Thorag der Germane - Jörg Kastner - E-Book
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Thorag der Germane E-Book

Jörg Kastner

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Beschreibung

Wenig wissen wir heute über den Cherusker Arminius und jene berühmte Schlacht, in der er die Legionen des Varus vernichtete. In den Romanen von Jörg Kastners Germanen-Saga wird diese Zeit wieder lebendig. Im Mittelpunkt steht Thorag der Cherusker, der gemeinsam mit seinem Waffenbruder Arminius das Land der freien Germanen vor den Römern zu beschützen versucht. Von den Urwäldern Germaniens bis zu den römischen Stützpunkten am Rhein, von den sieben Hügeln Roms bis zur reichen Hafenstadt Ravenna entfaltet sich das dramatische Geschehen, in dem eine längst vergangene Zeit mitsamt ihren Bräuchen und Ansichten detailliert geschildert wird. Nicht minder wichtig als die großen politischen Fragen ist Jörg Kastner das persönliche Glück der Hauptfiguren – und mehr als einmal muss Thorag um seine große Liebe Auja kämpfen … Die Germanen-Saga besteht aus folgenden Bänden: 1. Thorag der Germane 2. Die Fenrisbrüder 3. Eine Falle für Varus 4. Aufstand der Legionäre 5. Die Schwerter des Germanicus 6. Im Schatten des Adlers 7. Arminius und der Berserker 8. Der Fluch des Riesen 9. Flavus der Einäugige 10. Die Verschwörer von Ravenna 11. Todesbringer 12. Herzog der Cherusker Die jungen Cherusker Arminius und Thorag kehren aus römischen Diensten in ihre germanische Heimat zurück, aber hier steht nicht alles zum Besten. Die einzelnen Sippen der Cherusker sind untereinander entzweit, eine geheimnisvolle Bande von »Wolfshäutern« überfällt die Heimkehrer, und die von Thorag geliebte Auja musste einen anderen heiraten. Als Aujas Mann und ihr Vater ermordet werden, wird Thorag der Tat bezichtigt. Bei den Heiligen Steinen, wo sich der gesamte Stamm versammelt, soll Thorag durch ein Gottesurteil seine Unschuld beweisen …

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Jörg Kastner

Thorag der Germane

Folge 1 der 12-teiligen Romanserie Die Saga der Germanen

Historischer Roman

Prolog

Zu Beginn unserer Geschichte schreibt man das Jahr 8 n. Chr., aber das kann keiner der Protagonisten wissen. Augustus beherrscht Rom und damit die Welt, denn für die Römer ist das, was sie beherrschen, die Welt. Neben – natürlich – Italien zählen dazu weite Teile der nordafrikanischen Küste, Ägypten, Syrien, die Türkei, Griechenland, das Illyricum, Spanien und das von Gaius Julius Caesar eroberte Gallien, dessen Ostgrenze der Rhein bildet (kleinere Landstriche nicht aufgezählt). Augustus ist nicht unbedingt gierig auf noch mehr Land, andererseits stört ihn die lange Grenze, die sich am Rhein entlangzieht und einiges an Sold für die Besatzungstruppen kostet. Eine Grenzbegradigung durch einen Vorstoß bis zur Elbe käme ihm recht. Seine Feldherren dringen immer wieder ins Rechtsrheinische vor, das sie seit Caesar Germanien nennen. Stämme werden unterworfen oder als Bündnispartner gewonnen, manchmal auch beides zusammen. Befestigte Lager entstehen. Aber die Römer haben neben einigen Freunden unter den Germanen auch viele unversöhnliche Feinde …

Kapitel 1 – Das Land der Cherusker

Die Reiter zügelten ihre Pferde zur gleichen Zeit, wie auf ein geheimes Kommando, als sie die Kuppe des bewaldeten Hügels erreichten und sich ihnen der Ausblick auf das dahinterliegende Tal bot. Fünf von ihnen ließen ihre Tiere langsam ein paar Schritte nach vorn gehen, bis ein steiler Abhang die Vierbeiner zurückscheuen ließ. Die beiden anderen Reiter, die sich durch ihre dunklere Hautfarbe, ihre Kleidung und die Form ihrer Gesichtszüge von den übrigen unterschieden, blieben mit den Packpferden ein Stück zurück. Sie teilten die Gefühle der fünf jungen Edelinge beim Anblick des Tals nicht, waren die beiden Dunkelhäutigen doch fremd in diesem Land, das sie erstmals betraten und vielleicht nie mehr verlassen würden.

Die Edelinge schwiegen eine Weile und genossen das Gefühl des Daheimseins nach so vielen Jahren in der Fremde. Sie atmeten den spätsommerlichen Duft des Waldes ein, dessen sich allmählich gelb und rot färbende Blätter die Heimat, das Land ihrer Vorfahren – das Cheruskerland – fast noch schöner wirken ließ, als es ihnen in vielen Träumen fern der Heimat erschienen war. Gewiss bot Rom Annehmlichkeiten, die man diesseits des großen Flusses, den die Römer Rhenus nannten, vergeblich suchte. Aber die steinernen Städte im Süden wirkten tot, verglichen mit dem Leben, das hier überall herrschte. Rings um die kräftigen Eichen und Buchen, die das Land der Menschen mit dem Heim der Götter verbanden, raschelte das Laub. Ein Fuchs stellte vergeblich einem Hasen nach, und eine noch junge Hirschkuh suchte rasch das Weite, als der sanfte Wind ihr die Witterung der Reiter zutrug.

Noch spendete Sunna ihre ganze Kraft. Doch Thorag glaubte schon, ganz von fern den kalten Atem Höders oder Ullers zu spüren. Er kannte den Wechsel der Jahreszeiten und wusste, dass der Winter den Sommer zu verdrängen begann. Die Römer würden sagen, der Herbst stand bevor. Aber das wusste er noch nicht sehr lange. Erst, seitdem er die Römer näher kannte. Die Cherusker und auch die anderen Stämme, die von den Römern ebenso pauschal wie einfach als Germanen bezeichnet wurden, teilten den Lauf des Jahres in zwei Zeiten ein: in den Sommer als Zeit des Wachstums und in den Winter als Zeit der Ruhe.

Unten im Tal entdeckten die Edelinge ein Gehöft, das an einem Bach in der unbewaldeten Talsohle lag. Als sie die rohrgedeckten Holzhäuser betrachteten, die statt Fenstern mit gläsernen Scheiben nur verschließbare Luken – Windaugen genannt – aufwiesen, verglichen sie den Hof dort unten unwillkürlich mit der großen Stadt am Tiber, die sie vor einigen Wochen verlassen hatten.

„Rom ist es nicht“, sagte Armin, der, wie so oft, die Gedanken der anderen erraten hatte, mit einem heiteren Unterton. „Aber das zöge ich manchen Ecken Roms vor, selbst wenn ich ein Römer wäre.“

„Das bist du doch!“, erinnerte Thorag den Sohn des Fürsten Segimar daran, dass diesem aufgrund seiner Kriegserfolge das römische Bürgerrecht und der Rang eines Ritters verliehen worden war. Allerdings gegen die Zahlung von vierhunderttausend Sesterzen, wie es ein neues Gebot des Augustus bestimmte. Armin war die Leistung dieses Betrags nicht schwergefallen. Im Feldzug gegen die Pannonier hatte er ein Vielfaches erbeutet.

Armin lachte so laut, dass sein Schimmel unruhig wurde. „Bei Jupiter, Thorag, du hast recht, ich bin jetzt ein Römer.“ Er schlug mit der Faust gegen seine linke Brust. „Aber tief hier drin bin ich ein Cherusker geblieben, bei Wodan!“

Der spitzgesichtige Brokk zeigte hinunter zum Gehöft: „Ein Cherusker, der sich vorstellen kann, dort zu übernachten, Armin? Sunna hat ihre Tagesreise bald beendet.“

Während er mit der Linken die Zügel festhielt, machte Armin mit der Rechten eine gleichgültige Handbewegung. „Weshalb sollte ich dort nicht übernachten wollen? Im Krieg haben wir an weit unwirtlicheren Plätzen geschlafen, wenn wir überhaupt zum Schlafen gekommen sind. Heute Nacht werde ich Cherusker sein, nicht Römer.“

„Wohl nicht nur heute Nacht“, warf Thorag ein.

Armin seufzte und sah mit einem Blick über das Land, der dort etwas ganz anderes zu sehen schien als die sich ins Unendliche erstreckenden Hügel, Wälder und Moore. „Irgendwann wird es hier auch Häuser aus Stein und mit richtigen Glasfenstern geben, und Thermen.“ Er brach wieder in sein gewinnendes Lachen aus. „Aber nicht so rasch. In Rom selbst hat Augustus noch eine Menge zu tun.“

Thorag wusste, worauf er anspielte. Octavian, der jetzt von allen Augustus genannt wurde und über das gewaltige Reich der Römer herrschte, hatte im eigenen Stall mit dem Aufräumen begonnen, wie es in Rom die weniger vornehm Sprechenden ausdrückten. Ganze Viertel primitiver, im Schweinemist versinkender Lehm- und Ziegelhütten hatte Augustus einebnen lassen, um dort marmorne Prunkbauten zu errichten. Auf diese Weise beschaffte er dem einfachen Volk Arbeit und beseitigte gleichzeitig die Schäden, die der Stadt Rom in den Bürgerkriegen beigebracht worden waren. Wie sollte der Erbe Caesars in nicht gerade bescheidener Selbstbeurteilung doch gesagt haben: ‚Ich habe eine Stadt aus Backsteinen vorgefunden und hinterlasse eine aus Marmor.‘

Thorag warf einen forschenden Blick in Armins dunkle Augen und entdeckte dort jenes Feuer, das den jungen Cheruskerfürsten auch im Kampf beherrschte. Trotz der vielen Jahre, die Thorag an seiner Seite geritten war und gekämpft hatte, vermochte er Armin nicht recht einzuordnen. Manchmal sprach dieser flammend von einer Sache, aber seine Augen blieben kühl wie das Wasser im Frigidarium einer römischen Therme. Ein andermal sprach Armin gelangweilt von einer Sache, aber das Feuer seiner Augen verriet dem, der es zu lesen verstand, ein brennendes Interesse. So war es jetzt, als Armin sich spöttisch gab.

Spottete er über die Anstrengungen des Augustus? Über seine eigene Vorstellung von einem Cheruskerland voller steinerner Prachtbauten? Oder über beides?

Vielmehr als das beschäftigte Thorag die Frage, was das Feuer in den dunklen Augen zu bedeuten hatte. Träumte Armin von einem zweiten Rom hier in den dichten Wäldern? Eine Vorstellung, die Thorag so unwirklich erschien wie ihm einst das Römische Reich erschienen war, bevor er mit Armin und den anderen, von denen viele nicht mehr lebten, in römische Kriegsdienste trat. Oder träumte Armin gar von mehr?

Thorag fand keine Antwort auf diese Frage und dachte auch nicht länger darüber nach. Der steile, gewundene Weg, der hinunter ins Tal führte, beanspruchte seine ganze Aufmerksamkeit. Die Männer waren abgestiegen und führten die Pferde, damit die Tiere nicht über die immer wieder aus dem Boden ragenden, manchmal bis zu den Hüften reichenden Baumwurzeln stolperten. Thorag ließ sich hinter Armin, Brokk, Klef und Albin zurückfallen, um den beiden Pannoniern mit den Packpferden zu helfen. Immer wieder ermahnte er Pal und Imre zur Vorsicht und legte selbst Hand an, damit das Tier mit der zerbrechlichen Fracht nicht einen unbedachten Tritt machte und das Geschenk für Thorags Mutter in einen wertlosen Scherbenhaufen verwandelte.

Die beiden Sklaven lächelten ein wenig über diese Übervorsichtigkeit, die kaum notwendig war. Seitdem Pal und Imre Armin dienten, hatten sie sich in jeder Beziehung als ebenso treu wie verlässlich erwiesen. Die Brüder hatten sich dem Tribun der germanischen Auxiliartruppen während des Feldzugs in Pannonien ergeben, und Armin hatte seinem Versprechen gemäß Frauen und Kinder ihrer Heimatstadt geschont. Sie hatten dies anerkannt und verhindert, dass ein paar Kriegsgefangene ein Attentat auf Armin ausführten. Seitdem dienten sie ihm als seine persönlichen Leibeigenen und Leibwächter.

Sie erreichten die Talsohle ohne Zwischenfall. Vor ihnen wurde der Wald lichter, was den Beginn des gerodeten Gebiets ankündigte. Thorag wollte schon aufatmen, als plötzlich etwas Schwarzes, Kleines aus dem Unterholz schoss und mit lautem Quieken mitten zwischen die Pferde fuhr. Die Tiere, genauso überrascht wie die Menschen, scheuten wiehernd zurück. Eines der Packpferde machte sich selbstständig und stob in Panik davon, während das quiekende Etwas wieder im Unterholz verschwand.

Thorag trieb seinen Rappen mit heftigem Druck seiner Schenkel an, als er erkannte, welches Pferd den Pannoniern entlaufen war: das mit seinen Geschenken. O Donar, rief er in Gedanken seinen Schutzgott an, lass das Tier nicht stolpern!

Der Rappe schloss schnell zu dem Packpferd auf, das nicht mehr ganz so schnell lief, als es sich keiner unmittelbaren Gefahr ausgesetzt sah. Thorag konnte die Zügel ergreifen und fühlte sich erleichtert, als das Tier endlich stehen blieb.

Er kehrte mit dem Packpferd zu seinen Gefährten zurück, die aber kaum auf ihn achteten. Sie interessierten sich vielmehr für die laut schreiende Gestalt, die sich in den kräftigen Armen des inzwischen von seinem Pferd abgesessenen Klefs wand. Bei näherem Hinsehen erkannte Thorag, dass es ein Kind war, ein Junge von etwa zehn, elf Jahren mit Haaren so pechschwarz wie das Fell von Thorags Rappen. Haaren, wie Thorag sie nur von den südlichen Völkern, wie den Römern und den Pannoniern, kannte.

„Hör endlich mit dem Herumzappeln auf, du kleine Schlange!“, fuhr Klef den Gefangenen an, den er fast waagrecht vor seinem gewaltigen Brustkasten hielt.

Aber der Junge schien nicht gewillt, so leicht aufzugeben. Er verbiss sich derart fest in Klefs Unterarm, dass der massig gebaute Cherusker seinen Griff lockerte und den Gefangenen entschlüpfen ließ. Der Junge fiel auf alle viere, erhob sich augenblicklich mit katzenartiger Gewandtheit und rannte davon, geradewegs auf Thorag zu, den er in seiner Erregung noch gar nicht bemerkt hatte. Schnell rutschte Thorag aus dem vierknaufigen Römersattel, an dessen Benutzung er sich in den letzten Jahren gewöhnt hatte, und packte den an ihm Vorbeilaufenden am Kragen, sodass dessen Wollkittel ein Stück einriss.

Thorag musste die gleiche Erfahrung machen wie vor ihm Klef. Schlagartig verwandelte sich der Junge in ein sich windendes, kratzendes und beißendes Tier. Armin, Brokk, Klef und Albin scharten sich um Thorag und das Kind und ließen ihrer Erheiterung freien Lauf. Besonders Klef schien froh darüber zu sein, dass es statt seiner jetzt Thorag erwischt hatte.

Dieser wusste sich schließlich nicht mehr anders zu helfen, als den Jungen zu Boden zu werfen und sich rittlings auf ihn zu setzen, so schwer, dass seinem Gefangenen allmählich die Luft wegblieb.

„Was ist, kleiner Löwe?“, fragte Thorag, als der Widerstand des Jungen allmählich nachließ. „Ergibst du dich?“

Schwer atmend sah ihn der Junge mit weit aufgerissenen Augen an. Seine gleichmäßigen, feinen Züge hätten fast mädchenhaft schön gewirkt, wären sie nicht vor panischer Angst verzerrt gewesen.

„Lass mich in Ruhe, Römer!“, keuchte der Junge. „Ich habe euch nichts getan!“

Jetzt war es an Thorag zu lachen. Er schüttelte sich so sehr vor Lachen, dass sein langes, blondes Haar wie eine im Wind wehende Fahne hin und her flog. Gleichzeitig machte er sich ein wenig leichter, damit er dem Jungen nicht die letzte Luft zum Atmen raubte.

„Was hast du, Thorag?“, erkundigte sich der herantretende Armin. „Was erheitert dich so?“

„Der Junge hält uns für Römer“, erklärte ein sich zur Ernsthaftigkeit zwingender Thorag.

„Kein Wunder. Wir haben schließlich die Sprache der Römer benutzt.“

Thorag nickte, sah wieder den Jungen an und sagte in der Sprache der Germanen: „Wir sind keine Römer, wir sind Cherusker.“

Der Junge blickte ihn ungläubig an. „Ich habe noch nie einen Cherusker gesehen, der ein gesatteltes Pferd reitet. Und warum sprecht ihr die Sprache der Römer?“

„Weil wir daran gewöhnt sind“, antwortete Thorag und machte sich, da der Junge jeglichen Widerstand aufgegeben hatte, noch ein bisschen leichter. „Wir kommen aus Pannonien, wo wir in der römischen Armee gedient haben.“

„Aus Pannonien“, wiederholte der Junge leise und fast ehrfurchtsvoll, als sei das für ihn genauso weit entfernt wie der Göttersitz Asgard oder Alfheim, die Welt der Lichtelfen. Vielleicht wusste er aber mit dieser Bezeichnung auch gar nichts anzufangen, weshalb sie ihm umso beeindruckender erschien. „In der römischen Armee gedient?“

„Ja“, bestätigte Thorag. „Und bevor wir heimkehrten, waren wir noch in Rom und haben Augustus, den Caesar, gesehen.“

„Rom“, wiederholte der Junge langsam und betrachtete die Männer. Die Verwirrung über die vielen fremden Namen zeichnete sich deutlich auf seinem Gesicht ab, als er wieder Thorag ansah. „Du … bist du etwa Armin, der Sohn des Segimar?“

„Wie kommst du darauf?“

„Alle erwarten seit Segimars Tod die Rückkehr Armins. Sie sagen, dann wird alles besser werden.“

„Mein Name ist Thorag. Ich bin nicht der Sohn des Segimar, sondern des Wisar. Das da ist Armin.“

Er zeigte auf den Mann neben sich, genauso hünenhaft und breitschultrig wie Thorag selbst. Man hätte sie für Zwillingsbrüder halten können, hätte Armin nicht etwas dunkleres Haar gehabt als Thorag, das er außerdem kürzer trug. Der markanteste Unterschied zwischen den beiden Männern aber waren ihre Augen. Thorags leuchtend blaue Augen standen in einem scharfen Kontrast zu dem dunklen Feuer, das in Armins Augen loderte.

Noch immer von Unglauben beherrscht, wanderte der Blick des Jungen von Thorag zu Armin. Sein Mund stand halb offen. Er schien hier Römer eher erwartet zu haben als die fünf Cherusker.

„Was ist?“, fragte Armin den Jungen. „Hast du plötzlich deine Sprache verloren?“

Der Junge schüttelte den Kopf, sagte aber keinen Ton.

„Dann sag uns, wie du heißt!“

„Eiliko“, kam es langsam über die Lippen des Schwarzhaarigen.

„Weshalb, Eiliko“, fuhr Armin fort, „bist du wie ein wilder Eber aus dem Gebüsch gebrochen und hättest uns fast über den Haufen gerannt?“

„Ich habe Uffo gesucht.“

„Wer ist nun wieder Uffo?“

„Ein Schwein.“

Die Cherusker sahen sich stirnrunzelnd an.

Plötzlich dämmerte es Thorag. „Er meint bestimmt das schwarze Etwas, das unsere Tiere scheu gemacht hat.“

„Ich habe Thidriks Schweine in den Wald geführt, damit sie frische Eicheln fressen können. Aber Uffo macht immer Schwierigkeiten. Schon vor einer ganzen Weile ist er mir weggerannt. Ich hatte ihn fast, aber dann ist er mir wieder entwischt. Ich rannte ihm nach und lief euch in die Arme.“

„Und hieltest uns für Römer“, meinte Armin.

Eiliko nickte. „Ja, Herr.“

„Weshalb fürchtest du die Römer so?“

„Thidrik konnte seine Steuern nicht bezahlen, als die Römer hier waren. Sie sagten, wenn sie wiederkommen und er kann immer noch nicht zahlen, wollen sie es uns allen heimzahlen.“

„Bist du Thidriks Sohn?“

„Nein, sein Leibeigener.“

„Und warum kann dein Herr seine Steuern nicht bezahlen?“

„Weil sie zu hoch sind.“

„Das sagt jeder“, meinte Armin spöttisch.

Aber Eiliko nahm ihn ernst und nickte bekräftigend. „Ja, Herr, alle sagen das. Sie sagen, Varus saugt uns noch das Blut aus dem Leib, wenn nicht bald etwas geschieht.“

Diesmal war es an Armin, ungläubig dreinzuschauen. „Sprichst du von Publius Quintilius Varus, dem Legaten des Augustus?“

„Ich kenne nur den einen Varus, Herr.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen“, meinte Armin kopfschüttelnd, „dass Quintilius Varus dem Volk der Cherusker ungerechte Steuern auferlegt. Wir haben schließlich einen Vertrag mit den Römern geschlossen.“

„Fragt diejenigen, die die Steuern bezahlen müssen, Herr“, sagte Eiliko.

„Das werde ich tun“, erwiderte Armin ernst und legte eine Hand auf Thorags Schulter. „Ich denke, du kannst unseren jungen Freund freilassen.“ Der Sohn des Segimar stieg auf seinen Schimmel und sagte: „Führ uns zu Thidriks Hof, Eiliko!“

Der Junge schaute betreten drein. „Ich muss doch noch Uffo suchen, Herr. Aber ihr könnt den Hof nicht verfehlen. Reitet nur immer geradeaus.“

Sie befolgten Eilikos Rat und sahen bald, während sie an dem durch das Tal fließenden Bach entlang durch Gersten- und Roggenfelder ritten, das von einem niedrigen Zaun umschlossene Gehöft vor sich liegen. Das Eingangstor blickte nach Osten, um dort jeden Morgen die Jungfrau Sunna und ihren goldglänzenden Wagen zu begrüßen. Sie umrundeten den Hof und wurden von einer kleinen Menschenschar begrüßt, als sie das Tor erreichten.

Der voranreitende Armin zügelte seinen Schimmel vor dem Tor und fragte laut: „Ist unter euch Thidrik, der Herr dieser Menschen, Tiere und Gebäude?“

„Ich bin Thidrik“, sagte ein mittelgroßer, massiger Mann, der die Blüte seines Lebens bereits hinter sich gelassen hatte. Sein schulterlanges Haar und der große Schnurrbart, beides einstmals dunkel, wurden von zahlreichen grauen Fäden durchzogen. Sein mit Heidelbeersaft blau gefärbter Kittel war besser in Schuss und sauberer als Eilikos einziges Kleidungsstück. Außerdem trug Thidrik eine ebenfalls blaue Kniehose und lederne Schuhe.

„Gewährt Thidrik fünf Cheruskern und ihren beiden Begleitern Gastfreundschaft für die Nacht?“, fragte Armin.

„Wer sind die, die meine Gastfreundschaft begehren?“

Armin zeigte auf den kräftigen Klef und seinen gegen ihn fast ein bisschen schmächtig wirkenden Bruder Albin. „Das sind Klef und Albin, die Söhne des Gaufürsten Balder.“ Seine Hand wanderte weiter. „Das ist Thorag, Sohn des Gaufürsten Wisar.“ Und weiter. „Das ist Brokk, Sohn des Gaufürsten Bror.“ Die Augen der Umstehenden wurden immer größer und fielen ihnen fast aus den Gesichtern, als Armin schloss. „Ich selbst bin Armin, Sohn des Segimar.“

Als der junge Cheruskerfürst seinen Namen nannte, gingen die Menschen auf die Knie. Die kleineren Kinder, die nicht erfassten, worum es ging, wurden von den Erwachsenen gewaltsam zu Boden gezogen. Schließlich standen nur noch zwei Menschen jenseits des Tores aufrecht: Thidrik und ein jüngerer Mann, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war, auch wenn er keinen Bart trug. Er war unzweifelhaft Thidriks Sohn.

„Willkommen auf meinem Hof, edler Armin“, stammelte ein überraschter Thidrik, während er ebenfalls auf die Knie fiel. „Mein Haus sei dein Haus, und meine Speise sei deine Speise.“

Als Letzter sank Thidriks Sohn zu Boden. Aber nur sehr widerwillig. Thorag, der von seinem Vater gelernt hatte, immer sehr genau in die Gesichter der Menschen zu sehen, glaubte, in den Augen des jungen Mannes ein ähnliches Feuer wahrzunehmen, wie er es zuweilen bei Armin feststellte. Aber es war nicht Armins Leidenschaft, die Thorag bei Thidriks Sohn sah, sondern eher Verachtung und Hass. Thorag sagte sich, dass er sich täuschen musste. Sie waren Fremde für die Menschen hier. Jene hatten nicht den geringsten Grund zur Abneigung gegen Armin und seine Begleiter.

Hinter ihnen erhoben sich die Menschen wieder. Knechte und Mägde eilten herbei, um den Neuankömmlingen zu Diensten zu sein und ihre Pferde zu übernehmen.

„Vorsicht mit den Packpferden!“, rief Thorag, als er sah, wie ein alter grauhaariger Knecht Pal und Imre recht unbekümmert zur Hand ging. Der Edeling ging zu den Packpferden und gab genaue Anweisungen, wie die kostbare Fracht zu behandeln sei.

Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, wandte sich an ihn. Obwohl sie keinen Schmuck trug und nur ein einfaches, mit Flicken übersätes und von einer um die schmalen Hüften geschlungenen Kordel zusammengehaltenes Wollkleid, bemerkte Thorag gleich ihre Schönheit. In ihren ebenmäßigen Zügen lag eine Sanftheit, die in ihm zärtliche Erinnerungen weckte.

Ja, wäre ihr Haar nicht pechschwarz gewesen, sondern blond, hätte sie eine gewisse Ähnlichkeit mit Auja gehabt. Mit Auja, die er noch jünger in Erinnerung hatte, als diese Frau war, und die doch schon älter sein musste. Auja, mit der er so viele schöne Stunden verbracht hatte, die schönsten seines Lebens vielleicht. Auja, nach der es ihm genauso verlangte wie nach dem Wiedersehen mit seinem Vater, seiner Mutter und seinen Geschwistern.

Aber noch etwas anderes war an der jungen Frau vor ihm, das ihm bekannt vorkam. Natürlich, es war noch gar nicht lange her, dass er ganz ähnliche Züge gesehen hatte. Vor seinem geistigen Auge verwandelte sich das Antlitz der Frau in das Gesicht des Jungen Eiliko.

„Verzeih, Herr“, sagte die junge schwarzhaarige Schönheit mit leiser, aber fester Stimme. „Habt ihr, als ihr durch den Wald gekommen seid, einen Jungen mit einer Schweineherde gesehen?“

„Wie heißt du?“, fragte Thorag, fasziniert von dem fast überirdisch schönen Gesicht.

„Astrid.“

„Astrid“, murmelte er. „Die schöne Göttin. Welch passender Name.“ Lauter fragte er: „Ist Eiliko dein Bruder, Astrid?“

Sie nickte. „Ja, Herr. Wie kommst du darauf?“

„Ich habe Augen im Kopf. Eiliko ist noch im Wald. Er sucht ein entlaufenes Schwein.“

Astrid lächelte. „Das kann nur Uffo sein.“

„Ja, so hieß es.“

Thidriks Sohn eilte herbei, packte Astrid roh am Arm und zog sie mit solcher Gewalt von Thorag weg, dass sie stolperte und zu Boden stürzte. Die junge Frau verfügte über eine ähnliche katzenartige Gewandtheit wie ihr Bruder und erhob sich rasch wieder auf alle viere. So verharrte sie, um den Sohn ihres Herrn nicht herauszufordern. Ihr langes, hinten durch ein Band zusammengehaltenes Haar hatte sich bei dem Sturz gelöst und umspielte nun in sanften Wellen ihr Gesicht, was sie noch schöner wirken ließ.

„Belästige den Herrn nicht, Astrid!“, bellte Thidriks Sohn. „Hast du nichts zu tun? Dann geh hinein und hilf meiner Mutter bei der Zubereitung des Festmahls!“

Stumm erhob sich Astrid und ging, ihr Haar wieder zu einem Pferdeschwanz zusammenbindend, an den beiden Männern vorbei, die ihr nachsahen, Thorag fasziniert und der andere mit jenem bösen Funkeln, dass er schon zuvor bemerkt hatte.

Thorag konnte sich nicht helfen, aber er mochte den jungen Mann nicht, der sich ihm als Hasko vorstellte. Gewiss, Astrid war die Leibeigene seines Vaters. Thidrik und Hasko konnten mit ihr nach Belieben verfahren. Aber Thorag wäre niemals eingefallen, die Leibeigenen seines Vaters so zu behandeln, wie es Hasko eben getan hatte. Als Kind hatte er mit den Kindern von Wisars Leibeigenen gespielt, später mit ihnen zusammen den Erwachsenen bei der Arbeit geholfen. Von seinem Vater hatte Thorag gelernt, einen Menschen nach seinen Taten zu beurteilen und zu behandeln, nicht nach dem Stand, in den er hineingeboren war.

Von Hasko geleitet, dessen falsches Lächeln ihn an das Zähnefletschen eines Wolfs erinnerte, betrat Thorag das schmale, lange Haus, das sich Mensch und Tier teilten. Der Hauseingang befand sich in der Mitte einer Längsseite, wo Wohnung und Stall zusammentrafen. Da es bereits dunkelte, stand das Vieh in den Stallkästen.

Der strenge Geruch aus den Jaucherinnen, die sich an den Stallseiten entlangzogen, beleidigte Thorags Nase. Das hatte er früher nie so empfunden und machte ihm bewusst, wie lange er seiner Heimat fern gewesen war. Er war kein Römer geworden in diesen Jahren, doch schien ihm manches, was bei den Untertanen des Augustus üblich war, als eine erstrebenswerte Errungenschaft.

Aber hatten nicht die Sitten jedes Landes ihren Sinn? Im Winter, wenn die Jungfrau Sunna ihren Sonnenwagen mit solcher Eile durch den Himmel jagte, dass die Tage kürzer als die Nächte wurden, wenn der Eiswind aus dem Norden kam und das Land mit Schnee bedeckte, würde die Wärme der Tiere den mit ihnen unter einem Dach lebenden Menschen helfen, die kalte Zeit zu überstehen.

Thorag folgte Hasko über den Estrich, der den Boden im für die Menschen bestimmten Teil des Hauses bedeckte, am heiß ausstrahlenden Herd vorbei zu den Tischen, die von einigen Knechten vor den sich an der Längswand des Wohnhauses entlangziehenden Pritschen aufgestellt wurden. Die Tische bestanden aus hölzernen Böcken und darübergelegten Tafeln. Dann brachten die Knechte Sitzbänke und Hocker herbei, die aus grob bearbeiteten Baumstümpfen bestanden. Die Wurzelenden, mal drei, mal vier, waren zu Füßen zurechtgestutzt, manchmal so ungleichmäßig, dass das Sitzen auf den Hockern eine recht wacklige Angelegenheit war. Schließlich schleppten zwei Männer ein stuhlartiges Gebilde heran, mit einer hohen Rückenlehne, die sich an den Seiten zu Armlehnen niederschwang.

Thidrik, der an Armins Seite stand, zeigte auf den an einen Thron erinnernden Stuhl. „Auf diesem Stuhl sitzt der Herr dieses Hauses, edler Armin. Heute Abend ist es dein Platz, denn kein anderer gebührt dem Sohn des Herzogs Segimar.“

Armin verneigte sich leicht als Dank für diese Ehrung und nahm auf dem Stuhl Platz. Dort rutschte er mehrmals hin und her, aber es fiel ihm nicht leicht, seinen hünenhaften Körper auf der klobigen, für einen weitaus kleineren Mann geschaffenen Sitzgelegenheit in eine einigermaßen bequeme Stellung zu bringen.

Als die Mägde das Geschirr auftrugen, sah Thorag Astrid wieder. Ihre Blicke begegneten sich. Kurz nur tauchte der Cherusker in die unendliche Tiefe ihrer dunklen Augen ein, aber es schien ihm wie eine kleine Ewigkeit. Obgleich Astrid noch jung, lag in ihrem Blick der Ausdruck eines Menschen, der schon viel mehr gesehen hatte, als es ihre fünfzehn oder sechzehn Jahre ermöglichten. Fast schmerzhaft kehrte Thorag ins Hier und Jetzt zurück, als Astrid sich abwandte, um weiteres Geschirr zu holen.

„Nein, dieses Horn gebührt Armin“, sagte Thidrik zu einem Knecht, der aus Rinderhörnern gefertigte Gefäße auf den Tafeln verteilte. Zur Erklärung für die Gäste fügte Thidrik hinzu: „Dieses Horn ist mit Gold beschlagen und gebührt dem Herrn des Hauses. Das bist heute Abend du, edler Armin.“

Der bedankte sich wieder mit einer angedeuteten Verneigung, während der Knecht die Hörner austauschte.

Thidrik tat wirklich alles, um seinen Pflichten als Gastgeber für den Sohn seines verstorbenen Herzogs nachzukommen. Und doch wurde Thorag das Gefühl nicht los, dass seine Freundlichkeit nur aufgesetzt war. Aber vielleicht lag das auch nur an Haskos seltsamem Blick, an den er sich einfach nicht gewöhnen konnte.

Knechte brachten Met zum Begrüßungstrunk. Thidrik erhob sich und ließ es sich nicht nehmen, erst Segimar und dann dessen Sohn Armin zu preisen. Anschließend stand Armin auf und antwortete mit einer Dankesrede auf die Gastfreundschaft Thidriks. Dann nahm der Sohn des Segimar einen Schluck aus seinem Horn, um es an den rechts von ihm sitzenden Thorag weiterzureichen. Dieser nahm ebenfalls einen Schluck und gab das Horn an Brokk weiter. Von dort ging es zu Thidrick, dem mit offensichtlichem Widerwillen trinkenden Hasko, Albin, Klef und zurück zu Armin. Es blieb nicht lange leer; sofort eilte ein Knecht herbei und füllte es wieder mit Met auf. Das kreisende Horn vereinte alle am Tisch der freien Männer Versammelten. Für diese Nacht würden sie eins sein, jeder Schild und Schutz des anderen. Das kreisende Horn war gegenseitige Ehrung und wechselseitiger Schwur zugleich. Nach diesem zeremoniellen Schluck leerten die Männer ihre eigenen Trinkhörner.

Thorag bemerkte einen genießerischen Ausdruck auf den Gesichtern seiner Gefährten, und Klef sagte: „Bei den Römern habe ich jede Menge edler Weine vorgesetzt bekommen, aber nach diesem Schluck erst weiß ich, wie sehr ich guten Cheruskermet vermisst habe.“

Auch die anderen Edelinge lobten den aus Weizen, Beeren und Honig gegorenen Trank und hielten ohne Ausnahme ihre Rinderhörner hoch, als ein Knecht mit einem Tonkrug erschien, um nachzuschenken.

Mit dem Trinken ließ sich Thidrik ebenso wenig lumpen wie mit dem Essen. Es gab gebratenes Huhn, gefüllt mit Beeren, Pilzen und Nüssen; dazu ofenwarme, mit Honig bestrichene Teigfladen.

Bevor die Menschen mit dem Essen begannen, kam eine Magd mit einem leeren, bronzenen Tablett zu Thidrik. Thorag glaubte in dem Tablett eine römische Arbeit zu erkennen. Es war gewiss die wertvollste unter Thidriks Haushaltswaren.

Der Bauer nahm einen kleinen Teil von jeder Speise und legte ihn auf das Tablett. „Donar, Schutzherr der Bauern, der uns den fruchtbaren Regen bringt, erhöre uns! Wir bringen dir unsere Gaben dar und bitten dich, dafür zu sorgen, dass unsere Felder stets reichlich Korn, unsere Weiden stets frisches Gras tragen. Halte deine eiserne Faust schützend über dieses Haus, o Gott des Donners, des Blitzes und des Regens!“

Die Magd wollte mit dem Tablett zum Herd gehen. Aber Thorag winkte sie zu sich und legte einen Teil seines Essens neben Thidriks Gaben. „Auch ich, Thorag, Sohn des Wisar, bitte dich, unser aller Vater Donar, stets gut zu wachen über Haus und Hof, Sippe und Gesinde des Freien Thidrik.“

Jetzt durfte die Magd das Tablett zum Herd tragen und die Opfergaben dem Feuer übergeben.

Thidrik warf Thorag einen fragenden Blick zu. „Du bringst Donar ein besonderes Opfer dar?“

Die Frage war verständlich. Es oblag Thidrik als dem Herrn des Hauses, dem Schutzgott der Bauern zu opfern, nicht einem seiner Gäste.

Thorag nickte. „Ich habe es getan, um Donars besonderen Schutz für dich und die deinen zu erbitten, Thidrik. Die Väter meines Vaters stammen vom Gott des Donners ab.“

Dabei zeigte der Edeling auf seinen Rundschild, der an seinem in einer Ecke des Hauses verstauten Gepäck lehnte. Das schwere Rund aus dickem Eichenholz, von einem bronzenen Ring eingefasst, war mit bemaltem Leder überzogen. Die Bemalung stellte einen bronzen schimmernden, reich verzierten Hammer auf dunklem Grund dar und war so geschickt angebracht, dass der Kopf des Hammers mit dem bronzenen Schildbuckel in der Mitte des Kreises verschmolz. Der Schild hatte in vielen Schlachten manchen Schwerthieb und manchen Lanzenstoß abgefangen und sah entsprechend mitgenommen aus. Aber stets war Thorag unbesiegt aus dem Kampf hervorgegangen, mit seinem Schild und damit auch mit seiner Ehre. Denn der Hammer war ein Abbild Miölnirs, Donars Waffe. Wenn Thorag den Schild bei sich trug, ging die Kraft des Donnergottes auf ihn über. Verlor er den Schild aber, war das eine Beleidigung Donars und ein Ehrverlust für Thorag. Wie der Hammer auf dem Schild stellten auch die bronzene Schnalle von Thorags Wehrgehänge und die Bronzefibel, die seinen Umhang über der Schulter zusammenhielt, Abbildungen Miölnirs dar; beides hatte der Schmied Radulf gefertigt.

Der Bauer und sein Sohn blickten Thorag mit großen Augen an, aber jeder auf seine Weise. Aus Thidriks Blick sprach eine Mischung aus Ehrfurcht und Dankbarkeit, aus dem Haskos eine nur noch größere Ablehnung.

Draußen brach vollends die Dunkelheit herein, und ein paar der Knechte und Mägde, die im zum Stall grenzenden Wohnraumteil an einer Tafel saßen, standen auf, um die Windaugen zu schließen. Das einzige Licht kam jetzt vom prasselnden Herdfeuer und tauchte das Innere des Hauses in ein rötliches Flackern. Nun, als die Windaugen geschlossen waren, spürte Thorag stärker den sich im Haus verteilenden Rauch des Feuers, der durch das kleine Loch im Dachgiebel nur spärlichen Abzug fand.

„Wir hätten zu Ehren eures Besuches gern ein Schwein geschlachtet“, sagte Thidrik. „Aber dieser Herumtreiber von Eiliko, der die Schweine zum Füttern in den Wald geführt hat, ist noch nicht zurück.“

„Wir haben ihn unterwegs getroffen“, berichtete Armin. „Er hielt uns anfangs für Römer und schien sehr große Angst vor uns zu haben. Weshalb?“

Thorag bemerkte, wie Thidrik einen Blick mit seinem Sohn wechselte. Der Schnauzbart des Hofherrn zitterte leicht, als er antwortete: „Das weiß ich nicht, Herr. Eiliko ist noch ein Kind und hat viele Flausen im Kopf.“

„Flausen schienen es nicht zu sein, Thidrik. Eiliko erzählte etwas von Steuern, die du nicht bezahlen kannst.“

Thidrik seufzte leise. „Steuern zu bezahlen, ist oft nicht leicht. Bevor die Römer kamen, schuldeten wir niemandem Abgaben, hatten nur Treue und Tapferkeit gegenüber unseren Fürsten zu erbringen. Jetzt plötzlich müssen wir den Römern Vieh, Leder, Wolle, Korn, ja selbst Milch, Käse und Honig geben, häufig so viel, dass uns selbst nicht genug übrig bleibt!“ Der Bauer hatte sich in große Erregung hineingesteigert, und das Glühen seiner Augen erinnerte an seinen Sohn. „Was aber geben uns die Römer dafür?“

„Ihren Schutz und ihre Gesetze“, antwortete Armin.

„Früher brauchten wir keinen fremden Schutz und keine fremden Gesetze. Wurden wir bedroht, zogen wir mit unseren Fürsten in den Kampf und schlugen den Feind zurück. Und die Gesetze der Römer? Unsere Fürsten sprechen Recht, und in schweren Fällen entscheidet das Thing der Freien. Genügt das nicht?“

„In Zukunft nicht mehr. Die Welt ändert sich mit jedem Sommer. Wir haben viel von ihr gesehen und von der Macht der Römer. Es kann für uns nur gut sein, uns ihrem Schutz anzuvertrauen.“

Erst wollte Thidrik etwas auf Armins letzte Bemerkung erwidern, aber dann kniff er die Lippen fest zusammen und schluckte hinunter, was ihm auf der Zunge gelegen hatte. Auch gegen seine Erregung kämpfte er an, bis er im gemäßigten Tonfall sagte: „Vielleicht hast du recht, edler Armin. Wie du sagst, du hast viel gesehen von der Welt und den Römern. Ich kenne nur das Land der Cherusker. Was kann ich schon sagen.“

Hasko schien damit gar nicht einverstanden zu sein. Bevor er aber den Mund öffnen konnte, brachte ihn sein Vater mit einer Handbewegung zum Schweigen und rief laut nach einem Knecht, um frischen Met aufzutragen.

Von draußen kamen plötzlich Geräusche, lautes Quieken und Grunzen.

„Die Schweine sind zurück“, stellte Thidrik fest und hob sein frisch gefülltes Trinkhorn in Armins Richtung. „Leider zu spät, um eins zum Festmahl für den jungen Herzog der Cherusker zu machen.“

„Noch bin ich nicht Herzog“, wehrte Armin ab. „Erst müssen mich die Frilinge auf dem Thing bei den Heiligen Steinen wählen.“

Noch während der Sohn des toten Herzogs sprach, war Hasko aufgesprungen und an der Gesindetafel vorbei zur Tür gegangen.