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Ehrfurcht vor dem Leben ist das zentrale Prinzip des Denkens und Handelns von Albert Schweitzer. Dieses Prinzip gewinnt angesichts der heutigen multidimensionalen globalen Krisen wieder größte Bedeutung. Überall, wo Menschen und anderen Geschöpfen durch Krieg, Terror und Vernichtung von Lebensgrundlagen Leid angetan wird, wird dieser Grundsatz mit Füßen getreten. So sehr sich jeder nachdenkende Mensch spontan zur Ehrfurcht vor dem Leben bekennt, kann er nur dann etwas Gutes bewirken, wenn er es in seinem Alltag auch umsetzt. Gegen Krieg und Elend irgendwo auf der Welt zu sein, ist normativ richtig – bewirkt jedoch konkret nichts. Die Frage, die sich daher jedem von uns immer wieder aufs Neue stellt, ist: Was bedeutet Ehrfurcht vor dem Leben ganz konkret für mich? Nach Albert Schweitzer hat zwar bereits alles Nachdenken über Ethik eine Hebung und Belebung der ethischen Gesinnung zur Folge. Aber diese Hebung und Belebung leistet nichts, wenn wir nicht auch in unserer Denk- und Handlungspraxis konkret darangehen, die Schwierigkeiten zu überwinden, die heute der nachhaltigen Entwicklung der gesamten Menschheit im Wege stehen.
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Seitenzahl: 40
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Als Prinzip für nachhaltige Entwicklung
Klaus M. Leisinger
Friedrich Reinhardt Verlag
Impressum
Alle Rechte vorbehalten
© 2025 Friedrich Reinhardt Verlag, Basel
Korrektorat: Daniel Lüthi
eISBN 978-3-7245-2804-3
ISBN der Printausgabe 978-3-7245-2802-9
Verlag: Friedrich Reinhardt AG, Rheinsprung 1, 4051 Basel, Schweiz, [email protected]
Produktverantwortliche: Friedrich Reinhardt GmbH, Wallbrunnstr. 24, 79539 Lörrach, Deutschland, [email protected]
Der Friedrich Reinhardt Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2025 unterstützt.
www.reinhardt.ch
Ehrfurcht vor dem LebenAls Prinzip für nachhaltige Entwicklung
Klaus M. Leisinger
Einleitung
– Fortschritte bei der menschlichen Entwicklung
– Preis dieser Art der Entwicklung
Was ist Ehrfurcht vor dem Leben?
– Umfasst nicht nur menschliches Leben
– Umfasst nicht nur gegenwärtiges Leben
– Umfasst nicht nur „Überleben“, sondern auch „möglichst hohe Entfaltung“ von Leben
– Spannungsfelder zwischen Mensch und Natur
Ethische Theorie und gelebte Praxis
– Idealistische Geisteshaltung und Schwierigkeit ihrer praktischen Umsetzung
– Was kann ich wissen?
– Was soll ich tun?
– Was darf ich hoffen?
Ausblick
Literatur
Autor
– Klaus M. Leisinger
Ehrfurcht vor dem Leben erfasst viel mehr als Ehrfurcht vor menschlichem Leben. Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben ist allerdings – zumindest aus meiner Perspektive – von besonderer Bedeutung, weil durch adäquates menschliches Handeln die physische und psychische Lebensqualität von Mitmenschen verbessert und die Bewahrung der Schöpfung gefördert werden kann. Während das Glücksempfinden, das Selbstwertgefühl und die seelische Gesundheit wegen kultureller und individueller Präferenzen im Generellen schwieriger definierbar oder messbar ist, kann die physische Lebensqualität statistisch quantifiziert werden.
150 Jahre nach der Geburt und Jugendzeit von Albert Schweitzer haben wir als menschliche Gemeinschaft vieles erreicht, von dem auch aufgeklärte Menschen jener Zeit kaum zu träumen wagten. In der Jugendzeit Albert Schweitzers lebten etwa 1,3 Milliarden Menschen auf der Erde. Heute sind es über sechs Mal so viele – circa 8,2 Milliarden (Population Reference Bureau 2024). Dennoch wurden bei allen relevanten sozialen und ökonomischen Indikatoren große Verbesserungen erzielt. Allein die letzten 30 Jahre brachten historisch einmalige Fortschritte:
Die Anzahl der Menschen, die in absoluter Armut leben, sank in den letzten 20 Jahren deutlich: von 1,7 Milliarden im Jahre 1999 auf etwa 700 Millionen heute (World Poverty Statistics 2024).
Die Säuglings- und Kindersterblichkeit fiel seit 1999 um 59 % von 93 Todesfällen pro 1000 Geburten auf 37 im Jahre 2022 (WHO 2024.1).
Die Müttersterblichkeit (Todesfälle pro 100’000 Geburten) fiel im gleichen Zeitraum um 34 % (WHO 2024.2).
Überall auf der Welt gehen mehr Kinder in Schulen als je zuvor (UNESCO 2024).
Seit 2015 stieg die Anzahl der Menschen, die Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, um 680 Millionen (UNICEF 2023).
Seit 2000 stieg die Anzahl der Menschen, die Zugang zu sauberen sanitären Anlagen haben, um 2,5 Milliarden (UNICEF 2023).
Das Sterblichkeitsrisiko aufgrund nicht übertragbarer Krankheiten fiel in den letzten 20 Jahren signifikant (WHO 2020), und – nicht weniger wichtig:
Die (durchschnittlichen) Pro-Kopf-Einkommen stiegen überall auf der Welt (IMF 2024).
Diese sozialen und wirtschaftlichen Fortschritte haben in hohem Maße menschliches Leid vermindert, sie haben das Leben von Hunderten Millionen Menschen erhalten und gefördert. Soziale und ökonomische Entwicklung ist das Resultat von Denken und Handeln in und mit Ehrfurcht vor dem Leben.
Allerdings: 150 Jahre nach der Geburt und Jugendzeit von Albert Schweitzer steht die Weltgemeinschaft auch vor Krisenszenarien und Herausforderungen, die wohl nicht einmal in den schlimmsten Albträumen Albert Schweitzers vorkamen. Als Beispiel sollen nur die beiden folgenreichsten Problem-Klumpen genannt werden:
a. Klimaveränderungen im Sinne einer globalen Erwärmung mit verheerenden Konsequenzen, wie beispielsweise
Abschmelzen von Polkappen und Gletschern und als Folge
Anstieg des Meeresspiegels und dadurch Überschwemmungen von Inseln und Küstengebieten;
Häufung extremer Wetterereignisse (Hitzewellen, Überflutungen gleichermaßen wie Dürren) mit immensen Schäden überall auf der Welt;
Vernichtung von landwirtschaftlichen Anbauflächen und durch häufigere Brände Verminderung von primären Waldbeständen, was wiederum zur
Verminderung der Artenvielfalt führt und zur weitgehend unbemerkten Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten, deren Bedeutung für die Intaktheit komplexer Natursysteme bzw. Integrität der Schöpfung und somit letztlich auch für den Menschen heute noch völlig unbekannt ist.
Heute sind alle Ziele der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung außer Reichweite; fast alle globalen Trends gehen in die falsche Richtung. Der an der UNO Generalversammlung 2024 vorgelegte Pact for the Future (UN 2024) darf als offizielles Eingeständnis dieser Tragödie beurteilt werden. Alle UNO-Konferenzen, die im letzten Quartal des Jahres 2024 zu globalen Umweltproblemen stattfanden, sind entweder an Finanzierungsfragen gescheitert oder endeten mit einem Minimalkonsens:
Maßnahmen zur Verminderung der Biodiversität, Cali, Kolumbien, November 2024;
Bekämpfung der Wüstenbildung, Saudi-Arabien, Dezember 2024;
Umsetzung der bekannten Maßnahmen zum Klimaschutz, Baku, Aserbeidschan, November 2014, sowie
Verminderung von Plastikmüll, Busan, Südkorea Dezember 2024).
Und, als wäre das alles nicht genug:
Die neue US-Administration unter Präsident Trump hat angekündigt, aus dem mühsam erreichten Pariser Klimaabkommen von 2015, wonach der weltweite Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad Celsius, auf jeden Fall aber auf deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter beschränkt werden soll, auszusteigen.