Die Schuldfrage - René Keßler - E-Book

Die Schuldfrage E-Book

René Keßler

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Beschreibung

Das vorliegende Buch betrachtet die Krankengeschichte des deutschen Kaisers Friedrich III. unter dem Blickwin-kel eines HNO-Arztes mit langjähriger Berufserfahrung. Dabei kam es darauf an, den Gesamtverlauf zu betrachten und nicht nur auf die Rolle Mackenzies und Virchows ab-zustellen, wie es in einigen Quellen praktiziert wird. Be-sonders die Primärbehandlung des Leidens und der damit verbundene Zeitverlust verdient besondere Beachtung. Zudem muss das Geschehen im Kontext der damaligen medizinischen und technischen Möglichkeiten gesehen werden, in einer Zeit, als die HNO-Heilkunde noch in den Kinderschuhen steckte, es noch keine Endoskope oder Operationsmikroskope gab und als über die Natur bösartiger Geschwülste noch viel Unklarheit herrschte. Wurde bisher der Engländer Sir Morell Mackenzie als alleinverantwortlich für den frühen Tod des Kaisers an Kehlkopfkrebs angesprochen, so ergibt sich bei kritischer Durchsicht der Augenzeugenberichte und unter Würdigung der medizinischen Aspekte ein differenzierteres Bild. Danach kann als gesichert gelten, dass ein anderer Arzt, nämlich Professor Gerhardt, als Hauptschuldiger angesehen werden muss.

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Seitenzahl: 41

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Gewidmet

Herrn MR Dr. med. Dieter Neumann, Gera

Herrn Dr. med. Jörg Finsterer †, Gera

Herrn Prof. Dr. med. Dirk Eßer, Erfurt

Inhaltesverzeichnis

Vorwort

Die Geschichte

Medizinische Betrachtungen

Die Schuldfrage

Die Rolle Mackenzies

Versuch einer psychologischen Betrachtung

Eine Kette von Fehlern und Versäumnissen

Resümee

Die Protagonisten

Literatur

Kehlkopfuntersuchung zur Zeit Friedrichs des Dritten

Vorwort

Das vorliegende Buch betrachtet die Krankengeschichte des deutschen Kaisers Friedrich III. unter dem Blickwinkel eines HNO-Arztes. Dabei kam es darauf an, den Gesamtverlauf zu betrachten und nicht nur auf die Rolle Mackenzies und Virchows abzustellen, wie es in einigen Quellen praktiziert wird. Besonders die Primärbehandlung des Leidens und der damit verbundene Zeitverlust verdient besondere Beachtung. Zudem muss das Geschehen im Kontext der damaligen medizinischen und technischen Möglichkeiten gesehen werden, in einer Zeit, als die HNO-Heilkunde noch in den Kinderschuhen steckte, es noch keine Endoskope oder Operationsmikroskope gab und als über die Natur bösartiger Geschwülste noch viel Unklarheit herrschte.

Dennoch muss klar gesagt werden, dass sich die Krankengeschichte als eine Abfolge von Behandlungsfehlern, Fehldiagnosen und Grabenkämpfen unter den behandelnden Ärzten darstellt. Wurde bisher der Engländer Sir Morell Mackenzie als alleinverantwortlich für den frühen Tod des Kaisers an Kehlkopfkrebs angesprochen, so ergibt sich bei kritischer Durchsicht der Augenzeugenberichte und unter Würdigung der medizinischen Aspekte ein differenzierteres Bild. Danach kann als gesichert gelten, dass ein anderer Arzt, nämlich Professor Gerhardt, als Hauptschuldiger angesehen werden muss. Mackenzie wurde erst hinzugezogen, als die Primärtherapie keine Wirkung zeigte und der Tumor wahrscheinlich bereits umgebende Strukturen des Kehlkopfs infiltrierte. Sein Festhalten an der Gutartigkeit des Befundes fußte sicher nicht nur auf den histologischen Ergebnissen Virchows, seine persönliche Eitelkeit und mangelnde Selbstreflexion haben auch maßgeblich zu seinem Verhalten beigetragen.

Der Krankheitsverlauf wird anhand der Berichte der behandelnden Ärzte veranschaulicht und im Zusammenhang mit den jeweiligen Behandlungsmaßnahmen besprochen. Diskussionsgegenstand ist neben den therapeutischen Fehlentscheidungen und den diagnostischen Unterlassungen auch die Möglichkeit weiterer Erkrankungen, die den schicksalhaften Verlauf des Leidens des Kronprinzen und späteren Kaisers beschleunigt haben könnten.

Dr. med. René Keßler, Gera

im Sommer 2020

Die Geschichte

Seit Januar 1887 litt der preußische Thronfolger Friedrich Wilhelm von Hohenzollern an Heiserkeit. Der Berliner Kehlkopfspezialist Professor Gerhardt entdeckte bei einer spiegeltechnischen Untersuchung am 6. März, welche auf Veranlassung des Leibarztes Dr. Wegner durchgeführt wurde, ein längliches, blass-rotes, flaches Knötchen (ca. 2x4 mm) am linken Stimmband1. Die Stimmlippen insgesamt waren gering gerötet, ihre Beweglichkeit jedoch intakt, was Gerhardt in seinem Bericht explizit betont1. Nach qualvollen Versuchen, die von dem Berliner Arzt als primär gutartig angesprochene Veränderung mittels galvanokaustischer Behandlungen abzutragen, konnte der 56-jährige Kronprinz nur noch flüstern. Die ganze Prozedur des Abbrennens der sichtbaren Wucherungen war nicht nur ausgesprochen fragwürdig, sondern trotz der Bemühungen um eine Lokalanästhesie mit Kokain sehr schmerzhaft.

Prof. Gerhardt

Heute kaum noch nachvollziehbar wurde diese „Therapie“ im Frühjahr 1887 an einem der wichtigsten Mitglieder des Hauses Hohenzollern von Ende März bis zum 7. April nahezu täglich vorgenommen. Gerhardt konstatierte danach: „von dieser (Geschwulst, Anm. d. Autors) selbst nichts mehr“ zu sehen1. Innerhalb von vier Wochen, in denen der Prinz in Bad Ems zur Kur weilte, ohne dass ein erfahrender Kehlkopfspezialist ihn begleitete, wuchs die Geschwulst wieder nach, und es zeigte sich eine zunehmende Bewegungseinschränkung des linken Stimmbandes1. Gerhardt und der hinzugezogene Chirurg Ernst von Bergmann stellten am 16. Mai ohne histologischen Befund die klinische Diagnose Krebs und bereiteten für den 21. Mai die halbseitige Kehlkopfentfernung (Laryngofissur) vor1. Der damalige Kaiser Wilhelm I. verbot aber nach Intervention Bismarcks den Eingriff, weil das Einverständnis Friedrich Wilhelms nicht vorlag6. Der Kronprinz wurde von seinen Erstbehandlern nicht vollumfänglich über die Verdachtsdiagnose und die damit verbundenen therapeutischen Konsequenzen ins Bild gesetzt - somit ist die Verweigerung seines Einverständnisses für eine durchaus risikobehaftete Operation verständlich. Dies hatte auch Bismarck erkannt und den deutschen Ärzten zur Recht unterstellt, sie wollen "den Kronprinzen bewußtlos machen und die Exstirpation des Kehlkopfes vornehmen, ohne ihm ihre Absicht angekündigt zu haben"6.

Prof. v. Bergmann

Bereits in Bad Ems wurde wahrscheinlich auf Veranlassung eines dortigen Arztes die Konsultation eines weiteren Kehlkopfspezialisten ins Auge gefasst. Der Leibarzt Wegner brachte den Namen Morell Mackenzie ins Spiel2;4. Dieser unterhielt seit 1863 eine Klinik für Halskrankheiten in London und galt als ausgewiesener Experte. Keiner der behandelnden Ärzte glaubte daran, dass Mackenzie, welcher umgehend verständigt wurde, völlig anderer Meinung als sie sein könnte. Bis heute ist unklar, was oder wer Wegner zu diesem Vorschlag bewog. Jedoch kann als sicher gelten, dass die aus England stammende Kronprinzessin Victoria, eine Tochter der gleichnamigen Queen, eingedenk ihrer schlechten Erfahrungen mit deutschen Ärzten bei der Geburt des späteren Kaisers Wilhelm II. eine Rolle gespielt hat.

Und nun beginnt eine Kette von Merkwürdigkeiten, die auch heute noch Historikern und Medizinern Kopfzerbrechen bereiten. Nach eingehender Untersuchung des Patienten am 20. Mai 1887 gelangte Mackenzie zu dem Ergebnis, dass für Kehlkopfkrebs jeder Beweis fehle; vielmehr leide Friedrich Wilhelm unter einer gutartigen Geschwulst11