Verschwundene Bräuche - Helga Maria Wolf - E-Book

Verschwundene Bräuche E-Book

Helga Maria Wolf

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Beschreibung

Viele Bräuche, die in vergangenen Zeiten fixer Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens waren und wichtige soziale Funktionen hatten, sind heute kaum mehr bekannt. Dennoch berühren die Bräuche früherer Generationen auch uns heutige Menschen noch stark - sie kommen uns wie Überbleibsel einer archaischen, oft bedrohlichen Welt vor. Bräuche machen Werte sichtbar, sie helfen uns in Momenten tiefgreifender Veränderungen (Rites de Passage). Verschwundene Bräuche erzählen uns, woher wir kommen und wie der Zusammenhalt der Gesellschaft funktioniert hat. Mit diesem umfassenden Lexikon der verschwundenen Bräuche öffnet sich ein Fenster in die Vergangenheit. Der Blick hindurch kann Neugier und Verständnis für das Alte wecken, kann altes Wissen bewahren, damit es nicht verloren geht. Sepp Forchers eingestreute Erzählungen über Almabtrieb und Kirtage, Raunächte und Nachbarschaftshilfe machen diese umfangreich bebilderte Kulturgeschichte der Rituale zu einem vergnüglichen Lesebuch.

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Helga Maria Wolf

Verschwundene Bräuche

Helga Maria Wolf

VerschwundeneBräuche

Das Buch der untergegangenen Rituale

Mit Beiträgen von Sepp Forcher

Brandstätter

Burgenländische Mädchennach der Erstkommunion.Fotografie. 1955

Helga Maria Wolf, Dr. phil., wurde 1951 in Wien geboren. Nach dem Studium der Europäischen Ethnologie und Kunstgeschichte war sie Redaktionsmitglied der Tageszeitung „Die Presse“ und langjährige Spartenleiterin in den ORF-Landesstudios Wien und Niederösterreich. Sie beschäftigte sich in zahlreichen Publikationen, Fernseh- und Radiosendungen mit der Geschichte und Kultur ihrer Heimatstadt. Als Herausgeberin des digitalen Wissensnetzes „Austria-Forum“ gestaltet sie u.a. „Alltag – Brauch – Cultur. ABC zur Volkskunde Österreichs“. 2013 wurde der Autorin der Kulturpreis des Landes Niederösterreich verliehen.

Sepp Forcher arbeitete ab 1976 beim Österreichischen Rundfunk. Er wurde durch seine Volkskultursendungen zum Publikumsliebling. Seit 1986 ist er Moderator der Fernsehsendung „Klingendes Österreich“, in der er die musikalische Tradition und landschaftliche Schönheit österreichischer und grenznaher Gegenden unverkitscht vorführt. 1999 wurde Sepp Forcher der René-Marcic-Preis für publizistische Leistungen verliehen. 1993 gewann er eine Goldene Romy. Bei Brandstätter sind seine beiden Bücher „Einfach glücklich. Was im Leben wirklich zählt“ sowie „Das Glück liegt so nah. Warum wir auf Österreich stolz sein können“ erschienen.

Vorwort

Bräuche fallen nicht vom Himmel, sie kommen auch nicht aus der „Volksseele“. Sie werden erfunden, wenn man sie braucht. Bräuche wandern, entwickeln sich dynamisch weiter, verschwinden, werden revitalisiert. Keiner hat sich von mystischer Vorzeit bis in die Gegenwart erhalten.

Helga Maria Wolf

Von Adam und Eva bis zum Zylinderhut reichen die hier vorgestellten rund 300 „verschwundenen Bräuche“. Selbstverständlich kann in einem Buch wie diesem nicht „alles“ vorgestellt werden. Weder sollte das Kuriose überwiegen noch das Kirchliche, der Gegenwartsbezug durfte nicht fehlen. Städtisches und Ländliches sollte ausgewogen sein, verschiedene Regionen berücksichtigt werden. Der Begriff „Brauch“ weckt sehr unterschiedliche Assoziationen, die von persönlichen Einstellungen und Erfahrungen abhängen – und Bräuche waren nicht nur schön.

„Was ist also ein Brauch?“, fragte die deutsche Professorin für Europäische Ethnologie, Ingeborg Weber-Kellermann (1918–1993). 1985 erschien ihr Standardwerk „Saure Wochen, frohe Feste. Fest und Alltag in der Sprache der Bräuche“. Darin schreibt sie: „Jede kulturelle Erscheinung, die unser Fach untersucht, ist gebunden an Zeit, Raum und Gesellschaft. … Die Bräuche sind selbst soziale Tatsachen, Zeichen, in denen sich das gesellschaftliche Leben der Gruppen ausdrückt. … Bräuche bestehen aus einzelnen Elementen, sind jedoch nicht deren Summe, sondern ordnen sich in Strukturen, die Systemcharakter tragen. Verändert sich unter bestimmten Strukturen eines der Elemente, so bewirkt das die Veränderung der gesamten Struktur.“ So kommt sie zu der Definition „… Bräuche als formalisierte, ausgestaltete Handlungen … mit einer Rollenverteilung, einem Spielablauf, ausgeübt von Gruppen, zu festgelegten Zeiten des Jahres oder bei speziellen Anlässen …“

Braucherfinder – Einzelpersonen oder Gruppen – kamen aus allen sozialen Schichten. Herrscher und Kirche hatten gute Gründe, selbst Feste zu begehen oder für andere festzulegen. Kreative Köpfe, wie der Dichter Matthias Claudius (1740–1815), führten für ihre Familien eigene Feiertage ein. Als Journalist ermunterte er auch seine Zeitgenossen dazu. Die Landbevölkerung erhoffte sich von ihren Ritualen Schutz und Segen. Die bestehende Gemeinschaft sollte nach bewährten Regeln funktionieren, dazu gehörten auch soziale Kontrolle, Rüge- und Heischebräuche.

Die Gründe für die Entstehung von Traditionen sind vielfältig. Meist kommen einige zusammen wie wirtschaftliche Notwendigkeiten, religiöse Gebote, ungeschriebene Gesetze oder psychologische Ursachen. Bräuche werden veränderten Gegebenheiten angepasst, einzelne Elemente verschwinden, verbinden sich mit anderen, es entsteht etwas Neues. Bräuche sind flexibel und hybrid. Die aktuelle Europäische Ethnologie sieht kulturelle Erscheinungen als Prozesse, die „ausgehandelt“ werden.

Bräuche sind nicht „ewig“. Im Jahrhunderte dauernden Transformierungsprozess geht manches verloren, wenn die Grundlage wegfällt. Viele Bräuche hatten agrarischen Charakter und waren an hierarchische Strukturen gebunden. Andererseits sorg(t)en Innovationen für das Entstehen von ständig Neuem. Bräuche mit Eventcharakter gehorchen eigenen Gesetzmäßigkeiten und nehmen doch Elemente auf, die (fast) schon verschwunden waren. Charakteristische Beispiele dafür sind die aktuelle Trachten-Renaissance, das von den Veranstaltern als „Österreichs größtes Brauchtums- und Volksmusikfest“ bezeichnete, 2011 erstmals durchgeführte Wiener-Wiesn-Fest sowie die in den letzten Jahren zunehmende Popularität des Pilgerns auf dem Jakobsweg.

Im Zuge von Globalisierung und elektronischer Vernetzung spielen geographische Grenzen eine immer geringere Rolle. Unter den neuen Bräuchen sind oft auch solche, die aus anderen Kulturkreisen kommen oder Elemente aus anderen Kulturkreisen aufgreifen. Doch manchmal scheint es nur so. Eine Wurzel des „amerikanischen“ Festes Halloween führt eindeutig zum europäischen Armen-Seelen-Glauben des Hochmittelalters. Das legen schon der Termin und die Ableitung von all hallows evening nahe, dazu braucht man nicht die Kelten zu bemühen. Allgemein fällt beim Vergleich von Bräuchen und Brauchelementen auf, dass sich, über Ländergrenzen hinweg, vieles ähnelt. Im österreichisch-süddeutschen Alpenraum, in dem viele der in diesem Band vorgestellten Bräuche verortet sind, bestimmte die (katholische) Kirche den Festkalender, und an die Heiligenviten oder Legenden knüpften sich bestimmte Vorstellungen wie die Patronate für bestimmte Berufsgruppen oder Anliegen. Dazu kommen anthropologische Konstanten wie Lichterbräuche im Winter oder magische Zusatzversicherungen, wenn es um den Erhalt des Besitzes (z.B. Blitzschutz durch Antlasseier) oder Bewahren bzw. Steigern des Ernteertrages (z.B. Einstecken des Palmbuschens, Flurprozessionen) ging.

Es zeigt sich, dass das weite Feld der Superstition – landläufig Aberglaube genannt – fließende Grenzen zum kirchlich vermittelten Glauben aufweist. Solche Vorstellungen, die oft in Bräuchen ihren Ausdruck finden, füllen Bände (z.B. das 1927–1942 herausgegebene zehnbändige „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“). Etliches klingt skurril. Längst sind Blitzableiter und Kunstdünger erfunden – was sollen da noch Wetterläuten und Feldersegen? Trotzdem ist es lohnend, sich damit auseinanderzusetzen. Wenn hier „verschwundene Bräuche“ vorgestellt werden, öffnet sich ein Fenster in die Vergangenheit. Der Blick durch dieses kann beitragen, Verständnis für die Alten und das Alte zu wecken, „damit es nicht verloren geht“.

TrachtBis etwa 1880 trugen die Walserinnen (Vorarlberg) ihre Tracht, die zu den ältesten in Europa zählte. Charakteristisch waren der sackartige Schnitt der knöchellangen Kleider und die Kopfbedeckungen, wie die „Brämkappa“ aus Otterfell und die „Birgerkappa“ aus schwarzer Schafwolle.Fotografie. 1935

Der Pfeil → verweist auf Stichwörter, zu denen es Einträge gibt. Am Ende von Einträgen verweist er auf Stichwörter mit inhaltlichem Bezug, zu denen es ebenfalls Einträge gibt, die im Text nicht erwähnt wurden.

A

Vieles wünscht sich der Mensch, und doch bedarf er nur wenig.

Johann Wolfgang von Goethe

AdventIm 19. Jahrhundert stand der Wiener Christkindlmarkt acht Jahrzehnte hindurch auf dem Platz Am Hof.Farblithographie. Um 1890

ADAM-UND-EVA-SPIEL seit dem Mittelalter ging den Aufführungen des Weihnachtsspiels ein Paradeisspiel voraus. Der Umzugsbrauch stellte die Vertreibung aus dem Paradies (Gen 3) dar. Ein mit Äpfeln geschmücktes Bäumchen war der Baum der Erkenntnis. 1687 wunderte sich ein Reisender, der in Tirol ein solches Umzugsspiel sah: „… und setzte einen baum mit rothen früchten behangen mit in den weg und sich darneben. Nach ihm kam ein teufelgen geschlichen in gestalt eines crocodils, das legte sich an den baum an, wohin auch ein mädgen mit langen und zufeldte geschlagenen haaren kam … daraus wir aber noch nicht klug werden konnten, dass es eine Vorstellung der historie, da die schlange Evam verführet, seyn sollte.“

1712 schilderte der Wiener Weltpriester und Satiriker Johann Valentin Neiner (1679–1748), dass sich umherziehende Schauspieler in der Wohnung eines kranken Mannes so ungestüm benahmen, dass er sie „die Stiegen abzuprügeln“ befahl. Aus dieser Beschreibung geht hervor, dass Adam und Eva in Leinengewänder gekleidet waren, der Teufel eine Kette und Gott Vater die Papstkrone mit dreifachem Kronreif (Tiara) trug.

Im Dezember 1719 wurde das öffentliche Adam- und Eva-Spiel wie auch das Bauern- oder Hochzeitsspiel in Wien verboten, da das Herumziehen „verschiedener dienstloser Burschen“ die Bewohner beunruhigte und für die Geistlichkeit ein Ärgernis war. Wie es hieß, sollte damit ein „ungestümes Blasen und Leiern, ein ungebührliches Springen und Tanzen“ verboten werden. In Zukunft waren Adam-und-Eva-Spiele nur noch an den letzten drei Faschingstagen erlaubt, und das auch nur, wenn sie „in aller Ehrbarkeit“ stattfanden.

Im Berchtesgadener Land gehörten die „Buttenmandl“ zum Gefolge des Nikolaus. Die Strohmasken mit geschnitzten Larven und schweren Glocken waren schon zur Barockzeit bekannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg revitalisiert, kann ihr Einkehrbrauch nun auch an den Adventssonntagen oder zu Weihnachten stattfinden.

ADVENTMit dem Advent (lat. adventus – Ankunft), Zeit der Ankunft Christi, beginnt das Kirchenjahr. Er dient der Vorbereitung auf → Weihnachten. Sucht man nach den Wurzeln des Advents, so wird man zum einen beim Konzil von Ephesus (431) fündig, das sich mit der Gottesmutterschaft Mariens befasste, zum anderen im Gallien des 6. Jahrhunderts.

Mehrere Wochen sollte man sich auf das Kommen des Erlösers mit Fasten und guten Werken vorbereiten. Um 600 legte Papst Gregor I. (um 540–604) die Zahl der Adventssonntage auf vier fest, doch erst im 16. Jahrhundert galt dies für die ganze Kirche. Bis 1917 war der Advent eine Fastenzeit. Wie vor → Ostern untersagte ein Kirchengebot während dieser → Geschlossenen Zeit Hochzeiten und Tanzveranstaltungen. Vielleicht kommt daher die Vorstellung von der viel zitierten „stillsten Zeit im Jahr“ (Karl Heinrich Waggerl). Sie war von Kirchenbräuchen, wie dem Besuch der → Rorate, geprägt. Auf den Bauernhöfen war es die Zeit der Winterarbeiten wie Holz machen oder → Flachs spinnen.

Die Tiroler begingen die Donnerstag-Abende im Advent, die sie → Klöpfelsnächte nannten, als Belustigungstage mit Theaterspielen und → Heischebräuchen. In der Steiermark sorgte das → Sauschädelstehlen für Unterhaltung. Weihnachtsvorbereitungen spielten lange Zeit keine Rolle, weil die Feier am → Heiligen Abend mit Christbaum und Geschenken erst seit dem 19. Jahrhundert üblich ist.

Den Adventskranz erfand der spätere Gründer der Inneren Mission, Johann Hinrich Wichern (1808-1881), damals Direktor des 1833 eröffneten Hamburger Erziehungsheimes Rauhes Haus. Von ihm stammt der älteste bekannte Bericht (1838). Auch der Erfinder des Adventskalenders, Gerhard Lang (1880–1974), stammte aus einer evangelischen Familie, sein Vater war Pfarrer in Maulbronn. 1903 gilt als Geburtsjahr des Adventskalenders.

AGNESBRÜNNL Auf einem Grundstück des Stiftes Klosterneuburg an der Grenze zu Wien entspringt eine Quelle, die als Agnesbrünnl Eingang in Brauch und Sage fand. Bis 1230 bestanden oberhalb von Klosterneuburg-Weidling auf dem Hermannskogel das Dorf Kogelbrunn und in dessen Nähe die Quelle. Sie kam zwischen den Wurzeln einer Buche hervor, in deren Rinde man das Bild der Muttergottes zu erkennen glaubte. 1805 brachte jemand auf dem Baum eine auf Eisenblech gemalte Kopie des bekannten Mariahilfbildes von Lucas Cranach an, das seit 1931 in der Weidlinger Pfarrkirche hängt.

Das Agnesbrünnl galt als Jungbrunnen und heilkräftig bei Augenkrankheiten. Im Biedermeier war es ein überaus beliebtes Ausflugsziel. Besonders das „Kometenjahr“ 1811 verhalf ihm zu Popularität. Von Neustift am Walde (heute 19. Wiener Gemeindebezirk) bis zum Brünnl standen Buden, in denen Waren und Dienstleistungen aller Art angeboten wurden. Um den großen Zulauf zu beenden, ließ die Behörde 1817 die Wunderbuche fällen und die Quelle zuschütten. Doch die Quelle zeigte sich wieder und die Menschen kamen weiterhin zu ihr. 1859 hieß es, dass alte Frauen „mit Glücksnummern und sympathetischen Mitteln handelten und geheimnisvoll von den Sagen und Wirkungen des Agnesbrünnls sprachen“. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg fand zu Johannes Enthauptung (29. August) der Brünnlkirtag statt. Zu bestimmten Zeiten, v.a. am → Dreikönigstag, Karfreitag und Johannestag (→ Johannesfeuer), hoffte man im Schlamm der Quelle oder auf Steinchen darin Nummern zu erkennen, um sie im → Zahlenlotto zu setzen. Den größten Gewinn hatte aber der Ober-Sieveringer Gemeindewirt (später Gasthof „Zur Agnes“). Er ließ Bilder der Sage anfertigen, versprach seinen Gästen ein neues Glücksspiel und verkaufte Mehlspeisen mit eingebackenen Lottozahlen.

Im 19. Jahrhundert entstand der Sagenkreis um Karl und Agnes: Ein armes Köhler-Ehepaar entdeckte an der Quelle ein Findelkind, dessen Mutter eine Fee war. Sie erzogen das Mädchen, Agnes, gemeinsam mit ihrem Sohn Karl. Als dieser herangewachsen war, versorgte ihn die Fee mit einer Rüstung und Waffen, mit denen er im Kampf gegen die Osmanen siegte. Bei seiner Heimkehr hatte sich die Köhlerhütte in einen Palast verwandelt, in dem ihn Agnes als Braut erwartete, doch Karl war bereits mit einer Wienerin verlobt. Der Palast stürzte ein, Karl und sein Heer spuken seither als Ritter bei der Quelle.

AgnesbrünnlDie Quelle an der Wiener Stadtgrenze war im 19. Jahrhundert besonders populär.Damals entstand auch der Sagenkreis um Karl und Agnes.Handkoloriertes Glasdiapositiv. Um 1900

AHNLSONNTAG Den Sonntag nach → Ostern (Weißer Sonntag) nutzten Enkelkinder, um ihre Großeltern aufzusuchen, die sie mit Gaben bedachten. In Oberösterreich waren die Ahnlkipferl (Weiber- oder Butterkipferl) eine beliebte Gebäck-Spezialität, die an diesem Tag verschenkt wurde. → Taufpaten erwiderten den Besuch bei den Eltern ihrer Täuflinge.

AITENKERZEN Wie zum → Lichtmesstag am 2. und zu Blasius am 3., spielte auch am 5. Februar, dem Tag der hl. Agatha, Licht eine Rolle. Seit dem späten Mittelalter sollten geweihte Aitenkerzen und Agathenzettel mit aufgedruckten Segensformeln Haus und Hof vor Krankheit und Feuer schützen, ebenso Brote, die an ihrem Tag gebacken und geweiht wurden.

In St. Oswald in der Steiermark opferte man zwischen 1515 und 1518 Aitenkerzen. Mit Kerzen bestücktes Agathenbrot sollte im Wasser sichtbar machen, wo jemand ertrunken war. Agathenbrote bzw. Striezel aus Roggenmehl galten als heilkräftig. Aufgrund einer jahrhundertealten Stiftung werden sie in Stein im Jauntal (Kärnten) auch heute noch am ersten Februarsonntag von der Burg in die Menge geworfen.

Die adelige Jungfrau Agatha (um 225–250) aus Sizilien zählt zu den Märtyrern vom unzerstörbaren Leben. So nannte man frühchristliche Glaubenszeugen, die mehrere tödliche Martern überlebten, ehe sie in das Reich Gottes eingehen konnten. Bei drohenden Ausbrüchen des Vulkans Ätna trug man den weißen Seidenschleier aus Agathas Grab dem Lavastrom entgegen, um diesen von der Stadt Catania abzulenken.

ALLERHEILIGENSTRIEZEL AUS STROH Zu Allerheiligen (1. November) waren Striezel als Patengeschenk oder Ablöse einer Gabe für die Armen Seelen üblich. Im niederösterreichischen Weinviertel jedoch gab es Allerheiligenstriezel aus Stroh. „Geflochtene Strohseile, quer über die Straße gespannt, werden hier Allerheiligenstriezel genannt und missliebigen Mädchen stellt man einen solchen Strohzopf vor die Türe“, beobachtete der Volkskundler Arthur Haberlandt (1889–1964) im Jahr 1927.

Der Wiener Ethnologe Helmut Paul Fielhauer (1937–1987) forschte in den 1960er Jahren über diesen Brauch. Er schrieb: „In der Nacht zum Allerheiligentag … bringen die Burschen des Ortes gef lochtene Strohzöpfe … den heiratsreifen Mädchen ihres Ortes dar. Begehrten Mädchen mögen sie zur Ehre gereichen, den jenseits gewisser Ordnung und Verpf lichtungen Stehenden zur Schande, was vielfach aus den Beigaben – Blumen oder Fruchtabfälle – ersichtlich wird. Daneben finden wir über die Straße gespannte, desgleichen als ‚Allerheiligenstriezel‘ bezeichnete Strohseile, in deren Mitte zumeist eine kleine Tafel hängt, auf welcher gewöhnlich der Jahrgang der Burschenschaft, die den Strohstriezel gef lochten hat, vermerkt ist.“ Der Autor berichtete in diesem Zusammenhang auch von früher üblichen Sprüchen, die „den Rahmen des Anstands überschritten“ hätten.

ALLERSEELEN Kurz vor der ersten Jahrtausendwende rief Abt Odilo von Cluny (994–1048) in seinen Gemeinschaften zum festlichen Gedächtnis aller verstorbenen Gläubigen am 2. November auf. 1006 ordnete Papst Johannes XVIII. († 1009) die allgemeine Feier dieses Festes an. Es folgt im Kalender dem Hochfest Allerheiligen, dessen Termin Papst Gregor IV. († 844) im Jahr 835 auf den 1. November festgelegt hatte. Obwohl Allerheiligen kein Trauertag ist, sondern das neue Leben, in das die Heiligen und Seligen eingegangen sind, feiert, zog der arbeitsfreie Tag Bräuche von Allerseelen auf sich und gilt in katholischen Gegenden heute vielen als Tag des Totengedenkens.

1842 schilderte der Lokalschriftsteller Emanuel Straube das Treiben auf den damals sechs Wiener Friedhöfen zu Allerseelen: „Wolken von Gezelten, in welchen Wachslichter, Blumen, Bänder, oder auch geselchte Würstel und Semmeln, Votivbilder und Obst verkauft werden, Heerscharen von Bettlern … geputzte Manns- und Frauenbilder, die zu einem frommen Werke kommen, wie zu einer Opern-Vorstellung; das Gedränge, Stoßen, Treiben, Treten an den Eingängen, wo Taschendiebe und die löbliche Polizei wacker zu tun haben.“ Damals war es üblich, den familiären Friedhofsgang mit einem Heurigenbesuch zu verbinden.

In den ländlichen Gemeinden Österreichs war mit Allerseelen ein → Heischebrauch verbunden. Kinder gingen mit einem Spruch zu den Bauernhäusern und baten um Striezel, Brot oder Wecken. Bei der Spende der Seelenwecken bzw. Allerheiligenstriezel nahmen die Kinder symbolisch die Stelle der Armen Seelen im Fegefeuer ein. Gaben oder Messstiftungen sollten deren Qualen verkürzen. In Oberösterreich war das Seelbrotgehen im Inn- und Mühlviertel üblich, wobei jeder Bauernhof hunderte Gebäcke verschenkt haben soll. In Salzburg konzentrierte sich der Brauch auf Lofer und Lamprechtshausen und bestand bis in die 1930er Jahre. Aus Tirol berichtete der Bibliothekar und Volkskundler Ludwig Hörmann von Hörbach (1837–1924), dass sich das Almosengeben „zu Hilf und Trost der Armen Seelen“ zum erlaubten Bettel und schließlich zum „Missbrauch“ gewandelt habe. Während die Heischegänger anfangs bescheiden um Gaben baten, wendeten Bettler um 1900 lautstark Gewalt an, wenn sie nichts bekamen. Traditionelle Lebensmittelspenden waren Brot und Gebäck, Getreide, Mehl und Schmalz. Später übergab man sie dem Pfarrer, der sie gerecht verteilen sollte.

AllerseelenZu Allerheiligen und Allerseelen hatten die Blumenhandlungen Hochsaison (hier eine Ansicht aus Wien).Fotografie. 1916

ALLGÄUER BROTVÖGEL Dieses spezielle Gebäck wurde im Allgäu, wie Pfingstwecken oder Heilig-Geist-Krapfen, zu → Pfingsten hergestellt. Die Form knüpft an die Darstellung des Heiligen Geistes als Taube an.

ALMFESTE„Über das Almleben haben die Städter vielfach recht romantische Vorstellungen. Schnulzenflme und Heimatromane haben diese Auffassung nur bekräftigt. Das echte Almleben sieht anders aus, auch wenn es heißt: Almazeit, lustige Zeit,“ schrieb der Salzburger Brauchtumsforscher und Schützenmajor Karl Zinnburg (1924–1994). Er schilderte die harte Arbeit der Sennerinnen, aber auch ihre Freizeitvergnügungen. Dazu zählte das „Jogassengeah“ (Jakobi-Gasslngehen) am 25. Juli. In den Salzburger Gebirgsgegenden, besonders im Pongau, Lungau und Pinzgau, kontrollierten die Bauern am Jakobitag ihre Almen, auch die Dorfbewohner besuchten sie. Dabei warteten die Sennerinnen Schwimmmüsel (in Fett schwimmendes Mus), Flecketes (flaumigen Brei), Kaffee und Schnaps auf. Manche Gäste brachten Musikinstrumente mit und spielten bis in die Nacht hinein zum Tanz auf. Auch das Rangeln (Hosenrecken, Schwingen) fand als Kraftspiel statt. Der Sieger, Hagmoar genannt, durfte sich drei Federn an den Hut stecken.

„I bin der Herr Stier mit meine zehn Küah, wir bitten den Bauer um ein Winterquartier.“

Ludwig Hörmann schrieb 1909: „Die f linken, kräftigen Burschen haben eine Menge Spiele erfunden, größtenteils gymnastischer Natur … Sehr beliebt ist das ‚Hackeln‘ mit den Fingern und der sogenannte ‚Duxerschub‘, wobei sich die Gegner mit den Fäusten gegen einen Tisch oder eine Bank hinschieben. … Zu all dem erwähnten Zeitvertreib kommen sodann noch die eigentlichen Alpenfeste, religiöse und weltliche, welche die Reihe der Arbeitstage unterbrechen. Die ernsteste dieser Feierlichkeiten ist wohl der ‚Alpensegen‘. … Einmal während des Sommers, meistens nicht lange vor der Abfahrt, wird dort, wo mehrere Alpen in der Nähe sind, ein ‚Kirchtag‘ gehalten.“

Klassische Feste sind der Almauftrieb am Beginn und der Almabtrieb am Ende der Saison. Der Auftrieb, in Liechtenstein Alpauffahrt genannt, war dort von einer Reihe religiöser Handlungen begleitet, die das Vieh im Sommer schützen sollten. Dazu zählten das Besprengen mit → Weihwasser, Füttern mit → Antlasseiern, geweihtem Salz, Brot und Kräutern. Der Pfarrer folgte den Sennern, um die Alpe zu segnen.

Ende August oder im September war es Zeit zum Almabtrieb. Im Großarltal (Salzburg) fand er zu Ruperti (24. September) statt. Wenn in der Saison kein Vieh zu Schaden gekommen und im Dorf niemand gestorben war, erhielten die Rinder Hals-, Hörner- und Stirnschmuck aus Reisig, Blumen und buntem Papier. Die prächtigste Zier trug die Leitkuh, Milchkühe waren einfacher bekränzt, Kalbinnen und Jungtiere nur bescheiden geschmückt. Der Stier bekam ein Fichtenbäumchen aufgesetzt, und im Ennstal eine Tafel mit dem Spruch „I bin der Herr Stier mit meine zehn Küah, wir bitten den Bauer um ein Winterquartier“ umgehängt. Der Stiertreiber, ein verkleideter Spaßmacher, begleitete ihn. Auf dem Weg verteilten die Sennerinnen Schmalzgebäck. Daheim empfing man sie mit Musik, Böllerschüssen und Peitschenknallen.

AlmfesteIn den 1930er und 1940er Jahren war das Interesse an „volkskundlichen Stimmungsbildern“, nicht zuletzt aus politisch-ideologischen Motiven, groß. Dementsprechend wurden viele Fotos nachgestellt. Dieses Bild trägt den Titel „Steirischer Hirtenbub in einem Grasmantel“.Fotografie. Um 1930

 

Grüßen

„BEI UNS IST ES DER BRAUCH, dass immer der Eintretende zuerst grüßt, auch im Wirtshaus“, so hat es mir der Sohn des Bauern im Tal gesagt. Für mich damals kaum 15-Jährigen war das eine Lehre für das ganze Leben. „Wenn du einen Viehstall betrittst, vergiss nie ‚Wünsch Glück‘ zu sagen“, „begegnen sich zwei Fuhrwerke, hat immer das schwerer beladene Vorrang“, und vieles weitere mehr hat er mich wissen lassen. Heute kann ich dankbar sagen, dass er in meinem Leben – was die Umgangsformen betrifft – mehr bewirkt hat als die anderen Kräfte, die sich an meiner Erziehung versucht haben.

Wenige Jahre vorher, 1940, hatte ich neu grüßen lernen müssen. Damals kam ich in ein Schülerheim, in dem strenge, vormilitärische Disziplin herrschte. Bettenbau, Frühsport, Flaggenhissen und die neue Grußformel „Heil Hitler“ gehörten fortan zum Tagesablauf. Wie immer beim stereotypen Wiederholen einer Grußformel verflachte mit der Zeit die Präzision der Aussprache: Wie früher aus „Grüß Gott“ „Sgod“ und aus „Habe die Ehre“ „Habedere“ wurde, so geschah es bei uns Buben, dass aus „Heil Hitler“ „Litla“ wurde.

Wenn ich heute an jene Jahre denke, wundere ich mich immer wieder, welche Macht es gewesen sein muss, einem so großen Volk wie dem Deutschen, diesen Einheitsgruß zu verordnen, und zwar so, dass er fast widerspruchslos angewendet wurde. Das einzig Gute, das übrig geblieben ist, ist meine Gewohnheit, heute „Grüß Gott“ in aller Deutlichkeit zu sagen.

Diesen alten Brauch, mit „Grüß Gott“ oder „Griaß Euch“ zu grüßen, habe ich genauso beibehalten wie das Lupfen des Hutes während des Grußes – einen eher städtischen Brauch, denn in jener Zeit, als alle Männer noch Hüte trugen, wurden diese nur beim Betreten der Kirche abgenommen.

Heute, in der Zeit der Kapperl, die fast alle, die eine solche tragen, gleich aussehen lassen, hat der Hut als Bestandteil des höflichen Grüßens und generell nahezu ausgedient. Außer bei den Jägern, für die Tradition und Brauchtum immer noch selbstverständlich sind. „Tschüss“ und „Hallo!“ haben mittlerweile unsere alten Grußgewohnheiten verdrängt. Ich habe mich nicht einmal mehr gewundert, von einem Bischof zu hören, der mit „Hallo“ grüßt.

AlmfesteWenn die Rinder am Ende der Saison in die Dörfer zurückkehrten, wurden sie geschmückt. Die Leitkuh trug die prächtigste Zier.

ANBLASEN Zu den Frühlingsbräuchen in Deutschland zählte das Begrüßen der ersten Schwalbe um den 25. März. „Zu Mariä Verkündigung kommen die Schwalben wiederum“, sagte man. Die feierliche Begrüßung besorgte der Türmer vom Kirchturm aus, er erhielt dafür einen Ehrentrunk.

ANDREASNACHT Bräuche in der langen Andreasnacht (30. November) verweisen auf den nahenden Jahreswechsel, der klassischen Zeit für → Orakel. Besonders Hochzeitsorakel (Andreseln) waren üblich. Mit magischen Praktiken versuchten heiratswillige Frauen herauszufinden, wer ihr Zukünftiger sei. Unter anderem schälten sie einen Apfel so, dass die Schale ein langes Band ergab, und warfen dieses hinter sich. Aus der Form hofften die Junggesellinnen jenen Buchstaben zu erkennen, mit dem der → Vorname des Bräutigams begann.

Der Chronist Gustav Gugitz (1874–1964) nennt an Praktiken Pantoffelwerfen (wenn die Spitze zur Tür zeigt, kommt ein Bräutigam) oder Bettstaffeltreten. Beim Scheitergreifen schloss man aus der Form des Holzstücks auf die Gestalt des Mannes. Im finsteren Hühnerstall sollte man einen Hahn fangen oder man sollte einen Baum schütteln und darauf achten, aus welcher Richtung Hundegebell zu hören war. Ludwig Hörmann wusste aus Tirol, dass die Junggesellinnen durch Bleigießen Stand und Handwerk des Bräutigams erkennen wollten. Er schrieb von einem Bauernfeiertag und einer Bettlernacht (für Getreide). Wer in dieser sterbe, komme direkt in den Himmel. Kleine Andreaskreuze galten als Talisman gegen Zauberei und Gicht.

Der Apostel Andreas stammte aus Betsaida (Jo 1,44). Er lebte wie sein jüngerer Bruder Simon (Petrus) als Fischer in Kapharnaum am See Genezareth (Mk 1,29). Andreas, zunächst ein Jünger Johannes des Täufers, war unter den ersten Aposteln, die Jesus berief. (Joh 1, 35-42, Mk 1,16). In Patras soll er am 30. November des Jahres 60 den Märtyrertod am schrägen Kreuz erlitten haben, woran die Bezeichnung „Andreaskreuz“ des Verkehrszeichens erinnert.

ANGEBINDE Die Bezeichnung entstand aus dem Brauch, (Geld-)Geschenke in ein Tuch einzubinden. Dies war besonders beim Tauftaler üblich, den → Godl oder Göd als traditionelle Gabe zur Taufe (→ Geburt und Taufe) brachten.

Im 19. Jahrhundert waren gedruckte, mit Stanzarbeiten gezierte Taufbriefe in Kuvertform zum Einlegen der Münzen beliebt. Die ältesten Taufbriefe haben sich aus der Zeit um 1750 erhalten. Die Godenbriefe waren eine Spielart der damals modernen Gedenkblätter, die Briefmaler zu Anlässen wie Namenstag, Firmung, → Hochzeit oder → Primiz gestalteten. Als um 1800 die bürgerliche Geburtstagsfeier an Bedeutung gewann, widmeten Familienmitglieder, Freunde und Liebespartner einander poetische Glückwunschschreiben, die man Angebinde oder Bindeverse nannte.

Ein Angebinde anderer Art war das Bschoadpackerl (von scheiden – trennen, auch: zuteilen). Es enthielt Mehlspeisen, welche die oft von weither angereisten Gäste bei Taufen, Hochzeiten etc. nach dem Fest von der Hausfrau erhielten. Aus Salzburg berichtete Karl Zinnburg, dass sich Gäste gern einen Schabernack erlaubten, indem sie statt der Lebensmittel rostige Nägel oder Holzstücke in die Bündel anderer Besucher einpackten.

ANGELUSLÄUTEN Dreimal täglich läuteten die → Glocken der Dorfkirchen: Um 6, 12 und 18 Uhr riefen sie zum Angelus-Gebet. Das Signal hatte nicht nur religiöse Bedeutung. Es strukturierte den Tag in einer Zeit, in der Uhren im Privatbesitz unüblich waren. „Der Gruß an Maria schien dem Mittelalter so wichtig, dass (1480) die Hausordnung den Einwand des Gesindes, es sei viel zu tun und man könne deshalb das Ave Maria unterlassen, nicht gelten ließ“, schrieb der deutsche Theologe und Kirchenhistoriker Ludwig Andreas Veit (1879– 1939). Beim letzten Läuten endete die Feldarbeit. Kinder, die draußen spielten, mussten daheim sein. Im Marchfeld in Niederösterreich drohte man Unfolgsamen, die Klakanitza, eine Hexe, werde sie sonst mitnehmen.

„Der Angelus“ ist dem Stundengebet (Offizium, Brevier) der Ordensangehörigen nachempfunden, die zu Gebeten zu bestimmten Zeiten des Tages verpflichtet sind. Sie beginnen ihn mit dem Chorgebet der Laudes und beenden ihn mit der gemeinsamen Vesper, schließlich folgt als persönliches Abendgebet die Komplet. Am Abend gedenken sie der Gottesmutter Maria: Magnifikat bei der Vesper, Marianische Antiphon als Schlussgesang bei der Komplet. Die heute übliche Form des Volksbreviers führte Papst Pius V. 1571 ein. Die Schriftzitate „Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft und sie empfing vom Heiligen Geist“ (Lk 1,35) – „Maria sprach: Siehe ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort“ (Lk 1,38) – „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14) werden mit jeweils drei „Ave Maria“ und Gebetsformeln kombiniert.

In der Karwoche, wenn die Glocken schweigen, weil sie „nach Rom fliegen“, markierten Kinder mit → Ratschen die Gebetszeiten.

ANNENTAG In der Barock- und Biedermeierzeit wurden alle Annen bzw. ihre Patronin am 26. Juli besonders geehrt. Eigens gedruckte Fächer und Glückwunschbilletts sollten die Annen erfreuen. Im niederösterreichischen Scheibbs veranstalteten die bürgerlichen Schützen seit dem 17. Jahrhundert ein Festschießen am Annentag. Auch Graz, Linz, Prag und Triest hatten ihre Annenfestlichkeiten. Ganz besonders feierte man den Namenstag in Wien, hier galt er als offizieller Feiertag. Am Vorabend boten Musikanten Ständchen dar. Im Prater gab es Feuerwerke, auf dem Kahlenberg Schönheitskonkurrenzen und in vielen Lokalen Annenfeste und -bälle. Bekannte Komponisten wie Johann Strauß Vater (1804–1849) und Sohn (1825–1899) oder Joseph Lanner (1801–1843) schrieben dafür Tanzmusik. Mozarts „Entführung aus dem Serail“ wurde anno 1782 speziell „allen Nannerln zu Ehren mit allem Applaus“ aufgeführt. Wien-Reisende berichteten: „Die Luft atmet den Abend nichts als Musik, die bis in die Nacht hinein dauert“, und „es wimmelt von Musikanten, die angeführt vom Chor verliebter Fanten der schönen Annen Lob erschallen lassen“.

„Annatag ist der Hände Jahrmarkt.“

Die hl. Anna war die Mutter der Gottesmutter Maria. Als Großmutter des Jesuskindes wird Anna Selbdritt mit Tochter und Enkel dargestellt. 1584 ordnete Papst Gregor XIII. die Feier eines Festes zu Ehren der Anna an. Wasser aus Annabrünnln (Aqua sanctae Annae) trank man seit dem Mittelalter gegen verschiedene Krankheiten. In der einstigen Jesuitenkirche in Wien 1, Annagasse 3a, stand die Annahand-Reliquie im Ruf der Wunderkraft. Der Armenier Rudolfo Dane brachte sie 1678 aus Istanbul nach Wien. 1743 schenkte sie die Habsburgerin Maria Anna (1683–1754) als Königin von Portugal dem Kloster in der Annagasse. Schon ihr Vater, Kaiser Leopold I. (1640–1705), hatte dort eine Annenbruderschaft gegründet. Wachskopien der Heiligen Hand waren beliebte Amulette werdender Mütter. „Annatag ist der Hände Jahrmarkt“, spotteten die Aufklärer.

ANSINGELIEDER Gesungene, oft vielstrophige, Glückwünsche waren ein wichtiger Bestandteil von → Heischebräuchen und Heiligenfesten, wie Georg, Florian, Johann Nepomuk, Luzia ( → Luzientag), hl. → Sebastian, hl. Stephan (→ Stephanitag). Der Aufbau der Lieder folgte einem klaren Schema: Gruß, Glückwunsch mit Bezug zum Fest, Bitte um Gaben, Dank und Abschied. Ausführende waren Angehörige bestimmter Berufe, Burschen oder Mädchen, einzeln oder in Gruppen.

Die → Weinhüter, welche die reifen Trauben zu bewachen hatten, holten sich mit Hüterliedern ihren Lohn, wie aus Nußdorf an der Traisen in Niederösterreich überliefert ist. Gleiches galt für → Hirtenbräuche. Zum Jahreswechsel brachten junge Weinviertlerinnen dem „Herrn“ und der „Frau“ einen Glückwunsch mit zwölf Strophen dar. Dem Herrn sollte das neue Jahr u.a. Hemd, Rock und Schuhe bescheren, der Frau Haube, Wiege „und den bekannten mythischen Tisch mit dem formelhaften Fisch und dem realer gemeinten Glas Wein“, wie Leopold Schmidt schrieb.

Zugleich mit den Neujahrssängern waren die Sternsinger mit Liedern zum → Dreikönigstag unterwegs, die sich vom 16. bis ins 20. Jahrhundert kaum veränderten. Die Kärntner Slowenen pflegten zu allen Jahresfesten Heischebräuche mit Ansingeliedern, von denen viele aus dem Mittelalter stammten. Die erste schriftliche Erwähnung datiert aus dem Jahr 1575. Bei diesen Bräuchen zogen Männer von einem Haus zum anderen, keines durfte ausgelassen werden. Sie sangen mehrstimmig ohne Instrumentalbegleitung.

Ein Lied aus dem niederösterreichischen Pottschach zum → Lichtmesstag umfasst 39 (!) Strophen, es ähnelt den Wünschen der Neujahrslieder. Ein aus dem Jahr 1602 überlieferter Lichtmessgesang aus Graz enthielt unterschiedliche Wünsche für verschiedene Stände wie Priester, Edelleute, Bauern oder Jungfrauen. Geistliche und Chorknaben sangen es, wenn sie um → Kerzen und Wachsspenden baten. Der Dank dafür gipfelte im Vers: „Wir wünschen das Glück wohl in das Haus, das Unglück fahr zum Giebel hinaus!“

ANTLASSEI Die am → Gründonnerstag („Antlasspfinztag“) gelegten sogenannten Antlasseier (von Antlass – Entlassung aus der Kirchenbuße, die am Gründonnerstag erfolgte) galten als segens- und zauberkräftig. Man legte sie als Blitzschutz und Zauberabwehr unter den Dachfirst und sagte ihnen Weissagungs- und Sympathiekraft zu. Teilweise erhalten hat sich die Tradition, Antlasseier zu färben und bei der Speisenweihe beim Ostergottesdienst segnen zu lassen. Wenn man sie in der Familie gemeinsam verzehrt, soll diese beisammenbleiben. Falls sich jemand verirrt und an die anderen Personen denkt, soll er wieder heimfinden.

→ Almfeste

APOTROPÄON Apotropäische Mittel (griechisch Apotropaion – Unheil abwehrend) waren schon in der Antike bekannt. Bestimmte Handlungen und Gegenstände sollten gegen den Bösen Blick schützen, beispielsweise das Umbinden eines roten Bandes bei kleinen Kindern. Abwehrende Gesten (z.B. → Daumen, Neidfeige), Amulette und Symbole waren im populären Glauben weit verbreitet. Oft vermischten sich kirchlich-religiöse und superstitiös-magische Vorstellungen, wie beim → Rosenkranz, beim → Benediktuspfennig, bei der Inschrift → C+M+B oder beim → Weihwasser.

ApotropäonAmulette sollten ihre Besitzer vor Unheil bewahren. Dazu zählten Gnadenschlüssel ebenso wie Nepomukszungen, Korallen oder Tierzähne.

ARBEITSVERBOTE Ludwig Andreas Veit erwähnte, dass im Mittelalter das Jahr im deutschsprachigen Raum rund 50 Feiertage hatte. Die Feste populärer Heiliger galten als Bauernfeiertage. An diesen bestanden oft Arbeitsverbote, die mit Analogien zu tun hatten. So sollte man zu → Christi Himmelfahrt wegen drohender Gewitter nicht arbeiten, da der Himmel für die Auffahrt Jesu offen stehe. Am Gallustag (16. Oktober) durften keine Schweine geschlachtet werden, andernfalls würde der Speck gallig. Heute noch bekannt ist das Verbot des Wäschewaschens und -aufhängens in den → Raunächten, dessen Missachtung angeblich einen Todesfall verursacht.

AUFRÄUMMONTAG Montag nach dem → Dreikönigstag war der Tag für den Kehraus nach den Weihnachtsfeiertagen. Man nannte ihn auch „verlorenen Montag“ (in den Niederlanden), Frauenmontag (in Brabant) oder Pflugmontag. Vor allem in England war es üblich, einen Pflug durch das Dorf zu tragen, um auf den Beginn des bäuerlichen Arbeitsjahres aufmerksam zu machen. Beim abschließenden Dorffest eröffneten der → Bohnenkönig und die Bohnenkönigin den Tanz.

GEBURT UND TAUFE

Früher, so berichtet das „Wörterbuch der Deutschen Volkskunde“, stand die Anrede „Frau“ nur Müttern zu. Die Geburt des ersten Kindes bildete eine Zäsur im Leben der Familie, „für das Kind der Eintritt ins Leben, bringt die Geburt alle die volksgläubigen und kirchlichen Bräuche in Anwendung, mit denen … Schadenmächte aufgehalten und das Leben, Glück und Gesundheit gesichert werden.“ Möglichst rasch sollte das Neugeborene dann getauft und dadurch in die Gemeinschaft der Christen aufgenommen werden, Geburt und Taufe waren eng verknüpft.

AUSLÄUTEN

Um einem Vater, der außerhalb des Bauernhofes arbeitete, die Geburt seines Kindes anzuzeigen, wurde ihm von seinen Knechten „ausgeläutet“. Sie begleiteten ihn nach Hause, wobei sie mit Pfannen, Glocken oder Pfeifen lärmten. Um das Kind anzuerkennen, hob der Vater das auf die Ofenbank gelegte Baby auf. In das erste Bad des Neugeborenen kamen verschiedene Gegenstände mit Symbolwert, etwa ein Geldstück, ein Rosenkranz und bei Mädchen eine Spule. Die Münze erhielt ein Armer, das Badewasser schüttete man unter den „Lebensbaum“ des Kindes. Bei Buben war dies ein Apfel-, bei Mädchen ein Birnbaum.

TAUFE

Für die ersten Christen war die → Taufe eine liturgische Feier der → Initiation. Im 2. Jahrhundert mussten sich die erwachsenen Taufbewerber (Katechumenen) durch mehrjährige Teilnahme am Gemeindeleben, Unterricht und tadellosen Lebenswandel vorbereiten. Allgemeiner Tauftermin war → Ostern (Osternacht). Obwohl das Neue Testament als Bedingung den Glauben an die christliche Botschaft und die Umkehr ausdrücklich nennt, dürfte von Anfang an auch die Kindertaufe bekannt gewesen sein. Mit fortschreitender Christianisierung wurde die Säuglingstaufe zum Normalfall, allerdings musste die christliche Erziehung des Kindes gewährleistet sein. Dazu verpflichteten sich die Taufpaten.

Zur Taufe gingen in katholischen Familien nur Pate oder Patin, Vater und Hebamme. An die Sakramentenspendung schloss sich das Kindelmahl im Wirtshaus an. Die Mutter war bei alldem nicht dabei, sie genoss eine sechswöchige Ruhepause, während der sie mehrmals mit einer geweihten → Kerze und einem Spruch gesegnet wurde. Drei Tage nach der Taufe schickte die Patin das Vorweisat, sechs Semmeln, 101 Eier, Schmalz und eine schwarze Henne, die der Vater sogleich schlachtete.

Geschnitzter Tauflöffel aus Holz mit dem Abbild eines Fatschenkindels.

„Xaveriflascherl“, Amulett zur Geburtserleichterung aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, mit Reliquien der Heiligen Franz Xaver, Stanislaus und Aloisius.

Bis ins 19. Jahrhundert war es üblich, Säuglinge bis zu den Schultern mit Bändern („Fatschen“) einzuwickeln. Plastische Darstellungen finden sich als Spielzeug ebenso wie als Klosterarbeit, Votivgabe oder Lebkuchenfigur.

KINDERZEICHEN

Früher war es nicht unüblich, dass Eltern tote Babys in einen Wallfahrtsort brachten, auf einen Altar legten und hofften, dass sie ein Lebenszeichen von sich gäben (Kinderzeichen), damit sie rasch noch getauft werden könnten.

FÜRSEGNEN

Traditionsgemäß führte der erste Ausgang der Mutter – unabhängig von der Kindstaufe – in die Kirche. Patin und Hebamme begleiteten sie zur Aussegnung (Fürsegnen) durch den Priester. Danach gab es ein Festmahl und kleine (Geld-)Geschenke, sowohl der Eltern für die Verwandten als auch dieser für das Kind. Von der Reinigung der Wöchnerin spricht schon das Alte Testament (Lev. 12, 1-8). Im „Rituale Romanum“ von 1614 ist von einer „Reinigung“ der Frau nichts zu finden, in Ritualen des 18. Jahrhunderts hingegen schon. Das Fest „Darstellung des Herrn“, bis 1969 „Reinigung Mariens“ genannt (→ Lichtmesstag) am 40. Tag nach → Weihnachten verweist auf den Tempelgang der Gottesmutter (Lk 2, 21–40). In der evangelischen Kirche wurde der erste Kirchgang der Mutter mit der Taufe verbunden und die Gemeinde zur Fürbitte eingeladen. Ledigen Müttern blieb der kirchliche Segen verwehrt. Sie mussten „über den Besen springen“. Die Redensart geht auf eine Ehrenstrafe zurück, bei der die betroffenen Personen (z.B. Diebe) einen Besen um die Kirche tragen mussten und dann von jedem damit geschlagen werden durften.

Taufpaten

Schon vor der Geburt erklärten sich die – in Österreich und im süddeutschen Raum „God“ bzw. „Gödl“ genannten – Taufpaten bereit, die Patenschaft zu übernehmen. Trotzdem gab es das Ritual, dass der Vater mit einem → Stab aus Haselholz vor dem Haus des Paten vor ihm niederkniete, um ihm das Patenamt anzutragen. Manche Eltern schickten auch einen schön gekleideten Boten, der die Bitte in Spruchform vortrug. Der God seinerseits besuchte rasch die Eltern, brachte das Krösengeld mit und steckte dem Baby je drei Brotstücke, Palmkätzchen und Münzen in die Windeln.

In Österreich und Süddeutschland überreichten die Paten die Tauftaler im „Krösenbüchserl“, einer Spanschachtel.

Der heilige Rupert, erster Bischof von Salzburg und „Apostel von Kärnten“, tauft slawische „Heiden“.Miniatur. Um 1160

B

Es gibt eine Sprache, die nicht spricht und doch alles sagt!

Johann Nestroy

BACHFEIERTAG Diese Feiertage, die in keinem Kalender standen, fanden im Obergailtal (Kärnten) in einigen vom Wildbach verwüsteten Ortschaften statt. Vormittags gingen die Bewohner, die Mädchen mit bunten Kopftüchern, zur Scharmesse, für deren Abhaltung sie gesammelt hatten. Nachmittags veranstalteten sie mit einem schlichten Holzkreuz eine Prozession zu den Ufern des Wildbachs.

BÄCKERSCHUPFEN Das Bäckerschupfen war als Ehrenstrafe seit dem Mittelalter in europäischen Städten üblich. Ein Beleg aus Zürich datiert von 1282. In anderen Ländern (Belgien, England, Sachsen) diente das Schwemmen oder Schnellen zur Buße verschiedener Vergehen. Dazu zählten Gotteslästerung, Betrug, Falschspielen und Diebstahl.

In Wien war die Strafe den Bäckern und ihren Kontrolleuren, den Brotbeschauern, vorbehalten. Die Erzeuger zu teuren (zu leichten) Brotes wurden in einem geschlossenen Korb, der am Ende eines langen Balkens hing, in Wasser getaucht. In den Originalsatzungen des Mittelalters ist von Unrat (Lutum) die Rede, wobei man die Strafe an den Plätzen des Brotverkaufs, Graben und Neuer Markt, exekutierte. 1340 heißt es, „die Bäcker sollen geschupft werden nach alten Gebrauch“. 1444 entzogen sich zwölf von ihnen der Strafe, indem sie hohe Geldbußen entrichteten, von denen der Richter 20 Prozent erhielt. 1550 (nach anderen Quellen 1590) starb ein Delinquent. Die Strafe, bei der die schadenfrohen Zuschauer ihrer Spottlust freien Lauf ließen, bestand bis 1773, zuletzt am Donaukanal in der Rossau im heutigen 9. Wiener Gemeindebezirk.

BALLSPENDE Früher erhielten junge Frauen, die in Begleitung ihrer Eltern oder einer Anstandsdame einen Ball besuchten, von dessen Veranstalter eine Ballspende (Damenspende). Da es nicht üblich war, als unverheiratetes Paar zum Tanz zu erscheinen, legte man am Anfang fest, mit wem die Dame die einzelnen Tänze absolvieren würde. Um dies in Erinnerung zu behalten, notierte sie die Tanzordnung in einem Heftchen, das sich in dem Etui der Ballspende befand.

Ballspenden waren aufwändig gestaltet und nahmen auf die Veranstalter Bezug: Bei den Brauern war es ein Bierfässchen, beim Postball ein Kuvert, beim Universitätsball eine Aktentasche, bei den Eisenbahnern eine kleine Lokomotive. Zu den traditionellen Tänzen zählten Walzer, Ländler, Marsch, Polka, Quadrille und Galopp. Aufgeführt war auch die „Ruhe“, eine einstündige Pause um Mitternacht, zum Plaudern, Essen und Trinken. Danach vergnügte man sich bis in die frühen Morgenstunden weiter. In Wien waren Ballspenden dieser Art von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkriegs modern.

BallspendeBeim Ball des Wiener Journalisten- und Schriftsteller-Vereines „Concordia“ des Jahres 1899 erhielten die Damen eine „Secessionistische Zeitung".

BARTHOLOMÄUSTAG Um den Bartholomäustag (24. August) fanden Alm- und Volksfeste statt, die auf den Herbstbeginn verwiesen. Kirchen erhielten eine Wachsabgabe für Bartholomäuskerzen. Barthelmäbutter sollte Brand- und Schnittwunden heilen. Die Redensart „Wissen, wo der Barthel den Most holt“