0,49 €
In "Die Philosophie des Geistes" erkundet John Locke die komplexe Natur des menschlichen Bewusstseins und seiner Erkenntnisfähigkeit. Durch eine sorgfältige Analyse der mentalen Prozesse und der Verbindung zwischen Wahrnehmung und Wissen trägt Locke zu den philosophischen Diskursen seiner Zeit bei, die von empiristischen und rationalistischen Ansätzen geprägt sind. Sein klarer, präziser Stil und die argumentative Schärfe verleihen der Untersuchung eine zeitlose Relevanz und machen sie zu einem grundlegenden Werk der Erkenntnistheorie und der Philosophie des Geistes, die sowohl historische als auch zeitgenössische Perspektiven integriert. John Locke (1632-1704) gilt als einer der Wegbereiter des Empirismus und der Aufklärung. Sein Interesse an der Frage, wie Wissen entsteht und sich durch Erfahrungen formiert, ist in seinem eigenen Leben verankert: als Wissenschaftler, Politiker und Pädagoge erlebte er die Entwicklung neuer Ideen und Methoden, die zur Bildung moderner Gesellschaften beitrugen. Locke speist seine philosophischen Überlegungen aus einem breiten Spektrum an Quellen, einschließlich der Naturwissenschaften und der politischen Theorie, was zu einem ganzheitlichen Verständnis des Geistes führt. "Die Philosophie des Geistes" ist nicht nur für Philosophen und Wissenschaftler von Bedeutung, sondern für jeden, der sich für die grundlegenden Fragen der menschlichen Natur und der Erkenntnis interessiert. Lockes tiefgreifende Einsichten und klaren Argumente regen zur kritischen Reflexion über das eigene Denken und die Wahrnehmung der Welt an. Ein unverzichtbares Werk, das sowohl informativ als auch inspirierend ist. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine prägnante Einführung verortet die zeitlose Anziehungskraft und Themen des Werkes. - Die Synopsis skizziert die Haupthandlung und hebt wichtige Entwicklungen hervor, ohne entscheidende Wendungen zu verraten. - Ein ausführlicher historischer Kontext versetzt Sie in die Ereignisse und Einflüsse der Epoche, die das Schreiben geprägt haben. - Eine Autorenbiografie beleuchtet wichtige Stationen im Leben des Autors und vermittelt die persönlichen Einsichten hinter dem Text. - Eine gründliche Analyse seziert Symbole, Motive und Charakterentwicklungen, um tiefere Bedeutungen offenzulegen. - Reflexionsfragen laden Sie dazu ein, sich persönlich mit den Botschaften des Werkes auseinanderzusetzen und sie mit dem modernen Leben in Verbindung zu bringen. - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2023
Diese Werksammlung stellt unter dem Titel Die Philosophie des Geistes die maßgeblichen Schriften John Lockes zur Natur des Denkens, der Erkenntnis und der Bildung zusammen. Sie bietet den vollständigen Ein Versuch über den menschlichen Verstand einschließlich Widmung und Brief an den Leser sowie sämtliche vier Bücher mit ihren Kapiteln; hinzu treten die Gedanken über Erziehung mit allen Abschnitten. Ziel ist es, die theoretische Grundlegung des Empirismus und ihre praktische Fortführung in Fragen der Lebensführung und des Unterrichtens in einem Zusammenhang lesbar zu machen. Die Sammlung eröffnet einen durchgehenden Zugang zu Themen, Begriffen und Methoden, die Lockes Werk prägen.
John Locke, ein englischer Philosoph des späten 17. Jahrhunderts, gilt als zentrale Gestalt der frühen Aufklärung und des Empirismus. Sein Vorhaben richtet sich auf die Klärung der Kräfte, Grenzen und Legitimation des menschlichen Verstandes, bevor über weitergehende Fragen entschieden wird. Indem er die Herkunft der Vorstellungen, die Bedingungen von Wissen und die Rolle der Sprache untersucht, verbindet er nüchterne Analyse mit einem praktischen Interesse am guten Gebrauch des Denkens. Die hier vereinten Texte dokumentieren dieses Programm von der Grundlegung der Erkenntnistheorie bis zur Frage, wie ein Charakter geformt wird, der Vernunft und Erfahrung angemessen nutzt.
In ihrer Gattungsspannung vereint die Sammlung mehrere Textsorten, die jeweils eine eigene Funktion erfüllen. Die Widmung und der Brief an den Leser rahmen den Versuch als Werk mit explizitem Anlass und methodischer Selbstverständigung. Der umfassende philosophische Essay entfaltet seine Argumente in systematischer Gliederung, ohne den Ton eines Lehrbuchs anzunehmen. Die Gedanken über Erziehung erscheinen als praxisorientierte Abhandlung, die mit knappen Abschnitten konkrete Empfehlungen erörtert. Zusammengenommen entstehen ein epistolarer Auftakt, eine theoretische Hauptschrift und ein didaktischer Traktat, deren unterschiedliche Formen ein gemeinsames Anliegen tragen: die sichere Führung des Geistes im Bereich des Wissens und Handelns.
Der Versuch über den menschlichen Verstand gliedert sich in vier Bücher, die eine klare thematische Ordnung vorgeben. Buch I prüft die verbreitete Annahme angeborener Grundsätze und begründet die Methode, Vorstellungen nach ihrem Ursprung zu beurteilen. Buch II behandelt die Vorstellungen im Einzelnen, ihre Entstehung aus Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung sowie ihre Verknüpfungen. Buch III widmet sich den Worten, der Bedeutung allgemeiner Ausdrücke und den Fehlerquellen der Sprache. Buch IV untersucht Wissen und Meinen, die Wege zur Gewissheit und die Gründe des Zutrauens. Diese Architektur schafft einen Weg vom Ursprung der Ideen bis zur Bewertung von Urteilen.
Besonders weit greift Buch II, das die Grundelemente der Erfahrung ordnet. Es behandelt einfache und zusammengesetzte Vorstellungen, Wahrnehmen und Behalten, Unterscheiden als Tätigkeit des Verstandes, sowie Kategorien wie Raum, Dauer, Zahl und Unendlichkeit. Es erörtert Beziehungen, darunter Ursache und Wirkung, und analysiert Fragen der Dieselbigkeit und Verschiedenheit. Zugleich wird nach Kriterien von Klarheit, Deutlichkeit und Wirklichkeit der Vorstellungen gefragt und die Neigung des Geistes zur Vergesellschaftung von Ideen bedacht. Aus diesem Mosaik entsteht ein Bild des Denkens als aktiver, aber erfahrungsgebundener Tätigkeit, deren Bausteine und Operationen methodisch auseinandergelegt werden.
Mit Buch III rückt die Sprache als Werkzeug des Denkens in den Mittelpunkt. Locke untersucht die Bedeutung von Wörtern, die Bildung allgemeiner Begriffe, die Benennung einfacher Vorstellungen und von Substanzen sowie Neben- und Abstracta. Er zeigt, wie Unvollkommenheiten und Missbräuche der Worte Missverständnisse erzeugen, und entwickelt Mittel, um diese zu mindern. Die Aufmerksamkeit für den semantischen Unterbau philosophischer und alltäglicher Rede verleiht dem Werk eine anhaltende Aktualität: Es sensibilisiert dafür, wie Benennungen Erkenntnis erleichtern oder verstellen und wie begriffliche Sorgfalt eine Voraussetzung für sachhaltige Diskussionen bildet.
In Buch IV richtet sich der Blick auf das, was als Wissen gelten kann, auf seine Grade und seinen Umfang. Behandelt werden Fragen der Wahrheit, der allgemeinen Sätze, der Grundsätze und ihrer Beweiskraft. Zur Sprache kommen das Wissen vom Dasein, die Wahrscheinlichkeit, die Abstufungen des Zustimmens, das Verhältnis von Vernunft und Glauben, die Gefahr der Schwärmerei und die Ursachen des Irrtums. Abschließend skizziert Locke eine Einteilung der Wissenschaften. Der Leser erhält damit ein Instrumentarium, um sichere Erkenntnisse von bloßer Meinung zu unterscheiden und rationale Zustimmung von bloßer Überzeugung zu scheiden.
Die Gedanken über Erziehung stehen zu dieser Theorie in einem praktischen Verhältnis. Ausgehend von Gesundheit, Lebensordnung und Charakterbildung entfalten die Abschnitte eine Pädagogik, die Tugend, Klugheit und Wissbegierde verbindet. Behandelt werden Züchtigung und Belohnung, Maß und Umgang mit Regeln, Aufmerksamkeit für Eigenarten der Kinder, Furcht und Beherztheit, Wahrheitssinn, Artigkeit und Unterricht in Sprachen, Rechnen oder körperlichen Fertigkeiten. Die Vorzüge der häuslichen Erziehung, die Rolle des Erziehers und das Verhältnis von Strenge und Vertraulichkeit werden bedacht. So zeigt sich, wie sich eine empirische Erkenntnistheorie in konkrete Bildungsziele und -praktiken übersetzt.
Stilistisch zeichnen sich die Texte durch Klarheit, Gelassenheit und methodische Nüchternheit aus. Locke argumentiert schrittweise, vermeidet kunstvolle Dunkelheit und stützt sich auf Beispiele aus der Erfahrung, ohne aus ihnen vorschnelle Allgemeinheiten zu gewinnen. Definitionen, Unterscheidungen und Rückfragen strukturieren den Gang der Untersuchung, und der Verzicht auf scholastische Terminologie erleichtert den Zugang. Auch in erzieherischen Fragen bleibt der Ton maßvoll, an der Wirkung des Gewohnten und der Einsicht orientiert. Der Leser begegnet einem Autor, der anspruchsvolle Probleme mit bereits vorhandenen Mitteln des Denkens angeht und dessen Maßstab die Verständlichkeit ist.
Als verbindendes Thema durchzieht die Sammlung die Idee einer verantwortlichen Ökonomie des Geistes. Vorstellungen werden nach Herkunft und Klarheit gewertet, Worte an ihrer Bedeutung gemessen, Urteile an Gründen und Graden des Zutrauens geprüft, Gewohnheiten der Jugend im Blick auf künftige Urteilskraft gebildet. Theorie und Praxis stützen sich dabei wechselseitig: Erkenntniskritik weist die Grenzen und Möglichkeiten des Wissens aus, Erziehung formt die Fähigkeiten, diese Möglichkeiten zu nutzen. Diese Einheit erklärt die nachhaltige Wirkung des Werks und macht verständlich, warum Fragen der Sprache, des Lernens und des Begründens hier unlösbar zusammengehören.
Die anhaltende Bedeutung dieser Schriften zeigt sich in ihrer Anschlussfähigkeit für heutige Debatten. In der Erkenntnistheorie bieten sie Maßstäbe für die Beurteilung von Belegen und die Rolle der Wahrscheinlichkeit. In der Philosophie der Sprache sensibilisieren sie für die Präzision von Ausdrücken und den Umgang mit Abstraktionen. In Psychologie und Pädagogik regen sie dazu an, Lernprozesse aus der Perspektive von Aufmerksamkeit, Motivation und Gewöhnung zu betrachten. Über Disziplinen hinweg fördern sie eine Praxis des Denkens, die an Erfahrung, Klarheit und kritischer Prüfung orientiert ist und so Fehlurteilen vorbeugt.
Diese Ausgabe lässt sich auf verschiedenen Wegen erschließen. Wer die Anlage des Projekts verstehen möchte, beginnt mit den Rahmentexten und folgt der Abfolge der vier Bücher des Versuchs, ehe er die Gedanken über Erziehung konsultiert. Wer den praktischen Ertrag sucht, kann umgekehrt mit der Erziehungslehre starten und die theoretischen Grundlagen im Versuch nachlesen. In beiden Fällen empfiehlt sich ein Blick auf die Passagen zur Sprache, da sie die Verbindung zwischen Denken und Lehren erhellen. So eröffnet die Sammlung ein zusammenhängendes Bild des Geistes, seiner Kräfte und seiner verantwortlichen Anwendung.
John Locke (1632–1704) gilt als Schlüsselgestalt der frühen Aufklärung und als einer der Begründer des Empirismus. In einer Epoche intensiver naturwissenschaftlicher Erneuerung entwarf er eine Erkenntnistheorie, die Erfahrung, Beobachtung und sprachliche Klarheit ins Zentrum rückt. Sein Hauptwerk Ein Versuch über den menschlichen Verstand ordnete die Fragen nach Ursprung, Umfang und Grenzen des Wissens neu und prägte Debatten über Geist, Sprache und Wahrheit bis in die Gegenwart. Ergänzend entwarf er in Gedanken über Erziehung ein wirkungsvolles pädagogisches Programm. Beide Schriften stehen für eine nüchterne, methodische Haltung, die dogmatische Lehrsätze prüft und vernünftige Selbstbegrenzung als Bedingung verlässlichen Urteilens betont.
Locke erhielt seine Ausbildung in Oxford, wo er sich neben der traditionellen Logik zunehmend der experimentellen Naturforschung und der Medizin zuwandte. Die an Bacon anschließende Methodik, die Bedeutung von Beobachtung und kontrollierter Erfahrung, prägte sein Denken dauerhaft. Kontakte zu Forschern und Ärzten seiner Zeit – etwa zu Robert Boyle und Thomas Sydenham – bestärkten ihn, geistige Phänomene nach ähnlichen, vorsichtigen Regeln zu untersuchen wie körperliche Prozesse. Der Skepsis gegenüber scholastischer Begriffsdogmatik setzte er das Ideal einer prüfbaren, schrittweisen Erkenntnis entgegen. Diese Ausbildung bildet den Hintergrund für die systematische Anlage seines Versuchs über den menschlichen Verstand und seine nüchterne Begriffspolitik.
Der Ein Versuch über den menschlichen Verstand ist sorgfältig angelegt und beginnt mit Widmung und Ein Brief an den Leser, die Absicht und Methode erläutern. Das Erste Buch. Ueber angeborne Begriffe eröffnet mit einer Einleitung und prüft sodann die verbreitete Lehre angeborener Grundsätze. In den Kapiteln über theoretische wie praktische Prinzipien weist Locke zurück, dass gewisse Sätze der Seele von Natur aus eingeschrieben seien. Stattdessen verlangt er, Vorstellungen und Zustimmungsgrade aus Erfahrung zu erklären. Diese kritische Räumungsarbeit bereitet das positive Programm vor: das Denken als Zusammenspiel von Sinneswahrnehmung, Selbstbeobachtung und sprachlicher Ordnung ohne vorausgesetzte, unverrückbare Dogmen.
Im Zweiten Buch. Von den Vorstellungen entwickelt Locke sein positives Modell. Aus einfachen Vorstellungen, gewonnen durch die Sinne und durch die Selbstwahrnehmung, entstehen komplexe Gebilde. Er unterscheidet Vorstellungen eines Sinnes, mehreren Sinnen gemeinsame Qualitäten und mentale Akte wie Wahrnehmen, Behalten und Unterscheiden. Eigene Abschnitte widmen sich Dauer, Ausdehnung, Zahl und Unendlichkeit, den Zuständen des Denkens, der Kraft sowie Lust und Schmerz als Quellen von Motivation. Locke beschreibt, wie sich zusammengesetzte Vorstellungen und Sammel-Vorstellungen von Substanzen bilden und wie die Vergesellschaftung der Vorstellungen Gewohnheiten erzeugt. Identität und Dieselbigkeit werden als relationsabhängige, nicht mystische Kriterien präzise gefasst.
Das Dritte Buch. Ueber die Worte wendet sich der Sprache als Werkzeug des Denkens zu. Locke analysiert Bedeutung, allgemeine Ausdrücke und die Namen von Substanzen, zeigt die Rolle abstrakter und konkreter Ausdrücke und behandelt die Neben-Redetheile. Er diagnostiziert die Unvollkommenheit der Worte und den Missbrauch der Sprache als Hauptquelle von Streit, Scheinbegriffen und dogmatischen Fehlschlüssen. Dem setzt er Mittel entgegen: sorgfältige Definitionen, konsequente Verwendung und eine Aufmerksamkeit für die Grenzen, in denen Wörter Vorstellungen tatsächlich entsprechen. Die Sprachkritik flankiert seine Erkenntnistheorie, indem sie Verständigung erleichtert und die Versuchung reduziert, Worte für Wissen auszugeben.
Das Vierte Buch. Ueber Wissen und Meinen bestimmt Umfang, Gewissheit und Quellen unseres Wissens. Locke unterscheidet intuitive, demonstrative und sensitive Erkenntnis, diskutiert Wahrheit im Allgemeinen und prüft allgemeine Sätze samt ihren vermeintlichen Grundsätzen. Er analysiert unser Wissen vom Dasein, einschließlich des Daseins Gottes und anderer Dinge, und behandelt Wege der Vermehrung des Wissens. Wo Gewissheit fehlt, tritt Meinung und Wahrscheinlichkeit an ihre Stelle; dementsprechend differenziert er Grade des Zustimmens. Vernunft ordnet Gründe, während Glauben und Vernunft verschiedenen Bereichen zugehören; Schwärmerei und Irrtum entlarvt er als Fehlformen der Zustimmung. Eine abschließende Einteilung der Wissenschaften umreißt das intellektuelle Feld.
Mit Gedanken über Erziehung formulierte Locke ein praxisnahes Programm der Charakter- und Wissensbildung. Es beginnt mit Gesundheit und der Bildung des Geistes, fordert maßvolle Züchtigung, belohnende Motivation und wenige, konsequent eingeübte Regeln. Er empfiehlt häusliche Erziehung, fördert Wißbegierde statt Zwang, warnt vor Furcht und Grausamkeit, achtet auf Spielsachen, Wahrhaftigkeit und Artigkeit, und betont Unterricht in Sprachen, Rechnen, Buchführen, körperlichen Geschicklichkeiten sowie das Reisen; der Beschluß fasst die Leitlinien zusammen. In späteren Jahren überarbeitete er seine Schriften weiter. Locke starb 1704. Sein Vermächtnis prägt Empirismus, Sprachphilosophie und Pädagogik und bleibt ein Bezugspunkt nüchterner Aufklärung.
John Locke (1632–1704) schrieb im England der Frühaufklärung. Die hier versammelten Schriften – vor allem der Versuch über den menschlichen Verstand sowie die Gedanken über Erziehung – entstanden in einem Umfeld intensiver politischer, religiöser und wissenschaftlicher Umbrüche. Lockes Projekt zielte darauf, die Reichweite menschlicher Erkenntnis nüchtern zu bestimmen, Sprache zu klären und moralisch-praktische Bildung zu ordnen. Die Sammlung dokumentiert die Entstehung einer empirischen Philosophie, die sich von scholastischen Autoritäten löst und Beobachtung, Erfahrung und methodische Vorsicht in den Mittelpunkt stellt. Sie spiegelt zugleich die Bildungs- und Tugendideale einer neuen, an bürgerlicher Nützlichkeit und Zivilität orientierten europäischen Öffentlichkeit wider.
Lockes Lebenszeit war von Bürgerkrieg, Restauration und der Glorious Revolution (1688/89) geprägt. Er arbeitete als Arzt und Sekretär für Anthony Ashley Cooper, den späteren Earl of Shaftesbury, und war in die Auseinandersetzungen der Exclusion Crisis involviert. Nach politischem Druck ging Locke ins Exil in die Niederlande (1683–1689), einem Zentrum religiöser Duldung und lebhaften Buchhandels. Mit der Rückkehr nach England nach der Revolution wurden Toleranzfragen und Verfassungsfragen neu gestellt; das Toleration Act von 1689 markierte einen wichtigen, wenn auch begrenzten Schritt. Diese Konstellationen bilden den politischen Resonanzraum von Lockes erkenntnistheoretischem und pädagogischem Denken.
Die wissenschaftliche Revolution stellte die Denkmuster des 17. Jahrhunderts um. Empirie, Experiment und mathematische Beschreibung gewannen Geltung. Locke stand in engem Austausch mit Naturforschern wie Robert Boyle, wurde 1668 in die Royal Society aufgenommen und war Zeuge der Etablierung neuer Instrumente und Verfahren. Newtons Principia (1687) verliehen dem mechanischen Weltbild zusätzliche Autorität. In dieser Atmosphäre wendet sich Locke den Quellen und Grenzen des Wissens zu: Er übernimmt die Priorität der Erfahrung, warnt aber vor vorschnellen Systemen. Seine Philosophie des Geistes ist daher zugleich ein Reflex der experimentellen Haltung und eine Disziplinierung des Erkenntnisanspruchs.
Locke studierte in Oxford, wandte sich der Medizin zu und schätzte den klinisch-empirischen Stil des Arztes Thomas Sydenham. Die medizinische Prägung – Induktion aus Beobachtungen, Misstrauen gegenüber spekulativen Hypothesen – durchzieht den Versuch über den menschlichen Verstand. Diagnose, Differenzierung und die Suche nach praktisch wirksamen Mitteln bilden methodische Leitlinien. Daraus erklärt sich Lockes wiederholte Mahnung, Begriffe scharf zu bestimmen, die Evidenzgrade zu untersuchen und die Neigung des Geistes zu Irrtum und Vorurteil aufzuweisen. Der philosophische Text tritt so in eine Nähe zur Fallanalyse: Er prüft Funktionen, Fehlleistungen und Heilmittel des Erkennens.
Die Entstehung des Versuchs reicht bis in die frühen 1670er Jahre, als Locke in einer Diskussionsrunde den Plan fasste, die „Grenzen“ des Verstandes zu ermitteln. Nach jahrzehntelanger Arbeit erschien das Werk 1689 (dat. 1690) und erlebte rasch mehrere erweiterte Auflagen. Die Struktur in vier Büchern – von der Kritik angeborener Begriffe, über die Herkunft der Vorstellungen, zu den Problemen der Sprache und den Arten des Wissens – ist Ausdruck eines umfassenden Programms. Spätere Ausgaben nahmen substanzielle Zusätze auf; so wurde das Kapitel über die Vergesellschaftung der Vorstellungen erst in einer späteren Edition eingefügt und vertiefte psychologische Aspekte.
Der Angriff auf angeborene Begriffe reagiert auf vorherrschende rationalistische Deutungen, die gewisse Grundsätze als der Seele eingestiftet ansahen. Locke bestreitet dies und fordert, behauptete Universalität müsse durch Erfahrung belegt werden. Er richtet sich gegen dogmatische Berufungen auf Selbstverständlichkeit oder angebliche Zustimmung aller Vernünftigen. Damit verschiebt sich die Beweislast: Nicht mehr die Autorität der Tradition, sondern die prüfbare Herkunft und der Gebrauch eines Grundsatzes entscheidet. Diese Debatte war im 17. Jahrhundert europaweit präsent und berührte Theologie, Naturphilosophie und Morallehre gleichermaßen.
Mit der Lehre von der Entstehung der Vorstellungen aus Sinneswahrnehmung und Selbstbeobachtung positioniert sich Locke in der empiristischen Linie. Die Unterscheidung primärer und sekundärer Qualitäten greift Überlegungen der mechanischen Philosophie auf und ordnet Wahrnehmungsinhalte danach, ob sie den Dingen selbst oder der Wirkung auf unsere Sinne zugeschrieben werden. Diese Analyse dient weniger einer Metaphysik als einer Klärung, was wir mit Recht behaupten können. In einer Zeit, in der experimentelle Befunde traditionelle Kosmologien herausforderten, gab Lockes Ansatz eine erkenntnistheoretische Grammatik, die Maß und Zurückhaltung lehrte.
Das dritte Buch über die Worte reagiert auf die Einsicht, dass viele Streitigkeiten Scheinkonflikte aus Sprachverwirrung sind. Locke untersucht, wie allgemeine Ausdrücke entstehen, wie Namen mit Vorstellungen verknüpft sind und warum nominale und reale Essenzen auseinanderfallen. Dies steht im Kontext zeitgenössischer Logik- und Sprachreflexionen, etwa der Port-Royal-Logik, und des gelehrten Diskurses in Akademien und Kaffeehäusern. Indem Locke die Unvollkommenheiten und Missbräuche der Sprache analysiert und Mittel dagegen vorschlägt, liefert er methodische Regeln für Debatten, die im aufkommenden Druck- und Publikationswesen eine immer breitere Öffentlichkeit fanden.
Im vierten Buch differenziert Locke Wissen, Wahrscheinlichkeit und Meinung. Er bestimmt Grade der Zustimmung und prüft, auf welchen Feldern Gewissheit erreichbar ist. Diese Abstufungen standen im Einklang mit einem Zeitalter, das neben mathematischer Strenge auch mit Unsicherheit kalkulierte – sichtbar in der Entstehung von Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik. Lockes Betonung vernünftiger Zustimmung bereitete eine Kultur des pragmatischen Urteilens, die moralische, rechtliche und politische Deliberation stärkte. Sie beförderte eine Ethik intellektueller Bescheidenheit, die Anspruch und Beleg zusammenführte und so die Debattenkultur der Aufklärung prägte.
Mit der Unterscheidung von Vernunft und Glauben sowie Überlegungen zum Dasein Gottes verortet Locke religiöses Wissen in einem klar umrissenen Bereich. Er verteidigt die Vernünftigkeit des Christentums, grenzt aber autoritätsgläubiges Fürwahrhalten gegen wohlgegründete Zustimmung ab. Die Auseinandersetzungen mit Edward Stillingfleet, dem Bischof von Worcester, zeigen die Brisanz dieser Grenzziehung in der anglikanischen Kultur der 1690er Jahre. Im Hintergrund standen Kontroversen um Trinitätslehre, Dogmengewissheit und die Rolle der natürlichen Religion. Lockes Ansatz bot vielen Protestanten eine philosophische Apologie, ohne konfessionelle Streitfragen selbst entscheiden zu wollen.
Die Gedanken über Erziehung (1693) entspringen einem Umfeld, in dem die Bildung des „Gentleman“ neu definiert wurde. Nach den Umbrüchen der 1680er Jahre wuchs der Bedarf an tugendhafter, nützlicher und gesellschaftlich tauglicher Bildung. Locke betont frühkindliche Gewöhnung, Charakterbildung, Gesundheitspflege und die Anpassung des Unterrichts an Fähigkeiten und Interessen. Diese Pädagogik ist praxisnah und an der Lebensführung orientiert. Sie adressiert Eltern und Erzieher der gebildeten Schichten und zielt auf Selbstdisziplin, Urteilskraft und Zivilität – Eigenschaften, die die neue politische Ordnung und die kommerzielle Gesellschaft als Stützen brauchten.
Locke plädiert für maßvolle Züchtigung, für Lob und Tadel als soziale Anreize, für Bewegung, frische Luft und robuste Gewohnheiten. Sprachunterricht, Mathematik und „nützliche“ Fertigkeiten sollen in lebensnahen Situationen eingeübt werden. Er misstraut bloßem Auswendiglernen und setzt auf das Interesse des Kindes. Reisen und Umgangsformen erscheinen als Mittel, Urteil und Sittlichkeit zu formen. Diese Empfehlungen entsprechen einer breiteren europäischen Verschiebung weg von rein klassizistischer Gelehrsamkeit hin zu praktischen Kompetenzen. Sie beeinflussten Debatten über häusliche Erziehung, Schulorganisation und die Verbindung von Wissen, Tugend und bürgerlicher Lebensart.
Die Entfaltung einer Öffentlichkeit im späten 17. Jahrhundert – Kaffeehäuser, gelehrte Zeitschriften, intensiver Buchdruck – bildete den Resonanzboden von Lockes Wirkung. Die niederländische Druckfreiheit begünstigte Publikationen im Exil; nach dem Auslaufen des englischen Lizenzsystems 1695 erweiterte sich der Spielraum für kontroverse Schriften. Übersetzungen verbreiteten Lockes Gedanken rasch. Besonders einflussreich war die französische Übersetzung des Essays von Pierre Coste (1700), die die Diskussion in der frankophonen Gelehrtenrepublik prägte. In diesem Netzwerk wurden seine Thesen zu Sprache, Evidenz und Wahrscheinlichkeit zu Instrumenten gemeinsamer Verständigung.
Locke war auch in wirtschafts- und kolonialpolitische Fragen eingebunden. Er verfasste Schriften über Zins und Geldwert (1691, 1695) und wirkte nach 1696 im Board of Trade, während die englische Krone Handel und Kolonien ausbaute. Die Epoche war von Atlantikhandel und Sklaverei gezeichnet, und Locke war an kolonialen Verfassungsentwürfen, etwa für Carolina, beteiligt. Diese Kontexte bilden den zeitgenössischen Hintergrund seiner liberalen Theorie, die Eigentum, Arbeit und Vertrag betont. Spätere Forschung hat auf Spannungen zwischen normativen Idealen und ökonomischen Realitäten hingewiesen, ohne seine erkenntnistheoretischen und pädagogischen Beiträge zu schmälern.
Die Reaktionen auf den Versuch setzten früh ein. Debatten um Substanz, persönliche Identität und abstrakte Ideen durchzogen die gelehrte Öffentlichkeit. Leibhafte Gegenspieler und Nachfolger profilierten sich: George Berkeley kritisierte Lockes Lehre abstrakter Begriffe und die Annahme materieller Substrate; David Hume radikalisierte die Analyse von Ursache und Wahrscheinlichkeit. Leibniz verfasste die Nouveaux essais sur l’entendement humain (1704, gedruckt 1765) als systematische Antwort. Gleichzeitig fand Lockes Kapitel über die Vergesellschaftung der Vorstellungen in der Assoziationspsychologie des 18. Jahrhunderts (etwa bei David Hartley) ein produktives Echo.
Im deutschen Sprachraum kursierten im 18. Jahrhundert Übersetzungen und Paraphrasen, und Lockes Thesen wurden in metaphysischen und erkenntnistheoretischen Kollegien diskutiert. Seine Sprachkritik und Empirie wirkten in die populäre Aufklärung, während systematische Philosophen – unterschiedlich akzentuiert – Grenzziehungen zwischen Sinnlichkeit und Verstand neu auslegten. Pädagogische Reformer wie Basedow, Campe oder später Pestalozzi griffen Motive der frühen Gewöhnung, der anschaulichen Übung und der moralischen Selbstführung auf. Damit trugen Lockes Ideen zur Verbindung von Erkenntnistheorie, Anthropologie und Erziehungswissenschaft in der deutschsprachigen Aufklärung bei.
Die Sammlung kommentiert ihre Zeit, indem sie die Reichweite des Wissens, die Fallstricke der Sprache und die Formung des Charakters zusammenführt. Sie antwortet auf politische Revolution, konfessionelle Spannungen und den Aufstieg experimenteller Wissenschaft mit einem Programm der rationalen Selbstbegrenzung und praktischen Mündigkeit. Spätere Deutungen haben unterschiedliche Linien betont: die Rolle des Eigentums in der politischen Philosophie, die erkenntniskritische Disziplinierung dogmatischer Systeme, die pädagogische Reform. Ungeachtet der Kontroversen bleibt Lockes Philosophie des Geistes eine Schlüsselquelle zum Verständnis der europäischen Aufklärung und ihrer langfristigen Wirkung auf Wissenskultur und Bildung.
Die Widmung und der Brief an den Leser rahmen den Essay als nüchterne Untersuchung der Leistungsfähigkeit des menschlichen Verstandes. Locke umreißt Ziel, Methode und Grenzen seines Projekts und bittet um wohlwollende, aber kritische Prüfung, verbunden mit dem Programm klarer Begriffe statt scholastischer Wortstreitigkeiten.
Buch I argumentiert gegen die Lehre angeborener theoretischer und praktischer Grundsätze. An Beispielen aus Erfahrung und Entwicklungsunterschieden zeigt Locke, dass vermeintliche Selbstverständlichkeiten gelernt sind und dass keine Sätze universell und von Geburt an anerkannt werden. Der Ton ist polemisch-analytisch und bereitet das empiristische Grundmotiv vor.
Buch II entfaltet eine Theorie der Vorstellungen, die alle Inhalte des Geistes auf Sinneswahrnehmung und Selbstbeobachtung zurückführt. Aus einfachen Vorstellungen werden durch Vergleich, Abstraktion und Zusammensetzung komplexe Gebilde wie Raum, Dauer, Zahl, Ursache und Wirkung, Identität, Macht oder moralische Gemenge gebildet; Lust und Schmerz steuern dabei Aufmerksamkeit und Motivation. Charakteristisch ist die systematische Katalogisierung mentaler Akte und Inhalte, einschließlich der Assoziation von Ideen und der Unterscheidung zwischen Klarheit, Deutlichkeit und Angemessenheit.
Buch III untersucht die Sprache als Zeichen von Vorstellungen und erklärt, wie allgemeine Ausdrücke durch Abstraktion entstehen. Es diagnostiziert Unvollkommenheiten und Missbräuche der Worte—besonders bei Namen von Substanzen—als Hauptquelle philosophischer Verwirrung und empfiehlt definitorische Disziplin und sorgfältigen Gebrauch. Der Fokus liegt auf Semantik als Voraussetzung klaren Erkennens.
Buch IV bestimmt Wissen als Einsicht in Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung von Vorstellungen und unterscheidet Grade und Reichweite menschlicher Erkenntnis. Es behandelt Wahrheit, die Wirklichkeit des Wissens sowie unser Wissen vom Dasein Gottes und äußerer Dinge und ordnet Wahrscheinlichkeit, Zustimmung, Vernunft, Glauben, Schwärmerei und Irrtum ein. Abschließend skizziert Locke eine Einteilung der Wissenschaften und betont die Grenzen wie den praktischen Nutzen des Erkennens.
Die Gedanken über Erziehung verbinden eine Ethik der Tugend mit pragmatischer Pädagogik, die Gesundheit, Charakterbildung und Gewöhnung in den Mittelpunkt stellt. Locke plädiert für wenige klare Regeln, maßvolle Züchtigung, kluge Belohnungen und die Pflege von Neugier statt Zwang, abgestimmt auf Temperament und Eigenart des Kindes. Inhaltlich empfiehlt er eine ausgewogene Bildung aus praktischen Geschicklichkeiten, Sprachen, Rechnen, Umgangsformen und Reisen, um vernünftige, selbstbeherrschte Personen zu formen.
Wiederkehrend sind Empirismus, Antidogmatismus und die Forderung nach klaren Begriffen: Erkenntnis entsteht aus Erfahrung, Sprache muss präzisiert, Autorität kritisch geprüft werden. Stilistisch verbindet Locke nüchterne Analyse, systematische Gliederung und anschauliche Beispiele mit einem pragmatischen, lebensweltlichen Fokus. Die Verbindung von Erkenntnistheorie, Sprachkritik und Pädagogik zielt auf mündige Urteilskraft und verantwortliches Handeln.
Gleich wie du nicht weisst den Weg des Windes, und wie die Gebeine im Mutterleibe bereitet werden, also kannst du auch Gottes Werk nicht wissen, das er thut überall.
Prediger Salomo, Kap. 11, v. 5.
Wie schön ist es, lieber sein Nichtwissen einzugestehen, als Dergleichen herauszuschwätzen und sich selbst zu missfallen.
Cicero, Ueber die Natur der Götter, Buch I.
Inhaltsverzeichnis
Dem Ehrenwerthen Thomas,Grafen von Pembroke u. Montgommery.
Mein Lord!
Diese Schrift ist unter Ihren Augen entstanden und wagt sich auf Ihr Geheiss in die Welt; sie kommt wegen des Schutzes, den Sie ihr vor mehreren Jahren zugesagt haben, in Folge eines gewissen natürlichen Rechts zu Ihnen. Es geschieht nicht, weil etwa ein dem Buche vorgesetzter Name, sei er auch noch so gross, die darin enthaltenen Fehler verdecken könnte; denn gedruckte Sachen müssen durch ihren eigenen Werth oder durch die Meinung der Leser stehen und fallen; indess kann die Wahrheit sich nichts Besseres wünschen, als einen vorurtheilsfreien Hörer, und diesen kann mir Niemand mehr als Eure Lordschaft gewähren, der, wie allbekannt, mit ihr bis in ihre geheimsten Tiefen vertraut geworden ist. Ihre Untersuchungen auf den höchsten und allgemeinsten Gebieten des Wissens sind, wie Jedermann anerkennt, weit über das gewöhnliche Bereich und über die bekannten Methoden hinausgegangen; deshalb wird Ihre Aufnahme dieser Schrift und Ihre Billigung meiner Absicht sie wenigstens davor bewahren, dass sie angelesen verdammt wird; vielmehr wird man dann sich zu einer Prüfung ihres Inhaltes entschliessen, während ohnedem sie vielleicht nicht der Beachtung werth gehalten worden wäre, weil sie von der betretenen Heerstrasse etwas abgeht.
Der Vorwurf der Neuheit gilt bei allen Denen als eine schwere Schuld, die den Kopf eines Menschen wie ihre Perücken beurtheilen; nämlich nach der Mode, und die nichts, als die angenommenen Lehren für wahr gelten lassen. Die Wahrheit hat bei ihrem ersten Erscheinen kaum je und irgendwo die Stimmen für sich gehabt; neue Meinungen gelten immer als verdächtig, und man widerspricht ihnen, blos weil sie noch nicht gemeingültig sind. Allein die Wahrheit bleibt gleich dem Golde nicht weniger sie selbst, weil sie frisch aus dem Schacht gehoben worden ist. Die Probe und Prüfung soll ihren Werth bestimmen, aber nicht eine alte Mode, und selbst wenn sie noch unter keinem öffentlichen Stempel umläuft, so kann sie trotzdem so alt sein, wie die Natur selbst, und ist sicherlich deshalb nicht weniger acht.
Eure Lordschaft könnte einen grossen und überzeugenden Beweis dazu liefern, wenn Sie das Publikum mit einigen von den weiten und umfassenden Entdeckungen erfreuen wollten, die Sie in Bezug auf bisher unbekannte Wahrheiten gemacht haben. Denn bisher sind es nur Wenige, denen Sie Etwas davon mitgetheilt haben. Dieser Grund allein genügte mir, auch wenn keine weiter vorhanden wären, Ew. Lordschaft diesen Versuch zu widmen. Sollte er mit den Theilen jenes hohen und weiten Systems der Wissenschaften übereinstimmen, von welchen Sie einen so neuen, genauen und lehrreichen Auszug gemacht haben, so ist es Ruhmes genug für mich, wenn Sie mir die öffentliche Erklärung gestatten, dass ich auf Gedanken gekommen bin, die von den Ihrigen nicht ganz abweichen. Sollte dies durch Ihre Ermuthigung der Welt bekannt werden, so wird dies hoffentlich Ew. Lordschaft selbst jetzt oder später weiter führen, und Sie gestatten mir zu sagen, dass Sie hier der Welt ein Angeld auf ein Werk geben, was, wenn sie es ertragen kann, deren Erwartungen nicht täuschen wird.
Dies zeigt, welches Geschenk ich Ihnen hier überreiche; genau ein solches, wie ein Armer es seinem reichen und grossen Nachbar giebt, der den Strauss von Blumen oder Früchten gern annimmt, obgleich er selbst eine Fülle davon in grösserer Vollkommenheit besitzt. Werthlose Dinge werden werthvoll, wenn sie als die Gaben der Ehrfurcht, Hochachtung und Dankbarkeit auftreten; diese Gefühle für Ew. Lordschaft zu hegen, baten Sie mir so gewichtigen und besondern Anlass gegeben, dass, wenn diese Gefühle einen ihrer Grösse entsprechenden Werth der sie begleitenden Gabe gewähren Könnten, ich in Wahrheit mich rühmen könnte, Ihnen das reichste Geschenk zu machen, was Sie je empfangen haben. Jedenfalls habe ich die Pflicht, jede Gelegenheit zum Anerkenntniss der langen Reihe von Gunstbezeugungen aufzusuchen, die ich von Ihnen empfangen habe; Gunstbezeugungen, die schon an sich gross und bedeutend, es doch weit mehr durch die Geneigtheit, Sorgfalt, Freundlichkeit und andere verbindliche Nebenumstände wurden, von denen sie stets begleitet waren. Zu Alledem sagen Sie, was denselben den höchsten Werth und Reiz giebt, dass Sie mich Ihrer fernem Achtung würdigen und mir Ihr Andenken, ich hätte beinah gesagt, Ihre Freundschaft bewahren wollen. Ihre Worte und Handlungen zeigen dies bei allen Gelegenheiten, selbst Andern, wenn ich nicht gegenwärtig bin; so dass ich ohne Eitelkeit es, sagen darf, da Jedermann es weiss; ja es würde unhöflich sein, wenn ich nicht anerkennen wollte, was so viele Zeugen und jeder Tag mir sagen, wie sehr ich Ew. Lordschaft dafür verpflichtet bin. Ich wollte, Ihre Worte könnten meiner Dankbarkeit so beistehen, wie sie mich von meinen grossen Verpflichtungen gegen Ew. Lordschaft überzeugen. Ich würde sicherlich über den Verstand schreiben, wenn ich auch keine Verpflichtungen hätte; allein ich bin durchdrungen von denselben und benutze diese Gelegenheit, um der Welt zu zeigen, wie sehr ich sein soll und bin
Mein Lord Eurer Herrlichkeit unterthänigster und gehorsamster DienerJohn Locke.
Dorset-Hof, den 24. Mai 1689.
Inhaltsverzeichnis
Lieber Leser!
Ich lege hier in Ihre Hand eine Arbeit, die mir in freien und schweren Stunden eine angenehme Zerstreuung gewährt hat; wenn sie so glücklich ist, auch Ihnen eine solche für einige Stunden zu gewähren, und wenn das Lesen der Schrift Ihnen nur halb so viel Vergnügen macht, als mir das Schreiben derselben, so dürfte Ihr Geld so wenig, wie meine Mühe schlecht angewendet sein. Nehmen Sie dies nicht als eine Empfehlung meines Werkes; weil mir seine Herstellung Freude gemacht hat, so glauben Sie deshalb nicht, dass ich nun, nachdem es fertig ist, ganz davon eingenommen wäre. Wer mit Falken die Lerchen und Sperlinge jagt, hat dasselbe Vergnügen, aber weniger Mühe, als Der, welcher die Falken zu edlerer Jagd verwendet, und man kennt den Gegenstand dieser Abhandlung, den Verstand, nur wenig, wenn man nicht weiss, dass er nicht blos das oberste Vermögen der Seele ist, sondern sein Gebrauch auch ein grösseres und beständigeres Vergnügen als alles Andere gewährt. Seine Forschungen nach Wahrheit sind eine Art Jagd, wo schon die Verfolgung allein einen grossen Theil des Vergnügens ausmacht. Jeder Schritt, den die Seele in ihrer Annäherung zu der Wissenschaft thut, führt zu einer Entdeckung, die, wenigstens zur Zeit, nicht blos neu, sondern auch die beste ist.
Der Verstand urtheilt, gleich dem Auge über die Gegenstände nur nach seinem eignen Gesicht; was er entdeckt, muss ihm deshalb Freude machen, und was ihm entgeht, kann ihn nicht betrüben, weil es ihm unbekannt bleibt. Wer sich über den Almosenkorb erhoben hat und nicht blos träge von den Brosamen erbettelter Meinungen lebt, sondern es unternimmt, durch eignes Denken die Wahrheit zu finden und zu verfolgen, wird (was er auch erlangt) die Zufriedenheit des Jägers empfinden; jeder Zeitpunkt in ihrer Verfolgung, wird seine Mühe mit einer Freude lohnen, und er wird mit Recht seine Zeit nicht für schlecht angewendet halten, selbst wenn er eben nichts Grosses erlangt haben sollte.
Dies, geehrter Leser, ist der Genuas Derer, welche ihre Gedanken loslassen und ihnen schreibend nachfolgen; Sie brauchen sie nicht zu beneiden, denn sie bieten Ihnen Gelegenheit zu gleichem Genuss, wenn Sie nur bei dem Lesen von Ihrem eigenen Denken auch Gebrauch machen wollen. Sind die Gedanken Ihre eignen, so nehme ich Bezug darauf; sind sie aber in Vertrauen von Andern angenommen, so kommt es auf sie wenig an, da sie nicht die Wahrheit, sondern niedrigere Absichten verfolgen, und man sich um das, was gesagt wird, nicht zu bekümmern braucht, wenn es blos Andern nachgesprochen wird. Wenn Sie selbst urtheilen, so weiss ich, dass Sie ehrlich urtheilen, und dann soll mich kein Tadel betrüben oder verletzen. Diese Abhandlung enthält allerdings nichts, von dessen Wahrheit ich nicht voll überzeugt wäre; allein ich kann mich doch irren, wie Sie, und ich weise, dass dieses Buch steht und fällt nicht nach der Meinung, die ich, sondern die Sie davon haben. Finden Sie wenig Neues und Belehrendes darin, so werden Sie mich deshalb nicht tadeln. Es ist nicht für Die bestimmt, welche den Gegenstand schon bemeistert haben und mit ihrem Verstande vollständig bekannt sind; sondern ich habe mich damit selbst und einige Freunde, die anerkannten, dass sie noch nicht genügend mit ihm bekannt seien, unterrichten wollen. Schickte es sich, Sie mit der Entstehung dieses Buches zu unterhalten, so wurde ich sagen, dass fünf bis sechs Freunde sich in meinem Zimmer einzufinden pflegten und bei der Besprechung ganz andrer Dinge, als die hier behandelten, sich bald durch Schwierigkeit gehemmt sahen, die von allem Seiten sich erhoben. Nachdem wir ins viel gemüht, und doch der Lösung der Zweifel, die uns bedrängten, nicht näher kamen, fiel mir ein, dass wir wohl einen falschen Weg eingeschlagen hätten, und dass vor Beginn solcher Untersuchungen man seine eignen Fähigkeiten prüfen und sehen müsste, welche Dinge sich zu einer Beschäftigung für den Verstand eignen. Ich sagte dies der Gesellschaft; man stimmte mir bei und beschloss, dies zuerst in Untersuchung zu nehmen. Einige Gedanken, die ich eilig und roh über diesen von mir bisher unbeachteten Gegenstand bei der nächsten Zusammenkunft vorbrachte, gaben den ersten Anlass zu der vorliegenden Untersuchung. So wurde das Werk aus Zufall begonnen und auf Bitten fortgesetzt; in einzelnen Stücken ohne Zusammenhang niedergeschrieben, und nach langen Pausen der Vernachlässigung wieder ausgenommen, wie es meine Stimmung oder die Umstände gestatteten; zuletzt wurde es an einem einsamen Ort, wohin ich meiner Gesundheit wegen mich zurückziehen musste, in seine gegenwärtige Ordnung gebracht.
Diese Unterbrechungen in der Abfassung vorliegender Schrift haben neben andern die beiden Fehler zur Folge gehabt, dass bald zu viel, bald zu wenig in ihr gesagt worden ist. Wenn der Leser finden sollte, dass Etwas fehlt, so werde ich mich freuen, dass das von mir Gegebene ihn wünschen lässt, ich möchte weiter gegangen sein; scheint es ihm aber zu viel, so trägt der Gegenstand die Schuld, denn als ich die Feder ansetzte, glaubte ich Alles über den Gegenstand auf einen Bogen bringen zu können; allein je weiter ich kam, desto grösser wurde die Aussicht; neue Entdeckungen führten mich immer weiter, und so ist das Buch unvermerkt zu seinem jetzigen Umfange angewachsen. Vielleicht hätte es gedrängter gehalten werden können; ja die stückweise und oft lange unterbrochene Abfassung desselben mag zu manchen Wiederholungen geführt haben. Indess bin ich jetzt, offen gestanden, theils zu träge, theils zu beschäftigt, um es abzukürzen.
Ich weiss wohl, dass ich meinen Ruhm wenig bedenke, wenn ich es so wissentlich mit einem Fehler in die Welt schicke, der den verständigen Lesern, die immer am eigensten sind, misfallen kann; allein wenn die Trägheit sich immer mit einer Entschuldigung zu beruhigen weiss, so wird man es verzeihen, wenn sie auch bei mir, der ich einen guten Theil davon besitze, die Überhand behalten hat. Ich erwähne deshalb nicht, dass derselbe Begriff vermöge seiner verschiedenen Beziehungen für den Beweis oder die Erläuterung verschiedener Theile einer Darstellung nothwendig oder nützlich werden kann, und dass dies hier mehrfach der Fall gewesen ist; indess will ich gern gestehen, dass ich oft aus einem ganz andern Grunde bei einem Gegenstande lange verweilt und ihn in verschiedener Weise ausgedrückt habe. Ich veröffentliche nämlich diesen Versuch nicht zur Belehrung von Männern von schneller Fassungskraft und weitem Blick; solchen Meistern gegenüber bin ich selbst nur ein Schüler, und ich warne sie deshalb im Voraus, dass sie hier nicht mehr erwarten, als was ich aus meinen eignen groben Gedanken gesponnen habe, und was für Leute meiner Art passt. Diesen ist es vielleicht nicht unangenehm, dass ich mir Mühe gegeben habe, manche Wahrheiten ihrem Denken fassbarer und vertrauter zu machen, welche durch herrschende Vorurtheile oder durch die grosse Allgemeinheit der Begriffe schwer fassbar sind. Manches musste nach allen Seiten gewendet werden, und sind Begriffe neu, wie es manche für mich gewesen, oder ungewöhnlich, wie es Andern scheinen wird, so genügt ein einfacher Blick nicht, um ihnen Eingang in Jedermanns Verstande zu verschaffen und sie da klar und dauernd einzuprägen. Mancher wird an sich selbst oder an Andern schon bemerkt haben, dass das, was bei der einen Art des Vertrags dunkel blieb, durch eine andere Art klar und verständlich wurde; obgleich hinterher beide Arten sich wenig unterschieden zeigten und es auffallen konnte, dass man die eine weniger, wie die ändere verstanden hatte. Indess macht nicht jede Sache den gleichen Eindruck auf Jedermann. Der Verstand ist bei dem Menschen ebenso verschieden, wie der Gaumen, und wer da glaubt, dass dieselbe Wahrheit bei Jedem in derselben Kleidung die gleiche Aufnahme finden müsse, müsste auch glauben, Jedermanns Geschmack mit derselben Art zu kochen treffen zu können. Das Gericht kann dasselbe und nahrhaft sein, und doch schmeckt es nicht Jedem gut, und selbst für eine starke Leibesverfassung muss es oft anders zubereitet werden, wenn es verzehrt werden soll. In Wahrheit haben Die, welche mir riethen, die Schrift zu veröffentlichen, auch deshalb gerathen, sie so, wie sie ist, zu veröffentlichen, und nun, nachdem ich sie einmal aus der Hand gegeben, möchte: ich wenigstens, dass sie auch von Jedem, der sie zu lesen sich die Mühe nimmt, verstanden würde. Ich selbst habe so wenig Gefallen an dem Gedrucktwerden, dass ich, wenn ich nicht erwartete, dieser Versuch werde Andern ähnlichen Nutzen wie mir selbst bringen, ihn nur den wenigen Freunden mitgetheilt haben würde, die ihn zunächst veranlasst hatten. Da ich also möchte, dass der Druck der Schrift soviel Nutzen, als möglich, brächte, so schien es mir nöthig, das, was ich zu sagen habe, für alle Arten von Lesern so laicht und fasslich als möglich zu machen. Deshalb will ich lieber, dass Leser von Scharfsinn und schneller Fassungskraft sich über meine Langweiligkeit bei einzelnen Punkten beklagen, als dass die, welche an schwierigen Untersuchungen nicht gewöhnt oder in Vorurtheilen befangen sind, meine Meinung missverstehen oder gar nicht verstehen.
Man tadelt es vielleicht als eine grosse Eitelkeit oder Dreistigkeit, wenn ich mir herausnehme, unser kluges Zeitalter zu belehren; denn darauf läuft es wohl hinaus, wenn ich hoffe, dass die Veröffentlichung dieses Versuches für Andere nützlich sein werde. Offen gestanden, scheint es mir indess mehr nach Eitelkeit oder Anmassung zu schmecken, wenn man mit erkünstelter Bescheidenheit seine eignen Schriften für werthlos erklärt, ab wenn man ein Buch aus einem andern Grunde veröffentlicht; denn es ist eine Verletzung der dem Publikum schuldigen Achtung, wenn man Bücher druckt, und deshalb auf Leser derselben hofft, obgleich sie nichts Nützliches für sich darin finden sollen. Sollte auch nichts Gutes in diesem Versuch enthalten sein, so war doch meine Absicht hierauf gerichtet, und diese gute Absicht mag die Werthlosigkeit des Geschenkes entschuldigen. Dies ist es auch, was mich trösten wird, im Fall die Kritiker mich tadeln sollten, was ich, da es bessern Schriftstellern so ergangen, wohl zu erwarten habe. Die Grundsätze, Begriffe und der Geschmack der Menschen sind so verschieden, dass man schwerlich ein Buch finden wird, was Allen gefällt oder Allen missfällt. Ich weiss, dass das jetzige Zeitalter nicht das schwächste an Wissen ist, und dass es deshalb nicht leicht zu befriedigen ist. Wenn ich nicht das Glück habe, zu gefallen, so braucht doch auch Niemand sich durch mich für beleidigt zu halten. Ich sage meinen Lesern offen, dass diese Abhandlung ursprünglich nicht für sie, ein Dutzend ohngefähr ausgenommen, bestimmt war, und dass sie nicht zu diesem Dutzend gehören. Will aber Einer darüber böse werden oder sich darüber lustig machen, so mag er es thun; ich selbst kann meine Zeit besser als zu solcher Unterhaltung anwenden. Ich habe wenigstens immer aufrichtig die Wahrheit und den Nutzen angestrebt, wenn auch vielleicht in sehr einfacher Weise. Die Gelehrtenwelt hat jetzt ihre grossen Baumeister, deren mächtige Unternehmen zur Beförderung der Wissenschaften der bewundernden Nachwelt bleibende Denkmäler überliefern werden; allein nicht Jeder kann ein Boyle oder ein Sydenham sein, und in einem Zeitalter, welches Meister wie den grossen Huygens und den unvergleichlichen Newton und einige Aehnliche erzeugt hat, gereicht es schon zur Ehre, wenn man als ein niederer Gehülfe den Boden ein wenig reinigt und den Schutt aus dem Wege des Wissens forträumt. Die Wissenschaften wären sicherlich schon weiter vorgeschritten, wenn die Bemühungen geistreicher und fleissiger Männer nicht so viel durch den gelehrten, aber nutzlosen Ballast sonderbarer, eitler oder unverständlicher Ausdrücke gehemmt gewesen wären, die in den Wissenschaften eingeführt und zu einer solchen Kunst erhoben worden sind, dass die Philosophie, die doch nur in der wahren Erkenntniss der Dinge besteht, in guter Gesellschaft und in der feinem Unterhaltung nicht mehr berührt und behandelt werden kann. Schwankende und bedeutungslose Ausdrucksweisen und Missbrauch der Sprache haben so lange für Geheimnisse der Wissenschaft gegolten; schwere und falsch angewendete Worte ohne Sinn haben so sehr das Recht erlangt, für tiefe Gelehrsamkeit und erhabenes Denken zu gelten, dass man jetzt weder den Redner noch die Zuhörer davon überzeugen kann, wie damit nur die Unwissenheit und die Hemmnisse des wahren Wissens verdeckt werden. Wenn ich in dieses Heiligthum von Eitelkeit und Unwissenheit einbreche, so leiste ich vielleicht dem menschlichen Verstande damit einen Dienst, obgleich allerdings Wenige glauben, dass sie durch Worte täuschen oder getäuscht werden können, oder dass die Sprache ihrer Sekte an Fehlern leide, die untersucht und verbessert werden müssen. Man wird daher hoffentlich mir verzeihen, wenn ich im dritten Buche etwas lange bei diesem Gegenstande verweilt, und versucht habe, ihn so klar zu machen, dass weder das Alter des Uebels noch die Macht der Mode Diejenigen noch länger entschuldigen kann, welche sich um den Sinn ihrer eigenen Worte nicht kümmern und die Bedeutung ihrer Ausdrücke nicht untersucht haben wollen.
Man hat mir gesagt, dass der kurze Auszug, welcher von diesem Werke 1688 erschienen ist, von Einigen, ohne ihn gelesen zu haben, verurtheilt worden sei, weil die angebornen Ideen darin geleugnet worden. Man schloss voreilig, dass, wenn diese geleugnet würden, von den Begriffen der Geister und dem Beweise für ihr Dasein wenig übrig bleiben könne. Wenn Jemand denselben Anstoss an dem Eingänge dieser Abhandlung nehmen sollte, so wünschte ich wenigstens, dass er sie durchläse; dann wird er hoffentlich überzeugt werden, dass die Beseitigung falscher Grundlagen der Wahrheit nicht schadet, sondern nützt; sie ist niemals so gefährdet, als wenn sie mit dem Irrthum gemischt oder darauf errichtet wird.
In der zweiten Ausgabe dieses Werkes habe ich die folgenden Sätze hinzugefügt: »Der Buchhändler würde es mir nicht vergeben, wenn ich von dieser zweiten Ausgabe nichts sagte, die, wie er versprochen, durch ihre Genauigkeit die vielen in der ersten befindlichen Fehler wieder gut machen soll. Ich soll auch erwähnen, dass sie ein ganz neues Kapitel über die Dieselbigkeit enthält, und mancherlei Zusätze und Verbesserungen in andern Stellen. Sie betreffen nicht immer neue Gegenstände, sondern grösstentheils eine Bestätigung früherer Aeusserungen oder Erläuterungen, um Missverständnissen zuvorzukommen, aber keine Abweichungen von früher Gesagtem, mit Ausnahme der im II. Buch, Kap. 21 gemachten Aenderungen.
Was ich über die Freiheit und den Willen geschrieben habe, verdient nach meiner Meinung die möglichst sorgfältige Beachtung; denn diese Fragen haben zu allen Zeiten die gelehrte Welt beschäftigt, und ihre Schwierigkeiten haben die Moral und Theologie nicht wenig in Verlegenheit gebracht; es sind Fragen, an deren Klarheit die Menschheit auf das Höchste betheiligt ist. Eine genaue Untersuchung der Thätigkeiten der menschlichen Seele und der hierbei auftretenden Beweggründe und Zwecke hat mich zu einer Aenderung meiner frühem Ansichten hierbeigeführt, wonach der Wille bei allen freiwilligen Handlungen die letzte Bestimmung behält. Ich erkenne dies freimüthig und bereitwillig ebenso an, wie ich ebenso in der ersten Ausgabe das aussprach, was mir damals das Richtige zu sein schien; denn ich will lieber meine eigene Meinung aufgeben, als einer andern entgegentreten, sobald mir jene falsch erscheint. Ich suche nur die Wahrheit, und sie wird mir immer willkommen sein, wenn und von wem sie auch kommen mag.
So bereitwillig ich indess meine Ansicht aufgebe oder von früher Gesagtem zurücktrete, wenn der Irrthum mir dargelegt wird, so muss ich doch gestehen, dass ich nicht so glücklich gewesen bin, einiges Licht aus den Entgegnungen zu entnehmen, die mein Buch sonst erfahren hat; ich habe in keinem der betreffenden Punkte einen Grund zur Aenderung meiner Ansicht daraus entnehmen können. Sei es, dass der behandelte Gegenstand mehr Nachdenken und Aufmerksamkeit erfordert, als flüchtige oder wenigstens voreingenommene Leser gewähren mögen, oder sei es, dass die Dunkelheit eine Wolke über meine Ausdrücke verbreitet, und meine Art, die Begriffe zu behandeln, die Auffassung bei Andern erschwert haben mag; jedenfalls bin ich oft missverstanden worden, und ich habe nicht das Glück, dass man meine Meinung immer richtig aufgefasst hat. Diese Fälle sind so zahlreich, dass entweder mein Buch deutlich genug für Die geschrieben ist, welche es so aufmerksam und unparteiisch durchlesen, wie jeder Leser sollte, oder dass es so dunkel verfasst ist, dass jede Verbesserung vergeblich ist.
Wie sich dies nun auch verhalten mag, so bin ich doch hierbei nur allein betheiligt, und deshalb mag ich meine Leser nicht mit dem belästigen, was ich auf die mancherlei Ausstellungen gegen einzelne Stellen meines Buches zu sagen hätte; wer sie für so erheblich hält, dass ihm auf die Wahrheit oder Unwahrheit derselben viel ankommt) wird selbst beurtheilen können, ob diese Ausstellungen schlecht begründet oder meiner Lehre nicht zuwider sind, wenn nur beide Theile richtig verstanden werden.
Wenn Manche aus Besorgniss, dass keiner ihrer guten Gedanken verloren gehe, ihre Kritiken meines Versuchs veröffentlicht haben, und ihm dabei die Ehre angethan haben, ihn für keinen blossen Versuch zu nehmen, so mag das Publikum über die Pflichten ihrer kritischen Feder entscheiden; ich werde meine Zeit nicht so nutzlos und unnatürlich anwenden und solchen Leuten ihre Freude stören, die sie dabei in sich selbst empfinden oder Andern mit einer so eilfertigen Widerlegung meiner Schrift bereiten wollen.«
Als der Buchhändler die vierte Ausgabe meines Versuchs vorbereitete, benachrichtigte er mich davon, im Fall ich, wenn meine Zeit es gestattete, Zusätze oder Veränderungen machen wollte. Ich hielt deshalb für zweckmässig, den Leser damals zu benachrichtigen, dass neben mehreren hier und da gemachten Verbesserungen auch eine Aenderung zu erwähnen sei, die sich durch das ganze Buch erstrecke und deshalb vorzugsweise des richtigen Verständnisses bedürfe. Ich sagte deshalb:
»Klare und deutliche Vorstellungen sind zwar geläufige und bekannte Ausdrücke; allein nicht Jeder, der sie gebraucht, dürfte sie völlig verstehen. Da nun hier und da Jemand näher nach dem Sinn verlangen dürfte, in dem er und ich sie gebrauchen, so habe ich in der Regel statt der Worte: ›klar und deutlich‹, den Ausdruck: ›bestimmt‹ gesetzt, der meine Absicht deutlicher darlegt. Ich bezeichne mit diesem Worte irgend einen Gegenstand in der Seele, der also be stimmt ist, d.h. der so ist, wie er da gesehen und bemerkt wird. Man kann wohl das eine bestimmte Vorstellung nennen, wenn sie so, wie sie zu einer Zeit gegenständlich in einer Seele besteht und in sich bestimmt ist, mit einem Namen oder artikulirten Laute unveränderlich verknüpft wird, welcher damit als das feste Zeichen dieses selben Gegenstandes in der Seele, d.h. der bestimmten Vorstellung, gilt.
Um dies etwas weiter zu erklären, verstehe ich unter ›bestimmt‹ bei einer einfachen Vorstellung die einfache Erscheinung, welche die Seele erblickt oder in sich bemerkt, wenn man sagt, dass diese Vorstellung in der Seeleist; unter ›bestimmt‹ bei einer zusammengesetzten Vorstellung verstehe ich eine solche, die aus einer bestimmten Zahl einfacher oder weniger zusammengesetzten Vorstellungen besteht, die in einem solchen Verhältniss verbunden sind, wie die Seele es in sich sieht, wenn die Vorstellung ihr gegenwärtig ist oder bei Nennung deren Namens ihr gegenwärtig sein sollte; ich sage ›sollte‹, weil nicht Jeder, ja vielleicht nicht Einer in seinem Sprechen so sorgfältig ist, dass er kein Wort eher gebraucht, als bis er in seiner Seele, die genau bestimmte Vorstellung sieht, die er damit bezeichnen will. Dieser Fehler veranlasst viel Dunkelheit und Verwirrung in dem Denken und Reden der Menschen.
Ich weiss wohl, dass keine Sprache die genügenden Worte für all die mannichfachen Vorstellungen enthält, die in dem Denken und Untersuchungen der Menschen auftreten. Allein deshalb kann doch Jeder bei dem Gebrauch eines Wortes eine bestimmte Vorstellung haben, die er damit bezeichnet, und welches Wort er während einer solchen Rede nur streng für diese Vorstellung benutzen darf. Wer dies nicht thut oder nicht zu thun vermag, kann auf klare und deutliche Vorstellungen keinen Anspruch machen; offenbar sind die seinigen nicht der Art, und deshalb kann nur Dunkelheit und Verwirrung aus dem Gebrauche solcher Ausdrücke ohne feste Bedeutung hervorgehen.
Deshalb scheint mir der Ausdruck: ›bestimmte Vorstellung‹ dem Missverständniss weniger ausgesetzt, als ›klare und deutliche Vorstellung‹, und wenn man erst solche bestimmte Vorstellungen für alle Begründungen, Untersuchungen und Beweise erlangt haben wird, kann ein grosser Theil der Zweifel und Streitigkeiten ein Ende nehmen. Da die meisten Zweifel und Streitfälle, weiche die Menschheit in Verlegenheit setzen, aus dem zweideutigen und schwankenden Gebrauch der Worte oder (was dasselbe ist) aus unbestimmten Vorstellungen entstehen, wofür sie gebraucht werden, so habe ich diese Ausdrücke gewählt, um damit 1) einen unmittelbaren Gegenstand der Seele zu bezeichnen, welchen sie wahrnimmt und vor sich hat, verschieden von dem Laute, womit sie ihn benennt, und dass diese Vorstellung in dieser Bestimmtheit, d.h. in der, welche die Seele in sich hat und da weiss und sieht, unveränderlich mit diesem Namen, und dieser Name genau mit dieser Vorstellung verknüpft ist. Gebrauchte man solche bestimmte Vorstellungen in den Untersuchungen und Verhandlungen, so würden sie erkennen lassen, wie weit die eigenen Untersuchungen und die gegenseitigen Verhandlungen gehen, und der Streit und das Gezänk würde zum grossen Theil vermieden werden können.
Ich soll ausserdem auf den Wunsch des Buchhändlers den Leser noch benachrichtigen, dass zwei ganze Kapitel neu hinzugekommen sind; eines behandelt die Ideen-Verbindung, das andere die Schwärmerei. Diese und einige andere neue und grössere Zusätze hat er versprochen, in derselben Weise und zu demselben Zweck eindrucken zu lassen, wie es bei der zweiten Ausgabe dieser Schrift geschehen ist.«
Bei der sechsten Auflage ist nur wenig zugesetzt oder verändert worden; das meiste Neue enthält das 21. Kapitel des II. Buches, und Jeder wird dies, wenn er es der Mühe werth hält, leicht an den Rand der früheren Ausgaben nachtragen können.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
§ 1. (Die Untersuchung des menschlichen Verstandes ist unterhaltend und nützlich.) Indem der Verstand es ist, welcher den Menschen über alle andern lebenden Wesen erhebt, und ihm die Vortheile und Herrschaft gewährt, die er über sie besitzt, ist der Verstand, schon seines Adels wegen, ein Gegenstand, welcher sicherlich der Mühe einer Untersuchung werth ist. Während der Verstand, gleich dem Auge, uns alle andern Dinge sehen und erkennen lässt, achtet er auf sich selbst nicht und es erfordert Kunst und Mühe, ihn sich gegenüber zu stellen und ihn zu seinem eigenen Gegenstand zu machen. Allein welcher Art auch die, auf dem Wege seiner Untersuchung liegenden Schwierigkeiten sein mögen, und was auch das sein mag, was uns so in Dunkelheit über uns selbst erhält, so bin ich doch überzeugt, dass all das Licht, was wir auf unsern eignen Geist fallen lassen, und alle die Bekanntschaft, die wir mit unserm eignen Verstande machen können, nicht allein unterhaltend, sondern auch für die Untersuchung andrer Dinge, wenn wir unser Denken darauf richten, von grossem Nutzen sein wird.
§ 2. (Meine Absicht.) Es ist deshalb meine Absicht, den Ursprung, die Gewissheit und die Ausdehnung des menschlichen Wissens, sowie die Grundlagen und Abstufungen des Glaubens, der Meinung und der Zustimmung zu erforschen. Ich werde dabei nicht auf eine physikalische Betrachtung der Seele eingehen, und nicht untersuchen, worin das Wesen derselben bestehe, und durch welche Bewegung unsre Lebensgeister oder durch welche Veränderungen in unserem Körper wir zu einer Empfindung durch unsre Sinnesorgane und zu Vorstellungen In unserem Verstande gelangen, und ob einige dieser Vorstellungen oder alle bei ihrer Bildung von dem Stoffe abhängen oder nicht. Diese Untersuchungen mögen anziehend und unterhaltend sein; allein ich lasse sie bei Seite, da sie bei dem Ziele, was ich jetzt verfolge, ausserhalb meines Weges liegen. Für meinen jetzigen Zweck genügt die Betrachtung der verschiedenen Vermögen des Menschen in ihrer Anwendung auf Gegenstände, mit denen er zu thun hat, und ich meine, dass ich mein Denken bei diesem Unternehmen nicht schlecht angewendet haben werde, wenn ich auf diesem beobachtenden und einfachem Wege einige Auskunft über die Mittel gewinnen kann, durch welche unser Verstand die Begriffe erlangt, die wir von den Dingen haben, und wenn ich einen Maassstab für die Gewissheit unseres Wissens und die Gründe jener Ueberzeugungen auffinde, welche unter den Menschen in so mannichfacher, verschiedener, ja ganz entgegengesetzter Weise bestehen, und dabei doch im Einzelnen mit soviel Zuversicht und Sicherheit festgehalten werden, dass, wenn man die Meinungen der Menschen überschaut, ihre Gegensätze bemerkt und zugleich sieht, mit welcher Liebe und Verehrung sie festgehalten, und mit welcher Entschlossenheit und Eifer sie vertheidigt werden, man wohl mit Grund zweifeln darf, ob es überhaupt so Etwas wie Wahrheit gebe, und ob die Menschheit die genügenden Mittel zur Erlangung einer sicheren Kenntniss derselben besitze.
§ 3. (Mein Verfahren.) Es ist daher wohl der Mühe werth, die Grenzen zwischen Meinung und Erkenntniss zu untersuchen und die Maassregel zu prüfen, durch die wir da, wo wir keine sichere Kenntniss besitzen, unsere Zustimmung zu regeln und unsere Ueberzeugungen zu mässigen haben. Ich werde hierbei in nachstehender Weise verfahren:
Zuerst werde ich den Ursprung der Vorstellungen oder Begriffe, oder wie man es sonst nennen will, untersuchen, die der Mensch in seiner Seele findet, und deren er sich bewusst ist, sowie der Wege, auf denen der Verstand zu ihnen gelangt.
Zweitens werde ich zeigen, welches Wissen der Verstand durch diese Vorstellungen besitzt, und worin die Sicherheit, Gewissheit und Ausdehnung dieses Wissens besteht.
Drittens werde ich die Natur und die Grundlagen des Glaubens und der Meinung untersuchen. Ich verstehe darunter die Zustimmung, die wir einem Satze, als einem wahren, geben, obgleich wir von seiner Wahrheit noch keine sichere Kenntniss haben. Dies wird mir die Gelegenheit bieten, die Gründe und die Grade der Zustimmung zu prüfen.
§ 4. (Die Kenntniss, wie weit unser Wissen sich erstreckt, ist nützlich.) Wenn ich durch diese Untersuchung der Natur des Verstandes seine Kräfte entdecke, und sehe, wie weit sie reichen, für welche Dinge sie einigermassen zureichend sind, und wo sie ausgehen, so meine ich, dass dies den geschäftigen Geist der Menschen bestimmen wird, sich vorzusehen und nicht mit Dingen einzulassen, die seine Fassungskraft übersteigen, so wie anzuhalten, wenn er an den äussersten Grenzen seines Vermögens angekommen ist, und sich über seine Unwissenheit von Dingen zu beruhigen, wenn sie bei ihrer Prüfung sich als solche zeigen, die ausser dem Bereich unserer Vermögen liegen. Man wird dann vielleicht weniger bereit sein, ein allumfassendes Wissen in Anspruch zu nehmen und Fragen zu erheben, oder sich und Andere in Streit über Dinge zu verwickeln, für welche unser Verstand nicht passt, und von denen man keine klare und deutliche Vorstellung in seiner Seele bilden kann, oder von denen man (wie es nur zu oft vorkommen dürfte) überhaupt keinen Begriff hat. Wenn man ausfindig machen kann, wie weit der Verstand seinen Blick auszudehnen vermag, wie weit er die Gewissheit zu erreichen im Stande ist, und in welchen Fällen er nur meinen und vermuthen kann, so wird man lernen, mit dem sich zu begnügen, was dem Menschen in seinem jetzigen Zustande erreichbar ist.
§ 5. (Unsere Vermögen sind unserem Zustande und Bedürfnissen angemessen.) Denn wenn auch unser Verstand zum umfassen der weiten Ausdehnung der Dinge viel zu klein ist, so haben wir doch allen Grund, den gütigen Urheber unseres Daseins für das uns verliehene Verhältniss und Maass der Erkenntniss zu preisen, da es so hoch über das aller übrigen Bewohner unseres Aufenthalts steht. Die Menschen können sehr wohl mit dem zufrieden sein, was Gott für sie passend erachtet hat, denn er hat ihnen (wie der heilige Petrus sagt) panta pros zôên kai eusebeian
