Die Kunst, unserer Sehnsucht zu folgen - Michael Bordt SJ - E-Book

Die Kunst, unserer Sehnsucht zu folgen E-Book

Michael Bordt SJ

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Beschreibung

Virus, Klimawandel, Digitalisierung – wir leben in Zeiten des Umbruchs. Das spüren wir im Alltag und es fällt uns schwer, dem etwas entgegenzusetzen. Etwas, das uns Ruhe, Halt und Tiefe gibt. Auch in Religionen finden viele Menschen keine Antworten mehr. Aber die Sehnsucht nach Sinn und Spiritualität, die gehört zu uns Menschen dazu. Viele lenken sich davon ab, andere sind ihr auf der Spur: Sie wandern durch den Wald, machen etwas Künstlerisches, verreisen an einen einsamen Ort, besuchen einen Yogaretreat oder Meditationskurs. Das Interesse an spirituellen Praktiken wächst – auch wissenschaftlich.

Philosoph und Bestsellerautor Michael Bordt SJ schöpft aus der spirituellen Praxis des Jesuitenordens ebenso wie anderer Religionen und zeigt Wege, wie wir unserer Sehnsucht folgen können. Raus aus dem alltäglichen Hamsterrad, hin zu einer neuen Geistesgegenwart und einer Heimat in uns selbst – und die ist für jede und jeden erreichbar.

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Seitenzahl: 106

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Michael Bordt SJ

Die Kunst, unserer Sehnsucht zu folgen

Spiritualität in Zeiten des Umbruchs

Mit Kalligrafien von Misayo Kawashima

1. Auflage 2020

© Elisabeth Sandmann Verlag GmbH, München

ISBN 978-3-94554387-0

Imprimi potest

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Verena von Plüskow

Cover: Pauline Schimmelpenninck, Berlin

Satz: Anja Fuchs, Nürnberg

Kalligrafien: Misayo Kawashima

Druck & Bindung: Pustet, Regensburg

Besuchen Sie uns im Internet unter:

www.esverlag.de

Inhalt

Vorwort

Sehnsucht

Kapitel 1Sehnsucht

Kapitel 2Drei Hindernisse

Kapitel 3Sehnsucht nach der Sehnsucht

Kapitel 4Die Samen der Religionen

Gehen lassen

Kapitel 5Spiritualität und Religion

Kapitel 6Spiritualität ohne Religion

Tod

Kapitel 7Wege zu uns selbst

Kapitel 8Verbundenheit erfahren

Licht

Kapitel 9Die eigene spirituelle Identität finden

Liebe

Kapitel 10Umfassende Liebe erlangen

Danksagung

Literaturhinweise

Vorwort

Von 2005 bis 2011 war ich Präsident der Hochschule für Philosophie in München – sechs Jahre lang, wie es bei uns Jesuiten üblich gewesen ist. Einer meiner Arbeitsaufträge bestand darin zu prüfen, wie wir als private Hochschule des Jesuitenordens mit unserem Fach, der Philosophie, Geld verdienen könnten, um die Institution mit ihren 550 Studentinnen und Studenten sicher in die Zukunft zu führen. Eine Idee war, den Führungskräften großer Wirtschaftsunternehmen philosophisch-ethische Fortbildungsangebote anzubieten. Nach ernüchternden ersten Jahren, in denen Vorträge und Kurse allenfalls zögerlich nachgefragt wurden, änderte sich die Lage 2008 im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise. Vor allem im deutschsprachigen Raum waren viele der Meinung, es wäre zu der Krise gekommen, weil sich das Wirtschaften von der Moral entkoppelt habe. Zurück zu Ethik und Werten, hieß es nun in den Konzernzentralen, und die Aufträge mehrten sich. Doch je mehr Vorträge und Workshops ich hielt, desto klarer wurde mir, dass mit Ethik und Moral nicht geholfen war. In manchen Fällen sollten unsere Angebote sich wohl einfach nur gut in den Imagebroschüren machen. Vor allem aber merkte ich, dass die Menschen, für die ich arbeitete, eigentlich etwas anderes suchten, selbst wenn sie nicht immer genau sagen konnten, was das war.

Zwei Jahre nach der Krise wandte sich der Vorstandsvorsitzende eines Münchner Konzerns dann mit einem veränderten Anliegen an uns. Die Situation in seinem Unternehmen glich der, die ich so ähnlich später in anderen Firmen kennenlernte: Die unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen der Krise waren bewältigt, aber der Schreck und das Gefühl der Machtlosigkeit, das der gerade noch verhinderte wirtschaftliche Zusammenbruch in den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hinterlassen hatte, wirkten weiter. Wie kann man es schaffen, so wurden wir gefragt, auch unter hohem Druck und gefangen in einem Geflecht aus Sachzwängen souverän und innerlich frei zu bleiben und das Gespür für das, was das eigene Leben ausmacht, nicht zu verlieren?

Das sind die Fragen, vor denen nicht nur Führungskräfte in großen Wirtschaftsunternehmen stehen. Wir alle haben Zeiten im Leben, in denen wir nicht mehr klar sehen können. In denen wir uns danach sehnen, wieder durchatmen zu können, das Gefühl der Getriebenheit abzuschütteln und einen Sinn in unserem Tun zu erkennen. Das geht einem Konzernvorstand, von dessen Entscheidungen Abertausende Arbeitsplätze abhängen, nicht anders als einem Elternteil, das sich in den Zeiten der Pandemie am Rande der Erschöpfung um die Kinder kümmern und gleichzeitig Homeoffice machen muss – und auch nicht anders als mir bisweilen. Ich aber weiß, was mir selbst in solchen Situationen geholfen hat, woraus ich lebe und was mich trägt, auch durch Zeiten persönlicher Krisen und Umbrüche: Stille, Meditation, Gebet – kurz: meine Spiritualität.

Zunächst zögerte ich, Übungen, die der Spiritualität des Jesuitenordens entstammen, in den Unternehmenskontext zu übertragen. Würden sich Ingenieure, Maschinenbauer und Juristen, von denen manche überhaupt keinen biografischen Bezug zur Religion hatten oder aber einer anderen Religion angehörten als ich, überhaupt darauf einlassen?

Doch der Kurs für die Führungsmannschaft des Unternehmens lief überraschend gut. Vor allem die Meditation, selbst wenn sie zunächst anstrengend für die Teilnehmer war, empfanden viele als eine echte Hilfe, in einen Abstand zu ihrem oft überdrehten Alltag zu kommen. Und was mich am meisten überraschte: Ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer religiös waren oder nicht, hat keine Rolle gespielt.

Nachdem wir dann 2011 das Institut für Philosophie und Leadership gegründet hatten und ich mir einen Überblick über die Forschung zu den Themen Spiritualität und Meditation verschaffen konnte, wurde mir klar: Spiritualität, auch außerhalb institutionell verfasster Religionen, erlebt einen enormen Aufschwung. Sie ist inzwischen gesellschaftsfähig geworden und auf dem besten Wege, im Mainstream anzukommen. In Umfragen gibt ein Drittel der deutschen Bevölkerung an, mindestens einmal pro Woche zu meditieren oder vergleichbare Übungen zu machen. Die Google-Suche nach dem Stichwort »Yoga« schnellt seit 2008 in die Höhe. Selbst die Wissenschaft hat sich der Meditation angenommen, und die Zahl der Publikationen zu ihren Wirkungen steigt seit der Jahrtausendwende sprunghaft an. Wer von sich heutzutage sagt, dass ihm Spiritualität wichtig ist, wird nicht mehr als Spinner oder Esoteriktante abgetan, auch wenn er oder sie diese nicht innerhalb einer der etablierten Kirchen sucht. Im Gegenteil: Mit dem Thema macht man sich heute eher interessant.

Ein gegenläufiger Trend ist die Abkehr von den institutionell verfassten Religionen. Spiritualität, die ursprünglich in den Religionen beheimatet war, hat sich von ihnen emanzipiert. Yogakurse, in denen die Übungen nicht mehr als Teil einer religiösen Praxis verstanden werden, Meditationsapps, die uns in Achtsamkeit schulen möchten, aber dabei ganz vom buddhistischen Kontext absehen, Lehrstühle an Universitäten, in denen angehende Ärzte und Pflegerinnen in ›spiritual care‹ ausgebildet werden, zeigen: Spiritualität ist vielen Menschen wichtig, aber unabhängig von ihrer religiösen Einbettung.

Die Gründe für die Hinwendung zur Spiritualität mögen sehr vielfältig sein. Ein Grund ist der rasante gesellschaftliche Umbruch. Die zunehmende Globalisierung und Digitalisierung, Migration und Klimawandel verändern unsere gesamte Lebenswelt. Rasch müssen neue Antworten auf neue Herausforderungen gefunden werden, und so wächst bei vielen Menschen der Wunsch nach einem inneren Halt und einer inneren Stärke, die sie unabhängiger von den äußeren Veränderungen macht. Von der Spiritualität verspricht man sich, so ein Fundament zu finden.

Auch das Streben nach Selbstoptimierung und die Bereitschaft, an sich zu arbeiten, beinhalten oftmals ein Interesse an Spiritualität. Ebenso der Wunsch, auch im fortgeschrittenen Alter immer wieder Neues dazuzulernen. Viele erleben, dass eine Karriere mit entsprechendem Gehalt nicht die innere Befriedigung bringt, die sie sich davon erhofft hatten. Andere beobachten, wie die Jahre zwischen Familienarbeit und dem Verdienst des Lebensunterhalts nur so zerrinnen oder aber, dass die abendliche Zerstreuung mit dem Fernseher oder Streamingdienst sich am Ende doch schal anfühlt. Bei wieder anderen ist es ein Schicksalsschlag, der die Frage nach dem Sinn aufbringt. Nicht zuletzt führt der Eindruck vieler Menschen, dass wir so wie bisher nicht weitermachen können, wenn wir unsere Lebensgrundlagen erhalten wollen, zu einer kritischeren Haltung gegenüber einem auf Konsum ausgerichteten Lebensstil. Wir Menschen leben nicht nur, um unseren Nutzen zu optimieren und Spaß zu haben. Es kommt eine Zeit, da wir merken, dass das Leben irgendwie ›mehr‹ bieten muss als konsumieren, arbeiten, zerstreuen, und so wird der Wunsch nach Spiritualität geweckt.

Wenn ich in diesem Buch nun Wege zur Spiritualität aufzeige, Wege zu uns selbst und dazu, unserem Leben gerade auch in Zeiten des Umbruchs mehr Tiefe und Bedeutung zu geben, dann gehe ich dieses Projekt aus einer ganz bestimmten Perspektive an, die in hohem Maße biografisch geprägt ist. Ich meditiere, seitdem ich mit Anfang zwanzig das erste Mal in Taizé, einem ökumenischen Kloster in Burgund, eine Woche lang mit anderen jungen Erwachsenen geschwiegen und das Meditieren gelernt habe. Mit 28 Jahren bin ich in den Jesuitenorden eingetreten, habe zweimal im Leben 30 Tage lang große Exerzitien gemacht, das heißt geschwiegen, meditiert und mit Texten aus der Bibel gebetet. Ich meditiere so gut wie jeden Morgen – nach einem starken Kaffee und ein paar Yogaübungen – und ziehe mich einmal im Jahr für eine Woche zu einer intensiven Zeit der Meditation zurück. Ich habe viele Meditationskurse in unterschiedlichen Meditations- und Exerzitienhäusern des Jesuitenordens geleitet. Kurz: Ich komme biografisch, spirituell und auch intellektuell aus einer ganz bestimmten Tradition innerhalb des Christentums, die meine folgenden Überlegungen sicherlich in höherem Maße, als es mir selbst bewusst ist, beeinflusst hat. Dass ich in diesem Buch allerdings vor allem als Philosoph Wege zur Spiritualität aufzeigen möchte, bewahrt die Überlegungen, so hoffe ich doch, vor allzu großer Einseitigkeit. Bedeutende Philosophen der griechischen Antike wie Platon und Plotin haben mein Verständnis von Spiritualität ebenso mitgeprägt wie der amerikanische Philosoph und Gründungsvater der modernen Psychologie William James, der ein großes Werk über die Vielfalt religiöser Erfahrungen geschrieben hat, und Ludwig Wittgenstein, dessen Überlegungen zur Religion und Spiritualität von einer existenziellen Tiefe sind, die ich so bei keinem anderen Philosophen gefunden habe. Platons Überlegungen zum Thema werden uns in den kommenden Kapiteln auch immer wieder ganz ausdrücklich begegnen.

Vor allem aber speist sich dieses Buch aus den Erfahrungen, die ich in den schon angesprochenen Kursen für Unternehmen wie BMW, aber auch für junge Gründerinnen, Startup-ler oder Söhne und Töchter von Familienunternehmen gemacht habe. In allen Kursen und Retreats, auch in der persönlichen Begleitung von Führungskräften, sind nicht religiöse Inhalte, wohl aber Spiritualität und Meditation ein zentrales, wenn nicht sogar das zentrale Element. Daher geht es mir darum, Wege zur Spiritualität aufzuzeigen, die auch unabhängig von einer bestimmten Religion vermittelbar sind, und, das ist meine Überzeugung, Menschen zu einer neuen Klarheit, Freiheit, Selbstbestimmung und Tiefe ihres eigenen Lebens führen können. Davon also handelt dieses Buch.

Sehnsucht

Kapitel 1Sehnsucht

Alles beginnt mit der Sehnsucht« heißt ein Gedicht der Nobelpreisträgerin Nelly Sachs, und ganz sicher gilt dieser Satz für unsere Suche nach Spiritualität, nach Tiefe und Authentizität. Wenn Sie, verehrte Leserin und verehrter Leser, sich mit diesem Buch auf den Weg zu ihren eigenen spirituellen Quellen begeben möchten, wenn Sie ihre eigene Spiritualität vertiefen möchten, dann ist die Sehnsucht dafür tatsächlich der beste Ausgangspunkt.

Aber nicht nur das. Die Sehnsucht wird uns auch eine verlässliche Führerin zum Ziel unserer Suche sein, was auch immer wir uns von einem spirituellen Leben erhoffen. Wer bei seiner Suche nach einer authentischen Spiritualität nicht bei der Sehnsucht ansetzt und sich von ihr leiten lässt, der gerät in Gefahr, auf halbem Wege steckenzubleiben und das Ziel zu verfehlen. Er mag dann zwar bestimmte spirituelle Übungen machen oder einen spirituellen Lebensstil pflegen. Vielleicht besucht er einen Tai-Chi-Kurs, er mag auch meditieren, besonders achtsam morgens sein Müsli essen, mit einer Salzkristalllampe eine spezielle Atmosphäre im Wohnzimmer erzeugen oder sich an der Buddhastatue im eigenen Garten erfreuen, aber all das bleibt nur äußere Praxis. Die tut uns gut, streift aber nur die Oberfläche und befreit uns nicht. Sie verändert unser Erleben nicht in der Tiefe. Spiritualität bleibt dann eine Mode, die man wechselt, wenn eine neue angesagt ist. Aber wie immer wir uns kleiden mögen: Kleidung bleibt stets oberflächlich. Sie dringt nie zum Kern unserer Persönlichkeit vor, auch wenn wir uns in unseren Lieblingsklamotten besonders wohlfühlen.

Spiritualität kann und soll aber etwas anderes leisten, wenn wir es ernst mit ihr meinen. Was immer Spiritualität sein mag: Menschen, die nach ihr suchen, haben die Hoffnung, vielleicht auch schon die Ahnung, dass sie sich selbst, andere Menschen und, ja, die ganze Wirklichkeit anders erleben können. Dass man dem äußeren Druck, der Unruhe, dem emotionalen Auf und Ab, dem Alltag mit seinen mühsamen Routinen und der Unzufriedenheit mit sich und dem Leben etwas entgegensetzen kann. Dass das Leben an Tiefe, Sinn und emotionaler Intensität gewinnt und gleichzeitig leichter wird.

Aber was ist Sehnsucht genau? ›Sehnsucht‹ ist kein Wort, das wir im Alltag oft verwenden. Wir sagen vielleicht, dass wir sehnsüchtig auf eine Nachricht warten, die uns Klarheit in einer unsicheren Situation bringt – aber mit ›sehnsüchtig‹ meinen wir in solchen Fällen eher ungeduldig und unruhig. Sicher war es nicht diese nervöse Ungeduld, von der Nelly Sachs sprach.

Ihre und unsere Sehnsucht ist verwandt mit unserem Verlangen, unserem Begehren, unserem Wollen und unseren Wünschen. Dabei gibt es allerdings einen interessanten Unterschied. Wenn wir etwas wünschen oder wollen, dann wissen wir meistens doch sehr genau, was es ist. Wir können das, was wir wollen, benennen. Bei der Sehnsucht ist das alles nicht so klar. Die Sehnsucht ist oft diffuser, schwerer zu fassen. Wir können eine Sehnsucht haben, ohne klar benennen zu können, auf was sie sich eigentlich richtet. Wir sind dann sehnsüchtig. Manche Autoren, vor allem in der Zeit der Frühromantik, meinten, es sei charakteristisch für die Sehnsucht, dass sie sich nie auf etwas Bestimmtes richtet. Die Sehnsucht, so sagten sie, sei unendlich und unbestimmt.