Die Märkte Alt-Wiens - Helga Maria Wolf - E-Book

Die Märkte Alt-Wiens E-Book

Helga Maria Wolf

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Beschreibung

Warum Fischverkäufer keine warme Kleidung tragen durften, wie man zu verhindern suchte, dass Zwischenhändler die Preise in die Höhe trieben, mit welchen Rufen die Käufer angelockt wurden, was auf dem ältesten Markt Wiens bei der Ruprechtskirche zu erwerben war – dies und noch viele weitere interessante und unterhaltsame Details erfährt man in dieser umfassenden Darstellung der Wiener Märkte. Auf abwechslungsreiche Weise bietet die etablierte Stadtethnologin Helga Maria Wolf grundlegendes Wissen über Menschen, Waren und Plätze, über Geschichte und Entwicklung des Verkaufs unter freiem Himmel. Seltene historische Illustrationen veranschaulichen die fundierte Darstellung, sodass Rufe wie "Brennhaße Kästen! Große wällische Kästen! Ossa hassa hob i do!" lebendig aus dem Buch dringen. Entdecken Sie "die Welt ums Eck" von einst und jetzt, treten Sie ein in das bunte Leben und Treiben auf der Straße und lernen Sie eine neue Seite der österreichischen Geschichte kennen.

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Helga Maria Wolf

Die Märkte Alt-Wiens

Geschichte und Geschichten

Bildnachweis:

Dr. Traude Lösch, Wien: 166; MA 59 – Marktamt: 88, 124, 154, 155, 156, 158, 168, 177, 178, 179, 180, 181, 183, 185, 186, 187, 190, 193; Uta Schreck, Tokyo: 139; Stadt Wien: 9; Verein der Freunde des Altwiener Oster- und Christkindlmarktes: 145; alle anderen Abbildungen: Archiv der AutorinFrontispiz: MA 59 – Marktamt

Der Verlag konnte in einzelnen Fällen die Inhaber der Rechte nicht ausfindig machen. Er bittet, ihm bestehende Ansprüche mitzuteilen.

Besuchen Sie uns im Internet unter:

www.amalthea.at

© 2006 by Amalthea Signum Verlag GmbH Wien

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Kurt Hamtil, verlagsbüro wienUmschlagbild oben: Carl Moll, »Naschmarkt« (1897), unten: Archiv der AutorinHerstellung und Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger & Karl SchaumannGmbH, Heimstetten

Gesetzt aus der 12,3/17 Punkt New Caledonia

Gesamtherstellung: Print Consult, München

eISBN 978-3-903217-03-4

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Menschen

Fliegende Händler

Bauern als Marktzieher

Fratschlerinnen, »Polletenweiber«, Höckerleute

Frau Sopherl & Co

Fragner, Krämer, Greißler

Fahrende Leute

Privilegien für Gottscheer und Grödner

Les Cris de Vienne

LEBENSMITTELVERKÄUFER UND VERKÄUFERINNEN IM BRAND’SCHEN KAUFRUF (Bretzenbäck, Eyerweib, Mädel mit Honig und Obst, Hünerkrämer, Käseverkäufer, Kästenweib, Kroatinn mit Zwiebel, Limonienkrämerin, Lorberbläterkrämer, Milchweib, Müllerinn, Schneckenweib, Wurstverkäufer)

VERKÄUFER UND VERKÄUFERINNEN VON GEBRAUCHSARTIKELN (Bändelkrämer, Betenkrämer, Blumenstraußmädchen, Bürstenkrämer, Dintenmann, Huterinn, Kroat mit Leinwand, Kupferstichhändler, Mädel mit Waldholz, Mausfallenhändler, Perspektivhändler, Schlawack mit Rohrdecken, Strohhütkrämer, Teppichkrämer, Vogelkrämer)

KAUFRUFE – KÜNSTLERISCH UND KRITISCH BETRACHTET

Kontrollorgane: Beschauer, Metzenleiher, Marktamt

Waren

Lebensmittel

Getreide und Mehl

Brot und Gebäck

Fleisch

Geflügel, Wild

Fastenspeisen

Milch, Butter, Margarine

Gemüse, Hülsenfrüchte, Obst

Salz und Gewürze

Tiere

Schlachtvieh

Pferde

Vögel

Rohstoffe

Heu und Stroh

Pflanzen(teile)

Brennmaterial und Leuchtmittel

Textilien, Kleidung

Artikel des täglichen Bedarfs

Altwaren

Marktplätze

Innere Stadt

Forum altum – Der Hohe Markt

Novum forum – Der Neue Markt

Curia ducis – Der Platz Am Hof

Freyung

Petersplatz, Bauernmarkt

Graben

Vorstädte

(Leopoldstadt, Landstraße, Wieden, Margareten, Mariahilf, Neubau, Josefstadt, Alsergrund)

Naschmarkt

Markthallen

Vororte

(Favoriten, Simmering, Meidling, Rudolfsheim-Fünfhaus, Ottakring, Währing, Döbling, Brigittenau, Floridsdorf und Donaustadt)

Jahrmärkte

Jahrmärkte im Mittelalter: Ascensionis und Catharinae

Neuzeit: »Hummeln« und »Bienen« auf dem Jahrmarkt

Barockzeit: »Hurtig emporsteigender Luxus«

Nach fast 600 Jahren: Das Ende der privilegierten Wiener Hauptjahrmärkte

Gelegenheitsmärkte

Fastenmarkt

Kirchweihmärkte

Allerheiligenmärkte

Advent- und Weihnachtsmärkte

Anmerkungen

Literatur

Personen-, Sach- und Ortsregister

Vorwort

Wien wäre arm ohne seine Märkte – in jeder Hinsicht. Als Garant für frische Lebensmittel aus naher Umgebung sind die Märkte ebenso unverzichtbar wie als Zentren der sozialen Kommunikation, als Treffpunkt der Kulturen und nicht zuletzt als Spiegel unserer eigenen Lebensqualität.

Die Stadtethnologin Helga Maria Wolf ist den Spuren des Einkaufs unter freiem Himmel gefolgt und lädt zu einem Streifzug durch die Wiener Märkte einst und jetzt ein. Das Angebot an Geschichte, Geschichten und Gestalten ist ebenso bunt und vielfältig wie das Angebot auf den Wiener Märkten. Die Geschichte reicht zurück bis in die Zeit vor dem ersten Stadtrecht. Bei der Ruprechtskirche, die als älteste Wiens gilt, befand sich vermutlich schon um die erste Jahrtausendwende ein Marktplatz, der Kienmarkt. Geschichten über die Wiener Märkte gibt es en gros und en detail: Über die Fischhändler, die keine Winterkleidung tragen durften, damit sie ihre Ware möglichst schnell verkauften, bis hin zum Krebsenrichter, der die als Fastenspeise beliebten Flusskrebse kontrollierte und die schönsten für die kaiserliche Tafel auswählte. Sprichwörtlich sind auch die Wiener »Originale«, von den Wanderhändlern mit ihren Kaufrufen bis zu den »Sopherln« am Naschmarkt.

Im Sinne dieser Vielfalt wünsche ich den Leserinnen und Lesern eine spannende Lektüre – und so oft wie möglich die Gelegenheit, sich auch vom heutigen Angebot der Wiener Märkte persönlich zu überzeugen.

Dr. Michael HäuplBürgermeister der Stadt Wien

Einleitung

Wer sich zu Wienn nit neren kan, ist uberal ein verdorbner man!«, reimte der Schotten-Schulmeister Wolfgang Schmeltzl 1548 in seinem »Lobspruch der Hochlöblichen weitberümbten Khünigklichen Stat Wienn in Österreich«. In dem fiktiven Reisebericht lässt der Dichter dem Neuankömmling von einem Zöllner erklären, dass der Wochenmarkt am Samstag stattfindet und es auf einem einzigen Markt 723 mit Getreide voll beladene Wagen gebe. Immer wieder bildet das Marktleben ein Thema dieser 1600 Verse umfassenden Schilderung Wiens.1

Schon im »Lobspruch«, der vor fast 500 Jahren erschien, spielen die Wiener Märkte eine große Rolle.

Die Entwicklung des Marktes ist untrennbar mit der Entwicklung der Stadt im Mittelalter und neuer, urbaner Lebensformen verknüpft. Städter brauch(t)en Lebensmittel aus dem Umland. Diese wurden anfangs weniger in Geschäften gehandelt, als von den Produzenten unter freiem Himmel verkauft. Das erste erhaltene Stadtrecht, das Herzog Leopold VI. (1176–1230) den Wienern am 18. Ok tober 1221 verlieh, regelte neben der politischen Mitsprache der Bürger Angelegenheiten des Handels.

Doch schon frühere Archivalien hatten Marktrechte zum Inhalt. Die älteste Urkunde, die das Wiener Stadt- und Landesarchiv verwahrt – sie stammt aus dem Jahr 1208 –, ist das so genannte Flandrenserprivileg. Herzog Leopold VI. stattete die Tuchfärber aus Flandern mit besonderen bürgerlichen und wirtschaftlichen Rechten aus.2 Das Dokument sollte den Wiener Tuchhandel gegen über rheinischen und flandrischen Städten konkurrenzfähig machen.3

Durch die Jahrhunderte bewahren Straßennamen die Erinnerung an die frühesten bekannten Wiener Märkte. Der Hohe Markt ist wohl identisch mit dem 1208, 1210 und 1213 erwähnten »Markt zu Wien«, ehe dieser Name 1233 den Hauptmarkt der Stadt bezeichnete. Ein Jahr später war vom »Neuen Markt« die Rede.4 Der Fleischmarkt, einer der ältesten Straßenzüge im babenbergischen Stadterweiterungsgebiet, schien 1220 als »Carnifices Viennensis« auf. Hier waren der erste Marktplatz für Fleisch und der älteste Sitz der Metzger zu finden, deren Innungshaus 1333 an diesem Ort stand.5

Auf den Märkten hatten die Wiener Gelegenheit, aus erster Hand Waren zu erwerben, die in der Stadt nicht erzeugt wurden. Bauern aus der Umgebung kamen mit Kraut und Rüben, Geflügel und Eiern, Milchprodukten und Getreide. Den Beginn der Marktzeit markierte – vom Mittelalter bis in die Barockzeit – die Marktfahne.6 Dann hatten Bürger, Klerus und Hofgesinde – nicht aber Zwischenhändler – Gelegenheit zum Lebensmittelkauf.7 In Krems ließ König Ladislaus 1453 ausrufen: »Man sol das fenel des morgens nach der frumes aufsteckhen undcz auf ahte und in der czeit sollen die burger und peckchen zu Krembs und Stain kauffen ir notdurfft, darnach körnler und ander.« Im 16. Jahrhundert war es in den Städten üblich, ein »Fändl, Pusch oder Wisch« zwei Stunden lang auszustecken. In dieser Zeit durften die Bewohner kaufen, »sovil Sy zu jrer eigen hawss notturfft bedüffen«, wie es 1542 in einer Wiener Verordnung hieß.

Vorschriften zur Kontrolle des Marktlebens, zum Konsumentenschutz und gegen den Zwischenhandel fanden sich schon 1340 in einer Verordnung von Herzog Albrecht II. (1298–1358). Durch die Jahrhunderte wollten die Obrigkeiten preisregulierend wirken, le benswichtige Güter sollten nicht unnötig verteuert werden. Ein Leitmotiv seit den ältesten Marktordnungen war die Ablehnung der Fürkäufer, Vorkäufer oder Ablöser. Die solcherart Kriminalisierten waren – abgesehen von Wiener Gewerbsleuten wie Greißler, Häringer oder Kässtecher – großteils Frauen aus den unteren sozialen Schichten.

1865 hat der Historiker, Archivar und Bibliothekar Alexander Gigl eine »Geschichte der Marktordnungen vom 16. Jahrhundert bis zu Ende des 18.« herausgegeben – eine wahre Fundgrube zum Thema Wiener Märkte. Er schrieb: »Auf allen diesen Plätzen entwickelte sich zu jeder Zeit ein bewegtes, eigenthümliches Leben, reich an bunten Gestalten und drastischen Scenen. Und dazu liefern gleichmässig alle Stände, alle Elemente und Gewalten des socialen und staatlichen Lebens ihr Contingent und kreuzen sich auf den Märkten im lautesten Gewirre. Die Bauerndirne und der herrschaftliche Groom [Roßknecht], die ›gnädige‹ Frau und die keifende ›Frätschlerin‹, der Hoflakai und der majestätische ›Rumorwächter‹ begegnen sich da auf neutralem Boden und verstehen sich in allen Zungen, in allen Wünschen, in Einer Befriedigung, in Einer Klage. In der Regel bilden die gemeinsamen Interessen den bindenden Ring, und es waltet einzig und allein der Geist des Handels und Wandels, herrschend durch uralte Gesetze der Natur über dem Gewirre.«8

Fast eineinhalb Jahrhunderte später freut sich das Marktamt: »Die Wiener Märkte sind Top-Player in Sachen Wirtschaft. Die 21 Wiener Detailmärkte beherbergen auf ihren 90 000 Quadratmetern Gesamtfläche 900 ständige Marktbetriebe, 600 tageweise MarktbezieherInnen sowie 4000 ArbeitnehmerInnen. Die Wiener Märkte erwirtschaften einen Umsatz von 300 Millionen Euro und damit vier Prozent des Gesamtumsatzes des Wiener Handels.« Der Naschmarkt und Gelegenheitsmärkte wie der »Adventzauber« vor dem Rathaus oder der »Altwiener Christkindlmarkt« bilden beliebte Touristenattraktionen. Die Detailmärkte »sind nicht nur wichtig für die Nahversorgung, sie sind Orte zum Gustieren, zum Flanieren und Orte der Kommunikation«, meinte die zuständige Stadträtin Sonja Wehsely bei einer Marketingveranstaltung 2005. Vielfalt und Besonderheit charakterisieren »die Welt ums Eck«.

Dieses Buch widmet sich einigen Aspekten der Wiener Märkte. Zunächst geht es um die Menschen, die »fliegenden Händler und fahrenden Leute«. Gleichermaßen als »Volkstypen« verklärt wie wegen ihres unsteten Daseins oft nicht gut beleumundet, ist ihre Lebenswelt ein besonders interessantes Thema der Stadtethnologie. Weitere Kapitel behandeln Waren, Marktplätze, Jahrmärkte und Gelegenheitsmärkte. Angesichts der Vielfalt und Besonderheit kann nicht »alles« beschrieben werden. Doch soll man etwas von der Atmosphäre erahnen, die Generationen von Reisenden, Schriftstellern und Malern zu begeisterten Schilderungen der Märkte Alt-Wiens veranlasst hat.

Menschen

Am Markt lernt man die Menschen kennen«, kündet die Inschrift auf einem deutschen Marktbrunnen. Seit Jahrhunderten haben die Menschen auf dem Markt Künstler inspiriert: Albrecht Dürer, der 1519 ein bäuerliches Marktgängerpaar malte, den Hamburger Bildhauer Pfeiffer, der den Straßenhändlerinnen auf dem Brunnen ein Denkmal gesetzt hat, Akademieprofessor Johann Christian Brand, den Schöpfer der Wiener Kaufrufe, ebenso wie Generationen von Reiseschriftstellern und Literaten.

In Wien ist »Frau Sopherl vom Naschmarkt« nahezu sprichwörtlich geworden. Ihr geistiger Vater war der humorvolle Schilderer des Wiener Lebens Vinzenz Chiavacci (1847–1916). Der Dichter und Chefredakteur ließ sie in einer Zeitungskolumne hunderte »lokalpolitische Standreden« halten. Die Themen waren keineswegs nur marktbezogen. Als »eine, die’s versteht« machte sie sich Gedanken über Mystisches und Influenza, Hebammen und Leichenverbrennung, Volkszählung und Fremdenverkehr und vieles andere, was Wien damals bewegte.

Die Öbstlerin vom Naschmarkt kam als »Frau Sopherl« zu literarischen Ehren

Für den Schriftsteller verkörperte »Frau Sophie Pimpernuß, von ihren Getreuen schlechtweg Frau Sopherl genannt«, den Idealtypus der Standlerin: »Eine robuste, wohlgerundete Gestalt mit einem gutmütigen, von derber Gesundheit strotzenden Gesicht, aus dem zwei kluge, muntere Augen blitzen, ein Mund, dessen energischen Linien man ansieht, daß er in ewiger Bewegung ist, schlichte, braune Scheitel, die mit etlichen Silberfäden gemengt unter der buntgeblümten ›Gugel‹ hervorschauen, ein Gemisch von Reschheit und Gutmütigkeit […] Den reichen Wortschatz des Wiener Dialekts und die traditionelle Volksweisheit, wie sie in Sprichwörtern, Bildern und Gleichnissen zum Ausdruck kommt, beherrscht sie mit souveräner Gewalt […] nicht angekränkelt von des Gedankens Blässe.« Die zu literarischen Ehren gekommene Obst- und Gemüsehändlerin und ihre lebenden Vorbilder erscheinen als starke Frauen, selbstständig und selbstbewusst. Im Vergleich zu anderen Händlerinnen, die bei Wind und Wetter ihre selbst herbeigeschleppten Waren zu verhökern hatten, war sie geradezu privilegiert. Ihr geistiger Vater nennt sie »eine b’lehrte und b’lesene Person«.

Fliegende Händler

Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert spielte sich ein großer Teil des Handels auf der Straße ab, stellte der Historiker Hubert Kaut fest. Er unterschied drei Berufsgruppen: Handwerker, Händler auf dem Markt und fahrende Händler. Die Werkstätten der Handwerker hatten selten ein Verkaufslokal. In Ermangelung eines Schaufensters präsentierten sie ihre Erzeugnisse auf Tischen und Bänken vor dem Geschäft und reichten die Waren den Kunden einfach durch die Tür oder das Fenster hinaus.1

In Jahrmarktshütten und bei Ständen auf den Wochenmärkten bot man Viktualien (»Lebensmittel und andere zur Führung des Haushalts erforderliche Waren«)2 und Gegenstände des täglichen Bedarfs an. Ludwig Berekoven zeichnete im Lehrbuch »Geschichte des deutschen Einzelhandels« eine Entwicklungslinie: »Aus dem ursprünglich nicht ortsgebundenen Hausier- oder Wanderhandel entwickelte sich mit dem Aufkommen der Städte der ortsgebundene Straßenhandel (fliegende Händler). Mancher Hausierer ließ sich in der Stadt nieder. […] Der Höker, Winkler bzw. arme Krämer wurde der erste stationäre Einzelhändler. Er führte in der Regel eine kümmerliche Existenz und genoß nur geringes soziales Ansehen. Im allgemeinen handelte der Höker mit Nahrungsmitteln in kleinen und kleinsten Mengen. Diese Erwerbstätigkeit bot oft alleinstehenden Frauen ein bescheidenes Auskommen. Anfangs breiteten die Höker ihre Waren auf dem Boden auf. Später benutzten sie Holzböcke, über die sie Bretter legten, sodaß Verkaufstische entstanden. Die leicht verderblichen Waren schützte man mit einem Leinendach vor Regen oder Sonne. Als Kram bezeichnete man im Mittelhochdeutschen ein ausgespanntes Tuch, bzw. eine Zeltdecke[auch die Ware selbst]. Eine Bude hatte an der vorderen Holzwand zwei Läden, von denen einer aufgeklappt als Verkaufstisch, der andere als Überdachung diente.«3

Bauern als Marktzieher

Johann Pezzl (1756–1823) zählte zu den Reiseschriftstellern der Aufklärung, die Wien eine »Skizze« widmeten. Von 1786 bis 1790 erschienen fünf Hefte mit Beschreibungen »dieses in jedem Betracht merkwürdigen Platzes«, wobei Pezzl nicht nur Sitten und Zeitgeist kommentierte, sondern auch andere Schreiber kritisierte. So liest man über die »Konsumtion«: »Nichts ist schiefer als die Miene jener Schriftsteller, die darüber klagen und heulen, daß eine große Residenzstadt alle Ernten, Weinlesen, Hammelställe, Hühnerhöfe, Obstgärten und Fischteiche auf zwanzig Meilen rings um sich her aufzehre. Gerade jene Landleute sind die wohlhabendsten, besitzen das schönste Vieh, die besten Häuser, die wohlbestelltesten Felder, Gärten, Weinberge und Triften, die sich im Gesichtskreise der Hauptstadt befinden. […] In der Tat, der Magen von Wien ist ein Schlund, der den Überfluß aller benachbarten Provinzen verschlingt, und desto besser für dieselben.«4

Seit Jahrhunderten versorgten die Bauern der näheren und weiteren Umgebung die Städter mit Lebensmitteln. Auch die Bürger betrieben Landwirtschaft, aber meist nur Weinbau. Am Dienstag und am Samstag (seit 1578 auch am Freitag) konnten sie auf dem Wochenmarkt für die nächsten Tage Lebensmittel einkaufen.5 Die Marktordnungen bevorzugten das direkte Geschäft zwischen ländlichen Produzenten und städtischen Konsumenten.6 Streng reglementiert wie die Marktzeiten, Waren und Verkaufsplätze war die Frage, wer für wen produzieren durfte: Berufsgärtner zunächst nur für den Hof, Bauern für die Bürger.7 Von »freier Marktwirtschaft« war keine Spur. Außerdem standen verschiedene Interessengruppen einander unversöhnlich gegenüber: Bauern als Produzenten und Verkäufer, Zwischenhändler, Hausierer, ansässige zünftisch organisierte Kaufleute und Obrigkeiten, denen die »Wohlfeilheit« ein Anliegen war.

»Wir sind im Hochsommer, es ist zwei Uhr; noch herrscht nächtliche Ruhe in allen Straßen […]. Wien scheint ausgestorben. Wir nähern uns dem Marktplatze, und plötzlich verändert sich das Bild. In allen zum Hofe, zur Freyung, zum Judenplatz führenden Gassen und Straßen wird es lebendig […]. Im weiten Umkreis um den Markt stehen Wagenburgen – nicht jene der vornehmen Gespanne zwar, die während des Tages hier aneinander vorüber fliegen, sondern verwahrloste, ärmliche Leiter- und Steirerwagen jeden Schlages, jeder Facon, jeder Herkunft. Die Wagen sind alle bespannt, aber schon abgeladen, der Kutscher liegt in seinen Kotzen gehüllt und schläft den Schlaf des Gerechten; er braucht diese Ruhe denn er ist meilenweit vom flachen Lande her, Tag und Nacht, oft 15 bis 16 Stunden aus dem oberen Donauthal und dem Wienerwald, aus dem Tullnerfeld und dem Marchfeld […] mit Gemüse und Obst zugefahren. Es sind […] 800 bis 1000 Gefährte.«8 So schildert das Ende des 19. Jahrhunderts erschienene »Kronprinzenwerk« die »Approvisionierung der Großstadt«.

Ein Wiener Marktbild zur Zeit der Monarchie: »Am Hof«

Obst und Gemüse kam aus spezialisierten »Marktfahrergemeinden«. Groß-Engersdorf, Manhartsbrunn oder Pillichsdorf in der Wolkersdorfer Gegend (Bezirk Mistelbach, Niederösterreich) behielten diese Funktion bis weit ins 20. Jahrhundert bei. Ihnen hat der Volkskundler Werner Nachbagauer seine Dissertation gewidmet. So genannte Marktzieher, Bauern und Lastfuhrwerker, besorgten den Transport.9 Die Langenzersdorfer aus dem Bezirk Korneuburg (Niederösterreich) lieferten Früchte und landwirtschaftliche Produkte. Aus Nussdorf (Wien 19) kamen Milch, Obst und Gemüse.

»Buckelkörbler« reisten aus der Gegend von Mattersburg (Burgenland) an. Eine Approvisionierungs-Enquete in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts lobte »die so genannten Hernzen oder Wieser«: »Dieses Volk ist unendlich thätig, unermüdet, gleichsam die Bienen, die für Wien nach allen Richtungen sorgen.«10 Heanzen (Heinzen, Hienzen, Hinzen) nannte man die – im 11. und 12. Jahrhundert eingewanderten – deutschsprachigen Bewohner des südlichen und mittleren Burgenlandes und der Randgebiete des ungarischen Komitates Ödenburg (Sopron). »Heanzenland ist Bauernland« lautete eine bekannte Gleichung.11

Die Marktfahrt erfolgte häufig zu Fuß. Körbe, Krüge, Butten, Simperln, Amper, Krächsen, Säcke, Fässer, Kisten und Rucksäcke dienten beim Transport als Behälter. Frauen trugen die Ware oft auf dem Kopf.12 »Wenn es in den Straßen leer und still geworden ist – das Wiener Nachtleben ist gering – dann beginnen Karawanen geheimnisvoll zwischen den Häuserreihen zu ziehen. An jedem der vollbeladenen Wagen hängt eine Laterne. Nebenbei huschen, ohne zu sprechen, im Dauerlaufe, Frauen, hochbeladen, Butten auf dem Rücken, die überdies durch Körbe gekrönt werden, nach den einzelnen Plätzen. Sie sind, nachdem die Eisenbahnen sie abgesetzt, bei den Linien hereingekommen oder haben meilenweit über das flache Land den Weg bis Wien zu Fuß gemacht.«13 Den Herausgebern des 1895 erschienenen Werkes »Wienerstadt. Lebensbilder der Gegenwart« schienen diese Bauern und Bäuerinnen so typisch, dass sie diese gleich in der Einleitung beschrieben.

In Bockfließ (Weinviertel, Niederösterreich) begann der Fußweg um 16 Uhr des Vortages, in Floridsdorf (Wien 21) wurde genächtigt, um bereits um 2 Uhr früh auf dem Markt zu sein. Um 13 Uhr trat man den Heimweg an. Zum Vergleich: Mit dem Auto braucht man für die 30 Kilometer lange Strecke eine halbe Stunde. Die Stammersdorfer (Wien 21) brachten bis in die 1920er Jahre zu Fuß »Wiener Kram« in Butten auf den Markt Am Hof. Das waren Eier, Fisolen, Erbsen, Erdäpfel und Paradeiser. Die Butten dienten neben dem Transport zum Auslegen der Früchte, wobei man sich lange Zeit mit auf den Boden gebreiteten Tüchern begnügte. Gemüse verkaufte man stückweise oder bundweise, oder man schätzte das Gewicht. Der Gewichtsverkauf – meist mit von der Stadt geliehenen Waagen – setzte sich erst seit den 1870er Jahren durch.

»Wer den Mund nicht aufbringt, hat auf dem Markt keine Chance«, wussten die Weinviertler Bauern. Für manche soll die Redegewandtheit ein entscheidendes Kriterium bei der Brautwahl gewesen sein, denn der Verkauf erfolgte meist durch Frauen. Das galt besonders für den Eier- und Geflügelhandel, den Bäuerinnen und Inleute aus Jedlesee und Kagran (Wien 21), Breitenlee und Süßenbrunn (Wien 22) betrieben. Im Marchfeld entwickelte sich die Geflügelhaltung im 19. Jahrhundert durch vermehrten Maisanbau.14

Der Begriff »Körberlgeld« geht einer Ansicht zufolge auf den Gewinn zurück, den die Frauen beim Eier- und Hühnerverkauf erwirtschafteten und der ihnen zustand. Nach einer anderen Meinung handelt es sich um den Betrag, den sich Dienstmädchen durch günstige Einkäufe erwirtschafteten, aber nicht bei der Dienstgeberin ablieferten. Jedenfalls hat das Körberlgeld mit dem Markt zu tun.15

Lebensmittel waren nicht die einzige Ware, die Bauern auf die Wiener Märkte brachten. Gutensteiner Waldbauern verkauften Schindeln und Holzwaren, Kohlenbauern aus der Schneeberggegend kamen bis ins 19. Jahrhundert mit Holzkohle. Wer einen Ochsenoder Pferdewagen besaß, organisierte sich eine »Gegenfuhr«. So hatten die Bauern aus dem Weinviertler Ort Auersthal Ende des 19. Jahrhunderts einen Mistkontrakt mit der Stadt Wien. Der zur Stadtplage gewordene Pferdemist war auf dem Land als Dünger willkommen.16

Fratschlerinnen, »Polletenweiber«, Höckerleute

Ein Thema zieht sich durch sieben Jahrhunderte Marktleben: Die Ablehnung des verteuernden Zwischenhandels, und das nicht nur in Wien sondern beispielsweise auch in Nürnberg.17 Johann Joachim Becher (1635–1682), der im 17. Jahrhundert Wirtschaftsberater des Kaisers Leopold I. war, unterschied zwischen Vorkauf (zeitlich und örtlich vom Marktverkauf verschieden) und Fürkauf (spekulativer Aufkauf eines Warenvorrats). Doch schon 1340 war in einer Verordnung von Herzog Albrecht II. (1298–1358) im Zusammenhang mit dem Fischhandel vom Vorkauf die Rede.18 1504 setzte Wien einen Marktrichter ein, »der den fürkauf weere«. Menschen aus den unteren sozialen Schichten versuchten ebenso vom Zwischenhandel zu profitieren wie bürgerliche Gewerbetreibende, die Dienerschaft des Kaiserhofes, Soldaten und ihre Frauen. Das Thema blieb bis ins 19. Jahrhundert aktuell.

Die Autoren des 1844 von Adalbert Stifter herausgegebenen Sammelbandes »Wien und die Wiener« schildern beredt das Vorgehen der Greißler, die in Gruppen auftraten und Landmädchen und Bauernburschen einschüchterten, um billig an die Ware zu kommen: »Auf diese Weise fährt das Triumvirat fort, die Waare zu schimpfen, und die Bauerndirne zu beängstigen, bis sie sich nach und nach bewogen fühlt, den schlauen Händlern ihr Obst zu einem Spottpreis zu überlassen, fürchtend, dass sie späterhin gezwungen sein würde, es noch wohlfeiler zu verkaufen, oder dasselbe unverkauft wieder nach Hause tragen zu müssen.«19

Weder mit Strafen noch mit Bürokratie ließ sich der Zwischenhandel verhindern. 1569 war von Bescheinigungen (»schriftliche Kundtschafften«) die Rede, mit denen Obrigkeiten auf dem Lande bestätigen sollten, was wann und von wem erworben und in der Folge auf dem Markt verkauft wurde. Ablöser in und vor der Stadt sollten »abgeschafft unnd nimmer gestatt werden.« In diese diskriminierte Gruppe fielen »die Manns- vnd Weibspersonen, so nit aygen oder Bestandgärten haben, sondern das Grien, Kraut, Salat, Rättich, Kren, auch Obst und dergleichen, von andern die es selbs erbawen und allher bringen, fürkauffen, und wieder hingeben.«

Die Marktordnung von 1571 sprach von verbotener »fürkhauffung oder Fretschlerei«.

1744 wurde den Geflügelhändlern verboten, übrig gebliebene Ware »an Frätschler und derley hausirende Leut weiter abzugeben«. Der Archivar Alexander Gigl folgerte daraus: »Die ›Frätschler‹ wären Leute, die sich vagierend auf den Märkten einfinden und die Waaren im Verkaufe zu erhaschen suchen, um sie dann meist hausirend im Kleinverkaufe mit gewissen Zinsen absetzen zu können.«20 Lexers mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch vermerkte unter dem Stichwort »vreten, vraten« so viel wie »herumziehen, quälen, plagen«.21 Das Wörterbuch der Brüder Grimm nannte Fratschlerin »eine Handelsfrau, Trödelfrau, Höckerin, die mit geläufiger Zunge zum Kauf antreibt«.22 Hier ist jedoch die weibliche Gruppe der Ablöserleute gemeint, die »stets und entschieden als die unbefugtesten angesehen wurde«.

In der Barockzeit waren die Fratschlerinnen das erklärte Feindbild der Behörden und der (bürgerlichen männlichen) Konkurrenten. Was in vielen Schilderungen auffällt, ist die abwertende Einstellung gegenüber Frauen, für die der bescheidene Handel eine Existenzfrage war. Glaubt man zeitgenössischen Klagen, so waren sie mit einer Mischung aus Bauernschläue und krimineller Intelligenz begabt. Die Ablöserinnen, hieß es in einem Bericht der niederösterreichischen Regierung, würden den Bauern bis vor die Linien entgegengehen, ihnen die Waren en gros abnehmen und dann als Verkäuferinnen aus erster Hand auf dem Markt erscheinen. Die Marktwache, so Alexander Gigl, bemerkte die Täuschung oft nicht oder »sie war wohl oft zu ohnmächtig gegenüber dem leidenschaftlichen Auftreten der Ablöserinen, deren eigenthümlichen Waffen von den öffentlichen Organen nicht erwiedert werden konnten […], daß die Wache selbst oft gezwungen ist, diese Weiber, welche durch ihr Heulen das Volk zum Mitleide bewegen, loszulassen, um keinen Auflauf zu erregen.«

Ab 1772 waren die Fratschlerinnen von den Behörden zumindest geduldet. Von 1775 bis 1792 gab es Polleten (Bolleten) – nummerierte Berechtigungen zum Verkauf aller Gattungen von Esswaren in und vor der Stadt. 1776 besaßen 1049 von 1386 Fratschlerinnen eine solche Erlaubnis. Die Marktbefugnisgebühr betrug 3 Gulden und keine weiteren Steuern. Damit verbunden waren Warnungen, wie davor, »den ursprünglichen Händlern und Eigenthümern bey oder vor oder inner den Linien abzupassen, denenselben entgegen zu gehen, ihnen die Waare abzulösen oder denenselben vorzukaufen, oder auch auf dem Markte durch unnöthiges Zudringen oder muthwillige selbsteigene Steigerung anderen schon im Kaufe begriffenen Personen die Waaren auszukaufen oder zu vertheuern«. Hielt man sich nicht daran, drohten Verhaftung, der Verlust von Ware und Erlaubnis sowie Marktverbot.

Der Aufschwung des Ablöserhandels störte die ansässigen Händler. Sie beschäftigten den Magistrat – und dieser die staatlichen Stellen – mit Beschwerden. 1781 legten der Bürgermeister und Rat Wiens einen »haarsträubenden Bericht über die überhandnehmende Vorkäuflerei und den Unterschleifhandel der Bollettenweiber« vor, denen die Stadtväter die Teuerung anlasteten. Extremfälle wurden geschildert: In den frühen Morgenstunden kauften die Frauen den ankommenden Bauern »die Victualien all’ ingrosso« ab, manche zahlten im Voraus, um die Ware sicher zu bekommen. »An der Donau ist es nicht ohne Schauder anzusehen, wie diese Bolletenweiber den Obstschiffen, bevor sie ordentlich anlanden, in das Wasser entgegeneilen, und Tüchl oder andere Sachen auf das Obst hinwerfen, um das Einkaufsvorrecht zu behaupten.« Die Polletenleute seien »so frech, die Kaufparteien von den Landleuten zu verdrängen oder zu steigern, und sie zu höhnen und zu schimpfen, wenn sie kaufen.« Sogar der merkantilistisch-moralische Aspekt wird ins Treffen geführt: »Junge kräftige Leute aus Wiens Umgebungen kommen als Ablöserinen nach der Stadt, lungern dort ganze Tage müssig herum und gehen auf dem Lande ab, so dass dort keine Arbeitskraft selbst um hohen Lohn zu bekommen ist. So haben die Fabriken nicht genugsam Spinnerleute, welche lieber dem Fratscheln nachziehen.«

Ein Marktaufseher erstattete Meldung über vier Ablöserinnen, die einem Gärtner gemeinsam eine Butte voll Spinat abnahmen und um 300 % teurer weiterverkauften. Ein anderes Mal wurden neun Eierhändlerinnen die Polleten entzogen, weil sie sich auf der Seilerstätte als Bäuerinnen ausgaben, obwohl sie zu den Fragnern und Hausbesitzern zählten.23

Die Polleten waren ursprünglich als eine Art Fürsorge für ältere Menschen gedacht. Doch das Gewerbe entwickelte sich anders als die Obrigkeit erhofft hatte, viele der Berechtigten kümmerten sich wenig um die ihnen auferlegten Einschränkungen. Nachdem die Klagen nicht verstummten, beschäftigte man den Kaiser mit der leidigen Frage. 1792 wurden die Polleten abgeschafft und Konzessionen für Marktstände erteilt. Die »Ständchenbefugnisse« waren persönliche Befugnisse zum Verschleiß geringfügiger Waren. Sie dienten in erster Linie zur Aushilfe für arme Leute, die sich sonst keinen Unterhalt verschaffen konnten und denen das Kapital zur Einrichtung eines »Gewölbes« fehlte. Neben unbürgerlichen Gewerbetreibenden konnten sich auch Zunftmitglieder darum bewerben.24 Die Jahresgebühr betrug 4 Gulden. 200 Stände sollten eingerichtet werden, 1795 waren es bereits 544, davon 62 auf dem Graben.25

Die Betreiber von Ständen in den Vorstädten hießen Höckerleute. Hucke/r nannte man schon im Mittelhochdeutschen den Verkaufsladen ebenso wie den Kleinhändler oder die Kleinhändlerin.26 1804 sollten die Marktrichter bei den Höckerständen »keine jungen ledigen Weibspersonen« dulden und »bloß diejenige Person, auf welche die Befugnis lautet, darf den Verkauf ausüben.« Wohl aus Feuerschutzgründen durften Höckerinnen weder Maroni braten noch Gluttöpfe zum Wärmen aufstellen.

Frau Sopherl & Co

Die viel zitierte Frau Sopherl und ihre Kolleginnen zählten zur Kategorie der Standlerinnen (in der Stadt) oder Höckerinnen (in den Vorstädten). Diese Spezies ist entstanden, nachdem durch die Verordnung von 1792 wie erwähnt die Polletenleute abgeschafft und eine bestimmte Anzahl von Viktualienständen erlaubt worden waren. Die Betreiber wurden als »Mittelding zwischen Marktleuten und ansässigen Gewerbetreibenden« definiert. Ihre Artikel waren vorwiegend Mehl, Hülsenfrüchte, Fleisch, Obst, »grüne Waare und Kräuterwerk«.

Die »Ständel« in der Stadt durften erst aufsperren, wenn die Produzenten nach der offiziellen Marktzeit ihren Heimweg angetreten hatten (sommers um 11, winters um 12 Uhr). Höckerinnen in den Vorstädten konnten ganztägig verkaufen. Sie erhielten ihre jährliche Befugnis um 4, später um 6 Gulden, zudem hieß es: »Das Vorkaufen, Hausiren und Terrorisiren der Marktplätze ist verboten.«27 1792 gab es 200 Standinhaberinnen in und vor der Stadt, die von Ziergärtnern ihre Ware bezogen. Damit unterschieden sie sich von jenen Ablösern, die von den Bauern, nachdem diese das Publikum bedient hatten, die Restbestände erwarben und nach Ende des Marktes selbst verkauften.

Die Kleinverkäuferinnen auf dem Markt zählten zu den klassischen Alt-Wiener Volkstypen und waren für ihre Schlagfertigkeit bekannt. Die abwertende Einschätzung ihrer Vorgängerinnen wich nun – von anderer Seite – literarisch-nostalgischer Wertschätzung. Wie es in bürgerlichen Kreisen Mode war, sich von »groben Wirten« wie dem Narrendattel in Lichtental (Wien 9) beflegeln zu lassen, liebten es manche der Herren Biedermeier, wenn die Marktfrauen sie »ausschimpften«. Joseph Richter (1749–1813) schrieb in seinen »Briefen eines Eipeldauers« über die »Obstweiber«: »Das sind rare Weiber. Die heissen den Herrn Vetter einen gnädigen Herrn, und gleich darauf ein Spitzbuben.« Um 1812 bestätigte der Reiseschriftsteller Wenzel Kremer die Gewohnheit der Höckerinnen, Kunden mit Kraftausdrücken aller Art zu belegen: »Vielen Spaß gewährte es mir, zuweilen mich durch Fratschlerweiber ausschimpfen zu lassen. Man muss diese Volksklasse in Wien gehört haben, um sich einen Begriff von der unendlichen Geläufigkeit im Schimpfen und dem Reichtum von Schimpfworten zu machen. […] Zu meiner Zeit excellierten in dieser edlen Kunst zwei Weiber: Eine namens Baberl an der Brücke vor dem Burgtor, die andere am Roten Turm, Anna Katherl genannt. […] Kaufte man etwas bei ihnen, dann überhäuften sie einen mit Euer Gnaden, Exzellenz, schöner Herr und sonstigen Schmeicheleien, nur mußte man auch zahlen, was sie forderten und dies war unverschämt hoch; tat man dies aber nicht und bot niedriger, dann brach der Scheltsturm los. Wer dies nicht wußte, entfloh beschämt, kannte man aber diesen Unfug, konnte man ruhig stehen bleiben und mit den Umstehenden mitlachen.«28

Ein andermal hieß es, der Bürgermeister hätte die Märkte inspiziert und Veränderungen überlegt. Doch »unter den Fratschlerinnen fand sich gleich eine Sprecherin, welche […] dem entsetzten Oberhaupte der Stadt in Aussicht stellte, demnächst an der Spitze von 200 Kolleginnen als Deputation zu erscheinen und die Beschwerden des Standes vorzubringen.« Zur Zeit des Wiener Kongresses soll auch Zar Alexander I., der den Markt besuchte, ein Opfer von Frau Katherls Spott geworden sein.

Selbstverständlich – und 2005 vom Wien Museum in einer Ausstellung mit dem programmatischen Titel »Alt-Wien, die Stadt die niemals war« drastisch vor Augen geführt – war dies nur die eine Seite des Alltags. Die »Sopherln« leisteten ungesunde Schwerarbeit. Das verschweigen auch jene Feuilletonisten nicht, die im 1895 erschienenen Buch »Wienerstadt« das Volksleben beschworen: »Man sitzt […] mit vom Frost oder von der Hitze gerötheten Wangen unter Gottes freiem Himmel und kauft und verkauft die kleinen Pyramiden von Obst, die Berge von Gemüsen, das blutige Fleisch und den im Wasserkübel schlagenden Fisch […]. Der Wind mag stürmen, der Hagel schlagen, der Regen peitschen, die Sonne braten, die Wiener Hausfrau geht auf den offenen Marktplatz, und das Wiener Marktweib lässt sich die Gischt an den Leib treiben und bleibt sitzen, wo sie war.«29

Der biedermeierliche Viennensia-Autor Ludwig Scheyrer wusste von guten und schlechten Standplätzen: Die besten Verkaufsplätze waren am Anfang einer »Gasse«. Eine tüchtige »Sopherl«, die ihre Waren lautstark anpries, konnte schon zwischen 8 und 9 Uhr ausverkauft sein, während Kolleginnen an schlechteren Plätzen bis Mittag dazu brauchten.30

»Die Öbstlerin ist nebst dem Greißler, der Kräutlerin und der Milchfrau ein Wiener-Typus, und zwar der hervorstechendste, daher auch in allen Stadttheilen und Gassen zu finden. Die Vornehmern thronen im Innern der Stadt in einer hölzernen Bude, vor der je nach Jahreszeit der Reichthum des Obstes sehr sinnreich und anlockend geordnet ist. […] Die zweite Art […] sind die in den beiden ersten Gliedern des Obstmarktes an Hofe stehenden. […] Sie haben weder Buden noch Ständchen, sondern nur eine Bank vor sich, auf der ihr Vorrath steht; auch dürfen sie nur bis zwei Uhr Nachmittags feilbieten. Nach diesen kommen die Öbstlerinen in den Straßen der Stadt; diese haben ein kleines Ständchen und sind eigentlich die Essenz der Öbstlerinen, ihrem Alter nach kann man sie für pensionierte oder invalide Fratschlerinen halten«, schrieb der Feuilletonist Sylvester Wagner.

»Die Gnädige mit dem Küchentrabanten« beim Gemüseeinkauf auf dem Markt