Die nächste Frau - Sanne Hipp - E-Book

Die nächste Frau E-Book

Sanne Hipp

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Beschreibung

Alex zieht frustriert einen Strich unter ihr bisheriges Leben. Sie benötigt Abstand von ihrer jetzigen Beziehung, die eigentlich keine Beziehung ist und es auch nie werden wird. Da hilft nur ein Ortswechsel. Ein Stellenangebot lockt sie ins ländliche Sauerland. Es ist ein Neuanfang, und sie nimmt sich vor, bei der nächsten Frau alles anders zu machen. Die Nächste wird auf jeden Fall offen zu ihr stehen. Bereits am Tage ihres Vorstellungsgesprächs kreuzen sich ihre Wege mit denen einer attraktiven, wenn auch unhöflichen Motorradfahrerin. Wochen später treffen sie wieder aufeinander. Alex ist Leiterin eines Seniorenzentrums und muss feststellen, dass es sich bei der attraktiven Frau um eine ihrer Mitarbeiterinnen handelt. Eine Tatsache, die Probleme schafft, und Alex bald an ihre Grenzen bringt.

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DIE NÄCHSTE FRAU

SANNE HIPP

INHALT

Anmerkung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

ANMERKUNG

Dieses Buch ist ein Stück Zeitgeschichte. Meine »Schreibkarriere« begann mit einem Literaturwettbewerb im Jahr 2013, mit dieser Geschichte Nr. 6. Damals trug sie den Titel »Geliebte Jackie.«

Das Buch ist so etwas, wie ein Groschenroman mit Überlänge. (Ein klassischer Groschenroman beschränkt sich auf vierundsechzig Seiten ;-)). Er hat keinerlei Realitätsanspruch, liest sich aber leicht und flüssig.

Eine Triggerwarung möchte ich dennoch aussprechen: Eine der Protagonistinnen wurde in ihrer Kindheit sexuell missbraucht. Die Erinnerung daran wird erzählt. Falls dich dieses Thema belastet, rate ich dir, diese Stelle zu überlesen.

Mehr über Sanne Hipp unter: https://sanne-hipp.de

1

Manchmal gab es Tage in ihrem Leben, an denen ihr einfach alles gelang, und dieser Tag gehörte eindeutig dazu. Sie würde ihn im Kalender ankreuzen und ihn dankbar in Ehren halten, nahm sie sich vor. Alex hatte ihren Arbeitsvertrag unter Dach und Fach und war schon wieder auf dem Heimweg. Was hatte sie doch für ein Glück! Unbändige Freude stieg in ihr auf. Noch nie war sie so problemlos zu einer neuen Stelle gekommen, und dann auch noch zu ihrem Traumjob! Sie drückte sich genießerisch in ihren Sportschalensitz und juchzte einen leisen, unterdrückten Freudenschrei.

Ihr Leben würde sich mit dem heutigen Tag verändern – zum Positiven! Jetzt konnte sie Kontakt mit ihrer Maklerin aufnehmen und umziehen, denn sie hatte den Job, mit dem das Sauerland gelockt hatte. Vielleicht eine kleine Umstellung für jemanden, der in Bochum groß geworden war, aber es gefiel ihr hier.

Alex ließ ihren Blick über die Felder schweifen. Jetzt würde es mit jedem Tag wieder grüner werden. Es war erst Mitte März, aber die Sonnenstrahlen hatten bereits die Kraft eines Sommertages. Der Himmel über ihr erstrahlte in einem kräftigen Blau, durchzogen von einigen wenigen Schönwetterwolken.

Da weit und breit kein anderer Autofahrer unterwegs war, konnte sie es sich erlauben, ihre Geschwindigkeit auf 50 Stundenkilometer zu drosseln, um das Dach ihres Boxsters zu öffnen. Sie drückte auf einen Knopf an ihrem Armaturenbrett. Innerhalb weniger Sekunden faltete sich das Stoffdach zusammen und versenkte sich im Kofferraum. Mit einem leisen Geräusch schloss sich die Heckklappe wieder.

Die Gerüche des Frühlings strömten vielversprechend auf sie ein. Herrlich!

Sie fuhr gerade in eine enge Kurve, als sie zum Bremsen gezwungen war. So ein armes Schwein – jemand schob sein Motorrad aus der gefährlichen Enge bis zur nächsten Einmündung eines Feldweges. Alex verringerte ihr Tempo und fuhr rechts ran. Vielleicht konnte sie ihm ja etwas helfen.

Sie schaltete das Warnblinklicht an und wartete auf den Fahrer mit seiner Maschine.

Es dauerte nicht lange, bis er sie erschöpft erreichte und sein Motorrad auf den Seitenständer abstellte. Sie musterte es interessiert.

Es war ein Chopper, ein gemütliches Motorrad mit niedriger Sitzposition und hohem Lenker – wie geschaffen zum entspannten Touren. Aber natürlich nicht zum Schieben. Sie konnte den Frust des Fahrers durchaus nachempfinden.

»Was ist los? Ist Ihnen der Sprit ausgegangen?«, rief sie ihm entgegen, stieg aus und ging auf ihn zu.

Er nahm den Helm ab.

»So ein Scheiß-Moped!« Auch wenn die Stimme vor sich hin schimpfte, sie hatte einen angenehmen Klang. Aber vielleicht empfand Alex das auch nur so, weil es eindeutig eine weibliche Stimme war. Und einer sehr attraktiven Frau gehörte, stellte sie mit einem verblüfften Blick fest. Gerade strich sie sich mit einer fahrigen Bewegung über ihre kurzen, glänzenden blonden Haare.

»Kann ich Ihnen helfen?«, wiederholte Alex ihre Frage. Es war kein leeres Angebot – schließlich war sie selbst lange Jahre Motorrad gefahren.

Auch aus unmittelbarer Nähe sah die Fremde sehr anziehend aus. Ihre Deckhaare waren länger, nur an den Seiten und im Nacken waren sie zentimeterkurz geschnitten. Ihr Friseur verstand eindeutig etwas von seinem Handwerk. Es betonte in besonderer Weise die schöne Kopfform der Fahrerin. Ihre Ohren wiesen mehrere Ringe und Stecker auf. Auch ihr Nasenflügel war gepierct und mit einem dezenten Ring verziert, was ihr sehr gut stand.

Sie schien Alex gar nicht recht zu bemerken, auch nicht, als sie direkt neben ihr stand. Sie starrte nur auf die Chopper und sagte mehr zu sich selbst als zu ihr: »Sprit ist doch drin, der Tank ist gut halbvoll.« Wie zur Bestätigung setzte sie sich wieder darauf und bewegte die Maschine zwischen ihren Beinen hin und her. Es waren deutliche Gluckergeräusche aus dem Tank zu hören. An mangelndem Benzin konnte die Panne also nicht liegen.

Alex grinste. Sie konnte sich bereits denken, was das Problem war. »Das ist nicht Ihr eigenes Motorrad, nicht wahr?«, versuchte sie ein Gespräch zu beginnen.

»Nein.« Die Antwort kam nur widerwillig, und der Tonfall sagte so viel wie: ›Ich wüsste nicht, was Sie das angeht.‹

Aber Alex ließ sich nicht so schnell abweisen, nicht von dieser Frau. »Und Sie haben sie zum ersten Mal ausgeliehen?«

»Ja, Mann«, brachte die Fahrerin gerade so heraus, ungeachtet der Tatsache, dass es eine Frau war, die mit ihr sprach.

Vielleicht hatte es eine so bildhübsche Person nicht nötig, höflich mit dem Rest der Welt umzugehen. Die Bewegung ihrer linken Hand war recht ungehalten. Temperament hatte sie, auf jeden Fall, stellte Alex fest, während ihr mittlerweile amüsierter Blick immer noch auf die Fahrerin gerichtet blieb.

Die fremde Frau ließ sich endlich dazu herab, Alex anzusehen. Ihre funkelnden blauen Augen zeigten deutlich, wie genervt sie war.

Alex war hingerissen.

Das war kein Graublau oder Grünblau. Nein, allertiefstes Blau.

Wahnsinn.

»Warum?«, hörte sie die Unbekannte fragen.

Alex brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass sie auf ihre letzte Frage Bezug nahm. Ihre hübschen Augen waren etwas zusammengekniffen. Sie schien ihr nicht zu trauen.

»Was fahren Sie denn sonst?«, fragte Alex nach. Sie würde es doch wohl schaffen, mit dieser Frau wenigstens ein, zwei Sätze zu wechseln!

»Eine 1100er BMW.«

Alex lächelte. Das hätte sie sich fast gedacht. Mit ihrem konservativen Gore-Tex Motorradanzug und dem Vollvisierhelm passte ihr Stil nicht zu dem coolen Chopper. Wahrscheinlich war sie heute zum ersten Mal auf so einem Motorrad unterwegs. Sie würde ihr etwas Nachhilfe geben, entschied sie. Ihre linke Hand griff also zum Motorrad, in die Nähe ihres linken Knies, und drehte einen kleinen metallenen Hahn so, dass er nun nach unten zeigte.

»Sie haben vergessen, den Benzinhahn zu öffnen. Bei diesem Modell müssen Sie das immer noch von Hand tun. Wie weit sind Sie denn mit dem geschlossenen Hahn gekommen? Einen Kilometer oder zwei?«

Die Frau hatte ihre Bewegung verblüfft verfolgt. »Das darf nicht wahr sein«, stöhnte sie auf, »Warum bin ich da nicht selbst drauf gekommen?« Ihr genervter Ausdruck war plötzlich verflogen. Ihre Hand strich wieder über die blonde Kurzhaarfrisur, eine Verlegenheitsgeste.

Alex ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie es ihr gerne nachgemacht hätte. Wie würde sich das anfühlen? Die Fremde hatte zwar ungeschliffene Manieren und ein etwas ungezügeltes Temperament, aber sie war eine äußerst attraktive Frau.

Alex konnte gar nicht anders: Sie musste es zumindest versuchen! Frauen mit kurzen, blonden Haaren hatten sie von jeher fasziniert. »Ich war einen Augenblick lang versucht, es Ihnen zu verschweigen, dann hätte ich vielleicht eine Chance gehabt, Sie nach Hause fahren zu können. So wie es aussieht, habe ich mir das soeben selbst verbaut.«

Ihr Blick war eine Einladung gewesen, aber diese Frau reagierte nicht darauf. Nicht im Geringsten.

Die Unbekannte zog es vor, den Motor zu starten. Sofort erklang ein kräftiges Röhren. Sie konnte also wieder weiterfahren und nahm dies erleichtert zur Kenntnis. Ihre rechte Hand drehte am Gasgriff. Alex spürte Enttäuschung in sich hochsteigen. Das war’s dann wohl. »Einen schönen Tag noch«, sagte sie resigniert in das Motorengeräusch hinein. Sie wandte sich ab, ging zu ihrem Boxster, ließ sich mit einem Seufzer in den Fahrersitz fallen, startete den Motor und fuhr davon.

»Schade, wirklich zu schade.«

Im Rückspiegel wurde die Frau mit dem Motorrad immer kleiner, bis sie völlig aus ihrem Sichtfeld verschwand.

Alex beschleunigte, spürte den Anzug des kräftigen Motors, der es sonst immer schaffte, sie zu begeistern. Jetzt reichte es gerade aus, ihr etwas Trost zu spenden. Sie schluckte ihre Enttäuschung hinunter, schaltete das Radio an und versuchte, die hübsche Frau wieder aus ihren Gedanken zu verdrängen.

Ihr Blick wanderte zum Beifahrersitz. Da lag er, ihr Vorvertrag. Ihre Freude kehrte zurück.

Sie hatte es geschafft! Ihre zukünftige Arbeitsstelle stimmte mit ihrem beruflichen Profil tatsächlich zu hundert Prozent überein. Übernächsten Monat würde sie ihre neue Tätigkeit als Hausleitung des Seniorenzentrums Am Mühlbach beginnen. Ein Verbund mit zwei Pflegestationen, einer Tagespflege, achtzig betreuten Wohnungen und einem ambulanten Pflegedienst. Sie würde die Verantwortung für knapp neunzig Mitarbeiter haben, die Hauswirtschaft und das Reinigungspersonal nicht mitgerechnet.

Es würde eine neue Herausforderung für sie sein.

Und doch hatte ihr Hochgefühl soeben einen deutlichen Dämpfer erhalten. Ihre Gedanken waren wieder bei der blonden Motorradfahrerin.

Was für eine hübsche Frau!

Wieder seufzte sie auf.

Ganz offensichtlich war sie nicht ihr Typ.

2

»O Gott. Ich bin so bescheuert, ich kann es selbst nicht fassen. Die wollte was von mir. Die stand auf Frauen!« Jackie fasste sich an die Stirn, als es ihr jetzt erst aufging, was ihr da vor einer knappen halben Stunde widerfahren war. Sie brachte ihrem besten Freund gerade sein Motorrad zurück und war dabei, ihm zu erzählen, wie es gelaufen war. Allerdings beschränkten sich ihre Ausführungen auf die Beschreibung einer fremden Frau, die sie unterwegs getroffen hatte. Zu seinem neuen Motorrad hatte sie sich bis jetzt noch nicht geäußert.

»Und du hast sie einfach so wieder weiterfahren lassen?«, fragte Klaus. Es überraschte ihn. So kannte er seine beste Freundin gar nicht. Jackie ließ sonst doch nichts anbrennen, um es vorsichtig auszudrücken.

»Sie war doch schon wieder weg, bis ich es überhaupt registriert habe. Ich wollte einfach nur sehen, ob sie Recht hatte, und hab‘ versucht zu starten. Deine Maschine ist auch prompt wieder angesprungen. Du und dein Scheiß-Moped!«

»Woher soll ich wissen, dass du das nicht weißt?« Jackies vernichtender Blick traf ihn. »Okay, ich hätte es vielleicht erwähnen sollen.«

»Diese Frau wollte mir helfen, kannst du dir das vorstellen? Lässt ihren Porsche stehen, um mir behilflich zu sein.«

»Ihren Porsche? Was für einen?«

»Einen Boxster, silbergrau mit weinrotem Dach und weinroten Ledersitzen. Die hatte Stil, durch und durch. Ich dachte eigentlich, sie wolle irgendwas von mir, nach dem Weg fragen oder so, und war noch genervter. Aber sie wollte mir helfen, und das konnte sie auch.

Ich hätte nie gedacht, dass so eine Frau eine Ahnung von Motorrädern hat. Und dann versuchte die auch noch, mit mir zu flirten.« Sie machte eine Pause, sah ihn verzweifelt an. »Und ich habe es noch nicht einmal kapiert«, sagte sie in einem Anfall von später Reue, während ihre Hand wieder durch ihre Haare fuhr.

»Du und nicht merken, dass eine Frau was von dir will?« Klaus grinste. Das wäre dann heute die absolute Premiere gewesen, so etwas war ihr noch nie passiert. Und wenn das einer beurteilen konnte, dann er. Sie kannten sich schließlich seit der Grundschule. Jackie war so etwas wie seine jüngere Schwester. Und so führte sie sich manchmal auch auf.

Er schüttelte immer noch ungläubig den Kopf, als er seinen Helm nahm und wieder aufsetzte. Er stieg auf seinen neuen Chopper und nickte ihr zu. »Kommst du noch mit? Ich zahl‘ dir auch ein Bier. Vielleicht erzählst du mir dann auch mal, wie du mein neues Motorrad findest.«

Mit einem Seufzen fuhr ihm Jackie auf ihrer BMW hinterher. Ein gemütlicher Abend in ihrer Stammkneipe würde ihr vielleicht helfen, dies Missgeschick zu vergessen.

Sie fuhren keine zehn Minuten bis zu ihrem Ziel. Von weitem konnte man bereits die Regenbogenfahne entdecken. Es war das gemütlichste schwul-lesbische Lokal im Umkreis von fünfzig Kilometern, sagte Klaus immer. Sie fühlten sich hier beide sehr wohl. Die meisten ihrer Freunde gingen hier ein und aus. Ein Geruch von Pizzaschnitten und Bier schlug ihnen entgegen, als sie das Lokal betraten. Sie gingen an den kleinen dunklen Holztischen im Eingangsbereich vorbei bis zum Tresen, der sich L-förmig im Innern des langgezogenen Raums befand. An den Wänden hingen Bilder aus den Sechzigern. Sie zeigten Politiker, Komiker, Berühmtheiten, was dem Ganzen einen eigenen Charme verlieh. Jackie und Klaus schnappten sich beide einen hohen Barhocker und setzten sich an den Tresen, wie bereits unzählige Male zuvor.

»Hallo Jackie«, grüßte die Barkeeperin. »Kannst du schon wieder Feierabend haben?«

Normalerweise hätte Jackie aufgelacht und sie jetzt alles Mögliche geheißen. Aber heute sagte sie nur: »Hallo Ritschie, machst du mir ein Bier?«

»Und mir bitte ein Pils«, bestellte Klaus.

Ritschie stellte das Gewünschte vor sie hin, vor Jackie zuerst. »Was ist los heute?«, fragte sie Jackie mit einem gutmütigen Lächeln. »Bist du schlecht drauf?«

»Ihr ist vorhin die Traumfrau durch die Lappen gegangen«, erklärte Klaus und grinste verstohlen. Hoffentlich ärgerte sich Jackie nicht über seine Bemerkung.

Aber Jackie schien tatsächlich angeschlagen zu sein. Sie hatte keine Lust, auf seine Hänseleien einzugehen.

»Oh je, du Arme. Dann geht der auf meine Rechnung«, sagte Ritschie und schenkte ihr einen Korn ein, nur einen kleinen, die Autofahrervariante sozusagen. Jackie überlegte nicht lange. Sie nahm ihn an und leerte ihn in einem Zug.

»Warum bist du ihr nicht hinterhergefahren?«, fragte Klaus, um wenigstens so zu tun, als würde er Anteilnahme zeigen.

»Bin ich doch, aber sie war weg. Wie vom Erdboden verschluckt.«

»Hast du das Kennzeichen?«

»Nein, habe ich nicht. Aber es war, wie gesagt, ein metallicfarbener Porsche Boxster mit weinroten Ledersitzen.«

»Ah, eine sportliche Frau. Die würde aber zu dir passen, was?«, lachte Ritschie. »Wie hat sie denn ausgesehen?«, fragte sie mit wirklichem Interesse.

»Hübsch. Wirklich hübsch«, sagte Jackie und nahm einen Schluck aus ihrem Bierglas, »eine Frau wie aus dem Modekatalog.«

»Seit wann gefällt dir denn so was?«, fragte Klaus verblüfft.

Jackie zuckte mit den Schultern.

»Keine Ahnung. Ist mir ja erst aufgegangen, als sie schon wieder weg war. Aber die Frau hatte was, echt! Und nett war sie auch«, seufzte sie. »Wesentlich netter als ich. Sie hatte sich wirklich bemüht. Nur ich war unmöglich.«

Klaus war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Jackie schien sich sonst nicht allzu viel Gedanken über ihre bisherigen Frauen zu machen. Es waren immer Gelegenheitsbekanntschaften gewesen, Frauen aus der Szene, zufällige Begegnungen, kurzweilig und nie sonderlich ernsthaft. Er konnte sich die vielen Namen von Jackies Verflossenen gar nicht mehr merken. Es waren Künstlerinnen darunter gewesen, Handwerkerinnen, ab und zu auch mal eine Studentin.

Ritschie hob ihr Bierglas und stieß mit ihr an. »Auf dein Wohl, Jackie. Ich hoffe, du begegnest ihr wieder.«

Falls Jackie gedacht hatte, sie könne sich hier ablenken, hatte sie sich getäuscht. Jetzt waren sie alle bei diesem Thema.

»Weißt du eigentlich«, sagte sie zu der Barkeeperin, »dass man nur einmal im Leben die Chance bekommt, seiner Traumfrau über den Weg zu laufen?«

Ritschie lachte laut auf. »Und du meinst, sie wäre es gewesen, Jackie? Deine Traumfrau?«

»Vielleicht! Dann hätte ich diese Chance heute vertan.«

Ritschie amüsierte sich. Schließlich kannte sie Jackie schon einige Jahre. Sie konnte ein herzhaftes Lachen nicht unterdrücken. »Mach‘ dir mal nicht zu viel Sorgen«, tröstete sie Jackie gutmütig. »Man trifft sich immer zweimal im Leben. Du wirst sehen, falls es so sein sollte, kreuzen sich eure Wege wieder.«

»Es hat sich noch nie eine Frau von so einem Kaliber für mich interessiert. Aber ich war so verdammt genervt. Meinst du, ich habe sie verschreckt?«

»Du kannst manchmal schon ganz schön temperamentvoll sein«, warf Klaus mit einem schiefen Lächeln ein. »Aber wahrscheinlich ist es genau das, was die Frauen an dir lieben.« Er legte ihr besänftigend seinen Arm um ihre Schultern, wollte ihr nicht noch mehr zusetzen und wechselte das Thema.

»Hat euer Zentrum eigentlich schon einen neuen Chef?«

»Nein, immer noch nicht«, stöhnte Jackie. »Aber es hat schon ein paar Vorstellungsgespräche gegeben. Muss diesmal auch was Gescheites dabei gewesen sein, hat mir Ina vom Personalbüro gesagt.«

»Wäre ja gut, wenn ihr mal jemanden Kompetentes bekommen würdet, nach den Luschen in letzter Zeit.«

»Ja, das stimmt. Der letzte Leiter hat den Haushaltsplan in ein Minus von über einer Million getrieben.«

»Was?«, staunte Klaus. »Woher weißt du das?«

»Auch von Ina. Sie sitzt ja mit im Gremium. Aber behalt‘ es für dich, ja?«

Klaus schüttelte den Kopf.

»Ich konnte es auch kaum glauben. Und unsereins bekommt schon eine Abmahnung, wenn wir uns von dem Essen der Bewohner etwas nehmen, auch wenn es übrig geblieben ist und sonst weggeworfen würde«, sagte Jackie frustriert.

»So ist das Leben. Wenn du erst mal oben bist, kannst du dir halt mehr erlauben.«

Klaus zog eine Grimasse und zuckte mit den Schultern.

Jackie sah auf die Uhr und seufzte auf. »Ich muss los. Hab‘ morgen Frühdienst.«

Sie zahlten und machten sich auf den Weg nach Hause.

»Ich glaube, ich fahr die Strecke jetzt öfter«, sagte Jackie beim Hinausgehen zu Klaus. »Vielleicht seh‘ ich sie ja wieder.«

Klaus brauchte etwas Zeit, um zu verstehen, dass Jackie immer noch von dieser Frau im grauen Porsche sprach. »Du kannst es ja zumindest versuchen.«

3

Alex war überwältigt. Es war ein wirklich süßes Haus, das friedlich und einladend vor ihr lag, umgeben von wenigen Gebäuden desselben Stils, eingebettet in saftiges Grün und einem idyllischen kleinen Bach, der an ihr Grundstück grenzte und daran vorbeiplätscherte.

Sie fuhren über den Bach hinüber in den Hof. Alex beeilte sich, auszusteigen. Eine grauweiße Katze kam ihr entgegen, mit hoch aufgerichtetem Schwanz. Der bisherige Besitzer des Hauses durfte sie nicht mitnehmen in das Altersheim, in das er umzog. Alex hatte sich gerne bereit erklärt, das Tier zu übernehmen.

»Ach, ist die süß«, rief sie entzückt und ging in die Hocke, um die Katze zu streicheln. »Wie heißt sie denn?«

Ihre Mutter war ihr bereits entgegengeeilt. »Moritz. Es ist ein Kater, oder zumindest war er das mal.«

»Hey, Mom!«

Alex umarmte ihre Mutter herzlich. Sie hatte hier gewartet, während ihr Vater sie vom Flughafen abgeholt hatte. Alex hatte noch über so viel restlichen Urlaub verfügt, dass sie sich entschieden hatte, drei Wochen in Thailand zu verbringen. Es war herrlich gewesen, natürlich, als sie aber ihre neue Heimat in Augenschein nahm, wusste sie mit Sicherheit, dass es ihr hier noch besser gefiel.

»Das ist ja wunderschön hier«, staunte sie.

»Du musst es erstmal von innen sehen«, sagte ihr Vater im Vorbeigehen, als er ihren Koffer ins Haus trug. Er meinte manchmal, sie immer noch umsorgen zu müssen wie sein kleines Mädchen, dabei war sie letzten Monat neunundzwanzig geworden. Alex lächelte vor sich hin, als sie ihm folgte. Eigentlich konnte sie ja froh sein, noch so nette fürsorgliche Eltern zu haben.

Sie betrat ihr Eigentum und blieb erst einmal andächtig stehen. Es sah größer aus, als sie es in Erinnerung hatte. Als sie das Haus letzten Monat zusammen mit ihrer Maklerin angesehen hatte, waren aber auch noch die Möbel und alten Teppiche und all der Nippes des alten Herrn, der hier vorher gewohnt hatte, vorhanden gewesen. Nun aber war alles leer geräumt, und die Wände waren mit glattem Landhausputz versehen, wie sie es sich gewünscht hatte. Es sah hell und luftig aus und gefiel ihr unheimlich gut. Jetzt konnte sie anfangen, sich Gedanken um ihre Möbel zu machen. Es gab gute Antiquitätenläden in der Nähe, so viel wusste sie bereits.

»Wahnsinn!« Alex blieb vor dem verputzten Ofen inmitten des Wohnzimmers stehen. Die gemütliche Bank davor hatte ihr der Vorbesitzer überlassen. Blanke Landhausdielen waren unter den Teppichen zum Vorschein gekommen. Genau ihr Stil. Sie würde die Dielen lediglich abschleifen lassen und neu ölen. Ein großer Blumenstrauß stand mitten auf dem Boden und hieß sie herzlich willkommen. »Ihr seid zu süß, ihr beiden. Vielen Dank!« Sie umarmte beide Eltern, dann meinte ihre Mutter:

»So, und jetzt wird erst mal was gegessen.«

Es gab frische Forellen, Salzkartoffeln und Gemüse.

»Weißt du, gleich einen Ort weiter gibt es so einen Züchter mit etlichen Forellenteichen. Die musst du dir ansehen«, ereiferte sich ihre Mutter begeistert.

Das werde ich tun, nahm sich Alex vor. Sie würde die nächsten zwei Wochen die Gegend auskundschaften und ihr Haus einrichten. Sie konnte sich nicht vorstellen, was sie lieber täte.

Ihr Auto stand bereits in der Garage, stellte sie etwas später fest und grinste.

4

Alex ließ ihren ersten Arbeitstag entspannt auf sich zukommen. Gegen acht Uhr sollte sie sich beim Geschäftsführer einfinden. Sie benötigte keine Viertelstunde für die Strecke zur Arbeit.

»Herzlich willkommen und einen guten Start in Ihre neue Tätigkeit«, empfing sie der Geschäftsführer, Herr Fischer, etwas steif aber freundlich. Nach einem kurzen Rundgang durch die Räumlichkeiten der Verwaltung, wo er Alex allen Sekretärinnen vorstellte, gingen sie in ihr zukünftiges Büro, das an seines angrenzte.

Sie hatte den Raum bereits an dem Tag ihres Vorstellungsgesprächs angesehen: Hell und freundlich, durchaus repräsentativ für Besucher, was für den Altenpflegebereich nicht unbedingt üblich war. Er gefiel ihr gut.

Ihr erster Arbeitstag beschränkte sich mit dem Einrichten ihres Büros und die Einweisung des Geschäftsführers in das EDV-Programm, das ihr keine Schwierigkeiten bereitete. Sie hatte bereits zuvor damit gearbeitet. Sie würde nicht lange benötigen, um sich einen groben Überblick zu verschaffen. Und was sie bereits einsehen konnte, sah durchweg gut aus.

Für den Nachmittag hatte sie mit dem Geschäftsführer einen Rundgang vereinbart, um die Räumlichkeiten, die unterschiedlichen Abteilungen und die wichtigsten Mitarbeiter kennen zu lernen.

Nach einem gemeinsamen Mittagessen in der Kantine begannen sie mit dem großen Wohnblock des betreuten Wohnens. Die Fachkraft, die dafür angestellt war, hatte eine extrovertierte, positive Art an sich und war Alex sehr sympathisch.

Auch mit der Leitung des ambulanten Pflegedienstes schien man gut auskommen zu können. Sie hatte Alex freundlich willkommen geheißen und ihr einen guten Start gewünscht. Dann kamen sie zur Abteilung der stationären Pflege. Ihre Stellvertreterin, die Frau an ihrer rechten Seite, hieß Ulla Maier.

»Frau Maier«, sagte Herr Fischer mit ausladender Geste, »Ich darf Ihnen allen Ihre neue Einrichtungsleitung vorstellen, Frau Alexandra Breitenbach.« Ulla Maier war wesentlich kleiner als Alex und beinahe als hochgewichtig zu bezeichnen. Aber sie hatte etwas ganz Liebevolles, Schalkhaftes an sich. Ihre blonden, halblangen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, und ihr Erscheinungsbild war praktisch und ungeschminkt.

Alex lächelte sie an. Es blieb nicht ohne Wirkung, Frau Maier erwiderte ihr Lächeln sofort.

»Freut mich sehr!«, sagte sie, »Auf gute Zusammenarbeit.«

»Dann überlasse ich Sie Frau Maier bei Ihrem weiteren Rundgang«, sagte Herr Fischer, der wusste, dass er nun nichts mehr von Interesse zu ihrem Hausrundgang beitragen konnte. »Vielleicht können Sie mir später sagen, was Sie für einen ersten Eindruck von unserem Haus haben.«

»Ja«, nickte Alex, »mach ich gerne.«

»Bitte sagen Sie nie Frau Maier zu mir«, sagte Ulla Maier als Erstes.

»Sondern?«

»Nur Ulla, ich hasse diesen Allerweltsnachnamen.«

»Wie Sie möchten, Ulla«, sagte Alex und hielt ihr die Tür auf. »Aber es darf Sie nicht stören, dass ich meinen Nachnamen ganz akzeptabel finde.«

»Ist schon okay, Frau Breitenbach!« Ulla lächelte amüsiert, und sie starteten ihren gemeinsamen Rundgang.

Was sie sah, gefiel Alex wirklich gut. Die Atmosphäre war freundlich, die Mitarbeiter waren bemüht, alles erschien ordentlich und aufgeräumt. Ulla legte dem Personal gegenüber einen kollegialen Tonfall an den Tag, aber Alex bemerkte doch den Respekt, den man ihr entgegenbrachte. Es beeindruckte sie.

Jeder Wohnbereich hatte seine eigene verantwortliche Leitung, die in der Pflege mitarbeitete, für administrative Zwecke jedoch einige Prozente ihrer Arbeitszeit freigestellt waren.

Alex lernte nur eine der Wohnbereichsleitungen kennen, diejenige für den unteren Wohnbereich, Schwester Renate, die Vertretung von Ulla. Die Leitung für den oberen Wohnbereich für die dementen Bewohner hatte heute Überstundenausgleich. Ulla führte sie mit Eifer durch die Flure, zeigte ihr die Dienstzimmer, den Raum für die Medikamente, den Personalaufenthaltsraum für Fortbildungen und die Extraräume für Krankengymnastik oder interne Festivitäten. Ulla war sichtlich stolz auf ihren Arbeitsplatz, und Alex bemerkte ihren immer wiederkehrenden bewundernden Blick, der sie selbst traf. Sie schien auch stolz auf ihre neue Chefin zu sein.

---ENDE DER LESEPROBE---