Die Reise der Sündenheilerin - Melanie Metzenthin - E-Book
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Die Reise der Sündenheilerin E-Book

Melanie Metzenthin

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Beschreibung

Ein Jahr nach ihrer Hochzeit reisen Philip und Lena nach Ägypten. Ein Land voller Zauber und Gefahren. Denn in Alexandria hüten die Frauen aus Philips Familie ein jahrhundertealtes Geheimnis: Sie kennen den Weg zu einer verborgenen Stadt in der Wüste, die das gesamte Wissen der alten Welt versammelt. Doch ein totgeglaubter Feind droht, diesen heiligen Ort zu entweihen ...

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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe

1. Auflage 2013

ISBN 978-3-492-96135-6

© 2013 Piper Verlag GmbH, München

Umschlaggestaltung und -motiv: Hauptmann und Kompanie Werbeagentur, Zürich, unter Verwendung eines Fotos von Irene Lamprakou/Arcangel Images

Datenkonvertierung: Kösel, Krugzell

In Erinnerung an meinen Vater

Horst Metzenthin

09.08.1932 – 09.10.2011,

der am vorletzten Tag seines Lebens noch erfahren durfte,

dass es dieses Buch eines Tages geben würde.

   Prolog   

Erhabener!« Yusuf warf sich vor seinem Herrn zu Boden, als würde er zu Allah beten. Khalil lächelte. Er liebte es, wenn seine Männer ihm die rechte Demut zeigten. Dafür war er sogar geneigt, Yusuf die frühe Störung zu verzeihen. Durch die Fenster des Palastes fielen die ersten hellen Sonnenstrahlen herein und spiegelten sich in den kostbaren Gläsern und goldenen Schüsseln, die vor Khalil aufgereiht auf einem Tischchen standen. Das Frühgebet lag hinter ihm, nun wollte er sich dem Morgenmahl widmen. Ein schwarzer Sklave stand in der Ecke und schwenkte einen großen Fächer aus Straußenfedern. Zu Khalils Füßen kniete ein junges Mädchen, das ihm Tee einschenkte.

»Bringst du gute Neuigkeiten?«

Yusuf richtete den Oberkörper auf, blieb aber auf den Knien.

»Es gibt eine Spur nach Djeseru-Sutech.«

Khalils Lächeln schwand. Seit Jahren wartete er darauf. Träumte davon, die verborgene Stadt in der Wüste zu finden, in der heidnische Völker seit Jahrhunderten unermessliche Schätze angehäuft haben sollten. Jedenfalls versprachen das die Legenden, und Khalil war geneigt, ihnen zu glauben. Es gab viele Hinweise, auch wenn ihn bislang keines dieser Gerüchte zum Ziel geführt hatte.

»Wo?«

»Im Haus des Mikhail von Alexandria.«

»Im Haus des Mikhail«, wiederholte Khalil bedächtig. Er griff nach dem Teeglas und trank einen Schluck. »Zu dumm, dass sein Anwesen so gut geschützt ist. Es wird uns schwerfallen, unbemerkt dort einzudringen. Und für einen Überfall ist es noch zu früh. Mikhail hat viele einflussreiche Freunde.«

»Ja, Herr. Und es gibt eine weitere Schwierigkeit.« Yusuf bedachte seinen Herrn mit einem sorgenvollen Blick. »Es heißt, Mikhails Enkel werde in nächster Zeit zurückerwartet.«

»Philip!« Khalil sprang auf und schleuderte sein Teeglas gegen die Wand. Die kleine Sklavin zu seinen Füßen zuckte zusammen, der fächelnde Mohr geriet ins Stocken, nur Yusuf kniete weiterhin unbeeindruckt vor seinem Herrn.

»Ist dieser ungläubige Hund etwa am Leben?«, brüllte Khalil. »Ich dachte, die Geier hätten ihn geholt, nachdem seine Schande durch alle Gassen und Basare getragen wurde! Wieso weilt er noch unter den Menschen?« Der Tee lief an der Wand herunter und hinterließ dunkle Flecken auf dem Teppich.

»Herr, vielleicht ist es Allahs Wille, dass er noch lebt, damit du deine Rache vollenden kannst.«

Khalil sank zurück auf sein Sitzkissen. »Möglicherweise hast du recht, und es ist ein Zeichen Allahs. Mit dieser Ausgeburt der Dschehenna und seinem verdammungswürdigen Freund Said al-Musawar, den der Dscheitan fressen soll, wollte ich längst abrechnen. Erheb dich, Yusuf! Du bist mein Auge und mein Ohr. Ich muss alles erfahren, was im Haus des Mikhail vor sich geht. Ich will als Erster wissen, wann dieser ungläubige Bastard und sein nichtswürdiger Gefährte den Boden Alexandrias betreten.«

»Ja, Herr.« Yusuf stand auf. »Und wenn sie zurück sind? Schlagen wir dann zu?«

»Nein.« Khalils Lächeln war zurückgekehrt. »Erst will ich Philip leiden sehen. Ihn und alle, die ihm teuer sind. Der Windhauch der Verdammnis soll ihn treffen, die Hölle, der er entkam, in seiner Erinnerung zum Paradies werden, denn die Qualen, die ich ihm zugedacht habe, werden unermesslich sein.«

   1. Kapitel   

Du sagtest, Hamburg sei eine große Hafenstadt.« Lena musterte Philip mit zweifelnder Miene, während sie auf ihren Pferden am östlichen Stadttor warteten. Händler drängten sich in beide Richtungen, die Torwächter überprüften einzelne Wagenladungen und Reisende.

»So ist es«, bestätigte Philip. »Johann sagte mir, Hamburg sei ein großer Flusshafen.«

»Ich dachte, die Stadt liege am Meer.«

»Bist du enttäuscht?« Philip lächelte sie liebevoll an. »Keine Sorge, du siehst das Meer noch früh genug.«

In der Reihe vor ihnen fluchte ein Händler gotteslästerlich. Die Sonne brannte an diesem Apriltag wieder einmal besonders heiß vom Himmel herab und machte das Warten nicht angenehmer. Allerdings war es Lena lieber als die schneereichen kalten Tage, die hinter ihnen lagen.

»Eins verstehe ich nicht.« Said lenkte sein Pferd neben Philips Rappen. »Warum überprüfen die Stadtwachen Reisende am helllichten Tag? Das haben wir bislang noch nirgendwo erlebt.«

»Vielleicht suchen sie jemanden.«

»In den Wagen der Händler?« Said verdrehte die Augen.

Hinter ihnen hatte sich schon eine beachtliche Schlange gebildet. Witold und Rupert, Philips Waffenknechte, achteten sehr genau darauf, dass sich niemand dem Packpferd näherte und lange Finger machte.

Lenas Blick fiel auf eine junge Frau, die einen Säugling an der Brust trug und einen Handkarren zog, auf dem mehrere Körbe mit Eiern standen. Die Frau sah müde aus. Plötzlich fing das Kind laut an zu schreien. Doch die Mutter wurde nicht ungeduldig. Sie ließ ihren Karren los, knüpfte das Brusttuch auf, in dem das Kind geruht hatte, und wiegte es sanft. Dazu summte sie eine zärtliche Melodie. Lena wurde das Herz schwer. Was hätte sie darum gegeben, ein eigenes Kind zu haben …

»Bertram sorgt gewiss dafür, dass wir ohne längeren Aufenthalt durchkommen«, hörte sie Philip sagen. »Für irgendetwas muss es doch gut sein, dass ich der Graf von Birkenfeld bin.« Er lachte.

»Ich glaube, deine Silberstücke sind da wirkungsvoller«, entgegnete Said, denn Philip hatte seinen Knappen mit einem Beutel klingender Münzen losgeschickt, um ihnen einen schnellen Einlass zu verschaffen.

Tatsächlich kehrte Bertram kurz darauf zurück.

»Wir können passieren!«, rief er und reichte Philip den Geldbeutel. Philip wog ihn in der Hand. »Er fühlt sich noch immer schwer an. Wie viel hast du gezahlt?«

»Einen Silberdenar. Daraufhin hätten sie sich fast vor mir verbeugt.« Der junge Mann grinste. Lena mochte Bertram, auch wenn sich hinter seinem fröhlichen Wesen noch etwas anderes zu verbergen schien. Irgendein Kummer, den er mit niemandem teilen mochte. Aber war er darin so anders als sie selbst? Sie warf einen letzten Blick auf die Mutter mit dem Kind, dann schüttelte sie die trübsinnigen Gedanken ab.

»Los, kommt!«, rief Philip den beiden Waffenknechten zu. Die Händler, die vor ihnen standen, murrten zwar, als sie mit ihren Wagen beiseitefahren mussten, um Philip und seinem Gefolge Platz zu machen, aber nicht allzu laut.

»Und, hast du inzwischen herausgefunden, warum die Wächter alle überprüfen?«, fragte Philip Bertram. Der schüttelte nur den Kopf.

Nachdem sie das Tor hinter sich gelassen hatten, sah Lena sich neugierig um.

Zunächst kam ihr Hamburg nicht viel anders vor als Halberstadt oder Quedlinburg. Kleine Fachwerkhäuser schmiegten sich eng aneinander, und nur die Hauptstraße war mit Kopfsteinen gepflastert. Auf den übrigen Wegen standen Schlamm und Dreck zum Teil knöchelhoch, und Lena war froh, auf einem Pferd zu sitzen. Am meisten wunderte sie sich aber über die vielen Schweine, die allenthalben frei herumliefen und im Unrat nach Fressbarem wühlten. So etwas kannte sie nur aus den Dörfern. Dazwischen drängten sich zahlreiche Menschen. Gassenjungen, Mägde mit Körben, eilende Boten und tatsächlich auch der eine oder andere besser gekleidete Bürger.

Trotz des Durcheinanders kostete es die kleine Gruppe wenig Mühe, sich Platz in den überfüllten Gassen zu verschaffen. Die Leute traten beinahe ehrfürchtig beiseite. Allerdings war Lena nicht sicher, ob es nur aus Achtung vor ihrem Auftreten geschah oder vielmehr aus Angst. Sie wusste, dass mancher Adlige sich nicht scheute, die Menschen durch seine Knechte aus dem Weg prügeln zu lassen. Das wurde ihr besonders bewusst, als ihnen ein schwerer Wagen entgegenkam, der Fässer geladen hatte und von zwei mächtigen Kaltblütern gezogen wurde. Lena sah den verunsicherten Blick des Wagenführers, der vor allem Witold und Rupert galt. Fürchtete er wirklich, dass sie ihn mit Gewalt zurückdrängen würden? Philip nahm die Bedenken des Mannes gar nicht wahr. Völlig selbstverständlich wich er aus und lenkte seinen Rappen behutsam an dem schweren Gefährt vorbei. Der Wagenführer atmete erleichtert auf, und Lena fragte sich, welche Demütigungen er wohl schon erlebt haben mochte.

Der Weg zum Hafen führte über zahlreiche Brücken. Manche waren breit, andere schmal, sodass sie nur hintereinander reiten konnten. Ganz Hamburg war von kleinen Kanälen durchzogen, die die Einheimischen Fleete nannten. Lena wagte sich kaum vorzustellen, wie es hier wohl im Hochsommer sein mochte. Schon jetzt stanken diese Fleete schlimmer als manche Abwassergrube. Den Bewohnern der Stadt schien der üble Geruch indes nichts auszumachen. Kinder spielten im Uferschlamm, Männer stakten Boote mit hochgestapelter Ladung, und zerlumpte Frauen schöpften ihr Wasser aus den trüben Fluten.

Erst als sie das Nikolaifleet erreichten, das die Hafenmündung bildete, wurde die Luft wieder besser.

Zahlreiche Möwen umschwirrten die Schiffe, die am Kai lagen. Kleine Ewer, die überwiegend in der Flussschifffahrt eingesetzt wurden, und große Koggen, die gewiss schon die halbe Welt bereist hatten. Männer schrien sich gegenseitig Anweisungen zu, Schiffe wurden entladen und schwere Säcke an den Lastkränen in die Speicher gezogen, die den Hafen säumten.

»Johann behauptete, das Haus von Wolfram Säckerling liege unmittelbar am Nikolaifleet«, sagte Philip, während er den Blick über die Hafenanlage schweifen ließ. Lena sah sich ebenfalls um. Hier sollte ein wohlhabender Kaufmann wohnen? Zwischen Speichern und Hafenlärm? Keines der Häuser machte einen wohnlichen Eindruck.

»He du!«, sprach Philip einen der Arbeiter an. »Wir suchen das Haus von Wolfram Säckerling.«

Der Angesprochene zuckte zusammen und wandte sich zu Philip um.

»Der hat sein Kontor da vorn an der Deichstraße.« Er wies in die entsprechende Richtung. »Das Haus mit dem roten Ziegeldach und dem Löwenkopf an der Tür.«

»Vielen Dank.« Philip warf dem Mann eine kleine Kupfermünze zu.

Die Deichstraße unterschied sich erkennbar vom übrigen Hafenrand. Sämtliche Häuser machten den Eindruck, als seien sie erst in den letzten Jahren erbaut worden. Das Haus von Wolfram Säckerling war das größte am Platz. Drei Stockwerke hoch, wobei der Dachstock als Lager diente, denn ein Lastarm und ein großes Holztor bildeten den Abschluss des Dachstuhles.

Ein Mann schob einen Handkarren vor sich her und blieb verwundert stehen, als er die sechsköpfige Reiterschar mit dem Packpferd entdeckte. Es erheiterte Lena immer wieder, wie die Menschen ihnen nachstarrten. Said in seiner morgenländischen Kleidung fiel jedem auf. Aber auch Philips Gestalt galten viele Blicke, obwohl er wie ein deutscher Edelmann gekleidet war. Er war ein ansehnlicher Mann, und das umso mehr, als sich in ihm die Züge seines deutschen Vaters und seiner ägyptischen Mutter vereinten. Sein Haar war pechschwarz, und seine Haut erinnerte Lena immer wieder an einen sonnengebräunten Tagelöhner. Er fiel unter all den bleichen Gesichtern und den vielen hellhaarigen Männern ganz besonders auf. Wie ein kostbares Juwel, dachte sie und musste lächeln. Er selbst hatte sie ein Juwel genannt, bis sie ihm widersprochen hatte, wie wenig schmeichelhaft es sei, mit einem toten Gegenstand verglichen zu werden. Und nun kam ihr der gleiche Gedanke …

Vor dem Tor mit dem Türklopfer, der wie ein Löwenkopf gearbeitet war, stieg Philip vom Pferd und half danach Lena aus dem Sattel. Erleichtert drückte sie die Knie durch. Die letzten Tage waren anstrengend gewesen. Vor einer Woche waren sie von Burg Birkenfeld aufgebrochen und hatten die Tage fast nur im Sattel verbracht. Ihr Weg hatte sie durch einsame Wälder geführt, und die Rasthäuser, in denen sie die Nächte verbracht hatten, entsprachen nicht gerade Lenas Vorstellung von angemessenen Unterkünften. Einmal hätte sie fast den Heuboden der Bettstatt vorgezogen, die man ihr angeboten hatte. Philips entschlossenes Auftreten hatte dann doch noch zu einem annehmbaren Obdach geführt, jedenfalls ohne Flöhe und Wanzen, aber allmählich begriff Lena, dass Reisen kein vergnügliches Abenteuer war.

Philip betätigte den Türklopfer.

Eine ältere Magd mit tadellos weißer Haube öffnete ihnen.

»Ihr wünscht, edler Herr?«, fragte sie Philip mit gleichmütiger Miene, so als sei sie es gewohnt, täglich mit Männern vornehmer Abkunft zu verkehren.

»Mein Name ist Philip Graf von Birkenfeld, und dies ist meine Gattin Helena. Ich habe ein Empfehlungsschreiben von Johann von Hohnstein, der mich dem Herrn Wolfram empfiehlt.«

Er zog Johanns Brief hervor.

Die Magd nahm ihm das Schreiben aus der Hand und forderte ihn und Lena zum Eintreten auf.

Das Haus schien noch neu zu sein. Lena roch das frische Holz der Dielen. Auch die Wände waren mit Holz vertäfelt. Sie hatte in ihrem Leben bislang erst ein Kaufmannshaus betreten, und das hatte Martin gehört, ihrem ersten Gatten. Doch dessen Haus war viel kleiner gewesen, und im Eingang hatten sich Berge von Waren gestapelt. Er hatte überwiegend mit Wolle und Tuchen gehandelt. Lena erinnerte sich noch genau an den Geruch der Wolle, die oftmals auf der langen Reise feucht geworden war und vor dem Verkauf erst wieder getrocknet werden musste. Im Haus von Wolfram Säckerling roch es ganz anders. Sie brauchte eine Weile, bis sie die Gerüche zuordnen konnte, die sich mit dem Duft der frischen Hölzer mischten. Säckerling hatte sich zweifelsohne dem Gewürzhandel verschrieben.

Die Besucher mussten nicht lange in der Diele warten. Noch während Philip die kunstvollen Kerzenhalter betrachtete, die an der Wand befestigt waren, kehrte die Magd zurück und bat die Besucher ins Kontor.

Lena hatte sich unter dem Namen Wolfram Säckerling immer einen schwergewichtigen alten Mann vorgestellt. Umso erstaunter war sie, als die Magd sie dem Hausherrn vorstellte. Säckerling war vermutlich nur unwesentlich älter als Philip, bestimmt noch keine dreißig. Für jemanden, der den ganzen Tag in seinem Kontor verbrachte, hatte er erstaunlich breite Schultern, beinahe so, als würde er selbst die Säcke mit seiner Ware von den Schiffen ins Lager schleppen.

»Seid mir willkommen«, begrüßte Wolfram seine Gäste und wies ihnen mit einer Handbewegung Platz auf den beiden Stühlen an, die vor seinem Schreibpult standen.

»Mein Vetter schreibt, Ihr wollt nach Venedig.«

»Nach Alexandria. Aber von Venedig aus dürfte es keine Schwierigkeiten bereiten, ein Schiff nach Ägypten zu finden.«

Säckerling nickte. »Meine Schiffe steuern Venedig regelmäßig an. Die Windsbraut wird in zwei Tagen auslaufen. Wie viel Gefolge habt Ihr dabei?«

»Wir sind zu sechst und haben sieben Pferde.«

»Sieben Pferde? Die wollt Ihr doch nicht etwa mitnehmen!«

»Gewiss wollen wir das.«

»Sechs Reisende lassen sich ohne Weiteres befördern. Aber sieben Pferde? Da bliebe kein Raum mehr für die Ladung.«

»Das heißt, Ihr könnt uns keine Passage anbieten?«

»Nur für die Menschen. Nicht für die Pferde.«

»Und wenn ich Euch den Ladeverlust bezahle?«

»Es ist weniger eine Frage des Geldes als die der Kaufmannsehre. Ich habe Verpflichtungen zu erfüllen und kann’s mir nicht erlauben, meinen guten Ruf zu verlieren, wenn meine Kunden vergebens auf ihre Lieferungen warten.«

Philips Miene verdüsterte sich. Sie hatten unnötig viel Zeit verloren, indem sie dem Seeweg gegenüber der Reise über die Alpen den Vorzug geben wollten.

»Vielleicht ist es möglich, die Pferde hier irgendwo unterzustellen«, schlug Lena vor. »Für die Reise nach Alexandria brauchen wir sie doch nicht, und vor Ort können wir auf das Gestüt deines Großvaters zugreifen.«

»Und das Packpferd?«

»Ein Pferd wäre möglich«, erklärte Säckerling. »Vielleicht sogar zwei. Aber nicht sieben.«

»Was meinst du, Philip? Saids Pferd und das Packpferd? Und wir stellen unsere Tiere bis zu unserer Rückkehr hier unter?«

Philip schwieg.

»Oder wir lassen das Packpferd hier und nehmen nur deinen Rappen und Saids Fuchs mit. Und das Gepäck verteilen wir auf euren Pferden.«

»Das könnte ich mir schon eher vorstellen«, brummte Philip. Lena lächelte. Sie hätte es wissen müssen. Ohne sein Pferd kam ihr Gatte sich nackt vor.

»Kennt Ihr einen zuverlässigen Mann, dem wir unsere Pferde für lange Zeit guten Gewissens anvertrauen können?«, fragte Philip den Kaufmann.

»Ihr solltet Hartmut von Viersen fragen. Er hat ein Gestüt vor den Toren der Stadt. Ich tätige oft Geschäfte mit ihm.«

»Also gut«, stimmte Philip zu. »Sechs Personen und zwei Pferde. Was verlangt Ihr für die Überfahrt nach Venedig?«

»Nun, da Ihr auf Empfehlung meines Vetters kommt, berechne ich Euch für die Pferde nur den Ladeverlust, den ich habe. Für die Überfahrt je Person einen Silberdenar, zwei, wenn Ihr eine eigene Kajüte beansprucht.«

»Einverstanden. Und nun noch eine Frage. Könnt Ihr uns ein gutes Gasthaus mit genießbarem Essen und sauberen Betten empfehlen?«

Wolfram schmunzelte. »Mein Schwager führt ein gehobenes Gasthaus. Es heißt Zur Eule. Nebenan findet Ihr auch eine gut beleumundete Badestube, die ich selbst vornehmen Frauen empfehlen kann.«

Bei dem Gedanken an ein heißes Bad seufzte Lena sehnsuchtsvoll auf. Philip schenkte ihr daraufhin ein Lächeln.

»Ich danke Euch, Herr Wolfram. Wir werden uns bei Eurem Schwager einquartieren, bis die Windsbraut in See sticht.«

Das Gasthaus Zur Eule hielt, was Wolfram Säckerling versprochen hatte. Es gab saubere Gästestuben, in denen frische Laken auf die Betten gezogen waren. Eine Annehmlichkeit, die nicht selbstverständlich war, wie Lena inzwischen erfahren hatte. Zudem genoss sie es, mit Philip allein eine Kammer zu teilen. Bei ihrer letzten Unterkunft hatte es nur eine große Schlafstube für alle Reisenden gegeben, und obwohl sie und Philip sich mittels eines Vorhanges aus Pferdedecken einen persönlichen Bereich geschaffen hatten, war es ihr unangenehm gewesen, zusammen mit so vielen Fremden zu nächtigen.

»Wollen wir gleich die Badestube aufsuchen?«, fragte sie, nachdem sie ihre Kammer in Augenschein genommen und für gut befunden hatten.

»Das hört sich verlockend an«, erwiderte Philip.

Das Badehaus lag unmittelbar neben dem Gasthof. Lena erkannte sofort, dass es überwiegend von wohlhabenden Gästen aufgesucht wurde, und die Frauen, die sie sah, machten allesamt einen gesitteten Eindruck, auch die Bademägde. Lena war noch nie in einem öffentlichen Badehaus gewesen, sie kannte diese Einrichtungen nur aus Erzählungen. Und manche dieser Erzählungen waren äußerst pikant, gab es doch auch Badestuben, die eher Freudenhäusern glichen. Aber auch in den ehrbaren Häusern herrschte keine Trennung der Geschlechter, und Lena fragte sich, ob sie sich wohl hierhergewagt hätte, auch wenn es noch so vornehm war, wäre Philip nicht an ihrer Seite gewesen.

Eine der Mägde empfing sie freundlich und fragte nach ihren Wünschen. Frisches Wasser oder für den günstigeren Preis ein altes Bad ausbaden? Philip konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

»Frisches Wasser, echte Seife und alles, was dazugehört. Nur für meine Frau und mich.«

Die Bademagd verneigte sich leicht und bat die beiden, ihr zu folgen. Erleichtert stellte Lena fest, dass ihr Ziel ein Bereich war, in dem kleinere Zuber standen, ausreichend gerade einmal für zwei Personen. Jeder dieser Zuber war von den übrigen durch geflochtene Trennwände abgeschirmt, und es konnte auch ein Vorhang vorgezogen werden. Lena erinnerte sich, was sie alles darüber gehört hatte. Manchmal trafen sich Kaufleute oder Ratsherren, um Geschäfte im Badehaus zu tätigen. Und die wollten natürlich ungestört sein.

Die Magd füllte einen der Zuber mit Wasser und brachte dann ein großes Tablett, auf dem nicht nur Seife und trockene Tücher lagen, sondern auf dem auch ein kleiner Krug mit Wein und zwei Becher standen. Sie stellte das Tablett quer über die Mitte des Zubers und hakte es fest, sodass es als Tisch dienen konnte.

»Das schätze ich immer besonders«, sagte Philip mit Blick auf den Wein und entkleidete sich. Die Magd lächelte, dann verschwand sie und zog den Vorhang zu. Erst jetzt legte auch Lena ihre Kleidung ab.

Das Bad war angenehm warm. Lena rekelte sich wohlig in dem duftenden Wasser. Philip saß ihr gegenüber und goss sich einen Becher Wein ein.

»Du hättest Said sehen sollen, als wir das erste Mal eine Badestube aufgesucht haben«, sagte er lachend, während sich ihre Beine unter Wasser berührten. »Er war entsetzt angesichts dieser Freizügigkeit.«

»Dann war es wohl ein lockeres Haus?«

»Nein, ganz ähnlich wie dieses. In Ägypten herrschen völlig andere Sitten. Dort würde eine anständige Frau niemals eine Badestube aufsuchen. Zuerst dachten wir auch, es seien Huren, aber dann mussten wir erkennen, dass die Männer hier anscheinend keine Eifersucht kennen, wenn sie zusammen mit ihren Ehefrauen die Badehäuser aufsuchen.«

»Jedenfalls nicht die, die es ihren Frauen erlauben.« Lena lehnte sich zurück und tauchte ihr langes blondes Haar unter, bevor sie nach der Seife griff. »Ich war noch nie in einer öffentlichen Badestube.«

»Weil jemand etwas dagegen gehabt hätte?«

»Nein, weil es einfacher war, daheim ein Bad zu nehmen.« Sie lächelte ihn an. Es gefiel ihr, mit ihrem Gatten in dem großen Zuber zu sitzen, sich vom Staub der langen Reise zu reinigen und ihn dabei zu betrachten. Ihr Blick fiel auf die alte Narbe über seinem Herzen. An der gleichen Stelle war auch sie gezeichnet. Durchbohrt von Barbarossas Schwert, das ihr Herz nur knapp verfehlt hatte. Damals, als er ihren Hochzeitszug überfallen und ihren Bräutigam Martin getötet hatte. War es wirklich erst zwei Jahre her?

»Du hast mir nie erzählt, woher die Narbe auf deiner Brust stammt«, sagte sie zu Philip.

»Du hast mich nie gefragt.«

»Weil ich weiß, wie schwer es ist, über manche Ereignisse zu sprechen.«

»Ich war damals neunzehn.« Er trank einen Schluck Wein. »Du kennst ja das Buch des Wissens, aus dem ich meine Kenntnisse über das schwarze Pulver und einiges andere habe.«

Lena nickte. Er hatte ihr das kostbare Buch vor Langem gezeigt, aber es war in arabischer Sprache verfasst, sodass sie es seinerzeit noch nicht lesen konnte. Es enthielt geheimnisvolles Wissen, Rezepturen, mit deren Hilfe alles mit Rauch und Schwefel in die Luft fliegen konnte. Philip hatte ihr erklärt, es handle sich um keine Zauberei, sondern nur um die genaue Anwendung ausgeklügelter Wissenschaften.

»Das Buch gehörte einst dem alten Kadir. Einem Muslim, den ich wie meinen eigenen Großvater liebte und für den ich wohl wie ein Enkel war. Deshalb vermachte er es mir kurz vor seinem Tod. Damit es seinem leiblichen Sohn, einem gewissen Khalil, niemals in die Hände fiel.«

»Warum nicht?«

»Khalil war von grausamem Wesen und ging keinem ehrbaren Handwerk nach. Kadir hatte ihn deshalb verstoßen. Doch Khalil wusste von dem Buch. Und er erfuhr, dass ich es bekommen hatte. Deshalb lauerte er mir eines Abends in einer engen Gasse vor unserem Haus auf. Drei gegen einen. Zwei habe ich erwischt, aber Khalil war schneller als ich.« Gedankenverloren strich Philip mit der Hand über die alte Narbe. »Bevor er mir den endgültigen Todesstreich versetzen konnte, sank er selbst zusammen. Said hatte meine Schreie gehört und war nach draußen gestürmt. Er streckte Khalil von hinten nieder und rettete mir so das Leben. Seither trage ich diese Narbe als Erinnerung an den Tag, da Said und ich das erste Mal menschliches Blut vergossen haben.« Er stellte den Weinbecher ab. »Reichst du mir die Seife?«

Lena kam seiner Aufforderung nach. »Du hast einen hohen Preis für das Buch gezahlt.«

»Ich habe den Preis nicht für das Buch gezahlt, sondern für meine Freundschaft zu Kadir. Sein Sohn war einer jener verbohrten Männer, die es für gottlos halten, wenn ein Christ und ein Muslim befreundet sind.«

»Wie Ulf von Regenstein«, merkte Lena in Erinnerung an Philips ärgsten Widersacher an.

»Gegen Khalil ist Ulf von Regenstein zahm wie eine blumenpflückende Jungfer. Ich bin froh, dass Said Khalil damals getötet hat.«

»Immerhin hat Ulf von Regenstein dir die rote Thea auf den Hals gehetzt, um dich zu töten.«

»Das behauptete sie doch nur, um mich um den Finger zu wickeln.« Philip tauchte kurz unter, um die Seife abzuspülen. »Du hast sie doch gesehen«, fuhr er fort. »Sie hatte alles verloren und war verwundet. Wenn wir ihr nicht geholfen hätten, wäre sie jetzt tot.«

Lena nickte. »Ich frage mich nur, warum sie dein Angebot nicht angenommen hat und auf Burg Birkenfeld geblieben ist.«

Ein flüchtiges Lächeln huschte über Philips Züge. »Weil sie nicht bekommen hat, was sie wollte.« Er trank einen weiteren Schluck Wein.

»Und was wollte sie?«

»Dass ich sie nach Ägypten mitnehme.«

»Was? Warum hast du mir das nicht früher erzählt?«

»Wozu? Glaubst du, ich hätte auch nur einen Augenblick lang ernsthaft darüber nachgedacht?«

Lena lehnte sich in dem Zuber zurück. Sie erinnerte sich an ihre Eifersucht, als sie die rote Thea vor über einem Monat im Wald gefunden hatten. Bewusstlos im Schnee, mit einem Armbrustbolzen in der linken Schulter. Als Philip sie hochgehoben hatte, beinahe zärtlich. Und obwohl der Verstand ihr sagte, dass er Thea nur aus christlicher Nächstenliebe half, war ein winziger Stachel in ihrem Herzen zurückgeblieben. Philip hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass Thea seine Geliebte gewesen war. Lena hatte sich immer eingebildet, daran würde sie sich nicht stören. Was vor ihrer Ehe mit Philip geschehen war, sollte keine Bedeutung haben, schließlich nahm er seinen Treueschwur sehr ernst und hatte ihr bislang keinen Grund zur Eifersucht gegeben. Dennoch … was der Verstand sagte, war etwas ganz anderes als das, was ihr Herz fühlte.

»Nein, gewiss nicht«, antwortete sie ihm. »Was sollte Thea auch in Ägypten? Karawanen überfallen?«

Sie lachten beide.

2. Kapitel

Die Lichtung war dunkler, als Thea sie in Erinnerung hatte. Der Wald holte sich den Ort ihrer Kindheit zurück. Überall wucherten Farne und die Schösslinge junger Bäume. Ein zerbrochenes Bierfass lag noch herum, aber das Holz war schwarz geworden und von Moos überzogen. Thea seufzte. Nur der heilige Stein war ganz geblieben, das Heiligtum der Ahnen mit seinen Spiralen, die in die Ewigkeit führten. Sie erinnerte sich an den Tag, als ihr Blut durch die Rillen geflossen war. Auf der Suche nach dem von Philip. Ihre Blutlinien hatten sich nicht getroffen. Die Götter hatten entschieden. Er wird nicht an deiner Seite bleiben.

Theas Blick fiel auf die verkohlten Balken. Mehr war von den Hütten nicht übrig geblieben. Für einen Augenblick hörte sie wieder das Lachen, das diesen Platz seinerzeit erfüllt hatte. Meist nach einem gelungenen Überfall, wenn das Bier in Strömen geflossen oder die Jagd erfolgreich gewesen war. Dann brannten die vier großen Feuer, über denen Wildschweine und Hirsche gebraten wurden. Die Männer zeigten sich gegenseitig ihre Beute, und an manchen Tagen sah es in dem Räuberlager aus wie im Kontor eines reichen Kaufmannes. Einmal war sie sogar auf Seidenballen herumgeklettert. Drei oder vier Jahre alt war sie da gewesen. Zu jener Zeit hatte ihr Vater ihr noch Geschichten am Feuer erzählt. Damals, bevor ihre Mutter ihn endgültig zurückgewiesen und seine Seele vergiftet hatte. Es waren glückliche Erinnerungen. Nur die wollte sie sich ins Gedächtnis zurückrufen. Nicht die bitteren Momente, die später folgen sollten.

Thea stieg wieder in den Sattel ihres Pferdes. Es war das letzte Mal, dass sie zurückgekehrt war. Ihr Vater, der gefürchtete Räuber Barbarossa, war nur noch eine Legende. Eine vergessene Legende. Von seiner Bande war nichts geblieben. Nur sie und ihre Ziehmutter Gundula. Heidnisch durch und durch, hatte Gundula Thea von frühester Kindheit an zur Ablehnung jener Lehren angehalten, welche die christliche Kirche predigte. Wodan und Freya waren Gundulas Götter. Ihnen opferte sie, von ihnen erhielt sie ihre Macht. Und Thea, die sich von der eigenen Mutter verraten gefühlt hatte, war nur allzu bereit gewesen, sich Gundulas Glauben anzuschließen. Der christliche Himmel kümmerte sie nicht. Eine Schwertmaid gehörte nach Walhalla.

Gundulas Hütte lag eine gute Reitstunde von den Überresten des alten Räuberlagers entfernt, am Rand einer Lichtung inmitten der dichten Wälder, aber doch noch so nahe an der Bode, dass bei günstigem Wind das Rauschen des Flusses zu hören war.

Aus der Esse der kleinen Kate stieg Rauch auf. Thea zügelte ihr Pferd, sprang aus dem Sattel und band das Tier fest.

Gundula hatte ihr Kommen bemerkt und trat aus der Tür.

»Thea! Ich dachte schon, du seist tot!«

»Nicht vor meiner Zeit.« Thea lachte und schüttelte ihr langes rotes Haar. »Du hast mir doch geweissagt, ich würde das Erbe des Löwen antreten.«

»Aber nicht so, wie du es dir erträumst.«

»Und nicht an seiner Seite, ich weiß.« Thea seufzte. Dann folgte sie Gundula in die Hütte. Über dem Herdfeuer brodelte ein Kessel, aus dem ein seltsamer Geruch aufstieg. Vermutlich wieder einer dieser Zaubertränke, die Gundula so gern an abergläubische Bauern verkaufte. Die meisten dieser Tränke waren wirkungslos. Allerdings war die Alte dafür bekannt, gefährliche Gifte und Tränke brauen zu können, mit denen sich Frauen vor Empfängnis schützten oder die ungewollte Leibesfrucht abtöteten.

»Du hast gewiss Hunger, Kind.« Ohne Theas Antwort abzuwarten, setzte Gundula ihr eine Schüssel Linsensuppe und einen Kanten Brot vor. Gierig griff Thea zu. »Hast du noch, was ich dir zur Verwahrung gab?«, fragte sie, während sie ein Stück Brot abbrach und in die Suppe tunkte.

»Was glaubst denn du? Natürlich, Thea.« Die alte Frau schlurfte in eine Ecke der Hütte und öffnete eine Holztruhe. »Wie viel brauchst du?« Gundula hob einen prall gefüllten Geldbeutel heraus.

»Alles.«

»Alles?«

»Ich will das Land verlassen.«

»Das Land? Bist du närrisch?«

»Nein, ganz im Gegenteil. Ich habe einen Auftrag.«

Gundula musterte Thea mit scharfem Blick. »Hast du dich wieder mit Ulf von Regenstein eingelassen? Ich habe dir doch schon so oft gesagt, dass der Mann nichts taugt.«

Thea hasste es, wenn Gundula sie durchschaute.

»So? Warum hast du meinem Vater dann nicht widersprochen, als er mich ihm als Frau zur linken Hand gab?«

»Weil ich damals noch annahm, es sei das Beste für dich.« Gundula reichte Thea den Geldbeutel. »Du warst doch völlig verwildert. Ich dachte, es täte dir gut, wie eine Frau zu leben und nicht ganz zum Jungen zu werden.«

»Als Liebhaber ist er nicht zu verachten«, sagte Thea lächelnd. »Wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn er nicht mit der grässlichen Irmela verheiratet wäre.«

»Du hast dich also wieder mit ihm eingelassen.«

»Warum nicht? Er ist ein einflussreicher Verbündeter.«

»Aber auch einer ohne Skrupel.«

»Darin gleichen wir uns.«

Die Alte schüttelte den Kopf. »Nein, Thea. Du hast ein Herz, auch wenn du nur selten darauf hörst.«

»Das hat der Regensteiner auch.« Thea dachte daran, wie Ulf sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel gewischt hatte. Damals, vor Jahren, als … Sofort unterdrückte sie die Erinnerung. Es gab vieles, woran sie nie mehr denken wollte. Und schon gar nicht daran.

»Was hast du mit ihm ausgemacht?«

»Nichts, das dich kümmern sollte.«

»Du weißt, mir liegt dein Wohl am Herzen.«

»Dann gib mir noch etwas von deinen Tränken mit auf die Reise. Du weißt schon, welche ich meine.«

»Sagst du mir wenigstens, wohin es gehen soll?«

»Zunächst nach Hamburg. Wie ich hörte, schiffen sich dort gute Bekannte von mir nach Venedig ein.«

»Du willst Graf Philip nachreisen? Warum?«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Thea, für wie dumm hältst du mich? Die ganze Gegend spricht davon, dass der Graf mit seiner Frau und seinem heidnischen Freund nach Ägypten reisen will. Von Hamburg nach Venedig und dann nach Ägypten.«

»In dieser Gegend wird ein bisschen zu viel geschwatzt. Nun ja, das ist auch Hinnerk zum Verhängnis geworden.« Thea schlürfte die Suppe. »Hätte er’s Maul gehalten, hätten sie uns keine Falle stellen können.«

»Ich habe mich schon gewundert, wo du so lange warst. Die Bauern erzählen, dass Joachim letzte Woche hingerichtet wurde.«

»Kann schon sein.«

»Kann schon sein, kann schon sein«, äffte Gundula ihre Besucherin nach. »Red gefälligst anständig mit mir! Also, was ist geschehen?«

»Wenn du es unbedingt willst. Du gibst sonst ja keine Ruhe.«

»So ist es, Kind.«

»Du kennst doch den Hohlweg, der von Alvelingeroth in Richtung Halberstadt führt, nicht wahr?«

Gundula nickte.

»Wir haben dort gewartet. Stundenlang. Die Kälte war kaum noch auszuhalten. Meine Zehen waren schon taub gefroren, und dann fing es auch noch an zu schneien. Ich habe Hinnerk gefragt, ob er sich sicher sei, dass die Kaufleute wirklich hier vorbeikämen.

Selbstverständlich, meinte er. Er habe die reichen Pfeffersäcke in der Dorfschenke beobachtet. Sein Gesicht war stark gerötet. Vermutlich hatte er wieder zu viel getrunken. Da hätte ich schon misstrauisch werden müssen. Aber als der Kaufmannswagen kurz darauf in den Hohlweg einbog, war ich beruhigt. Auf dem Bock saß ein einzelner Mann. Ich dachte, was für ein leichtsinniger Narr, und gab das Zeichen.

Hinnerk und Fritho griffen dem Gespann von vorn in die Zügel. Die drei anderen sprangen von hinten auf den Wagen. Hinnerk lachte noch, doch dann traf ihn ein Pfeil in die Brust. Unter der Wagenplane hatten sich Waffenknechte mit Armbrüsten verborgen. Wir waren hoffnungslos unterlegen. Fritho fiel als Nächster, dann Gero und Hannes. Nur der kleine Joachim wurde lebend überwältigt. Tja, und ich war zu langsam. Einer der Mistkerle sah mich, als ich mein Pferd herumriss, und traf mich mit seiner verfluchten Armbrust in die Schulter.« Thea bewegte die Finger der linken Hand. Immerhin war das Gefühl nach einigen Tagen zurückgekehrt. Anfangs hatte sie noch befürchtet, dauerhafte Folgen davongetragen zu haben.

»Wer hat dir geholfen?«

Thea schnaubte. »Unser edelmütiger Graf Philip von Birkenfeld. An Einzelheiten kann ich mich nicht mehr erinnern. Irgendwann stürzte ich erschöpft vom Pferd, und als ich wieder zu mir kam, war ich auf Burg Birkenfeld, und Philips arabischer Freund entfernte gerade den Pfeil aus meiner Schulter. Sie hatten mich im Wald aufgelesen und mitgenommen.«

»Philip ist ein anständiger Mann.«

»Anständig, ja? Er hat uns verraten, Gundula! Er ist schuld daran, dass mein Vater tot ist.«

»Ich wusste gar nicht, dass du deinen Vater so sehr geliebt hast«, bemerkte die Alte spöttisch. »Hat es dich nicht viel eher gekränkt, dass Philip eine andere geheiratet hat?«

»Ich hasse es, wenn du alles besser weißt!«

»Und warum willst du ihm dann nachreisen?«

»Ich habe meine Gründe.«

»Die du mir natürlich nicht verrätst. Ich weiß. Ich könnte sie dir ja ausreden.«

»Nein. Aber das ist eine Angelegenheit, die dich nichts angeht.«

Gundula seufzte. »Es ist gefährlich für eine Frau, allein auf eine so weite Reise zu gehen.«

Auf einmal fiel Thea auf, wie alt ihre Ziehmutter geworden war. Das Haar, das unter ihrer Haube hervorblitzte, war schneeweiß geworden. Im letzten Sommer war es noch blond gewesen.

»Für mich nicht.« Thea berührte den Knauf ihres Schwertes. »Mach dir keine Sorgen. Ich weiß mich zu wehren.«

»Es ist auch für einen alleinreisenden Mann gefährlich.«

»Möglicherweise. Aber ich beherrsche alle Waffen. Die der Männer und die der Frauen. Was soll mir da schon widerfahren?«

Gundula schüttelte den Kopf. »Ich kann dich also nicht davon abbringen?«

»Nein.«

»Dann lege ich dir wenigstens die Runen, damit du weißt, was dich erwartet.«

Darauf hatte Thea gehofft. Sie gab viel auf Gundulas Weissagungen, auch wenn jene, deren Erfüllung sie sich am meisten wünschte, vermutlich nie eintreten würde. Thea schob ihre Schüssel fort, und Gundula holte ein ledernes Säckchen hervor, das mit geheimnisvollen Symbolen bestickt war.

»Lieder kenn ich, die kann die Königin nicht«, murmelte die Alte, während sie das Säckchen behutsam schüttelte. »Und keines Menschen Kind. Hilfe verheißt mir eins, denn helfen mag es in Streiten und Zwisten und in allen Sorgen.«

Thea kannte die Worte. Sie entstammten Wodans Runenlied. Gundula hielt Thea das Säckchen hin und ließ sie eine verdeckte Rune ziehen. Es war Raido, das Sonnenrad. Wieder einmal, dachte Thea, denn es war nicht das erste Mal.

»Du kennst das Sonnenrad bereits«, sagte Gundula. »Es steht für Kampf und Entscheidung. Wähle weise. Alles hat sein Gegenteil, und Herausforderungen bringen ihren gerechten Lohn. So wie damals, als du Ulf von Regenstein verlassen hast und zur Bande deines Vaters zurückgekehrt bist.«

Thea nickte, obwohl es sie störte, dass Gundula sie an die alte Zeit erinnerte. Schweigend zog sie die zweite Rune.

»Kenaz, die Flamme. Du hast die Kraft, dich allem zu stellen, was dir widerfährt. Aber auch Kenaz steht für Entscheidungen. Du musst eine Wahl treffen, um wirklich frei zu werden.«

»Ich bin längst frei«, widersprach Thea, doch Gundula schüttelte nur den Kopf und ließ Thea die dritte und letzte Rune ziehen.

»Naudhiz, das Schicksal«, sagte sie und sah Thea tief in die Augen. »Du wirst ernten, was du gesät hast. Sorg dafür, dass die Aussaat gut war, dann wirst du finden, was du dir immer erträumt hast.«

»Und wenn meine Aussaat schlecht war? Werde ich dann sterben?«

Die alte Frau schob die Runen zusammen. »Jeder Mensch muss sterben. Aber du wirst nicht eher sterben, bis du das Erbe des Löwen angetreten hast.«

Thea erhob sich. »Ich danke dir, Gundula.«

»Du musst mir nicht danken.« Auch die Alte stand auf und holte ein Fläschchen hervor. »Für deine Reise«, sagte sie und drückte es Thea in die Hand. »Leb wohl, mein Kind.«

Ein Schauer rieselte Thea über den Rücken. Es klang so endgültig, ganz so, als werde sie ihre Ziehmutter niemals wiedersehen. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit zog sie Gundula in die Arme und drückte sie fest an sich.

»Du warst mir mehr Mutter als meine leibliche Mutter«, flüsterte sie. »Ich liebe dich.«

»Ich weiß, mein Kind. Ich werde zu den Göttern beten, dass du bekommst, was du dir wünschst.«

»Wirst du ihnen ein Huhn opfern?«

»Drei Hühner, wenn es sein muss. Und nun geh. Das Leben erwartet dich, nicht der Tod.«

3. Kapitel

Endlich!«, begrüßte Said Philip und Lena, als sie in den Gasthof zurückkehrten. »Wir dachten schon, ihr wärt ertrunken.«

»Ihr hättet die Zeit ebenso gut nutzen können«, hielt Philip ihm entgegen. »Ein Bad hätte euch auch nicht geschadet.«

»Das ist also der Dank dafür, dass wir die Pferde schon bei Hartmut von Viersen untergestellt haben?« Said musterte Philip angriffslustig.

»Zu einem äußerst geringen Preis«, fügte Bertram hinzu. »Ich war tief beeindruckt, wie Said ihn heruntergehandelt hat.«

»Ja, von Said kann man in dieser Hinsicht viel lernen«, gab Philip zu. »Obwohl ich mich da an eine Geschichte erinnere, als …«

»Verschon uns damit!«, unterbrach Said ihn. »Wir sind hungrig und warten die ganze Zeit nur auf euch.«

In der Wirtsstube hatten sich zahlreiche Gäste eingefunden. Überwiegend waren es Männer in vornehmer Kleidung, aber Lena entdeckte auch einige Frauen. Das Gasthaus Zur Eule schien nicht nur bei Durchreisenden, sondern auch bei den Einheimischen beliebt zu sein. Hier wurden Geschäftsabschlüsse getätigt und über die Politik der Stadt gesprochen, wie Lena den Wortfetzen, die zu ihr herüberwehten, entnehmen konnte.

Sie saßen zu sechst am Tisch, denn für Philip war es selbstverständlich, dass Witold und Rupert während der Reise mit ihnen speisten. Lena schätzte diese Eigenschaft, erinnerte es sie doch an ihren Vater, der stets gefordert hatte, wer gemeinsam arbeite, solle auch gemeinsam essen.

Zu Beginn der Reise waren die beiden Waffenknechte noch sehr zurückhaltend gewesen. Sie waren es nicht gewohnt, beinahe gleichberechtigt an der gräflichen Tafel zu sitzen, auch wenn sie aus ritterbürtigen Familien stammten. Witold und Rupert teilten das Schicksal vieler nachgeborener Söhne. Ihre Väter hatten nicht das Geld, allen ihren Söhnen die kostspielige Ausbildung zum Ritter zu ermöglichen, und so mussten sie sich bei hohen Herrschaften als Waffenknechte verdingen. Ein Los, mit dem sie jedoch recht zufrieden waren, zumal es sie mit Stolz erfüllte, dass ausgerechnet sie ihren Grafen nach Ägypten begleiten durften.

Philip ließ sich nicht lumpen – er bestellte für alle Lammbraten und zwei Krüge Wein. Nur Said hielt sich seines Glaubens wegen an gesäuertes Wasser.

Es war eine lustige Tischgesellschaft. Witold und Rupert hatten in den letzten Tagen ihre Schüchternheit verloren und beteiligten sich rege an der Unterhaltung, auch wenn Philip das Wort führte und von den Wundern Alexandrias sprach, die sie alle bald mit eigenen Augen sehen würden. Einzig Bertram wirkte in sich gekehrt. Zunächst war es Lena gar nicht aufgefallen, aber dann bemerkte sie, dass er stumm auf die Mahlzeit vor sich starrte und ihrem Blick auswich. Sie wollte ihn schon darauf ansprechen, als sie von der Straße her Geschrei hörte.

»Packt sie! Für loses Gelichter haben wir hier einen eigenen Ort!«

»Fass mich nicht an, oder ich reiß dir die Eier ab!«, brüllte eine Frau. Lena zuckte zusammen. Diese Stimme … Nein, das konnte nicht sein! Oder etwa doch?

Sie sprang auf und eilte zur Tür. Philip war gleichzeitig mit ihr hochgefahren. Natürlich hatte auch er die Stimme sofort erkannt.

Lena riss die Tür auf und erkannte Thea im Handgemenge mit drei Bütteln. Ringsum hatten sich Neugierige versammelt und starrten gebannt auf das Geschehen. Eine Frau mit einem Korb spie verächtlich auf den Boden. »An den Pranger mit ihr!«, kreischte sie.

Mehrere Männer klatschten Beifall.

»Was tut ihr da?«, rief Lena, ohne nachzudenken. »Lasst sie los!«

Beim Anblick der jungen Frau hielten die Büttel inne. Die Rufe der armen Bevölkerung waren sie gewohnt, aber dass sich eine vornehme Dame einmischte, versetzte sie in Erstaunen.

Wie um alles in der Welt war Thea hierhergekommen? Und auf welche Weise hatte sie die Aufmerksamkeit der Büttel auf sich gezogen? Ob es ihre seltsame Kleidung war, die Anstoß erregt hatte? Zwar trug sie ein Kleid, das allerdings an der Seite geschlitzt war, und darunter waren Beinlinge zu erkennen. Zu allem Überfluss hatte Thea ihr Schwert wie ein Ritter um die Hüften gegürtet.

»Mischt Euch nicht ein! Diese streunende Diebin bekommt nur, was ihr zusteht.«

»Hat sie Euch bestohlen?«, fragte Lena.

»Nein, aber … aber woher sollte sie sonst ein Pferd haben?« Der Büttel wies auf Theas Schimmel. »Außerdem trägt sie ein Schwert. Das ist Weibsbildern verboten!«

»An den Pranger mit ihr!«, schrien inzwischen schon mehrere Zuschauer. Ein Gassenjunge hob einen Pferdeapfel auf und zielte auf Thea, doch die wich geschickt aus, und das Geschoss prallte gegen eine Mauer.

»Ihr müsst meiner Base vergeben, sie ist nicht ganz richtig im Kopf, aber sie ist von vornehmem Geblüt«, entgegnete Lena, der in der Eile nichts Besseres einfiel.

»Eure Base?«

»Ganz recht, sie ist die Base meiner Gattin«, sprang Philip ihr bei. »Und auch wenn sie sich seltsam gebärdet, so ist sie doch alles andere als eine Diebin.«

»Hört Ihr? Er muss es ja wissen.« Thea lächelte die Büttel schadenfroh an. »Und nun lasst mich in Ruhe!«

»So einfach ist das nicht«, wandte einer der Männer ein. »Eure Base hat nicht nur gegen die Kleiderordnung verstoßen, sondern trägt außerdem ein Schwert. So etwas wird nicht geduldet und zieht schwere Bestrafung nach sich.«

Philip griff nach seinem Geldbeutel. »Hier, nimm das – als Entschädigung für eure Mühen.« Er reichte dem Mann einen Silberdenar. Vermutlich mehr, als alle drei Büttel in einem Monat verdienten. »Ich kümmere mich selbst um die Base meiner Frau.«

»So einfach ist das nicht, Herr«, wiederholte der Büttel. »Wir haben unsere Pflichten und müssen für Ordnung sorgen.«

Philip zog einen zweiten Silberdenar hervor. »Wir werden die Stadt übermorgen verlassen, und ich verspreche, dass sie euch bis dahin nicht mehr unter die Augen tritt. Genügt das?«

»Nun ja, aber …«

Philip zog einen dritten Silberdenar hervor. Die Augen der Männer leuchteten auf. Ein Silberdenar für jeden!

»Ja, Herr! Wenn Ihr versichert, dass Ihr in zwei Tagen die Stadt verlasst und wir dieses Weib nicht wieder zu Gesicht bekommen, wollen wir die Sache vergessen.«

Die alte Frau mit dem Korb schrie noch einmal nach dem Pranger, doch die Silberdenare hatten ihre Wirkung erzielt.

»Halt’s Maul, alte Vettel, sonst wirst du für dein Gebrüll an den Pranger gestellt!«, rief der Büttel. »Und ihr anderen verschwindet auf der Stelle! Es gibt nichts mehr zu gaffen.«

»Nun, dann komm, Base!«, zischte Philip und zog Thea am Oberarm in die Gaststube. Lena zögerte. Hatte sie ihren Gatten durch ihr eigenmächtiges Handeln verärgert? Zwar war er ihr zu Hilfe geeilt, aber sie wusste, dass er vor Fremden immer zu ihr stehen würde, ganz gleich, was er wirklich dachte.

Philip rief nach dem Schankjungen und befahl ihm, Theas Pferd in den Stall zu bringen. Dann führte er die Räuberin an den Tisch, und auch Lena nahm ihren Platz wieder ein. Sie suchte Philips Blick, doch seine ganze Aufmerksamkeit galt Thea.

»Das ist nicht dein Ernst!«, rief Said, als er Thea sah. Die zog sich mit einem Lächeln einen Stuhl heran.

»So, und nun erzähl uns, was du angestellt hast!«, forderte Philip sie auf. Der Zorn in seiner Stimme war nicht zu überhören, aber Thea ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Lena hatte es nicht anders erwartet. Vermutlich fand die Räuberin Philips Zorn sogar noch unterhaltsam.

»Nichts.« Thea setzte den treuherzigen Blick einer unerfahrenen Jungfer beim Kirchgang auf. »Die Kerle sind zudringlich geworden.«

»Die Kerle, wie du sie nennst, sind städtische Büttel. Sie vertreten das Gesetz in dieser Stadt.«

Thea hob die Schultern. »Wenn du meinst. Bekomme ich auch ein Stück vom Braten und einen Becher Wein?«

»Nur wenn du mir endlich antwortest.«

»Aber das habe ich doch schon getan.« Ein Blick aus unschuldigen Augen traf Philip. »Ich weiß auch nicht, warum die Büttel so hässlich zu mir waren.«

Said machte ein Geräusch, das sowohl ein Niesen als auch ein unterdrücktes Lachen sein konnte.

»Vermutlich war es dumm von mir, dich freizukaufen«, knurrte Philip. »Zwanzig Rutenschläge und der Pranger hätten dir nicht geschadet.«

»Nur hättest du es nicht mit ansehen können, habe ich recht?« Sie griff nach Philips Becher und nahm einen tiefen Schluck.

»Was fangen wir mit ihr an?«, fragte Said auf Arabisch.

»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Philip in derselben Sprache. »Aber wir können sie schlecht hierlassen, sie wird nur wieder in Schwierigkeiten geraten.«

»Was ganz allein ihre Schuld wäre, nicht unsere.«

»Nur wird es diesmal auf uns zurückfallen, schließlich glauben die Büttel, sie sei Lenas Base. Und ich will meinen Ruf in dieser Stadt nicht verlieren.«

»Bist du mir böse?«, fragte Lena. Die arabischen Worte kamen ihr dank Saids Unterricht in den letzten Monaten erstaunlich leicht über die Lippen, und auch dem kurzen Gespräch hatte sie mühelos folgen können.

Philip schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn du nicht eingeschritten wärst, hätte ich es getan.«

»Redet ihr über mich?«, mischte Thea sich ein. »Das könnt ihr auch gern in einer verständlichen Sprache tun.«

»Also gut. Als Erstes wirst du dich wie eine anständige Frau kleiden, und das Schwert verschwindet.«

»Wenn du es so möchtest. Und als Zweites?«

»Wirst du endlich den Mund halten!«

»Und wenn nicht?«

»Dann wird mir der Wirt behilflich sein, die irrsinnige Base meiner Gattin in seinem Keller einzusperren, damit sie uns nicht länger stört.«

Der drohende Ausdruck in Philips Blick brachte Thea zum Verstummen. Vermutlich hatte sie endlich begriffen, dass er es bitterernst meinte. Immerhin bekam sie doch noch ein Stück vom Braten und einen eigenen Weinbecher. Sie aß so schnell, als habe sie seit Tagen nichts bekommen.

»Warum bist du uns nachgereist?«, fragte Philip schließlich.

»Du wolltest doch, dass ich den Mund halte.«

»Nur wenn du nicht gefragt wirst.«

»Oh, der Herr Graf hat heute seinen strengen Tag!« Sie funkelte ihn spöttisch an.

»Wir nehmen dich nicht mit nach Ägypten, falls du dir das so vorgestellt hast.«

»Das verlange ich auch gar nicht. Allerdings war ich schon bei einem gewissen Wolfram Säckerling, ehe mir diese ungehobelten Kerle über den Weg gelaufen sind. Und habe ihm zwei Silberdenare für eine Überfahrt nach Venedig auf seiner Windsbraut übergeben.«

»Du hast was?«, brüllte Philip. »Das glaube ich einfach nicht! Woher hattest du das Geld?«

Etliche Köpfe an den Nachbartischen wandten sich zu Philip um. Lena stieß ihn an. »Nicht so laut!«, raunte sie. Er nickte kaum merklich.

»Du hast also doch gestohlen!«

»Nein.« Thea griff unter ihr Gewand und zog einen Lederbeutel hervor. »Kennst du den?«

»Das Geld, das ich dir im letzten Jahr gegeben habe? Aber du hast doch gesagt …«

»Ja, ich rede manchmal viel.« Sie lächelte ihn liebenswürdig an. »Ich hatte es gut versteckt, damit meine Männer es nicht finden und versaufen konnten.«

»Du bist wirklich …« Philip brach ab und schüttelte den Kopf.

Lena schob das Holzbrett von sich, auf dem das Bratenstück gelegen hatte. »Komm, Thea, du solltest dir eine Kammer nehmen, und dann helfe ich dir, dich vernünftig zu kleiden, damit du keinen Anstoß mehr erregst.«

»Wie edelmütig!« Spott leuchtete aus Theas Augen, und zum wiederholten Mal fragte Lena sich, was die Räuberin wohl über sie dachte. Ein Hauch von Verachtung war immer spürbar, aber dahinter lag noch etwas anderes. Lena hatte es schon auf Burg Birkenfeld gespürt. Hinter dem Panzer aus Verachtung und Überheblichkeit verbarg sich eine verletzliche Frau. Eine Frau, die sich von Philip verraten und zutiefst gedemütigt fühlte. Er hatte nicht nur das Räuberlager ihres Vaters ausgehoben, sondern sich vor allem auch einer anderen Frau zugewandt. Dennoch folgte Thea Lena ohne Widerworte. Der Gastwirt hatte eine freie Kammer übrig, die er Thea gegen gute Bezahlung bereitwillig vermietete.

»Hast du noch ein anderes Kleid als dieses?«, fragte Lena, nachdem Thea ihr Bündel geholt und auf die Bettstatt geworfen hatte.

»Was ist daran auszusetzen?«

»Beispielsweise der weite Schlitz, durch den deine Männerkleidung zu sehen ist.« Lena wies auf die Beinlinge.

»Wie hätte ich wohl sonst reiten sollen? Ich bin eben keine feine Dame wie du, die sich wie ein Pfaffe im Seitsattel führen lässt.«

Lena lächelte. »Mein Sambue ist ein besonderer Sattel. In der Stadt nutze ich ihn wie die edlen Damen, aber im Gelände wird die Fußstütze entfernt, und stattdessen werden Steigbügel angeschnallt, damit ich rittlings sitzen kann.«

»Und wie gelingt dir das mit deinem Kleid?«

»Es gibt auch schickliche Beinkleider für Damen. Sie erinnern ein wenig an die Hosen der einfachen Bauern, sind aber aus besserem Stoff gefertigt und weiter geschnitten.«

»Warum mutest du dir dann in der Stadt diesen lächerlichen Aufzug zu?«

»Damit die Büttel höflich bleiben.« Lena zwinkerte Thea zu und beobachtete, wie diese ein Lächeln zu unterdrücken versuchte.

»Dass du Krallen hast, habe ich schon gemerkt«, gab die Räuberin zu. »Auch wenn du sie viel zu selten benutzt.«

»Meinst du?«

»Du bist immer so edelmütig. Grauenhaft! Wie hält Philip es nur mit dir aus?«

»Vermutlich bin ich ihm lieber als eine Frau, die ihm im Schlaf die Kehle durchbeißen könnte, falls sie schlechte Laune hat.«

»Ist er deshalb so garstig zu mir? Weil er Angst hat?« Theas Augen leuchteten.

»Er hat keine Angst vor dir«, widersprach Lena. »Aber genug davon. Hast du nun andere Kleidung dabei oder nicht?«

Thea ergriff das Bündel und reichte es Lena.

»Sieh selbst nach!«

»Bin ich deine Magd?«

»Das wäre keine üble Vorstellung.«

Lena ließ das Bündel fallen. »Weißt du was, Thea? Es ist mir gleich, wie du herumläufst, solange du nicht nackt bist. Schließlich wissen alle, dass du meine irrsinnige Base bist. Ich wollte dir nur eine Gefälligkeit erweisen.«

»Ich bin auf deine Gefälligkeiten nicht angewiesen.«

»Ach nein? Was wäre geschehen, hätte ich vorhin nicht eingegriffen?«

Thea schnaubte verächtlich. »Die drei hätten ein paar kräftige Tritte in die Weichteile bekommen, und dann wäre Ruhe gewesen. Ich weiß, wie man mit solchem Geschmeiß umgeht.«

»Es sah aber ganz anders aus.«

»Manches sieht anders aus, als es ist.« Dann maß die Räuberin Lena mit prüfendem Blick. »Wie ist es eigentlich zu erklären, dass du seit bald einem Jahr Philips Frau bist und noch kein Kind hast? Bist du unfruchtbar, oder meidet er dein Bett?«

Heißes Blut stieg Lena in die Wangen, als Thea diesen wunden Punkt berührte, doch sie beherrschte sich. »Das hättest du wohl gern. Wie kommt es, dass du bei deinem Lebenswandel noch kein halbes Dutzend Bankerte hast?«

Thea lachte nur und hob ihr Bündel auf. »Du machst mir immer mehr Spaß. Dabei dachte ich bisher, Philip sei von euch beiden der Meister des Wortes.« Sie schnürte das Bündel auf und zog ein dunkles Reisekleid hervor. »Findest du, das ist besser geeignet?«

Theas rascher Umschwung verwirrte Lena. Meinte die Räuberin es wirklich ernst? Oder musste sie sich auf einen weiteren Angriff gefasst machen, der auf ihre verletzbarsten Stellen abzielte? Dennoch sah sie zu, wie Thea ihr Kleid auseinanderfaltete. Es war eine schlichte Suckenie, ein Oberkleid ohne Ärmel.

»Das ist annehmbar, wenn du eine passende Cotte dazu hast.«

»Habe ich.« Thea zog ein hellgraues Untergewand hervor, dessen Ärmel mit einer grünen Borte gesäumt waren. Recht ungewöhnlich, befand Lena, aber schicklich.

»Woher hast du diese Kleider?«, fragte sie.

»Die lagen dort, wo auch mein Geld versteckt war.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass du oft in Frauenkleidern unterwegs bist.«

»Wozu auch? Sie sind hinderlich bei meinem Handwerk. Es sei denn, es gilt einen Mann auszuhorchen.«

»Ich wusste gar nicht, dass du dazu überhaupt Kleider brauchst.«

Thea zog die Brauen hoch. »Gräfin Helena, Ihr werdet übermütig und verlasst den Boden der Schicklichkeit.«

»In deiner Gegenwart ist weder das eine noch das andere möglich.«

Thea schwieg. Lena sah ihr deutlich an, dass sie über eine schlagfertige Erwiderung nachdachte, doch anscheinend fielen ihr keine passenden Worte ein.

4. Kapitel

Philips Stimmung hatte ihren Tiefpunkt erreicht. Dabei hatte er sich so darauf gefreut, nach den langen Tagen der Reise endlich wieder eine ungestörte Nacht mit Lena verbringen zu können. Ihre Blicke im Bad waren vielversprechend gewesen – er wusste, dass es ihr genauso erging. Das Feuer zwischen ihnen brannte noch immer so heiß wie zu Beginn ihrer Ehe. Und doch konnte er nicht verhindern, dass sich Theas Bild vor sein inneres Auge schob. Dass sich die Erinnerung an ihren sündigen Leib und die leidenschaftlichen Stunden, die sie miteinander verbracht hatten, in seine Seele krallte. So heftig, dass er fast das Gefühl hatte, Lena in Gedanken zu betrügen. Und zu allem Überfluss schien Thea es zu wissen. Die Art, wie sie ihn angesehen hatte, wie sie einfach nach seinem Weinbecher gegriffen hatte. Herausfordernd und verführerisch zugleich. Philip hatte geglaubt, es sei vorbei, aber nun spürte er, dass Thea seine Gefühle noch immer beherrschte.

Zum Glück war es einfacher als gedacht, Lena etwas vorzumachen. Sie glaubte, er sei wütend auf Thea, ahnte nicht, dass er sich selbst für sein verbotenes Verlangen verachtete. Immerhin kam er in ihren Armen zur Ruhe und fand bei ihr die Erfüllung, nach der er sich gesehnt hatte. Vergessen konnte er Thea dennoch nicht, sosehr er sich auch bemühte.

Am nächsten Morgen schien ihm Thea schon vor seiner Kammer aufgelauert zu haben. Sie war erstaunlich schicklich gekleidet, trug eine dunkle Suckenie und darunter eine schlichte Cotte. Gelang Lena doch noch das Wunder, aus Thea eine anständige Frau zu machen? Schon bevor er den Gedanken zu Ende gebracht hatte, erkannte er, welch abwegige Vorstellung dies war.

»Ich brauche deine Hilfe«, sagte Thea und sah ihn wieder mit diesem unschuldigen Kinderblick an.

»So?« Philip verschränkte die Arme vor der Brust.

»Ich kann mein Pferd nicht mit auf die Reise nehmen, deshalb wollte ich es verkaufen. Aber ich fürchte, die Händler hauen eine schwache Frau wie mich gnadenlos übers Ohr.«

Vermutlich würdest eher du den Händlern die Ohren abhauen, dachte er. »Halt dich an Said, der wird das für dich regeln.«

»Ich verstehe.« Sie lächelte. »Du bist noch allzu erschöpft. Nun, das wundert mich nicht, schließlich war nicht zu überhören, dass du dich letzte Nacht am gräflichen Nachwuchs versucht hast.«

Er wusste, dass sie ihn reizen, ihn zu einer unbedachten Bemerkung verleiten wollte, die sie dann gegen ihn verwenden konnte.

»So etwas soll vorkommen«, entgegnete er gelassen.

Thea blieb vor ihm stehen, hielt seinem Blick stand und wich keinen Zoll zurück. Nun gut, dieses Spiel beherrschte er, er würde nicht nachgeben. Einige Augenblicke verstrichen, bis Thea begriffen hatte, dass sie an diesem Tag nicht gewinnen würde.

»Dann frage ich eben Said«, murmelte sie und ging an ihm vorbei. Natürlich nicht, ohne ihn dabei wie absichtslos zu berühren. Teufelsweib.

Zumindest ließ sie ihn für den Rest des Tages in Ruhe. Dennoch überlegte Philip, wie er sie loswerden konnte, aber ihm fiel keine Lösung ein. Wenn sie erst in Venedig wären, müsste er weiter die Verantwortung für sie übernehmen, ob er wollte oder nicht. Diese Vorstellung beunruhigte ihn ebenso wie sein unerwünschtes Verlangen nach ihr.

Die Windsbraut war eine mächtige Kogge, dennoch war der Raum knapp bemessen. Philip begriff, warum sie nur zwei Pferde mitführen durften. Sieben Rosse hätten den gesamten Laderaum beansprucht. So aber hatte der Kapitän des Schiffes, Godfryd Dührsen, eine Ecke des Laderaumes mithilfe von Strohballen in einen halbwegs annehmbaren Stall verwandeln lassen. Saids Fuchs scheute, als er über den Landesteg geführt wurde, aber der Araber hatte sein Tier fest im Griff. Philips Rappe folgte ohne Widerstand.

Während die Pferde gut versorgt waren, sah es für die Reisenden erheblich anders aus. Zwar hatte Wolfram Säckerling Philip und Lena eine eigene Kajüte zugesagt, aber was sie vorfanden, war ein winziger fensterloser Verschlag am Ende des Schiffes, unmittelbar unter der Kapitänskajüte. Er war so eng, dass nur eine Bettstatt Platz darin fand und man bei geschlossener Tür kaum vor dem Bett stehen konnte. Fast beneidete Philip die Gefährten, die es sich im Laderaum bei den Tieren gemütlich machten. Thea hatte sich dort sogar ein eigenes Reich geschaffen, indem sie etwas abseits hinter einigen Fässern ihre Schlafstatt aufgeschlagen hatte.

»Was ist?«, fragte Lena ihn, nachdem sie ihre Unterkunft in Augenschein genommen hatten. »Gefällt es dir nicht? Wenigstens stört uns hier niemand.« Sie warf ihm einen verführerischen Blick zu und dachte vermutlich an die leidenschaftliche Nacht, die hinter ihnen lag.

»Wenn du es so siehst«, erwiderte er und lächelte leicht gequält.

»Wir wussten, dass wir uns mit wenig Platz begnügen müssen«, sagte sie. »Immerhin sind die Laken sauber, und der Strohsack riecht frisch. Wer weiß, mit welchen Spelunken wir auf einer Reise über die Alpen hätten vorliebnehmen müssen.«

»Du bist eine bemerkenswerte Frau, Lena.«

Sie lachte. »Ich weiß.«

Zunächst ging es vom Nikolaifleet aus auf die Elbe. Die Sonne schien vom strahlend blauen Himmel, und so nutzten alle die Gelegenheit, sich an Deck aufzuhalten und die vorbeiziehende Landschaft zu betrachten. Nachdem sie die Stadt hinter sich gelassen hatten, waren überwiegend Wiesen zu sehen, und nur am Horizont zeigte sich der eine oder andere dunkle Streif, der einen Wald andeutete. Sie sahen Kühe und Schafe, aber keine Häuser.

»Warum haben sich keine Menschen am Fluss angesiedelt?«, fragte Lena Kapitän Godfryd, der sich zu ihnen gesellt hatte.

»Die Elbe ist ein launischer Fluss«, antwortete er. »Die Gezeiten machen sich schon hier bemerkbar. Im Frühling und Sommer ist es trügerisch ruhig, aber im Herbst und Winter tritt der Fluss oft über die Ufer, und die Sturmfluten sind überaus gefürchtet. Ihr habt gewiss die Deiche in Hamburg gesehen.«

»Ihr meint die grasbewachsenen Erdwälle? Ich hielt sie für Verteidigungsanlagen.«

»Das sind sie auch. Sie verteidigen die Stadt gegen die Kraft des Wassers. Irgendwann werden wir dem Fluss wohl auch dieses Land abtrotzen, aber bis es so weit ist, wird es nur für Viehweiden genutzt. Kein Bauer, der halbwegs bei Verstand ist, würde in Sichtweite des Flusses, ohne den Schutz eines Deiches, sein Haus errichten.«

»Wird das Land nicht fruchtbar durch die Überschwemmungen?«, fragte Philip. »In Ägypten feiern die Menschen die Nilschwemme, denn der Nilschlamm verspricht fette Ernten.«

»Die Sturmfluten pressen das Nordseewasser in den Fluss. Das Salzwasser ist schädlich für die Ernten.«

»Dann sind wir der Nordsee schon nahe?« Philip spähte in Fahrtrichtung des Schiffes, doch der Fluss zog sich vor ihnen her, so weit sein Blick reichte.

»Das dauert noch ein Weilchen. Die Windsbraut ist nicht so schnell wie ihr stürmischer Bräutigam.« Der Kapitän lächelte gutmütig, und zum ersten Mal fragte Philip sich, wie alt der Mann wohl sein mochte. Dreißig? Oder gar schon fünfzig? Wind und Wetter hatten sein Gesicht gezeichnet, aber in seinen Augen blitzte noch immer der Schalk der Jugend. »Wir werden Hadeln in etwa einer Stunde erreichen.«

»Hadeln?«

»Das Land um die Elbmündung. Jetzt ist’s wieder friedlich, aber vor Jahren haben sich noch die Askanier mit den Herzögen von Lauenburg um die Gegend gestritten. War keine schöne Zeit, um Waren zu verschiffen. Jeder wollte seinen Anteil abbekommen.«

»Ja, ja, die Askanier«, hörte Philip Thea hinter seinem Rücken flöten. »Hoffentlich hat der hochmütige Herzog von den Lauenburgern ordentlich was auf die Finger gekriegt.«

»Ihr seid nicht gut auf die Askanier zu sprechen?« Der Kapitän musterte Thea. Er schien nicht recht zu wissen, was er von ihr zu halten hatte.

»Der alte Herzog von Askanien war mein Großvater«, antwortete sie. Philip wunderte sich, dass Thea so freimütig über ihre Herkunft sprach. Godfryd hob überrascht die Brauen.

»Aber wir waren uns nie sonderlich zugetan«, fuhr Thea fort. »Im Gegenteil. Es gibt Männer, die lieben ihre Kinder und Enkel, ganz gleich, ob diese ehelich geboren wurden oder nicht. Und es gibt Männer, die ihre Bastarde am liebsten ersäufen würden. Der alte Herzog gehörte zu dieser Sorte.«

»Immerhin hat er Euch nicht ersäuft.« Der Kapitän kratzte sich verlegen am Hinterkopf.

»Ich kann schwimmen.« Thea lächelte.

Wider Willen zollte Philip Thea im Stillen Respekt dafür, wie sie den Kapitän nahezu beiläufig von ihrer edlen Abstammung in Kenntnis zu setzen verstand. Wenngleich aus einer Bastardlinie, aber das scherte das einfache Volk in diesem Land wenig, wie er inzwischen gelernt hatte.

Sie erreichten die Elbmündung eine gute Stunde später, so wie Godfryd es vorausgesagt hatte. Vor ihnen lag die Nordsee. Philip hatte bislang nur das Mittelmeer gesehen, das an hellen Sommertagen so grün leuchtete wie ein kostbarer Edelstein. Die Nordsee war anders, das Blau des Meeres wirkte bleiern und viel dunkler. Vielleicht lag es auch daran, dass der Himmel sich langsam mit schwarzen Wolken bezog und ein scharfer Wind die Wellen an den Strand peitschte.

»Wird es ein Unwetter geben?«, fragte er den Kapitän.

»Ich denke nicht. Höchstens leichten Wind und Regen.« Godfryd lachte, als freue er sich über die aufkommenden Winde.

Als die Windsbraut