Die Moorsiedler Buch 3: Schwere Zeiten - Jürgen Hoops von Scheeßel - E-Book

Die Moorsiedler Buch 3: Schwere Zeiten E-Book

Jürgen Hoops von Scheeßel

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Beschreibung

Das andere Klima Seit dem Tod seines Vaters, Johann, waren zwei Jahre vergangen und das Leben ging weiter. Joachim I, Jochen genannt, hatte aus einer Wildnis, einem Nichts einen Hof gemacht, und darauf war sein Vater sehr stolz gewesen. Das Lob und seine Worte gingen ihm immer wieder durch seinen Kopf und es war ihm dabei warm ums Herz. Noch Vorgestern waren ihm, während des Gottesdienstes, die Worte ins Gedächtnis zurückgekehrt. Er war mit den Ernten und seinem Ergebnis als Bauer sehr zufrieden. Zudem hatte er mit dem unerwarteten Segen von 140 Talern eine Reserve für schlechte Zeiten. Wie nahe er am Abgrund zum Ruin stand, ja, vor einer Katastrophe, ahnte er nicht, wie Millionen andere ebenso unwissend waren. Heute schrieb man den 8ten Juni 1783. Es war ein Dienstag und Jochen stand auf seinem Hof. „Des Ersten Tod, des Zweiten Not und des Dritten Brot“ – dieser Ausspruch beschreibt das schwere Los der Moorsiedler in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Moorsiedler, das waren meist zweite Söhne und ihre Familien, die sich auf den Weg ins Ungewisse machten, um im unerschlossenen, feindseligen Moor ihre Chance auf eine eigene Scholle zu nutzen. Denn den elterlichen Hof erben konnten sie nicht. Nicht wenige haben ihren Mut mit dem Leben bezahlt. In der Moorsiedler-Saga lässt Jürgen Hoops von Scheeßel ihre Geschichten wieder lebendig werden. Das dritte Buch führt Hoops von Scheeßels Familiensaga, anschließend an seinen letzten historischen Roman „Das verdächtige Gesicht“ über Mette Meinken, geb. Hoops aus Höperhöfen, fort. Er erzählt die Familiengeschichte der Nachfahren ihres Bruders Cordt Hoops. Leserinnen und Leser werden in längst vergangene Zeiten entführt, in die Anfänge vieler Moordörfer und Gemeinden Niedersachsens – eine spannende, aufschlussreiche Reise in die Vergangenheit.

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ibidem-Verlag, Stuttgart

Inahltsverzeichnis

Prolog

Karte der Vogtei Sottrum

Hauptpersonenregister

Glossar

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Prolog

 

„Schwere Zeiten“

 

Eine historische Romanreihe über eine Familiengeschichte

 

Das Buch

 

In meinen vorangegangenen, historischen Romanen Gretge, Anna, Tibke und Mette habe ich das vor über 350 Jahren erduldete Schicksal von Verfolgung, Ächtung, Anklage, Verurteilung und Hinrichtung unschuldiger Frauen, einiger weniger Familien, über vier Generationen geschildert.

Deren schwere Lebens- und Leidensgeschichte, sowie deren Martyrium stehen dabei exemplarisch für die vielen Schicksale der im Hexenwahn und Aberglauben seinerzeit verfolgten und gequälten Menschen, überwiegend waren es Frauen. Im Fokus dieser Hexenprozesse, einstmals ausgelöst durch die Inquisition, ertrugen nicht nur die Opfer, sondern auch deren Familien unsägliches Leid, selbst noch zu Zeiten und im Gebiet der Lutheraner.

 

In dieser Romanreihe, die einer Familiensaga entspricht, schildere ich die erfolgreiche, aber auch entbehrungsreiche und leidvolle Geschichte der „zweiten Söhne“.

Diese waren im Gebiet, in dem das Majoratsgesetz galt, nicht erbberechtigt. Ihnen blieb nur die Hoffnung, in einen anderen Hof einheiraten zu können, Knecht des hoferbenden Bruders zu sein, oder aber der Weggang.

 

Jürgen Christian Findorff wurde am 20. September 1771 von Georg III. offiziell zum Moorkommissar ernannt. Seit 1752 arbeitete Findorff bei der Moorkolonisation, was ein Projekt des Kurfürsten von Hannover war, in bisher ungenutzten Moorgebieten Neugründungen, sogenannte Moorsiedlungen, entstehen zu lassen. Dies hatte die Trockenlegung der Moore zwischen Hamme und Wümme zum Ziel, um sie besiedeln zu können.

Damit wurde vielen Landeskindern die Möglichkeit eröffnet, in nicht allzu weiter Entfernung der bekannten Heimat, die Chance zu nutzen, sich über Generationen hinweg bis zum stolzen Besitzer einer ehemaligen Moorkate, nach hartem Kampf mit der Natur, hochzuarbeiten.

Es war quasi eine Auswanderung im eigenen Land, die viele hoffnungsvoll ergriffen, die jedoch unzähligen auch einen frühen Tod oder das Scheitern bescherte.

 

Um der Auswanderung oder Abwanderung entgegenzuwirken, ein Ausbluten des eigenen Volkes zu verhindern, aber auch, um noch genügend wehrfähige Männer für zukünftige Kriege sowie für die Produktion von Nahrungsmitteln zur Verfügung zu haben, erließ der König in Hannover im Jahr 1832 eine Verordnung die dies ermöglichte.

Diese Maßnahme sollte die Hoffnung auf eigenes, neues Land für die bisher ohne Zukunft hier lebenden Menschen wecken, um sie zum Bleiben zu bewegen, indem sie die Stellen als Eigentum erwerben konnten.

 

Es handelt sich hierbei um eine belegte und überlieferte Familiengeschichte, wie sie viele andere, ja, fast alle „Auswanderer in die eigene alte, aber für sie neue Welt“ an anderer Stelle, nicht nur im Königreich Hannover, erlebten. Die Gründung vieler Fehndörfer in Ostfriesland fußte auf einer ähnlichen Zielsetzung seitens der preußischen Krone.

 

In schwerer Not, mit harter Arbeit, vielen Entbehrungen und, manchmal auch ausweglos erscheinenden Erlebnissen als Moorkolonist, über Generationen hinweg eine Existenz für die Enkel zu schaffen, ist mehr als eine anerkennenswerte Leistung. Oftmals gelang es dabei nur die eigene Familie mit viel Mühe und Not zu ernähren.

Darüber werde ich im Folgenden berichten.

Die Romane sind wie eine Zeitreise durch die Geschichte unserer Heimat im Elbe-Weserraum, am Beispiel einer Familie, wie sie viele andere Familien auch erlebt haben.

 

Noch heute, mehr als 250 Jahre später, leben viele stolze Nachfahren auf dieser Scholle, und eine noch immer mit Familiennamen Hoops.

Eigentlich haben sich die Dialoge damals überwiegend nicht in Hochdeutsch, sondern im landesüblichen plattdeutsch zugetragen. Die Geschichte nicht in Hochdeutsch nieder zu schreiben, würde viele geneigte Leser und Leserinnen ausschließen, was keinesfalls gewollt ist. Dennoch war es mir ein besonderes Anliegen hier und da bestimmte Worte wie Aussagen in meiner Muttersprache, plattdeutsch, zu halten, die nicht zwingend übersetzt werden mussten.

 

 

Viel Freude beim Lesen wünscht Ihnen

 

 

 

 

 

Jürgen Hoops von Scheeßel

 

 

Karte der Vogtei Sottrum 1

„Die Heimat der Väter“

1 Abb. 1 Karte der Vogtei Sottrum, HStA Hannover, Hannover Nr. 140, I 4, 1753;

siehe auch Dörfler, Seite 27

Hauptpersonenregister

 

3. Generation – Die Familien der zweiten Söhne

 

Jochen (Joachim I) Hoops Johanns Sohn

[1727-1811] 1. Moorkolonist in Ostendorf

 

Anna Cathrin geb. Hoops Johanns Ehefrau

Tochter von Christian Hoops, einem Nachfahren der Hoops aus Stemmen im Kirchspiel Scheeßel

 

Anna Hoops Johanns Tochter

[1730-1808] verheiratet mit Friedrich Dormann, Gastwirt in Oldendorf (heute Gasthaus Adebar, Dittmers Hof) bei Zeven

 

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Johann Hoops Joachim I 1. Sohn

[1758-1831] Halbhöfner in Kranenburg

Rebecka /Becke geb. Meyer, Erbwitwe Johanns Ehefrau

 

Joachim II Hoops Joachim I 2. Sohn

[1760-1820] 2. Moorkolonist in Ostendorf

Margaretha geb. Meyer Joachim II Ehefrau

 

Cord Hinrich Hoops Joachim I 3. Sohn

[1762-18__], Kohlenhändler in Bremervörde

 

Claus Hoops Joachim I 4. Sohn

[1765- 1838], Gastwirt in Oldendorf (Gasthaus Adebar)

Marie geb. Könken Claus´ Ehefrau

 

Harm Hoops Joachim I 5. Sohn

[1767- 1834], Kötner in Forst bei Stade

Lucia geb. Tiedemann Harms 1. Ehefrau

Engel geb. Matthees Harms 2. Ehefrau

 

Friedrich Hoops Joachim I 6. Sohn

[1778- 1841], Häusling in Forst bei Stade

Margret geb. Kahrs Friedrichs Ehefrau

Anna Hoops Joachim I 1. Tochter

[1770-____] verheiratet mit Johann Hinrich Wintjen, Neubauer in Ostendorf

 

Margaretha Hoops [1773-1778] Joachim I 2. Tochter

 

Engel Hoops [1776-1776] Joachim I 3. Tochter

 

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Claus Hoops Joachims II 3. Sohn

[1797-1883] Einwohner in Süddithmarschen

Margaretha geb. Wiese Claus Ehefrau

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Der Familienname wurde einstmals bereits vor 1500 „Hopes“ geschrieben, wobei das „e“ nur die ausgesprochene Verlängerung des „o“ ist, und als Hoops ausgesprochen wurde. In Sottrum wird noch heute eine als Hops geschriebene Familie, wie Hoops mit einem weichen langen O ausgesprochen. Die Schreibweisen, wie die Aussprachen haben sich allerdings bei Abwanderungen regional auch in Hops, Hobst, Hoop und Hoeps verändert, wobei es in einem Stamm unterschiedliche Schreibweisen gibt.1

 

Die Findorfer, wie die Ostendorfer Chroniken waren mir hier und da sehr nützlich. Zudem vieles, was ich in den Jahrzehnten gelesen und gehört habe. Hauptsächlich aber haben mir die Urkunden und Informationen aus den Familien, wie die „Stammtafeln Hobst-Hoops-Hops-Hoeps-Hoop“, oder die teilweise noch vorhandenen Fotos und Aufzeichnungen aus den Familien sehr geholfen. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle sehr herzlich bedanken.

1 siehe: Stammtafeln Hobst-Hoop-Hoops-Hops im Elbe-Weserraum Geiger, Horb am Neckar 2013, ISBN 978-3-86595-530-2, Autor Jürgen Hoops von Scheeßel [vergriffen]

Glossar

 

Altenteiler

Bauer, der die Führung seines Hofes

an einen Nachfolger übergeben hat.

Bademutter

ortsübliche Bezeichnung für Hebamme

Flett

Diele mit offener Feuerstelle im Niedersachsenhaus

Groot Dör

Große Doppeltür, durch die auch ein Heuwagen eingefahren werden kann

Häusling

Bewohner eines kleinen Hauses ohne

Ackerland

Häuslingshaus

kleines Haus, gehört zu einem Hof

Herrenmeier

Erbpächter eines Amtshofes

Holzklotschen

geschnitzte Holzschuhe

Kate

kleines Haus mit wenig Ackerland

Kötner

Bewohner einer Kate

Schauer

überdachter Unterstellplatz für

Fuhrwerke und Gerätschaften

 

Kapitel 1

 

1783/1784

 

Das andere Klima

 

Seit dem Tod seines Vaters, Johann, waren zwei Jahre vergangen und das Leben ging weiter. Joachim I, Jochen genannt, hatte aus einer Wildnis, einem Nichts einen Hof gemacht, und darauf war sein Vater sehr stolz gewesen. Das Lob und seine Worte gingen ihm immer wieder durch seinen Kopf und es war ihm dabei warm ums Herz. Noch Vorgestern waren ihm, während des Gottesdienstes, die Worte ins Gedächtnis zurückgekehrt. Er war mit den Ernten und seinem Ergebnis als Bauer sehr zufrieden. Zudem hatte er mit dem unerwarteten Segen von 140 Talern eine Reserve für schlechte Zeiten. Wie nahe er am Abgrund zum Ruin stand, ja, vor einer Katastrophe, ahnte er nicht, wie Millionen andere ebenso unwissend waren.

 

Heute schrieb man den 8ten Juni 1783. Es war ein Dienstag und Jochen stand auf seinem Hof. Er schaute früh am Morgen nach Osten in die aufgehende Sonne, bevor er zum Melken der Kühe ging. Er genoss seit Jahren allmorgendlich diesen Anblick. Zudem schaute er aber auch prüfend nach dem Wetter, was es am Tag bringen würde. Es war für ihn und seine Familie überlebenswichtig.

 

Zwei Tage später stand er ebenfalls gewohnt früh auf, trat wie immer auf den Hofplatz, um die Sonne aufgehen zu sehen. Als er sich gerade recken und den Schlaf aus dem Körper drücken wollte, bemerkte er mit halboffenen Augen, dass etwas anders war. Es war keine Sonne zu sehen, auch das Licht war anders als sonst. Der Himmel war mit dunklen Wolken gefüllt. Das, was er erblickte, sah sehr bedrohlich aus, denn die Wolken waren auch anders als die ihm bekannten dunklen Wolken, die viel Regen mit sich führten, oder Stürme ankündigten. Es war eher so, als wäre der Rauch von unendlich vielen abgefackelten, feuchten Strohballen in der Luft und würde wie eine Nebelwand über dem ganzen Dorf stehen. Der Anblick fuhr im in die Glieder, denn diese dunklen Wolken und dieser Nebel machten ihm richtig Angst. Er schaute sich sorgenvoll um und sah, dass auch der linke Nachbar, schemenhaft durch den Nebel erkennbar, kopfschüttelnd auf dem Dammweg stand.

Jochen ging mit schnellen Schritten ins Haus und holte seine Familie und die Bediensteten nach draußen, damit sie es sich selbst ansehen konnten.

„Erschreckt euch nicht“, waren seine beschwichtigenden Worte. Allerdings hatte er damit keinen Erfolg, denn es sah aus, als ob das Jüngste Gericht bevorstand.

Seine Frau Anna bemerkte, was noch keiner von den Anwesenden gesehen hatte, weil sie alle in den Himmel starrten.

„Jochen, schau einmal. Hier liegt überall eine ganz feine Staubschicht auf den Pflanzen in unserem Kohlgarten.“

Die besorgte Stimme seiner Frau und die Tatsache der Staubschicht bedrückten ihn. Er sagte seinem Knecht, er müsse heute die Kühe alleine melken, er würde zum Amt reiten und vorher bei den Nachbarn nach dem Rechten sehen.

„Anna, schließe den Deckel vom Brunnen“, bis ich weiß, was das für ein Nebel am Himmel ist, der die Sonne nicht durchscheinen lässt. Und schick den Sohn zu den Immenkörben nach dem Rechten sehen.“

Anna drehte sich um und tat was Jochen ihr aufgetragen hatte. Sie half heute auch beim Melken. Als sie den Tisch decken wollte bemerkte sie, dass auch hier eine ganz feine Staubschicht auf dem blanken Holz lag. Sie wischte sie mit einem feuchten Lappen ab, wobei der Staub wie nasses Mehl, wie nasse Asche schmierte.

„Das ist kein Staub“, sagte sie laut zu sich selbst. „Aber was ist das?“, fragte sie sich und schaute besorgt drein.

Jochen kam nach einigen Stunden auf den Hof zurück. Er führte sein Pferd am Zügel.

„Ich war nicht in Bremervörde, ich war bei einigen unserer Nachbarn. Dieser trockene Nebel hat mir und dem Pferd das Luftholen schwergemacht. Bei den Nachbarn sieht es nicht anders als bei uns aus. Manch einer spricht vom Weltuntergang, aber ich glaube nicht daran. Was muss das für ein großes Feuer sein, dass soviel Asche hierher weht?“, fragte er seine Frau, womit er nicht ganz falsch lag. Er hatte schnell erkannt, worum es sich handelte, was ihm aber nichts nutzen würde.

Die Nachricht, dass es den Immen gut ging, der Sohn die Stöcke abgestaubt und mit Säcken abgedeckt hatte, beruhigte wenig.

Als dieser ungewöhnliche Nebel auch über Tage anhielt und daraus viele Wochen wurden, fingen auch die größten Optimisten an ernsthaft zu zweifeln und sich zu sorgen.

„Anna, ich habe die Befürchtung, dass es diesen Sommer mit der Ernte nichts wird. Wir haben zwar eine Menge Stroh und Heu im Haus, aber ich kann nicht sagen, wie lange es reicht. Gott sei Dank hat es seither nicht geregnet und der Staub ist hier und da fortgeweht worden, aber andernorts ist der Staub mehr geworden. Anstrengungen fallen sogar den Kräftigsten schwer und viele Alte und Kranke im Dorf bekommen kaum noch richtig Luft. Halte die Vorräte knapp und fahre morgen mit mir zum Krämer. Ich will Vorräte kaufen, damit wir über den Winter kommen. Nehme von den 140 Talern 40 mit. Der Wagen wird voll und die zwei Pferde werden es schwer haben. Die anderen bleiben hier auf dem Hof.“

„Jochen, der Pastor spricht auch vom jüngsten Gericht“, warf Anna ängstlich ein. Er nahm sie liebevoll in den Arm, was ihr in diesem Augenblick unheimlich gut tat.

Am darauf folgenden Morgen stellte Jochen zwei Eimer mit Wasser getränkten Lappen auf den Wagen. Den Pferden legte er einen trockenen Lappen um die Nüstern und befestigte sie am Geschirr. Er selbst band sich, auch seiner Frau, Tücher vor den Mund und die Nase, was das Atmen ein wenig erleichtern sollte, denn der Staub, den die Pferdehufe vor ihnen aufwirbelte sorgte ihn. Dann fuhren die beiden sehr früh am Morgen nach Bremervörde.

Es bereitete ihnen dennoch Probleme beim Atmen und in den Augen. Sie brauchten für die Fahrt statt einer, gute drei Stunden. Jochen hatte zudem Wasserschläuche für die Pferde mitgenommen, aber auch Kisten und zwei Fässer, Körbe, Seile und eine große Plane.

Überall wo sie vorbeifuhren und Nachbarn, aber auch anderen Menschen begegneten, trafen sie auf ebenso verängstigte Leute, wie sie es selbst waren. Mehrmals hielt er unterwegs an, nahm einen der nassen Lappen aus den Eimern und wischte und spülte damit Mensch und Pferd die Augen sauber. Die Pferde tränkte er aus den Wasserschläuchen. Seine Maßnahmen halfen ein wenig.

„In Bremervörde werde ich die Lappen der Pferde wechseln müssen. Aber es hilft“, sagte er aufmunternd zu Anna. Ansonsten sprachen sie nicht viel, denn das Atmen fiel ohnehin schon schwer durch die Lappen.

 

In Bremervörde angekommen sahen sie auch hier überall den Staub. Er versorgte zuerst die Tiere, während seine Frau gleich zum Krämer ging, dessen Laden gerade geöffnet hatte. Joachim folgte ihr nach einer Weile. Beide waren mit dem Krämer alleine und es gab auch nur ein Thema, der schreckliche, andauernde Nebel, der kaum Sonnenlicht durchließ und der feine Staub, der durch alle Ritzen gekommen war.

„Seid gegrüßt. Ihr seid aber früh unterwegs und ich freue mich euch zu sehen. Was führt euch zu mir?“, wollte der freundliche Kaufmann wissen.

Jochen fasste sich kurz.

„Hinter dem Haus steht mein Wagen. Ich möchte bei dir heute einkaufen, mir Vorräte anlegen, denn ich bin in Sorge. Zudem habe ich einigen Nachbarn versprochen etwas mitzubringen, damit nicht jeder hierher unterwegs ist. Was hast du denn da an Speckseiten, Schinken, Trockenfisch, Bohnen und anderes trockenes Zeug, das man lange lagern kann?“

Der Krämer freute sich über den frühen Kunden, der mit seinem Hamsterkauf Umsatz machte und ihm einen unerwarteten Gewinn brachte. Ihm war noch nicht bewusst, was sich im Land wirklich verändert hatte, und welche Folgen das haben würde. Deswegen waren seine Preise unverändert gleich. Dass Anna nicht nur die 40, sondern die ganzen 140 Taler mitgenommen hatte, dazu ihre Reserve von 60 Talern, verschwieg sie ihrem Ehemann aus gutem Grund. Sie ahnte aber, dass es gut investiert war, wenn sie das Geld in Vorräten anlegen würden.

Gemeinsam packten sie auch die Sachen für die Nachbarn zusammen, für die Jochen versprochen hatte dies und das mit zu bringen. Sie hatten ihm Geld dafür mitgegeben.

 

Als der Wagen mit dem gewünschten Bedarf gefüllt war, zählten Jochen und der Krämer die Waren noch einmal durch.

Da waren mehrere Schinken, Speckseiten, Würste, dazu ein Fass mit gepökeltem Fisch, Körbe voller Trockenfleisch, Pökelfleisch und Dörrfisch, Säcke gefüllt mit Buchweizen, Roggen, Gries und einiges mehr. Auch zwei kleine Fässchen Wein waren darunter. Sie gaben ihm die geforderten 100 Taler, hatten somit noch eine Reserve. Jochen war erstaunt, als Anna die Taler in bar bezahlte.

„Hör zu, ich komme am nächsten Sonntag vor der Predigt vorbei und stelle den Wagen hinterm Haus ab. Nach dem Gottesdienst möchte ich noch drei Schinken und vier Speckseiten unter der Plane finden. Das Geld dafür gebe ich dir jetzt ebenfalls in die Hand.“

Die beiden waren sich einig und hatten ein sehr wichtiges Geschäft gemacht, ohne den Krämerladen annähernd leergekauft zu haben.

Mit dem abgeplanten Wagen fuhr das Ehepaar die wenigen Kilometer gemächlich wieder nach Hause. Der ständige Staub machte den Pferden, durch die Last des vollgeladenen Wagens, das Atmen und Ziehen schwerer. Jochen legte mehrmals eine kurze Rast ein. Bei den Höfen, für die er etwas mitbringen sollte, hielt er kurz an und lud die Sachen ab.

„Es war gut, dass du mehr Geld mitgenommen hast. So konnten wir auch das bezahlen, was heute nicht mehr auf den Wagen passte. Ich darf ihn ja auch nicht zu schwer beladen, sonst brechen mir die Pferde unterwegs noch tot zusammen“, lobte er seine Frau, deren Antwort er wegen der Tücher vor dem Mund nicht verstand.

Auf seinem Hof angekommen, fuhr Jochen den Wagen unter den Schauer und ließ die Plane auf dem selbigen.

 

Anna ging ins Haus und Jochen zäumte mit seinem Knecht die Pferde ab, führte sie in ihren Pferch. Dort erhielten sie frisches Wasser, reichlich Hafer und hinreichend Pflege. Zuvor hatten beide draußen die Pferde abgebürstet, damit die Asche draußen blieb.

 

Danach beauftragte er den Knecht zu seinen Verwandten nach Hesedorf zu gehen, denn der Fußweg würde dem Knecht leichtfallen. Zudem brauchten die Pferde Erholung. Die Magd schickte er zu Annas Familie nach Westerholz. Beide sollten Briefe überbringen, die Anna gleich zu schreiben begann. Er mahnte sie, reichlich Wasser mit auf den Weg zu nehmen und ihre Münder, Augen und Nasen gut zu schützen.

Sie teilten ihren Verwandten mit, dass es ihnen gut gehe, sie sich aber Sorgen machten, wie es mit der Ernte werden würde. Sie fragten an, wie viel Torf die Familien zum Winter benötigen würden, baten daher um Mitteilung, um es einplanen zu können. Weiterhin versicherte Anna, dass der Preis dafür wie im letzten Jahr gleichbleiben würde, schließlich handelte es sich ja um Familie. Sie hatten die Unterstützung der Familie beim Hausbau in Ostendorf nicht vergessen.

 

Nachdem sich die beiden auf den Weg gemacht hatten, holte Jochen seine Söhne zusammen.

„Hört zu, die beiden sind ein paar Tage unterwegs. Ihr habt das Wetter mit dem trockenen Nebel und der Asche in letzter Zeit erlebt. Ich mache mir ernsthaft Sorgen um unsere Ernte. Ohne ausreichend Sonne und ohne genug Regen, im richtigen Verhältnis zueinander, wächst auf dem Feld kein Ertrag. Der Staub und die Asche machen den Bienen das Honigsammeln verdammt schwer. Die Kühe fressen das staubige Gras kaum, und dieser Staub dringt durch die kleinste Ritze. Deswegen haben eure Mutter und ich beschlossen, dass wir uns heimliche Vorratslager anlegen. Dazu werden wir zwei Erdbunker1 bauen. Da wir hier im Moor leben, können wir nicht einfach in die Erde graben, wie bei eurem seligen Großvater auf dem Hof.“

Sie nickten zustimmend. Die Ruhe und Entschlossenheit des Vaters machten ihnen Mut.

„Der Knecht und die Magd dürfen davon nichts wissen, denn es sind Notvorräte. Wenn es zu einer großen Notlage im Land kommt, könnte das Wissen darüber Spitzbuben, Diebe und Mörder, aber auch anderes Gesindel anlocken, um uns die Grundlage zum Leben zu stehlen. Natürlich bekommen die beiden auch von den Notvorräten, aber es ist besser, sie wissen nichts davon, dann können sie sich auch nicht verplappern.“

Dass es um die Menschen auf dem Hof und um das Überleben und Überstehen des nächsten Winters ging, hatten alle Söhne verstanden. Keiner würde auch nur ein Wort an andere darüber verlieren. Dem Krämer hatte er einen extra Taler für sein Schweigen über seinen Einkauf gegeben, ihm aber auch gedroht, dass, sollte er es erzählen, Joachim und alle seine Verwandten zukünftig beim anderen Händler einkaufen würden.

Der Nebel und die Dunstglocke kam ihnen bei dem Vorhaben die Erdbunker anzulegen sehr zu Gute. Die ganze Aufmerksamkeit der Nachbarn war auf deren Probleme gerichtet. Der Bauer wusste aus Gesprächen, dass ein jeder seiner Nachbarn notwendige Vorkehrungen treffen würde.

 

Dass Jochen einen großen Haufen an gutem Boden hinter der Scheune angehäuft hatte, kam ihm nun gelegen. Dennoch kamen sie reichlich ins Schwitzen.

Die Söhne trugen die Grasnarbe ganz vorsichtig ab und legten sie sorgsam bei Seite, aber nicht ohne sie dabei feucht zu halten. Dann zimmerten sie zwei Verschläge in denen ein Mann gekrümmt stehen konnte, der auch so breit und lang war, dass ein Mann seine Arme ausbreiten konnte und sich auch zu drehen vermochte. Die Ziegel, die Jochen für den Bau eines Hauses gesammelt hatte nutzten die Familie, um den Boden doppelt auszulegen, damit es einen steinernen Fußboden gab. Darauf setzten sie den gezimmerten Kasten, der eine Öffnung für eine Tür hatte.

Von außen ummantelten sie den Kasten mit einer eingeölten Plane. Dann stapelten sie eine doppelte Wand aus Ziegeln um den Kasten herum und auch obendrauf. Das verhinderte nicht nur das Durchgraben und Eindringen von Tieren, sondern hielt, mit der darüber angehäuften Erdschicht, die mit den feucht gehaltenen Soden begrünt wurde, den Innenraum kühl, wie bei einem Kühlschrank. Mit der eingefetteten Plane und den Grassoden wollte er verhindern, dass Regenwasser hindurch kommen konnte.

Jochen baute aus Erfahrung gegen Überflutung noch ein Gerüst ein, das nicht auf dem Boden stand. Das Wasser der Oste trat ab und an über die Ufer. Die versteckten Türen waren aus dicken Eichenbohlen gezimmert und ließen keine Maus, geschweige denn eine Ratte durchschlüpfen. Diese trockenen und harten Bohlen verhinderten auch ein „sich durch das Holz fressen“. Im Dachboden baute Jochen eine Ecke aus, um dort die Vorräte so aufhängen zu können, dass sie trocken blieben, zudem auch, dass keinerlei Viehzeug, wie Ratten oder Fledermäuse sich daran zu schaffen machen oder die Vorräte verschmutzen konnten. Anna hatte alle Schinken und Speckseiten doppelt in Tücher eingeschlagen, damit sie vom allgegenwärtigen Staub verschont blieben. Die Art des Aufhängens war eine Kunst, die dazu diente, dass nicht einmal ein Nagetier an den Schätzen knabbern konnte.

Für diese Arbeiten brauchte die Familie volle drei Tage, dann waren alle Verstecke fertig. Durch geschicktes Stapeln von Holz vor den Erdbunkern verbarg er diese vor neugierigen Augen. Auf die Frage der Söhne, was er dem Knecht erzählen würde, antwortete er: „Ich werde ihm sagen, dass ich Vorräte anlegen will und dieses Holz trocken ist. Die Planen über den Scheiten schützten sie vor der Nässe. Auf dem nun frei gewordenen Platz wird das Holz, im Schutz der Hauswand unter der Traufe, rascher trocknen. Anna, ich hoffe nicht, dass uns das Schicksal straft. Die Bienen benehmen sich recht ungewöhnlich. Gott sei Dank ist es noch trocken. Stell Dir vor, auf den Staub fällt Regen, dann würde alles verschmieren. Wir werden mit dem Honig sparsam sein müssen. Möglicherweise brauche ich ihn, damit die Immen jetzt und im Winter nicht verhungern. Ich baue heute nun noch ein Dach über den Immenzaun zu ihrem Schutz. Was soll das noch werden?“

 

Er wusste nicht, wie Recht er mit seiner Annahme behalten würde. Den Nachbarn erzählte Jochen, dass sie etliche Ausbesserungsarbeiten am Haus und Stall wegen der Verschmutzung durchführen mussten. Mit dem Lehm versuchten sie wahrlich Ritzen und Löcher abzudichten.

 

Am Tag, nachdem die Familie die Arbeiten für die Vorräte beendet hatten, fingen die Wolken an ihre Last ab zu werfen. Es kühlte sich merklich ab und fing mit einem leichten Nieseln an, der den Staub zu einer schmierigen Masse werden ließ. Der Regen wurde immer stärker, während die Familie im Haus saß. Ein Teil des Viehs hatte Jochen vorsorglich ins Haus geholt.

„Endlich“, sagte Anna.

„Nun wird der ganze Dreck von den Pflanzen gespült und das Vieh hat wieder zu Fressen und mein Kohl wird auch sauber.“

Kurz darauf öffnete sich die kleine Seitentür und die beiden Ausgesandten kehrten pitschnass zurück. Sie hatten es nicht mehr vor dem Regenschauer ins Haus geschafft.

„Da sind wir wieder, wenn auch vollkommen durchnässt“, sagte der Knecht und übergab die Magd der Bäuerin, sich um sie zu kümmern.

„Ich bin froh, dass ihr zurück seid“, sagte Jochen.

„Zieht euch etwas Trockenes an, trinkt ein Bier und esst erst einmal, nachdem ihr euch aufgewärmt habt. Dann ruht euch erst einmal richtig aus.“

Draußen tobte nun ein kräftiges Unwetter mit Blitz und mächtigen Donnerschlägen.

„Junge, stell die Eimer mit Wasser gefüllt zum Löschen bereit, falls der Blitz bei uns einschlägt“, wies Jochen seinen Ältesten an. Der tat gleich was der Vater ihm aufgetragen hatte.

„Was bringt ihr für Nachrichten aus Westerholz und Hesedorf mit?“, wollte Anna begierig von den Beiden wissen, während sie ihnen auftischte.

Der Knecht sprach für Beide, denn die Magd war von der Reise geschwächt und noch immer wie durchgefroren, obwohl es eigentlich Sommer war. Dieser Juli war anders, als alle bislang erlebten.

„Wir haben unterwegs Felder gesehen, die einzugehen scheinen. Sie sind nicht nur durch die lange Dürre und Hitze verdorrt, sondern auch durch das fehlende Sonnenlicht irgendwie anders. Dazu hat der viele Staub auf den Pflanzen großen Schaden angerichtet. Ich kann aber nicht sagen wieviel. In Hesedorf, wie in Westerholz sind alle wohlauf, aber ebenso um die Zukunft besorgt, wie wir. Wir sind beide überall zusammen hingegangen. Ich wollte sie nicht alleine gehen lassen. Ab und an viel auch das Atmen schwer, wie bei einem Torschwelbrand, wenn einem der Rauch den ganzen Tag einnebelt. Wir sollen 4 Fuhren Torf liefern, zwei nach Hesedorf und zwei nach Westerholz. Da es nicht eilt, sollen wir es tun, wenn es unsere Zeit nach der Ernte zulässt. Das Anliefern ist zugleich mit einer Einladung für alle verbunden.“

Damit endete der Knecht und leerte seinen hölzernen Krug, den er sogleich der Bäuerin zum Füllen hinhielt. Sie erfüllte ihm seinen Wunsch gerne. Sie schaute die beiden an und sah, dass der Regen den ganzen Schlamm aus den Haaren gespült hatte.

„Das sind sehr gute Nachrichten, wenn man die schlimme Lage bei Seite lässt. Das habt ihr gut gemacht“, lobte Jochen.

„Bauer, wir sind so spät gekommen, weil ich mir noch unsere Felder ansehen wollte. Ich fürchte, dass unsere Ernte schlecht ausfällt, dem Anschein nach komplett“, sprach der besorgte Knecht.

„Ich sehe es mit Sorge genauso“, antwortete Jochen, ein wenig ratlos erscheinend.

„Wenn ihr mögt, könnte ihr für ein paar Tage zu euren Familien gehen. Schaut, wie es ihnen geht“, bot der Bauer an.

Dann stand er auf und blickte durch das kleine Fenster nach draußen, wo der heftige Regen vom Wind gepeitscht und von Donner begleitet sein Unwesen trieb.

„Was bin ich froh, dass wir alles fest haben. Sobald es ruhiger wird, gehen wir nachsehen, ob es irgendwelche Schäden an Haus und Hof gibt, aber auch nach dem Vieh draußen auf der Weide und meinen Immen.“

Im Raum schwebte eine niedergeschlagene Stimmung, dazu seit Wochen das fahle neblige Licht und die jetzt dunkle Welt mit Donner und Blitz.

Der Sturm tobte unvermindert die ganze Nacht hindurch und flaute erst in den frühen Morgenstunden ab.

Am Morgen stand Jochen wieder draußen auf dem Hofplatz wie eh und je. Doch sah er seit Anfang Juni nicht das ihm bekannte und beruhigende Bild der aufgehenden Sonne, sondern weiterhin eine immer grauer werdende Welt. Bei seinem Rundgang nahm er seinen Ältesten und seinen Knecht mit.

Das Land war sehr nass, die Pfützen waren reichlich auf dem Hof vorhanden, überall lagen kleine Äste, die der Sturm aus den Bäumen gebrochen und ins Land verteilt hatte. Es roch auch irgendwie anders als sonst, wenn es geregnet hatte, und Jochen vermisste das Zwitschern der Vögel. Bei den Bienen angekommen, sahen die Männer, dass ein herabgefallener Ast einen Bienenkorb stark beschädigt hatte. Da es recht kühl war, hielt sich die Aktivität der Immen in Grenzen.

Die Zäune waren hingegen unversehrt geblieben. Er wies den Knecht an, die Immen in den Schauer zu stellen. An der Oste angekommen sahen sie, wie bedrohlich hoch der Wasserpegel war, was sie auf die heftigen Niederschläge zurückführten.

Die drei Kühe auf der Weide waren vollzählig und ebenfalls unversehrt. Doch der Schein trog, wie sich in wenigen Tagen zeigen würde. Er ließ sie in den Kuhstall bringen, da sie hier kaum noch etwas zu fressen fanden und er in Sorge war, dass der Staub und Schlamm den Schwarzbunten schaden könnten.

Das Korn auf den Feldern war umgeschlagen und vom starken Wind geknickt, während die Ähren im Nassen lagen.

„Die Dächer haben gehalten, auch die Fenster sind noch heil. Die Frauen öffnen bereits die Fensterklappen“, waren die einzigen Worte, die beim Rundgang der Männer aus dem Mund von Jochens Knecht kamen.

Sie verstanden sich auch ohne Worte, jedenfalls redeten sie von Haus aus nicht viel miteinander. Mal ein Fingerzeig, ein Blick, eine Kopfbewegung, oder eine Handbewegung reichten ihnen vollkommen. Sie hatten sich ab und an über die Geschwätzigkeit der Frauen lustig gemacht, denn bei der Arbeit blieb wenig Luft zum schnattern.

Der Regen hatte die Luft ein wenig staubfreier gemacht, so dass das Atmen bei schweren Arbeiten wieder leichter fiel. Der Übernachbar litt seit Jahren an Asthma. Die zusätzliche Belastung der Staubwochen war zu viel für ihn. Er starb jämmerlich an Luftnot, was sie beim Rundgang erfuhren.

Tage später erkrankte eine der drei Kühe. Der Bauer führte es auf das schlechte Gras zurück. Dass es das Regenwasser war, konnte er nicht ahnen.

Solange die Kuh krank war, konnte ihre Milch nicht verwertet werden. Das war ein Verlust für den Bauern. Doch hatte er im Gegensatz zu manchem Nachbarn Glück, denn hier und da starben Kühe, Schafe und andere Nutztiere in Mengen. Das brachte manchen Moorsiedler existenzbedrohend an den Rand des Ruins, denn das Fleisch zu essen wagten sie nicht.

Auch ahnte niemand, wo diese Klimaverschlechterung ihre Ursache hatte. Erst viele Jahre später waren die Menschen in der Lage diese globale Katastrophe einzuordnen.

Am 8ten Juni 1783 kam es in Island zu einem heftigen Vulkanausbruch der ganze acht Monate andauerte. Die dabei ausgeworfenen Gas- und Aschewolken aus dem Laki-Krater enthielten eine ungeheure Menge an Schwefeldioxid, das der Wind über ganz Europa, über die vielen Monate verteilte. In Verbindung mit Regen verwandelte sich das Gas zu einer schwefelhaltigen Säure, teilweise sogar zu Schwefelsäure, die Schäden an Fauna und Flora verursachte. Noch lange nach dem Ende der Eruptionen, im Februar 1784, beeinflussten die Gas- und Aschewolken das Klima.

 

Die gesamte Ernte auf Hoops fiel in diesem Jahr, wie erwartet, sehr schlecht aus. Dass es das gesamte Amt, ja ganz Europa traf, tröstete niemanden im Dorf. Nicht alle Bauern konnten für den Winter ausreichend vorsorgen, und zugleich für die Aussaat im nächsten Frühjahr Mittel zurücklegen.

Jochen hatte so viel Vorräte für die Menschen gebunkert, dass er bei einem kompletten Ausfall der Ernte durch den Winter kommen würde. Zugleich hatte er auch ausreichend Saatgut für das nächste Frühjahr auf dem Hof.

Lediglich der Vorrat an gutem Heu war ihm nicht vergönnt.

Was des einen Pech, ist des anderen Glück. Sein linker Nachbar hatte alle seine Kühe verloren. Sein Dachboden war aber voll guten Heus. Er tauschte eine gesunde Kuh und einen Schinken gegen etliche Fuder Heu ein. Damit war beiden geholfen.

Nun musste er nur noch dafür Sorge tragen, dass alles trocken und geschützt gelagert wurde. Seine zwei Erdbunker waren dem Knecht, aber auch der neugierigen Magd verborgen geblieben.

 

Das Erntedankfest fiel in diesem Jahr bescheiden aus, doch die Dankbarkeit der Menschen für das verbliebene Ernteergebnis war sehr groß.

Der Krämer verdiente anfangs noch sehr gut, doch dann stockte der Nachschub an Nahrungsmitteln, sodass er für sich und seiner Familie eine gesonderte Speisekammer hinten im Haus einrichtete und üppig füllte. Bislang hatte er die Vorräte seines Geschäfts dazu genutzt.

Es gab Tage, da waren die meisten Regale und sein Lager leer und er konnte nichts verkaufen. Seinem Konkurrenten erging es nicht besser.

Für die Bürger im nahen Bremervörde war das eine Katastrophe, denn sie hatten in ihren Bürgerwohnungen nur begrenzte Möglichkeiten Lebensmittel zu lagern, und nicht jeder hatte einen kleinen Gemüse- und Kohlgarten, oder Hühner. Dabei nutzten Gärten bei der Wetterlage wenig.

Die Lebensmittelpreise waren deutlich gestiegen, seitdem bekannt wurde, dass die Ernte nicht wie erhofft ausfallen würde.

Der Winter kam dieses Jahr recht früh. Er kündigte sich nicht wie sonst an. Der erste Nachtfrost, Anfang November, kam sehr überraschend. Dass damit der Bedarf an Brennmaterial steigen könnte, war eine weitere Belastung für die Menschen. Brennmaterial war teuer und würde bei einem lang andauernden Winter für viele unbezahlbar werden. Zudem war der Staub in die Ritzen des Brennmaterials hineingedrungen, und verursachte einen greulichen Gestank beim Verbrennen.

Der erste Nachtfrost war für Jochen das Zeichen, dass es Zeit war, die vier Wagenladungen Torf nach Hesedorf und Westerholz zu bringen.

Diese Aufgabe für die ersten drei Fahrten übertrug er seinem Knecht. Die letzte Fahrt würde er selbst mit der Familie durchführen, während der Knecht mit der Magd für drei Tage als Stallwache zurückblieb.

Unterwegs sprach er mit Anna, die neben ihm auf dem Bock saß, über ihre Situation.

„Anna, ich denke, dass wir den Knecht und die Magd, trotz der angespannten Lage, auf dem Hof halten sollten und können. Wenn sie nicht wechseln wollen, dürfen sie bleiben. Was meinst du dazu?“

Anna pflichtete ihm bei. „Das sollten wir tun. Ich werde es ihnen gleich nach unserer Rückkehr anbieten. Dann haben sie Zeit es sich bis Januar zu überlegen. Ich bin mit ihnen sehr zufrieden.“

In Hesedorf und Westerholz gab es herzliche Wiedersehensszenen. Die zwei Abende im Kreise der Familie taten besonders den beiden Eltern gut. Die waren jeweils eine Nacht in beiden Dörfern, bevor Jochen mit den Seinen nach Ostendorf zurückfuhr.

Die Fahrt führte durch ein eher trostloses Land, dessen Lebensfreude gelitten hatte, weil die Sorge vor dem bevorstehenden Winter in der schon stickigen Luft lag.

Der trockene Nebel wollte einfach nicht aufhören die Menschen und das Land ins Grau, ohne klare Sonnentage, ein zu hüllen. Heute würde man es als Smog bezeichnen.

 

Anfang Dezember fiel der erste Schnee und der Frost hielt bis zum März 1784 an. Als die Menschen hörten, dass sogar die Elbe zugefroren war, wurde die Sorge größer. Dass dadurch der Schmuggel über das Eis der Elbe nach Dithmarschen für Einzelne ein Glücksfall war, half auch den Menschen in Ostendorf ein wenig.

Die Angst, dass die Brunnen zufrieren, dass das Eis der Oste zu stark ist, um Wasser zu enthalten, ging um. In den Niedersachsenhäusern und kleinen Moorkaten, die teilweise noch mit Grassoden bedacht waren, lag die Temperatur, trotz Flettfeuer und Vieh, in der Diele regelmäßig um den Gefrierpunkt. Dabei taute kein Eis oder Schnee zu Wasser. Es im Kessel über dem Feuer aufzutauen kostete wertvolles Brennmaterial, und die Verdunstung würde Eiszapfen im Haus an die Decke und an die Vorräte, die im Rauch hingen, verursachen.

Durch den dreimonatigen Dauerfrost blieben die Menschen überwiegend in ihren Häusern eingesperrt. Dazu kam die Wirkung der dunklen Jahreszeit, die durch die stinkenden Aschewolken noch verschärft wurde. Es war eine schlimme Situation in allen Häusern und ein extremer Winter, der die Stimmung der Menschen bis zur Verzweiflung trieb.

 

Auf dem Hoopshof reichten die Vorräte durch den Winter gerade so. Dem Nachbarn wurde mit einer Speckseite ausgeholfen und auch mit der einen Kuh war er sehr zufrieden.

Der Dauerfrost führte auch dazu, dass viele Beisetzungen aufgeschoben werden mussten, da der Frost immer tiefer ins Erdreich hineinreichte. Die Särge stapelten sich in manchen Häusern.

Ende Februar bemerkte Jochen, dass der Frühling sich anschickte einen Versuch zu starten. Auch der Nebel schien nachzulassen und ließ ab und an auch einmal die Sonnenstrahlen bis auf die Erde reichen.

Der Hof war hüfthoch eingeschneit und an manchen Stellen hatte der Wind Schneedünen und kleine Hügel kreiert.

Jochen grauste schon vor dem Tauwetter.

„Anna, wir leben im Dorf, die Oste unweit entfernt, der Boden tiefgefroren. Wenn das Tauwetter kommt, werden wir hier im Schlamm und Wasser ersaufen, wenn wir nicht aufpassen. Gut ist, dass wir die wichtigen Dinge hoch gelagert haben. Ich werde morgen beginnen die verbliebenen Vorräte aus den Erdbunkern auf den Boden umzulagern. Dass unser Knecht und die Magd bei uns bleiben gibt mir Zuversicht, diese schlimme Zeit gut zu überstehen.“

 

Der Knecht wie die Magd waren für zwei Wochen bei ihren Familien. Während dieser Zeit lagerte Jochen mit seinen Söhnen die Vorräte auf das Bodenlager um. Dabei stellte er fest, dass die Anlage der Erdbunker gelungen war.

„Wir werden sie wohl noch häufiger nutzen“, stellte er für sich fest.

Den Schlitten würde er wohl bald nicht mehr brauchen. Er hatte sich aber als zweckmäßig und hilfreich in den drei Eis- und Schneemonaten erwiesen.

Die Veränderung der Großwetterlage und das Ende der Ausbrüche auf Island sorgten dafür, dass das Tauwetter unerwartet rasch einsetzte.

 

Das viele Eis und die schweren Schollen behinderten den Abfluss des Schmelzwassers. Dadurch kam es wieder zu Überschwemmungen und zu schwerem Eisgang. Durch einzelne Nachtfröste froren die übereinander geschobenen Eisschollen wieder fest zusammen.

Der erneute Kälteeinbruch mit heftigen Niederschlägen machte allen das Leben, besonderes die Versorgung und Transporte, erneut sehr schwierig.