Tod allen Reichen - Kari Köster-Lösche - E-Book

Tod allen Reichen E-Book

Kari Köster-Lösche

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Beschreibung

Verkleidet als Raubritter sucht Burgfräulein Johanna nach ihrer entführten kleinen Tochter. Der Taunus im 14. Jahrhundert: Johanna, Tochter des ehemaligen Burgherrn von Königstein, lebt als Magd in einem Zisterzienserkloster und nimmt sich heimlich als Raubritterin einige Freiheiten heraus. Immer noch sucht sie verzweifelt nach ihrer kleinen Tochter Gesche. Hat Konrad, Gesches Vater und einer der Eroberer von Königstein, sie in seine Gewalt gebracht? Johanna will Gesche vor dem brutalen und herzlosen Mann schützen und verbündet sich mit Roland Brobergen, einem jungen, vogelfreien Ritter. Brobergen ist insgeheim unsterblich in sie verliebt und nur allzu bereit, ihr zu helfen. Als sie gemeinsam versuchen, Konrad bei einem Turnier zu stellen, werden sie verraten und auf Burg Königstein eingekerkert. Dort herrscht mittlerweile Katherine, Johannas böse Stiefmutter. Wird es ihr gelingen, Johanna als Hexe hinzustellen, die verbrannt werden sollte? Oder kann Brobergen das verhindern und so seine Liebe zu Johanna beweisen? Endlich wieder zu lesen: Der zweite Roman der großen Raubritterin-Trilogie von Bestsellerautorin Kari Köster-Lösche Die Raubritterin (Band 1) Tod allen Reichen (Band 2) Die Tochter der Raubritterin (Band 3)

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Die Autorin Kari Köster-Lösche, 1946 in Lübeck geboren, veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Bücher, bevor sie mit ihren historischen Romanen ein begeistertes Publikum fand. Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit arbeitet sie in ihrer Wahlheimat Nordfriesland als Tierärztin.

Das Buch Der Taunus im 14. Jahrhundert: Johanna, Tochter des ehemaligen Burgherrn von Königstein, lebt als Magd in einem Zisterzienserkloster und nimmt sich heimlich als Raubritterin einige Freiheiten heraus. Immer noch sucht sie verzweifelt nach ihrer kleinen Tochter Gesche. Hat Konrad, Gesches Vater und einer der Eroberer von Königstein, sie in seine Gewalt gebracht? Johanna will Gesche vor dem brutalen und herzlosen Mann schützen und verbündet sich mit Roland Brobergen, einem jungen, vogelfreien Ritter. Brobergen ist insgeheim unsterblich in sie verliebt und nur allzu bereit, ihr zu helfen. Als sie gemeinsam versuchen, Konrad bei einem Turnier zu stellen, werden sie verraten und auf Burg Königstein eingekerkert. Dort herrscht mittlerweile Katherine, Johannas böse Stiefmutter. Wird es ihr gelingen, Johanna als Hexe hinzustellen, die verbrannt werden sollte? Oder kann Brobergen das verhindern und so seine Liebe zu Johanna beweisen?

Kari Köster-Lösche

Tod allen Reichen

Die Raubritterin-Trilogie 2

Historischer Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

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Neuausgabe bei Forever Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH Februar 2015 (1) © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2006/2015 Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat

ISBN 978-3-95818-029-1

Alle Rechte vorbehalten.

Kapitel 1

»Pack dich, du Dalcher! Du Dollmann! Wage nicht, mich mit deinem Dreck schmutzig zu machen!«

Johanna blickte sich vorsichtig um. Die Stimmung unter den Königsteinern war an diesem Tag ungewöhnlich gereizt.

Hinter ihr stand ein korpulenter Mann in Kaufmannstracht. Er wölbte die Brust, um die Goldketten auf seiner roten Schecke zur Schau zu stellen; dabei wirkte er schon lächerlich genug, weil er wegen der ausladenden Samtkappe den Kopf in den Nacken legen musste, um überhaupt nach vorne blicken zu können. Johanna gelang es nicht ganz, ihr Lachen zu unterdrücken.

Gleich darauf bedauerte sie, seinen Ärger aufs Neue angefacht zu haben.

»Verschwinde in die Gilergasse, du Hund!« zischelte er seinem ersten Opfer zu, dem Rubingräber von Königstein, der erschrocken beiseite rückte, so gut, wie es in der dichtgedrängten Menschenmenge überhaupt möglich war. »Du stinkst!«

Johanna musterte den Schimpfenden nachdenklich. Seltsam, dass einer, der diese Ausdrücke der Gosse beherrschte, ein angesehener Kaufmann sein sollte. Wahrscheinlich war er nach der Pest reich geworden und im Gefolge der neuen Burgherren nach Königstein gekommen. Hier war vieles anders geworden, seitdem sie den Burgmannenhof ihres Vaters hatte verlassen müssen, um für die Zisterziensermönche zu arbeiten.

»Da kommen sie endlich. Wird aber auch Zeit«, führte der Kaufmann seinen Monolog selbstbewusst fort und reckte den Hals. »Schließlich hat der Herr von Falkenstein eine unterhaltsame Hinrichtung ankündigen lassen.«

Niemand antwortete ihm, aber er erntete böse Blicke; den Abtrittsäuberer hatten die Umstehenden dagegen in ihren Schutz genommen.

Der Karren, auf dem der Bader und seine Magd saßen, schwankte heran. Das leise Gebet des Mönches, der ihn begleitete, wurde übertönt vom Murren der Zuschauer. Im zunehmenden Lärm fand Johanna endlich die Möglichkeit, sich unauffällig bei der jungen Frau, neben der sie gerade stand, nach den Delinquenten zu erkundigen. »Warum sollen die beiden denn gehängt werden?«

Die Magd legte erschrocken einen Finger über die Lippen und zog Johanna zu sich heran. »Du bist wohl nicht von hier? Es ist seit Tagen Stadtgespräch. Einer der Ritter des Herrn Philipp von Falkenstein behauptet, er wäre im Bad bestohlen worden. Die Reiberin und ihr Meister sollen es gewesen sein.«

»Und? Waren sie es nicht?« flüsterte Johanna, überrascht von dem skeptischen Ton der Frau und ihren feindseligen Blicken, die dem reichen Kaufmann galten.

»Niemand weiß es. Der Bader kann jedenfalls nicht beweisen, dass er es nicht war.«

Johanna nickte, bedankte sich höflich und begann, sich durch die Menschenmenge zu drängen, die die Straße zum Stadttor verstopfte. Sie hatte ganz bestimmt den Weg von Eppstein nach Königstein nicht auf sich genommen, um Zeugin einer Hinrichtung zu werden. Eigentlich sollte heute Markttag sein, und sie wollte sich nach Ysop-Blättern umschauen, um ihre Vorräte an Heilkräutern aufzubessern.

Aber Johanna kam nicht gegen die breiten Schultern der Männer an, die zum Richtplatz strömten.

»Die Falkensteiner sind doch alle gleich«, brüllte einer von ihnen. »Dieser Philipp ist nicht besser für unsereinen als der Burgmann Lienhart, der Herr lasse ihn in seinem Kerker verrotten! Tod allen Reichen!«

Johannas Herz klopfte wild. Der Mann starrte ihr mit einer Wut ins Gesicht, als ob er genau wüsste, dass sie die Tochter des Ritters Lienhart war, und sich auf der Stelle an ihr schadlos halten wollte.

Aber sein Blick irrte ab und saugte sich an jemandem anderen fest, der ihm mehr Echo zu versprechen schien. Johanna atmete erleichtert aus und beschloss, sich vom Menschenstrom mitnehmen zu lassen. Es war an diesem Tag wohl gescheiter, niemandem einen Vorwand für Tätlichkeiten zu liefern. Ohnehin würde der Markt wahrscheinlich überhaupt nicht abgehalten werden.

Im Kielwasser der zornigen Männer geriet sie dicht vor das hölzerne Podest, auf dem neben dem Galgen der Hackblock aufgestellt war. Beinahe meinte sie, das Blut riechen zu können, das über die Jahre in das Holz eingesickert war.

Inzwischen war auch der Karren an der Hinrichtungsstätte angekommen. Der Scharfrichter wartete schon. Er rührte keine Hand, als sein Knecht den Delinquenten herunterzerrte.

Der Bader, den Johanna als kräftigen und stets gutgelaunten Mann in Erinnerung hatte, war nur noch ein grauer Schatten. Bevor sie in den Zisterzienserhof von Eppstein geschickt worden war, hatte sie in Königstein gelebt, und die Badestube kannte sie, solange sie sich erinnern konnte. Noch nie hatte es mit diesem Bader Ärger gegeben; er galt als ehrlich.

Er taumelte und hielt sich am Karren fest. Sein Blick irrte einen Augenblick umher, bevor er sich auf seine Holzpantinen senkte. Der Bader hatte aufgegeben.

Die Reiberin war seine Tochter; von ihr hatte Johanna sich gern den Rücken schrubben lassen, bis er glühte, und dabei ihren respektlosen Sprüchen zugehört. Niemand hätte ihr übertriebene Ehrfurcht vor den Herren dieser Welt nachsagen können.

Sie hatte sich nicht geändert. Sie stieß dem Knecht die gefesselten Fäuste ins Gesicht und sprang ohne Nachhilfe vom Wagen. Den betenden Mönch starrte sie mit wildem Blick an.

Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, erhöhte nur seine Lautstärke ein wenig.

Sein Begleiter in der Kutte eines Novizen sah ihn offenbar bedroht. Er schob seine lange Gestalt zwischen den weißgekleideten Zisterzienser und die Bademagd. Johanna stockte der Atem, als sie ihn erkannte.

Thomas, ihr Halbbruder! Lienharts Bankert!

Der zukünftige Mönch, der sie beschuldigt hatte, verantwortlich für die Hinrichtung seiner Großmutter zu sein, machte sich jetzt selbst zum Teil einer Hinrichtungszeremonie.

Immer mehr beschlich sie die Ahnung, dass es nichts anderes war. Der bestohlene Ritter war gewiss nicht allein im Bad gewesen; die Ritter pflegten Bäder gemeinschaftlich aufzusuchen, um stundenlang zu zechen, zu fressen und sich mit willigen Frauen zu amüsieren. Und es war einfacher, sich für einen Diebstahl an einem Bader zu rächen, als den Täter unter den Rittern zu suchen.

Thomas war so eifrig bei der Sache wie ein Gaukler, der einen Mönch mimt. Eindringlich redete er auf die Bademagd ein, so leise, dass Johanna nichts verstehen konnte. Dann versuchte er, das Mädchen zum Gebet auf die Knie zu zwingen.

»Hau ab, du Hanswurst von stinkreichen Klöstern und Fürstenhöfen«, schrie die Badertochter und spie Thomas einen Batzen Speichel ins Gesicht.

Neben Johanna kam Gelächter auf, das sich in Wellen durch die Zuschauer fortpflanzte. Die junge Frau warf die Arme im Triumph in die Höhe und lachte geschmeichelt. Getragen vom Wohlwollen der Königsteiner hob sie einen Fuß und trat dem Novizen kräftig zwischen die Beine. Er jaulte auf wie ein Hund.

Das schadenfrohe Gebrüll in Johannas Nähe kannte keine Grenzen. Sie legte die Hände über die Ohren. Dummerweise lenkte ihre Geste Thomas’ Aufmerksamkeit auf sie. Johanna zuckte unter dem lodernden Hass in seinen Augen zusammen. Thomas war gegen Demütigung empfindlicher als die meisten Menschen. Er schien Johanna für alle Schicksalsschläge verantwortlich zu machen, auch für diese Erniedrigung, deren Zeugin sie, ohne es zu wollen, geworden war. Die Zeit hatte nichts geändert.

Die neuen Gerichtsherren auf der Burg hatten einen Schreiber geschickt, der mit gleichgültiger Miene seine Nase mit der Spitze einer Gänsefeder kitzelte, während er die letzten Vorbereitungen des Scharfrichters beobachtete.

Auch die Königsteiner hatten sich wieder beruhigt und verfolgten mit gespannter Aufmerksamkeit, wie der Mann fachmännisch und gelassen überprüfte, ob die Schlinge leicht auf dem Tau glitt. Als alles zu seiner Zufriedenheit ausfiel, drehte er sich um und schlenderte zum Hackblock hinüber.

Dort nahm er das breitschäftige Beil aus der Hand seines Knechtes entgegen, prüfte die Schneide mit dem Daumen und wartete darauf, dass ihm der Bader vorgeführt wurde.

Die diebische Hand des Verurteilten fiel ohne lange Vorbereitungen mit einem dumpfen Geräusch auf die staubige Erde. Das Blut spritzte in einem dicken Strahl aus dem Armstumpf. Der Henkersknecht stützte den bewusstlosen Bader geschickt hoch und hielt mit der anderen Hand den zuckenden Unterarm in die Höhe, damit alle ihn sehen konnten.

Johanna wandte den Kopf ab. Offenbar waren diese beiden Männer Meister ihres Faches. Es machte die Sache noch viel unbarmherziger.

Und dann vergaß sie die blutige Hinrichtung. Unerwartet sah sie die Frau, nach der sie so lange suchte: die Amme Ketten, die Johannas Töchterchen Gesche im Auftrag ihrer skrupellosen Stiefmutter Katherine vor ihr versteckte. Johanna hatte nach der Kettin geforscht, wann immer sie aus dem Zisterzienserhof entwischen konnte, aber bisher vergeblich.

Ohne auf die Leute Rücksicht zu nehmen, begann Johanna sich durch die Menge zu arbeiten, die sie jetzt bereitwillig durchließ. In der Nähe von Ketten blieb sie stehen. Sie zupfte sich das grobe braune Kopftuch weit über die Stirn, ohne die Amme auch nur für einen Augenblick aus den Augen zu lassen. Jetzt hieß es warten, bis die Hinrichtungen beendet waren. Dann musste sie Ketten nur folgen und würde möglicherweise heute noch Gesche in die Arme schließen. Ungeduldig ballte sie die Fäuste.

Ein Seufzer aus vielen Kehlen beendete die Hinrichtungen. Wie eine Flutwelle begannen die Zuschauer nach Königstein zurückzuströmen und nahmen Johanna mit. Sie starrte auf Kettens breite Gestalt und bemühte sich, den Abstand zu wahren.

Als Ketten das Stadttor erreichte, begann Johanna ihren Irrtum zu ahnen. In Königstein wohnte die Amme nicht. Eine Besorgung, vielleicht. Ein Umweg?

In der Stadt verteilte sich die Menge. Es war nicht schwierig, der Amme auf der fast schnurgeraden Hauptstraße zu folgen. Bis Johanna vor dem Tor zur Vorburg stand. Erbittert blickte sie Ketten nach, die zielstrebig an der Kapelle vorbei auf den Anfang des Serpentinenweges zustrebte, der zur Burg Königstein hochführte. In dem Burgmannenhof gegenüber dem Kirchlein hatte Johanna einst ein sorgenfreies Leben geführt. Jetzt durfte sie es nicht einmal mehr wagen, sich dort vorbeizuschmuggeln.

Ganz gewiss gab es noch einige Wachleute und Knechte aus der Zeit vor der Eroberung, die Johanna erkennen würden, auch wenn sie jetzt die einfache Kleidung des Zisterzienserhofes trug. Um dem neuen Herrn Philipp ihre Treue zu beweisen, würden sie sich beeilen, sie festzunehmen und neben ihren Vater Lienhart von Falkenstein ins Stroh des Verlieses zu setzen.

Der Wachmann am Tor musterte sie bereits misstrauisch. Mit einer Geste gab sie ihm zu verstehen, dass sie etwas vergessen hatte, drehte sich auf dem Absatz um und eilte den Weg zurück, den sie gekommen war. Jörg, der Konverse des Zisterzienserhofes, mit dem zusammen sie hergefahren war, würde ohnehin schon auf sie warten.

»Jede Baderin ist ein Miststück, wie man weiß. Gut, dass die neuen Herren mit den Missständen aufräumen«, sagte Jörg und schnalzte mit der Zunge, um das Maultier anzutreiben. Unverrichteter Dinge mussten sie zurückfahren; hinter ihnen schaukelten die nicht verkauften Fässchen mit Apfelwein. »Aber die Königsteiner sind ein undankbares Volk.«

»Und wenn sie es nicht war?« fragte Johanna grimmig.

»Wer einem Priester ins Gesicht spuckt, stiehlt auch.«

»Wirklich?« fragte Johanna in sarkastischem Ton. »Vielleicht hatte sie einfach nicht genug Spucke, um den Ritter zu erreichen, der sie beschuldigt hat. Außerdem ist Thomas nicht Priester, sondern ein selbstgerechter, starrsinniger Novize, dem es gut tut, von Zeit zu Zeit ein paar Federn zu lassen.«

»Und du bist parteiisch, weil du es mit den Bürgern hältst. Der bestohlene Ritter hätte der Bademagd mit zwei Fingern die Kehle zudrücken können, wenn er gewollt hätte. Aber das schickt sich für einen Ritter nicht, und deshalb hat er sie angezeigt.«

Johanna warf Jörg einen überraschten Blick zu. »Woher weißt du das denn alles? Und wieso mit zwei Fingern?«

Jörg gluckerte vor Lachen. »Weil er mit der ganzen Hand einem Ochsen das Genick brechen könnte. Du kennst ihn auch. Du hast ihm bestimmt schon mehrmals den Bierhumpen vor die Nase gesetzt.«

»Du willst doch nicht im Ernst behaupten, dass Konrad schon wieder beteiligt ist? Nein, nicht schon wieder!« Johanna packte den Konversen am Arm und zwang ihn, sie anzusehen, damit er merkte, wie ernst es ihr war. »Und mit seinen Pranken bricht er gewöhnlich nicht Ochsen den Hals, sondern kleinen Mädchen. Wenn er es bei der Reiberin nicht tat, muss er etwas anderes bezwecken.«

»Oh, Johanna! Gehst du nicht etwas zu weit? Immerhin ist er ein Ritter!« Jörg machte ein unglückliches Gesicht und zerrte an seinem Arm, bis sie die Kutte losließ. »Die Männer da oben wissen, was sie tun! Der Licher Falkensteiner genießt hohes Ansehen im Reich.«

»Ja, ja«, murrte Johanna und gab es auf, Jörg belehren zu wollen. Die Königsteiner Bürger konnten sich auf etwas gefasst machen, wenn Ritter Konrad sich entschlossen hatte, ihnen zu zeigen, wer Herr im Haus war.

»Guten Abend, Herr Ritter.«

Johanna hörte Jörgs tiefe, ruhige Stimme neben sich wie durch einen Vorhang aus Nebel. Sie gab sich weiter mit geschlossenen Augen dem Rumpeln und Rütteln des Karrens in den ausgefahrenen Spuren hin, um über die Amme nachzugrübeln.

»Ich sehe, dass Ihr nicht zu den Falkensteinern gehört, Herr Ritter. Wenn Ihr mögt … Der Zisterzienserhof zu Eppstein hat bequeme Betten für Reisende und bietet reichliches Essen.«

»Ich danke dir für dein Angebot, Mann, es ist gut gemeint. Ich habe bereits ein Nachtquartier.«

Johanna sog geräuschvoll die Luft ein und schlug die Augen auf. »Roland Brobergen«, stammelte sie.

»Ich grüße dich von Herzen, Johanna von Falkenstein.« Brobergen verneigte sich höflich. Er hatte die Kettenhaube abgestreift, und eine aschblonde Locke fiel ihm über die Augen.

Aber Johanna wusste, dass sie tiefblau waren. Mühsam gelang es ihr, einigermaßen gelassen zu erscheinen. Brobergen hatte ihr Leben und das ihres Bruders Vico gerettet, und er war ihr alles andere als gleichgültig. Aber sie hatte ihn für immer verabschiedet, weil sie ihre Tochter suchen musste und sich nicht in Gefühlen verstricken durfte. »Was macht Ihr denn hier? Ist es für Euch nicht gefährlich, Euch auf Königsteiner Gebiet aufzuhalten?«

Brobergen lachte belustigt. »Die Falkensteiner aus Lich haben derzeit anderes zu tun, als sich um mich zu kümmern. Außerdem weißt du ja, dass ich mich gerne dort aufhalte, wo es Ärger gibt. Und wo könnte es mehr Ärger geben, als in deiner Nähe?«

»Roland Brobergen!« sagte Johanna tadelnd, aber auch mit einem eindringlichen Unterton.

Der Konverse sah sie fragend an, dann wieder zum Ritter hinüber. Johanna machte eine warnende Grimasse hinter seinem Rücken.

»Um der Wahrheit die Ehre zu geben«, führ Brobergen fort, ohne Überraschung zu zeigen, »es ist für mich ein Lehrstück zu beobachten, was in einer Stadt nach ihrer Eroberung durch eine andere Herrschaft vor sich geht. Da werden Männer, die früher wichtig waren, hinweggefegt und andere hochgespült. Es sieht ganz danach aus, als ob dieser Ritter Konrad gegenwärtig mit beiden Händen seine Gelegenheit ergreift.«

Johanna nickte nachdenklich.

»Die Leute in der Stadt beginnen ihn bereits mehr als seinen Herrn zu fürchten«, ergänzte der Ritter. »Wenn ich irgendwelche Händel mit ihm hätte, würde ich mich von Königstein fernhalten.«

Die Warnung war mehr als deutlich. Johanna zog erschrocken den Kopf zwischen die Schultern.

»Ich muss mich beeilen«, sagte Brobergen nach einem Blick auf den Himmel, der sich rasch verdüsterte. »Mein Weg ist weiter als Eurer. Gott mit Euch.«

Schweigend sahen sie ihm nach. Sein Hengst ging ruhig und mit raumgreifenden Galoppsprüngen unter ihm, und bald war er zwischen den dunklen Buchenstämmen verschwunden.

Als die Hufschläge nicht mehr zu hören waren, räusperte sich Jörg. »Entschuldige, Johanna«, murmelte er, »tut mir leid, was ich vorhin gesagt habe. Ich vergesse manchmal, dass du auch von Adel bist und etwas mehr weißt als wir anderen.«

»Schon gut«, sagte Johanna friedlich. »Es ist nicht wichtig.« Sie schloss die Augen, um deutlich zu machen, dass sie nicht gestört werden wollte.

Dass Roland Brobergen die Gegend nicht verlassen hatte, stimmte sie wider Willen froh. Aber sie war bestürzt, dass er die gleichen Befürchtungen hegte wie sie, was Königstein betraf. Konrad war ein gefährlicher Mann, der das Vertrauen seines Herrn Philipp von Falkenstein genoss.

Wenn der seinen gewalttätigsten Ritter schalten und walten ließ, wie er wollte, konnten sich in Königstein ebensolche Ausstände entzünden, wie es Gerüchte von französischen Städten berichteten.

Und mitten in diesem Tumult ihre verschwundene Gesche, Tochter des Ritters Konrad, dem das Kind völlig gleichgültig war und dem es nicht im Traum einfallen würde, ihr bei der Suche zu helfen.

Kapitel 2

Im Grunde seines Herzens musste Vater Lorenz, Leiter des Stadthofes der Zisterzienser, wissen, dass Johanna sich keineswegs ausschließlich mit dem Sammeln von Heilkräutern beschäftigte, wenn sie mit seiner Erlaubnis Eppstein mit dem Korb über dem Arm verließ. Sie brauchte Hinweise aller Art, um Gesche zu finden: Manche bekam sie von den Kaufleuten, Rittern und Geistlichen, die im Stadthof übernachteten; ganz andere, häufig nur geflüsterte Andeutungen über weitere verschwundene Kinder, erhielt sie auf ihren Wanderungen in den Weilern.

Und jetzt hatte sich das kleine Wunder ereignet, dass sie die Kettin gesehen hatte. Deren Aufenthaltsort konnte gar nicht so weit fort sein, denn offenbar musste sie der Edeldame Katherine Bericht erstatten, und diese lebte auf der Burg ihres Gönners. Zuversichtlicher als seit langem, betrat Johanna den Hof der Schwertschmiedin von Eppstein, um ihr Pferd zu holen.

Fröhlich winkte ihr Claus zu, der inzwischen sein erstes Lehrjahr fast beendet haben musste. Schmächtig war er immer noch, aber er war selbstsicher und gewandt geworden. Als er bemerkte, dass sie auf dem Weg zum Stall war, rannte er herbei. »Soll ich Euren Hengst für Euch satteln, Edelfräulein?«

»Das wäre schön«, sagte Johanna nach kurzem Überlegen. »Könntest du ihn mir auch zur kleinen Brücke über den Goldbach bringen?«

»Das kann ich. Ich sage nur der Meisterin Bescheid.« Schon war er wieder auf und davon.

Johanna holte ihren Sack aus der Sattelkammer. Das Risiko, erkannt zu werden, war geringer, wenn sie sich erst im Wald umzog. Nur zu bewusst war ihr, dass es sich erhöhte, je öfter sie als Magd der Zisterzienser die Schmiede betrat und sie als berittener Knappe verließ. Gerade jetzt musste sie sich Zügel anlegen. Eine seltsame Ungeduld hatte sie gepackt. In ihrem Leben als Tochter des Burgmanns Lienhart auf Burg Königstein hätte sie es Jagdfieber genannt.

Sie war längst umgezogen. Wo blieb der Junge nur? Schließlich stieg Johanna auf einen Baumstumpf, um über die Büsche hinweg nach ihm Ausschau zu halten.

Endlich sah sie ihn herbeitraben, etwas unbeholfen im Sattel und mit wippenden Ellenbogen. Als Claus sie bemerkte, in Kettenhemd und Kettenhaube, parierte er zum Schritt durch. »Komm schon, Claus«, rief sie, aber er näherte sich erst, als sie ihm winkte. »Du setzt Astor nicht aufs Spiel, das ist sehr umsichtig von dir. Leider habe ich nichts, womit ich dich belohnen könnte.«

»Meinen Lohn habe ich längst bekommen. Ohne Euch wäre ich nie in die Lehre der Meisterin gekommen«, erwiderte er dankbar. Während er ihr in den Sattel half, setzte er verlegen hinzu: »Ich bin nie sicher, ob Ihr’s wirklich seid, Edelfräulein. Erst wenn ich Eure roten Haare unter der Kettenhaube hervorlugen sehe, bin ich ganz beruhigt. Die und die blauen Augen.«

Johanna lächelte flüchtig, während sie eine vorwitzige Haarsträhne versteckte. »Umso besser, Claus. Solange selbst du unsicher bist, werden andere gar keinen Zweifel haben, dass ich ein Ritter bin. Bis später.« Sie winkte ihm zu und trabte an. Die Büsche mit dem jungen Laub verdeckten ihn schon nach wenigen Pferdelängen. Sie gab sich ganz dem Genuss des Reitens hin.

Ihr neuer Fuchs war zu leicht gebaut für einen vollständig gerüsteten Ritter und eigentlich eher für eine Dame geeignet. Sie hatte ihn preiswert erwerben können, da er keinen Passgang kannte. Er war ein wundervoller Hengst, und sie liebte ihn sehr.

Als die Straße gerade und überschaubar leer war, überließ sie Astor die Führung und das Tempo, und er jagte dahin. In diesen Wäldern fühlte sie sich zu Hause. Es gab kaum einen Winkel, in dem sie noch nicht nach der Amme gesucht hatte. Nur das Tal, in dem Großmutter Niesgin früher gelebt hatte, wollte sie nie wieder betreten; und die Gegend, in der die Köhler hausten, hatte sie bisher mit einer gewissen Scheu gemieden. Die schwarzen Männer und ihre Kohlenmeiler flößten den meisten Menschen Angst ein.

Mit einiger Mühe fand Johanna einen schmalen Pfad, der auf Umwegen dorthin zu führen schien, wo eine feine Rauchsäule in den windstillen Himmel stieg. Sie folgte ihm mit gespannter Aufmerksamkeit. Selbst Astor schien die Ohren zu spitzen.

Ein Mann mit einer schweren Ladung Holz auf dem krummen Buckel erschien zwischen den Bäumen. Als Astor schnaubte, hob er den Kopf. Seine schwarzgesprenkelten roten Augenbrauen zogen sich zu einem buschigen Strich zusammen, während er Johanna musterte. Sie hielt den Atem an und schmiegte ihre Schenkel vorsorglich enger an Astors Seiten, der den Nacken gehorsam beugte.

Der Köhler grunzte verärgert und entschloss sich endlich, sich mitsamt dem Sack in die Büsche zu drücken.

Johanna atmete tief durch. Gottlob war ein Köhler kein Räuber. Sie warf ihm eine Münze zu, bevor er sich aus dem Staub machen konnte. Er fing sie in der Luft auf.

»Guten Tag, Herr«, sagte er widerwillig. »Ihr müsst die Abzweigung verfehlt haben. Dies ist kein Pfad für Rittersleute. Wenn Ihr nichts gegen die Begleitung eines verachteten Köhlers einzuwenden habt, will ich Euch zur Straße führen.«

»Danke, ich finde meinen Weg. Und ich verachte Köhler nicht. Ich wüsste nicht, was an ihrem Gewerbe unehrenhaft sein sollte«, sagte Johanna nach kurzem Nachdenken. »Ich brauche eine Auskunft.«

»So?« fragte er in plötzlich feindseligem Ton.

Johanna presste verärgert die Lippen aufeinander. Sie hatte sich ihm gerade verdächtig gemacht, weil sie nicht, wie alle Welt, Köhler für unehrlich hielt.. Hoffentlich verweigerte er jetzt nicht die Antwort. »Ich suche eine Frau, die ein Kleinkind bei sich hat. Ketten heisst sie. Hast du von ihr gehört? Es soll dein Schaden nicht sein.«

»Ein Kleinkind! Nein, ich habe hier nie eins gesehen«, behauptete er rasch.

Entschieden zu rasch. Johanna betrachtete ihn nachdenklich und versuchte, sich über ihn ein Bild zu machen. Dann zog sie eine weitere Münze aus ihrem Wams und hielt sie ihm wortlos vor die Augen.

Der Köhler schob den Unterkiefer vor. Sein Blick hing an der Münze, aber er schüttelte standhaft den Kopf.

Für sein Leben gern hätte er das Geldstück genommen. Aber aus einem bestimmten Grund widerstand er der Versuchung. »Ich werde einen anderen finden, der es mir sagen wird«, behauptete Johanna verärgert und ritt an.

»Die andere Richtung, Herr Knappe! Der Weg aus dem Wald geht in die andere Richtung«, rief er mit heiserer Stimme hinter ihr her.

»Gewiss, aber ich will hinein!«

»Ich würd’s nicht tun«, murmelte er.

Was der Köhler meinte, war Johanna vollkommen gleichgültig. Energisch trieb sie Astor an. Der Pfad ähnelte mehr und mehr einem Wildwechsel; er verengte sich, und Brombeerranken rissen an Astors Fesseln und ihren Knien. Dann öffnete er sich unerwartet zu einer Lichtung, auf der Holz geschlagen worden war. Das helle Licht blendete Johanna; sie legte die Hand über die Augen und spähte zum jenseitigen Waldrand hinüber. Dort stand ein Kohlenmeiler.

Vom Köhler war weit und breit nichts zu sehen, aber eine tiefe Männerstimme sang eine sonderbare Melodie, die von Bäumen und Büschen gedämpft wurde. Nach einer Weile verstummte sie.

Und dann bewegte sich Astor so nervös unter ihr, dass sie sich hastig umdrehte. Die breite Schneide ihres Malchus blinkte in ihrer Hand, bevor der schwarze Riese sie erreicht hatte.

Der Köhler blieb vornübergeneigt stehen und glotzte Johanna verwundert aus seinen schrägstehenden Augen an. Ein Speichelfaden lief ihm aus einem Mundwinkel, während er leise Grunzlaute von sich gab.

Allmählich glaubte Johanna zu erkennen, dass sein Verstand zurückgeblieben war. Er wirkte arglos und neugierig wie ein kleines Kind. »Mein Pferd erschrickt, wenn jemand von hinten kommt. Es fürchtet sich vor Bären und Wölfen, verstehst du?« fragte sie bedächtig und legte das Messer auf ihr Knie zurück.

Der Köhler schien ihrer Stimme nachzulauschen, und es dauerte eine Weile, bis Johanna erfuhr, dass er sie verstanden hatte. »Pferde erschrecken«, brachte er unter Mühe hervor. Dann tappte er lächelnd auf sie zu.

Johanna erstarrte.

Aber der Köhler hatte nur Augen für Astor. Er strich ihm sanft über den Hals, und der Hengst schnaubte leise, bevor er dem Mann über das Gesicht schnoberte. Es war, als ob sie sich mit Worten unterhielten, die Johanna nicht verstand.

Sie steckte den Malchus in seine Hülle. »Ich suche ein Kind, Köhler«, sagte sie bittend und maß mit den Händen ein ziemlich kleines Bündel ab, obwohl Gesche mittlerweile viel größer sein musste. »Mit einer Amme. Sie heißt Ketten, und das Kind ist auf den Namen Maria getauft … « Dass ihre Tochter eigentlich Gesche hieß, würde ihn überfordern.

Verständnis dämmerte in den braunen Augen des Köhlers, und zwei Tränen liefen ihm über die geschwärzten Wangen.

»Was ist?« fragte Johanna beklommen. »Kennst du sie?«

Darauf bekam Johanna keine Antwort. Stattdessen stammelte er: »Strigas. Zauberfrauen im Wald. Kinder auch.«

»Hier?« fragte Johanna entsetzt und ließ ihren Blick umherschweifen. Ihr schoss durch den Kopf, dass ihre kleine Gesche längst ein Opfer der schwarzen Magie geworden sein konnte, wenn hier wirklich Strigae ihr Unwesen trieben.

Der Köhler nickte bedächtig und wedelte mit seiner breiten Hand über die Lichtung hinweg dorthin, wo der Wald dicht und hoch stand. Ohne sich zu besinnen, nahm Johanna die Zügel auf und wollte anreiten. Doch der Mann packte ihr Bein und schüttelte warnend den Kopf. »In der Nacht«, flüsterte er. »Im Mondschein. Komm wieder.. .«

Johanna schlug das Kreuz. Es war gefährlich, sich solche Dinge auch nur anzuhören. Verstört nickte sie dem Köhler zu, wendete Astor und ritt den Weg, den sie gekommen war, so schnell zurück, wie die Ranken es zuließen, die nach ihr griffen und sie zurückzuhalten versuchten.

Schon auf der Straße schlug Johanna Lärm entgegen, der aus dem Zisterzienserhof drang; brüllendes Gelächter von Männern und schrille Stimmen von Frauen. Sehr ungewöhnlich für einen Stadthof von Mönchen, aber im Augenblick war sie dankbar, sich zurück im einfachen, derben Leben des Städtchens zu wissen. Wieder in die einfache braune Tracht der Hausmägde gekleidet, schlüpfte sie wie ein Schatten durch die kleine Pforte und hinein in die nächste Tür, die zu einem Lagergebäude gehörte. Von dort konnte sie sich unbemerkt umsehen.

An den Tischen, an denen in der warmen Jahreszeit für Gäste Apfelwein ausgeschenkt wurde, zechten offenbar schon eine ganze Weile Ritter und Knappen. Sie hatten Frauen mitgebracht, was nicht gestattet war.

Mitten im Hof stand Vater Lorenz in seiner weißen Zisterziensertracht und machte augenscheinlich dem verantwortlichen Ritter mit erzürnter Miene Vorhaltungen. Der zuckte mit den breiten Schultern und wandte sich ab, um das Gespräch zu beenden.

Johanna holte erbost tief Luft, als sie ihn erkannte. Konrad. Natürlich Ritter Konrad. Vater Lorenz, der sich als ehemaliger Konversenmeister hauptsächlich mit Handwerkern auskannte würde ihm nicht gewachsen sein. Sie stellte ihren Korb ab, nahm aus den Regalen mit den Handelswaren der Mönche rasch ein Bündel Holzpantinen, das ihr tauglich erschien, und betrat den Hof.

Die Pantinen waren mit einer Lederschnur zusammengebunden. Sie klapperten leise in Johannas Hand unter ihrem energischen Schritt.

Der Ritter drehte sich zu Johanna um und erwartete sie mit dem Grinsen, das sich für gewöhnlich über sein Gesicht legte, wenn er einem besonderen Spaß entgegensah. »Es macht mir stets Freude, dich im groben Büßerinnengewand zu sehen, Johanna«, sagte er hämisch. »Es tut gut zu wissen, dass der Herr im Himmel gerecht ist. Ihm dürfte deine Knappenkleidung von ehemals genauso wenig gefallen haben wie jedem Christenmenschen.«

Vater Lorenz’ freundliches Lächeln verschwand bei Konrads Worten und wich einem befremdeten Ausdruck.

Die Knappenkleidung! Du liebe Zeit, Vater Lorenz hatte es nicht gewusst und war jetzt aufmerksam geworden. Doch darum musste sie sich später kümmern. Jetzt war Konrad dran. »Noch weniger dürfte Ihm gefallen, dass ein christlicher Ritter dreist falsche Schwüre ablegt«, versetzte sie verächtlich. »Wenn Vater Lorenz es gewusst hätte, hätte er Euch und die stadtbekannten Huren von Königstein bestimmt nicht hereingelassen.«

Der Mönch fuhr erschrocken herum und betrachtete die ausgelassenen Frauen an den Tischen mit sichtbarem Widerwillen. »Ich habe es nicht gewusst«, bestätigte er beschämt. »Mit Frauen hatte ich nie viel zu tun. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass Ritter … , dass sie mit solchen … «

»Mir sind ihre Gesichter aus meiner Zeit in Königstein bekannt«, kam Johanna ihm zu Hilfe. »Einige sind zweifellos zu alt für Männer wie Konrad und vor allem für die ganz jungen Knappen. Aber wählerisch war er ja noch nie. Die Liebschaft zwischen ihm und seiner ehemaligen Herrin Katherine beweist es zur Genüge.«

Konrads Faust schmetterte mitten zwischen die Holzschuhe. Johannas Ahnung, dass er sie trotz der Anwesenheit eines Priesters schlagen würde, wenn er provoziert wurde, war richtig gewesen. Und ihr ausdauerndes Üben mit dem Malchus hatte sie schnell werden lassen.

Der Ritter brüllte auf und hielt sich mit der Linken das rechte Handgelenk. Der kleine Finger der Schwerthand war in unnatürlicher Weise abgewinkelt. »Du hast mir die Knochen gebrochen!«

»Zweifellos«, stimmte Johanna zu, während sie die Hand sachkundig betrachtete. »Ihr werdet einige Zeit weder Frauen schlagen noch den Eisenhandschuh benutzen können. Sehr beruhigend.«

Konrads Gesicht lief vor Wut und unterdrücktem Schmerz rot an, aber er fand keine Antwort.

Johanna ordnete die durcheinander geratenen Holzschuhe. »Vater Lorenz«, grüsste sie mit der Hochachtung, die er erwarten konnte, und setzte ihren Weg zum nächsten Lagergebäude fort.

»Willst du dich nicht um die Hand des Ritters kümmern, Johanna?« rief der Priester verblüfft hinter ihr her.

Johanna drehte sich zu ihm um. »Nein, Vater. Konrad ist der einzige Mensch auf dieser Welt, dem ich nicht helfen werde. Unter keinen Umständen. Nie. Ihr wisst, warum.«

»Das ist nicht sehr christlich.« Vater Lorenz schaute Johanna betrübt an. Dann schüttelte er die Einsicht, dass sie weder durch Bitten noch durch Befehle zu überreden sein würde, mit einem Ruck von sich ab und wandte sich an den Ritter. »Ich muss Euch bitten, den Stadthof zu verlassen, Ritter Konrad. Es ist uns Mönchen nicht gestattet, käufliche Frauen zu bewirten. Wenn Ihr Euch aber bereit erklärt, sie unter Geleit nach Königstein zurückzuschicken, dürft Ihr mit Euren Leuten bleiben.«

Konrad hob ungläubig die Augenbrauen. »Das werdet Ihr büßen, Vater«, zischte er. »Ich glaube nicht, dass Eure Oberen Euch wohlgesonnt bleiben, wenn Ihr den Zorn Philipps von Falkenstein auf den Orden zieht. Ihr werdet es merken.«

Vater Lorenz ließ sich nicht einschüchtern. Er schob beide Hände in die weiten Ärmel seines Mantels. Als Konrad ausgeredet hatte, wanderte sein unmissverständlicher Blick zu den schmalen Tischen hinüber, auf denen mittlerweile umgekippte Bembel lagen und Lachen von Apfelwein schwammen. Die Ritter, die still geworden waren, wagten nicht, dem Hausherrn, der gleichzeitig Mönch, Priester und Gastgeber war, zu widersprechen. Sie erhoben sich wie ein Mann und zerrten die betrunkenen Frauen mit sich.

Konrads Nasenflügel bebten, und er presste seine Lippen zusammen. Er versuchte nicht, seine Leute zurückzuhalten, die durch die Pforte auf die Straße drängten. Nach einem letzten mordlustigen Blick in Johannas Richtung folgte er ihnen.

Hinter ihm drückte der alte Pförtner das Türchen zu, und dann lag der Zisterzienserhof in so beklemmender Stille, dass die Konversen und Mägde verwundert in den Türen erschienen.

Vater Lorenz stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus, ließ den Kopf sinken und schloss die Augen. »Wir haben uns keinen guten Dienst erwiesen, Johanna«, sagte er müde. »Die Falkensteiner Herren macht man sich nicht ungestraft zum Feind.«

Johanna betrachtete sein faltiges Gesicht voll Mitleid und trat dann mit einigen schnellen Schritten zu ihm, um ihn zu stützen, falls es nötig sein sollte. Nicht ausgeschlossen, dass der Hofmeister wieder zusammenbrach; er war nie besonders robust gewesen, und er trug schwer an der Verantwortung, den Hof zu leiten. »Ich musste es tun, Vater Lorenz. Konrad hat schon mehrere Menschen nur mit der Faust erschlagen. Es war meine einzige Rettung.«

Der Mönch schlug die Augen auf und faltete die Hände. »Ich spreche nicht von einem gebrochenen Finger«, sagte er so leise, dass nur Johanna ihn verstehen konnte. »Ich spreche davon, dass du mit verkaufsfertig gebündelten Holzschuhen einen absolut sinnlosen Gang zu einem Schuppen machen wolltest, in dem ausschließlich Apfelwein lagert. Du hast von Anfang an geplant, den Hinauswurf des Ritters Konrad zu erzwingen.«

»Nur zum Besten des Hofes«, erwiderte Johanna ruhig. »Ihr kennt Konrad nicht.«

»Er ist anscheinend nicht der einzige, den ich nicht durchschaue«, sagte Vater Lorenz scharf und ließ Johanna stehen.

Sie schnitt eine Grimasse. Vater Lorenz würde sich wieder beruhigen, selbst wenn er nun wusste, dass Johanna auf der Burg Knappenkleidung getragen hatte und sich wehren konnte. Daraus würde er noch lange nicht schließen können, dass sie es war, die sich gelegentlich als Raubritter betätigt hatte. Und wenn, dann zu außerordentlich wichtigen Zwecken.

Johanna beschwichtigte schnell ihre Bedenken. Viel beunruhigender war der Gedanke an die Strigae. Jetzt tat Eile not. Nicht auszudenken, wenn Ketten sich in einem Kreis solch obskurer Frauen betätigte. Und ein Kind zur Verfügung hatte, über das sie Katherine womöglich ausschließlich mündlich berichten und das sie nie leiblich vorführen musste. Wie leicht konnte ein solches Kind eines Tages angeblich am Fieber gestorben sein.

Dieser Gedanke ging ihr den ganzen restlichen Tag nicht mehr aus dem Kopf.

Mitten in der stockdunklen Nacht begann Johanna der Angstschweiß auf der Stirn zu perlen. Sie setzte sich voll Bestürzung auf. Der Morgen begann bereits zu grauen, als sie endlich wusste, was sie zu tun hatte. Danach schlief sie wie eine Tote.

Am Morgen wurde Johanna wieder einmal von Martha geweckt. Der viel älteren Magd, die schon lange im Zisterzienserhof diente, als für Johanna die Knechtschaft begonnen hatte, stand die Häme ins Gesicht geschrieben. Sie verschwand wortlos und klapperte eilig davon.

Bevor Johanna sich angekleidet hatte, war sie wieder zurück. »Du sollst dich bei Vater Lorenz melden«, war die Botschaft, die Martha mit Genugtuung ausrichtete.

Aber Vater Lorenz war nicht rachsüchtig wie Vater Gottfried, der vorige Leiter des Stadthofes. Er sah Johanna, die mit wachsender Verwirrung vor ihm wartete, nur tieftraurig an. Schließlich sagte er: »Ich habe Angst um deine Seele, Johanna. Die Rache ist mein, sagt der Herr.« Er entließ sie, ohne ihr ein einziges Vaterunser in der Kapelle als Buße aufzuerlegen.

Beunruhigt fragte Johanna sich auf ihrem Rückweg in das Haus der Mägde, ob sie womöglich sein Vertrauen verloren hatte. Um ihren Plan zu verwirklichen, durfte sie weder sein Wohlwollen noch den Schutz verlieren, den ihr der Zisterzienserhof derzeit bot.

Kapitel 3

Ein paar Tage später ersuchte eine größere Gruppe von Kaufleuten und Krämern um Unterkunft im Stadthof der Zisterzienser. Die aufgeschreckten Konversen sprangen umher, um Pferde und Packtiere zu versorgen; Vater Lorenz eilte herbei, um die Gäste zu begrüßen. Durch seine unauffällige Lenkung der Hofleute traten allmählich Ruhe und Ordnung ein.

Johanna atmete auf. Die unangemeldeten Gäste würden den Hofmeister von seinen Sorgen mit ihr ablenken.

Sie selbst ging, um mit der mürrischen Martha deren Aufgaben zu besprechen. Als sie nach einer Weile in den Hof zurückkehrte, kam Kaufmann Wasserfass, den sie im Gedränge gar nicht gesehen hatte, auf sie zu. Sie sah ihm mit einem Gemisch aus Hoffnung und Bangen entgegen. Zu einer Zeit, als sie sich gar nicht anders zu helfen wusste, hatte sie ihm vorgeschlagen, Gesche zu suchen. Er konnte es mit sehr viel besseren Mitteln als sie tun.

Aber sie war unsicher, was sie tun sollte, wenn er Gesche fand. Dass sie Gesches Mutter war, hatte sie ihm verschwiegen. Und er wollte das Kind in Erinnerung an seine verstorbene Frau zu sich nehmen und ihm seinen Namen geben.

Wasserfass war rundlicher als früher, und die Trauer um seine Frau war ihm nicht mehr anzumerken. Er breitete beide Hände aus, als ob er Johanna umarmen wollte, bevor er sich entschloss, nur ihre Finger zu ergreifen und voll Mitleid zu drücken. Dazu machte er ein betrübtes Gesicht. »Ich habe die kleine Gesche immer noch nicht gefunden«, sagte er. »So leid es mir tut. Ich werde mich wohl bald entscheiden, mich nach einem anderen Kind umzusehen.«

Auf einmal war Johannas Bedürfnis, den Kaufmann zum Verbündeten zu haben, wieder ganz groß, vor allem jetzt, da sie Gesche in besonderer Gefahr sah. »Ihr dürft nicht aufgeben«, beschwor sie ihn. »Bitte nicht, Meister Wasserfass! Stellt Euch vor, das Mädchen wäre in unrechte Hände gekommen! Vielleicht muss sie mit vier Jahren in einem Arbeitshof der Zisterzienser Gänse hüten! Dann wird sie niemals ein Gebet selbst lesen können!«

Wasserfass zog die Augenbrauen bis an die Kante seines ausladenden samtenen Baretts hoch und betrachtete sie prüfend. »Woher weißt du, dass sie den Wunsch haben wird?«

Johanna hielt für einen Moment den Atem an. Sie konnte ihm beim besten Willen nicht erzählen, dass Gesches Vater gemeinsam mit ihrer Stiefmutter Minnelieder rezitiert hatte und dass sie selbst in der Lage war, Rittergeschichten zu lesen – zur Not sogar erbauliche Werke auf Latein. »Die Eltern des Kindes, meine Verwandten, konnten beide lesen«, erklärte sie gezwungen. »An lebenslängliches Gänsehüten haben sie für ihr Kind sicher nicht gedacht.«

Der Kaufmann machte Else Platz, die in diesem Augenblick ihre schnatternde Herde über den Hof zum Tor führte. Sie war barfuß, wie immer im Sommer – und ihre Beine waren bis über die Knöchel grün und schwarz gesprenkelt vom Kot der Gänse. »Da mag etwas Wahres dran sein«, gab er zu, während er argwöhnisch die kräftigen, weit gespreizten Zehen der Gänsemagd beäugte, vor denen hin und wieder kleine schmierige Spritzer aufflogen.

Else betrat vor ihrer Herde die Straße und ließ dann die Gänse nachkommen, die durch die Öffnung drängten wie Nonnen in die Kirche. Der alte Konverse, der den Tordienst versah, rümpfte die Nase und schlug mit abgewandtem Gesicht die Pforte zu. Das letzte Tier, das mit flatternden Flügeln und schrill kreischend den Anschluss an die anderen suchte, die schon draußen schnatterten, prallte mit dem Kopf gegen das Tor und blieb benommen liegen.

Der Torhüter fuhr herum. Als er sah, was passiert war, schlug er sich die Hände vor Vergnügen auf die Oberschenkel und lachte gackernd.

»Nicht, dass ich etwas gegen Gänse hätte«, versicherte Johanna angewidert und lief zur Pforte, um sie wieder zu öffnen. Dann stellte sie die Gans auf die Füße, die den anderen etwas wackelig hinterhermarschierte.

Wasserfass beobachtete sie interessiert. Als sie zu ihm zurückgekehrt war, sagte er: »Du hast wohl eher etwas gegen die Mönche«, und fuhr, weil sie darauf nichts zu erwidern hatte, entschlossen mit seiner Rede fort. »Wie dem auch sei. Die Suche nach einem Kind in der Umgebung von Königstein wird mit jedem Tag schwieriger. Die Leute sind störrisch. Sobald sie merken, dass ich ein auswärtiger Kaufmann bin, verschließen sie sich wie Flussmuscheln. Es muss mit den Aufständen in den französischen Städten zu tun haben, wo die Zünfte gegen die Patrizier revoltieren.«

»Das glaube ich nicht«, widersprach Johanna eilig. »Hier ist es der Falkensteiner aus Lich, dessen Ritter die Menschen pressen. Mit Kaufleuten hat es nichts zu tun.«

»Ich glaube doch. Ich habe gehört, wie sie riefen: Tod allen Reichen! Das ist der Schlachtruf der Tuchmacher von Brabant.« Wasserfass strich über die lange Knopfleiste, die sein je nach Lichteinfall blau oder grün schimmerndes Gewand teilte. Darauf lag eine schmale Goldkette aus hunderten winziger Münzen, die ihm bis zum Gürtel reichte. Kein vernünftiger Mensch hätte diesen Reichtum übersehen können.

Johanna betrachtete ihn stumm. Der Kaufmann wusste besser als sie, was in der Welt vorging. »Ich wäre Euch so dankbar«, stieß sie hervor. »Es heisst, dass es hier im Wald Strigae gibt, die hinter kleinen Kindern her sind.«

»Strigae«, murmelte Wasserfass mit Abscheu und entfernte sich einen Schritt von Johanna, als ob er sie der Teilnahme an den Versammlungen dieser Frauen verdächtige. »Wie kann es denn möglich sein, dass Reisende nicht gewarnt werden? Auch Vater Lorenz schien sich in Unkenntnis zu befinden … Dabei muss dem Treiben ein Ende bereitet werden, bevor weitere Seelen zwischen Königstein und Frankfurt in Gefahr geraten, sich dem Teufel zu ergeben. Solcher Spuk ist ansteckend, wie man hört.«

»Was meint Ihr damit, Meister Wasserfass?« Johanna fühlte, wie wieder einmal der Angstschweiß an ihrem Rücken entlanglief.

»Du weißt genau, was ich meine«, versetzte der Kaufmann grollend. »Du lebst auf diesem frommen Hof zwischen Priestern und bist nicht auf die Idee gekommen, dich ihnen anzuvertrauen? Johanna! Wenn ich nicht so viel von dir hielte, könnte ich geneigt sein zu befürchten … «

Genaueres erfuhr sie nicht, denn in diesem Augenblick stürmte Else, umwirbelt von ihren flatternden und schnatternden Gänsen, in den Hof zurück. Eine Feder landete vor Johannas Füßen, während die Gänsemagd nach Atem rang und furchtsam zur Straße zeigte.

»Ein splitterfasernackter Mann ist hinter mir her«, stammelte sie. »Der leibhaftige Gottseibeiuns. Sein Gesicht ist schwarz wie Kohle, und zwischen seinen Beinen pendelt ein Werkzeug, größer als das von einem Ochsen. Und stell dirvor, Johanna, es ist kreidebleich!«

»Bei den Gebeinen der Heiligen Margaretha«, rief Wasserfass und starrte bestürzt auf das Mädchen, das ihm zu Füßen zusammengebrochen war. »Ich sag’s ja! Die Tuchmacher stellen die Welt auf den Kopf!«

»Else!« rief Johanna, eher ärgerlich als furchtsam, und bückte sich, um ihr sanft auf die Wangen zu klopfen. »Komm zu dir und erkläre uns, was du mit diesem Unsinn meinst!«

Die Gänsemagd schüttelte nachdrücklich den Kopf und blieb mit geschlossenen Augen liegen. Während die Gänseherde allmählich zur Ruhe kam und einige ältere Tiere anfingen, sich zu putzen, schob der Torhüter mit aller Kraft den großen Riegel vor Tür und Tor und humpelte atemlos in die Küche, wo er sich auch zu den Andachtszeiten am sichersten fühlte.

Johanna ging zum Tor, legte den Balken um und öffnete beherzt die kleine Pforte, um sich umzusehen.

Auf der Straße stand ein Mann, wie der Herr im Himmel ihn erschaffen hatte. Mit offenem Mund starrte er die Mauer an, die das Anwesen der Zisterzienser umschloss. Als seine Augen zu Johanna hinüberwanderten, stockte ihr der Atem.

Der schwachsinnige Köhler.

Zu ihrem Schrecken erkannte er sie sofort. Wie war das nur möglich? Ein freundliches Lächeln erhellte sein Gesicht. »Gänse«, sagte er. »Gänse erschrecken auch.«

Johanna begriff jäh. »Hattest du eine Gans streicheln wollen?«

Er nickte treuherzig.

»Versprichst du mir, in den Wald zurückzugehen, wenn du es getan hast?« erkundigte sich Johanna und bemühte sich, das Drängen in ihrer Stimme zu unterdrücken. Er musste fort, bevor er Gelegenheit bekam, zu erzählen, dass er sie in ritterlicher Bekleidung gesehen hatte.

Mit großen Augen starrte er sie an. »Ja«, murmelte er.

Johanna lief in den Hof zurück und rüttelte Elses Schultern, bis sie widerwillig ihre Augen öffnete. Johanna begann mit ihr zu flüstern.

»Ist dort wirklich ein … ? Ein Mensch, wie Gott ihn geschaffen hat?« fragte der Kaufmann dazwischen.

Johanna zuckte nur die Schultern und versuchte, die Gänsemagd mit ihren Blicken anzufeuern. Else rührte sich ganz widerwärtig langsam. Mit kleinen Trippelschritten bewegte sie sich endlich zu der Herde hinüber, die sich in einer Ecke des Hofes gesammelt hatte. »Der Mann hat dich nicht gejagt, Else, wirklich nicht«, versicherte Johanna ihr nervös. »Er liebt alle Tiere. Könntest du ihm nicht eine junge Gans schenken?«

Else drehte sich voll Entrüstung zu ihr um. Irgendetwas in Johannas Gesicht ließ sie ihren Sinn ändern. »Meinetwegen«, sagte sie mürrisch. »Zwei Gänse. Eine einzelne Gans geht ein wie eine Blume ohne Wasser.«

»Du bist ein Schatz«, sagte Johanna und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. Niemand auf der Welt konnte so gut mit Gänsen umgehen wie Else, und sie hatte keinen Zweifel daran, dass sie recht hatte.

Sie folgte Else, die sich zwei junge Gänse unter die Arme klemmte, zur Tür. Der Köhler wartete immer noch geduldig, und zu Johannas Überraschung war die Gasse immer noch wie leergefegt. »Sie gehören dir«, sagte sie freundlich und händigte ihm die Gänse aus, während Else sich im Hof in Sicherheit brachte.

Nur Johanna sah dem riesigen Waldmenschen nach, als er Eppstein durch das Nordtor verließ, in dessen düsterem Gewölbe zufällig kein Wachposten stand. Die Haut des Köhlers leuchtete so weiß wie das Federkleid der Gänse, aber die Tiere hatten an ihm nichts auszusetzen. Sie schmusten mit ihm noch, als er in den Wald einbog und außer Sicht verschwand.

Gottlob, dachte sie erleichtert und kehrte zum Hof zurück. Dort entdeckte sie, dass Kaufmann Wasserfass von der Pforte aus alles beobachtet hatte.

»Wie abscheulich! Ich hätte nicht gedacht, dass jemand wie du sich mit einem solchen Mann zusammentun würde«, flüsterte er und gab ihr mit angewidertem Gesicht den Weg frei. Es musste Eppsteiner geben, die den nackten Köhler gesehen hatten, aber niemand sprach über ihn. Es war, als ob sich alle schämten, einen derart gottlosen Mann in ihren Wäldern zu wissen. Kaufmann Wasserfass wanderte mit den Händen auf dem Rücken im Hof herum, suchte öfter als bisher die Kapelle auf und mied Johannas Nähe.

Johanna brannte darauf, ihre Suche nach den Strigae im Wald der Köhler fortzusetzen. Ihr war klar geworden, dass sie sich in bestimmten Abständen treffen mussten, und der Gänseköhler war offenbar bereit, sie zu ihnen zu führen.

Sobald sie konnte, ohne das Misstrauen von Vater Lorenz zu wecken, machte sie sich wieder auf den Weg zur Schwertschmiedin. Dieses Mal war sie zu ungeduldig, um auf Claus zu warten. Sie sattelte Astor, kleidete sich um und trabte unbehelligt durch das Fischbachtaler Tor hinaus. Ritter und Knappen wurden so gut wie nie kontrolliert. Sie kamen und gingen durch eins der drei Tore von Eppstein, wie sie wollten.

Hinter dem aufgestauten Fischbach setzte Johanna an, um im Galopp einen Bauern mit einem Ochsenkarren zu überholen. Statt auszuweichen, griff er nach einem Knüppel, der neben ihm lag. Sie parierte durch. »Du wagst es, nach der Waffe zu greifen, Kerl?« fragte sie scharf.

Der alte Bauer schielte nach ihrer schmucklosen Satteldecke. »Verzeiht, Herr, ich konnte ja nicht wissen, dass Ihr kein Falkensteiner seid«, murmelte er kleinlaut. »Man ist gut beraten, sich gegen die zur Wehr zu setzen, bevor sie einen erschlagen.«

»Obwohl du damit dein Leben verwirkst?« fragte Johanna verwundert.

Der Bauer nickte trübe. »Manch einer kommt davon. Wenn er zuerst zuschlägt und der Ritter allein ist … Die meisten Landleute führen eine Keule mit sich oder sogar einen Malchus, seitdem Königstein den neuen Herrn hat. Die Falkensteiner scheren sich nicht einmal darum, ob sie es mit Eigenleuten oder mit den Männern der Eppsteiner zu tun haben.«

»Und die Frauen? Wie wehren die sich?«

»Eine merkwürdige Frage, Herr Ritter«, versetzte der Mann verwirrt. »Was kümmern Euch denn die Frauen? Die müssen dran glauben, heutzutage mehr als früher. Sie wissen es und sehen sich vor.«

»Und manchmal kommen sie davon? War das bei … « meinem Vater, wollte Johanna unbedacht fortfahren, und sie schaffte es noch gerade, ihrer Frage eine andere Wendung zu geben … bei Lienhart von Falkenstein auch so?«

»Die Ritter des Kaisers sind auch nicht eben wohlerzogen, wenn Ihr das meint. Aber etwas besser war es zu ihrer Zeit schon. Wenn ich Euch raten darf, Herr Ritter, und Ihr nicht unbedingt nach Königstein müsst, macht lieber einen Umweg um deren Gebiet … «

»Ich werde es mir überlegen. Danke für den Rat. Bei der Gelegenheit: Kennst du zufällig eine Amme, die auf den Namen Ketten hört und ein kleines Mädchen namens Gesche oder Maria nährt? Sie muss hier irgendwo leben … «

»Eine Frau, die hört, wenn man sie ruft, kenne ich überhaupt nicht«, brummte der Bauer abweisend.

»Na gut. Danke«, rief Johanna, schon im Angaloppieren.

Sie schlug ein mäßiges Tempo ein, um in Ruhe nachzudenken. Je unbeliebter sich Philipp von Falkenstein mit seiner ohnehin ungesetzlichen Herrschaft machte, desto eher würden möglicherweise die Wetterauer Städte bereit sein, ihm die Burg Königstein wieder abzunehmen, vor allem, wenn die Bevölkerung anfing aufzubegehren. Vielleicht bekam ihr Vater sogar sein Amt als Burgmann zurück.

Im Wald der Köhler war es ruhig. Kein Ästchen bewegte sich. Johanna schnupperte in die Luft. Bei ihrem ersten Besuch hatte der Geruch nach Rauch in der Luft gelegen, selbst dort, wo man ihn gar nicht aufsteigen sah.

Heute war die Stimmung so seltsam, dass sie sogar dankbar gewesen wäre, dem unfreundlichen Köhler zu begegnen. Astor spielte unruhig mit den Ohren, als sie den wilderen und wenig begangenen Teil des Pfades erreichten.

Es wurde, wenn möglich, noch stiller.

In der Waldlichtung flirrte die Luft vor dem Kohlenmeiler; ein Schwarm Mücken stieg in die Höhe und senkte sich wieder. Alles war normal bis auf das laute Summen der Fliegen zwischen drei dicken Baumstümpfen. Und bis auf zwei weiße Flecken im Gras, die sich als die jungen Gänse entpuppten, die Johanna dem Köhler vor wenigen Tagen geschenkt hatte.

Sie waren tot.

Johanna wagte kaum, ein Geräusch zu machen. Als sie bei den Baumstümpfen anlangte, stieg eine Wolke von Schmeißfliegen auf.

Dem Gänseköhler war das Gesicht zu einem so blutigen Brei zusammengeschlagen worden, dass Johanna ihm nicht einmal die Augen zudrücken konnte. Ein widerlicher Gestank ging von der Leiche aus.

Sie kämpfte gegen den Brechreiz und ihr Bedürfnis, so schnell fortzureiten, wie der schmale Pfad es zuließ. Nur unter äußerster Aufbietung ihres Willens gelang es ihr, stattdessen Zweige und Äste mit trockenem Laub zu einem angemessenen Grabhügel über der Leiche aufzuschichten. Da er ohnehin nicht den Platz eines ehrlichen Christen auf einem Friedhof erhalten würde, musste sie hier für ihn tun, was sie konnte.

Als sie die Gänse holen wollte, um sie neben ihn zu legen, entdeckte sie, dass ihnen der Hals umgedreht worden war. Sie schob sie hastig unter das Gestrüpp.

Bevor sie den Platz endgültig verließ, lief sie zum Kohlenmeiler hinüber. Vielleicht ließ sich dort oder in der Köhlerhütte etwas Aufschlussreiches über diesen schrecklichen Tod finden.

Der Meiler war kalt, er konnte seit Tagen nicht mehr gebrannt haben. Und die karge Wohnhütte daneben, die hauptsächlich aus geflochtenen Reisigwänden bestand, war zusammengetreten worden.

Der kindliche, sanfte Köhler war mit der Wut eines Berserkers totgeschlagen und alles, was ihm lieb gewesen sein mochte, zerstört worden.

Wer hatte das getan? Hatte es etwas mit seiner Bereitschaft zu tun, ihr die Strigae zu zeigen? In diesem Fall musste jemand sie belauscht haben.

Kapitel 4

»Johanna, warum hast du kein Vertrauen zu mir?« fragte Vater Lorenz mit seiner sanften, freundlichen Stimme, die stets geeignet war, Johannas schlechtes Gewissen hervorzurufen.

Es kam fast nie vor, dass sie in den Augen eines Priesters gänzlich unschuldig war, aber dieses Mal wusste sie wirklich nicht, worauf er hinauswollte. Sie schüttelte den Kopf.