Die Raubritterin - Kari Köster-Lösche - E-Book

Die Raubritterin E-Book

Kari Köster-Lösche

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Beschreibung

Die neuen Abenteuer der Raubritterin Johanna von Falkenstein Der Taunus im 14. Jahrhundert: Mit dem Einzug ihrer Stiefmutter auf Burg Königstein ändert sich Johannas ganzes Leben. Vorbei ist es mit den unbeschwerten Tagen, die die junge Frau mit Jagd und Reiten verbrachte. Die Stiefmutter schickt sie in ein Kloster. Doch Johanna gibt nicht auf, sondern rächt sich auf ihre Weise: Die vorgeblich fromme Klostermagd führt ein Doppelleben. Als furchtloser und gefürchteter Raubritter Johann versetzt sie die Begüterten ringsum in Angst und Schrecken. Doch dann geschieht das Unvermeidliche: Johanns wahre Identität wird entdeckt ... Endlich wieder zu lesen: Der erste Roman der großen Raubritterin-Trilogie von Bestsellerautorin Kari Köster-Lösche. Die Raubritterin (Band 1) Tod allen Reichen (Band 2) Die Tochter der Raubritterin (Band 3)

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Die Autorin Kari Köster-Lösche, 1946 in Lübeck geboren, veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Bücher, bevor sie mit ihren historischen Romanen ein begeistertes Publikum fand. Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit arbeitet sie in ihrer Wahlheimat Nordfriesland als Tierärztin.

Das Buch Der Taunus im 14. Jahrhundert: Mit dem Einzug ihrer Stiefmutter auf Burg Königstein ändert sich Johannas ganzes Leben. Vorbei ist es mit den unbeschwerten Tagen, die die junge Frau mit Jagd und Reiten verbrachte. Die Stiefmutter schickt sie in ein Kloster. Doch Johanna gibt nicht auf, sondern rächt sich auf ihre Weise: Die vorgeblich fromme Klostermagd führt ein Doppelleben. Als furchtloser und gefürchteter Raubritter Johann versetzt sie die Begüterten ringsum in Angst und Schrecken. Doch dann geschieht das Unvermeidliche: Johanns wahre Identität wird entdeckt …

Entdecken Sie mehr von Kari Köster-Lösche: Die Raubritterin-Saga: Die Raubritterin (01) Tod allen Reichen (02) Die Tochter der Raubritterin (03) Die Hakima Die Rückkehr der Hakima

Kari Köster-Lösche

Die Raubritterin

Historischer Roman

Die Raubritterin-Trilogie 1

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

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»Die Raubritterin« ist der erste Roman der Raubritterin-Trilogie. 2004 erschienen, liegt er nun erstmals in elektronischer Form vor.

Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Januar 2015 (1) © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2014 Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Titelabbildung: © Finepic® Autorenfoto: © Ullstein Buchverlage

ISBN 978-3-95818-028-4

Alle Rechte vorbehalten.

KAPITEL 1

»Die Hirschhoden für den alten Herrn! Die junge Gemahlin ist wohl drauf und dran, ihm das Mark aus den Knochen zu saugen.«

Das Küchenmädchen bog sich vor Lachen.

Unter den Gewölbebögen des Palas’ waberte die Feuchtigkeit des Spülwassers in fetten Schwaden, und der Rauch des Kochfeuers kroch schwarz am alten Gestein entlang. Trotz der schlechten Sicht in der nur dürftig ausgeleuchteten Küche konnte Thomas erkennen, dass fast alle grinsten.

Er wandte sich ab und seufzte verstohlen. Es war nicht recht, dass sie über Ritter Lienhart von Falkenstein spotteten.

»Komm schon, Thomas, lach auch mal mit! Du musst es dir nicht verkneifen, nur weil du der Bankert des Burgherrn bist.« Die schrille Stimme des Küchenmädchens drang ganz bestimmt durch alle Mauern der Burg, und manchmal hasste Thomas sie wegen ihrer scharfen Zunge. Aber er würdigte sie keiner Antwort, sondern bückte sich und begann das Feuerholz an der Wand aufzustapeln.

»Aber jetzt wird Lienhart keine Bankerte mehr wie dich machen, was Thomas? Von der Sorte eines Lienhart braucht die neue Gemahlin mindestens noch einen. Und man muss nicht lange raten, wer das sein könnte. Will vielleicht jemand mit mir wetten?« Thomas lief bei der Anspielung blutrot an. Herr, gib mir Demut, dachte er, damit ich sie ertrage. Und er hätte es auch geschafft, das Weib mit Missachtung zu strafen, wenn nicht ihr hämisches Gelächter ganz plötzlich abgebrochen und in ein Schmerzensgeheul übergegangen wäre. Bedächtig drehte er sich um und spähte hinüber zur anderen Wand.

Wie aus dem Nichts aufgetaucht, stand dort der Knappe der Herrin breitbeinig vor dem Küchenmädchen, das die Hände auf ihren Mund presste und leise schluchzend zu ihm aufsah. Konrad, ein vierschrötiger Brocken, stemmte seine Fäuste in die Seiten und wartete mit finster herabgezogenen Mundwinkeln, dass die Kleine sich beruhigte.

Als sie ihr Schluchzen eingestellt hatte und sich die Tränen abputzte, schlug Konrad noch einmal zu. Seine Handkante, die vom Üben mit den Waffen hart wie eine Eisenstange sein musste, traf das Mädchen unterhalb der Nase. Sie kippte nach hinten und schlug auf dem Boden auf, während ihr das Blut über die Oberlippe strömte. Konrads Schuh traf sie in die Rippen. Jedermann konnte sehen, dass er nahe daran war, die Beherrschung zu verlieren.

»Ich werde dich lehren, wie man mit meiner Herrin umgeht«, zischte er. »Noch ein einziges Wort aus deinem stinkenden Maul, und ich werde dafür sorgen, dass meine Dame dich teeren und federn lässt!«

Thomas betete stumm und begann lautlos ein Scheit auf das andere zu legen. Seine scharfen Ohren registrierten, dass sich hinter ihm niemand rührte. Nur das Knacken des Feuerholzes war zu hören und dann die Schritte des Knappen, der das Küchengewölbe ungerührt verließ, als sei er der Herr der Burg. Erst als er draußen im Burghof war, kam wieder Leben in das Gesinde.

»Nichts kann je bleiben, wie es ist«, stieß der alte Bernhard, der im Kopf schon schwach war, mit zitternder Stimme aus und fing an, den Bratspieß mit dem Hirsch zu drehen, als müsste er die verlorene Zeit einholen. »Und mit der neuen Herrin wird es ganz anders, Gott segne sie.«

»Ach, halt den Mund, Kerl. Was verstehst du schon davon?« Druitgen, die in der Küche die Aufsicht führte, trocknete sich die von der Spüllauge rissigen Hände und sank neben dem Küchenmädchen auf die Knie. Sie packte ihre Schultern und schüttelte sie, um sie wieder zu sich zu bringen. Thomas kam langsam näher und betrachtete die Kleine neugierig, aber zugleich mit einer ihm unerklärlichen Scheu.

»Ich glaube, sie ist tot«, murmelte Druitgen. »Ihr Kopf sitzt so lose auf den Schultern wie bei dem Hirsch, den die Knechte heute früh hereintrugen.«

Die Leute drängten herbei, und Thomas war plötzlich umgeben von all den Leuten, die der Ritter nun hier unten beschäftigte, ohne auch nur ihre Namen und Aufgaben zu kennen. Die meisten stammten aus der Stadt Königstein und kamen nur bei Tage auf die Burg, im Gegensatz zu ihm, der ohne Mutter und Vater aufwuchs und in einem der zerstörten und noch nicht wieder instand gesetzten Räume hauste.

»Ein Maul weniger zu stopfen.«

»Und was für ein Schandmaul! Das Weib konnte überhaupt nur still sein, wenn du ihr den Mund mit deinem Schwanz gestopft hast!«

Thomas’ Hals war wie zugeschnürt. Maria, bei deiner unsterblichen Seele, hilf mir, dachte er und versuchte, seine Panik zu bekämpfen. Diesen rohen Pferdeknechten ging er aus dem Wege, wann immer er konnte. Aber jetzt stand einer hinter ihm und würde sich wahrscheinlich gleich über seine fleischlichen Sünden mit den Küchenmädchen auslassen.

»Jemand muss es dem Herrn Lienhart mitteilen«, fuhr Druitgen fort, ohne sich um den Knecht zu kümmern, und fasste Thomas ins Auge.

»Nein, ich nicht!« Thomas begriff jäh, welch gefährlicher Auftrag es sein würde, Lienhart von Falkenstein die Nachricht zu überbringen, dass sein blutjunges Weib einen mordlustigen Knappen mit in die Ehe gebracht hatte. »Aber dem Fräulein Johanna könnte ich es sagen. Die Dame Katherine wird sie dafür nicht zu bestrafen wagen.«

»Dann mach dich auf, Thomas. Und trödele ausnahmsweise nicht herum!« Druitgen suchte unter ihrer Schürze nach einem Lumpen und begann das Gesicht des Mädchens zu säubern. Thomas starrte Druitgen auf die Hände und ließ zu, dass sich das Bild des Mädchens, das jetzt mit unnatürlich abgewinkeltem Hals und geronnenem Blut in den Haaren auf dem kalten, nassen Ziegelboden lag, tief in sein Gedächtnis einbrannte. Sie war ohne Beichte gestorben und würde jetzt schon in der Hölle schmoren, und nach seiner Auffassung hatte sie es nicht anders verdient, denn Eva hatte die Sünde in die Welt gebracht. Mit Mühe riss er sich von dem aufregenden Anblick los und machte sich auf, das Edelfräulein zu suchen.

In der Tür zum Burghof blieb er stehen und überlegte, wo er Johanna suchen sollte. In der frisch hergerichteten Kemenate bei der Hausherrin bestimmt nicht. Sein Blick ging über die hinuntergelassene Zugbrücke in die Wälder des Taunus, die sich bereits golden zu färben begannen. Wahrscheinlich war Johanna da draußen. Oder sie übte mit ihrem Pferd auf dem Turnierplatz, den der Herr Lienhart im Bereich der Vorburg auf eigene Kosten hatte abstecken lassen, weil er sich als einer der Butzbacher Falkensteiner mehr mit Königstein verbunden fühlte als alle anderen Burgmannen.

Noch während er nachdachte, wurde er durch einen derben Stoß in den Rücken unsanft auf die Pflastersteine des Hofes befördert. Er rollte sich rasch herum, um nicht noch einen Fußtritt des Stallknechts einzufangen, und humpelte dann fort, so schnell sein Klumpfuß es zuließ.

»Nimm dich in acht, Vico …« Johanna sprengte im gestreckten Galopp, tief über den Pferderücken geduckt, auf ihren Gegner zu.

Sie benutzten zwar Übungslanzen mit stumpfen Köpfen, aber ihre Geschwindigkeit war beachtlich. Kein Hengst wagte, Widerworte zu geben, wenn die Tochter des Burgherrn ihn ritt. Sie war eine geübte Turnierkämpferin.

An diesem Tag allerdings hatte Johanna Pech. Sie wich vor der gegnerischen Lanze zu weit zur Seite aus, und ihr Hengst scheute vor dem heruntergefallenen Schild des Bruders, noch bevor sie das Gleichgewicht wiederfinden konnte. Pferd und Reiterin trennten sich einvernehmlich.

»Verflucht aber auch«, murmelte Johanna und rieb sich das Knie, während ihr Blick Vico folgte, der zurückgekommen war und mit spöttischem Blick im Kreis um sie herumtrabte.

»Du fluchst wie ein Stallbursche, Johanna, lass es nicht unsere Stiefmutter hören. Sie hält sehr auf gute Sitten, erzählt man sich unter dem Gesinde.« Er grinste.

»Ich hab’s auch gehört. Sie könnte allem Ärger aus dem Wege gehen, wenn sie mich weiter in unserem Burgmannenhof hätte wohnen lassen.«

»Eine unverheiratete Ritterstochter allein im Haus! Das hätte aber einen Skandal gegeben«, versetzte Vico.

»Na, gut. Ich werde in ihrer Gegenwart säuseln wie der Heilige Vater persönlich«, versprach Johanna ruppig und rappelte sich auf. Sie streckte und beugte das lädierte Bein, bis es wieder gängig wie ein gutgeschmiertes Scharnier war. Probeweise trat sie auf und stellte zufrieden fest, dass nichts Schlimmeres als ein blauer Fleck die Folge sein würde. »Jedenfalls in der ersten Woche.«

Vico lachte schallend. »Du hältst deine Zunge genauso wenig im Zaum wie unsere Mutter. Vater Josef wird dankbar sein, wenn sie dich einmal woandershin verheiraten. Und wahrscheinlich gefällt ihm die neue Burgherrin besser als die alte.« Er blickte nach Süden, wo der Taunus sanft in die Ebene von Frankfurt auslief, und dann den Burgberg hoch. »Ich glaube übrigens, wir machen besser Schluss für heute. Gestern die Jagd, heute unsere nette kleine Übung, das reicht den Pferden. Wir wollen es nicht übertreiben. Da hinten kommt Thomas mit deinem Ajax.«

»Na schön«, antwortete Johanna gleichgültig.

Vico nickte ihr zu und ritt mit aufgestellter Lanze im versammelten Galopp davon.

Johanna winkte ihm nach und sah Thomas entgegen. Wegen seines schlimmen Beins musste er hoppeln wie ein Hase, wenn er mit ihrem feurigen Hengst Schritt halten wollte. Mut konnte man ihm nicht absprechen.

»Euer Hengst fand wohl, er sollte jetzt in den Stall, gnädiges Edelfräulein.« Thomas stieß die Worte schnaufend aus. »Aber ich meinte, nicht ohne Eure Erlaubnis.«

Johanna schmunzelte. »Er hat tatsächlich versäumt, sie einzuholen. Mit Manieren hapert es in unserer Familie, fürchte ich. Vico hat mir auch gerade die Leviten gelesen.«

»Oh, das meint Ihr nicht im Ernst, Edelfräulein.« Thomas sah sie erschrocken an.

»Na ja«, murmelte Johanna und nahm den Zügel auf. »Ich danke dir, Thomas. Halte mir den Steigbügel, während ich aufsteige. Und dann beeile dich in die Küche zurück, damit du keinen Ärger bekommst.«

Thomas’ rundes Gesicht errötete leicht, während er den Kopf schüttelte. »Druitgen schickt mich zu Euch. Ich soll Euch mitteilen, dass die Aschefegerin durch einen Unfall zu Tode kam. Das kann nichts Gutes bedeuten, Fräulein Johanna. Vielleicht war es doch nicht recht von Eurem Vater, da oben einzuziehen …«

»Und was stimmt mit ihrem Tod nicht?« Johanna rückte sich im Sattel zurecht, und Ajax stieß ein Schnauben aus. Sie begann sich zu fragen, was in aller Welt da passiert sein mochte. Irgend etwas war … ungewöhnlich.

Thomas strich ihm sanft über die Nüstern und rollte dann einen Finger in die Mähnenhaare ein. Endlich hob er den Kopf und sah ihr in die Augen. »Es war der Knappe Konrad, der sie erschlug. Ein Tadel für ihr loses Mundwerk hätte auch gereicht, meine ich… Die Rache ist beim Herrn, und Bestrafung des Gesindes durch körperliche Züchtigung steht einem Knappen nicht zu.«

»Noch dazu wo es ihrer ist und nicht unserer.« Grimmig überdachte Johanna die Situation. »Und mich habt ihr ausersehen, es Vater mitzuteilen?«

»Genau.« Thomas war erleichtert.

»Ungern«, sagte Johanna knapp. »Aber es ist zu befürchten, dass Konrad auch künftig Hand an die Leute legt, wenn man ihm jetzt keinen Einhalt gebietet.«

Thomas nickte ernsthaft.

»Es ihr, der Dame, zu sagen, hätte keinen Zweck«, fuhr Johanna fort.

Mit treuherziger Miene schüttelte Thomas den Kopf. Seine Faust umklammerte weiterhin den Trensenzaum.

Johanna nahm die Zügel auf. »Und wenn ich dir nun mitteile, dass es auch keinen großen Zweck hat, es Vater zu sagen? Was wird dein Kopf dann machen?«

Thomas lächelte für einen winzigen Augenblick in sich hinein, bevor er wieder so ernst wurde, wie man es von ihm gewohnt war. »Vielleicht macht er sich selbständig«, antwortete er rätselhaft und gab das Pferd frei.

»Würde mich nicht wundern.« Johanna winkte ihm lachend zu und setzte die Sporen ein, jedoch nur behutsam, weil der Hengst ein wenig kitzelig war.

Während sie die offene Schranke des Turnierfeldes passierte, ging ihr durch den Kopf, dass für diesen Jungen, der wohl um die fünfzehn Jahre alt sein mochte, eine Klosterschule richtig gewesen wäre, aber eine solche Erziehung hatten nicht einmal die erbberechtigten Söhne bekommen.

Jedoch wanderten ihre Gedanken schnell wieder zu Katherine von Falkenstein zurück. Die Unterlippe zwischen die Zähne geklemmt, sprengte sie in mäßigem Galopp die Serpentinen zur Burg hoch und versuchte sich auszumalen, welche Folgen der Ehrgeiz der neuen Ehefrau haben konnte, die als erstes ihren Mann dazu gebracht hatte, Burgräume einer Reichsburg zu beziehen. Es war auch bemerkenswert, wie schnell das Gesinde sie als brandgefährlich einzuschätzen gelernt hatte.

Die Sonne stand schon tief über den Hügeln im Westen und ließ den Hahn auf der Turmspitze von Sankt Marien in der Unterstadt glitzern. Aber bis zum großen Festbankett am Abend war noch genügend Zeit, um mit dem Vater zu reden. Wahrscheinlich würde der Burgherr in der Halle sitzen und mit der Burgmannschaft die Tagesgeschäfte durchsprechen.

Auf der Zugbrücke klapperten die Hufe ihres Pferdes so laut, dass nicht einmal der faule Strick von Stallknecht sie überhören konnte, trotz des Lärms, der hier von an und abfahrenden Ochsenkarren, vom Schmied und von den Maurern mit ihren Hämmern und quietschenden Winden verursacht wurde. Er ließ sich herab herbei zu schlendern. Johanna warf ihm einen giftigen Blick zu und schritt durch das Tor in den inneren Burghof und über die holperigen Pflastersteine zum Bergfried.

Sie stieg die Treppe hinauf und sah sich suchend um. Ihr Vater saß an seinem üblichen Platz, umgeben von einigen der Burgmannen und ihren Knappen. Wie zu erwarten, waren sie mit der Einteilung der Geleitstrecken für die kommende Woche beschäftigt. Der Augenblick war gut gewählt. Mit ihren für ein ritterliches Edelfräulein viel zu festen Schritten ging Johanna zum Vater hinüber.

»Ja, was gibt es, Johanna?« fragte Lienhart, während sie noch unangenehm überrascht auf ihre Stiefmutter Katherine starrte, die hier nichts zu suchen hatte. Es war zu spät, ihr Vorhaben abzubrechen. »Ich wollte Euch eine Mitteilung machen«, stammelte Johanna unbeholfen.

In diesem Augenblick erschien in ihrem Blickfeld der grellgrüne Ärmel von Konrad, der seiner Herrin einen Imbiss servierte. Johannas Blick fiel auf die Schüssel mit gestockter Goldmilch, die einzige Speise, die sie aus tiefstem Herzen verabscheute.

Sie passte zur Stiefmutter, irgendwie, und beinahe hätte sie laut gelacht.

Aber die geschmolzene Butter stand in größeren Pfützen auf der gestockten Eiermilch, als sie es jemals im Burgmannenhof gesehen hatte, und die neue Verschwendungssucht verwandelte Johannas verächtliche Belustigung in Verärgerung. »Wenn Knappe Konrad für jede Speise, die er aus der Küche holt, ein Mädchen erschlägt, werden Euch die Küchenmädchen bald ausgehen, Vater!«

Der scharfe Ton ließ Lienhart aufmerken. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, während er einen tiefen Schluck aus dem Bierhumpen nahm und ihn bedächtig die Kehle hinunterrollen ließ.

Die Ritter und Gefolgsleute schauten erwartungsvoll auf den Herrn der Burg. Lienhart von Falkenstein, dessen schulterlange Haare noch braun waren und verbargen, dass er bereits vierzig Jahre alt war, schwieg jedoch.

Konrad auch. Er, den die Anklage am meisten hätte treffen müssen, war mit den Gedanken weit fort, an einem ganz anderen Ort. Er formte mit den Lippen unhörbare Sätze.

Er rezitiert allen Ernstes Minnelieder, dachte Johanna empört. Und warum reagierte ihr Vater nicht?

Durch die Dame Katherine ging ein Ruck. »Wenn mein Knappe ein Mädchen bestraft, wird er seine Gründe gehabt haben«, bemerkte sie und lächelte eiskalt. »Er ist hart mit anderen, aber nicht härter als mit sich selber. Was kann man mehr von einem Mann verlangen? Ich liebe Härte bei Männern.«

»Und Ihr, Vater? Seid Ihr unter Katherines Liebe zur Härte schon so handzahm geworden, dass Ihr Euch das Wort aus dem Munde nehmen lasst?« spottete Johanna.

Ritter Lienhart stellte den Humpen hart auf den Tisch. »Jetzt reicht es, Johanna! Mein ganzes Leben war ich Frauen gegenüber zu gutmütig. Hätte ich nicht auf deine Mutter gehört, so wärst du zur Erziehung ins Kloster gekommen. Du wärst demütig und fromm genug geworden, um dich standesgemäß zu verheiraten. Was aber soll ich jetzt mit dir anfangen?«

Dame Katherine lächelte süffisant und vermied es geschickt, Ratschläge zu geben. Betont uninteressiert drehte sie sich zu ihrem Knappen um. Sie saß gerade wie eine Lanze, ihre Brüste wölbten sich wie Bälle, und der Schleier, der das Dekolleté verdecken sollte, hielt den Blick kaum auf. Konrad stierte mit fiebrigen Augen hinein.

Katherine berührte ihn leicht am Arm. »Der versteht vom Frauendienste wenig, der seine Herrin ganz will haben«, sagte sie tadelnd, um sich sofort wieder an ihren Ehemann zu wenden.

»Ein Zitat aus einem Gedicht, geliebter Lienhart. So treffend vermag ich selbst nicht zu formulieren. Konrad und ich tragen uns zuweilen Minnegedichte vor.«

Der Ritter brummte nur als Antwort. »Der Minnedienst eines unreifen Knaben interessiert mich wenig. Mir wird klar, dass mit Johanna etwas geschehen muss.«

»Diese alberne Knappenkleidung deiner Tochter ist ohnehin ein Skandal!« Katherine rümpfte ihre ebenmäßige kleine Nase und entlockte damit dem Burgherrn ein zärtliches Lächeln. Ihre Hand schmiegte sich in seine, und mit den Blicken verschlangen sie einander.

Johanna schob trotzig den Unterkiefer vor. Auf dem Zelter konnte man keine Turniere reiten und in Damenkleidung nicht im Herrensattel sitzen. Seit frühester Jugend zog sie Knappenkleidung an, und jeder, der sie kannte, fand es normal. Sie beugte sich über den Tisch. »Ich wollte Euch nur darauf hinweisen, dass Konrad ein Küchenmädchen aus der Stadt erschlagen hat. Und selbst, wenn seine Minneherrin meint, dass es in Ordnung sei, der Vater des Mädchens bestimmt nicht. Er wird kommen, um von Euch die Bestrafung des Knappen zu verlangen.«

Plötzlich erwachte Konrad aus seinem Gemisch von stummem Minnedienst und Eifersucht. »Du falsche Schlange«, zischte er mit kaum geöffneten Lippen:

Johannas Blick streifte ihn voller Verachtung. Unter der Kleidung und dem ritterlichen Gehabe lag nur bäuerliche Grobschlächtigkeit. Die edle Lebensart war aufgesetzt.

»Das Küken erdreistet sich, lauter als der Hahn zu krähen«, bemerkte Katherine spitz. »Und die Dame Katherine hat eine ziemlich scharfe Zunge.«

An den Händen ihres Vaters, die sich wieder um den Humpen gelegt hatten, begannen sich Adern abzuzeichnen. Jäh begriff Johanna, dass sie dabei war, die Langmut ihres Vaters zu verspielen, wenn sie seine junge Frau angriff. »Ich wollte Euch wegen Konrad warnen, Vater. Er ist nicht ritterlich, sondern mordlustig.« Sie drehte sich auf dem Absatz um und schritt zum Treppenhaus. Die Augen der Männer folgten ihr, als sei sie soeben aussätzig geworden.

Im Saal, von dem aus der Bezirk Königstein durch wechselnde, meistens unbekümmert geschwätzige und fröhliche Burgmannen verwaltet wurde, herrschte Totenstille.

Die Jagd verlief außerordentlich erfolgreich, wie alle sich gegenseitig versicherten, die einige Tage später bei den in einer lieblichen Lichtung aufgeschlagenen Tischen eintrafen. Johanna war bei der ersten Gruppe.

Zufrieden mit sich, schlenderte sie auf der Lichtung umher. Sie hatte einen kapitalen Hirsch erlegt. Als Vico kam, rannte sie sofort zu ihm, um es ihm zu erzählen.

»Gut gemacht, Schwesterchen«, sagte er anerkennend und schlug ihr herzhaft auf die Schulter.

»Und du, Vico? Was hast du erlegt?«

Er breitete seine Handflächen aus und grinste entwaffnend.

»Nichts.«

»Nichts?« Johanna staunte. Vico galt als guter Jäger. »Welch ein Pech!«

»Ich habe in der letzten Zeit wenig Glück. Es wird schon wieder werden.«

»Vielleicht hat sie mehr Geschick zum Töten als du, lieber Stiefsohn. Frauen sollen ja gute Jägerinnen sein.« Die Geschwister drehten sich im gleichen Augenblick um. Ihre Stiefmutter, die nicht aktiv an der Jagd teilgenommen hatte, sondern im Schutz der Knechte gekommen war, die die fahrbare Küche zur Jagdgesellschaft brachten, saß bereits am Tisch des Burgherrn.

Verdammt, dachte Johanna, man muss jetzt lernen, nach dieser Spitzmaus Ausschau zu halten, bevor sie piepst. Und wieso Jägerinnen? Katherine hatte nie die Absicht gehabt, an der Jagd teilzunehmen.

»Ich will es nicht abstreiten, werte Stiefmutter«, antwortete Vico nachgiebig und verbeugte sich ritterlich, wie es ihm vor der Dame des Hauses zukam. »Johanna ist die beste Jägerin, die ich kenne.«

Er konnte das verächtliche Zucken ihres Mundes gar nicht gesehen haben, im Gegensatz zu Johanna. »Wir werden ja sehen, welche Heldentaten Euer Knappe Konrad verrichtet hat«, bemerkte sie zu Vicos Verteidigung.

Katherines Züge wurden steif und ablehnend. Mit kleinen, kantigen Bewegungen rückte sie ihre fliegenpilzrote Haube zurecht, die mit einem dünnen Schleier unter dem Kinn befestigt war. Ihr Obergewand war von derselben grünen Farbe wie die Ärmel ihres Knappen.

»Das werden wir«, sagte Katherine endlich säuerlich. »Ich könnte mir denken, dass sein Hirsch größer ist als deiner. Nicht wahr, Vater Gottfried, unsere Gebete werden ihm helfen, so gewiss ich hier sitze und Ihr kniet.« Sie drehte sich um, und Johanna folgte ihrem Blick.

Und tatsächlich kniete zwischen den Bäumen eine rundliche Gestalt in grober, ungefärbter Wolle. Zwischen den lichten Birkenstämmen, die aus unerfindlichem Grund hier auf kargem Boden eine kleine Gruppe bildeten, war er ihr gar nicht aufgefallen.

Johanna hatte den Beichtvater ihrer Stiefmutter bis dahin noch nicht zu Gesicht bekommen, weil er angeblich so fromm war, dass er sich entweder in der Burgkapelle aufhielt oder in der Küche die Güte des Messweins überprüfte. »Vater Gottfried«, flötete Katherine. »Betet Ihr immer noch für das Jagdglück unseres Konrad?« »Amen«, sagte der Mönch inbrünstig, federte hoch und schaukelte kurzbeinig auf Sandalen durch das schüttere Gras herbei. Sein ausladender Bauch ließ die Mönchskutte abwechselnd nach rechts und nach links auswehen. »Gewiss, Dame Katherine, ich betete für Konrad und für Euren Gemahl. Unser Herr Jesus Christus hat stets ein offenes Ohr für eine ehrliche Fürbitte.«

Wie ein ehrlicher Mann sah er nicht gerade aus, fand Johanna und musterte ihn ebenso misstrauisch wie er sie. Wer so fett war, konnte gar nicht aus vollem Herzen fromm sein. Er hätte genügend hungrige Menschen in seiner Umgebung finden können, mit denen er hätte teilen können.

»Bitte Vater, segnet mich.« Vico sank neben Johanna auf die Knie und senkte seinen Kopf.

»Die Bitte erfülle ich gern, mein Sohn«, antwortete der Zisterzienser salbungsvoll und trat näher, wobei er gleichzeitig missbilligend auf Johanna blickte. »Und du, meine Tochter?« fragte er. »Möchtest du den Segen Gottes nicht empfangen?«

»Ich habe gestern bei Vater Josef in der Stadt gebeichtet und bin gesegnet worden.« Im Augenblick war Johanna dafür dankbarer als am Vortag. »Jetzt fühle ich mich zu unwürdig, weil ich gerade einen Hirsch getötet habe. Auch der Hirsch war ein Geschöpf Gottes.«

»Eine solche Einstellung weist unsere Mutter Kirche entschieden zurück und ich mit ihr. Fromme Menschen haben durch Christus den Auftrag, sich die Erde untertan zu machen, meine Tochter. Ich nehme an, du wusstest es nicht. Den Segen werde ich dir geben, um dich in deinem unvollkommenen Glauben zu stärken …« Vater Gottfried nahm seine Hand von Vicos Kopf und machte sich mit ausgestreckten Armen und falschem Lächeln auf den kurzen Weg zu Johanna.

»Doch, ich kenne diese Auslegung, Vater Gottfried, aber ich finde sie nicht richtig, und ich wette mit Euch, der Hirsch auch nicht.« Johanna wich ihm behände aus, bevor er ihr in Nächstenliebe zu dicht auf den Leib rücken konnte. »Ich werde mir jetzt erst das Blut abwaschen, und dann können wir noch einmal darüber reden. Vielleicht kann ich Euch überzeugen. Oder Ihr habt bis dahin anderes zu tun. Da kommen ja noch mehr Jäger, die sich in den letzten Stunden die Erde untertan gemacht haben. Sie strotzen allesamt vor Frömmigkeit und werden Euch gut gefallen.«

Das aufgesetzte Wohlwollen verschwand aus dem rundlichen Gesicht des Priesters. Vico, der immer noch auf dem Boden kniete, zeigte Johanna verstohlen einen Vogel.

Sie signalisierte Unverständnis. Aber vielleicht war es in der Tat ungeschickt, den Beichtvater der Stiefmutter zu provozieren. »Nun ja«, murmelte sie verlegen und machte sich grußlos aus dem Staub.

Im Davongehen hörte sie, wie Vater Gottfried zu Katherine sagte: »Wo wurde sie denn aufgezogen, dass sie so ohne jede Frömmigkeit ist? Abgesehen von ihrem gänzlichen Mangel an Ehrfurcht gegenüber einem Priester unseres Herrn.«

»Offenbar hat sie sich meistens bei der Aschefegerin in der Küche aufgehalten«, antwortete Katherine vernehmlich. »Vielleicht auch beim Kotkönig von Königstein oder in den schrecklichen Wäldern des Taunus. Die Schuld liegt bei ihrer Mutter. In der Hölle soll sie büßen, dass sie mir diese ungebändigte Missgeburt hinterlassen hat. Ich bitte Euch herzlich um Eure Mithilfe bei ihrer Erziehung, Vater Gottfried.«

»Gewiss. Ihr wisst, dass Ihr Euch auf mich verlassen könnt. Wir werden ihre Seele den Klauen des Teufels entreißen.«

Die Stimme des Priesters klang außerordentlich tatendurstig. Der hat mir gerade noch gefehlt, dachte Johanna und steuerte auf die fahrbare Küche zu. Hinter dem Backofen auf Rädern musste es einen Bach geben. Die Köche der Jagdgesellschaft brauchten immer Wasser für alles mögliche. Glücklicherweise hatte ihre Mutter verhindert, dass ihr Vater sie den Nonnen zur Erziehung übergeben hatte Aber es war nicht ausgeschlossen, dass ihre Stiefmutter und deren Beichtvater sich als unangenehmer als ein Heer von Nonnen erweisen würden.

Johannas Befürchtungen lösten sich auf wie Nebel in der Sonne angesichts der freundlichen Mienen der Mägde und dem Hallo der Knechte, die alle von ihrem Jagdglück gehört hatten und sie mit Glückwünschen überhäuften. Ihr Ansehen bei ihnen war enorm gestiegen, seitdem sie versucht hatte, den Totschläger zur Rechenschaft zu ziehen. Leider ohne jede Konsequenz für Konrad. Trotzdem – ein kleiner Sieg war es gewesen, der Knappe war gewarnt. Johanna grinste über das ganze Gesicht und winkte zurück.

Einige Stunden später war die Jagdgesellschaft, die aus den Burgmannen von Königstein und kleineren Rittern der Umgebung sowie deren Knappen bestand, vollständig beisammen. Ritter Lienhart ging mit seiner jungen Frau an der Spitze der Gruppe, die die Strecke besichtigte.

Johanna schlenderte mit ihrem Bruder hinterher. Mit ihrer schlichten Jagdkleidung aus dem kurzen gegürteten Wams, einer knappen Hose und weichen hohen Stiefeln hätte sie Vicos Knappe sein können. »Ich bin ja neugierig, was dieser Berserker Konrad geschossen hat«, sagte sie munter.

»Wenn er so tüchtig ist, wie er aussieht, müsste er mit bloßen Händen einen Bären erlegen können.« Vico grinste erwartungsvoll vor sich hin. »Wir werden ja sehen.«

In diesem Augenblick stockte vorne der Schritt der Gesellschaft. »Wer hat diesen hier erlegt?« hörte man Ritter Lienharts Stimme. »Er scheint mir der größte zu sein.«

»Eure Tochter, soviel ich weiß«, antwortete einer der Umstehenden.

»Sie soll kommen!«

Johanna wechselte einen fragenden Blick mit Vico, dann drängte sie sich zu ihrem Vater vor. Er stand tatsächlich neben ihrer Jagdbeute. Ihr wurden Schulterklopfen und Glückwünsche zuteil, bis sie bei Hirsch und Vater anlangte.

»Deiner ist der größte, Johanna«, sagte Lienhart mit einem anerkennenden Lächeln. »Du sollst heute die Jagdkönigin sein und an meiner Seite sitzen.«

Johanna errötete vor Stolz. Es war eine große Ehre, Jagdkönig zu sein, und für sie war es das erste Mal. Sie schenkte ihrer Stiefmutter, die neben Lienhart stand, ein strahlendes Lächeln. Aber Katherine beachtete sie nicht. Sie betrachtete gelangweilt das Laub der Bäume, den grauen Himmel und die Vögel, die in den Baumkronen umherflogen, dann beugte sie sich zu ihrem Knappen hinüber und flüsterte mit ihm.

Lienhart reichte Johanna galant den Arm, und ihr gelang es, ihre schmale schöne Hand formvollendet auf seinem Ärmel niederzulegen und mit ihm die Reihe der erlegten Tiere abzuschreiten. Wenigstens einmal durfte sie ihrem Vater beweisen, dass sie mehr konnte, als reiten und schießen. Besser hätten es auch die Frauen aus den erbberechtigten Linien der Butzbacher und der Licher Falkensteiner nicht gekonnt.

Und Ritter Lienhart von Falkenstein antwortete tatsächlich mit der vorgeschriebenen Neigung seines Kopfes, beste höfische Etikette! Herrgott, war sie glücklich!

Von ihrer Stiefmutter war nur das raschelnde Gewand zu vernehmen.

Lienhart fand für jedes Tier lobende Worte und für denjenigen, der es erlegt hatte, ebenfalls. Johanna hörte ihm mit wachsendem Erstaunen zu. Jagd war mehr als Beute. Jagd war auch Herrschaft. Der Burgherr regierte im Gehen.

Nur, dass ihm die Burg nicht gehörte. Die Falkensteiner hatten sie vor einiger Zeit verkauft.

Johanna empfand unerwartet Bewunderung für ihren Vater und eine ungewohnte Zärtlichkeit. Er wäre ein kluger und umsichtiger Herrscher geworden und hätte die Burg Königstein nicht, wie die Licher Falkensteiner, aus der Hand gegeben.

»Diese junge Bache wird vorzüglich munden«, sagte Lienhart. »Sie hat höchstens zweimal geworfen und wird von feinem, edlem Geschmack sein. Ich habe einen vorzüglichen Rotwein, der ganz ausgezeichnet zu ihrem Fleisch passen wird.«

Der Knappe, der sich bereits unauffällig in seine Nähe begeben hatte, erglühte vor Freude und verneigte sich wortlos.

Lienhart klopfte ihm leicht auf die Schulter und schritt zum letzten Tier in der Reihe, einem Hasen. »Diesen hätte man vielleicht am Leben lassen sollen«, bemerkte er mit gezwungener Heiterkeit, »damit der Herr im Himmel ihn doppelt so stark hätte werden lassen können – wie es seiner Bestimmung entspricht. Ich dachte, es herrsche Klarheit darüber, dass Jungtiere nicht geschossen werden.«

Die Ritter fielen in ein unbehagliches Schweigen. Schließlich räusperte sich Lettel, ein grauhaariger Lehnsmann, der den Knappen im Reiten und im Waffengebrauch Unterricht zu erteilen pflegte. »So ist es, Lienhart. Aber Knappe Konrad ist neu auf Burg Königstein, und wahrscheinlich hat niemand es ihm mitgeteilt …«

Konrad stand mit missmutig herabgezogenen Mundwinkeln hinter der Dame Katherine und starrte auf die hochgebundenen Schnäbel seiner modischen, aber im Wald unpraktischen Schuhe. Vater Gottfried hatte bei seinem Gebet wohl das Ohr des Herrn verfehlt. Johanna verzog schadenfroh das Gesicht und blinzelte ihrem Bruder zu.

»Nun ja«, sagte Lienhart gleichmütig. »Dann wollen wir jetzt zum wohlverdienten Festmahl übergehen.«

Abseits ertönte ein wildes Kläffen. Die Meute bekam gerade ihren Anteil an der Beute. Neben den Tischen, die sie inzwischen schön gedeckt hatten, warteten die älteren Knappen mit den Weinkrügen, und die jüngsten schnitten auf der Anrichte dicke Brotscheiben, während die Gesellschaft sich zerstreute und jeder den ihm gebührenden Platz einnahm. Lienhart führte seine Frau und an diesem Tag auch seine Tochter zu Tisch und platzierte die Damen zu seinen beiden Seiten.

Konrad lief wie üblich hinter seiner Herrin her. Katherine zeigte stumm auf den Stuhl an ihrer Seite, und der Knappe war drauf und dran sich zu setzen. Lienharts leise Stimme ließ ihn zögern.

»Dann wollen wir doch sehen, wie artig Euer Konrad uns vorlegen kann.«

Katherine öffnete mit entrüsteter Miene den Mund, schloss ihn jedoch wieder still.

Johanna spitzte die Ohren. Obwohl Konrad der älteste Knappe war und genügend Jungvolk herumlief, wurde er jetzt wie ein Zwölfjähriger zum Bedienen geschickt. Mit Genugtuung sah sie ihm nach, als er sich mit finsterer Miene auf den Weg zu den Köchen machte.

Zwei ganz junge Knappen schafften es, ziemlich geordnet und geräuschlos den Burgherrn und seine wichtigsten Gäste am Herrschaftstisch mit Brotscheiben zu versorgen. Ihnen auf dem Fuß folgten zwei ältere, die Schüsseln mit dampfendem, scharf gewürztem Fleisch brachten. Als sie alle bedient hatten, stahlen sie sich auf Zehenspitzen vom Tisch, und die Ritter falteten die Hände zum Gebet. Ihre Augen richteten sich auf Lienhart, dem es als Befehlshaber der Burgmannen zukam, bei der Jagd vorzubeten.

In Lienharts Räuspern hinein stimmte Vater Gottfried das Tischgebet an. Lienhart zögerte einen Augenblick, bevor er einfiel. Johanna bewegte nur die Lippen. Gottfrieds Gebet wollte sie nicht. Er hatte den Vater um sein Vorrecht betrogen.

Das Gebet endete mit einem Augenblick stiller Andacht, die durch Katherines harte Stimme gestört wurde. »Nein, danke«, sagte sie und schob ihr Essen von sich. »Ich erfülle heute das Gelübde eines Fasttages.«

»Die Frömmigkeit wird Euch dereinst vergütet werden, edle Dame«, schmeichelte Vater Gottfried mit schon vollem Mund und säbelte die von Fett triefende Schweineschwarte direkt vor seinen wulstigen Lippen ab. »Der Herr gibt im Tod mit vollen Händen zurück, was er im Leben nahm.«

Lienhart ignorierte den Priester. Er hob seiner Frau den feurig rotblitzenden Pokal entgegen, um ihr zuzutrinken. »Ausgerechnet heute? Wie schade! Auf Euer Wohl, Katherine. Waldluft macht hungrig und durstig. Fallt mir nicht vom Fleische, ich bitte Euch.«

»Nein. Für mich ist ausreichend gesorgt«, antwortete Katherine knapp und bog sich ein wenig beiseite, um Konrad Platz zu machen, der eine Schüssel vor sie stellte.

Johanna beugte sich vor, um einen Blick auf Katherines Fastenspeise zu werfen. Es sah ganz nach gestockter Goldmilch mit viel Butter aus.

Offensichtlich bemerkte die Edelfrau die verwunderten Blicke ihrer Nachbarn. »Ich habe einen Butterbrief vom Heiligen Vater persönlich«, merkte sie mit unüberhörbarem Stolz an. »Das wisst Ihr sicher noch nicht, Lienhart. Gestockte Goldmilch ist meine Lieblingsspeise. Sie tröstet mich über das Fasten hinweg.«

»Mit einem so nahrhaften Dispens könnte man viele Arme leicht zum Fasten überreden«, flüsterte Vico Johanna ins Ohr.

Johanna verschluckte sich beinahe vor Lachen und mäßigte sich erst unter Lettels mahnendem Blick.

»Ihr könnt Gott danken, dass Ihr eine so fromme Frau Euer eigen nennt, Herr Ritter«, säuselte Vater Gottfried. »Sie ist dem Herrn wohlgefälliger als Eure erste Frau, und mit ihrer Hilfe werdet auch Ihr ein Stückchen Himmelreich erwerben.«

Ritter Lienharts stahlgraue Augen ließen nicht erkennen, was er dachte. Er hob seinen Pokal und trank dem Priester höflich zu. Johanna hätte ihm den Wein ins Gesicht geschüttet.

Die Knappen, die eigentlich nur Bier trinken durften, hatten sich einiger Krüge mit Wein bemächtigt. Sie waren nicht besonders gut im Gras versteckt. Ihr Gelächter wurde immer lauter; ein geradezu brüllendes Lachen kam von Konrad, der offenbar die Stimmung anzuheizen verstand.

Während sich das Gespräch am Herrentisch den Angelegenheiten des Kaisers und insbesondere den Schwierigkeiten des Geleitdienstes zuwandte, sah Lienhart immer wieder mit gerunzelter Stirn zu den Knappen hinüber. »Sie sind heute sehr ausgelassen«, bemerkte er plötzlich. »Nun ja, die erste große Jagd in diesem Jahr.«

»Junge Leute eben«, sagte Vater Gottfried und wedelte nachlässig mit der Hand. »Wenn sie trotzdem gottesfürchtig sind, sollte man sie dafür nicht tadeln.«

»Das sind sie«, schaltete Johanna sich ein. »Sie versäumen kaum je einen Gottesdienst. Zwischendurch zünden sie zwar mal die ein oder andere Scheune an, oder sie plündern einen Obstgarten von Bauern, die das Obst eigentlich zum Überleben benötigen – aber alle diese Sünden beichten sie, soviel ich weiß.«

Vico stieß sie mit dem Ellenbogen heftig an. »Hör auf, ihn zu reizen!«

Johanna zuckte schuldbewusst zusammen. Es stimmte, sie hatte es mit voller Absicht getan. Sie fühlte sich durch den frömmelnden Priester, der an Katherine hing wie ein Fettauge am Suppenfleisch, unendlich gestört. Dabei hätte ihr Tag als Jagdkönigin einer der schönsten ihres Lebens werden sollen. Mürrisch senkte sie den Kopf und kaute weiter an ihrem Hirschbraten herum. Hasenfleisch hätte sie heute nicht angerührt.

»Ich bin, mein lieber Gemahl«, hob die Dame Katherine an, nachdem sie die letzten Bröckchen der Eiermilch und die letzten Scheibchen von fein geschnittenem Lauch mit Brot aus der Schüssel auf getunkt hatte, »zu dem Schluss gekommen, dass auf Eurer Burg einiges im argen liegt. Es muss an Eurer ersten Frau gelegen haben; man hat mir erzählt, dass sie sich weigerte, einen eigenen Beichtvater zu haben.«

Johannas Blick kreuzte sich mit dem ihres Bruders. Los, Vater, gab’s ihnen endlich, dachte sie.

Die Messerspitze ihres Vaters verfehlte einen Fleischbrocken, aber im Übrigen behielt er die Beherrschung. »Gegen Vater Josef in Königstein ist nichts einzuwenden«, sagte er ruhig. »Meine verstorbene Frau hat immer bei ihm gebeichtet.«

»Beim Priester eines unbedeutenden Städtchens«, sagte Katherine abfällig.

»Kann er lesen?« erkundigte sich Vater Gottfried.

Lienhart zuckte die Achseln und wandte sich an Johanna.

»Kann er lesen?«

»Er ist ein gebildeter Mann, Vater«, antwortete Johanna mit diebischer Freude. »Mutter verabscheute ungebildete Priester.«

»Seht Ihr, Katherine«, sagte Lienhart beruhigt.

»Vermutlich hat er sich Eurer Frau lediglich angedient, weil sie eine Falkenstein war. Man hört überall, dass sie nicht besonders fromm gewesen sein soll.«

»Aber Katherine«, sagte Lienhart mit einer Spur Ungeduld in der Stimme, »Ihr überschätzt meine Stellung innerhalb der Familie! Ich bin ein recht unbedeutendes Mitglied, und sowohl die Licher als auch die anderen Butzbacher scheren sich den Teufel darum, bei welchem Priester meine Frau beichtet.«

Katherine schob ihr Kinn eigensinnig vor. »Sie soll sich angemaßt haben, Priester der Heiligen Römischen Kirche mit Hohn und Spott zu überziehen.«

Johanna fing die resignierende Miene ihres Bruders auf, aber sie ließ sich jetzt nicht mehr halten. »Das stimmt nicht!« sagte sie heftig. »Meine Mutter hat Kritik an gewissen Missbräuchen geübt, und das ist etwas ganz anderes!«

Aber Katherine wischte jeden Einwand beiseite. Sie war erregt und fest entschlossen, sich jetzt durchzusetzen. Mit erhöhter Lautstärke fuhr sie fort: »Vater Gottfried und ich sind jedenfalls zum Schluss gekommen, dass es für Johannas Seelenheil sehr abträglich ist, wenn sie weiterhin Umgang mit dem Küchengesinde und ähnlichem Abschaum pflegt. Sie reitet und jagt mit Pfeil und Bogen wie ein Wilderer. Sie ist gottlos und benimmt sich widernatürlich!«

Erschrocken merkte Johanna, dass Lienhart sie tatsächlich mit anderen Augen zu betrachten begann.

»Eine Familie wie die Falkensteiner verpflichtet, Lienhart, ganz gleich, welchem Zweig Ihr angehört. Ich werde Johanna deshalb in höfischer Manier unterrichten: in Sticken, Malen und Zeichnen. Sie wird lernen, wie man sich kleidet und schmückt. Den Rest der Zeit wird sie mit Vater Gottfried im Gebet verbringen.«

Johanna fuhr mit einem entsetzten Aufschrei in die Höhe. »Ihr habt mir nichts zu befehlen, Dame Katherine! Meine Erziehung ist vollendet.«

»Vollendet vielleicht nicht gerade, Johanna«, widersprach Ritter Lienhart ruhig und etwas nachdenklich. »Du meintest wahrscheinlich abgeschlossen, was Jagd und Turnier betrifft, und solange wir in einem Burgmannenhof wohnten, stimmte es ja auch. Aber jetzt, in den neuen Burgräumen, in denen noch der Geist ihrer ehemaligen Besitzer atmet, halte ich es für eine gute Idee deiner Stiefmutter, dir den letzten Schliff zu geben. Ab morgen werde ich dich öfter in der Kemenate antreffen als auf dem Turnierplatz, das glaube ich ganz bestimmt.«

Johanna fühlte sich wie eine in die Enge getriebene Katze. Im Stehen leerte sie den Bierkrug, warf sich ihre Jagdtasche über die Schulter und stürmte davon. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Vico mit hochgezogenen Augenbrauen den Kopf schüttelte.

Als sie wieder auf ihrem Ajax saß, ging ihr auf, dass Katherine sie wie ein geübter Treiber in eine Ecke gejagt hatte. Sie verstand eine ganze Menge vom Wesen der Jagd.

KAPITEL 2

»Sing noch einmal von der Liebe Dorn, Konrad«, bat Katherine in schmeichelndem Ton. Sie saß dicht neben dem Kamin in ihrer Kemenate; das Feuer prasselte zwischen den Scheiten, und es war heiß im Raum.

Johanna, die beheizte Räume nicht gewohnt war, bevor der Frost Einzug gehalten hatte, schwitzte, obwohl sie weit ab vom Kamin in der Fensternische kauerte, die Arme um die hochgezogenen Beine geschlungen. Über ihr neues Kleid, das in Wahrheit ein abgetragenes, umgeändertes ihrer Stiefmutter war, empfand sie keine Freude, und der monotone Gesang langweilte sie.

Der Knappe nickte, rückte die Laute auf seinem Schoss zurecht und begann. Johanna betrachtete unverhohlen seine engen Beinlinge, von denen der eine grün-gelb gestreift, der andere einfarbig grün war. Die Zipfel seiner Schnabelschuhe waren so lang, dass er sie unter den Knien festbinden musste. Mit seiner stämmigen bäuerlichen Figur hätte er sowieso besser auf eine kleine Lehnsburg gepasst, aber hier unter den waffenstarrenden Rittern einer Reichsburg machte seine alberne Kleidung ihn zum Narren. Es fehlten nur die Schellen.

Konrad sang und sang, und Johanna zwang sich, mit halbem Ohr zuzuhören.

»Er legte das edle Fräulein ins grüne Gras. Ich weiß nicht, was er ihr dort vorgelesen hat. Und hat sie auch darob ein wenig gezürnt, so schlossen sie doch sehr schnell Frieden. Bewirkt ward dies vom lieben Dorn.«

Johanna erwachte mit einem Ruck aus ihrem Dösen. Konrad hatte keineswegs von der Liebe Dorn, sondern vom lieben Dorn gesungen. Dank der ausführlichen und akribisch genauen Erläuterungen ihrer Stiefmutter, die sie mehrere Wochen lang besonders über die höfische Liebe belehrt hatte, war Johanna sensibilisiert für Wortspiele in Minneliedern.

Ausreichend sensibilisiert auch, um zu merken, dass die Dame Katherine mit Konrad ihr Spiel trieb. Der Knappe war ihr Opfer. Er glühte vor Liebe zu seiner Herrin. Von ihm ging eine Spannung aus wie von einer Wildkatze, die auf Beute lauert.

Katherine klatschte in die Hände. »Weiter, Konrad! Deine Stimme ist herrlich wie Schwanengesang.«

Mit dem Luftzug wehte Johanna ein Schwall von Rosenduft in die Nase. Erkennen konnte sie im Dämmerlicht des düsteren Raums von ihrer Stiefmutter fast nur die weißen Brüste und die schimmernden Lippen. »Habt Ihr schon einmal Schwanengesang gehört, Dame Katherine?« fragte sie süffisant lächelnd. »Er ist krächzend. Nicht so schlimm wie von Krähen, aber doch eher störend als lieblich. Dabei wolltet Ihr Euren Knappen doch gewiss nicht beleidigen.«

Das Schimmern verblasste, stattdessen funkelten Katherines Augen sie böse an. »Musst du denn auch die zartesten Empfindungen der Minne zerstören! Es wäre wohl besser gewesen, ich hätte dich im Wald bei den wilden Bären gelassen, statt mich deiner Erziehung zu widmen.«

»Das hätte mir auch besser gefallen«, erwiderte Johanna strahlend.

Bevor sie weitere Höflichkeiten austauschen konnten, mischte sich Konrad ins Gespräch. »Meine Herrin meinte ihre Worte allegorisch, aber solche Feinheiten versteht Ihr natürlich nicht. Der Text, auf den sie anspielte, geht so:

»Vielsüßer Freund, dort unterm Wiesenhang, dort küss mich, komm, beim hellen Schwanensang.«

»Küss mich, komm! Wollt Ihr wirklich annehmen, dass meine Stiefmutter es so gemeint hat?« fragte Johanna und brach in schallendes Gelächter aus. »Wenn mein Vater das hörte, würde er an Minne nicht mehr glauben und Euch auf der Stelle vom Bergfried werfen.«

Die Dame und ihr Knappe fanden die Angelegenheit bei weitem nicht so lustig wie Johanna. Aber als sie ihr keine weitere Aufmerksamkeit mehr schenkten und stattdessen verliebte Blicke tauschten, wurde es Johanna unbehaglich zumute. Sie war erleichtert, als es unverhofft an der Tür klopfte. Katherine gab eine matte Antwort, und ein sehr junger Knappe schoss herein.

Staunend betrachtete er die prachtvollen Wandbehänge der neu hergerichteten Kemenate, bevor er sich auf seinen Auftrag besann. »Der Herr Lienhart bittet Euch, zu ihm zu kommen, Dame Katherine. Es ist dringlich, sagt er. Ich glaube, er hat große Sehnsucht nach Euch«, fügte der Knappe ernsthaft hinzu und wagte es, die Augen von seinem Samtbarett zu heben und die junge Frau anzuschmachten, die hier wie eine Fürstin residierte.

Katherine ließ ihren Stickrahmen zu Boden fallen und erhob sich mit gleichgültiger Miene. »Geh voraus, Junge!«

Konrad zupfte verloren an den Saiten seiner Laute, und Johanna blickte aus dem Fenster. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie sich mit dem jungen Mann allein in der Kemenate befand. Er dampfte wie ein Pferd im Turnier, und es gab keine Magd, nach der sie hätte rufen können.

Denn nicht einmal im Traum hätte sie daran gedacht, freiwillig das Feld zu räumen; immerhin hatte sie ein gewisses Recht, sich hier aufzuhalten, jedenfalls ein größeres als Konrad oder seine Herrin. Hier hatten schon Agnes von Falkenstein und vor ihr andere Frauen der Falkensteiner Herren gelebt. Auf einmal war sie stolz, dieser Familie anzugehören, die im Reich nicht ohne Bedeutung war.

Der Dreiklang fiel unmelodisch aus und ließ Johanna herumfahren.

Konrad überprüfte konzentriert die Töne einzelner Saiten und setzte dann drei Finger zugleich versuchsweise anders. »In den ersten Tagen nach meiner Ankunft saht Ihr aus wie ein Stallknecht, edles Fräulein«, sagte er leise und machte eine winzige Pause, um dem neuen Akkord zufrieden hinterherzulauschen. »Da wart Ihr mir sehr gleichgültig. Aber jetzt, hochgeschnürt und mit offenem Haar, seid Ihr wunderschön. Ich habe noch nie so glühend rotes Haar gesehen.«

Johannas Herz tat vor Widerwillen einige schnelle Schläge. Sie war überhaupt nicht hochgeschnürt und auch nicht so dumm, sich darüber mit ihm auf eine Diskussion einzulassen. »Ein Erbe meiner Mutter«, sagte sie. »Ihr Haar war nur heller, von der Sonne am Meer, wisst Ihr?«

»Ich war noch nie am Meer. Aber ich werde gewiss einmal hinkommen.«

»Ja, bestimmt.« Hoffentlich kam Katherine zurück, bevor es Zeit war, dorthin aufzubrechen!

»Wahrscheinlich ist dann Krieg«, fuhr der Knappe in besinnlichem Ton fort. »Gegen die Ungläubigen. Der Heilige Vater in Rom wird die Ritterschaft der christlichen Länder sicher bald wieder zum Kampf gegen die Ungläubigen aufrufen. Die Widersacher sind überall. Vielleicht werde ich im Kampf für unseren Herrn Jesus Christus sterben.« Plötzlich flossen ihm Tränen die Wangen herab und tropften auf seine Laute.

Das war zu viel. Johanna wurde sich bewusst, dass er es fast geschafft hatte, ihr Mitleid zu erwecken. »Wahrscheinlich werdet Ihr das«, stimmte sie vernehmlich zu. »Aber sorgt Euch nicht. Wenn Ihr es fertigbringt, Euch vier Wochen am Leben zu halten, müsst Ihr ja nicht in die Hölle, sondern kommt direkt in das Paradies. Zumal auch die Dame Katherine für Euer Seelenheil beten wird, wie ich annehme.«

Sein grüner Ärmel fuhr auf dem nussbraunen Holz der Laute hin und her, bis es wieder fleckenlos poliert war. »Und Ihr nicht?«

»Schließlich seid Ihr nicht mein Knappe«, antwortete Johanna diplomatisch, wenn es ihr auch schwerfiel.

»Aber die Minne geht, wohin sie will! Das hat nichts damit zu tun, wessen Knappe man ist.« Konrad legte seine Laute vorsichtig neben sich auf den Boden und erhob sich. Seine Augen, die fest auf Johanna gerichtet waren, glänzten im flackernden Licht der Flammen.

Die weichen Sohlen seiner eleganten Schuhe verursachten kaum ein Geräusch, als er auf Johanna zukam. Der Fenstersims, auf dem sie saß, war kaum eine Handspanne hoch. Konrads Hose war knapp geschnitten, und sie hatte seine pralle Schamkapsel direkt vor Augen.

Bevor sie die Flucht ergreifen konnte, war er bei ihr. Er stützte sich mit beiden Händen in die Laibungen der Fensternische.

Als er sich zu ihr hinunterbeugte, geriet Johanna in Panik. Neben ihr waren die kleinen bleigefassten Glasscheiben, durch die sie wahrscheinlich mit einiger Gewalt durchbrechen konnte, und mehrere Manneslängen darunter der gepflasterte Burghof. Lebend würde sie unten nicht angekommen.

Konrads schulterlange Haare berührten ihre Lippen. Er lächelte sie verführerisch an, legte einen Handrücken an ihre Wange und streichelte sie zart. »Wovor habt Ihr Angst, Edelfräulein? Doch nicht vor mir?«

»Nein!« schnaubte sie, als sein Mund ihr nicht mehr bedrohlich nahe schien, und stieß seine Hand beiseite. »Wie kommt Ihr darauf? Ich schieße auf wilde Tiere, wie Ihr wisst!«

»Ich weiß. So dass Euer hässlicher Dorn sie tötet. Es gibt einen viel schöneren Dorn, wisst Ihr das denn auch? Möchtet Ihr ihn spüren? Er ist zärtlich und kraftvoll zugleich, ich verspreche es Euch.«

Entsetzt sah Johanna, wie auch die letzte Falte in der Schamkapsel verschwand. Vergebens versuchte sie, die Augen von der glänzend grünen Seide abzuwenden.

Konrads aufdringliches Lächeln ging in sichtbare Zufriedenheit über. »Zumindest wisst Ihr, worauf es bei einem Mann ankommt. So unschuldig, wie Ihr tut, seid Ihr gar nicht.«

»Es gibt genügend Rüden und Eber in der Stadt, um das zu wissen.« Johannas Bann löste sich endlich. Sie schaffte es, ihm kühl ins Gesicht zu sehen. »Aber glaubt mir, bevor Ihr bei mir zum Zuge kommt, setze ich meine Zähne hinein, dass Euch Hören und Sehen vergeht! Und Weiteres.«

Sein Gesicht nahm einen Ausdruck von Ungläubigkeit, sogar Bestürzung an, er rückte etwas von ihr ab und legte eine Hand schützend über die Schamkapsel.

»Heizt du etwa meinem Knappen ein?« ertönte die scharfe Stimme der Dame Katherine von der Tür her.

Johanna ergriff die Gelegenheit beim Schopf, stieß Konrad zurück und sprang auf. Sie hatte die Burgherrin nicht kommen hören, ebenso wenig wie Konrad, und jetzt war sie unendlich erleichtert. »Er hat mich bedrängt«, verteidigte sie sich.

»Nun, es sah umgekehrt aus«, stellte Katherine in eisigem Ton fest und kam näher.

Auch Konrad stieß einen erleichterten Seufzer aus und lächelte seine Minneherrin dankbar an. »Das Edelfräulein Johanna ist ziemlich stürmisch, und ich bin froh, dass Ihr rechtzeitig zurückgekommen seid, Herrin.«

»Nein, es war anders«, schnaubte Johanna wutentbrannt.

»Wie anders es immer war, ich denke, du ziehst dich jetzt in deine eigene Kammer zurück, Johanna. Konrad und ich werden ein, zwei Gedichte zusammen lesen, damit er Zeit hat, sein Gleichgewicht wiederzufinden, und dann wird er mir erzählen, was geschehen ist, nicht wahr, Konrad?«

Der Knappe zog mit einer tiefen Verbeugung seine Kappe vom Kopf. Für einen Augenblick war nur das Schleifen der Fasanenfeder auf dem Boden zu hören, weil Johanna nicht wusste, was sie noch vorbringen sollte. Die Situation war einfach absurd.

Sie biss die Zähne zusammen und ließ ihre Augen zwischen ihrer Stiefmutter und dem vierschrötigen Knappen hin und herfahren. Konrad konnte nur wenig jünger sein als Katherine; er war verliebt in sie – von wegen Minne! Johanna ging auf die Tür zu. Hier würde sie kein Recht bekommen.

»Ich werde Vater Gottfried in Kenntnis setzen«, sagte Katherine hinter ihr her.

Als Johanna in ihrer Kammer ankam, schlüpfte sie aus dem Kleid und warf sich Hose und Wams über. Dann stürmte sie mit ihrer schnell gepackten Jagdtasche über der Schulter die Treppe des Palas hinunter, über den Hof und in den Stall.

Ohne erst auf den Stallknecht zu warten, der sich natürlich wieder einmal nicht blicken ließ, sattelte Johanna ihren Ajax und führte ihn hinaus. Das unmelodische Dröhnen der Zugbrücke unter seinen Hufen brachte ihr die überdeutliche, fast vulgäre Sprache von Katherine in Erinnerung. Wer war diese Frau eigentlich?

Johanna jagte die Serpentinen des Burgberges hinunter. Ihr Hengst war zuverlässig und wenig schreckhaft. Es dauerte nicht lange, bis er jenseits der Stadt am Hang des Steinkopf entlanggaloppierte.

Die Felder und Gärten waren abgeerntet. Gerüche von Strohgarben im Feld, Holzfeuer bei der Jagd und gebratenen Apfelscheiben am Kamin tauchten aus Johannas Erinnerung auf. Die Freiheit, das zu tun, was sie wollte, hatte ihr in den letzten Wochen arg gefehlt. Diesen erschlichenen Nachmittag würde sie in vollen Zügen genießen! Sie zügelte ihr Pferd und verfiel in einen langsamen Trab.

»Was stimmt Euch so vergnügt, Edelfräulein?« fragte eine Stimme zurückhaltend und höflich, aber doch bemerkenswert fest, als hätte sie ein Recht zu fragen.

Johanna hielt an, wandte sich um und erblickte Thomas unter einer gewaltigen Eiche, deren Laub braun, aber noch nicht herabgefallen war. »Ach, Thomas, ich bin einfach froh, dass ich der Plackerei für einen Nachmittag entkommen bin. Und du? Was machst du hier?«

»Ich plage mich auch. Ich sammle Holz.«

Johanna betrachtete ihn nachdenklich. Der Junge saß im Schneidersitz zwischen zwei dicken Baumwurzeln, den Stamm im Rücken. Neben ihm stand auf dem Moos die leere Kiepe.

»Und das Buch? Hast du es gestohlen und überlegst, an wen du es verkaufen sollst? In Königstein nimmt niemand es dir ab, da sei ganz sicher.«

Thomas sah betroffen in seinen Schoss wie einer, der vergessen hat, einen Schatz zu verbergen. »Oh, das. Nein, ich lese«, erklärte er verlegen.

»Du kannst lesen?« Johanna schüttelte mit einem Anflug von Entrüstung den Kopf. Es gehörte sich nicht, dass jemand lesen konnte, der zum niedrigsten Stand gehörte.

»Vater Josef hat es mir beigebracht.« Thomas sah sie trotzig an, blätterte ganz nach vorne und hielt ihr den Lederband entgegen. »Es ist sein Buch, und er hat es mir geliehen, damit ich üben kann.«

»Was du nicht sagst.« Dass der einzige Priester, von dem Johanna immerhin etwas hielt, sich solche Mühe mit diesem Jungen gab, machte sie neugierig. Sie sprang ab und ließ Ajax laufen.

»Zeig mal. Aber, das ist ja Latein«, sagte sie verwundert und gab ihm das Buch zurück.

»Wie sollte ich sonst lesen lernen als mit Latein?« Jetzt, wo es heraus war, strahlte Thomas Johanna aus seinen blauen Augen an.