Die orange Pille - Ijoma Mangold - E-Book

Die orange Pille E-Book

Ijoma Mangold

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Beschreibung

Das größte Gerechtigkeitsversprechen seit Karl Marx »Mangold unternimmt eine ›Reise in den Kaninchenbau‹, die auch für den Leser zu einem intellektuellen Abenteuer wird.«  Süddeutsche Zeitung Im Film »Matrix« muss sich der Held entscheiden, ob er die blaue oder die rote Pille schluckt. Die blaue lässt ihn vergessen, die rote die Wahrheit über die Welt erkennen. Daran angelehnt wird der Bitcoin »Die orange Pille« genannt, denn wer sich mit ihm auseinandersetzt, dem wird die Macht von Wall Street und Zentralbanken in unserer Welt bewusst. Und der Bitcoin verheißt die Befreiung davon: Er ist unabhängig von zentralen Instanzen wie Banken und nicht durch sie manipulierbar. Kenntnisreich und mit Leidenschaft schildert Mangold, wie sogar er, der Literaturkritiker, der Faszination Bitcoin verfiel und weswegen es sich dabei nicht lediglich um eine digitale Währung handelt, sondern um ein Freiheits- und Gerechtigkeitssystem. • Bitcoin geht alle an, nicht nur Finanzgurus und IT-Nerds • Sachkundig, persönlich, unterhaltsam: eines der spannendsten Themen der Gegenwart, packend erläutert

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Über das Buch

Im Film »Matrix« muss sich der Held entscheiden, ob er die blaue oder die rote Pille schluckt. Die blaue lässt ihn vergessen, die rote die Wahrheit über die Welt erkennen. Daran angelehnt wird der Bitcoin »die orange Pille« genannt, denn wer sich mit ihm auseinandersetzt, dem wird die Macht von Wall Street und Zentralbanken in unserer Welt bewusst. Und der Bitcoin verheißt die Befreiung davon: Er ist unabhängig von zentralen Instanzen wie Banken und nicht durch sie manipulierbar.

 

Kenntnisreich und mit Leidenschaft schildert Mangold, wie sogar er, der Literaturkritiker, der Faszination Bitcoin verfiel und weswegen es sich dabei nicht lediglich um eine digitale Währung handelt, sondern um ein Freiheits und Gerechtigkeitssystem.

Ijoma Mangold

Die orange Pille

Warum Bitcoin weit mehr als nur ein neues Geld ist

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Teil I: Bitcoin und ich

Money, Money, Money

Der Kaninchenbau

Zu gut, um nicht verboten zu werden?

Ein erster Rundflug über Bitcoin-Land in ziemlicher Höhe (Erwarten Sie nicht, Details zu erkennen!)

Wo bin ich denn hier gelandet?

»Die Zeit ist erfüllt!« Bitcoin als Religionsgemeinschaft

Teil II: Bitcoin und sein technologisches Design

Die Cypherpunk-Bewegung

Die unbefleckte Empfängnis

Code is law

Dezentralität

Digitale Knappheit

Zwei Formen von Geld

Ich bin meine eigene Bank

Das Problem des Double Spend

Ein eingebautes Thermostat

Die volle Schlüsselgewalt

Teil III: Bitcoin und das Geld

Eine neue Jugendbewegung in den Fußstapfen der Österreichischen Schule

Der staatlich-monetäre Komplex

Cantillon-Effekt

Die schwäbische Hausfrau

Geboren 1971

Eine Frage des Vertrauens

Das Lightning-Netzwerk

Pecunia non olet

Teil IV: Bitcoin und die Politik

Ist Bitcoin rechts oder links?

Die Trennung von Staat und Geld

Ist Bitcoin eine Umweltsau?

Teil V: Bitcoin und die Zukunft

Bitcoin-Minimalismus, Minimalismus überhaupt

Unser Kuba heißt El Salvador

DANK

Nichts hat mich so misstrauisch gegen den Bitcoin gemacht wie die Rasanz, mit der ich von ihm überzeugt war.

Teil IBitcoin und ich

Money, Money, Money

Im Film ›Matrix‹ steht Neo vor der Wahl: Wenn er die blaue Pille schluckt, dann wird er wieder in seinem Bett erwachen, sich an nichts mehr erinnern, den Riss in der Matrix vergessen, auf den er gestoßen ist, und weiter glücklich in der Simulation leben. Entscheidet er sich hingegen für die rote Pille, tritt er heraus aus der Fiktion, und alles, was er bisher für wirklich hielt, wird er als eine Truman-Show durchschauen, inszeniert für sein Bewusstsein. Die rote Pille verspricht weder Glück noch Erfolg noch Wohlbefinden, sondern nur: die Wahrheit; mit der blauen Pille würde Neo seinen Seelenfrieden retten, unter der paternalistischen Protektion der Matrix sein kleines Glück genießen mit einem Lüstchen für den Tag und einem Lüstchen für die Nacht. Aber werden wir unseres Lebens noch froh, wenn wir einmal erkannt haben, dass das Glück nichts als eine Simulation ist?

Auch in der Bitcoin-Welt ist man überzeugt, dass die Welt, in der wir bb, also »before bitcoin«, lebten, eine Scheinwelt ist, in der die Zentralbanken uns mit wertlosem Geld versorgen, das sie aus dem Nichts erzeugen können. Bitcoiner nennen dieses Matrix-Geld Fiat-Währungen, in Analogie zur Genesis: Lateinisch »fiat«, es werde oder entstehe – so schuf Gott die Welt aus dem Nichts, eine uranfängliche creatio ex nihilo. Genau so aus dem Nichts schaffen die Zentralbanken im Zusammenspiel mit den Geschäftsbanken weltweit ihre Fiat-Währungen, nur dass sie nicht Gott sind, auch wenn sie sich manchmal so verhalten, als glaubten sie es. Und in der Tat: Solange es keine Konkurrenz zu den Fiat-Währungen gab, war ihre Machtvollkommenheit unangefochten.

»Clownswelt« nennen Bitcoiner dieses Fantasy-Land des schlechten Gelds, das sie hinter sich lassen wollen, und sie können das, weil es seit 2009 eine Technologie gibt, die hartes Geld ermöglicht: den Bitcoin, wie er von einer Frau, einem Mann oder einer Gruppe von Leuten 2008 unter dem Namen Satoshi Nakamoto im sogenannten White Paper entworfen worden ist. Kein Wunder also, dass Bitcoiner das popkulturelle Meme von der roten Pille aus dem Film ›Matrix‹ übernommen und es für ihre Zwecke farblich angepasst haben: Weil die Farbe des Bitcoins orange ist, hat die orange Pille geschluckt, wer überzeugt ist, dass Bitcoin uns aus der Clownswelt der Schulden und Finanzderivate und Negativzinsen und Vermögenspreisinflationen and all that jazz herausführen wird.

Eine typische Frage unter Bitcoinern lautet: Wer hat dich georangepilled? Will sagen, wer hat dir als Erster vom Bitcoin erzählt, und dies in einer so bezwingenden Weise, einer so eindringlichen Rekonstruktion der Gedankenarchitektur, dass du dich angesteckt hast, dass du mehr wissen wolltest, dass du angefangen hast, Fragen zu stellen, dass die Antworten anfingen – holy shit! –, überzeugend zu klingen, und dass du schließlich deine ersten Satoshis (so heißt die Einheit unterhalb eines Bitcoins – also das, was beim Euro die Cents sind) gekauft hast …

Es gibt im Bitcoin-Universum berühmte Orange-Piller, der berühmteste ist vielleicht Michael Saylor, CEO von MicroStrategy, der als einer der ersten Chefs eines börsennotierten Unternehmens Bitcoin in seine Bilanz aufnahm und seither unermüdlich der Welt, aber vor allem anderen Entscheidungsträgern in der US-amerikanischen Wirtschaft Bitcoin erklärt. Selbst erst Anfang der Pandemie 2020 von einem Freund georangepilled, hat er als Mensch der Tat innerhalb weniger Monate die Fiat-Welt wie eine alte Schlangenhaut abgestreift und ist mit seinem Unternehmen in die Welt der Bitcoin eingestiegen, so dass MicroStrategy heute weniger ein Softwareunternehmen als ein Bitcoin-Derivat ist, dessen Aktienkurs genau dem Chart des Bitcoins folgt. Wem es als institutionellem Anleger die Regulierung verbietet, Bitcoin direkt zu halten, der kauft ersatzweise Aktien von MicroStrategy.

Bitcoin ist hochansteckend. Er ist nicht mehr als eine Idee, aber Ideen sind wie Viren, die sich, einmal gestreut, mit exponentiellem Wachstum vermehren. Bitcoiner zitieren gern Victor Hugo: Nichts sei stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Und Bitcoin-Zeit läuft zehnmal so schnell wie die Normalzeit, was mit der Exponentialität von Netzwerk-Effekten zu tun hat: Waren es eben noch ein paar Nerds, die im Hobbykeller ihrer Eltern Bitcoin schürften, entstanden plötzlich große Firmen, die Bitcoin hielten, und ehe man es sich versah, wurde Bitcoin 2021 sogar offizielles Zahlungsmittel in El Salvador. Im Bitcoin-Universum kann ein Monat wie zehn Jahre sein. Das gilt auch für die Rückschläge, die wie Tsunamis durch die Märkte fegen.

Dieses Buch will Sie, geschätzte Leserin, geschätzter Leser, orangepillen, indem es davon erzählt, wie ich selbst georangepilled wurde. Ich stelle mir vor, dass Sie zu diesem Buch gegriffen haben, weil Sie mich als Literaturkritiker kennen. Bitcoin ist Ihnen eigentlich suspekt, Geld finden Sie vulgär, das ist was für Aufsteiger, nur altes Geld dulden Sie. Grundsätzlich haben Sie ein besseres Gefühl dabei, wenn der Staat durch Umverteilung für alle sorgt, denn die Schere zwischen Arm und Reich ist doch eigentlich ein Skandal, weshalb Sie den Umstand, dass Ihre Berliner Altbauwohnung sich in den letzten fünfzehn Jahren im Wert mehr als verdoppelt hat, wie ein Kavalier nur schweigend genießen. Mittlerweile sind Sie auch ein bisschen genervt davon (Bitcoiner sagen salty), dass plötzlich so häufig von diesem neuen Geld die Rede ist, obwohl es, wie man hört, sinnlos Energie frisst – und als kürzlich sogar Ihr Bankberater (der einen Komplex hat, weil er glaubt, Sie hielten ihn für eine graue Maus, weil ihm Excel mehr liegt als Word) mit Bitcoin anfing, haben Sie innerlich geseufzt: »Darum hab ich nicht gebeten!«

Sie glauben aber (und ich kann Sie darin nur unterstützen), dass jemand, der alle sieben Bände von Prousts ›Suche nach der verlorenen Zeit‹ gelesen hat, zumindest nicht im Vulgaritätsverdacht steht, und deshalb haben Sie sich gedacht: Wenn schon kein Weg mehr an Bitcoin vorbeiführt, dann lasse ich es mir in Gottes Namen wenigstens von einem Proust-Liebhaber erklären.

Genau: Ich verstehe mich als Brückenbauer, weil ich aus einer Welt komme, in der mir nicht an der Wiege gesungen worden ist, dass ich mich dermaleinst für eine neue Technologie begeistern würde. Aber, glauben Sie mir, das geht: Man kann von Bitcoin so entflammt sein wie von der Proust-Lektüre. Ich erzähle und erkläre also Bitcoin, ich berichte von meinen Erfahrungen, davon, wie Bitcoin mich verwandelt hat, und immer wieder von meinem Erstaunen und meinen Selbstzweifeln, wie es ausgerechnet mir passieren konnte, im gesetzten Alter von fünfzig Jahren plötzlich so zu reden wie ein »neu erweckter Prophet«, wie es bei Shakespeare heißt, als wäre ich ein Jugendlicher, der zum ersten Mal Karl Marx’ ›Kommunistisches Manifest‹ in die Hände bekommt und nach der Lektüre überzeugt ist, dass die Welt nie wieder so sein wird wie zuvor.

Der Kaninchenbau

Seit zwei Jahren wohne ich in einem kleinen Bauernhaus in der Uckermark, einer hügeligen Endmoränenlandschaft nördlich von Berlin, kaum besiedelt, dafür ein See nach dem anderen. Manchmal fragen Freunde mich besorgt, ob ich nicht noch zu jung sei, um die Welt und ihren Wandel an mir vorbeiziehen zu lassen. Sie machen sich Sorgen, dass ich – wie man früher im Diplomatenjargon gesagt hätte – verbusche.

Ich kann die Sorge verstehen. Trotzdem würde ich sagen: Das Gegenteil ist der Fall! Denn ich habe nicht nur das Land für mich entdeckt, sondern auch Bitcoin – lustigerweise beides fast zur selben Zeit. Auch in einem Garten, der so bescheiden ist wie meiner, hat man alle Hände voll zu tun, aber was immer ich mache, ob ich Unkraut jäte oder Laub reche, die Apfelbäume beschneide oder die Walnüsse ernte, immer habe ich meine Kopfhörer auf und lausche irgendeinem Bitcoin-Podcast und muss dabei selbst schmunzeln, wie Scholle und Technologie, Hand- und Kopfarbeit zusammengehen wie Yin und Yang. Das Bitcoin-Protokoll ist eine technologische Revolution, die unsere Welt nicht weniger fundamental verändern wird, als es das Internet in den vergangenen zwanzig Jahren getan hat, und während ich mich im Rhythmus der Jahreszeiten und ihrer Wiederkehr um meinen Garten kümmere, erzählen mir die Stimmen im Ohr von disruption und wie die Blockchain-Welt der Zukunft aussehen wird. Ich wühle in der Erde und denke über das Ende der Zentralbanken nach.

Im Bitcoin-Space ist das keine unbekannte Erfahrung, im Gegenteil – es heißt dann, man sei wie Alice im Wunderland in den Kaninchenbau gefallen. Dieser Kaninchenbau hat so viele Gänge und Abzweigungen und Richtungen, dass man begierig tiefer eindringt; zwar ist jeder einzelne Gang für sich genommen schon unendlich aufregend, aber das steigert bloß das Bedürfnis, eine Ahnung vom Gesamtentwurf der Konstruktion zu bekommen, so dass man sich manchmal regelrecht sorgt, ob man je wieder ans Tageslicht zurückfinden wird, in jene Welt, in der man so lange gelebt hat und die einem nun ein wenig fad und verhockt vorkommt.

Aber dann muss ich über die Ironie schmunzeln, dass es ausgerechnet mich, einen eitlen Literaturkritiker und Ästhetizisten, der sich noch nie im Leben für irgendetwas Technologisches interessiert hat, mit Bitcoin dermaßen erwischt hat. Davon soll dieses Buch handeln – von einer unwahrscheinlichen Ansteckung, mit der absolut nicht zu rechnen war.

Und weil es mich selbst am meisten überrascht, dass ich bei Bitcoin gelandet bin, bin ich vielleicht nicht der schlechteste Reiseführer für Leser, die noch mit Abstand und Skepsis auf dieses neue Geld blicken. Wenn es mich, maximaler Technologie-Ignorant, der ich war, erwischen konnte, dann sind auch Sie, lieber Leser, davor nicht sicher. Und zwar, weil es in Wahrheit eine intellektuelle Entdeckungsreise ist, die neue Antworten auf Fragen bereitstellt, welche man, wissentlich oder nicht, schon lange mit sich herumgetragen hat. Dieses Buch soll eine Brücke bauen in die bürgerliche Welt, aus der ich selbst komme. Ich weiß, dass man dort die Nase über den Bitcoin rümpft, weil man grundsätzlich alles, was mit etwas steilerer Rendite verbunden ist, als vulgär ablehnt. In der bürgerlichen Welt wird nur altes Geld als kulturell legitim empfunden. Und Bitcoin ist in jeder Hinsicht neues Geld. Aber noch mehr als Geld ist der Bitcoin ein Abenteuer, weshalb true believer an ihm nicht irre werden, auch wenn er mal wieder in einer Woche dreißig Prozent seines Wertes eingebüßt hat.

Ich will Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, die Grundzüge des digitalen Geldes erklären, aber dies auf eine Weise tun, die von meinem eigenen Weg zu Bitcoin erzählt. Ich weiß, es klingt wie im Genre religiöser Erbauungsliteratur: Der Bekehrte berichtet von seinem Damaskus-Erlebnis, er legt Zeugnis davon ab, was ihm widerfahren und warum er ein anderer, warum er vom Saulus zum Paulus geworden ist. Und tatsächlich würde ich sagen, ich bin zum Teil ein anderer geworden. Von einigen Grundüberzeugungen, die mich die ersten fünfzig Jahre meines Lebens durch die Welt begleitet haben, musste ich mich lösen, zum Beispiel von meinem bis dahin großen Institutionenvertrauen. Solche Abschiede sind durchaus nicht leicht, manchmal fühlen sie sich regelrecht unheimlich an – und dann versuche ich mich selbst im Spiegel anzuschauen, ob bei mir inzwischen etwa erste Anzeichen progressiver Paralyse zu erkennen sind, aber nichts ist, wie man weiß, schwieriger, als sich selbst zu diagnostizieren.

Wer zum ersten Mal in die leuchtenden Augen eines überzeugten Bitcoiners schaut, dürfte sich abgestoßen abwenden: Das hat doch alle Anzeichen einer religiösen Psychose! Nur Fanatiker und Erweckte reden in Zungen, da ist man als skeptischer Zeitgenosse besser auf der Hut … Und wirklich klingt es manchmal, als gäbe es überhaupt kein gesellschaftspolitisches Problem, für das Bitcoin nicht die Lösung ist. Ob wachsende Ungleichheit, die Förderung von erneuerbaren Energien oder das Ende einer konsumistischen Wachstumsideologie – früher oder später erklären die Anhänger des digitalen Geldes: »Bitcoin fixes this!«

Wenn ich sagen soll, womit ich am meisten gefremdelt habe, als ich mit dieser Welt in Berührung kam, dann war es genau dies: Als liberaler Skeptiker misstraute ich jedem eschatologischen Überschuss, jeder Erlösungsideologie, und im Bitcoin-Space traf ich ständig auf Menschen, die im Bitcoin einen universellen Heilsbringer zu sehen schienen. Mein Bauch sendete Alarmsignale! Gleichzeitig waren, was ich dort vernahm, Gedanken und Argumente, und sie waren so faszinierend, dass ich nicht widerstehen konnte, sie zu durchdenken, bis ich, gewissermaßen gegen meinen eigenen inneren Widerstand, an den Punkt kam, wo auch ich den Satz »Bitcoin fixes this« nicht mehr für gar so unplausibel hielt.

Wenn Geld die Rückseite all unserer Handlungen ist, dann ist es nicht verwunderlich, dass die Qualität des Geldsystems Auswirkungen auf unsere Handlungen hat. Geld ist nicht nur der Schatten, der unseren Handlungen folgt, sondern schafft für unterschiedliche Handlungsweisen unterschiedliche Anreize. Ein Geld, das entwertet, wird Sie, wenn Sie nicht völlig schmerzfrei sind, dazu verleiten, mehr Immobilien in Ihren Besitz bekommen zu wollen, als Sie persönlich bewohnen können. Ein Geld hingegen, das wertstabil ist, macht Sie mit höherer Wahrscheinlichkeit statt zum Immobilienspekulanten zum Sparer. Menschen folgen der Handlungslogik, der Anreizstruktur, die das Geld vorgibt.

Dem Leser bleibt es zu entscheiden, was da mit mir passiert ist: Entweder ist die Sache substantiell oder der Verfasser ist Opfer eines ideologischen Wahns geworden. Es ist beides gleichermaßen denkbar, und ich selbst kann es unmöglich entscheiden. Sitze ich, der ich mich immer für einen Realisten gehalten habe, einer großen Illusion auf? Mundus vult decipi, die Welt will betrogen werden – kann es sein, dass ich in der zweiten Hälfte meines Lebens auch einmal an etwas Großes glauben will, einfach weil es sich so gut anfühlt?

Mitunter muss ich an den bekannten Witz denken: Nur weil man paranoid ist, heißt das nicht, dass man nicht verfolgt wird. Nur weil Satoshi Nakamotos Erfindung mich euphorisiert, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht funktioniert. Ich möchte Ihnen jedenfalls in diesem Buch die frohe Botschaft verkünden, dass es seit wenigen Jahren eine durch und durch rationale Technologie gibt, die enorme Engagementsenergien zu entfesseln vermag, weil wir mit ihr fast alles, was ist, neu denken können – und zwar unter dem Gesichtspunkt der Dezentralität und einer Freiheitsdimension, die im alten Fiat-Geld der Zentralbanken nicht möglich war. Deshalb ist Bitcoin mehr als einfach eine neue Asset-Klasse – er ist gesellschaftspolitisches Neuland. Aber um nachvollziehen zu können, warum ich den Mund so voll nehme, muss man eine Idee davon gewinnen, auf welche Probleme Bitcoin eine Antwort ist.

Zu gut, um nicht verboten zu werden?

Das größte Hindernis, das der Verbreitung von Bitcoin entgegensteht, ist mangelndes Verständnis. Zwar ist die Gesellschaft in den vergangenen zwei Dekaden auf breiter Front in die Digitalisierung eingetreten, aber dass etwas, das es nicht physisch, sondern nur digital gibt, einen Wert haben soll, kommt uns noch immer phantastisch in einem unguten Sinne vor. Noch weniger können wir uns vorstellen, dass eine Sache von Wert nur als ein anonymes Netzwerk existiert, ohne zentrale, verantwortliche Steuerungsinstanz, die alles regelt und richtet, denn dergleichen hat es in der Geschichte der Menschheit außerhalb von kleinen Gemeinschaften, in denen sich die Menschen kennen und einander vertrauen, noch nicht gegeben. Und obwohl wir zuletzt auf so vielen Ebenen die Erfahrung gemacht haben, dass die Welt durch die Globalisierung zusammenrückt und nationale Grenzen und die damit korrespondierenden Souveränitäten an Relevanz und Durchsetzungskraft verloren haben, erscheint uns ein Geld, das keine nationalen Grenzen kennt, nicht staatlich emittiert wird und das von der ganzen Welt gleichermaßen genutzt werden kann, als etwas Halbseidenes. Wirklich ist nur, was der Staat garantiert – so unser Bauchgefühl, das noch ganz im Bann Hegels steht, für den der Staat die Wirklichkeit der sittlichen Idee war. Und sollten wir schließlich unwahrscheinlicherweise, sozusagen aus reiner Neugier, all diese Ablehnungsintuitionen überwinden und direkt am Ufer des Rubikon stehen, im Begriff, ihn zu überschreiten, dann packt uns plötzlich genau wie Ray Dalio, den Gründer von Bridgewater, dem größten Hedgefonds der Welt, die panische Erkenntnis, dass Bitcoin schlichtweg zu gut ist, um nicht verboten zu werden, weil sich die Staaten nie und nimmer ihre monetäre Alleinherrschaft streitig machen lassen. »Ich glaube: Wenn der Bitcoin am Ende wirklich erfolgreich sein sollte, machen sie kurzen Prozess mit ihm«, sagte er im September 2021 gegenüber CNBC. Dalio hat im Übrigen in seinem Verhältnis zu Bitcoin viele Wandlungen durchschritten, und wenn nicht alles täuscht, hält er ihn mittlerweile für eine notwendige Ergänzung jedes sinnvoll diversifizierten Portfolios.

All die genannten Vorbehalte und Einwände sind nicht aus der Luft gegriffen (wobei es schwer vorstellbar ist, wie Staaten ein dezentrales Netzwerk erfolgreich unterdrücken können sollen), und es wäre absurd, sie in den Wind zu schlagen, doch trotzdem gilt: Je besser man Bitcoin versteht, desto weniger Gewicht haben die Einwände, desto mehr nehmen die Ängste und Zweifel ab. Der Anteil des eigenen Vermögens, den man in Bitcoin steckt, steigt erfahrungsgemäß in dem Maße, in dem man die einzelnen Puzzleteile, aus denen Bitcoin sich zusammensetzt, besser versteht, weil man die Risiken dann neu bewertet. Wissen kann Ungewissheit nicht auflösen, aber reduzieren. (Auf die andere Gefahr, sich einer Sache allzu sicher zu sein, werden wir später noch einmal zu sprechen kommen.)

Allerdings ist Bitcoin keineswegs einfach zu verstehen – und weil es ein dynamisches Netzwerk ist, das sich durch die unvorhersehbaren Handlungen aller Beteiligten evolutionär weiterentwickelt, gibt es auch keinen Punkt der finalen Durchdringung oder der letztgültigen Wahrheitserkenntnis. Und zugleich gibt es wenig, das zu verstehen sich so aufregend anfühlt. Gewiss, man trifft auch Bitcoiner, die das digitale Geld super finden, weil sie damit große Gewinne erwirtschaftet haben, aber die wahren Anhänger brennen dafür, weil es in ihrem Kopf irgendwann einmal klick gemacht hat, weil sie dem Verständnis seiner Funktionsweise plötzlich einen großen Schritt nähergekommen sind. Und wenn es einmal klick gemacht hat, dann ist es zu spät: Dann will man Bitcoin besitzen, auch wenn die Kurse gerade in den Keller stürzen. Ob es sich bei dieser Haltung um einen Zustand der Hellsicht oder um einen der Unzurechnungsfähigkeit handelt, wird die Zukunft zeigen.

Jedenfalls ist dieses Buch ein Geschöpf des Bärenmarkts. Bärenmärkte nennen Börsianer Zeiten fallender Kurse. Wahre Bitcoiner lieben den Bärenmarkt, den man auch Kryptowinter nennt, denn er scheidet die Spreu vom Weizen: Solange man mit Bitcoin Rendite macht (number goes up!), ist es leicht, für ihn zu glühen; wer Bitcoin aber im Bärenmarkt die Treue hält, tut dies aus echter Überzeugung. Dann verschwinden die Wichtigtuer, Gschaftlhuber und Großsprecher von der Bühne, es kehrt jene konzentrierte Ruhe ein, in der die wahren Bitcoiner neue Geschäftsideen und Anwendungsfälle entwickeln. Die neuen Ideen, die den nächsten Bullenmarkt befeuern, entstehen in aller Regel im Bärenmarkt.

Sie, lieber Leser, können nach allem bisher Gesagten ungefähr rekonstruieren, wann ich meine ersten Satoshis (100 Millionen Satoshis sind ein Bitcoin) gekauft habe, wie damals der Kurs stand und wo er sich heute befindet. Also ahnen Sie, dass ich, während ich an diesem Buch schrieb, für die meiste Zeit mit meinem Investment unter Wasser war. Und ich bin selbst erstaunt, wie wenig mich das beim Schreiben verunsichert hat.

Dieses Buch verspricht Ihnen deshalb keine rauschenden Gewinne, sondern nur Gedankenblitze.

Die Schwierigkeit beim Begreifen von Bitcoin hat vor allem damit zu tun, dass man weit auseinanderliegende Wissensdisziplinen miteinander verknüpfen, sie also gleichzeitig durchdringen muss: Kryptographie, Ökonomie, Geldtheorie, Wissen um verteilte Computernetzwerke und Spieltheorie. Die einzelnen Bereiche für sich sind schon nicht ganz ohne, aber erst wenn es einem gelingt, wie ein Jongleur alle Bälle auf einmal in der Luft zu halten, die Wissensdisziplinen folglich simultan zu denken, dann zeigt sich plötzlich das wunderbare Funktionieren dieser Maschine, bei der ein Teil geschmeidig surrend in den anderen greift.

Bücher sind ein lineares Medium: Sie können nur eins nach dem anderen sagen. Darum werden wir im Folgenden aus verschiedenen Richtungen Anlauf nehmen und am Anfang jeweils nur einen Ball in die Luft werfen, diesen dafür jedoch öfter wechseln und Ihnen, lieber Leser, Perspektivsprünge zumuten.

Aber es gibt nicht nur diese verschiedenen Wissensdisziplinen, die im Bitcoin-Design zusammenwirken, es gibt auch mindestens genauso viele gesellschaftliche Gruppen, die sich als Träger der Bitcoin-Bewegung identifizieren lassen, ihrerseits aber keineswegs auf die erwähnten Wissensdisziplinen als ihre Herkunftswelten zurückzuführen sind, obwohl sie tatsächlich jeweils durch einen bevorzugten Zugang zum Thema beschrieben werden können. Bitcoin ist als Technologie neutral, aber diese Technologie lässt sich ideologisch deuten – je nach der eigenen politischen Ausgangslage. So gibt es unter Bitcoinern rechte Libertäre, für die jeder Steuergroschen einem Freiheitsentzug durch die Staatsgewalt gleichkommt, linke Weltverbesserer, die unter dem Motto »Banking the Unbanked« den finanziell Unterprivilegierten, die über kein Bankkonto verfügen, via Bitcoin Zugang zu einem weltweiten Bezahlsystem verschaffen wollen, weltanschauungsfreie Portfolio-Manager, die nicht mehr an die Nachhaltigkeit amerikanischer Staatsanleihen glauben (von europäischen ganz zu schweigen), Anarchisten jenseits von Gut und Böse (zu anarchistisch, um überhaupt in eine spezifischere Kategorie zu passen – ich bin nicht Eurer Meinung, aber Ihr gefallt mir!), Anhänger der österreichischen Schule der Nationalökonomie, die das handelnde Subjekt in den Mittelpunkt rücken, statt wie die Mainstream-Volkswirtschaftslehre mathematische Modelle zu extrapolieren, Cypherpunks, die ihren ganzen Programmierverstand dafür einsetzen, um im digitalen Zeitalter ihre Privatsphäre und Anonymität vor den Nachstellungen der Staaten und Konzerne zu retten, Freiheitsfreunde, die es begrüßen, dass Bitcoin dem Staat den Totalzugriff aufs Geld entzieht, und so weiter. Und dann gibt es natürlich noch all jene, die glauben, dass Bitcoin funktionieren kann und wichtig sein wird, ohne dass sie sich deshalb in eines dieser monumentalen Überzeugungssysteme einkaufen wollen. Vermutlich sind sie mit Abstand die größte Gruppe – aber auch die stillste.

Ich will auch gar nicht bestreiten, dass es unter Bitcoinern deutlich mehr Klimaskeptiker, Impfgegner, Mainstream-Medienverächter und (no kidding!) Karnivoren gibt, als sie mir sonst in meiner privaten wie beruflichen Bubble zwischen Akademia und Journalismus zu begegnen pflegen.

Kurz: Es ist ganz schön viel Druck im Kessel, und manchmal fühle ich mich von dieser Überdosis Weltanschauung regelrecht erschlagen und frage mich, ob diese ganzen starken Überzeugungen meiner seelischen Gesundheit eigentlich zuträglich sind. Aber am Ende bin ich dann doch wieder fasziniert von der Kühnheit der Gedanken und der Neuheit der Argumentationslinien. Natürlich: Es gibt, wie in jeder Community, auch hier viele Phrasen, die gebetsmühlenartig wiederholt werden, doch verglichen mit der Normalwelt ist der Anteil freien Denkens, bei dem man wirklich ins Neue, ins Unbekannte vorstößt, meiner Einschätzung nach überproportional hoch. Um nur ein Beispiel zu nennen: Auf jeden Klimaskeptiker kommt mindestens ein georangepilleder Umweltaktivist, der den ganzen Tag über nichts anderes als Energiewirtschaft nachdenkt und der auf den ersten Blick paradoxen Überzeugung ist, dass Bitcoin-Mining nicht eine Gefahr für das Klima, sondern eine große Chance für den effizienten Ausbau von erneuerbarer Energie darstellt, weil Bitcoin stranded energy nutzen kann und auf diese Weise grüne Energie überhaupt erst profitabel macht (dazu mehr im Kapitel »Ist Bitcoin eine Umweltsau?«).

Viele Menschen wissen immer ganz genau, was Wahrheit und was Fake ist, was Fakten und was Fiktion, was Wissenschaft und was Verschwörung, was ein Argument und was nur Geschwurbel, als gäbe es dafür einen einfach zu bedienenden Lackmustest. Ich bin da sehr viel skeptischer, ja, vermutlich bin ich gar ein pragmatischer Relativist. Ich finde es generell nicht so leicht, zwischen neu und verrückt, zwischen eigensinnig und abgedreht immer trennscharf zu unterscheiden – ein bisschen ins Cringe muss man sich halt vorwagen, wenn man nicht für den Rest des Lebens im eigenen Saft schmoren will.

Es ist also ein wirklich wildes Umfeld. Manchmal muss ich für mich rote Linien ziehen. Aber um Bravheit habe ich nicht gebeten, als ich den Kaninchenbau betrat.

Mit anderen Worten: Ohne Fremdeln geht es nicht. Davon erzählt das übernächste Kapitel.

Denn vorher möchte ich ein Zwischenkapitel einschieben, das eine erste, noch rein skizzenhafte Beschreibung dessen bieten soll, was Bitcoin ist, damit Sie, geschätzte Leserin, geschätzter Leser, endlich eine Antwort auf Ihre ungeduldige Frage bekommen: »Aber was, bitte, ist denn dieser Bitcoin nun – wo kommt er her, wo liegt er rum und warum, bitte, soll er etwas wert sein?«

Also kriegen Sie jetzt mal ein bisschen was zwischen die Zähne!

Ein erster Rundflug über Bitcoin-Land in ziemlicher Höhe (Erwarten Sie nicht, Details zu erkennen!)

Bitcoin ist ein digitales Geld, das als Netzwerk ohne zentrale Steuerungsinstanz funktioniert. Das Kassenbuch, der sogenannte Ledger, der festhält, wem welche Bitcoin gehören, liegt als verteiltes System auf vielen verschiedenen Computern. Jeder, der an diesem Netzwerk teilnehmen möchte, kann sich die gesamte Transaktionsgeschichte auf seinen Computer herunterladen, denn Bitcoin ist Open Source. Und wer das tut, ist dann ein sogenannter Node, ein Knotenpunkt des Netzwerks, der aktiv überprüft, ob die Transaktionen, die blockweise der Blockchain hinzugefügt werden, korrekt sind, ob das Kassenbuch stimmt.

Kryptografisch, also abgesichert durch Verschlüsselung, ist der Bitcoin unter anderem deshalb, weil sich die User durch digitale Unterschriften als rechtmäßige Inhaber ihrer Bitcoin ausweisen. Folglich kann mir keiner meine Bitcoin wegnehmen, der nicht meinen streng geheimen Zugangscode kennt.

Neue Blöcke werden dabei von den sogenannten Minern erstellt (von englisch mine, schürfen, so, wie Gold geschürft wird). Jeder kann Miner werden, man muss sich nur die dafür nötige Hardware anschaffen. Etwa alle zehn Minuten fassen Miner aus der ganzen Welt aktuell anstehende Transaktionen zu einem neuen Block zusammen, den sie der bisherigen Kette hinzufügen. Und weil jeder neue Block, metaphorisch gesprochen, in Form einer Art kryptografischer Quersumme alle vorherigen Blöcke mitaufnimmt, würde die Manipulation eines einzigen Blocks die gesamte Blockchain ungültig machen.

Die Miner schaffen Blöcke, indem sie einem spieltheoretischen Anreizsystem folgen, bei dem sie (sehr viel) Energie aufwenden müssen, um sich für die Schaffung des nächsten Blocks zu qualifizieren. Es ist eine Art Lotterie, an der man teilnimmt, indem man mit Rechnern Strom verbraucht. Die Miner sind bereit, diese Energiekosten auf sich zu nehmen, weil sie im Erfolgsfall, wenn sie also den nächsten Block erstellen dürfen, mit Bitcoin belohnt werden, so dass sich ihre Investition am Ende auszahlt.

Der Clou: Sollten sie sich als böswillige Akteure herausstellen und falsche Informationen in den Block aufnehmen, indem sie sich zum Beispiel Bitcoin gutschreiben, die sie gar nicht verdient haben, werden die Nodes, die alles überprüfen, einen solchen Block sofort ablehnen – und mit ihm den sogenannten Block Reward, also die Belohnung, sprich die Bitcoin, die sich erfolgreiche Miner gutschreiben dürfen. Der unehrliche Miner hätte kostspielige Energie verbraucht, ohne in den Genuss der Belohnung zu kommen.

Dieses ziemlich komplexe Verfahren hört auf den Namen Proof of Work und ist das Herzstück des Bitcoin-Netzwerks (wir werden es in späteren Kapiteln sehr viel ausführlicher erklären), weil es die Sicherheit des Systems auf dezentrale Weise garantiert.

Jetzt haben wir schon verstanden, wie neue Bitcoin in die Welt kommen: Indem die Miner für neue Blöcke mit Bitcoin entlohnt werden, welche sie (wenigstens zum Teil) verkaufen, um ihre Investitionskosten wieder einzuspielen. So kommen die Bitcoin unter die Leute.

Über diesen Mechanismus steuert Bitcoin zugleich seine Geldpolitik: Für jeden Block gibt es eine feste Menge an Bitcoin, die sich jedoch alle vier Jahre halbiert: Am Anfang, 2009, war der Block Reward 50 Bitcoin, heute, 2022, sind es nur noch 6,25. Die Menge aller je existierenden Bitcoin war von allem Anfang an in der Bitcoin-Software festgeschrieben: Es werden final 21 Millionen Bitcoin sein (faktisch etwas weniger, aber es hat sich eingebürgert, von 21 Millionen zu sprechen). Heute (Stand Sommer 2022) sind bereits über 19 Millionen in Umlauf. Die Geldmenge von Bitcoin, heißt das, wächst nur noch minimal, deshalb ist Bitcoin deflationär, oder genauer: disinflationär – eine Währung, bei der der Zuwachs der Geldmenge über die Zeit schrumpft, bis er schließlich bei null angekommen ist.

Als ein dezentrales, globales, nicht mehr an Staatsgrenzen gebundenes Geld ist Bitcoin ein Gegenspieler zu allen bestehenden Währungen dieser Welt: Kein Staat kann ihn kontrollieren, und seine Geldmenge ist nicht manipulierbar – anders als bei Euro, Dollar oder türkischer Lira, über deren Menge die Zentralbanken im Zusammenspiel mit den Geschäftsbanken entscheiden, was faktisch auf ein unendliches Geldmengenwachstum hinausläuft und damit auf eine reale Entwertung der Spareinlagen.

Bitcoin ist also unmanipulierbar. Ferner aber auch zensurresistent, denn es gibt keine Instanz, die Transaktionen für ungültig erklären könnte. Jeder, der über einen Internetzugang verfügt, kann an diesem Netzwerk teilnehmen, entweder »nur« in der Rolle des Users, der über eine Exchange Bitcoin kauft, oder in der Rolle eines Nodes, der sich die Bitcoin-Software herunterlädt, so zum aktiven Mitspieler und Kontrolleur der Transaktionshistorie wird und falsche Blöcke zurückweist, oder eben auch als Miner, der mit der entsprechenden Hardware an der Proof-of-Work-Lotterie teilnimmt. Keiner kann von einer dieser Rollen ausgeschlossen werden. Das Netzwerk ist vollkommen inklusiv: Diskriminierung ist schon aus technischen Gründen unmöglich, weil man nur über kryptografische Codes zum Teilnehmer wird – Wohnort, Staatsangehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht oder sonstige Unterscheidungsmerkmale können keine Rolle spielen, denn das Netzwerk ist pseudonym (warum es nicht anonym ist, erklären wir später).

Wer seine Bitcoin nicht anderen, zum Beispiel der Exchange, auf der er sie gekauft hat, in Verwahrung gibt (was gegen das Bitcoin-Ethos verstößt), der hat die volle Verfügungsgewalt über sie ohne jedes Gegenparteirisiko, indem er eine Art Passwort für sich erstellt, das allein den Zugang zu seinen Bitcoin reguliert.

Bitcoin sind ein knappes Gut, das nicht künstlich vermehrt werden kann: Ihre Herstellung kostet Energie (so wie es Energie kostet, Gold zu schürfen), und ihr Preis ergibt sich aus den Marktmechanismen von Angebot und Nachfrage. Je mehr Leute die Möglichkeiten, die Bitcoin bietet, attraktiv finden, desto mehr steigt die Nachfrage bei fixem Angebot und mit ihr der Preis. Je mehr Leute Bitcoin dagegen als ein leeres Versprechen empfinden und es für ein Ponzi-Schema halten, desto mehr wird der Preis sinken.

Apropos Ponzi-Schema, weil sich das alle fragen, die das erste Mal mit Bitcoin in Berührung kommen: Ist das Ganze nicht ein Ponzi-Schema oder Schneeballsystem? Nun, das ist es nicht. Rein technisch gesprochen bedient ein Ponzi-Schema die Gewinnausschüttungen an seine Investoren nicht aus produktiver Wertschöpfung, sondern aus den Einlagen neuer Investoren – was so lange gut geht, wie der Kundenkreis exponentiell wächst. Kommen keine neuen Kundengelder hinzu, kollabiert das ganze System. Der berühmteste Fall in jüngerer Zeit war der Finanzhochstapler Bernard Madoff. Bitcoin jedoch ist schon deshalb kein Ponzi-Schema, weil es gar keine Gewinnausschüttungen kennt. Demnach ist es in einem geradezu definitorischen Sinn kein Ponzi. Doch die meisten Leute, die so über Bitcoin sprechen, haben es auch so genau gar nicht gemeint, sie wollten bloß zum Ausdruck bringen, dass der Bitcoin-Preis nur so lange steigt, wie es einen noch Dümmeren gibt, der einem die eigenen Bitcoin für mehr Geld abkauft, als man selbst für sie bezahlt hat. Das ist die Greater Fool Theory. Und ja, richtig: Bitcoin ist ein Anwendungsfall dieser Theorie. Aber nicht nur Bitcoin. Auch Gold kennt keinen Cashflow, und sein Wert besteht seit mehreren tausend Jahren einzig darin, dass Leute ihm immer einen Wert zugeschrieben haben.

Ja, aber Bitcoin, wird dann gerne verzweifelt ausgerufen, hat doch gar keinen intrinsischen Wert! Gold kann man anfassen, es ist real und glänzt so schön!

Was aber ist der intrinsische Wert eines Datenbankeintrags?

Die Frage ist sehr berechtigt.

Zugegeben, Bitcoin glänzt nur in der Phantasie seiner Anhänger, doch wie Gold besteht sein Wert für seinen Besitzer in dem Vertrauen, ein funktionierender Wertspeicher zu sein. Wenn ich Zigaretten horte, weil ich davon ausgehe, dass nach dem nächsten Finanzcrash Zigaretten als Tauschmittel dienen werden, dann mag ich mich über diese Investition beruhigen, indem ich sage: Zumindest haben Zigaretten einen Wert in sich selbst: Wenn sie keiner als Tauschmittel will, dann rauche ich sie halt selbst! Aber wenn das der intrinsische Wert von Zigaretten ist, dann ist es nicht diese Eigenschaft, die Zigaretten immer wieder einmal eine Karriere als Tauschmittel verschafft hat, dafür sorgt viel eher die Eigenschaft ihrer Fungibilität und Teilbarkeit.

Auch unser modernes Papier- und Giralgeld hat keinen intrinsischen Wert, wir können es nicht wie zu Zeiten des klassischen Goldstandards eintauschen gegen Gold und schreiben ihm dennoch Wert zu, weil wir davon ausgehen, dass auch andere ihm Wert zuschreiben und sich damit bezahlen lassen für Güter, die wir brauchen. Bröckelt dieses Vertrauen, verlieren Fiat-Währungen rasant an Wert. Anders als bei Bitcoin allerdings stehen hinter den Fiat-Währungen Staatsmächte (und ihre Polizei und ihre Rechtsordnungen), die ihre jeweilige Währung zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklären, und folglich können wir allein mit ihr unsere Steuerschuld tilgen.

Hinter Bitcoin steht keine solche Schutzmacht, keine Polizei, kein Finanzamt. Aber ich halte das nicht für eine Schwäche, sondern für eine Stärke, denn es bedeutet, dass der einzige Grund, Bitcoin zu halten, die Überzeugung sein muss, dass es ein freiwilliges Geld ist, mit Eigenschaften, die zu schlagend und zu zweckmäßig sind, um nicht von immer mehr Menschen angenommen zu werden.

Gern wird gesagt, der intrinsische Wert des US-Dollars als Weltreservewährung seien die elf Flugzeugträger, über die die USA verfügen. Der Bitcoin hat keinerlei Einschüchterungsmacht, um Menschen zu seinem Gebrauch zu zwingen. Was er bewirkt, beruht alles auf Freiwilligkeit. Er ist eine Graswurzelbewegung. Er muss die Menschen überzeugen. Wenn er dies tut, ist er allerdings kaum zu stoppen, denn er ist ein dezentrales Netzwerk, das sich nicht durch staatliche Verbote, zumindest nicht weltweit, unterdrücken lässt. Das wäre so unrealistisch, wie den Gebrauch von Zigaretten als Tauschmittel auf dem Schwarzmarkt unterbinden zu wollen.

Und das ist demzufolge der einzige intrinsische Wert eines Datenbankeintrags: seine Unmanipulierbarkeit. Bitcoin ist ein buchhalterischer Quantensprung – nichts weniger als die sicherste Datenbank, die die Geschichte kennt.

Zur Unmanipulierbarkeit gehört sozusagen spiegelbildlich, dass jeder die Korrektheit aller Einträge jederzeit überprüfen kann.

Demgegenüber Gold: Einen erheblichen Teil seiner Geschichte (vor allem während des klassischen Goldstandards im 19. Jahrhundert) wurde es an wenigen Orten zentralisiert verwahrt (Fort Knox!), was eine Überprüfung (Auditing) ausgesprochen schwierig macht, weshalb man sich lieber darauf verlässt, dass all den Zertifikaten für eingelagertes Gold auch ein reales Gut entspricht. Wie viel Gold ich im Garten verbuddelt habe, das kann ich selbst überprüfen. Den wievielten Teil der Gesamtmenge an Gold, die es auf der Welt gibt, ich damit besitze, das kann ich nicht wirklich bestimmen. Vertrauen sei gut, sagte Lenin, Kontrolle besser – aber versuchen Sie mal, die London Bullion Market Association, die quartalsweise verkündet, wie viel Gold in den offiziellen Londoner Tresoren lagert, zu kontrollieren: viel Spaß!