehmende Einkommensdisparitäten verstärken die Abnahme des Vertrauens in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Trotz dieses Unbehagens trauen es die meisten Menschen eher den Unternehmen als den Regierungen und Nichtregierungsorganisationen zu, die in Zeiten der Veränderung und des Umbruchs auftauchenden Herausforderungen zu bewältigen. Achtzig Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass die Wirtschaft die anstehenden Probleme (z. B. im Kontext der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung15) am besten lösen könne.16 63 % der Befragten meinen allerdings, die Regierungen (denen sie noch weniger trauen!) müssten den Unternehmen vermehrt mit gesetzlichen Forderungen auf die Sprünge helfen.

Es gibt unfassbare Beispiele zynisch-kriminellen Handelns.17 Und es gibt Lug und Betrug, selbst bei deutschen Großunternehmen mit signifikanter Staatsbeteiligung. Der Mangel an Vertrauen geht jedoch meiner Ansicht nach weniger auf bekannt gewordene Skandale zurück18, sondern überwiegend auf ein Auseinanderklaffen zwischen dem, was die Menschen einer Gesellschaft erwarten und dem, was das Management von Unternehmen «liefert». Die meisten Menschen in Industrie- und Schwellenländern erwarten, dass Führungspersönlichkeiten in Unternehmen ihre Verantwortung breiter definieren und vermehrt die Interessen gesellschaftlicher Anspruchsgruppen jenseits des Finanzsektors berücksichtigen.19 Etwa 87 % der Befragten in Industrie- und Schwellenländern sind der Ansicht, Unternehmen sollten hinsichtlich ihrer Ziele «mindestens das gleiche Gewicht auf gesellschaftliche Angelegenheiten» legen; nur 28 % der Befragten sind der Ansicht, Unternehmen kämen ihrer Verantwortung in dieser Hinsicht nach.20

Vertrauen – hier definiert als ein im Voraus gewährtes Zutrauen, dass die Handlungs- und Verhaltensweisen anderer Menschen oder Institutionen den eigenen Erwartungen entsprechen – wirkt wie Öl in einer schwer laufenden Maschine: Der Glaube an die Redlichkeit der anderen und das «Sich-Verlassen-Können» auf deren Handlungsweisen in Übereinstimmung mit gemeinsamen Werten erlauben eine Reduktion von Komplexität. Man muss nicht ein Heer von Anwälten und Sorgfaltsprüfern beschäftigen, um alle Details vertraglich abzusichern und sämtliche Vorsichtsmaßnahmen einzubauen, um so Übervorteilung möglichst auszuschließen. Man darf erwarten, dass – bei allen verbleibenden Unsicherheiten, die immer mit zukünftigem Handeln verbunden sind – die «andere Seite» das in sie gesetzte Vertrauen durch entsprechendes Handeln rechtfertigt. Für Francis Fukuyama ist Vertrauen eine Conditio sine qua non für den Erfolg moderner Gesellschaften.21

Für Unternehmen ist Vertrauen nicht nur nützlich, sondern «Wert»-voll im eigentlichen Sinne: Menschen, die einem Unternehmen vertrauen, kaufen seine Produkte und Dienstleistungen (68 %), empfehlen diese Freunden und Kollegen (59 %), teilen ihre positive Beurteilung anderen mit (41 %), verteidigen die Firma gegen Kritik (38 %), sind auch bereit, (etwas!) höhere Preise zu bezahlen (37 %) und seine Aktien zu kaufen (18 %).22

Eine Ernst & Young-Studie legt ein noch größeres, internes Problem offen: Nicht einmal mehr die Hälfte der eigenen Angestellten hat Vertrauen in das eigene Unternehmen.23 Analysiert man die Faktoren, welche nach Ansicht derselben Befragten Vertrauen schaffen (z. B. «treats me with respect», «behaves ethically» und «communicates openly / transparently»), werden die Führungsdefizite offenbar. Wo kein Vertrauen herrscht, ist weniger Loyalität zu erwarten, muss mehr kontrolliert und kann weniger delegiert werden.

Das gesellschaftliche Unbehagen insbesondere gegenüber großen und international tätigen Unternehmen ist nicht neu. Es hat sich jedoch verfestigt und ein Ausmaß angenommen, das nicht so einfach in politische «links»- «rechts»-Schubladen geworfen und auch sonst keinen eng definierten Interessenkategorien zugeordnet werden kann. So diagnostizierte schon vor Jahren die Harvard Business Review (HBR), also das Journal, das von vielen Managern als «Zentralorgan» betriebswirtschaftlicher Klugheit angesehen wird, dass gesellschaftliches Vertrauen in die Wirtschaft ausgehen würde.24 Die HBR gab Topmanagern den therapeutischen Rat, zu tun, was sie können, um das Vertrauen der Stakeholder wieder zu erlangen und effektiver ihre Beziehungen mit ihnen zu pflegen.25

Die Harvard Business Review verlangte nach der Finanzkrise von 2007ff einen Reformprozess, der ganz oben beginnen sollte: Unternehmensführer müssen der Zivilgesellschaft glaubwürdig vermitteln, dass sie die gesellschaftlichen und politischen Bedenken in Bezug auf die Vergütung von Führungskräften, ihr Risikomanagement, die Pflichten von Aufsichtsräten und die Behandlung von Mitarbeitern, die entlassen werden, ernst nehmen. Vertrauen zurück gewinnen bedeutet auch, sich von der Idee zu verabschieden, dass das einzige Managementziel sei, den Shareholder Value zu steigern.26 Es deutet wenig darauf hin, dass dieser Rat befolgt wurde.

So ist es denn auch nicht wirklich überraschend, dass um die Glaubwürdigkeit von Topmanagern sehr schlecht steht: nur 37 der von Edelman Befragten halten CEOs für glaubwürdig.27 Dass die Führungskräfte von Regierungen mit 29 % noch schlechter abschneiden, ist kein Trost – die mit der Agenda 2030 anstehenden gesellschaftlichen Reformen erfordern robustes Vertrauen in Wirtschaft und Politik.

Die Harvard Business Review war mit ihrer Kritik nicht alleine: Im Januar 2012 publizierte die Financial Times, ebenfalls völlig unverdächtig in Bezug auf systemerschütternde Kapitalismuskritik, eine Reihe von Artikeln unter dem Titel «Capitalism in Crisis».28 Darin wurde Wirtschaftswachstum als bedeutungslos charakterisiert, es sei denn, es hat eine umfassende, positive soziale Wirkung. Die Financial Times diagnostizierte als Folge der Nichterfüllung öffentlicher Erwartungen eine Abnahme der gesellschaftlichen Akzeptanz. Der Economist – auch dies kein linkes Kampfblatt – schloss sich dem kritischen Tenor an und schlussfolgerte: «The era of free market triumphalism has come to a juddering halt […]».29 Solche Aussagen sollten eigentlich bei allen, die in einer marktwirtschaftlichen Ordnungspolitik und freiem Unternehmertum die wesentlichen Antriebskräfte für den Wohlstand westlicher Gesellschaften sehen, Alarm und Ursachenforschung sowie Gegenmaßnahmen auslösen.

Ob «Business» im besten Interesse der Gesellschaft arbeitet oder nicht, bestimmen nicht abstrakte Körperschaften, sondern konkrete Menschen, die in Unternehmen arbeiten – ganz besonders jene, die Führungsverantwortung tragen. Daher ist das zum Ausdruck gebrachte Misstrauen gegenüber Unternehmen in Wahrheit ein explizites Misstrauensvotum gegen das Führungspersonal von Unternehmen.

1.2 Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Führungskräften der Wirtschaft

Es gibt Menschen, die schon bei der Formulierung des Themas «ethische Verantwortung von Führungskräften in Unternehmen» stocken, weil ihrer Ansicht nach sich gegenseitig ausschließende Begriffe in einen Zusammenhang gebracht werden. Entweder rede man von ethischer Verantwortung oder von Topmanagern. Zum Beleg der Richtigkeit ihrer Sicht der Dinge verweisen sie auf eine lange Liste von Beispielen, welche die Schlussfolgerung nahelegen, Menschen in der Führungsetage von Unternehmen betreiben unzivilisierten Kapitalismus auf Kosten von Sozial- und Naturkapital30 und profitieren durch deren Externalisierung über kurzfristige Bonus-Systeme persönlich.

Heute bringt Topmanagern (CEOs) nicht einmal mehr die Hälfte aller befragten Menschen in 27 Industrie- und Schwellenländern das Vertrauen entgegen, im besten Interesse der Gesellschaft zu arbeiten. Die dafür angeführten Gründe sind «zu großer Fokus auf kurzfristige finanzielle Resultate», «ungenügende Berücksichtigung langfristiger Auswirkungen» und «ungenügende Schaffung von Arbeitsplätzen». Die Interessen der Wirtschaftseliten werden als abgekoppelt von denen der Gesamtbevölkerung gesehen. In den Erwägungen und Entscheidungen des Führungspersonals großer Unternehmen spielen, so das Urteil der interviewten Menschen, die sozialen und ökologischen Erwartungen der Gesellschaft keine Rolle31; weitverbreitet sei eine «Mentalität der Selbstbedienung» durch Boni, die mit den tatsächlich erbrachten Leistungen wenig zu tun haben.32

Die größten Diskrepanzen zwischen dem, was Menschen moderner Gesellschaften von Topmanagern erwarten, und den tatsächlichen Handlungs- und Verhaltensweisen liegen bei den Themen «Integrität» und «gesellschaftliches Engagement». Als Voraussetzungen dafür, dass Unternehmen als im besten Interesse der Gesellschaft arbeitend wahrgenommen werden, erwarten33

• 50 % der Befragten von Führungskräften, dass sie in hohem Maße ethische Verhaltensweisen praktizieren. Nur 24 % empfinden, das sei der Fall. – Eine Diskrepanz von 26 %;

• 53 % der Befragten von Führungskräften, dass sie bei der Bewältigung von Problemen oder Krisen verantwortungsvoll handeln. Nur 33 % empfinden, das sei der Fall. – Eine Diskrepanz von 20 %;

• 50 % der Befragten von Führungskräften, dass sie transparent und offen handeln. Nur 24 % empfinden, das sei der Fall. – Eine Diskrepanz von von 26 %;

• 52 % der Befragten von Führungskräften, dass sie ihre Mitarbeiter gut behandeln. Nur 25 % stellen das in der Praxis fest. – Eine Diskrepanz von 27 %;

• 50 % der Befragten von Führungskräften, dass sie auf Kundenbedürfnisse und deren Rückmeldung hören. Nur 25 % empfinden, das sei der Fall. – Eine Diskrepanz von 25 %.

Im Diskurs über Anspruch und Wirklichkeit in Bezug auf die Berücksichtigung ethischer Normen im Geschäftsalltag ist die individuelle Verantwortungsfähigkeit und die persönliche moralische Pflicht des Führungspersonals, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln, zu sehr in den Hintergrund getreten. Gouvernanz- und Wertemanagement-Prozesse sind weiterhin wichtige Bestandteile ethisch reflektierter Unternehmensführung. Mit Wertemanagement und dem bekannten Werkzeugkasten34 guter Corporate Governance können jedoch lediglich die Eintrittswahrscheinlichkeit illegitimen Handelns vermindert sowie schuldhafte Verstöße gegen Gesetze und interne Regeln früher erkannt und korrigiert werden. Defizite bei der Individualmoral von Management und Belegschaft werden dadurch nicht behoben. Hier aber liegt der Dreh- und Angelpunkt.

Auch Menschen in Führungspositionen von Unternehmen sind – falls sie nicht als seelenkranke «Systemagenten»35 in ihrer personalen Beschaffenheit verkümmert sind und psychiatrischer Hilfe bedürfen – in erster Linie ganz «normale» Menschen. Als solche haben sie die Fähigkeit, normativ Richtiges von Falschem zu unterscheiden, mit Intelligenz und guten Gründen rational zu entscheiden sowie unterschiedliche Güter gegeneinander abzuwägen. Darüber hinaus haben sie eine moralischeVorstellungsgabe36, die ihnen erlaubt, komplexe Probleme in spezifischen Kontexten auf eine möglichst sozialkompetente und lebensfreundliche (biophile) Weise zu lösen.