Die Macht der sieben Familien - Matteo Strukul - E-Book
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Die Macht der sieben Familien E-Book

Matteo Strukul

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Beschreibung

Prächtige Paläste, blutrünstige Herrscher – im Italien der Renaissance kämpfen große Familiendynastien um die Macht. Als Gabriele Coundulmer, Spross der einflussreichen Venezianer, unter dem Namen Eugen IV. den Papstthron besteigt, bringt das die Feinde der Condulmer auf den Plan: Gemeinsam vertreiben die Mailänder Herzogsfamilien der Visconti und der Sforza Eugen IV. aus dem Vatikan. Der Papst entgeht nur knapp seiner Ermordung und flieht ins florentinische Asyl. Doch die Sforza schmieden bald neue Allianzen – zumal die Condulmer mächtige Unterstützer in Florenz gewinnen: niemand anderes als die legendären Medici …

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Buch

Prächtige Paläste, blutrünstige Herrscher – im Italien der Renaissance kämpfen große Familiendynastien um die Macht. Als Gabriele Condulmer, Spross der einflussreichen Venezianer, unter dem Namen Eugen IV. den Papstthron besteigt, bringt das die Feinde der Condulmer auf den Plan: Gemeinsam vertreiben die Mailänder Herzogsfamilien der Visconti und der Sforza Eugen IV. aus dem Vatikan. Der Papst entgeht nur knapp seiner Ermordung und flieht ins florentinische Asyl. Doch die Sforza schmieden bald neue Allianzen – zumal die Condulmer mächtige Unterstützer in Florenz gewinnen: niemand anders als die legendären Medici …

Autor

Matteo Strukul wurde 1973 in Padua geboren. Er hat Jura studiert und in Europäischem Recht promoviert. Seine Romane wurden für die wichtigen italienischen Literaturpreise nominiert. Strukul lebt mit seiner Frau Silvia abwechselnd in Padua, Berlin und Transsilvanien.

Mehr von Matteo Strukul

Medici. Die Macht des Geldes. Historischer Roman

Medici. Die Kunst der Intrige. Historischer Roman

Medici. Das Blut der Königin. Historischer Roman

Medici. Der Niedergang einer Familie. Historischer Roman

Das Geheimnis des Michelangelo. Historischer Roman

Matteo Strukul

Die Macht der sieben Familien

Historischer Roman

Aus dem Italienischen

Die Originalausgabe erschien 2019

unter dem Titel »Le sette dinastie«

bei Newton Compton editori, Rom.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstveröffentlichung November 2021

Copyright © der Originalausgabe © 2019 Newton Compton editori s. r.l., Roma

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2021

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

This edition published in agreement with the proprietor through

MalaTesta Literary Agency, Milan

Covergestaltung: UNO Werbeagentur München

Coverfoto: © FinePic®, München

Redaktion: Christina Neiske

BH · Herstellung: ik

Satz- und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN: 978-3-641-27132-9V001

www.goldmann-verlag.de

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Für Silvia –

Von der Höhe der Felsenburg überblickte der wilde Herr, wie der Adler von seinem blutigen Neste, die Gegend ringsumher, wo nur ein Wanderer den Fuß hinsetzen konnte, während er über seinem Haupte kein lebendes Wesen mehr sich regen hörte.

ALESSANDRO MANZONIDie Verlobten

Die bewusste Berechnung aller Mittel, wovon kein damaliger außeritalischer Fürst eine Idee hatte, verbunden mit einer innerhalb der Staatsgrenzen fast absoluten Machtvollkommenheit, brachte hier ganz besondere Menschen und Lebensformen hervor.

JACOB BURCKHARDT

Inhalt

Die Geschlechter

Erster Teil

1418

Prolog

1427

1. Ein Wespennest

2. Maclodio

3. Die Obsessionen eines Herzogs

4. Im Pfeilhagel

5. Die Lagune

6. Die Niederlage

7. San Nicolò dei Mendicoli

8. Castor und Pollux

9. Die Flucht

10. Der Herold

1431

11. Der Tod des Papstes

12. Eine kompromittierende Unterhaltung

13. Konklave

14. Die Erpressung

15. Der Söldnerführer

16. Zweifel und Ängste

17. Lucrezia

18. Der Verdacht

19. Verhandlungen

20. Das blutige Pontifikat

21. Die Ungarn

1432

22. Zwei Bastarde statt einem

23. Konziliarismus

24. Das Schicksal ist besiegelt

25. Auf dem Weg zur Nachfolge

26. Im Vorzimmer

27. Erdrückende Beweise

28. Mastro Michele

29. Ein hinterhältiger Pakt

30. Die Tarotkarten

31. Das Schafott

32. Familienangelegenheiten

33. Nächtlicher Spaziergang

34. Der Apostolische Palast

35. Visconti und Sforza

36. Die Täuschung

1434

37. Goldfiorini

38. Polixenas Tränen

39. Die Flucht

40. Sforza, Medici und Condulmer

41. Der Pirat

42. Im Taubenschlag

Zweiter Teil

1441

43. Paolo di Dono

44. Campovecchio

45. Allianzen und Strategien

46. Die Hochzeit

47. Das Kartenspiel

48. Die Wölfin

49. Francesco und Bianca Maria

50. Die Zukunft im Blick

1442

51. Die Geschichte des Aquäduktes

52. Girifalco

53. Porta Santa Sofia

54. Die Kunst der Rede

55. Sin caridad

56. Die Welt verändert sich

57. Perpetua

58. Neapel

59. Treue

1447

60. Der letzte Atemzug

61. Familientreffen

62. Gabor Szilagyi

63. Tränen

64. Nachfolge

65. Leitern und Knüppel

66. Die Verteidigung Mailands

67. Die Wende

68. Eroberungshunger

69. Die schleichende Angst

70. Der Löwe

1448

71. Ein unvorhersehbares Einverständnis

72. Eine Frage der Perspektive

73. Raffinesse bei Hofe

Dritter Teil

1450

74. Die Revolte

75. Porta Nuova

76. Das Jüngste Gericht

77. Eine schwierige Erziehung

78. Ferrante

1454

79. Nach Konstantinopel

80. Bittere Erinnerungen

81. Nach Belgrad

82. Cosimo und Polixena

83. Nutzlose Reue

84. Schlechtes Gewissen

85. Gebete

1458

86. Das Testament

87. Borgia

88. Schwindende Macht

89. Die Ängste einer Mutter

90. Der Hidalgo

91. Isabella

1462

92. Ihr habt mich zur Königin gemacht

93. Dracula

94. Troia

1464

95. Letzter Wille

96. Zu spät

97. Die Welt ändert sich

98. Die Kunst des Wartens

Vierter Teil

1466

99. Halbdunkel

100. Blut und Regen

101. Gaspare da Vimercate

102. Die Rettung Galeazzo Marias

103. Das Primat

104. Die Befreiung

105. Der Hinterhalt

106. Verstärkung

107. Die Niederlage der Verschwörer

1468

108. Bianca Maria und Lucrezia

109. Ein unüberbrückbarer Abgrund

110. Phlegräische Felder

111. Für den Frieden

112. Das Versprechen

1471

113. Unzufrieden

114. Die Sorgen eines Pontifex

115. Gerico

1474

116. Die öffentliche Folter

117. Finstere Absichten

118. Überwältigende Leidenschaft

119. Schönheit und Grausamkeit

120. Dekadenz

121. Paolo

1476

122. Verschwörer

123. Vorahnung

124. Die Signora von Melzo

125. Santo Stefano

Anmerkungen des Autors

Dank

Glossar

Die Geschlechter

Mailand (Visconti-Sforza)

Filippo Maria Visconti: Herzog von Mailand

Agnese del Maino: Mätresse von Filippo Maria Visconti

Maria von Savoyen: Ehefrau von Filippo Maria Visconti und Herzogin von Mailand

Pier Candido Decembrio: persönlicher Berater von Filippo Maria Visconti

Francesco Sforza: Condottiere und Herzog von Mailand

Bianca Maria Visconti: Tochter von Filippo Maria Visconti und Agnese del Maino, Herzogin von Mailand

Cicco Simonetta: Berater von Francesco Sforza

Braccio Spezzato: Leutnant unter Francesco Sforza

Michele da Besozzo: Mailänder Maler

Gaspare da Vimercate: Leutnant unter Francesco Sforza

Galeazzo Maria Sforza: Sohn von Francesco Sforza und Bianca Maria Visconti, Herzog von Mailand

Ludovico Maria Sforza, genannt »il Moro«: Bruder von Galeazzo Maria Sforza und Sohn von Francesco Sforza und Bianca Maria Visconti, Herzog von Mailand

Lucrezia Landriani: Mätresse von Galeazzo Maria Sforza

Bona von Savoyen: Ehefrau von Galeazzo Maria Sforza und Herzogin von Mailand

Caterina Sforza: Tochter von Galeazzo Maria Sforza und Lucrezia Landriani

Lucia Marliani: Mätresse von Galeazzo Maria Sforza

Lucrezia Aliprandi: Hofdame im Gefolge von Agnese del Maino

Gabor Szilagyi: Auftragsmörder im Dienst von Bianca Maria Visconti

Venedig (Condulmer)

Gabriele Condulmer: venezianischer Patrizier, zum Papst gewählt, nahm als Papst den Namen Eugen IV. an

Polixena Condulmer: venezianische Edelfrau, Schwester von Gabriele Condulmer

Niccolò Barbo: venezianischer Patrizier, Mitglied des Consiglio dei Dieci (Rat der Zehn), Ehemann von Polixena Condulmer

Pietro Barbo: Sohn von Niccolò Barbo und Polixena Condulmer, zum Papst gewählt, nahm als Papst den Namen Paul II. an

Antonio Condulmer: venezianischer Gesandter am französischen Hof

Antonio Correr: Cousin von Gabriele Condulmer, Kardinal von Bologna

Francesco Bussone, genannt »Carmagnola«: Oberbefehlshaber der venezianischen Armee auf der Terraferma (Gebiete Venedigs auf dem Festland)

Ferrara (Este)

Leonello d’Este: Marchese (Markgraf) von Ferrara, Sohn von Niccolò III. d’Este und Stella de’ Tolomei

Guarino Guarini: Magister, Inhaber des Lehrstuhls für Rhetorik, Latein und Griechisch an der Universität von Ferrara

Borso d’Este: Herzog von Ferrara, Sohn von Niccolò III. d’Este und Stella de’ Tolomei

Ercole I. d’Este: Herzog von Ferrara, Halbbruder von Borso d’Este

Florenz (Medici)

Cosimo de’ Medici, genannt »Il Vecchio« (der Alte): Herr über Florenz

Paolo di Dono, genannt Paolo Uccello: Florentiner Maler

Piero de’ Medici, genannt »Il Gottoso« (der Gichtige): Herr über Florenz, Sohn von Cosimo de’ Medici und Contessina de’ Bardi

Lorenzo de’ Medici, genannt »Il Magnifico« (der Prächtige): Herr über Florenz, Sohn von Piero de’ Medici und Lucrezia Tornabuoni

Braccio Martelli: Florentiner Adeliger, Freund von Lorenzo de’ Medici

Rom (Colonna und Borgia)

Antonio Colonna: römischer Adeliger, Fürst von Salerno, Oberhaupt des Zweigs der Genazzano

Odoardo Colonna: römischer Adeliger, Bruder von Antonio und Prospero Colonna

Prospero Colonna: römischer Adeliger, Bruder von Antonio und Odoardo Colonna, Kardinal

Stefano Colonna: römischer Adeliger, Oberhaupt des Zweigs der Palestrina

Sveva Orsini: römische Adelige, Ehefrau von Stefano Colonna

Chiarina Conti: römische Adelige, Mutter von Stefano Colonna

Imperiale Colonna: römische Adelige, Tochter von Stefano Colonna und Sveva Orsini, Ehefrau von Antonio Colonna

Salvatore Colonna: römischer Adeliger

Alonso de Borja (Alfonso Borgia): spanischer Adeliger, zum Papst gewählt, nahm als Papst den Namen Calixt III. an

Neapel (Aragón)

El Rey Alfons V. von Aragón, genannt »Il Magnanimo« (der Großmütige): König von Aragón, Souverän des Königreichs Neapel

Don Rafael Cossin Rubio: Hidalgo aus Medina del Campo, Hauptmann der Armee von Aragón

Ferdinand I. von Aragón, genannt »Ferrante«: König von Aragón, Souverän des Königreichs Neapel, Sohn von Alfons V. von Aragón und Gueraldona Carlino

Isabella von Clermont: Königin von Neapel, Ehefrau von Ferdinand I. von Aragón

Filomena: neapolitanische Frau aus dem Volk

Aniello Ferraro: neapolitanischer Pozzaro

Iñigo de Guevara: Hauptmann der aragonesischen Armee

Erster Teil

1418

Prolog

Herzogtum Mailand, Castello di Binasco

Er wollte bis nach oben zur Turmspitze. Er wusste, dass es eine Ewigkeit dauern würde, aber er war wild entschlossen, es zu schaffen. Ein Soldat hatte angeboten, ihm zu helfen, doch den hatte er mit einem vernichtenden Blick gestraft.

Stufe für Stufe stemmte er sich mit seinen Stöcken hinauf. Das verlangte Kraft in den Armen – was ihm wahrlich nicht neu war. Er kam nur langsam vorwärts auf seinen dürren, schwächlichen Beinen. Mühsam stolperte er voran und presste Verwünschungen zwischen den Zähnen hervor, mit denen er sich selbst verfluchte und, mehr noch, seine Eltern, die ihn seit frühester Kindheit in diese Hölle aus Schmerz und Einschränkung gestoßen hatten.

Als er endlich die letzte Stufe erklommen hatte, war er schweißgebadet. Seine Arme zitterten fast von der schier übermenschlichen Anstrengung. Er stützte sich auf die Brüstung und ließ die Krücken fallen.

Groß und massig ragte der Eckturm empor und beherrschte den Ausblick. Der Himmel nahm die Farbe der Morgenröte an. Der kalte Winterwind blähte in Böen seinen Mantel. Filippo Maria zog ihn fest um die Schultern, der Wolfspelz am Kragen strich schmeichelnd über seine Wange.

Binasco. Etwa auf halber Strecke zwischen Mailand und Pavia. War dies nicht der perfekte Ort, um seinen Plan zur Ausführung zu bringen? Wo er doch diesen beiden Städten sein ganzes Leben geopfert hatte?

Er sah hinab in den tiefen Graben zu seinen Füßen. Jenseits davon standen kahle Bäume mit krummen Ästen, wie erstarrt vor Kälte. Etwas weiter entfernt ein paar halb verfallene Katen und Bauernhöfe. Er drehte sich um und richtete seinen Blick in den Hof der Burg, wo das Schafott auf sein Opfer wartete. Die Flammen der Fackeln leuchteten in der Morgenröte.

Er hasste Beatrice. Aus tiefster Seele. Er hatte sie heiraten müssen, weil Facino Cane ihn dazu gezwungen hatte. Der wollte Beatrice gut aufgehoben und in Sicherheit wissen. Den Mund voller Auswurf und Blut hatte er es auf dem Totenbett verlangt. Beatrice! Kein Leid sollte ihr widerfahren. Gewiss! Und er musste sie nun ertragen, seit sechs Jahren schon. Sechs endlose Jahre! Er hatte es hingenommen, dass sie ihn wie einen Diener behandelte, einen Untergebenen, einen Rotzlöffel, ihn, den zwanzig Jahre Jüngeren und einzigen legitimen Erben des Herzogtums Mailand. Er war ihr zu Diensten gewesen, hatte ihre Launen ertragen, die vielen Erniedrigungen. Und während er geduldig und lächelnd ihre Anweisungen entgegennahm, hatte sich in ihm ein Zorn eingenistet, der über die Jahre immer größer geworden war. Mit Billigung der Staatsmänner am Hofe, die der Überzeugung waren, dass er es zugunsten eines Gleichgewichtes der Kräfte, aus Vaterlandsliebe und Respekt vor den Toten täte. Beatrice, das miese Stück, war ihm von Nutzen gewesen: Sie hatte ihm vierhunderttausend Dukaten Mitgift eingebracht und Herrschaftsansprüche über Alessandria, Tortona, Casale, Novara, Vigevano, Biandrate, Varese und das gesamte Gebiet der Brianza. Er hatte sich von Kalkül und Opportunismus leiten lassen. So hatte er mit einem Schlag für das Herzogtum – sein Herzogtum – Ländereien, Männer und Ressourcen zurückgewonnen.

Doch nicht einen Augenblick lang hatte er vorgehabt, wirklich mit ihr zusammenzuleben. Sicher, trotz ihrer vierzig Jahre war sie noch schön. Und sie wusste, was einem Mann gefiel. Nur allzu gut! Allerdings war nicht er es, dem ihre Aufmerksamkeit galt. Nie. Er hatte immer gewusst, dass sie ihn betrog. Aber es war ihm nie gelungen, ihre Untreue zu beweisen. Die kleine Schlampe war schlau. Und deshalb verabscheute er sie. Doch im Verborgenen hatte er die Tage gezählt und verbittert auf seinen Moment gewartet.

Er war gewachsen in den sechs Jahren. Zwar war er nicht kräftiger und seine unnützen Beine nicht besser, sondern lediglich sein Bauch fetter geworden, und er hatte einsehen müssen, dass er hässlich und verkrüppelt war, doch eines war ihm gelungen, das Wichtigste überhaupt, das alle Zurücksetzung und Launen der Natur mit einem Mal wettmachte: Er war Herzog von Mailand geworden. Nicht der Bezeichnung nach. Aber faktisch. Er hatte seine Feinde ausgemacht, die erklärten ebenso wie die gefährlicheren, die hinter seinem Rücken Intrigen gegen ihn anzettelten, ihm aber lächelnd Honig ums Maul schmierten. Er hatte gelernt, ihnen allen zu misstrauen. Er hatte seinen Groll hinuntergeschluckt und so getan, als sei er ein vernünftiger und friedfertiger junger Mann, der bereitwillig die Beschlüsse des Consiglio di Provvisione zur Kenntnis nahm und wie ein braver Junge den Auffassungen der Hofpolitiker Folge leistete, als seien es Lebensweisheiten. Unterdessen nisteten sich Argwohn und Zorn in seinem schwarzen Herzen ein, das so hart war wie der dunkle Fels der Berge ringsum.

Und so hatte er in diesen sechs Jahren, in denen sie ihn alle mit gönnerhafter Herablassung und Bevormundung behandelt und seinen Zorn unterschätzt hatten, seine Waffen geschärft.

Dann hatte sich das Blatt erneut gewendet: Er hatte die Gesellschaftsdame von Beatrice kennengelernt, die viel schöner war als sie. Agnese del Maino hatte langes blondes Haar und Augen so blau wie der Himmel. Dieser Himmel, der soeben mit dem letzten Aufflammen der Morgenröte seine Farbe änderte. Wie hätte er einem Geschöpf so voller Feuer und Leidenschaft wie Agnese widerstehen sollen? Ihr bloßer Anblick brachte sein Blut in Wallung! Als ihm klar wurde, dass Agnese sich nicht vom äußeren Schein täuschen ließ und er ihre Bereitschaft und ihr Bestreben erkannte, Teil seines Lebens zu werden und eines Tages mit ihm gemeinsam zu herrschen, hatte er ihr alles geboten, was in seiner Macht stand. Sie hatte ihn fest zwischen ihre kräftigen, straffen Schenkel genommen und es wie wahnsinnig mit ihm getrieben. In diesen Nächten voll Sex und Raserei, voll Wonne und Qual, in denen er sie nahm und sich endlich wie ein Mann fühlte, flüsterte sie ihm Dinge ins Ohr, die nach und nach zu einem raffinierten und ruchlosen Plan heranreiften.

Zu guter Letzt hatte Filippo Maria ihn mit ihr gemeinsam umgesetzt. Er beschuldigte Beatrice des Ehebruchs mit einem seiner Dienstboten namens Michele Orombelli. Als sie das abstritt, bezichtigte er sie des Meineids und des Ehebruchs und beschuldigte sie, dass ihr der Erhalt der Abstammungslinie des Herzogtums nicht am Herzen liege. Daraufhin hatte er sie, ohne zu zögern, verurteilt. Orombelli hatte er in Ketten legen lassen. Nach einem Scheinprozess hatte er ihn vor Beatrices Augen von seinen Wachleuten in Stücke reißen lassen und den Hunden zum Fraß vorgeworfen. Danach hatte er befohlen, Beatrice zum Castello di Binasco bringen zu lassen, wo sie auf ihre Verurteilung warten sollte.

Und dort befanden sie sich nun.

Er schaute zum Horizont. Schließlich entschloss er sich mit unwilligem Blick auf die Treppe, wieder hinabzusteigen. Unter Mühen bückte er sich und hob die beiden Stöcke auf. Er spuckte aus. Dann machte er sich an den qualvollen Abstieg.

Als sie Beatrice hinausbrachten, regte sich kein Hauch. Es gab keine wartende Menge, nur den leeren Hof, gescheckt mit Flecken aus schmutzigem Schnee und Schlamm. Seine Bewaffneten hatten auf einer kleinen Bühne das Schafott aufgebaut. Der Henker wartete mit einer großen Axt in den Händen. Francesco Bussone, genannt Carmagnola, Hauptmann der mailändischen Truppen, überwachte, dass alles reibungslos vonstattenging. Er war groß, hatte lange braune Haare und einen dünnen Schnauzbart. Erbarmungslos und treu ergeben, war er bereit alles zu tun, um die Ländereien zurückzuerobern, die dem Herzogtum verloren gegangen waren.

Filippo Maria betrachtete Beatrice, überheblich wie eh und je, selbst im Angesicht des Todes, mit diesem hochmütigen, stolzen Blick, hart wie die Klinge eines Messers. Er sah ihr in die Augen, und es war ihm eine Genugtuung, den Blick nicht abzuwenden. Er lächelte. Sie würdigte ihn keines Wortes. Sie versuchte nicht, sich zu befreien, und protestierte nicht einmal ansatzweise, als die beiden Soldaten sie an den Armen ergriffen und sie dem Henker vor die Füße warfen.

Der packte sie rücksichtslos und fixierte ihren Kopf mit ein paar Seilwindungen auf einem Fass.

Die Sonne durchbrach die Wolken.

Die blassen winterlichen Strahlen tauchten den gesamten Hof in ein milchiges Licht. Beatrice sah weiter ihren Gemahl an – ohne ein Wort von sich zu geben und ohne den Blick von ihm zu wenden, im Gegenteil, sie heftete ihn auf ihn.

Der Henker hob die riesige Axt über den Kopf.

Nicht einmal die Ehre des Schwertes hatte er ihr gegönnt. Filippo Maria hatte dem Scharfrichter befohlen, ein Beil zu verwenden, das sonst den Schweinen und den räudigen Hunden vorbehalten war.

Der Herzog von Mailand klammerte sich an seine beiden Stöcke, die er in den Boden des Hofes bohrte.

Er verfolgte die Szene mit Genuss.

Nachdem er so lange darauf gewartete hatte, wollte er jetzt keinen einzigen Augenblick der Hinrichtung verpassen.

Der Scharfrichter ließ die gewaltige Axt herabsausen. Sauber durchtrennte die Klinge den Hals. Ein Strahl dunklen Blutes schoss als roter Regen heraus. Der vom Rumpf getrennte Kopf sprang beinahe davon und rollte unter die Streben der Bühne, um schließlich im schmutzigen Schnee und Matsch des Hofes zum Stillstand zu kommen.

Filippo Maria trat zum Kopf Beatrices. Er sah die hervorgetretenen Augen und die bläuliche Zunge. Dann warf er einen seiner beiden Stöcke zu Boden und packte den abgetrennten Kopf mit der freien Hand bei den Haaren. Das Blut troff aus ihm heraus, und so zog er eine scharlachrote Spur hinter sich her, als er sich mit ihm zum Schweinekoben begab.

1427

1. Ein Wespennest

Herzogtum Mailand, Maclodio

Der Meinung bin ich nicht.« Angelo della Pergolas Blick blitzte auf. »Ich glaube nicht, dass Carmagnola sofort angreifen wird.«

»Wieso denkt Ihr das?«, fragte Francesco Sforza. Sein Blick verriet nicht die geringste Gemütsregung.

»Weil er sich nach seinem Sieg in Sommo eiligst auf die andere Seite des Oglio zurückgezogen hat, statt weiter vorzudringen«, erwiderte Angelo della Pergola mit Genugtuung.

Sforza, der viel jünger war als er, schüttelte den Kopf, als ob all seine Erwartungen enttäuscht worden seien.

Angelo della Pergola hasste Francesco Sforza. Er musste all seine Geduld aufbringen, um keinen Tobsuchtsanfall zu bekommen. Dieser junge Hauptmann führte sich einfach unerträglich auf. Er war beherrscht von der Arroganz der Jugend, gemäßigt nur durch eine beneidenswerte Fähigkeit zur Selbstkontrolle, die er in erstaunliche Kaltschnäuzigkeit umzuwandeln wusste. Er nutzte diese Begabung, um bei jeder Gelegenheit diesen wahren Hitzkopf von Carlo Malatesta, den frisch ernannten Oberbefehlshaber der Mailänder Truppen, aufzuwiegeln, der ihnen in diesem Augenblick amüsiert zuhörte.

Aber er hatte gewiss nicht jahrelang in Schlamm und Schnee gekämpft, um zum Gespött dieser beiden Jüngelchen zu werden, die es gar nicht erwarten konnten, fette Beute zu machen.

»Seht Ihr denn nicht«, sagte er an die beiden gewandt, »dass die Bedingungen denkbar ungünstig sind? Wir befinden uns in einer Ebene voller Sümpfe, umgeben von zugefrorenen Kanälen, und müssten auf allerschlechtestem Gelände gegen einen Mann wie Carmagnola antreten, der nicht zuletzt aufgrund seiner Vergangenheit allen Grund hat, nicht kämpfen zu wollen!«

»Genau aus diesem Grund glaube ich, dass wir leichtes Spiel haben werden, ihn zu vernichten. Unser Gegner zaudert. Umso besser! Machen wir seinen Männern den Garaus und sichern Filippo Maria Visconti einen leichten Sieg!«, dröhnte Malatesta und fügte verächtlich hinzu: »Worauf sollen wir Eurer Meinung nach denn noch warten?«

Angelo della Pergola traute seinen Ohren kaum. Diese beiden Bengel waren wirklich nicht in der Lage, einfach mal nachzudenken. Er hingegen, voller Schrammen und Narben, schlecht vernähter Wunden und immer noch nachwirkenden Schlägen, hatte so manches gesehen mit seinen zweiundfünfzig Jahren! Sie befanden sich gerade in der typischen Situation des Abwartens, in der keine der beiden Seiten den ersten Schlag führen will. Wer zuerst angriffe, würde sich selbst der Vernichtung preisgeben. Er hätte ganze Wälzer mit aufschlussreichen Beispielen dafür füllen können. Wenn er nur schreiben könnte. Selbst wenn er sich alle Mühe gäbe, sie zum Nachdenken zu bringen, würden unverkennbarer Argwohn und hartnäckiger Widerstand ihrerseits jeglichen Überzeugungsversuch zwecklos machen.

»Habt Ihr Angst, Hauptmann?«, fragte Carlo Malatesta ihn forsch. »Das könnte ich verstehen. Ihr seid müde, in Eurem Alter träumt Ihr gewiss nicht davon, Euch schon wieder ins Schlachtgetümmel zu schmeißen.«

In Angelo della Pergolas Augen blitzte es auf, im nächsten Moment griff er nach seinem Dolch und rammte ihn mit einer geschmeidigen Bewegung in den Tisch, der mitten im Raum stand. Es ging derart schnell, dass Malatesta kaum den Griff seines Schwertes zu fassen bekam.

Francesco Sforza hingegen blieb beneidenswert kaltblütig. Auch Carlo Malatesta hasste ihn. So selbstsicher wie er immer war. Eiskalt und distanziert sagte er immer das Richtige zum richtigen Zeitpunkt. Eine elegante Erscheinung mit diesen wunderbar gepflegten, seidigen Haaren. Ein eitler Stutzer. Bei dem würde er zu gern Hand anlegen, dass ihm sein Lächeln vergehen würde.

Im Augenblick aber teilte er seine Ansicht.

»Ich habe keine Angst – vor nichts und niemandem«, schrie der Alte. »Ich hätte nur gern, dass Ihr ab und an ein bisschen nachdenkt!«

»Ihr wagt es, die Stimme zu erheben?«

»Glaubt nicht, Ihr könntet mich beeindrucken, Malatesta. Die Tatsache, dass der Herzog beschlossen hat, Euch zum Oberbefehlshaber seines Heeres zu machen, gibt Euch noch lange nicht das Recht, mich zu beleidigen!«, knurrte der alte Hauptmann. »Ihr meint wirklich, ich hätte Angst? Nicht im Geringsten! Ich glaube jedoch, dass wir lieber erst mal gründlich darüber nachdenken sollten, ehe wir das Spiel Carmagnolas mitspielen. Er hatte nach Sommo definitiv die Möglichkeit, uns vernichtend zu schlagen, doch er hat es nicht getan. Er ist wütend, weil er von dem Herrn, dem er sein Leben gewidmet hat, im Stich gelassen wurde. Vielleicht ist er auch enttäuscht. Und das alles leid. Macht Euch doch mal klar: Er hat zehn Jahre lang unter dem Zeichen des Biscione gekämpft, er hat für Filippo Maria Visconti Ländereien und Städte zurückerobert, er wurde vom Herzog zum Herrn über Genua ernannt – und dann wird er plötzlich vor die Tür gesetzt. Das muss eine allzu herbe Enttäuschung gewesen sein. Doch trotz dieser Enttäuschung gelingt es ihm nicht, Mailand zu hassen. Trotz des Goldes, mit dem die Venezianer ihn überschüttet haben, zögert Carmagnola. Vielleicht gibt es noch eine Möglichkeit, sich mit ihm zu einigen und so unnützes Blutvergießen zu vermeiden.«

»Und ich sage, Ihr habt Angst, Hauptmann. Ich habe all Eure Beobachtungen angehört, doch nichts bringt mich davon ab, dass der wahre Grund für Eure ermüdende Ermahnung zur Vorsicht in Eurer Furcht besteht, Carmagnola auf dem Schlachtfeld gegenüberzutreten. Ich habe keine Angst vor ihm, wir sind stark, besser ausgerüstet, wir verfügen über acht Bombarden. Wenn Ihr nicht kämpfen wollt, dann bleibt hier, niemand verlangt von Euch, Eure kostbare alte Haut zur riskieren«, stieß Malatesta hervor und richtete den Zeigefinger auf Angelo della Pergola.

»Kommandant, kommt schon«, mischte sich Sforza ein, »wir sollten Ruhe …«

»Sagt mir nicht, ich solle Ruhe bewahren!«, unterbrach ihn Malatesta. »Wollen wir diese Schlacht wirklich eine Handvoll Männer aus der Lagune gewinnen lassen?«

Während Malatesta dieser letzten Frage nachhing und dabei die eigene Unrast bis aufs Letzte auskostete, schlug jemand den Vorhang vor dem Zelteingang zur Seite.

»Kommandant«, verkündete Guido Torelli, an Carlo Malatesta gewandt, »Carmagnolas Heer rückt vor!«

»Wo? An welcher Stelle im Feld?«

Torelli schien zu zögern. »Genau das verstehe ich nicht. Er schickt die Kavallerie geradewegs nach Urago. Niccolò da Tolentino ist der Anführer der Venezianer. Piccinino erwartet sie und steht zum Angriff bereit. Er wartet nur auf Eure Befehle.«

»Meine Herren«, schloss Carlo Malatesta, »die Würfel sind gefallen. Begebt Euch zu Euren Männern. Überwacht die Straße nach Orci Novi. Was mich angeht, werde ich mich schleunigst zu Piccinino begeben, um ihm Beistand zu leisten. Und um diese kleine Auseinandersetzung beizulegen.«

2. Maclodio

Herzogtum Mailand, Maclodio

Die Straße durchschnitt den Sumpf wie ein glänzendes Band aus Regen und schlammiger Nässe, das mitten durch Kanäle und Morast führte. Tropfen, groß wie Silbermünzen, fielen vom Himmel. Niccolò Piccinino nahm mit seiner Kolonne aus Kavallerie und Infanteristen die gesamte Straße ein. Der Regen trommelte auf das Metall der Helme, die Abzeichen der Visconti, tränkte die Satteldecken der Pferde und überschwemmte die Straße, die dadurch noch rutschiger und tückischer wurde.

Piccinino sah eine Schar venezianischer Reiter näher kommen. Der Markuslöwe wehte vor einem bleiernen Himmel und schien jeden Moment losbrüllen zu wollen.

Im selben Augenblick hörte er hinter sich den Widerhall von Hufen – und sah, wie sich ein Ritter kühn und forsch durch die Reihen der Seinen bewegte. Er saß auf einem großen kohlrabenschwarzen Ross, dessen Satteldecke rot und gelb gewürfelte Streifen im Wechsel mit silbernen zierten – die Farben der Malatesta. Der Oberbefehlshaber des Visconti-Heeres hatte das Visier seines Helmes geöffnet, sein kräftiges Kinn war glatt rasiert und von Regentropfen benetzt.

Er hob die Hand mit dem eisernen Handschuh. »Nun, Niccolò, ist der Augenblick gekommen. Wir wollen diesem spärlichen Häufchen Venezianer doch wohl nicht die Ehre des ersten Angriffs überlassen?«

»Hauptmann«, wandte Piccinino ein, »genau das macht mich so misstrauisch und vorsichtig. Wie kann es sein, dass Venedig und Florenz nur so wenige Männer losgeschickt haben, um uns anzugreifen? Meine Spione sagen, dass es unseren Feinden nicht an Reitern und Fußsoldaten fehlt.«

»Warten, Niccolò? Und warum? Das wäre feige! Ich bin dafür, die Gruppe der Kavallerie auf der Straße zu belassen und die Infanteristen in zwei Flügeln ausscheren zu lassen. Sie werden vom Sumpf her vorrücken und den Feind seitlich angreifen. Wenn wir sie so in die Zange nehmen, werden wir diesen Dummkopf von Carmagnola, Niccolò Tolentino und ihre Männer schon in den Griff bekommen.«

»Aber …«

»Kein Aber«, schnitt ihm Carlo II. Malatesta das Wort ab und erteilte den Befehl, dass Infanteristen und Schildknappen seitlich ausschwärmen und über die Kanäle und das Sumpfland vorrücken sollten.

»Und nun«, wiederholte er, »ist der Moment gekommen anzugreifen.« Ohne sich noch länger aufzuhalten, senkte er das Visier, ließ den Morgenstern in der Luft kreisen und trieb sein Pferd zum Galopp.

Wie elektrisiert vom Anblick ihres Hauptmanns, der ganz ohne jede Furcht bereit war, den Tod herauszufordern, warfen sich auch die anderen Ritter geschlossen dem Feind entgegen, der sich nun seinerseits auf Malatesta und die Seinen zubewegte.

Fußsoldaten und Schildknappen begaben sich die Böschung hinab, schlossen mühsam zur Kolonne der Reiter auf und suchten sich, so gut es ging, ihren Weg durch Wassergräben und Morast.

Carmagnola lächelte. Von der Anhöhe, auf der er sich befand, sah er, dass Carlo II. Malatesta angebissen hatte. Der Plan ging also auf. Er grinste vorfreudig angesichts des vielversprechenden Auftakts dieses öden Nachmittags.

»In der Schlacht kann eine Überraschung ganz schön bitter sein, nicht wahr, Giovanni?«

Der Junge, Carmagnolas Helfer im Feld und sein persönlicher Knappe, nickte.

»Malatesta wird sich auf die paar Reiter stürzen, die ich ihm vor die Nase gestellt habe, aber er weiß noch nicht, was von hinten über ihn hereinbrechen wird. Ach, Giovanni, wie leid mir das tut, meinem Mailand diesen hässlichen Streich zu spielen! Doch Filippo Maria Visconti hat es so gewollt! Dieser junge Krüppel ist einfach undankbar. Neidisch auf die Erfolge, die ich für ihn eingeheimst habe, wollte er mich isolieren und verleugnen, verstehst du? Verleugnen, mich! Den größten Condottiere aller Zeiten!«

Giovanni nickte erneut. Voller Bewunderung schaute er auf Francesco Bussone da Carmagnola, den Grafen von Castelnuovo Scrivia.

»Für ihn habe ich Brescia, Orci Novi, Cremona, Palazzolo und schließlich sogar Bellinzona und Altdorf zurückerobert und dabei die gefürchteten Schweizer abgewehrt. Und wie hat er mir das vergolten? Indem er mich vom Hof entfernt hat. Ach, was für ein Dummkopf!«

»Hauptmann!«, unterbrach eine Stimme das Selbstgespräch, das Francesco Bussone wohl vor allem dazu dienen sollte, Enttäuschung und Bitterkeit zu überwinden, die ihm die Zurückweisung durch Filippo Maria Visconti zugefügt hatte.

»Was gibt es?«, erwiderte Carmagnola gereizt. »Ich erzählte Giovanni gerade von meinen Schicksalsschlägen, damit er etwas daraus lernt. Er weiß das übrigens sehr zu schätzen.«

Der Mann, der soeben die Kuppe des Hügels erklommen hatte, von dem aus der Hauptmann die Schlacht verfolgte, war ein Ritter, der einen kühnen Eindruck machte. So wie seine fein ziselierte Rüstung glänzte, schienen Schlamm und Regen ihr nichts anhaben zu können. »Und wie wollt Ihr das wissen«, fragte der Neuankömmling, »wo er doch stumm ist?« Wie um diesen Widerspruch noch zu betonen, konnte sich der Mann ein Grinsen nicht verkneifen.

Diese Frechheit löste bei Carmagnola einen Hustenanfall aus. Gleich darauf knurrte er: »Kümmert Euch um Euren Kram, Gonzaga. Und Giovanni weiß mit den Augen viel mehr zu sagen als andere, die ihr loses Mundwerk nicht im Griff haben. Nun, sind die Männer in Stellung? Wisst Ihr, was Ihr gleich zu tun habt?«

»Natürlich. Die Armbrustschützen sind schon auf Position, gut getarnt zwischen Schlamm und Morast, bereit, den Feind von den Flügeln her niederzumähen.«

»Na, dann ist es ja gut! Haltet Euch also nicht länger mit albernen Witzen auf. Kehrt zur Straße zurück und gebt das Zeichen. Sobald die Armbrustschützen das Fußvolk dezimiert und die Kolonne von Malatestas Reitern geschwächt haben, greift Ihr mit dem Großteil unserer Leute an und durchbrecht ihre Linien. Wenn wir es schaffen, die Mailänder aufzureiben, sie abzudrängen und auf der rechten Seite der Aufstellung zur Flucht zu zwingen, wird es uns auch gelingen, die vom anderen Flügel zu vertreiben, der unter der Führung von Sforza auf der Straße nach Orci Novi Aufstellung genommen hat. Auf diese Weise werden wir ihr Heer in zwei Teile zerschlagen wie Fleisch beim Schlachter. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

»Absolut.«

»Dann verliert keine Zeit. Tut, was ich Euch befohlen habe.«

»Natürlich, mein Hauptmann.« Ohne noch etwas hinzuzufügen, wendete Gianfrancesco Gonzaga sein Pferd und verließ den Hügel.

Carmagnola schüttelte den Kopf. »Immer muss ich alles selber machen. Wenigstens bist du da, Giovanni.«

Kaum kam die gegnerische Aufstellung in den Blick, hob Carlo II. Malatesta den Morgenstern und ließ ihn einen Augenblick später auf den Schild eines venezianischen Feindes donnern. Das Krachen war ohrenbetäubend. Die Auswirkung war so durchschlagend, dass der Mann zur Seite kippte; gleich darauf führte Carlo behände einen gigantischen zweiten Schlag, der den anderen völlig unvorbereitet traf. Die dornenbesetzte Kugel knallte gegen den Schultergurt und drang durch das Leder bis in das Fleisch des Mannes. Der Venezianer stieß einen unmenschlichen Schrei aus, und sein Blut lief in Strömen über das, was von der eisernen Brustplatte übrig war.

Malatesta riss den Morgenstern wieder an sich und entfernte dabei die Reste des Schultergurtes und der ledernen Gelenke der Rüstung, wodurch er den Oberarmknochen des Feindes freilegte. Er sah, dass Eisensplitter in seinem Fleisch steckten und erkannte, dass es genau der richtige Moment für den Gnadenstoß war. Also ließ er den Morgenstern erneut über dem Kopf kreisen und traf den Gegner ein drittes Mal, an der Seite.

Der Mann fiel vom Pferd, als die Eisendornen sich in seine Rüstung gruben.

Carlo ließ vom Morgenstern ebenso ab wie von seinem Opfer. Die Dornen hatten sich so tief ins Eisen gebohrt, dass es gefährlich gewesen wäre, sich die Waffe zurückholen zu wollen. Sie war ein tödliches Werkzeug, doch nicht leicht zu handhaben. Mehr als einmal hatte sie ihm Schwierigkeiten bereitet, dennoch mochte er auf sie nicht verzichten, denn vor allem beim ersten Angriff erlaubte sie ihm eine Schlaggeschwindigkeit, die die Feinde einschüchterte.

Er zückte das Schwert, während der Venezianer im Dreck verendete, in einer Pfütze aus Regen und Blut. Dann zog er die Zügel an, sodass das Pferd sich aufbäumte.

Er wollte Furcht verbreiten, in der Hoffnung, die Angst werde sich wie ein Fieber in den Reihen der Feinde ausbreiten.

Doch als sein Ross wieder auf allen vier Hufen über die schlammige Straße stampfte, sah er etwas, das ihn zutiefst erschütterte.

3. Die Obsessionen eines Herzogs

Herzogtum Mailand, Castello di Porta Giovia

Und deshalb sollte ich also Eure Entscheidung bereitwillig akzeptieren, ohne auch nur einen Mucks von mir zu geben? Habe ich nicht jeden Tag um Euch gebangt? Habe ich nicht wie eine Furie um Euch gekämpft? Habe ich nicht an Eurer Seite gestanden, als es darum ging, einen Plan zu schmieden, wie Ihr von Beatrice loskommen könntet, ja sogar bei seiner Ausführung? Habe ich Euch nicht die schönste Tochter aller Zeiten geschenkt? Und habe ich nicht erst letztes Jahr eine weitere verloren? Habe ich nicht all das getan und ertragen, Hoheit, um Euch zu unterstützen, weil ich Euch mehr liebe als mein Leben?« Bei diesen Worten meinte man Blitze in den Augen Agneses zu sehen.

Gütiger Gott, wie schön sie war! Lieblich und stolz zugleich und deshalb unwiderstehlich. Agnese del Maino hatte sich die weiße Spitzenhaube vom Kopf gerissen und ihre langen blonden Haare gelöst, die in glänzenden goldenen Locken herabfielen. Die Perlen waren zu Boden gefallen und rollten unter den samtbeschlagenen Sessel und den fein intarsierten Tisch.

Er hätte sie in diesem Augenblick gern genommen, wenn er gekonnt hätte, aber Filippo Maria Visconti wusste, dass Agnese, hätte er auch nur gewagt, sie anzufassen, wie von Sinnen gewesen wäre. Also musste er ihr schmeicheln und ihr ruhig den Plan erklären, den er sich ausgedacht hatte.

»Mein Schatz, seid nicht so streng mit mir«, sagte er mit verhaltener Liebenswürdigkeit, »ich erkenne all die Verdienste an, die Ihr aufgezählt habt, und noch viele weitere, und doch müsst Ihr begreifen, wie wichtig diese Eheschließung für das Herzogtum ist. Die Allianz mit Amadeus VIII. von Savoyen brauche ich jetzt nötiger denn je, wo ein Mann wie Carmagnola sich gegen mich gewandt hat. Also werde ich Maria heiraten. Doch Ihr habt nichts zu befürchten, nichts wird mich von Euch trennen, denn Ihr und nur Ihr seid diejenige, die ich liebe.«

Der Herzog sagte diese Worte mit aller Aufrichtigkeit, zu der er fähig war. Dennoch war Agnese nicht zufrieden.

»Sicher, das sagt Ihr jetzt! Aber in ein paar Monaten, wenn die neue Gemahlin erst in Euren Armen liegt, fürchte ich, bleibt Euch kein Funken Verstand. Und was soll aus Bianca werden? Was wird sie davon halten, dass Ihr uns verlassen habt?«

Filippo Maria schüttelte den Kopf und seufzte. Er musste Geduld haben, sagte er sich. Er hievte sich mit aller Kraft aus seinem Lieblingsstuhl nach oben auf die Krücken, schleppte sich mühsam durch den Saal und nahm Zuflucht beim Feuer des Kamins. Verdammte Beine, dachte er. Wenn er doch wenigstens einen normalen Körper zur Verfügung hätte. Er unterdrückte einen verzweifelten Aufschrei. Während er sich mit der rechten Hand ans Kaminsims klammerte, streckte er die andere in Richtung der Flammen, als erwarte er, dass ihm die Wärme die richtigen Worte eingebe. Die Krücken fielen zu Boden.

Zumindest war eine Veränderung im Ton zu bemerken – Agneses Stimme, die zunächst schneidend gewesen war, war nun etwas weicher geworden. Ihr feuriger, kämpferischer Blick wirkte milder, die zarten Wimpern betonten diesen plötzlichen Wandel.

Sein Schweigen nutzend fuhr Agnese fort. »Ich bin nicht so unbedarft, dass mir nicht klar wäre, was Euch zu einem solchen Schritt veranlasst. Doch Ihr werdet meine Fassungslosigkeit nachvollziehen können. Bianca betet Euch an wie einen Heiligen, genau wie ich, Liebster, und unsere Feinde warten doch nur auf den richtigen Moment, um uns auseinanderzubringen. Auch wenn sich Amadeus von Savoyen heute Euer Freund und Verbündeter nennt, scheint er doch bereits die Voraussetzungen dafür zu schaffen, um schon morgen Euer Gegner zu sein. Und dass er Eurer Braut nicht einen Dukaten als Mitgift gibt, ist ein Umstand, den ich, gelinde gesagt, befremdlich finde.« Agnese ließ bei ihren Worten schlau einen fast sinnlichen Seufzer mitschwingen.

Filippo Maria bemerkte es. Er hing dem Gedanken nach, ob er durch Schweigen womöglich mehr erreichen würde als durch Reden oder gar den Versuch, sich durchzusetzen. Er kannte Agneses Temperament und wusste, dass sie sich in Momenten wie diesen ihre Sorgen von der Seele reden musste, ganz so, als könnte sie sie dadurch überwinden, dass sie sie aussprach. Er konnte jedoch nicht ewig schweigen, sonst würde er am Ende das Gegenteil von dem bewirken, was er zu erreichen hoffte. »Agnese«, begann er und wandte sich ihr zu, »ich verstehe vollkommen, was Ihr sagt, ich pflichte Euch sogar bei. Doch vertraut mir. Habe ich Euch jemals verraten, seit Ihr an meiner Seite seid? Habe ich Euch Grund gegeben, an mir zu zweifeln?« Bei der letzten Frage warf er ihr einen festen, entschiedenen Blick zu.

»Nein, mein Liebster.«

»Also beruhigt Euch!«, fuhr er bestimmt fort, ohne jedoch aggressiv zu werden. »Wenn ich tue, was sich tue, dann einzig und allein zu dem Zweck, uns einen mächtigen Verbündeten zu sichern. Dank dieser Eheschließung wird Amadeus VIII. von Savoyen uns Männer, Soldaten und Geldmittel für die Verteidigung Mailands zur Verfügung stellen. Neunundvierzigtausend Fiorini im Monat kostet mich dieser Krieg! Wenn man die monatlichen Einkünfte zusammenrechnet, kommt man, selbst wenn wir das Volk bis aufs Blut besteuern, nicht über fünfzigtausend Fiorini. Ihr seht selbst, über welch bescheidene Mittel wir dann für den ganzen Rest verfügen. Deshalb, Agnese, versucht mich doch bitte zu verstehen. Diese Ehe ist das Pfand, das ich Amadeus VIII. zahle, um unseren Besitz gesichert zu sehen. Venedig, Florenz, alle sind gegen mich!«

»Filippo, ich verstehe Euch ja.« Agnese trat zu ihm, nahm ihn bei den Händen und drehte ihn zu sich. »Wie auch sonst? Glaubt Ihr, ich sähe nicht, mit welch gierigem Blick die Serenissima Euch Euren besten Mann geraubt hat, indem sie ihm die Taschen mit Geld füllte? Und doch – versteht mich nicht falsch –, wart nicht Ihr selbst es, der Carmagnola des Hofes verwiesen hat? Habt Ihr ihn nicht zu Euch gerufen, dann im Hof warten lassen, um ihn schließlich nicht einmal zu treffen? Ich weiß, warum Ihr das getan habt. Doch Ihr müsst auch begreifen, dass Ihr in denen, die Euch treu ergeben sind, Groll erzeugt, wenn Ihr sie erniedrigt, einen Groll, der früher oder später zu Wut heranreift und zum Wunsch nach Rache, die beide noch gefährlicher sind als die Gier, die Ihr zu Beginn fürchtetet.« Bei diesen Worten drückte Agnese die Hände des Herzogs noch fester.

»Ich weiß, doch was hätte ich anderes tun sollen?«, antwortete Filippo Maria. »Ich hatte ihn zum Gouverneur von Genua ernannt, in dem Versuch, ihm Reichtum und Ehre zu sichern und ihn zugleich auf Abstand zu halten. Doch nun seht, wie er mir das vergolten hat! Im Gegenteil, ich fürchte, ich war meinen Hauptmännern gegenüber zu großzügig. Ihr erinnert Euch bestimmt, dass gerade sie es waren, keine Adeligen, sondern die einfachen Waffenträger, die auf Vergewaltigung und Gewalt aus waren, die die Hände nach Mailand ausstreckten und sogar versuchten, es mir streitig zu machen! Allein der Tod konnte dem Widerstand von Facino Cane ein Ende bereiten! Nun ist es Francesco Sforza, der trotz seiner jungen Jahre der aufsteigende Stern unter den bedeutenderen Kriegern zu sein scheint. Doch auch er lässt nach, und während wir hier miteinander sprechen, kann es gut sein, dass die Unsrigen sich am Oglio auf Leben und Tod mit den Bastarden von Carmagnola schlagen. Und wer weiß, was geschieht.«

»Ihr dürft die Hoffnung nicht verlieren, Filippo!«

»Hoffnung? Diesen endlosen Krieg werde ich nicht durch Hoffnung gewinnen, sondern durch Kalkül und Verrat. Dadurch, dass ich noch erbarmungsloser bin als meine Gegner. Aus diesem Grund brauche ich die Allianz mit Amadeus VIII. Ich habe kein Geld mehr. Täglich frage ich Decembrio und Riccio, wie viel noch in der Staatskasse ist. Der Consiglio di Provvisione hat den Consiglio Generale einberufen. Wir stehen kurz vor dem Kollaps, Agnese. Deshalb bitte ich Euch, verlangt nichts Unmögliches von mir. Wenn ich diese Savoyen heirate, dient das allein dem Zweck, für unsere Rettung zu sorgen.«

Der letzte Appell hatte die gewünschte Wirkung. Agneses Blick wurde matt, die weißen wunderschönen Hände streichelten das müde Gesicht des Herzogs. Dann half die schöne Edeldame ihm, sich vor den Kamin zu setzen. »Einverstanden, mein Herz. Ich werde Euch nicht weiter quälen. Erlaubt mir nur noch, Euch zu sagen, was der einzig schwache Punkt Eurer Feinde in dieser ganzen Angelegenheit ist.«

»Und der wäre?«, fragte Filippo Maria, mit einem Mal neugierig.

»Ihr werdet mir zustimmen, dass Carmagnola noch nicht zum endgültigen Schlag ausgeholt hat, obwohl er es gekonnt hätte. Nach dem Sieg von Sommo ist es beinahe zu einem Stillstand gekommen, als ob er am Ende noch etwas für Euch und Mailand übrighätte. Nicht alles kann mit Geld gekauft werden, ist es nicht so? Und eins steht fest – da er ein großer Condottiere ist, bedeuten ihm die Taten, die er unter Eurem Banner vollbracht hat, viel. Sie sind es, die ihm unvergänglichen Ruhm eingetragen haben. Und nichts zählt mehr für einen Condottiere als der Ruhm. Unterm Strich heißt das: Wenn Venedig ihn in seine Reihen aufgenommen hat, ist der Grund in dem Namen zu suchen, den er sich in Eurem Dienste gemacht hat.«

»Zweifelsohne, doch ich weiß nicht, worauf Ihr hinauswollt.«

»Verzeiht mir, wenn ich hartnäckig bleibe, mein Liebster«, sagte Agnese und legte den Zeigefinger auf die schönen Lippen, womit sie den Herzog auf allersinnlichste Weise bat zu schweigen. »Was ich meine, ist, dass Ihr ihm Boten schicken könntet, die ihm in Eurem Sinne ein klügeres und weniger offen feindseliges Verhalten gegenüber Mailand nahelegen sollen – ohne sich jedoch unter Venedigs Augen allzu deutlich zu offenbaren. So könntet Ihr vielleicht mit einem Täuschungsmanöver – wie sie Euch doch so gut gefallen – erreichen, was Euren Männern durch Waffen nicht vergönnt ist.«

Der Herzog lächelte. Plötzlich glaubte er einen Hoffnungsschimmer zu erkennen. »Aber sicher! Wenn ich ihm kein Geld geben kann, werde ich ihm Ländereien und Besitztümer versprechen und so versuchen, ihn wieder auf unsere Seite zu ziehen.«

»So könntet Ihr also einerseits auf die Allianz der Savoyen zählen und auf der anderen Seite Venedig zurückdrängen, indem Ihr der Serenissima den besten Mann wegnehmt.«

»Ja«, sagte der Herzog, »mehr habe ich ja nicht zu bieten.«

»O doch«, sagte Agnese mit vor Leidenschaft belegter Stimme. »Ihr habt viel mehr zu bieten«, flüsterte sie verschwörerisch ins Ohr ihres Herrn. »Und glaubt mir, ich sehne den Augenblick herbei, in dem ich Euch heute Nacht in meinem Bett empfange.«

Bei diesen Worten lief Filippo Maria ein wohliger Schauer den Rücken hinab. Er war immer wieder beeindruckt von der Art, in der Agnese Anspielungen machte, die so eindeutig waren, dass man sie schon unverfroren nennen konnte. Doch gerade ihre fast schon offensiv ungezwungene Art war es, die sie besonders aufregend und unwiderstehlich machte. Er vergrub seine Hände in den goldenen Locken, schaute in ihr Gesicht und versank in ihren blauen Augen. Agnese presste ihre vollen roten Lippen auf seine. Dann ließ sie ihre Zunge spielen und nach der des Herzogs forschen. Filippo Maria spürte, wie das Verlangen in Brust, Lenden und etwas weiter unten anschwoll.

Er war kurz davor, sich seiner Kleider zu entledigen, als jemand mit Nachdruck an der Tür klopfte.

»Verzeiht, Euer Hoheit«, krächzte eine strenge Stimme, »aber ich habe Nachricht vom Schlachtfeld.«

»Verdammtes Pech«, knurrte Filippo Maria leise, der schon voller Vorfreude auf die süßen Verlockungen dieser Frau gewesen war, die ihn jedes Mal wieder um den Verstand brachte.

Er räusperte sich, holte tief Luft und rief ihn, sobald Agnese ihre Kleider geordnet hatte, herein.

Gleich darauf trat Pier Candido Decembrio, Beamter am herzoglichen Hof und persönlicher Berater von Filippo Maria Visconti, ein.

Nachdem er sich in einer ausgiebigen und ehrerbietigen Verbeugung vor dem Herzog und seiner Mätresse ergangen hatte – vielleicht mit einer Spur der Geringschätzung Letzterer gegenüber –, hob Decembrio den Blick wieder.

»Euer Gnaden, es ist meine Pflicht, Euch darüber zu informieren, dass das Heer der Visconti und das venezianische sich bei Maclodio gegenüberstehen. Während wir uns hier unterhalten, wird wahrscheinlich schon eine blutige und brutale Schlacht geschlagen.«

4. Im Pfeilhagel

Herzogtum Mailand, Maclodio

Vom Himmel hagelte es Pfeile.

Die Geschosse schwärzten die Luft, durchschnitten tödlich pfeifend das Himmelsgewölbe und mähten die Mailänder Infanteristen nieder. Die Männer konnten sich kaum auf den Beinen halten und schleppten sich mühsam durch den Matsch, der sie mehr und mehr aus dem Gleichgewicht brachte. Die erste Ladung Pfeile erwischte sie seitlich, sie fielen reihenweise.

Es war die Hölle.

Während die Venezianer sich auf die Hauptstraße zurückzogen, blieb Carlo II. Malatesta einen Moment lang wie erstarrt in den Steigbügeln stehen, umgeben von einer unwirklichen Stille, als würde niemand wagen, diese Aufhebung von Raum und Zeit zu stören.

Gleich darauf ließ sich der Hauptmann in den Sattel zurückfallen und begriff schlagartig, was vor sich ging. Im selben Augenblick wurde ihm aber auch klar, dass es bereits zu spät war.

Carmagnolas Männer hatten alles andere im Sinn gehabt, als einen Angriff zu führen. Sie hatten ihn auf denkbar einfache und tödliche Art und Weise in eine Falle gelockt. Er war mit seinen Leuten in ein Zangenmanöver gelaufen, aus dem sie nur schwer wieder herauskommen würden. Wie zur Bestätigung sah er eine endlose Reihe von Armbrustschützen, die weit über die Linien der Mailänder Infanteristen hinaus das Fußvolk umzingelt hatten. Sie tauchten aus dem Schlamm der Sümpfe und dem Schatten des Schilfs auf, nahmen sie unter Beschuss und mähten einen nach dem anderen nieder.

Ringsumher erhoben sich grauenhafte Schreie. Er sah, wie sich ein Mann an den Hals griff, der von einem Pfeil durchbohrt wurde. Ein anderer brach, mit Geschossen gespickt, im dreckigen Wasser eines Kanals zusammen. Ein dritter breitete die Arme aus – in seiner Brust steckten zahllose Pfeile, die an Dornen der Hölle denken ließen.

Doch nicht nur die Fußsoldaten fielen einer nach dem anderen, auch die Reiter stürzten reihenweise zu Boden. Die verletzten Pferde verendeten wiehernd im Matsch, in einer Geräuschkulisse aus zerreißenden Schabracken und Rüstungen, die von Eisenspitzen durchschlagen wurden.

Ein Reiter versuchte, sein scheuendes Pferd zu beruhigen, die Mähne war regennass, die Hufe ruderten durch die Luft. Als es ihm nicht gelang, versuchte er, das Tier zum Stehen zu bringen, indem er an den Zügeln zog, doch er wurde abgeworfen, landete im Schlamm und wurde von einem Rotfuchs ohne Reiter niedergetrampelt, der diesem Massaker zu entfliehen versuchte.

Seine Männer befanden sich in Auflösung. Überrascht vom unerwarteten Angriff, vom Schlamm aus dem Gleichgewicht gebracht, dezimiert von den Bolzengeschossen der Armbrüste, waren sie kurz davor, die Reihen zu öffnen und ungeordnet und unbeherrschbar die Flucht anzutreten, was die völlige Niederlage ankündigte.

Dem Feind in solch einem Moment nachzusetzen wäre glatter Wahnsinn gewesen. Als sei das noch nicht genug, sah Carlo sich zurückweichen, bis er nicht weiterkam, weil ein wüster Haufen aus zusammengebrochenen Pferden, schreienden Verletzten, Leichen sowie verlorenen Standarten und zerfetzten Schabracken ihm den Weg versperrte, sodass er nicht zur Verteidigungslinie zurückkonnte. Bestand die überhaupt noch? Carlo hatte Zweifel. Die Pfeile zischten ihm weiterhin um die Ohren. Einige Pfeile hatten wohl sein Pferd getroffen, denn er spürte, wie dessen Beine nachgaben und er auf die rechte Seite der Böschung abgeworfen wurde.

Schlammbedeckt lag er in einer Senke. Unter unglaublichen Mühen gelang es ihm, auf alle viere zu kommen. Vor sich sah er Männer mit dem Gesicht nach unten in den Kanälen liegen. Die Armbrustschützen waren den feindlichen Fußsoldaten und Schildknappen gewichen, die auf die Seinen losgingen und ihnen mit Knüppeln und Äxten den Rücken zerschlugen.

Sein Heer war vernichtet. Hände in Handschuhen packten ihn, und in diesem Augenblick kam er zu sich. Er zog das Schwert und schlug irgendetwas in Stücke. Ein unmenschlicher Schrei übertönte das dumpfe Aufeinanderprallen von Schwertern und Rüstungen. Da sah er den venezianischen Infanteristen, aus dessen Armstumpf das Blut in einer Fontäne herausschoss. Das musste er gewesen sein. Doch er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Kurzerhand schob er den anderen beiseite und stieß ihn in den Matsch. Es war nicht leicht, sich in diesem Durcheinander zurechtzufinden, doch er versuchte es. Er hörte einen weiteren Schrei und drehte sich um. Ein tödlich getroffener Reiter stürzte mit seinem Pferd die Böschung hinab. Die Luft füllte sich noch weiter mit Eisen und Blut, die Schreie drangen ihm wie Hammerschläge in die Ohren, während die Männer über den Boden krochen wie Würmer, die verzweifelt versuchten, dieser Hölle zu entkommen.

Etwas traf ihn seitlich und schleuderte ihn erneut zu Boden.

Ihm blieb die Luft weg. Er versuchte, sich aufzurichten, doch es schien unmöglich. Es war, als hätte man ihm die Beine an den Boden genagelt. Mit unendlicher Anstrengung versuchte er es erneut, doch etwas oder jemand drückte ihn zurück in den Schlamm. Er spürte, dass man ihm den Helm abnahm. Schweiß und Blut verklebten seine Haare. Der eisige Regen verschaffte ihm für einen Augenblick eine absurde Erleichterung.

Francesco Sforza machte sich Sorgen. Er überwachte mit seinen Männern die Straße nach Orci Novi, doch es war absolut nichts und niemand zu sehen. Die Bombarden standen bereit, geladen mit Steinen und Nägeln, und die Männer warteten ungeduldig darauf, diese mörderischen Projektile gegen die Feinde zu schleudern, doch da war weit und breit kein Feind zu sehen. Nur der Regen störte die unwirkliche Stille dieses Nachmittags. Das Prasseln des Regens auf den Helmen verhieß nichts Gutes.

Dann sah er auf der rechten Seite einen Soldaten auftauchen, bedeckt mit Schlamm und Blut. Er wollte gerade Befehl geben, das Feuer zu eröffnen, als er sah, dass der Bewaffnete einer der Ihren war.

Einer von Viscontis Gefolgsleuten.

Er hob die Hand, damit niemand wagte, auch nur einen Finger zu rühren. »Helft ihm!«, brüllte er und richtete sich in den Steigbügeln zu voller Größe auf. »Seht ihr nicht, dass er einer von uns ist?«

Kaum hatten sie den Befehl gehört, lösten sich ein paar der Armbrustschützen aus den Reihen und eilten dem Soldaten entgegen, der nur mit Mühe vorankam. Sie hakten ihn unter und trugen ihn fast, damit er schneller laufen konnte. Schließlich traten sie vor Francesco Sforza, der immer noch im Sattel aufgerichtet stand, auf seinem riesigen Rotfuchs alles überragend.

Der Mann fiel vor seinem Hauptmann auf die Knie. Er riss sich den Helm herunter, der ihn zu ersticken schien. Mit einer wütenden Bewegung schleuderte er ihn weit von sich.

»Sprich!«, forderte Francesco Sforza ihn auf. »Was ist passiert?«

Mit schwacher Stimme begann der Mann zu berichten. »Es ist alles verloren. Piccinino und seine Leute wurden vernichtet.«

»Wie bitte?«, fragte Sforza, der seinen Ohren nicht traute.

Dabei tänzelte sein Pferd im Kreis, so als spürte es die Wut, die still und eisig in der Brust seines Herrn anschwoll.

Der Soldat wusste nicht, wohin er schauen sollte. Seine Worte jedoch klangen wie ein Urteilsspruch. »Carmagnola hat uns eine ganz üble Falle gestellt. Nur durch ein Wunder bin ich am Leben.«

Unverzüglich wendete Francesco Sforza sein Pferd in Richtung seiner Truppen und kehrte dem Unglücklichen den Rücken zu, der sich völlig erschöpft in den Schlamm fallen ließ.

»Männer!«, schrie der Hauptmann. »Folgt mir! Lasst uns den Hauptmännern Malatesta und Piccinino helfen!«

Das Kriegsgeschrei seiner Leute entlud sich in einem ohrenbetäubenden Aufschrei.

Ohne noch länger zu warten, trieb Sforza sein Pferd zum Galopp und hoffte, dass es noch nicht zu spät war, den Visconti-Truppen zu Hilfe zu kommen.

5. Die Lagune

Republik Venedig, Ca’ Barbo

Sie sah ihren Bruder an, den sie liebte wie ihr eigenes Leben, und setzte sich in den Sessel aus korallenfarbenem Samt. Gabriele trat zu ihr und streckte, ihre Zuwendung suchend, die Hände nach ihr aus. Er war erst vor Kurzem nach Rom zurückgekehrt und trug die leuchtend rote Soutane eines Kardinals.

Außer ihnen waren ihr Mann Niccolò und ihr Cousin Antonio Correr in der Bibliothek, auch er ein Kardinal.

Polixena spürte genau, wie nervös ihr Bruder war. Er war gekommen, um sie zu besuchen, und befand sich nun mitten in einer komplexen politischen Diskussion.

»Der Rat der Zehn unterstützt unseren Plan, Gabriele«, bestätigte Niccolò. »Erst heute sprach ich mit Venier und Morosini darüber. Der Doge wünscht sich, dass Ihr den Thron Petri besteigt. Die Tage der Colonna sind gezählt.«

»Gewiss, gewiss! Ihr habt bestimmt schon alles beschlossen, wie?«, gab Gabriele zurück, doch in seiner Stimme lag kein Groll. Eher eine Mischung aus Schicksalsergebenheit und amüsierter Resignation. »Ich frage mich immer noch, warum Ihr glaubt, dass ausgerechnet mir diese Möglichkeit offensteht. Wieso nicht Antonio beispielsweise?«

»Darüber haben wir bereits gesprochen, Cousin«, wandte dieser ein. »Weil mein Onkel Angelo bereits Papst war. Und bevor Ihr sagt, dass es auch Euer Onkel war, will ich vorwegnehmen, dass sein Nachname derselbe ist wie meiner. Eurer jedoch nicht. Meine Chancen werden dadurch eingeschränkt. Ihr wisst, dass es nicht gut ist, den Eindruck zu erwecken, man wolle dieselbe Dynastie oder denselben Namen erneut für das Pontifikat vorschlagen.«

»Man hätte es nicht besser ausdrücken können«, merkte Niccolò an und strich sich über seinen spärlichen Bart. »Ihr hingegen seid genau der Richtige, Gabriele. Ihr habt das nötige Ansehen, und Ihr kommt – ein nicht zu unterschätzender Umstand – aus einer wohlhabenden Familie, die in den Salons von Rom dennoch nicht für Gier oder Machthunger bekannt ist. Ihr seid der ideale Kandidat. Und obwohl der derzeitige Pontifex noch gesund und munter ist, müssen wir vorbereitet sein.«

»Genau«, pflichtete Antonio Correr bei. »Venedig ist auf dem Höhepunkt seines Ansehens. Wenn Carmagnola tatsächlich über Filippo Maria Visconti triumphiert, so wie es im Augenblick aussieht, dann kann man zu Recht eine Ausdehnung unseres Machtbereichs erwarten. Doch um die Macht auf der Terraferma zu festigen, braucht die Serenissima einen Papst, der uns wohlgesinnt ist, und nach dem zu urteilen, was dieser Tage vor sich geht, ist dies derzeit keineswegs der Fall.«

»Spielt Ihr auf den jüngsten Besuch von Martin V. beim Herzog von Mailand an?«, wollte Gabriele wissen.

»Ganz genau«, gab Antonio zur Antwort und setzte sich Polixena gegenüber. Er strich sich über seine seidig glänzenden schwarzen Haare. »Andererseits trägt die Gründung der Congregazione dei Canonici di San Giorgio in Alga Früchte. Unserem Beispiel folgend entstehen viele weitere religiöse Zentren: San Giacomo in Monselice, San Giovanni Decollato in Padua, Sant’Agostino in Vicenza, San Giorgio in Braida in Verona. Es ist ein überraschender Erfolg, doch er lässt sich nicht leugnen.«

»Männer guten Willens brauchen diese Bruderschaften, um die wahren Werte der Religion neu zu entdecken«, bemerkte Gabriele schlicht.

»Natürlich, Bruder«, ergänzte Polixena, »doch ganz offensichtlich sorgt eine solche Verbreitung auch für ein größeres politisches Gewicht unseres Einflussbereichs.«

»Ihr also auch, Schwester?«, fügte Gabriele hinzu und hob lächelnd eine Augenbraue.

Polixena setzte zu einer Antwort an, doch Antonio kam ihr zuvor. »Cousin, ich habe den Eindruck, dass Euch etwas an dieser Unterhaltung stört. Öffnet Euer Herz und sagt uns, was Euch Unbehagen bereitet.«

Gabriele kam gleich zum Punkt. Er war ein aufrechter Mann, der sagte, was er dachte. Das konnte ein Hindernis sein, doch Polixena war ebenso wie Antonio der Ansicht, dass gerade diese Eigenschaft ihn zum richtigen Mann für die Kirche von Rom machte. »Offen gesagt fühle ich mich wie eine Figur in einem Spiel, das für mich eine Nummer zu groß ist. Möglicherweise kann ich mich damit anfreunden, zumal unter dem Gesichtspunkt, dass es uns schließlich allen so geht, aber ich möchte wenigstens gefragt werden.«

Niccolò Barbo hatte Mühe, sich zurückzuhalten. »Ist gut, wir haben es verstanden, Gabriele. Wir möchten dennoch darauf hinweisen, dass Venedig Euch ausdrücklich auf jede erdenkliche Weise bei der Besteigung des Throns Petri unterstützen wird. Ich kann verstehen, dass dies nicht Eurer freien Entscheidung entspricht, aber wir alle vertrauen darauf, dass Ihr Eure Pflicht nicht vernachlässigen werdet, denn das hieße die Republik zu verraten. Und das, wo doch jeder von uns aufgerufen ist, für sie zu tun, was von ihm verlangt wird.«

Polixena warf ihrem Gemahl einen funkelnden Blick zu. Sie konnte seinen Standpunkt nachvollziehen, doch Gabriele anzugreifen würde nur zu einer Weigerung führen. Ihr Bruder war ein Dickschädel, und wenn er sich in die Enge getrieben fühlte, wäre er imstande, alle ihre Pläne zu durchkreuzen. »Verzeiht das Ungestüm meines Mannes, lieber Bruder«, beeilte sie sich zu sagen. »Was Niccolò auf seine vielleicht etwas schroffe Art gesagt hat, trifft jedoch den Kern der Sache.«

»Ich bin mir dessen absolut bewusst, Polixena, und ich weiß den kleinen Vortrag zu schätzen. Da ich mir vollkommen darüber im Klaren bin, worum Ihr mich bittet, möchte ich Euch sagen, dass ich nicht die geringste Absicht habe, mich meinen Pflichten gegenüber der Republik zu entziehen. Ich verstehe sehr gut, welche strategische Bedeutung Rom für Venedig haben kann.«

»Denkt allein an Bologna, Gabriele«, setzte Antonio hinzu. »Ferrara und die Este werden schon noch zur Vernunft kommen, wenn sie erst von unserer Armee der Terraferma auf der einen Seite und der des Papstes auf der anderen in die Enge getrieben werden. Und das ist nur einer der Vorteile, die Eure Wahl mit sich bringen könnte.«

»Ganz zu schweigen davon, dass ja Ihr der Kardinal von Bologna seid«, merkte Polixena in scherzhaftem Ton an.

»Wohl wahr. Nun, damit ist wohl alles entschieden. Sobald Martin V. das Zeitliche gesegnet hat, brauche ich mich nur noch wählen zu lassen, richtig? Doch so leicht wird das keineswegs sein«, fuhr Gabriele fort. Seine Haltung hatte sich kaum wahrnehmbar verändert. Während seine anfängliche Abwehr bis vor ein paar Augenblicken noch glaubhaft gewirkt hatte, schien sich hinter dieser Zurückhaltung nun eher eine Art Aberglaube zu verbergen.

»Mag sein. Fest steht jedoch, dass die Orsini gegenüber den Colonna mauern werden. Sie sind nicht stark genug, um einen eigenen Kandidaten zu nominieren, und daher ist es wohl sicher, dass Giordano Orsini Euch unterstützen wird. Dasselbe kann ich von Antonio Panciera sagen. Dann bin da noch ich selbst. Mit anderen Worten: schon drei Stimmen, oder?«

»Wir werden noch viel mehr brauchen.«

»Macht Euch keine Gedanken, ich werde mich darum kümmern, Euch die nötigen Stimmen zu verschaffen. Ihr werdet Papst sein, Gabriele, ob Ihr es glaubt oder nicht«, schloss Antonio Correr triumphierend.

Niccolò sah sie alle eindringlich an.

Polixena ebenso. Und wie um ihren Pakt zu besiegeln, sprach sie vier Worte: »Wir dürfen nicht scheitern.«

Die Entschiedenheit darin ließ Gabriele das Blut in den Adern gefrieren.

6. Die Niederlage

Herzogtum Mailand, Maclodio

Ohne darüber nachzudenken, hatte er das Pferd gewendet und sich auf die Straße nach Urago begeben. Seine Männer waren ihm gefolgt, als sei eine Horde tobender Teufel hinter ihnen her. Es blieb keine Zeit, die Bombarden einzusetzen, darum hatte er ein Kontingent Soldaten dort gelassen mit dem Befehl, sie in Einzelteile zu zerlegen, diese auf die andere Seite der Adda zu schaffen und nach Mailand zu schleppen.

Es folgten ihm also seine besten Reiter, sechshundert an der Zahl. Er wusste nicht, was er vorfinden würde, aber er musste sich mit Sicherheit beeilen. Er hoffte, noch rechtzeitig zu kommen.

Carmagnola war in der Schlacht klug vorgegangen. Er hatte einen Großteil seines Heeres gegen die Kräfte von Malatesta und Piccinino zusammengezogen, dort, wo sich die Mehrheit der Männer Viscontis befand. Indem er gegen ihr Zentrum vorgegangen war, hatte er ihre Aufstellung in zwei Teile gespalten und die zugehörigen Männer aus dem Schlachtgeschehen entfernt.

Auf der Hälfte des Weges zwischen Maclodio und Urago wurde ihm klar, was ihn erwartete. Die Straße wurde immer schlammiger, sie war zu beiden Seiten von Böschungen eingefasst, die in eine sumpfige, morastige Senke abfielen. Aus der Ferne meinte er, dort einen Schwarm Insekten zu erkennen.

Als er näher kam, sah er, was dort lag: völlig zerfetzte Körper, schmerzverzerrte Gesichter, schreiende Münder, die um einen Gnadenstoß bettelten. Nur mit Mühe kam Francesco auf der Straße voran. Haufenweise lagen Leichen im Weg. Er erkannte die Standarten der Visconti im Schlamm. Überall zerstörte Rüstungen, zerbrochene und zertretene Helme, zerbeulte Schilde und verlorene Schwerter.

Francesco Sforza bekreuzigte sich. Nach diesem apokalyptischen Anblick hörte er endlich etwas. Richtung Urago nahm er in einiger Entfernung das Klingen von Schwertern wahr, als ob nach alldem immer noch jemand kämpfte.

Er gab seinem Pferd die Sporen, arbeitete sich durch das angerichtete Massaker und begab sich ohne Verzug zu der Stelle, von wo das Aufeinandertreffen von Klingen zu hören war. Seine Leute folgten ihm auf dem Fuße. Hatte es bisher keinen Mangel gegeben an Kriegsgeschrei und Anfeuerungsrufen, durchschnitt die Schar der Reiter die kalte Abendluft nun schweigend.

Der Himmel war wie aus Blei. Feiner Dunst stieg auf und schien die von Wasserflächen durchzogene Ebene wie in ein Leichentuch zu hüllen. Die Hufe der Pferde stampften im dumpfen Widerhall des Todes. Francesco Sforza vernahm die brutale Sprache der Schwerter aus immer größerer Nähe.