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Die Schwerter des Germanicus E-Book

Jörg Kastner

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Beschreibung

Die Geschichte der Römer und Germanen geht weiter. Oberbefehlshaber Germanicus ist der Verzweiflung nahe: Intrigen und Meuterei untergraben den Zusammenhalt seiner Legionen. Doch auch auf der Gegenseite ist das Heer uneins: Zusammen mit seinem Cheruskerfreund Arminius versucht der germanische Gaufürst Thorag die zerrütteten Stämme im Widerstand gegen die Römer zu vereinen. Der Höhepunkt der Intrigen ist erreicht als Thorag auf der Hochzeit von Arminius und Thusnelda des Verrats bezichtigt wird. Um seinem Blutsbruder seine Unschuld zu beweisen, stellt Thorag sich dem Gottesurteil, der Wodansprobe. Der blutigste Zweikampf seines Lebens beginnt ... Der fünfte Band der zwölfteiligen Romanserie »Die Saga der Germanen« von Jörg Kastner.

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Jörg Kastner

Die Schwerter des Germanicus

Folge 5 der 12-teiligen Romanserie Die Saga der Germanen

Historischer Roman

Kapitel 1 – Verräter und Lügner

Der Hügel mit der Adlerburg, der sich hoch über die umliegenden Wälder erhob, wirkte durchaus angemessen für den Sitz des Cheruskerherzogs. Das dachte auch Mallovend, der sein Pferd zügelte, um den Ort in Ruhe zu betrachten. Als Thorag seinen Rappen neben Mallovends Tier zum Stehen brachte, nahm die ganze Reisegesellschaft dies als Zeichen zum Halt. Es waren über hundert Menschen, die den Hohlweg weiter nach hinten ausfüllten, als man von der Spitze aus sehen konnte. Thorag hatte einen starken Kriegertrupp mitgenommen, um nicht noch einmal in eine Falle der Eberkrieger zu geraten.

Hätten seine Kundschafter nicht günstige Nachrichten gebracht, hätte Thorag sich gar nicht auf den Weg gemacht, Armins Hochzeit hin oder her. Aber die Späher meldeten, dass Gerolf den Ebergau längst in Richtung Hirschgau verlassen hätte, um der Vermählung beizuwohnen.

Argast machte Thorag darauf aufmerksam, dass dies eine günstige Gelegenheit für einen Gegenschlag sei. Ohne ihre Anführer Gerolf und Germar würden sich die Eberleute bei einem Angriff auf ihr Gebiet wohl nur unzureichend wehren. Thorag lehnte dies aus mehreren Gründen ab. Erstens wollte er nicht gerade in der Zeit von Armins Hochzeit das Cheruskerland mit einem Gaukrieg überziehen. Zweitens bestand noch immer die Möglichkeit, dass Germar die Abwesenheit seines Bruders ausgenutzt und eigenmächtig gehandelt hatte. Er hatte zwar davon gesprochen, die Gefangenen zu Gerolf zu bringen, doch dies bedeutete nicht notwendig das Einverständnis des Eberfürsten. Germar schwieg sich darüber beharrlich aus. Sie hatten ihn mitgenommen, um Gerolf auf der Adlerburg mit seinem Bruder und dessen Verhalten zu konfrontieren. Darauf war Thorag schon sehr gespannt.

Argast auch. Er hatte bedauert, nicht mitkommen zu können, aber eingesehen, dass sein Platz während Thorags Abwesenheit im Gau der Donarsöhne war. Sollten sich die Eberleute zu einem Überfall entschließen, würde Argast die Verteidigung leiten. Und nur die. Thorag hatte seinem Kriegerführer jeden Vergeltungsschlag auf das Gebiet der Eberleute untersagt.

„Die Adlerburg“, murmelte Mallovend fast andächtig. „Es sieht tatsächlich aus wie der Horst eines Adlers, der stolz über allem anderen thront. Hat die Siedlung daher ihren Namen?“

Thorag nickte und kniff die Augen zusammen. „Jetzt ähnelt sie tatsächlich eher einer Burg als einer Siedlung. Als ich vor vielen Wintern hier war, damals lebten Armins Vater Segimar und mein Vater Wisar noch, gab es längst nicht so viele und so starke Wälle.“

„Der Herzog der Cherusker ist ein umsichtiger Mann“, sagte Mallovend. „Er rechnet damit, dass die Römer eines Tages kommen, um sich für die Niederlage des Varus zu rächen.“ Ein Grinsen verzog die bartüberwucherten Lippen des Marserherzogs. „Vielleicht rechnet Armin auch mit einem Überfall der eigenen Leute. Schließlich war Segestes sein Gefangener, mag er auch eingewilligt haben, sein Schwiegervater zu werden. Und wie Germars Verhalten zeigt, herrscht noch mehr Zwietracht unter den Cheruskern.“

Thorag gefielen Mallovends abfällige Worte nicht. Aber der Donarsohn konnte nichts dagegen sagen, die Wahrheit war auf der Seite des Marsers. Mürrisch trieb er den Rappen an. Mallovend blieb an seiner Seite, und der ganze Zug setzte sich wieder in Bewegung.

Es wurde Zeit, dass sie die Adlerburg erreichten. Auja ging es nicht gut. Die ungeborene Gesa machte ihr zu schaffen. Mit jedem Tag der Reise fühlte Auja sich unwohler, und Thorag bereute fast, sie mitgenommen zu haben. An den letzten beiden Tagen war schon das Reiten zu viel für Auja, weshalb sie mit dem kleinen Ragnar auf einem der Ochsenkarren saß, auf denen sich die Hochzeitsgaben befanden.

Die Gruppe der Donarsöhne mit ihren Gästen aus dem Marserland zog auf grünen Wiesen dahin, die zwischen einem sich sanft windenden Flüsschen und einem hauptsächlich aus Eichen und Buchen bestehenden Wald lagen. Das Gelände stieg kaum merklich an. Es waren die Ausläufer der Erhebung, auf der Armins Vorfahren, die Fürsten der Hirschsippe, ihre Burg gesetzt hatten.

Mallovend ließ sich erneut über die günstige Lage der Adlerburg aus, die leicht zu verteidigen und schwer zu erobern war. Beim Näherreiten sahen sie, dass unten an einer großen Steinmauer gebaut wurde.

„Da sind die Römer, die wir in der Schlacht gegen Varus gefangen haben, wenigstens zu etwas nütze!“, lachte der Marserfürst.

Thorag hörte ihm nur mit halbem Ohr zu. Etwas anderes nahm seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Etwas, das er nicht mehr hörte, seit kurzer Zeit. Die Geräusche des nahen Waldes waren auf einmal verstummt. Keine Wildkatze fauchte mehr, kein Hirsch röhrte, kein Ur brüllte und keine Krähe schrie. Selbst das heisere Knarren der Eichelhäher, das die Reisenden während der letzten Tage immer wieder gehört hatten, war vollkommen verstummt. Es war, als halte der Wald den Atem an.

Aber dann hörte der junge Gaufürst doch etwas: das Rascheln von Laub und das Knacken zerbrechender Zweige. Der Cherusker zog sein Schwert, drehte sich nach seinen Männern um und schrie: „Donarsöhne, macht euch bereit zum Kampf! Nehmt die Frauen und die Wagen in die Mitte!“

Während er das schrie, blickte Thorag unentwegt in Richtung Wald und verwünschte sich für seinen Leichtsinn. Während der ganzen Reise hatte er Späher ausgeschickt, um das vorausliegende Gelände zu erkunden. Normalerweise war das für Cherusker, die sich mitten im Cheruskerland aufhielten, eine überflüssige Maßnahme, aber der Überfall durch Germar hatte Thorag vorsichtig werden lassen. Heute hatte er diese Vorsicht erstmals außer Acht gelassen. Die Nähe der Adlerburg wog ihn in Sicherheit. In trügerischer Sicherheit?

Thorags Männer packten Schwerter, Schilde und Framen. Die Ochsenkarren wurden am Flussufer zusammengefahren. Alles geschah in Windeseile.

Die allgemeine Aufregung ließ Mallovends Schimmel unruhig werden. Mühsam hielt er das Tier auf dem Platz und fragte: „Was ist los, Thorag? Was soll dieser Aufruhr?“

„Da!“, sagte der Cherusker nur und zeigte zum Waldrand.

Überall erschienen bewaffnete Reiter und ritten langsam in einer Linie auf die Reisegruppe zu. Viele ihrer Schilder waren mit Hirschgeweihen verziert, dem Zeichen der Hirschsippe.

„Das sind doch Armins Männer“, meinte Mallovend.

„Das habe ich schon einmal geglaubt“, erwiderte Thorag. „Aber ein aufgemaltes Hirschgeweih macht noch keinen Hirschkrieger, wie mir Germars Männer gezeigt haben.“

„Bei Wodan, ich verstehe!“, rief Mallovend und zog seine Spatha aus der Scheide.

Die fremden Reiter hielten an. Ein Einzelner löste sich aus der Gruppe und ritt den Donarsöhnen entgegen.

„Wartet hier“, sagte Thorag zu Mallovend und den anderen, bevor er den Rappen anspornte und mit gezogenem Schwert auf den einzelnen Reiter zuhielt.

Der hatte keine Waffe zur Hand genommen. Der runde Schild, dessen Schmuck ein aufgemalter Hirschkopf mit prächtigem Geweih war, hing lässig an seiner linken Seite.

Als Thorag den Mann erkannte, steckte er das Schwert zurück in die Scheide. Dann hielt er den Rappen vor dem Braunen des anderen an.

„Ich grüße dich, Thorag, Fürst der Donarsöhne“, sagte Ingwin lächelnd. „Schön, dass du dich entschlossen hast, dein Schwert nicht gegen mich zu führen.“

Thorag kannte Ingwin vom Zug gegen Varus. Damals war der Hirschkrieger noch Optio der cheruskischen Auxiliarreiterei gewesen, die zwar in römischen Diensten stand, aber in der Schlacht gegen die Römer focht.

Der Gaufürst zeigte auf die lange Reihe der berittenen Hirschkrieger. „Wer mit solcher Streitmacht plötzlich aus dem Wald hervorbricht, muss mit blanken Waffen rechnen, Ingwin.“

„Es ist unser Auftrag, die Adlerburg auf dieser Seite zu sichern. Das kannst du den Hirschleuten nicht verwehren, Thorag.“

„Das will ich auch nicht, wenn es nur richtige Hirschkrieger sind.“

Ingwin legte den Kopf schief. „Du sprichst in Rätseln, Fürst.“

Thorag nahm Armins Dolch aus einem Beutel an seinem Gürtel. „Erkennst du die Waffe?“

Der Hirschkrieger lächelte erneut. „Natürlich. Ich brachte sie dir damals, als du die Donarsöhne zum großen Kampf gegen die Römer geführt hast. Armins Dolch war sein Erkennungszeichen für dich. Nun hat er ihn dir gesandt, um dich als Ehrengast zu seiner Vermählung einzuladen.“

„Leider ist der Dolch in falsche Hände geraten“, sagte Thorag und erklärte dem Hirschmann in wenigen Worten, was sich ereignet hat.

Ingwins eben noch heiteres, die Freude über das Wiedersehen mit Thorag ausdrückendes Gesicht verfinsterte sich. „Das wirft einen bösen Schatten auf die Hochzeit.“

„Wir werden sehen.“ Der Fürst der Donarsöhne steckte den Dolch wieder zurück in den Fellbeutel. „Ich werde mit Armin darüber sprechen und Gerolf zur Rede stellen. Solange solltest du über die Sache schweigen.“

„Das werde ich.“

„Ist der Weg zur Adlerburg sicher?“

Ingwin nickte. „Mehr Krieger, als Armin hier zur Bewachung seiner Hochzeitsgäste zusammengezogen hat, findest du nirgends, nicht einmal in Walhall.“

Als die Donarsöhne weiterzogen, fand Thorag diese Aussage bestätigt. Ingwin und seine Männer zogen sich wieder in den Schutz des Waldes zurück. Die Donarsöhne kamen an anderen Kriegertrupps vorbei, die das Gelände rund um die Adlerburg sicherten.

Die Burg selbst trug ihre Bezeichnung zu Recht, waren ihre Schutzwälle doch so stark ausgebaut worden, dass sie mehr einer Festung glich als einer Siedlung. Entgegen Thorags Erinnerung führte kein gerader Weg mehr zur Hügelkuppe hinauf. Die Donarsöhne mussten mehrere Tore und Fallbrücken hinter sich bringen und immer wieder an Wällen entlangreiten, von denen aus die Verteidiger möglichen Angreifern entgegentreten konnten. Zudem bildeten die Räume zwischen den Toren sackartige Verengungen, die nur wenige Angreifer zur gleichen Zeit hindurchließen, aber vielen Verteidigern die Möglichkeit gaben, einen Feind zu bekämpfen. Und als wäre das alles noch nicht genug, wurde rund um die Adlerburg fieberhaft an einer Verstärkung und Ausweitung der Verteidigungsanlage gearbeitet.

„So etwas habe ich noch nie gesehen“, staunte auch Thidrik, der in Thorags Nähe ritt. „Dagegen ist unsere Siedlung so leicht zu erobern wie eine einsame Waldhütte.“

„Unser Herzog hat eine Menge Feinde“, erwiderte Thorag.

„Viel Feind, viel Ehr“, meinte Mallovend und grinste. „Demnach ist Armin der ehrenwerteste Mann, den ich kenne.“

Das Eintreffen der großen Gesellschaft löste einige Aufregung auf der Adlerburg aus. Menschen strömten den Neuankömmlingen entgegen, Männer und Frauen aller Stände. Neue Gäste bedeuteten stets auch Neuigkeiten, und schnell waren die Donarsöhne von einem dichten Menschenring umgeben.

Nur mühsam teilte sich dieser Ring, um ein paar Männern Durchlass zu gewähren. Selbst die Edelsten des Cheruskerstammes hatten einen schweren Stand gegen die menschliche Neugierde. Aber dann traten endlich einige Fürsten benachbarter Stämme sowie die Gaufürsten der Cherusker vor die Ankömmlinge. Letztere waren Armin, sein Onkel Inguiomar, der Brautvater Segestes, Balder, Bror und Gerolf.

Thorags Blick verharrte beim Fürsten der Ebersippe. Er war, wie sein Bruder Germar, von hagerer Gestalt, dafür aber sehnig und zäh. Dem Eberfürsten fehlte die schon beim ersten Anblick hervorstechende Hässlichkeit von Germars Gesicht. Gerolf konnte sogar richtig einnehmend wirken, wenn er lächelte. Doch Thorag hatte immer schon gefunden, dass es nicht das offene Lächeln eines freundlichen Menschen, sondern das verschlagene Grinsen eines listigen Fuchses war.

Vergeblich suchte Thorag jetzt in dem Fuchsgesicht nach einer überraschten Miene. Falls Gerolf nicht damit gerechnet hatte, Thorag und Mallovend auf der Adlerburg zu sehen, verbarg er das gut. Vielleicht hatten ihm aber auch schon Boten berichtet, dass Germars Überfall fehlgeschlagen war.

Armin trat vor und fasste Thorags Rechte mit beiden Händen. Der junge Herzog der Cherusker strahlte über sein ganzes Gesicht, ein Bild unschuldiger Freude, das im Widerspruch zu Armins tiefsinnigem Charakter stand. Thorag konnte sich einfach nicht vorstellen, dass die Freude über das Wiedersehen der einzige Grund für Armins Zufriedenheit war. Der Donarsohn wusste nur zu gut, dass hinter der Stirn des Hirschfürsten ständig die Gedanken flossen, dass Armin Vor- und Nachteile seiner Handlungen abwog und Entscheidungen fällte. Ein Mann in seiner Stellung konnte sich gar nicht anders verhalten.

Seit dem Aufstand gegen Varus war Armins Leben ein ständiger Kampf, nicht nur gegen die Römer, sondern auch gegen Cherusker und Männer benachbarter Stämme, die sich gegen ihn stellten. Das hatte seine Spuren in Form tiefer Falten in dem bartlosen Gesicht des jungen Herzogs hinterlassen.

„Thorag, dein Kommen bereitet mir eine ganz besondere Freude!“, sagte Armin laut und begrüßte dann Mallovend. Anschließend meinte der Hirschfürst mit gerunzelter Stirn: „Mallovends Gefolge ist sehr klein. Du, Thorag, kommst dagegen mit einer richtigen Streitmacht zu meiner Hochzeit. Gibt es dafür eine Erklärung?“

„Ja“, antwortete Thorag nur und gab Thidrik einen Wink.

Thidrik und der breitschultrige Ayko gingen zu einem der Ochsenkarren und holten unter der über den Wagen gespannten Tierhaut einen hageren Mann hervor, dessen Hände gefesselt waren. Ein Raunen ging durch die Menge, als sie in dem Gefangenen den Edeling Germar erkannte.

„Was soll das?“, schnappte Gerolf mit verwirrtem Gesicht. „Was macht mein Bruder hier? Weshalb ist er gefangen?“

Thorag streifte den Gaufürsten der Eberleute nur mit einem kurzen Blick, dann wandte er sich wieder Armin zu. „Die Fragen, die Gerolf stellt, will ich gern beantworten. Aber ich halte es für besser, das in einem kleinen Kreis zu tun.“

„Sieht ganz so aus“, sagte der Cheruskerherzog. „Meine Leute werden den Donarsöhnen ihre Unterkünfte zuweisen. Die Gaufürsten der Cherusker und die Führer der anderen Stämme mögen mir in mein Haus folgen.“

Das Gelände hier oben auf dem Hügel war groß, doch allmählich wurde es eng. Viele waren schon zur Hochzeit des Cheruskerherzogs gekommen. Die Donarsöhne gehörten zu den letzten Gästen und mussten sich deshalb mit Unterkünften am entfernten Nordrand der Hochebene zufriedengeben. Obwohl mittels eilig errichteter Hütten und Schutzdächer viele zusätzliche Schlafgelegenheiten geschaffen worden waren, mussten einige Knechte und Mägde unter freiem Himmel nächtigen.

Tebbe kümmerte sich darum, dass die Marserfrauen ihrem Stand entsprechend untergebracht wurden. Dass er sich dabei in Amalas Nähe aufhalten konnte, störte weder sie noch ihn.

Armins großes Haus aus Stein und massivem Holz stand in der Mitte der Hochebene. Hier warteten Bedienstete schon mit dem Willkommenstrunk auf die neu eingetroffenen Gäste. Der Cheruskerherzog schickte sie zurück in den Gesindetrakt. Jetzt gab es wichtigere Dinge zu erledigen. Nur ein bewaffneter Mann mit bronzener Hautfarbe und schwarzem Haar blieb im Raum und hielt sich in Armins Nähe auf. Thorag erkannte Armins pannonischen Sklaven und Leibwächter Pal.

Außer den cheruskischen Gaufürsten waren in dem großen Raum noch Thidrik und Ayko mit dem Gefangenen, Mallovend mit seinen Söhnen und seinem Kriegerführer, der Chattenherzog Arpo mit einigen Edelingen seines Stammes und hohe Fürsten der Sueben, Angrivarier und Brukterer. Alles Stämme, die an der Seite der Cherusker gegen die Legionen des Varus gekämpft hatten.

„Wenn niemand meinem Bruder die Fesseln abnimmt, werde ich es tun“, knurrte Gerolf, trat auf den Gefangenen zu und zückte seinen Dolch.

Ayko stellte sich ihm in den Weg, mit bloßen Händen, aber die Rechte befand sich nicht weit vom Schwertgriff entfernt.

Notgedrungen blieb der Fürst des Ebergaues stehen und blickte vorwurfsvoll den Donarfürsten an. „Pfeif deinen Wachhund zurück, Thorag! Oder soll ich meine Klinge erst an ihm versuchen?“

Thorag erwiderte ungerührt: „Dann müsste ich meine an dir versuchen, Gerolf.“

„Warum soll Germar gefesselt bleiben?“, fragte Gerolf.

Thorag lächelte dünn. „Weil er mein Gefangener ist.“

„Mit welchem Recht? Wer hat ihn verurteilt?“

„Seine eigenen Taten!“ Mallovend antwortete an Thorags Stelle. Er sprach mit tiefer, lauter Stimme. „Wenn wir schon von Klingen reden, lass dir eines gesagt sein, Eberfürst. Marserklingen wären längst rot vom Blut deines Bruders, hätte Thorag die Meinen und mich nicht mit dem Hinweis darauf zurückgehalten, dass Germar sein Gefangener ist.“

„Steck deinen Dolch wieder ein, Gerolf“, sagte Armin in einem ruhigen Tonfall. Es klang nicht wie ein Befehl, und doch lag eine Bestimmtheit in diesen Worten, die Gerolf fast augenblicklich gehorchen ließ. Armin sah den Fürsten der Donarsöhne an. „Und du, Thorag, erkläre uns, weshalb du das Recht beanspruchst, Germar als deinen Gefangenen zu behandeln!“

„Dazu müsste ich einen Dolch hervorholen“, erwiderte Thorag mit gespielter Verlegenheit und sah dabei Gerolf an, als wolle er den Eberfürsten um Erlaubnis bitten.

„Meinetwegen“, sagte Gerolf nur, ohne erkennen zu lassen, ob er wusste, von welchem Dolch der Donarsohn sprach.

Thorag holte Armins Dolch hervor, hielt ihn hoch und sagte: „Diesen Dolch sandte mir Germar.“

Armin schüttelte den Kopf so heftig, dass sein langes Haar wehte. „Nein, ich sandte ihn dir, um dich zu meiner Hochzeit einzuladen. Es ist mein Dolch!“

„Die Männer, die ihn mir brachten, gaben sich zwar als deine Boten aus, aber sie waren es nicht. Ich erkannte es, als ihr Anführer mir sagte, du hättest diesen Dolch noch nie aus der Hand gegeben.“

Armin verstand und nickte. „Erzähl weiter.“

Thorag folgte der Aufforderung und wurde hin und wieder von Mallovends ergänzenden Ausführungen unterbrochen. Armin und die anderen nicht eingeweihten Fürsten, darunter auch Gerolf, hörten mit ernsten Gesichtern zu. Als der Bericht beendet war, gab Thorag dem Cheruskerherzog seinen kostbaren Dolch zurück.

Gerolf baute sich mit wütendem Gesicht vor seinem Bruder auf und sagte erbost: „Ich bereue es, dass du Thorags Gefangener bist und nicht meiner, Germar. Am liebsten würde ich meine Klinge wieder ziehen – um sie dir ins Herz zu stoßen! Du hast große Schande über mich und die ganze Ebersippe gebracht. Wie konntest du bloß so etwas tun?“

„Das möchte ich auch gern erfahren“, knurrte Armin düster. „Ich habe nicht damit gerechnet, unter den Fürsten des Ebergaues einen Verräter vorzufinden.“

„Ich bin kein Verräter!“, verteidigte sich Germar.

Armin trat auf ihn zu und fragte: „Wie erklärst du dann deinen heimtückischen Überfall auf Thorag und Mallovend?“

„Es war alles ganz anders. Thorag und Mallovend sind Lügner. Sie haben Gerolfs Abwesenheit ausgenutzt, um den Ebergau zu überfallen!“

„Willst du uns verspotten?“, rief Mallovend und zog das Schwert aus der Scheide. „Deine Männer morden und schänden meine Leute, und jetzt muss ich mir noch deinen verlogenen Hohn anhören?“

Thorag legte beschwichtigend eine Hand auf Malovends Waffenarm und sagte: „Wenn du so unschuldig bist, wie du behauptest, Germar, wie kam dann Armins Dolch in die Hände deiner Leute? Und wo sind die Boten der Hirschsippe, die Armin zu mir gesandt hat?“

„Davon weiß ich nichts. Ich habe diesen Dolch, der Armin gehören soll, zum ersten Mal in deiner Hand gesehen, Donarsohn.“

„Hier gibt es nur einen Lügner, und das bist du, Germar!“, fauchte Mallovend.

Als auch Vendar, Vendhard und Eilard ihre Schwerter ziehen wollten, sagte Armin schnell: „Waffengewalt ist nicht nötig. Ich denke, dass niemand hier an den Worten Thorags und Mallovends zweifelt, zumal sie viele Zeugen für die Richtigkeit ihrer Behauptungen beibringen können.“

„Zeugen, die zu ihren Leuten gehören“, wandte Gerolf ein. „Dass die zugunsten ihrer Fürsten aussagen, glaube ich gern. Germar könnte sicher ebenso viele Zeugen beibringen, die zu seinen Gunsten sprechen.“

Armin blickte den Eberfürsten ungläubig an. „Soll das etwa heißen, du glaubst Germar?“

„Er ist mein Bruder! Warum sollte ich ihm weniger glauben als Fremden?“

„Welchen Grund zur Lüge sollten Thorag und Mallovend haben?“, wollte Armin wissen.

„Welchen Grund zum Verrat sollte mein Bruder haben?“

„Was willst du, Gerolf?“ Das Zittern der Stimme verriet Armins Zorn. „Dass wir Germar einfach freilassen?“

„Ich glaube nicht, dass Thorag und Mallovend damit einverstanden wären“, meinte Gerolf.

„Bestimmt nicht!“ polterte der Marserherzog.

Thorag sagte nichts, aber sein verkniffenes Gesicht drückte Übereinstimmung mit Mallovend aus. Der Donarsohn überlegte, worauf Gerolf abzielte. Dass der Eberfürst einen bestimmten Plan verfolgte, hielt Thorag für sicher. Die Entrüstung, die Gerolf vorhin über Germars Verhalten an den Tag gelegt hatte, war nur vorgetäuscht gewesen, allerdings sehr gut; ein griechischer Schauspieler hätte es nicht besser machen können.

„Wodan, der weiseste unter den Göttern, soll entscheiden“, schlug Gerolf vor. „Er hing neun Nächte an der immergrünen Weltesche, vom Speer verwundet, um seine Weisheit zu erlangen. Auch Germar und Thorag mögen hängen wie er und die Wunden des Speers erhalten, bis einer sein Leben aushaucht. Wodans Weisheit wird uns erkennen lassen, wer die Wahrheit spricht und zur Belohnung weiterleben darf.“

Für Augenblicke, die zu einer kleinen Ewigkeit wurden, herrschte Schweigen in dem großen Raum. Einige der Männer hielten den Atem an und warteten gespannt, wie Thorag auf den Vorschlag reagieren würde.

Aber Armin war der erste, der sprach: „Eine Wodansprobe also.“

„Ja“, erwiderte der Fürst des Ebergaues. „Zwei Aussagen widersprechen sich, die Wodansprobe wird für Klarheit sorgen.“

„Aber Thorag ist ein Gaufürst und Mallovend der Herzog der Marser“, wandte Armin ein und blickte Gerolf ernst an. „Willst du ihr Wort nicht höher schätzen als das Germars?“

„Auch Germar ist ein Edeling, der Bruder eines Gaufürsten!“, blieb Gerolf stur.

„Wodan wird erweisen, dass er vor allem ein Verräter und Lügner ist“, sagte Mallovend. „Soll die Wodansprobe doch stattfinden. Aber nicht Thorag wird sich ihr stellen, sondern ich, denn meine Leute wurden von Germars Kriegern gemordet!“

„Auch Donarsöhne wurden ihre Opfer“, sagte Thorag und dachte an Raimar und Komar, die Söhne des Bauern Odomar. „Außerdem vergisst Mallovend schon wieder, dass Germar mein Gefangener ist. Wenn ich meine Zustimmung zur Wodansprobe gebe, dann nur unter der Voraussetzung, dass ich neben Germar an der Esche hänge.“

„Und?“, fragte Gerolf lauernd. „Gibst du deine Zustimmung, Thorag?“

„Ja.“

„Fein.“ Gerolf lächelte. „Wann soll die Wodansprobe stattfinden?“

„Nach der Hochzeit“, entschied Thorag. „Ich will nicht, dass der Bund zwischen Armin und Thusnelda mit Blut beschmutzt wird.“

„Eine weise Entscheidung“, fand der alte Gaufürst Bror, der seinen Sohn Brokk im Kampf gegen Varus verloren hatte. Brokk war an Thorags Seite gefallen.

„Die Hochzeit findet morgen statt“, erklärte Armin. „Die Wodansprobe also am Tag darauf.“

„Einverstanden“, sagte Gerolf mit zufriedenem Lächeln. „Ich ersuche euch jetzt, Germar von seinen Fesseln zu befreien und ihn meiner Obhut zu unterstellen.“

„Seine Fesseln sollen meinetwegen fallen“, sagte Thorag. „Niemand soll behaupten, Germar sei bei der Wodansprobe nur unterlegen, weil er durch die lange Fesselung nicht mehr daran gewöhnt war, sich richtig zu bewegen. Aber er bleibt mein Gefangener!“

„Wird er gut behandelt?“, fragte Gerolf. „Werden die Donarsöhne ihm ausreichend Wasser und Nahrung geben? Oder werden sie vielleicht dafür sorgen, dass er bei der Wodansprobe in schlechter Verfassung ist?“

„Ich werde Germar so lange in meine Obhut nehmen“, erklärte Armin, und Thorag war einverstanden.

Endlich rief Armin die Bediensteten wieder herein, um den Met zum Begrüßungstrunk zu reichen. Das vergoldete Trinkhorn machte die Runde, und jeder der Fürsten ehrte die Götter und die anderen Fürsten, bevor er einen großen Schluck des mit Gewürzen versetzten Honigweins trank. Obwohl der Met gut war, schmeckte er den meisten schal. Die Auseinandersetzung um Germar hatte einen Schatten auf die Hochzeit geworfen.

Als Armins Gäste zu ihren Unterkünften gingen, sagte Thidrik: „Ich habe nicht das Recht, deine Entscheidungen anzuzweifeln, Thorag, aber ich an deiner Stelle hätte Germar bis zur Wodansprobe in meiner Obhut behalten.“

„Ich vertraue darauf, dass Armin gut auf ihn achtgibt“, erwiderte Thorag. „Teile trotzdem ein paar Wachen ein.“

„Wachen? Wen sollen wir bewachen?“

„Germars Bewacher.“ Thorag grinste. „Vertrauen ist gut, aber offene Augen sind noch besser.“

Thorag und Auja wohnten in einem kleinen, aber sauberen Haus. Auja hatte sich von der anstrengenden Reise noch nicht erholt. Während der kleine Ragnar vor der Tür ein paar Ziegen herumscheuchte, lag seine Mutter drinnen. Sie öffnete die Augen, als ihr Gemahl eintrat. Thorag überlegte noch, ob er ihr sagen sollte, was sich ereignet hatte. Er wollte Auja nicht mehr zumuten als nötig.

Doch sie kannte ihn gut genug und fragte: „Was ist geschehen, Thorag? Worauf hast du dich eingelassen?“

Er setzte sich neben sie, strich sanft über ihr langes Blondhaar und erzählte von der Wodansprobe.

„Musste das sein?“ Auja seufzte. „Du weißt, dass du im Recht bist. Warum musst du es noch beweisen – auf diese gefährliche Art?“

„Dass ich die Wahrheit kenne, genügt nicht. Alle hier auf der Adlerburg müssen davon überzeugt sein, dass Germar der Lügner ist.“

„Vielleicht war es ein Fehler, dass wir hergekommen sind. Du hast schon gewusst, warum du dich von Armin ferngehalten hast, Thorag.“

„Ich verstehe dich nicht, Auja. Armin kann doch nichts dafür!“

„Wirklich nicht?“ Aujas rehbraune blickten den Gemahl forschend an. „Dreht sich nicht stets alles um Armin, wenn er in der Nähe ist?“

Darüber dachte Thorag noch am Abend nach, als die ganze Hochebene von großen Lagerfeuern erhellt wurde. Über den Feuern briet das Fleisch, das Armin für das Festmahl gestiftet hatte. Wie der Herzog sagte, freute er sich so über Thorags Kommen, dass er diesen Abend dem Donnergott weihen wollte. Thorag jedoch konnte sich nicht richtig freuen. Aujas schlechter Zustand – sie lag noch immer danieder – und ihre düsteren Worte über Armin beschäftigten ihn.

Der Fürst der Donarsöhne war so tief in diese Gedanken versunken, dass er den großen Mann nicht bemerkte, der von hinten an ihn herantrat. Erst als sich die Hand auf Thorags Schulter legte, sprang er von der langen Tafel auf, die mit anderen unter freiem Himmel aufgestellt war, und fuhr herum, eine Spur zu schnell, sodass der Met über den Rand seines Trinkhorns schwappte.

„Was ist mit dir, Thorag?“, fragte Armin. „Ich gebe dir zu Ehren ein Fest, und du machst ein Gesicht, als befändest du dich auf deiner eigenen Leichenfeier.“

Thorag zwang sich zu einem Lächeln. „Dazu ist es zwei Nächte zu früh.“

Jetzt wurde Armin plötzlich ernst. „Ja, die Sache mit der Wodansprobe gefällt mir auch nicht.“

„Heißt das etwa, du glaubst...“

„Unsinn!“, fuhr Armin ihm in die Rede. „Natürlich glaube ich dir und Mallovend. Leider kommt es bei der Wodansprobe nicht nur auf die Wahrheit an, sondern auch auf die Geschicklichkeit der beiden Männer, die an der Esche hängen. Ich habe mich umgehört und erfahren, dass die Edelinge von der Ebersippe in diesem Spiel schon erfahren sind. Jeder von ihnen soll schon mehr als einmal an der Esche gehangen haben. Und beide leben noch!“

„Vielleicht nicht mehr lange“, wandte Thorag ein. „Ich bin um einiges kräftiger als Germar.“

„Und auch schwerer, Thorag. Deshalb hat Gerolf die Wodansprobe und keinen anderen Schiedsspruch vorgeschlagen. Wenn du an der Esche hängst, brauchst du mehr Geschicklichkeit als Kraft. Und das Gewicht deiner Muskeln kann dir schnell zum Verhängnis werden.“

Thorag leerte sein Horn und legte es achtlos auf das Holz der Tafel. „Du machst mir Mut, Armin.“

„Ich will dich nur zur Vorsicht mahnen. Jetzt, wo wir wieder beisammen sind, will ich dich nicht durch die Wodansprobe verlieren.“

„Ich bin gekommen, um deiner Hochzeit den Segen des Donnergottes zu spenden, nicht um an deiner Seite gegen die Römer zu kämpfen.“

„Schade“, sagte Armin traurig. „Nachdem ich Segestes endlich umgestimmt habe, hatte ich gehofft, auch dich auf meine Seite zu bringen, Thorag. Sämtliche Cheruskersippen vereint, das wäre ein gutes Beispiel für alle anderen Stämme, sich uns anzuschließen!“

Äußerlich blieb Thorag ruhig, doch in Gedanken lächelte er. Das war bezeichnend für Armin. Eben war er noch der besorgte Freund und jetzt, nur einen Atemzug später, schon wieder der taktierende Fürst. Bei ihm ging eins ins andere über. Fürst und Freund waren nicht zu trennen – falls er nicht sogar so sehr Fürst war, dass für Freundschaft kein Platz mehr blieb.

„Du hattest schon einmal viele Stämme hinter dir, Armin. Aber nach dem Sieg über Varus zerstreuten sie sich in alle Winde.“

„Sie waren trunken vom Sieg und satt von der Beute. So sind unsere Landsleute. Es wird seine Zeit dauern, bis sie so disziplinierte Soldaten sind wie die Römer.“

„Und darauf arbeitest du hin?“

„Natürlich.“

„Du kämpft gegen die Römer, willst aber, dass wir Cherusker so werden wie sie? Wozu dann der ganze Kampf, Armin? Warum unterwerfen wir uns ihnen nicht gleich? Das ist einfacher!“

„Du redest schon wie Segestes“, meinte Armin kopfschüttelnd. „Willst du ein Vasall Roms sein? Ich bestimmt nicht. Ich kämpfe für meine Freiheit!“

„Für deine Freiheit? Oder für die unseres Volkes?“

„Eines bedeutet das andere. Ich verkörpere den Freiheitswillen der rechtsrheinischen Stämme. Auch Segestes hat das eingesehen.“

„Womit ich nicht gerechnet hatte“, gestand Thorag ein. „Hat die Gefangenschaft ihn mürbe gemacht?“

„Vielleicht das auch.“ Armin sah plötzlich sehr zufrieden aus. „Außerdem möchte er seinem Enkelkind, sobald es auf der Welt ist, wohl lieber als freier Fürst gegenüberstehen, nicht als Gefangener seines Schwiegersohns.“

„So ist das also. Die Fruchtbarkeitsgötter hatten ein gutes Jahr. Auch Auja erwartet ein Mädchen.“

„Ein Mädchen?“ Armin warf sich stolz in die Brust. „Ich kriege einen Sohn!“

„Du – oder Thusnelda?“

Die beiden Fürsten sahen sich an und lachten.

„Da wir gerade bei der Familie sind“, sagte Thorag. „Wo steckt eigentlich dein Bruder Isgar? Ich habe ihn noch nicht auf der Adlerburg gesehen.“

Thorag dachte nach und stellte fest, dass er Armins jüngerem Bruder seit der Rückkehr aus Pannonien, wo die Cherusker unter Tiberius für die Römer gekämpft hatten, nicht mehr begegnet war. Armin war nach dem Tod des Herzogs Segimar so schnell wie möglich ins Cheruskerland zurückgeeilt, begleitet von Thorag und anderen Edelingen. Isgar sollte mit der Kriegsbeute nachkommen, wurde dann aber an die Front zurückgerufen, als die Kämpfe in Pannonien wieder aufflackerten.

Armins Lachen erstarb von einem Augenblick auf den anderen. „Isgar ist nicht hier und wird auch nicht kommen. Es gibt keinen Isgar mehr!“

„Ist er tot?“

„Für mich ist er das. Er selbst nennt sich jetzt nur noch Flavus, wie ihn die Römer wegen seines roten Haares getauft haben. Und wie die Römer will er sein. Er ist zufrieden damit, für sie in den Krieg zu ziehen.“ Armins Züge verzerrten sich. „Dieser Frechling hat mich sogar wissen lassen, dass er mich – seinen Bruder – als Feind betrachtet, solange ich den Aufstand gegen Rom nicht aufgebe!“

„Was hast du geantwortet?“

„Dass ich bis ans Weltende sein Feind bleiben werde.“ Armins Züge hellten sich wieder auf. „Lass uns nicht mehr von Is... von Flavus sprechen, sondern von uns. Wir haben uns viel zu erzählen. Ich habe dich vermisst, Thorag. Du warst mir immer ein guter, treuer Kamerad. Ich bin sicher, das Schicksal hat uns zu Gefährten bestimmt.“

Wenn das stimmt, dachte Thorag, halten die Schicksalsgöttinnen allerhand Aufregungen für mich bereit.

Noch zwei andere Fürsten trafen sich während der Feier zu einem vertrauten Gespräch, jedoch weitab des Trubels im Schatten einer großen Pferdekoppel. Sie achteten darauf, dass niemand sie sah und dass der Wind ihre Worte verschluckte, bevor sie an fremde Ohren dringen konnten.

„Germar hat versagt“, sagte Segestes vorwurfsvoll. „Thorag ist gekommen, um der Hochzeit den Segen Donars zu spenden. Und wahrscheinlich wird er sich mit Armin aussöhnen. Das macht den Hirschfürsten mächtiger als zuvor. Außerdem ist es uns nicht gelungen, einen Keil zwischen Armin und Mallovend zu treiben.“

„Meinst du, ich bedaure das nicht?“, fragte Gerolf. „Niemand hätte Thorag lieber tot gesehen als ich. Ich habe nicht vergessen, was er meinem Vetter Onsaker angetan hat. Aber noch ist nicht alles verloren. Ich habe schon ein paar Wodansprüfungen überlebt, und Germar noch mehr.“

„Und was ist mit Mallovend?“

„Da fällt mir auch noch etwas ein“, sagte Gerolf und blickte sein Gegenüber fragend an. „Du hältst doch dein Wort, Segestes?“

„Was meinst du?“

„Dass du dich bei den Römern für mich verwendest!“

„Natürlich, das dürfte nicht schwer werden. Wer sich gegen Armin stellt, wird schon allein dadurch ein Freund der Römer.“

„Du wirst ihnen trotzdem einiges erklären müssen.“ Gerolf grinste. „Zum Beispiel den Umstand, dass du deine Tochter Thusnelda dem Hirschfürsten zur Frau gibst.“

„Du weißt genau, dass ich anders nicht von dieser Festung komme!“

„Ich weiß das, aber wissen es auch die Römer? Morgen ist Hochzeit, und davon werden sie bestimmt erfahren, mag der Rhein auch weit sein.“

„Verfluchter Armin!“ Segestes spuckte aus. „Hätte ich damals die Wahl zum Herzog gewonnen oder hätte dieser Schwachkopf von Varus auf mich gehört statt auf ihn, wäre alles anders gekommen.“

„Hätte Tiu seinen rechten Arm nicht in den Rachen des Fenriswolfes gesteckt, hätte er fortan nicht das Schwert mit der Linken führen müssen“, meinte Gerolf schulterzuckend. „Du kannst nicht mehr ändern, was geschehen ist.“

„Doch“, sagte Segestes hart. „Mit deiner Hilfe und mit der Roms werde ich es ändern!“

Kapitel 2 – Ein trügerischer Frieden

Allmählich begann Germanicus, das Leben wieder zu genießen. Die noch wärmenden Strahlen der sinkenden Sonne und die leichte, angenehme Brise, die das Wasser im Hafenbecken kaum merkbar kräuselte, wirkten entspannend und friedlich. Genau das, was er nach den Aufregungen der letzten Tage brauchte. Er beugte sich lässig über den reich gedeckten Tisch, griff nach einem mit kleinen Zwiebeln gefüllten Ei und begann herzhaft zu kauen, während die Ereignisse der jüngsten Zeit wie die Erinnerung an einen Albtraum an ihm vorüberzogen.

Fast wäre der Aufruhr in Caecinas Sommerlager erneut entflammt, als sich herausstellte, dass auch unter Einbeziehung des Privatvermögens der hohen Offiziere nicht genug Geld vorhanden war, um das von Germanicus verdoppelte Vermächtnis des Augustus an Ort und Stelle auszuzahlen. Sechshundert Sesterzen für jeden Legionär waren eine ordentliche Summe. Augustus hatte zwar sparsam gewirtschaftet, und das Geld, das er vererbte, lag in seiner Kasse, doch die befand sich in Rom. Die Legionen I und XX ließen sich auf das Winterquartier vertrösten und von Caecina zur Ubierstadt zurückführen. Aber die Legionen V und XXI rückten nicht eher nach Vetera ab, bis ihnen nicht jeder versprochene Sesterz ausgezahlt worden war. Germanicus hatte mit verkniffenem Gesicht zugesehen, wie sie abzogen, die Geldkassen zwischen den Fahnen und den Legionsadlern. Soldaten, die ihren Imperator erpresst hatten. Es war entwürdigend für den Enkel des Marcus Antonius!

Nachdem das untere Heer besänftigt war, reiste Germanicus zum oberen, um auch dort für Ordnung zu sorgen. Hier wäre seine Mission fast am Starrsinn der Legion XIV gescheitert, während sich die drei anderen Legionen ohne größere Schwierigkeiten dazu bringen ließen, den Eid auf den neuen Herrscher Tiberius zu schwören. Aber auch die Soldaten der XIV. Legion hatten sich schließlich gefügt, nachdem Germanicus ihnen die baldige Auszahlung des verdoppelten Vermächtnisses und die zeitige Entlassung der lang gedienten Veteranen zugesichert hatte.

Jetzt hielt er sich in der Ubierstadt am Rhenus auf, dem Oppidum Ubiorum, für das sich wegen des vor wenigen Jahren eingerichteten Staatsaltares immer mehr die Bezeichnung Ara Ubiorum durchsetzte. Trotz der Ruhe, die bei den Meuterern scheinbar eingekehrt war, traute er dem Frieden nicht. Die große Empörung, die sogar einigen Zenturionen das Leben gekostet hatte, war eine auf den Legionen lastende Schande, die nur mit Blut abgewaschen werden konnte. Aber Germanicus befürchtete, dass ein hartes Durchgreifen zu neuem Aufruhr führte, dass Männer wie dieser Calusidius nur auf die Gelegenheit warteten, die anderen erneut aufzuhetzen. Und es war schwer bis unmöglich, alle Rädelsführer auf einmal zu beseitigen, jedenfalls von außen. Nein, solch ein reinigender Akt musste von den Soldaten selbst ausgehen, um von ihnen akzeptiert zu werden.

„Was ist mit dir, Gaius? Warum guckst du so seltsam? Schmeckt das Ei nicht? Ist die Füllung verdorben? Soll ich mir den Koch einmal vornehmen?“

Dem Imperator wurde bewusst, dass er das Ei nur zur Hälfte gegessen hatte und die andere Hälfte noch in der Hand hielt. „Das ist es nicht, das Essen ist gut.“ Er steckte den Rest in seinen Mund und zerkaute ihn mit Genuss.

„Was ist es dann?“ Agrippina richtete sich so weit auf der Liege auf, dass sie mit dem rechten Arm über den Tisch reichen konnte. Sanft strich sie über sein lockiges Haar. „Was lässt dir den Kopf schwer werden, Gaius?“

Der Imperator genoss das Kribbeln auf seiner Kopfhaut, das ihre Berührung auslöste. Der Duft von Lavendel, der Agrippinas parfümierter Haut entströmte, weckte Erinnerungen an schöne, lustvolle Stunden. Die Seide ihres Kleides war so fein, dass sie die fraulichen Formen mehr freigab als verhüllte. Die begehrenswerten Rundungen von Agrippinas großen Brüsten drückten gegen den Stoff. Sie hatte ihre Brustbinde nicht angelegt, um besonders verführerisch zu wirken. Seit der Beilegung der Meuterei bemühte sie sich, Germanicus die Missstimmigkeiten vergessen zu lassen, die zwischen ihnen aufgetreten waren.

„Ich habe an die letzten Tage gedacht“, antwortete Germanicus. „An das, was sich seit unserer Rückkehr aus Gallien ereignet hat.“

„Es ist vorbei, wir haben es überstanden. Die Legionen hören auf ihren Imperator. Die Seherin hat recht behalten.“

„Die Seherin?“ Germanicus’ Miene verdüsterte sich bei der Erinnerung an die Germanin, die unerwartet im Lager aufgetaucht war. „Wie meinst du das, Agrippina?“

„Die Frau hat vorausgesagt, dass du alle Schwierigkeiten überwindest, wenn der Adler sich über deinem Haupt erhebt. Nun, die Legionen folgten ihren Adlern zurück in die Winterquartiere.“

„Aber die Seherin hat auch gesagt, dass der Adler mich ins Verderben führt!“

„Der Adler, dem du folgst“, korrigierte Agrippina ihren Mann. „Aber nicht du bist dem Adler gefolgt, sondern deine Soldaten. Damit hast du das Unglück von dir abgewendet.“

„Die Götter mögen es auch so sehen wie du!“, wünschte Germanicus, klang dabei aber wenig überzeugt. Er griff nach dem rubinbesetzten Silberbecher und trank von dem Honigwein, einer köstlichen Mischung aus römischem Wein und germanischem Met.

„Du hast keinen Grund zur Besorgnis, Gaius. Schau dich nur um, die Götter schenken uns Ruhe und Frieden.“

Agrippina wies mit der Hand, die eben noch den Kopf des Gatten gestreichelt hatte, über die Terrasse hinaus, wo unterhalb des Prätoriums der Rhenus, den die Germanen Rhein nannten, im rötlichen Licht der Abendsonne unwirklich schimmerte, in einer dunklen Mischung aus Blau und Rot.

Im Hafen wurde hektisch gearbeitet. Vor Sonnenuntergang sollten noch alle heute eingelaufenen Kähne entladen und die Ladung entweder in den am Fluss stehenden Lagerhäusern verstaut oder mittels Trägern und Karren zu ihren Empfängern, ubischen Händlern, gebracht werden. Ein paar Kähne liefen sogar noch aus der Ubierstadt aus. Sie würden allerdings nicht bei Nacht fahren. Ihr Ziel waren die Umladehäfen ober- und unterhalb der Stadt. Die flachen Kähne dienten nur dazu, den in Stadtnähe liegenden Flussabschnitt mit seinen vielen Untiefen und rasch wechselnden Strömungsverhältnissen zu durchqueren. In den Umladehäfen wurde die abgehende Fracht auf größere Schiffe verladen, und von dort kamen die Kähne mit der Fracht ankommender Schiffe zurück.