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Die Kriminellen der Meere haben in frühen Filem und Erzählungen schon immer fasziniert. Dabei unterscheidet man in der Regel nicht zwischen Barbaresken-Korsaren, Korsaren, Kaperer, Piraten und Freibeuter. Es bestehen jedoch diverse Unterschiede. Barbaresken-Piraten oder auch Barbaresken-Korsaren werden die meist muslimischen Kaperfahrer im Mittelmeer bezeichnet, die vom 16. Jahrhundert bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts vor der nordafrikanischen Küste ihr Unwesen trieben. Der Begriff Pirat stammt aus dem griechischen, damit bezeichnet man jemanden, der auf hoher See plündert und Verbrechen begeht. Viele berühmte Piraten waren um das Jahr 1700 aktiv: Als Kaperer wurden Kapitäne und Besatzungsmitglieder bezeichnet, die mit offizieller Genehmigung feindliche Schiffe überfielen. Diese schriftliche Genehmigung war der "Kaperbrief", dessen erste Exemplare aus dem 13. Jahrhundert belegt sind. Der Begriff Korsar kommt aus dem Französischen und bedeutet "Kaperfahrt". Die Kaperfahrer Frankreichs und des Mittelmeerraums nennt man Korsaren. Französische Korsaren gab es seit dem 9. Jahrhundert, als sich Handelsschiffe aus der Bretagne gegen plündernde Wikinger zur Wehr setzten.
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Seitenzahl: 325
Veröffentlichungsjahr: 2025
Herausgeber
Erik Schreiber
Freibeuter 5
Clark Russell
Die Piraten
Saphir im Stahl
Freibeuter Nr. 5
e-book Nr.: 301
Clark Russell - Die Piraten
Originaltitel: abandoned (1904)
Erste Auflage 01.07.2025
© Herausgeber Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
Übersetzung: Friedrich Meister
Titelbild: Archiv Andromeda
Lektorat: Peter Heller
Vertrieb: neobooks
Herausgeber
Erik Schreiber
Freibeuter 5
Clark Russell
Die Piraten
Saphir im Stahl
Die Bark „Queen“
Es war eine mondhelle, stille Nacht. Auf einer kleinen Landspitze, die eine kurze Strecke in die Bai von Sydney hinausragte, standen zwei Männer in angelegentlichem Gespräch.
Zur Zeit dieser Geschichte war noch keine Spur von dem gewaltigen „Zirkular-Quai“ vorhanden, der heute die Bai von Sydney umschließt. Die ladenden und löschenden Schiffe fanden damals Unterschlupf in sogenannten Creeks, langen, künstlich hergestellten Ufereinschnitten, in denen sie an Pfählen und Bollwerken vertäut lagen, und zwar so zahlreich, dass die dichten Mastenwaldungen in dieser Mondnacht wie Wolkenmassen jenseits der blendend erschimmernden Bai lagerten.
Die Mastlaternen der draußen im offenen Wasser ankernden Fahrzeuge blinkten in dem allgemeinen Silberglanze so schwächlich wie Glühwürmchen.
Eins dieser letzteren Schiffe befand sich dem Standorte der beiden Männer gerade gegenüber, kaum eine kleine Seemeile von der Landspitze entfernt. Es war eine schmucke kleine Bark, die, ihrer in allen Teilen vollständigen Takelung nach zu urteilen, entweder demnächst auslaufen sollte, oder aber soeben erst binnen gekommen war.
Die beiden Männer hielten während ihrer Unterhaltung beinahe unablässig die Blicke auf dieses Schiff gerichtet. Jetzt zog schattenhaft, wie eine lichte Nebelwolke, ein großes Vollschiff, das soeben die lange Fahrt von Europa nach Australien beendet haben mochte, an demselben vorüber. Einige Minuten später wurde das über der Bai lagernde Schweigen unterbrochen, zuerst von dem Gerassel der durch die Eisenklüsen fahrenden Ankerketten, und dann durch das verhallende Schreien und Singen der Seeleute, die die Segel aufgeiten, die im Mondlicht zu zerfließen und zu verschwinden schienen.
Es war zehn Uhr. Von der Stadt her verkündeten dies in verschwimmenden Klängen einige Kirchenuhren. Die Glocken der Schiffe nahmen die Kunde auf und verbreiteten sie weiter, und eine kurze Zeit lang erfüllte ein allgemeines Geklingel die bisher so stille Mondnacht, teils näher und lauter, teils ferner und schwächer, in den Creeks wie draußen in der Bai, bald höher, bald tiefer, aber immer melodisch wie Geistermusik. Hier und da kroch wie ein dunkles Fleckchen ein Boot über die glatte, leuchtende Flut, umwallt und begleitet von Phosphorgefunkel, das sprühend und glänzend erschienen wäre, wenn kein Mond am Himmel gestanden hätte.
Die Schiffsglocken hatten soeben ihr Klingen eingestellt, als die Männer ein Rudergeräusch vernahmen.
„Jetzt kommt er“, sagte der eine, die Augen mit der Hand beschattend und in der Richtung des Geräusches auslugend.
„Nicht doch, Trollop“, entgegnete der andere, „was da kommt, ist ein Boot mit mindestens einem halben Dutzend Reemen in den Dollen. Den Hankey, der sein Boot wrickt, merken wir erst, wenn er dicht vor uns ist.“
Während der letzte Sprecher noch redete, glitt ein langes weißes Boot aus dem weißdunstigen Mondschein in den Gesichtskreis; der Mann im Stern desselben stand auf, als er die beiden am Strande wahrnahm, wie um sie genauer betrachten zu können. Man sah die Knöpfe an seinem Rock glänzen, auch die sechs Bootsruderer waren uniformiert.
Auf ein Kommando des Mannes im Stern blieben die Reemen über dem Wasser in der Schwebe und das Boot trieb langsam an der Mündung des nahen Creeks vorüber, in die der Mann forschend hineinspähte. Weit konnte sein Blick nicht reichen, denn der Silberschimmer des Mondlichtes verwandelte sich dort drinnen in trübe Dämmerung, ins Schwärzliche verdunkelt durch die Schiffe und ihre dichtverwobene Takelung. Die Männer auf der Landspitze ließen das kleine Fahrzeug nicht aus den Augen.
„Was ist das für ein Boot?“, fragte einer von ihnen.
„Entweder ist es das Hafenwachtboot, oder aber es gehört zu einem der Kriegsschiffe“, antwortete der andere.
„Was hat es hier zu suchen? Vielleicht ist's hinter einem Deserteur her, vielleicht will es auch wissen, was da draußen vorgeht – was?“
Der Sprecher wies mit einem Neigen des Kopfes nach der Bark hinüber.
Der Mann im Stern des weißen Bootes hatte seinen Sitz wieder eingenommen, die Reemen senkten sich ins Wasser, und das kleine Fahrzeug verschwand in dem schimmernden Dunst.
Fünf Minuten später erschien ein schwarzer Punkt in der Linie zwischen der Landspitze und der Bark. Derselbe vergrößerte sich zusehends und entwickelte sich bald zu einem Boote, das ein im Hinterteil stehender Mann mittels eines über das Heck gelegten Reemens vorwärts wrickte. Er lenkte das Boot in den Creek hinein und sprang hier leichtfüßig ans Ufer, das Fahrzeug an der Fangleine festhaltend. Die beiden andern gesellten sich zu ihm.
„Nun, Hankey, wie schaut's aus?“
„Ich bin über eine Stunde mit Poole allein gewesen und habe nach Möglichkeit alles, was uns von Wichtigkeit sein kann, aus ihm herausgepumpt“, antwortete der Angekommene. „Der Kapitän ist an Land, der erste Steuermann liegt unwohl in seiner Kammer, und so gelang es mir um so eher, ihn mit Hilfe einiger Flaschen Champagner redselig zu machen. Die Bark hat einige Passagiere an Bord; sie geht morgen Nachmittag in See. Ich betrachtete mir alles genau, als ich das Deck entlang schritt, und ich kann sagen, dass sie ein Fahrzeug ist, an dem auch der wählerischste Seemann seine helle Freude haben muss. Meiner Ansicht nach ist sie mit sechs Mann sehr gut zu handhaben. Zwar sind die Rahen etwas lang für die Größe des Schiffes, dennoch mache ich mich anheischig, das Großmarssegel bei steifer Brise mit drei Mann zu bewältigen und festzumachen.“
Die beiden andern hörten ihm eifrig zu. Die Ausdrucksweise des Mannes war die jemandes, der eine gute Erziehung genossen hat. Dasselbe galt auch von seinen Gefährten. Allen Dreien konnte man anmerken, dass sie einst den besseren Gesellschaftskreisen angehört hatten, und es lag die Mutmaßung nahe, dass das Goldfieber sie nach Australien geführt, dass sie hier jedoch keine Schätze gesammelt, sondern ihr Leben in wechselvollster Art gefristet hatten, teils zu Lande und teils zu Wasser; Letzteres ging besonders aus Hankeys Worten hervor und aus dem Verständnis, das dieselben bei den andern fanden.
„Ist eine Waffenkiste an Bord?“, fragte einer.
„Ja.“
„Wo ist die verstaut?“
„In der Kammer des zweiten Steuermanns. Viel Staat kann die Bark allerdings damit nicht machen“, fuhr Hankey fort, „denn der ganze Waffenvorrat besteht in einigen alten Marinesäbeln, einigen rostigen Pistolen und einer Anzahl kurzer Musketen. Die schottischen Reeder legen augenscheinlich nicht viel Geld in der Bewaffnung ihrer Schiffe an.“
„Sie können den Inhalt der Waffenkiste doch unmöglich gesehen haben“, warf einer der andern ein; „was Sie da sagen, ist also eine bloße Voraussetzung.“
Ohne hierauf zu antworten, gab Hankey die Fangleine des Bootes dem ihm zunächst stehenden zu halten und zog eine kurze Holzpfeife aus der Tasche.
„Und wenn die Waffen auch von neuester Konstruktion sein sollten“, meinte der Mann, der die Fangleine hielt, „die Kajütsfenster werden wohl groß genug sein, sie hindurchzuwerfen.“
„Wie steht's mit der Munition an Bord?“, fragte der dritte Mann.
„Ich habe ganz vergessen, danach zu fragen“, war die Antwort.
„Und wie stark ist die Mannschaft?“
„Elf Mann vor dem Mast, mehr waren nicht aufzutreiben. Zur vollen Besatzung gehören achtzehn Mann: Aber kaum haben die Kerle angemustert und eine Monatsheuer als Handgeld in der Tasche, dann brennen sie durch und der Kapitän hat das Nachsehen, weil die Polizei ihm nicht helfen kann. Wie der zweite Steuermann mir erzählte, haben sie die „Queen“ auch nur deshalb da draußen vor Anker gelegt, um den Matrosen das Entwischen zu erschweren. Das Boot der Hafenwache hat Anweisung, während der Nacht die Bark im Auge zu behalten und Desertionen zu verhindern.“
„Das Boot ist soeben hier vorbeigekommen“, bemerkte einer.
„Ich weiß. Der Hafenoffizier sah meine Jolle am Heck der Bark hängen und rief uns an. Der zweite Steuermann aber beruhigte ihn und sagte, es wäre alles richtig und ich wäre sein Freund, und sie sollten mich ungehindert ziehen lassen, wenn ich demnächst an Land fahren würde.“
„Nun zur Hauptsache“, sagte der Mann, der den Namen Trollop führte; „das, worauf es ankommt, ist doch an Bord?“
„Selbstverständlich“, war die Antwort. „Als der Champagner in Pooles Kopf zu wirken begann, da brüstete der dumme Mensch sich ordentlich damit. „Denken Sie sich nur“, sagte der Mann, die Hand vertraulich auf meinen Arm legend, „Sie mögen's glauben oder nicht, aber die alten spanischen Gold- und Silber-Galeonen waren Bettelpack gegen uns hier!“
„Ach, Sie übertreiben“, meinte ich.
„Wahrhaftig nicht“, erwiderte er. „Ich kann Ihnen sagen, wir haben eine furchtbare Verantwortung hier an Bord; wenn die Banditen und Strolche in Sydney davon eine Ahnung hätten, dann dürften wir, solange wir hier noch in der Bai sind, Säbel und Revolver nicht aus der Hand legen.“
Ich tat, als wäre ich schon schläfrig und als interessiere mich das schöne Mondscheinbild des Hafens mehr als sein Gerede, nebenbei aber fragte ich so ganz verloren, wo sie eine so gefährliche Ladung denn eigentlich verstaut hätten, und ob man ihn dabei ins Vertrauen gezogen habe. „Oho“, antwortete er, „das kann Ihnen keiner besser beantworten als ich, denn ich habe die ganze Verstauung geleitet. Es liegt alles in einem festen, aus Balken und Bohlen hergestellten Gelass, das lediglich zu diesem Zweck im Raume, unmittelbar hinter dem Großmast, angebracht worden ist. Ringsherum und obendrauf sind die Wollballen gepackt, so dass beim Öffnen der Luke keine Spur davon zu sehen ist.“
Die beiden andern hatten diesem Bericht Hankeys mit größter Aufmerksamkeit gelauscht; das Gehörte mochte ihnen wohl zu denken geben, denn während einiger Minuten sprach keiner ein Wort.
„Die Bark sieht in dieser Beleuchtung wirklich entzückend aus“, begann Trollop endlich wieder, mit einer Handbewegung über das Wasser deutend. „Gerade ein solches Schiffchen war es, in dem ich damals als Überzähliger aus England hierher kam. Der Kasten war ein Schnellsegler und lief dreizehn Knoten bei einer Bramsegel-Brise, und das war gut, denn ich hatte nicht die besten Tage an Bord. Die „Queen“ da drüben aber sieht mir so aus, als käme es ihr auf ein paar Knoten mehr nicht an.“
Wieder standen die drei Männer in schweigender Betrachtung der Szenerie. Nach einer Weile begann Trollop den Anfang eines Liedchens zu pfeifen.
„Ich möchte wohl wissen, wie es in diesem Augenblick in London aussieht“, sagte er. „Wenn alles geht, wie es gehen soll, dann wird das später meine Residenz. An keinem Orte der Welt lässt es sich besser leben, als dort, und ich kenne die Welt.“
„Es ist spät“, sagte der Mann, der von der Bark gekommen war, „ich mache, dass ich heimkomme. Will jemand noch mitfahren bis zum Bollwerk?“
Alle drei stiegen in das kleine Fahrzeug, das gleich darauf geräuschlos in den Creek hineinglitt. Als es im Schatten der Schiffe verschwand, schlug die Glocke der Bark fünf Glasen – halb elf. Unmittelbar darauf verkündeten auch die übrigen Schiffsglocken die Zeit, und wieder wurde die nächtliche Stille durch ein Klingen unterbrochen, das einen mit geschlossenen Augen Lauschenden wohl an einen friedlichen Sonntagmorgen drüben in der alten Heimat hätte erinnern können.
Den Bekanntmachungen in den Zeitungen zufolge hatte die „Queen“ schon drei Wochen vor ihrem wirklichen Auslaufen in See gehen sollen. Der Grund der Verzögerung war die Schwierigkeit, Matrosen zu erlangen und die bereits angemusterten festzuhalten. Die Unvollzähligkeit ihrer Besatzung fiel um so mehr ins Gewicht, als man in jenen Tagen noch keine doppelten Marsrahen kannte und die Schiffsarbeit demgemäß mehr Kräfte beanspruchte, als heute.
Der Kapitän wusste sich schließlich vor Ungeduld kaum zu fassen. Einige der Passagiere dachten schon ernstlich daran, sich nach einer andern Reisegelegenheit nach Europa umzutun. Zum Glück für die „Queen“ aber befanden sich alle übrigen Schiffe in derselben schlimmen Lage. Endlich war es dem Steuermann gelungen, die notwendigste Mannschaft zusammenzubringen, verwahrloste, zerlumpte, verkommene Subjekte, die der Hunger aus den Goldfeldern getrieben hatte, die schon seit langer Zeit nicht mehr wussten, was es hieß, die Nächte unter Dach und Fach und in Betten zuzubringen. Um zu verhindern, dass die nicht auch noch davonliefen und verschwanden, während der Kapitän beim Frühstück saß oder der Steuermann den Proviant musterte, warf man die Trossen am Bollwerk los, ließ das Gangspill bemannen und in wenigen Minuten glitt das schöne Schiff unter wenigen Segeln und vor einer leichten Brise nach dem Ankerplatz hinaus, wo es gegenwärtig lag.
Am folgenden Tage, nachmittags zwei Uhr, trat die „Queen“ ihre Reise an. Ihr Bestimmungsort war London. Man hatte herausgerechnet, dass sie die Fahrt dorthin in fünfundsiebzig Tagen zurücklegen würde. Die Ausreise hatte sie in achtzig Tagen gemacht, schneller als die Dampfschiffe jener Zeit dies zu tun vermochten.
Der Wind war günstig, der Himmel blau und klar und die Luft durchglüht von dem australischen Sonnenschein. Am Morgen hatte der Kapitän seine Kleidervorräte aufgetan und die Matrosen, die sich vorher waschen mussten, mit neuen Anzügen ausgestattet, so dass sie nun im Allgemeinen recht anständig einhergingen. Der Preis dieser Ausrüstung wurde dem Konto jedes Einzelnen zur Last geschrieben. Sie hatten seit langer Zeit zum ersten Mal wieder regelrechte Schlafstätten gehabt, sodann ein menschenwürdiges Frühstück genossen, und nun kamen sie sich wieder etwas menschenähnlicher vor, als bisher. Mit lautem Gesange wanden sie den Anker auf und dachten dabei an die Genüsse der Zivilisation, die ihnen am Ziel der Reise winkten.
Einige Boote ruderten vom Schiffe nach dem Lande zurück; in ihnen standen Männer und Frauen, die mit winkenden Tüchern die Abschiedsgrüße beantworteten, die ihnen vom Achterdeck der Bark noch zuteilwurden. Sämtliche Passagiere der Bark, neunzehn an der Zahl, befanden sich an Deck, als der Anker aus dem Grunde emporkam und das Fahrzeug sich unter Klüver und Vormarssegel langsam auf seinen Kurs legte. Unter dieser Schar befanden sich nur sieben Damen, darunter Mrs. James Dent, die Frau eines kolonialen Kaufmanns, sodann eine Mrs. Holroyd und ihre Tochter Edith, und ferner eine Miss Margaret Mansel, letztere ein schönes junges Mädchen mit dunkeln Augen und weichen, gedankenvollen Zügen. Noch hatte der Lotse das Kommando des Schiffes, der Kapitän schritt abseits auf und nieder; man sah ihm an, dass er den Kopf voll von den Schiffsangelegenheiten hatte und allein zu sein wünschte.
Er war ein Typus jener alten Seeschiffer, die heute leider beinahe ausgestorben sind. Sein Gesicht hatte die Farbe des frisch abgesägten Endes eines Mahagonibalkens, welcher ungewöhnliche Teint durch sein schneeweißes Haupt- und Barthaar noch gehoben wurde. Seine tiefliegenden grauen Augen blickten so scharf und durchdringend, wie die eines Fischadlers. Das jahrelange Wandern auf den Decksplanken hatte seine Beine nach außen gekrümmt. Er trug den hohen Zylinderhut, den man allenthalben in Londons Straßen sieht; eine andere Kopfbedeckung kannte er nicht, mochte er sich nun in den wilden Winterstürmen des Kap Horn, oder in der Glühofenhitze der Windstille zwischen den Wendekreisen befinden.
Einige der Passagiere waren wohl wert, dass man sie mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtete. Dieselben sind bestimmt, eine Hauptrolle in dieser merkwürdigen Seegeschichte zu spielen, es wird daher am Platze sein, einen und den andern von ihnen schon jetzt dem Leser vorzuführen, während die Bark dem letzten Vorlande zustrebt. An dem messingenen Geländer, welches das erhöhte Achterdeck nach vorn abgrenzt, lehnt ein hochgewachsener Mann, er dreht an seinem großen schwarzen Schnurrbart, während er voll Neugier und Interesse das Vorschiff zu betrachten scheint. Sein Äußeres ist nicht unschön, er schaut männlich und martialisch drein, er mag gegen sechs Fuß messen, seine Schultern sind von entsprechender Breite und seine Manieren sicher und vornehm. Seinem ganzen Wesen nach könnte man ihn für einen ehemaligen Offizier der Armee halten.
In geringer Entfernung von diesem steht ein anderer Herr, der ebenfalls etwas Militärisches an sich hat; er ist von mittlerer Größe, hat einen starken, dunkeln Bart, ein ruhiges, forschendes Auge und ein nicht unangenehmes Gesicht. Seine Kleider sind noch zu neu, um absolut fein zu sein. Wer aber achtet auf so etwas bei einem Manne, der im Begriff ist, aus Australien heimzukehren?
Ein dritter Gentleman lehnt an der Backbord-Reling; seine kleinen blauen Augen haben den eigentümlich stieren und nebelhaften Blick des Gewohnheitstrinkers; er hat dieselben auf Miss Margaret Mansel gerichtet, die auf der andern Seite des Achterdecks mit Mrs. Holroyd und deren Tochter plaudert. Von Gestalt ist er groß, schwer und fett, sein Haar ist hellblond, sein schwacher Schnurrbart kaum sichtbar.
Das waren die drei Männer, die am vergangenen Abend auf der Landspitze an der Bai von Sydney standen und die Bark und das ganze sternenfunkelnde Mondscheinbild bewunderten. Wer hätte wohl aus ihrer Unterhaltung daraus schließen können, dass sie bereits als Kajütspassagiere der „Queen“ ihre Überfahrt bezahlt hatten?
Der hochgewachsene Mann mit dem schwarzen Schnurrbart war der Hauptmann Henry Trollop; der Name des zweiten war Paul Hankey und der Mann an der Reling nannte sich Alexander Burn.
Ein weiterer Passagier, zu dem die Damen gelegentlich verstohlen hinblickten, war Mr. Sampson Masters; aus einiger Entfernung betrachtet, war sein Antlitz von vollkommener Schönheit, trat man jedoch etwas näher, so zeigte seine Haut jene unreine und pockige Beschaffenheit, die eine Folge wüster Ausschweifungen aller Art ist. Er stand in der Nähe des Steuerrades und schaute unter der Krempe seines weißen, schwarzbebänderten Filzhutes zu den Segeln empor, und zwar mit einem Blicke, der den Sachkenner verriet.
Noch einige andere Herren befanden sich an Deck; einer, ein kleines Männchen, Mr. William Storr, war ein Auktionator, der seine Geschäfte bei den Antipoden beendet hatte und nun heimkehrte. Sein rundes, dünn umbartetes Gesicht blickte eifrig und aufmerksam hierhin und dorthin; die Neuheit der Umgebung und die Schönheit der Szenerie schien ihn augenscheinlich höchlichst zu interessieren. Ganz in seiner Nähe gewahrte man einen hünenhaften Mann, der unter dem Namen Mark Davenire an Bord gekommen war; er trug eine schwere silberne Uhrkette auf seiner glänzend grünen Weste, hatte den Strohhut bis fast auf die Nase gerückt und seine Augen schweiften lauernd allenthalben umher.
Eine gewisse scheue Zurückhaltung, die man beim Beginn einer Seereise stets unter den Passagieren wahrnehmen kann, schien auch hier obzuwalten. Die Damen machten sich zuerst untereinander bekannt, die Herren aber bewahrten noch ihr steifes Wesen, was man allerdings bei den Dreien, die am vergangenen Abend so bekannt miteinander schienen, kaum hätte erwarten sollen.
„Du meine Güte!“, rief plötzlich Mrs. James Dent, deren schwarzes Haar, der damaligen Mode entsprechend, an der Stirn und einem Teil der Wangen hinab glatt festgeklebt war, „du meine Güte! Schwimmt da nicht ein Boot?“
Die Hand, mit der sie in die Ferne deutete, funkelte von Ringen. Das Schiff befand sich am Ausgange der Bai von Sydney, der Gegenstand, auf den die Dame hinwies, hob und senkte sich mit den Wogen in einer Entfernung von etwa dreiviertel Seemeilen. Alles drängte sich herzu, um zu sehen. Hauptmann Trollop klemmte sein Monokel ins Auge. Kapitän Benson, der weißhaarige Schiffer, nahm das Teleskop zur Hand.
„Ach bitte, Herr Kapitän, lassen Sie uns recht dicht an dem Boot vorbeifahren“, sagte Mrs. Dent.
„Ihr Wunsch ist mir Befehl, Madam“, antwortete der Schiffer.
„Solch ein einsames Boot“, bemerkte Mrs. Storr, den Arm ihres Gatten nehmend, den sie beinahe um einen halben Kopf überragte, „solch ein einsames Boot lässt uns den Ozean noch öder erscheinen, als er ohnedies schon ist.“
„Ah!“, rief Mr. Burn, an die Gruppe herantretend, die sich um den Kapitän gebildet hatte, „in diesem Ausspruch liegt ein tiefer Sinn, er zeigt uns den Ozean gleichsam in einem neuen Lichte.“
Mrs. Storr schaute sich argwöhnisch nach dem Sprecher um, dann aber lächelte sie und fuhr fort: „Auf unserer Ausreise in der „Perle von Indien“ begegneten wir einem verlassenen Schiffe. Sein Anblick machte den Ozean tatsächlich zu einer schrecklichen Wüste. Eine ähnliche Wirkung bringt jenes kleine Boot dort hervor.“
„Das ist erklärlich“, versetzte Mr. Burn sehr höflich, „solche einsam treibenden Fahrzeuge geben der unermesslichen Weite des Meeres erst ihren Accent, wenn ich mich so ausdrücken darf. Ein Wrack verleiht unserer Einbildung den Punkt, von dem aus wir die Messung der gewaltigen Entfernungen erst beginnen können.“
Er sprach diese Worte mit einem Pathos, als wäre er früher einmal Schauspieler gewesen.
Der Hauptmann Trollop warf durch sein Monokel einen Blick auf Mr. Burn und wendete sich dann mit leichtem Lächeln zur Seite. Mr. Davenire, Mr. Caldwell, Letzterer ein schwarzbärtiger, jüdisch aussehender Mann, und noch einige andere der Umstehenden schienen gleichfalls durch Burns Worte belustigt zu sein.
Mrs. Storr fühlte sich durch die Aufmerksamkeit, die sie erregt hatte, geschmeichelt; sie war im Begriff, noch mehr zu sagen, als eine laute Stimme von der Back her sie daran hinderte.
„Ein Boot dicht unter dem Bug!“, meldete der Steuermann.
Während das Boot an der Seite des Schiffes dahinglitt, erhob sich ein allgemeines Gemurmel an Deck. Es war seiner Bauart nach ein Walfischfängerboot; unter den Duchten lagen die Leichname zweier Seeleute; man konnte denselben ansehen, dass sie nach furchtbaren Qualen dem Hunger und dem Durste zum Opfer gefallen waren.
Die meisten der Damen wendeten entsetzt die Gesichter ab und traten hastig von der Reling zurück; einige der Herren wurden bleich, Mr. Burn sah aus, als ob er krank werden wollte. Die wahre Bedeutung der Sache aber wurde allein den Seeleuten der Bark verständlich. Welch eine Tragödie musste sich in dem kleinen, wettergebleichten Boote abgespielt haben!
Als der Kapitän das Teleskop in die Klampen unter der Kajütskappe zurücklegte, zeigte sein Gesicht keine Veränderung.
„Ich wünschte“, sagte Mr. Dent zu dem weißhaarigen Seemann, „wir wären dem Boote nicht begegnet. Wenn einem gleich zum Beginn der Reise Leichen in die Quere kommen, so ist dies eine schlimme Vorbedeutung.“
„Die beiden Toten dort können Ihnen nichts mehr zuleide tun“, entgegnete der Schiffer trocken.
„Zugegeben“, rief einer der Passagiere, ein Mann mit winzigen Augen und einem unangenehmen, selbstgefälligen Grinsen um den großen Mund. „Der Herr aber hat gewiss dem Gedanken mehrerer von uns Ausdruck verliehen. Ich wundere mich übrigens, Kapitän, dass Sie, ein alter Seefahrer, nicht abergläubisch sind.“
Der Schiffer blickte seitwärts nach den Stiefeln des Sprechers und dann hinauf nach den oberen Rahen.
„Nach diesem Anblick werde ich nicht imstande sein, heute Mittag auch nur einen Bissen zu genießen“, rief der Hauptmann Trollop, sich von der Gruppe entfernend.
Wie um ihn auf die Probe zu stellen, erklang in diesem Augenblick der erste Ruf der Tischglocke.
Weit hinten am Horizont wurden die von der Sonne bestrahlten Segel eines Schiffes sichtbar. Dasselbe segelte genau im Kielwasser der „Queen“, so stetig und unentwegt, als wäre es ein Verfolger.
Der Kutter
Glühendrot strömten die Strahlen der untergehenden Sonne durch die Fenster und das Oberlicht in die Kajüte hinein, als die Passagiere an der reich besetzten Tafel ihre Plätze einnahmen. Das warme Licht ließ das Tafelgeschirr blitzen und funkeln und umgab die Gestalt des weißköpfigen Schiffers wie mit einer Glorie. Auch die Lampen brannten bereits, um die Erleuchtung der Kajüte fortzusetzen, wenn die Sonne verschwunden sein würde.
Die Kajüte, die Tafel und die Tischgesellschaft stellten eins jener Bilder dar, denen man heute nur noch selten, ja wohl niemals mehr auf der See begegnet. Die großen modernen Ozeandampfer zerstreuen ihre Hunderte von Passagieren in zwanzig verschiedene Tischgenossenschaften, und der Kapitän ist gewissermaßen nur ein Dekorationsstück mit blanken Knöpfen und Goldborte, nicht mehr, wie einst, der patriarchalische Gastgeber, sondern nur noch in einsamer Höhe der Herr des Ganzen und der Kommandant. In den guten alten Zeiten der „Queen“ bildeten die Passagiere des Schiffes gewissermaßen eine Familie. Sie saßen rings um einen großen Tisch, und der Kapitän konnte von seinem oberen Ende aus die Fragen des am untersten Ende sitzenden Gastes bequem beantworten; wenn die Leute erst einigermaßen bekannt miteinander waren, dann fehlte es bei den Mahlzeiten nie an einer geselligen Unterhaltung.
Die Speisenden wurden von den gewandt und geräuschlos hin- und herlaufenden Stewards bedient; Letztere trugen kurze schwarze Jacken und entwickelten eine erstaunliche Behendigkeit. Durch die Fenster vernahm man das Getön des vorüberrauschenden Wassers; es hörte sich an, wie wenn nächtlich ein Regen auf das Laub des Waldes herabströmt.
Als alle Passagiere ihre Plätze eingenommen hatten, die sie nach altem Herkommen nun während der ganzen Reise behalten mussten, überschaute der Kapitän die beiden Reihen der Gesichter zur Rechten und zur Linken, und im ersten Augenblick berührte ihn die Wahrnehmung, die er dabei machte, ganz eigentümlich. Die Anzahl der Männer war stark überwiegend, immerhin aber saßen auch sieben Vertreterinnen des schönen Geschlechts an der Tafel, so dass die Eintönigkeit angenehm unterbrochen wurde.
Es war weder die Persönlichkeit des Mr. James Dent, noch die des Mr. William Storr, die dem Schiffer bei seinem schnellen Rundblick von Backbord nach Steuerbord auffiel. Es war dies vielmehr eine seltsame Ähnlichkeit der Erscheinungen gewesen, wie man solche z. B. in einer Gesellschaft glattrasierter Schauspieler finden kann. Allerdings konnte von einer Ähnlichkeit zwischen dem Hauptmann Trollop und Mr. Burn nicht gut die Rede sein, ebenso wenig wie von einer solchen zwischen Mr. Shannon, einem Herrn mit vorstechenden blauen Augen und einem Flachsbart und dem schwarzen, finster blickenden Caldwell. Der alte Benson zerbrach sich jedoch nicht lange den Kopf darüber. Die Herren hatten das Geld für die Passage prompt bezahlt, teils mit vierzig, teils mit fünfzig Pfund Sterling, und im Übrigen machten alle, ohne Ausnahme, den Eindruck von Gentleman; das musste ihm genügen.
Am unteren Ende der Tafel hatte der erste Offizier des Schiffes, der Obersteuermann Mr. Matthews, seinen Platz, ein Mann mit rotem, gelocktem Bart und einem Gesicht, dessen bleiche Farbe von einer erst kürzlich überstandenen Krankheit zeugte. Ihm zur Linken saß der Schiffsarzt, rechts von ihm Mr. Paul Hankey.
Anfänglich wurde nur wenig gesprochen. Die Herren schienen sich gegenseitig verstohlen zu mustern, als sähen sie sich hier zum ersten Mal. Mr. William Storr versuchte eine Unterhaltung über das Boot, das man vorhin gesehen hatte, in Fluss zu bringen, wurde jedoch durch Blicke voll Abscheu aus den Augen der Damen sogleich wieder zum Schweigen gebracht.
„Um Verzeihung“, begann bald darauf Mr. Hankey, sich mit einer gewissen freien Vornehmheit an den Obersteuermann wendend, „wo pflegt der zweite Steuermann, Mr. Poole, sein Mittagsmahl einzunehmen?“
„Hier, auf meinem Platze, wenn die Herrschaften fertig sind und ich wieder an Deck gegangen bin“, antwortete Mr. Matthews.
„Ich habe nämlich mit dem Herrn die Reise nach Australien gemacht“, fuhr Mr. Hankey fort, „und zwar an Bord des Vollschiffs „Golden Ball“, auf dem er dritter Steuermann war. Ich habe nie einen flinkeren Mann beim Reffen auf der Nock der Marsrahe gesehen!“
„Sind Sie jemals ein Seemann von Beruf gewesen?“ mischte sich der Doktor in das Gespräch.
„Einem Mann, der sein Glück in Australien versucht hat, darf man nicht zu sehr mit Fragen auf den Leib rücken“, versetzte Hankey lächelnd.
„Bitte um Entschuldigung“, verbeugte sich der Doktor; „aus dem fachmännischen Ausdruck, den Sie soeben gebrauchten, glaubte ich das schließen zu dürfen.“
Jetzt beteiligte sich auch der jüdisch aussehende Herr, der sich Caldwell nannte, an der Unterhaltung.
„Als ich nach Australien kam, wäre ich beinahe kopfscheu geworden“, erzählte er. „Das Schiff, auf dem ich die Überfahrt machte, hatte auf seiner vorletzten Ausreise einen jungen Baron an Bord gehabt, dessen Vater in einem Palais am Hyde Park wohnte. Er hatte sich als Kajütspassagier nach den Goldfeldern auf den Weg gemacht. Was soll ich Ihnen sagen? Unser Schiff löschte und nahm Wolle ein, und am letzten Tage vor seiner Rückfahrt nach England sah der Bootsmann, der am Fallreep zu tun hatte, einen ganz verkommenen Vagabunden, eine wahre Vogelscheuche, an Bord klettern, einen Kerl, dem das blasse Elend auf dem Gesichte geschrieben stand.
„Kennen Sie mich nicht?“, fragte er den Bootsmann.
„Nein, ich kenne Sie nicht“, sagte der. Darauf nannte die Vogelscheuche ihren Namen. Es war der junge Baron. Drei Monate lang hatte er sich herumgetrieben, Gold fand er nicht, zu essen hatte er bald auch nichts mehr, und so war er gezwungen, seine Siebensachen Stück für Stück zu versetzen, bis auf die Socken. Und nun war er gekommen, die Rückfahrt nach Hause zu erbetteln. Man erbarmte sich des armen Teufels und gab ihm eine Anstellung als Gehilfe des Stewards; man hielt ihn nicht einmal für gut genug, an der Tafel aufzuwarten, an der er kurz zuvor selber gesessen hatte. Er musste das schmutzige Geschirr nach der Kombüse bringen und dort abwaschen. War das für einen Auswanderer nicht genug, um kopfscheu zu werden?
Er wollte noch etwas hinzufügen, spülte aber die Worte mit einem Glase Wein hinunter.
Nunmehr kam die Unterhaltung in vollen Gang.
Mr. Caldwells Geschichte setzte auch die Zungen der übrigen in Bewegung. Diejenigen, die sich vorher so fremd benommen hatten, wurden mitteilsam gegeneinander, und der Kapitän sah sich mit einem Schlage an der Spitze einer Tafelrunde von Leuten, von denen man während der Reise viel angenehme Geselligkeit erwarten durfte. Man kam auch auf Gold zu sprechen.
„Was hat das Nugget (Bezeichnung der in gediegenem Zustande gefundenen größeren und kleineren Goldklumpen) zuletzt gegolten?“, fragte Mr. Davenire, der große Mann mit der grünen Weste und der silbernen Uhrkette.
„Drei Pfund bis drei Pfund einen Schilling die Unze“, antwortete Mr. Dent.
„Mich hat die Geschichte von Hargreaves großem Goldfund herüber gebracht“, sagte ein Herr mit Namen Peter Johnson. „Ich meine den Glückspilz, der da oben in Bathurst einen zentnerschweren Goldklumpen im Werte von viertausend Pfund Sterling aus einem Felsen sprengte. Himmel, wie mag sich da der Hargreave gefreut haben!“
„Hat auch Sie das Goldfieber hier herausgelockt?“ wendete sich Mr. Masters schmachtend an die ihm gegenübersitzende Miss Mansel.
„Ach nein“, versetzte diese. „Ich kam, um mich in meiner Stellung als Gouvernante zu verbessern, musste jedoch leider die Erfahrung machen, dass man in Australien nach meinen geringen Fähigkeiten und Kenntnissen nicht das geringste Verlangen trug.“
„Das allgemeine Los!“, rief Hauptmann Trollop.
„Die Kolonien sind wie Rattenfallen, in denen sich nur das aus dem Mutterlande kommende Gewürm und Ungeziefer fängt und hängen bleibt“, bemerkte Mr. Storr. „Lassen sich die Herrschaften daher ihre Misserfolge nicht leid sein.“
„Haben sich, seit das Goldfieber wütet, während Ihrer Heimreisen keine Selbstmorde an Bord ereignet, Kapitän?“, fragte Mr. Hankey.
„Auf der letzten Fahrt hatten wir allerdings einen plötzlichen Todesfall“, antwortete der Schiffer. „Wir glaubten auch, dass ein Selbstmord vorläge, der Doktor aber konstatierte als Todesursache eine Alkoholvergiftung bei dem Manne.
Es war Abend geworden; am Firmament blinkten die unzähligen Sterne, und der Mond schien voll hernieder. Die Brise war schwächer geworden; man hatte die Sonnensegel aufgerollt, und auf Reling, Deck und Kompasshäuschen glitzerte der Tau. Wie ein unermessliches Schattengefilde breitete sich der Ozean dem Horizont und den Sternen entgegen, und manch einer der Passagiere, besonders unter den Damen, erschauerte bei dem Gedanken, dass diese herrliche Nacht ihren Schleier auch über das Totenboot deckte, das weit hinter ihnen in der dunkeln Ferne einsam dahintrieb.
Ehe der zweite Steuermann in die Kajüte ging, um sein Mittagsmahl einzunehmen, trat er an den Kapitän heran.
„Weiter nichts in Sicht als ein kleines Segel gerade in unserm Kielwasser, durch das Nachtglas soeben erkennbar. Vorhin war mir's, als ließe das Fahrzeug eine blaue Leuchtkugel aufsteigen.“
„Bringen Sie mir das Glas“, entgegnete der Schiffer.
Der zweite Steuermann verschwand in der Kajüte. Der Schiffer legte das Glas weg, nahm Mrs. Holroyd unter den rechten, ihre Tochter unter den linken Arm und spazierte mit den beiden Damen an der Luvseite des Achterdecks auf und nieder.
Die Herren schlenderten umher. Mr. Cavendish, der Mann mit den winzigen Augen und dem unangenehmen, selbstgefälligen Grinsen, nahm von Miss Mansel Besitz; Burn unterhielt sich in wohlgesetzter Rede mit Mrs. Holroyd und deren Tochter, einige der andern gingen hinab auf das Hauptdeck, wo das Rauchen gestattet war, und hier unterhielten sie sich so lebhaft und angeregt, als habe die erste Mahlzeit an Bord der „Queen“ sie bereits zu vertrauten Freunden gemacht.
Die sogenannte „Hundewache“, die Zeit von sechs bis acht Uhr abends, ist auf der See der angenehmste Teil des Tages. Mit Sonnenuntergang ist in den subtropischen Gegenden sogleich die Nacht da. Die Arbeit ruht, und alles widmet sich der Erholung.
Aus dem Matrosenlogis ertönten die Klänge einer Harmonika. Hauptmann Trollop, Davenire, Caldwell und Hankey gingen, als wollten sie der Musik lauschen, nach vorn bis zur Kombüse. Hier stießen sie auf zwei Matrosen, die barfuß auf und ab schritten. Trollop blieb vor ihnen stehen.
„Ist die Mannschaft an Bord dieser Bark vollzählig?“, fragte er den einen.
Der Mann nahm die Pfeife aus dem Munde und sagte: „Nein.“
„Um wie viel zu wenig?“, fragte Davenire.
„Um soviel, als wir jetzt sind“, sagte der andere Mann.
„Wie ist das Salzfleisch an Bord, taugt es was?“, fragte Trollop, indem er sich eine Zigarre anzündete.
„Wissen wir noch nicht, bis jetzt hat's noch frische Kost gegeben.“
„Ich kenne einen Fall“, begann Mr. Hankey, dem das Mondlicht hell auf das von schwarzem Bart umrahmte Gesicht fiel, „wo schlechtes Salzfleisch der Grund zu der blutigsten Meuterei wurde, die es jemals auf See gegeben hat. Hören Sie, Davenire – man denke sich den Keim zu Mord und Totschlag eingesalzen, gepökelt in einem Fleischfasse liegend. Welcher Romanschreiber würde den Dämon der Empörung dort suchen?“
Er hätte noch mehr geredet, wenn nicht in diesem Augenblick ein lauter Ruf des Obersteuermanns, der die Wache hatte, die Aufmerksamkeit aller an Deck Befindlichen auf eine Rakete gelenkt hätte, die in weiter Entfernung hinter dem Schiffe aufgestiegen war und nun explodierte. Eine Minute später flammte ein Magnesiumlicht auf, gefolgt von abermals zwei Raketen.
„Das kommt von dem kleinen Fahrzeug, das wir schon am Nachmittag hinter uns sahen“, sagte der Kapitän zum Steuermann.
„Die Signale gelten uns“, versetzte dieser, „ein anderes Schiff ist nicht in Sicht.“
„Was kann man denn von uns wollen? Ist vielleicht ein Postbeutel zurückgeblieben? Da, wieder eine Rakete! Lassen Sie das Schiff beidrehen, Mr. Matthews, wir wollen doch hören, was das Fahrzeug von uns will.“
Der Passagiere hatte sich so etwas wie Aufregung bemächtigt. Noch befand man sich kaum einige Stunden auf See, und schon machte sich die Monotonie der endlosen Weite fühlbar. Jetzt sollte es eine Abwechslung geben, eine interessante Mondscheinszene. Da war ein Fahrzeug, das die Bark von Sydney aus verfolgt hatte, das war vielversprechend; nun musste es etwas ganz Besonderes zu sehen und zu hören geben.
„Nach hinten hin, einige von euch!“, rief der Steuermann den auf dem Hauptdeck stehenden Matrosen zu. „An die Großbrasse! Steuerbord das Ruder!“
Bald war das Schiff in den Wind gebracht, und Mrs. Peacock, eine der Damen, die mit Mrs. Storr die von den Matrosen ausgeführten Manöver beobachtet hatte, gewahrte mit Erstaunen, dass der Mond jetzt auf der andern Seite stand.
Ganz hinten am Heck stand eine Gruppe der Herren in leisem Gespräch.
„Was für ein Fahrzeug kann das sein?“, fragte Davenire, angestrengt nach der Gegend starrend, wo das Feuerwerk sich gezeigt hatte.
„Ah bah! Uns kann's gleich sein, wir haben nichts zu fürchten“, versetzte Mr. Shannon.
„Auffällig aber ist's doch“, murmelte der Hauptmann Trollop. „Eben erst aus Sydney heraus und schon verfolgt.“
„Kann das wohl eine Botschaft für uns sein? Wie? Was meinen Sie?“, fragte der junge Roué, Mr. Masters, langsam heranschlendernd.
„Wenn ich das annehmen müsste, so wünschte ich, dass der Kasten in den Grund sänke, ehe er uns erreicht“, meinte Trollop.
Noch ein anderer kam wie von ungefähr herzu, und wer jetzt die beieinander Stehenden gezählt hätten, der würde gefunden haben, dass es genau zehn waren. Auf der andern Seite des Achterdecks hatten sich um den Kapitän und den Steuermann die übrigen Passagiere versammelt. Plötzlich wendete Trollop sich um.
„Zerstreut euch!“, flüsterte er. Im nächsten Moment löste die Gruppe sich auf; einige begaben sich zu den Damen, andere begannen hin und her zu gehen, noch andere lehnten sich über die Reling.
Der alte Benson war ungeduldig geworden, das sah man an der Art, wie er das Teleskop bald ans Auge brachte, bald wieder sinken ließ. Er war an einen solchen Aufenthalt nicht gewöhnt. Er fand es unverschämt, dass man ihm zum Beidrehen signalisierte. Zwar war der Wind nur mäßig, die Bark hätte unter vollen Segeln höchstens vier Knoten die Stunde zurückgelegt, aber das war doch immerhin etwas und sicherlich besser, als dieses Stillliegen.
Zwanzig Minuten mochten auf diese Weise verstrichen sein, als ein großer Kutter herangerauscht kam, leuchtenden Schaum über die schwarze Flut vor sich herschiebend. Rasselnd wurde die Gaffel mit dem mächtigen Großsegel heruntergelassen, eine starke Stimme rief, man solle eine Leine herüberwerfen, und gleich darauf schleppte der Kutter hinter dem Heck der „Queen“. Das Mondlicht ließ seine weißen Decksplanken wie Elfenbein erscheinen; an Bord befanden sich drei oder vier Leute, unter ihnen fiel ein Mann besonders auf, der am Maste stand und einen kleinen Handkoffer neben sich hatte. Ein Seemann, der bisher die Ruderpinne gehandhabt hatte, ließ diese jetzt fahren und kam nach vorn.
„Kapitän Benson da?“, rief er die Reihe der Neugierigen an, die von der Reling der Bark auf den Kutter niederschaute.
„Ja“, sagte dieser langsam, „was soll's mit ihm?“
„Wir bringen hier einen Gentleman, der zu Ihnen an Bord will.“
„Wo ist der Gentleman?“
„Hier!“, rief der Mann, der am Maste stand. Damit nahm er seinen Handkoffer auf und trat an die Reling des Kutters. „Ich bitte um die Erlaubnis, an Bord der „Queen“ kommen zu dürfen.“
„Was wollen Sie denn hier?“, rief der alte Benson zurück, misstrauisch das Äußere des Mannes musternd, der einen schwarzen Rock, helle Beinkleider und einen dunkeln Filzhut trug, also weder ein Polizist noch ein Hafenbeamter sein konnte.
„Sie können unmöglich verlangen, dass ich Ihnen auf solche Entfernung und von hier unten aus meine Mitteilungen machen soll“, antwortete der Fremde.
Es entstand eine Pause.
„Fallreepsleiter überhängen!“, befahl dann Benson.
Der Mann mit dem Handkoffer reichte dem von der Ruderpinne gekommenen Seemann die Hand, ob nur zum Abschied, oder aber um ihm Geld zu geben, das konnten die Passagiere der „Queen“ nicht genau erkennen. Dann kletterte er die Leiter empor und hatte bald das Deck der Bark erreicht.
Der Hauptmann Trollop strich, vor sich hinsummend, dicht an ihm vorbei; einige der übrigen Passagiere taten schweigend dasselbe, wahrend der Ankömmling, nach Atem ringend, noch am Fallreep stand. Das Emporklettern war eine Anstrengung gewesen, da er nur eine Hand frei gehabt hatte, sich an der lose hängenden Leiter festzuhalten.
Der Schiffer, die Steuerleute und die Damen und Herren auf dem Achterdeck standen erwartungsvoll, des Herankommens des Fremden gewärtig; da wurde an Bord des Kutters die Leine losgeworfen, das Großsegel gehisst, und ehe der sich erstaunt umwendende Schiffer noch zu Worte kommen konnte, hatte das kleine Fahrzeug sich bereits davongemacht.
„Glückliche Reise!“, schrie der Mann an der Ruderpinne noch zurück, während das silbern schimmernde Kielwasser hinter ihm sich schnell verlängerte.
Mr. Matthews, der Steuermann, stand einen Augenblick wie angedonnert, dann aber forderte er mit Aufwendung all seiner Lungenkraft den Kutter auf, zurückzukommen, und so lange beim Schiffe zu bleiben, bis man wisse, was der fremde Mann wolle. Ein nur halb verständlicher Ruf der Weigerung wurde durch den feuchten Nachtwind noch vernehmbar, dann verschwammen die Linien des kleinen Fahrzeugs in dem weißlichen, schimmernden Mondnebel.
Inzwischen hatte sich der Ankömmling mit seinem Handkoffer auf das Achterdeck begeben, scharf und argwöhnisch beobachtet von den Herren, die er dabei zu passieren hatte, und die ihm dann, so dicht als möglich, auf dem Fuße folgten, um alles hören und sehen zu können, was sich zutragen würde. Der Mond schien so hell, dass man beinahe lesen konnte; der Fremde war ein kleiner, schmächtiger Mann mit langem, blondem Backenbart; sein Gesicht war blass und seine dunkeln Augen hatten einen unruhigen Glanz, als sie die Umstehenden überflogen.
„Wenn ich nicht sehr irre, dann ist das James Murray“, flüsterte Mr. Dent seiner Gattin zu.
„Doch nicht der Direktor der Kolonialbank?“, fragte die Dame leise.
Dent nickte, und jetzt hatte auch Kapitän Benson den Mann erkannt.
„Was?“, fragte er. „Mr. Murray – sind Sie's wirklich?“