Die stürmische Lady - Marie Cordonnier - E-Book

Die stürmische Lady E-Book

Marie Cordonnier

4,8

Beschreibung

London, Anfang des 19. Jahrhunderts: Die Heirat mit einem Lord, den ihr Vater ausgesucht und den sie noch nie gesehen hat, ist für die eigenwillige und impulsive Alyssa unvorstellbar. Sie brennt mit dem besten Freund ihres Bruders nach Gretna Green durch - aber ihre Flucht wird vereitelt, ihr Gehorsam erzwungen. Doch Alyssa gibt nicht auf. Sie stellt sich ihrem neuen Leben als Lady ebenso wie den beunruhigenden Gerüchten um ihren Ehemann. Lord Bevils erste Frau ist tödlich verunglückt. Delphine, ihre jüngere Schwester, das Mündel des Lords, ist felsenfest davon überzeugt, dass seine Lordschaft diesen Unfall absichtlich herbeigeführt hat. Aber Alyssa will nicht wahrhaben, dass sie einen Mörder ins Herz zu schließen beginnt. Delphine sieht in ihrer Besessenheit keinen anderen Ausweg: sie schmiedet einen wilden Plan. Die Auflagenmillionärin Marie Cordonnier zählt mit über 40 lieferbaren Titeln zu den erfolgreichsten Autorinnen historischer Liebesromane.

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Marie Cordonnier

Die stürmische Lady

Romantic Thriller

___

BsB

BestSelectBook_Digital Publishers

Alle Rechte vorbehalten© 2015 by BestSelectBook_Digital Publishers MünchenISBN 978-3-86466-234-8

London, Anfang des 19. Jahrhunderts: Die Heirat mit einem Lord, den ihr Vater ausgesucht und den sie noch nie gesehen hat, ist für  die eigenwillige und impulsive Alyssa unvorstellbar. Sie brennt mit dem besten Freund ihres Bruders nach Gretna Green durch – aber ihre Flucht wird vereitelt, ihr Gehorsam erzwungen.

Doch Alyssa gibt nicht auf. Sie stellt sich ihrem neuen Leben als Lady ebenso wie den beunruhigenden  Gerüchten um ihren Ehemann. Lord Bevils erste Frau ist tödlich verunglückt. Delphine, ihre jüngere Schwester, das Mündel des Lords, ist felsenfest davon überzeugt, dass seine Lordschaft diesen Unfall absichtlich herbeigeführt hat. Aber Alyssa will nicht wahrhaben, dass sie einen Mörder ins Herz zu schließen beginnt. Delphine sieht in ihrer Besessenheit  keinen anderen Ausweg: sie schmiedet einen wilden  Plan...

Prolog

September 1822 – Chirnside nahe der schottischen Grenze

„Steig’ ein! Ich bitte dich!“

Alyssa zögerte. Die Droschke, in die sie klettern sollte, hatte schon bessere Zeiten gesehen. Die Lederpolsterung der Sitzbank war abgewetzt, aus den Nähten quoll Füllmaterial. Ein Duftgemisch aus Unrat, menschlichen Ausdünstungen und ranzigem Lederfett drang an ihre Nase. Die Schmutzschicht auf dem Boden sprach von Jahren der Vernachlässigung. Ernüchtert wandte sie sich an Richard, dem sie zum ersten Male Ungeduld anmerkte. Gewöhnlich ein Bollwerk der Ruhe, dessen Gelassenheit nur noch von seinen Manieren übertroffen wurde, ließ er jetzt erkennen, dass er sich in seiner Haut ebenfalls schon einmal wohler gefühlt hatte.

„Alyssa! Es ist zu spät für Bedenken“, fügte er nun drängend hinzu. Seine Hand zwischen ihren Schulterblättern, schob er sie unmissverständlich vorwärts. „Willst du ausgerechnet in Chirnside Aufmerksamkeit erregen? Man wird sich an uns erinnern.“

Obwohl sie ihm beipflichten musste, blieb Alyssa stocksteif stehen. Sie hasste es, gemaßregelt zu werden. Sie verließ das Haus ihres Vaters in erster Linie, um der Flut von Belehrungen zu entgehen, die ihre Tage füllten. Sie war 22 Jahre alt und erwachsen. Sie wollte von Richard respektiert und anerkannt werden. Besonders von Richard!

Sie erhoffte sich so viel von ihm. Unterstützung. Verständnis. Mitgefühl. Die Bestätigung seiner Liebe, keine Zurechtweisungen, die sie daran erinnerten, wie unerfahren sie letztlich doch war. Als Tochter eines Landbaronets in Northumberland war sie bisher immer gehorsam gewesen, aber seit Jahren sehnte sie sich danach, das Nest aus Langeweile und Pflichten zu verlassen. Sie wollte über die Hecken und Felder hinaussehen, die Welt kennenlernen und die eigenen Fähigkeiten erproben.

Jetzt würde es endlich soweit sein. Sobald der Kutscher, der sichtlich gelangweilt in seinen Zähnen bohrte, in Richtung schottische Grenze nach Gretna Green aufbrach, würde sie das alles hinter sich lassen. Und das in einer Leihdroschke, die vor Dreck starrte. Ein böses Omen?

„Steig ein!“, wiederholte Richard nun halb gereizt, halb verzweifelt. Als einer der hoffnungsvollsten Nachwuchsdiplomaten in Lord Liverpools Außenministerium war er absolut im Stande, in Krisensituationen kühlen Kopf zu bewahren, Alyssas Widerspenstigkeit jedoch stellte seine Geduld auf die Probe. Kurz blitzte der Gedanke in ihm auf, er könne ein Spielball weiblicher Laune geworden sein, doch bevor er diese Idee richtig zu fassen bekam, krähte eine wohlbekannte Stimme:

„Das wirst du nicht tun, Alyssa Margaret Alice Belfort!“

Eine Hand schoss hinter ihm vor und umklammerte das Handgelenk der jungen Frau. Hätte Alyssa nicht die Stimme sofort erkannt, diese Finger waren ihr jedenfalls wohl vertraut. Einmal mehr wunderte sie sich darüber, dass sie dünn wie Kienspäne und doch so kräftig wie die eines Pferdeknechtes waren. Alles an Mafalda Limonet war knochig und mager, zudem besaß sie eine scharfe Zunge und Augen, denen nichts entging. Nach dem Tod von Alyssas Mutter hatte deren französische Zofe sowohl die Zügel des Hauswesens als auch die Erziehung der Tochter in die Hand genommen. Aus Mafalda war Madame geworden.

Zur größten Erleichterung von Sir Jonathan. Der Witwer hatte weder eine Ahnung, wie er den Alltag ohne seine Ehefrau bewältigen, noch, wie er mit einem Mädchen fertig werden sollte, das ständig zwischen Trauer und Aufbegehren schwankte.

„Woher…“

Alyssa hob fragend den Blick zu Richard, der vor Madame zurückwich wie eine Maus vor den Krallen der Stallkatze.

„Dachtest du, man sähe dir nicht an, dass du etwas im Schilde führst?“, tat Madame Alyssas unvollständige Frage einfach ab. „Ich kenne dich lange genug, um in solchen Fällen Vorkehrungen zu treffen. Wir fahren jetzt nach Hause. Und was Sie betrifft, junger Mann. Wenn Sie fähig sind, einen Rat anzunehmen, dann sollten Sie sich schleunigst nach London aufmachen, damit sich der Skandal in Grenzen hält. Oder sind Sie daran interessiert, für den Rest Ihrer Tage in Whitehall alte Akten zu sortieren?“

Alyssas Wangen brannten vor Scham. Sie war sich sowohl des Schauspiels bewusst, das sie den Neugierigen boten, als auch des Umstands, dass Madame sie vor Richard wie ein ungezogenes Kleinkind behandelte.

Im Gegensatz zu ihr konnte Richard zwar seine Miene unter Kontrolle halten, dennoch sah sie ihm augenblicklich an, dass er nicht die Absicht hatte, Madame die Stirn zu bieten. Er wirkte sogar ein wenig froh darüber, dass sie das Regiment übernommen hatte.

Zutiefst enttäuscht riss Alyssa ihr Handgelenk aus Madames Griff und wandte sich ab. Dabei entdeckte sie die andere Kutsche, die draußen vor der Umspannstation am Straßenrand wartete. Das Wappen der Baronie von Belfort wurde von einem Sonnenstrahl ins rechte Licht gesetzt. Der Wagen wartete auf sie. Wäre die Flucht gelungen, wenn sie nicht gezögert hätte? Musste sie sich das Scheitern ihrer Pläne selbst anlasten?

Genau die Eigenschaften, die sie an Richard so sehr liebte, seine Sanftmut, seine Höflichkeit, seine Bereitschaft, alles anzuhören und auf alles einzugehen, besiegelten in diesem Moment das Ende ihrer Freiheit. So viel zu seinem Schwur, sie zu lieben, zu heiraten und nach London zu bringen.

„Geh‘ mit Madame, Alyssa!“, sagte er. „Ich wusste, dass es ein Fehler ist, hinter dem Rücken deines Vaters zu handeln. Ich hätte nicht darauf eingehen dürfen. Die Schuld liegt allein bei mir, Madame. Ich habe Wunschträume für die Wirklichkeit gehalten und Sir Jonathan enttäuscht.“

Im ersten Moment konnte Alyssa ihn nur völlig schockiert anstarren. Ihr fehlten die Worte.

***

„Ich wünsche keine Einzelheiten zu hören!“ Sir Jonathan durchmaß die Bibliothek des Herrenhauses mit weit ausholenden Schritten und gebot Alyssa zu schweigen. „Es genügt mir zu wissen, dass du Richard mit deiner Eigensucht um ein Haar ruiniert hättest. Deine Mutter hätte sich darüber zu Tode gegrämt. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal sagen würde, es sei ein Segen, dass sie nicht mehr lebt.“

Alyssa zuckte zusammen. Wie unfair von ihrem Vater, mit solchen Mitteln zu kämpfen. Es war Mutters Anliegen gewesen, Richard, den talentierten Sohn des Pfarrers von Belfort, zusammen mit John-Jonathan, erziehen zu lassen. Während ihr Bruder seine Schul- und College-Jahre als lästige Pflichtübung hinter sich brachte, hatte sich Richard als hochintelligent, pflichtbewusst und dankbar erwiesen. Ein Vorbild für John-Jonathan, der weder seiner Lebenslust noch seinem stürmischen Naturell gerne Zügel anlegte.

Sir Jonathan hatte dafür gesorgt, dass Richard einen Posten im Außenministerium erhielt. Dass er nun vor einer Karriere als Diplomat stand, verdankte er jedoch ausschließlich den eigenen Fähigkeiten. Eine vielversprechende Zukunft lag vor ihm, seit er sogar die Aufmerksamkeit des Premierministers, Lord Liverpool erregt hatte.

„Eine Zukunft, die er für dich aufs Spiel setzen wollte.“ Sir Jonathan war mit seiner Strafpredigt ebenfalls an diesem Punkt angelangt.

Alyssa versuchte, sowohl sich als auch Richard zu verteidigen.

„Wir lieben uns, Papa. Du weißt es. Du schätzt Richard doch ebenfalls. Warum willst du ihn nicht als deinen Schwiegersohn akzeptieren?“

„Weil du bereits einen Bräutigam hast, Alyssa, auch wenn du das nicht wahrhaben willst. Seit dem Tag deiner Taufe steht fest, dass du Bevil Carew, den einzigen Sohn des Earls von Emberly heiraten wirst. Es kommt nicht in Frage, dass du deine Hand einem anderen Mann reichst. Auch nicht Richard Grey. Also schlag dir die Flausen gefälligst aus dem Kopf.“

„Dir ist es also gleichgültig, dass mir das Herz bricht…“

„So leicht brechen Herzen nicht, Tochter. Aber du wirst keine Gelegenheit zu neuerlichen Eskapaden erhalten. Wir reisen morgen nach Emberly Hall. Ich habe viel zu lange zu viel Rücksicht auf deinen Dickkopf genommen. Madame packt deine Koffer. Lord Bevil erwartet seine Braut.“

Der Raum verschwamm vor Alyssas Augen. Die Bücherreihen hinter den Glastüren schlossen sie von allen Seiten ein, raubten ihr den Atem. Vor den Fenstern riss der Herbststurm die letzten Blätter von den Bäumen. Regenwolken hingen so tief über dem Park von Belfort-House, dass die massive Gestalt ihres Vaters im Dämmerlicht einem Felsblock glich. Mit letzter Kraft begehrte sie dennoch gegen das Machtwort des Vaters auf.

„Du hast Mama auf dem Totenbett versprochen, dass dir mein Glück am Herzen liegt. Du brichst diesen Schwur, wenn du mich mit einem Mann verheiratest, für den ich keinen Funken Zuneigung empfinde.“

„Du weißt doch gar nicht, was dein Glück ist“, befand Sir Jonathan. „Denkst du, ich lasse zu, dass meine Tochter einen mittellosen Diplomaten heiratet? Richard verfügt weder über Vermögen, noch über nennenswerte Verbindungen oder einen Adelsrang. Ehe er nicht bewiesen hat, dass er die Hoffnungen erfüllt, die in seine Fähigkeiten gesetzt werden, wird sich daran auch nichts ändern. Dass er eine Flucht mit dir nach Gretna Green überhaupt in Erwägung gezogen hat, ist weder ein Beweis seiner Intelligenz, noch seines Ehrgeizes.“

„Du wirst ihn doch nicht in Whitehall anschwärzen…?

„Das hängt allein von dir ab, Alyssa. Es ist höchste Zeit, dass du den Ernst des Lebens begreifst. Die Pflichten einer Ehefrau und Mutter warten auf dich. Es bleibt bei dem vereinbarten Termin für die Reise und die Hochzeit.“

Eben dieser Termin hatte Alyssa dazu getrieben, Richard den Brandbrief zu schreiben, der ihn umgehend nach Belfort und in Schwierigkeiten gebracht hatte.

„Und dass wir uns verstehen, Tochter…“

Im Schutze der Rockfalten ballte Alyssa die Fäuste und bot dem Vater die Stirn. Die Zeiten des Gehorsams sollten der Vergangenheit angehören. Sie war nicht bereit, einen Mann zu heiraten, der 13 Jahre älter und bereits Witwer war. Bevil Carew hatte als erster das Versprechen der beiden Väter, ihre Kinder miteinander zu verheiraten, ignoriert. In ihren Augen war die Abmachung damit hinfällig und sie würde sich nicht wie ein Opferlamm zu dieser Hochzeit führen lassen.

„…solltest du neuerlichen Ungehorsam im Sinn haben, werde ich Lord Liverpool veranlassen, Richard in Unehren zu entlassen. Auch werde ich persönlich dafür sorgen, dass er erfährt, dass er deinetwegen seine Zukunftspläne begraben kann“, fuhr ihr Vater ohne erkennbare Gemütsregung fort. „Und komm mir nicht auf den Gedanken, John-Jonathan um Hilfe zu bitten. Dein Bruder ist auf dem Kontinent um seine Ausbildung zu vervollkommnen. Du wirst ihn nicht mit Beschwerden behelligen.“

„Ich verstehe…“ Alyssa erstickte fast an den Worten.

Sie verstand tatsächlich. Ihr Widerstand brach in sich zusammen. Es gab keinen Ausweg. Dies war das Ende ihrer Hoffnungen und Träume.

„Dann kannst du jetzt gehen.“

Sie gehorchte bestürzt. Es schien ihr, als habe sie nicht nur Richard verloren, sondern auch das Vertrauen in den Vater, den Kontakt zu ihrem Bruder und die Sicherheit des Elternhauses. Ihr blieb einzig ein Bräutigam, den sie noch nie gesehen hatte. Ein Fremder, den sie schon jetzt schon mit aller Inbrunst hassen wollte.

1. Kapitel

Die Hochzeit

Das Gotteshaus war aus Natursteinen erbaut und wurde von hoch aufragenden Ebereschen beschützt. Die Oktobersonne brachte die roten Fruchtdolden zum Glänzen und hüllte die Dorfkirche in einen Goldschleier. Der Tag war strahlend schön, wie geschaffen für ein Fest, das Dorf und Herrenhaus gemeinsam feiern wollten. Glockengeläut mischte sich mit Vivatrufen, als die Kutsche zum Halt kam.

„Lächle!“, zischte ihr Vater, aber Alyssa war zu einer solchen Lüge nicht fähig.

Einer Marionette gleich, stieg sie aus dem Fahrzeug und schritt an seiner Seite unter einem Steinbogen hindurch die wenigen Schritte zur Kirche. Schwäche und Hilflosigkeit drohten sie zu überwältigen. Ein Blick auf Sir Jonathan überzeugte sie freilich davon, dass er gewillt war, auch eine ohnmächtige Tochter vor den Altar zu zerren.

Die Kirche, deren Mittelgang sie nun an seinem Arm durchschritt, war nur zur Hälfte gefüllt. Die Pächter, Dorfbewohner und jene, die für die Emberlys arbeiteten oder mit ihnen verbunden waren, beobachteten sie mit einer Mischung aus Neugier und Mitgefühl.

Lord Bevil Carew, den sie am Abend zuvor zum ersten Male von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte, war ein wortkarger Mann von einschüchternder Größe. Er stellte sowohl seinen Vater, wie den ihren in den Schatten. Weshalb er sich zu einer erzwungenen Eheschließung bereitfand, hatte er am Vortrag in nüchternen Worten präzisiert.

„Mein Vater wünscht sich Enkelkinder und Emberly braucht einen Erben. Eine Ehefrau ist dafür unabdingbar erforderlich, wie Ihr sicher einseht.“

Alyssa hatte es gewagt, die unerhörte Frage zu stellen, die ihrem eigenen Vater die Zornesröte in die Stirn trieb und den Vater des Bräutigams dazu veranlasste, sie mit einem Blick voller Interesse zu mustern. Lord Francis, der Earl von Emberly, war aufrichtig bemüht, sie in der Familie willkommen zu heißen. Er hatte sie vom ersten Moment an in sein Herz geschlossen und bemühte sich erkennbar, seinen Sohn vor ihren Augen ins rechte Licht zu rücken. Heute stand ihm die Oktobersonne dabei zur Seite. Ihr Schein versah die schwarze Gestalt vor dem Altar, auf die sie langsam zuschritt, mit einer leuchtenden Kontur. Gegen solche Helligkeit war es unmöglich, seinen Gesichtsausdruck zu erkennen und einzuschätzen.

Konzentriert umklammerte Alyssa die gelben Rosen ihres Brautstraußes, der mit schneeweißem Septemberkraut ein kugelrundes Bukett bildete. Ein Strauß, so unnatürlich und steif wie das Eheversprechen, das sie mit tauben Lippen wiederholte, weil ihr nichts anderes übrig blieb.

Weder verfügte sie über persönliches Einkommen, das ihr ein Leben unabhängig von ihrem Vater ermöglicht hätte, noch besaß sie ein Talent, das sie in irgendeiner Weise befähigte, auf eigenen Beinen zu stehen. Ihre Erziehung hatte sie mit tadellosen Manieren und allem Wissen ausgestattet, das zur Führung eines Haushaltes notwendig war. Alles andere hatte sie sich aus den Büchern zusammenlesen müssen, die sie in der väterlichen Bibliothek vorgefunden hatte.

Heute verdammte diese Erziehung sie dazu, im Brautkleid neben einem völlig Fremden in ein fremdes Haus zu fahren.

„Ich habe Befehl gegeben, Eure Koffer zu packen“, vernahm sie in diesem Augenblick die Stimme ihres Ehemannes über das Rattern der Kutschenräder hinweg. „Eure Zofe hält ein Reisekleid für Euch bereit, das Ihr anlegen könnt, sobald wir das Hochzeitsbankett hinter uns gebracht haben.“

Eine Hochzeitsreise?

Ungläubig sah Alyssa den Mann an ihrer Seite an. Es war ihr großes Geheimnis, wie sehr sie ihren Bruder um die Freiheit beneidete, reisen zu können. Wie sehr sie darauf gehofft hatte, an Richards Seite die Welt kennenzulernen, wenn er als Diplomat in die Fremde gesandt wurde.

„Wir verreisen?“, vergewisserte sie sich vorsichtig.

„Wir fahren nach Hause. Ich lebe in London und da Ihr meine Frau seid, werdet Ihr das ebenfalls tun“, erhielt sie knapp Bescheid. „Ich bin nur für die Hochzeit nach Emberly gekommen. Meine Geschäfte rufen mich umgehend zurück.“

Keine Hochzeitsreise. Keine Hochzeitsfeier. Vielleicht nicht einmal eine Hochzeitsnacht.

Tausend Fragen lagen ihr auf der Zunge, aber sie wagte nicht eine davon zu stellen. Wie würde dieses Leben in London aussehen, das er ihr da so beiläufig zuteilte?

Obwohl die Sonne die Downs erwärmte, die man auch den Garten Englands nannte, und die Herbstluft nach den Tafeläpfeln duftete, die allenthalben noch geerntet wurden, fröstelte Alyssa. Dass sie dabei die Schultern hochzog, trug ihr einen kritischen Blick des Lords ein.

„Es ist Leichtsinn für diese Jahreszeit ein so dünnes Brautkleid zu wählen. Ihr werdet Euch erkälten.“

Dass es sich um das Brautkleid ihrer Mutter handelte, die es vor dreiundzwanzig Jahren im Hochsommer von Northumberland getragen hatte, trug nicht dazu bei, dass Alyssa sich besser fühlte. Im Gegenteil. Hinzu kam, dass die Braut dieses weit zurückliegenden Sommers zierlicher gewesen war, so dass der cremefarbene Musselin auch noch unschöne Falten warf und so straff saß, dass sie kaum richtig atmen konnte. Der Farbton verlieh ihrer Haut kränkliche Blässe, und die Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken glichen Schmutzspritzern. Ein unmodernes Kleid für eine reizlose Braut, hatte sie beim Ankleiden gedacht und danach jeden Blick in den Spiegel gemieden.

„Wer ist für Eure Garderobe zuständig? Eure Gesellschafterin? Madame Mafalda?“

„Madame Mafalda war die Kammerzofe meiner Mutter. Nach ihrem Tod wurde sie unsere Haushälterin und meine Gouvernante. Sie betrachtete es als Verpflichtung ihrer verstorbenen Herrin gegenüber.“

„Wird sie Euch begleiten? Der Haushalt in London ist vollständig. Wir benötigen keine zusätzliche Kraft. Ich wünsche keine Veränderungen meines Alltages.“

Alyssa trennte sich lieber heute als morgen von Madame. Sie konnte ihr nicht verzeihen, dass sie ihre Flucht mit Richard verhindert hatte. Aber die letzte Bemerkung ihres Ehemannes warf ein Licht auf künftige Tage, das ihr nicht gefallen wollte.

„Ihr habt eine Ehe geschlossen“, wagte sie zu antworten. „Verändert das nicht zwangsläufig Euren Alltag, my Lord?“

Zum ersten Male hielt sie dem Blick aus seinen Augen stand. Erstaunlicherweise waren sie nicht schwarz, wie sie anfangs gedacht hatte. Dunkelbraun wie ein Zobelfell umgab seine Iris die Pupille und nur in der Helligkeit der Mittagsstunde war eine Trennlinie erkennbar. Fasziniert vergaß sie zu atmen.

„Wir wollen doch beide hoffen, dass es Euch gelingt, Euren Aufgaben als Lady Carew gerecht zu werden und dabei den Regeln meines Alltags zu folgen“, riss er sie trocken aus dieser Lähmung. „Euer Vater hat mir versichert, dass Eure Fähigkeiten den höchsten Ansprüchen genügen.“

Ansprüche? Fähigkeiten? Regeln? Was denn noch? Alyssa knirschte mit den Zähnen. Sie konzentrierte ihren Blick auf den Brautstrauß und versuchte, ihre Gefühle in den Griff zu bekommen. Es waren beileibe nicht die einer glücklichen Braut.

„Ich bin sicher, wir werden uns gut verstehen“, fügte Lord Bevil grimmig hinzu, als er keine Antwort erhielt.

Alyssa umklammerte die Blumen noch fester und biss sich auf die Zunge. Beherrschung war noch nie ihre Stärke gewesen. Lange würde sie den Mund nicht halten können.

***

Die Glückwünsche des Earls von Emberly und die verworrenen Andeutungen von Madame Mafalda, die Pflichten des Ehelebens betreffend, gingen im Zuge der Abreise unter. Lord Bevil leistete weder den Herren bei Portwein und Zigarren in der Bibliothek Gesellschaft, noch sah er ein, weshalb Madame sich mit Alyssa zurückziehen wollte.

Allen Behauptungen ihres Vaters zum Trotz, schien Alyssa keineswegs sanft und fügsam in diese Ehe zu gehen. In ihren Augen, so farblos wie ihre ganze Erscheinung, hatte er auf der Rückfahrt nach Emberly etwas Irritierendes aufblitzen sehen.

Sein eigenes Bemühen um Eheglück war in einer Katastrophe geendet, die er aus seinem Gedächtnis tilgen wollte. Also hatte er endlich die Braut akzeptiert, die ihm sein Vater ausgesucht hatte. Lieber ein Mauerblümchen heiraten, als ein neuerliches Desaster erleben oder gar Emberly ohne Erben hinterlassen.

„Du wirst es nicht bereuen“, hatte er ein ums andere Mal von seinem Vater zu hören bekommen. „Alyssas Mutter war mit einem Charme gesegnet, der die Vögel von den Bäumen auf ihre Hände locken konnte. Wenn ihre Tochter nur einen Bruchteil davon geerbt hat, wirst du ein glücklicher Mann sein.“

Letzteres bezweifelte er zwar, aber das war kein Grund, seinen Entschluss grundsätzlich zu bereuen. Er erhoffte sich Ruhe und Ungestörtheit in dieser Ehe. Häuslichen Frieden. Keine Dramen. Keinen himmelhoch jauchzenden Überschwang, der letztendlich in Strömen von Tränen endete. Dass seine Angetraute darauf verzichtete, den Abschied in ungebührliche Länge zu ziehen und ihre Augen trocken blieben, war ihm wichtiger als Charme und Schönheit. Kaum dass sie die Umarmung ihres Vaters erwiderte. Die ausgestreckten Arme Madames übersah sie sogar ganz.

Alyssa fühlte, dass ihr Ehemann sie beobachtete, während die Kutsche Emberly hinter sich ließ. Lord Devil hatte ihn eines der Hausmädchen heimlich genannt. Die respektlose Abwandlung seines Vornamens ins Teuflische wollte ihr ebenso wenig aus dem Sinn gehen wie das Gespräch, das sie zufällig belauscht hatte. Sie war über die Dienstbotentreppe gegangen, nachdem sie ihr Reisekostüm angezogen hatte, damit sie nicht ein letztes Mal in Madames Hände fiel.

Gesindetratsch, hatte sie anfangs gedacht und ihm keine Aufmerksamkeit geschenkt. Da sie aber nicht gesehen werden wollte, musste sie innehalten und hatte Dinge zu hören bekommen, die neu und beunruhigend für sie waren. Sie war unfähig, das Gespräch zu vergessen. Die Worte hallten in ihr nach.

„…sie war eine so liebenswürdige und heitere Dame. So ganz anders als ER. Sie konnten nur unglücklich miteinander werden. Aber dass es so enden musste, ist einfach schrecklich.“

„Nennen sie ihn deswegen Lord Devil? Stimmt es, dass er sie umgebracht hat? Ist er tatsächlich ein Mörder?“

„Sie sagen, er habe sie die Treppe hinuntergestoßen, die arme Lady. Sie und das Kind, das sie erwartete. Daran kann es keinen Zweifel geben. Keine Miene soll er verzogen haben, als sie da in ihrem Blute in der Halle lag. Ich möchte nicht in der Haut des armen Kindes stecken, das ihn heute geheiratet hat. Lieber würd‘ ich mich im Dorfteich ertränken als einen solchen Mann in meinem Bett zu haben.“

„Ob sie das weiß? Sie sieht nicht glücklich aus.“

„Wenn sie halbwegs bei Vernunft ist, wird sie Angst um ihr Leben haben. Wer kann schon sagen, wie lang das gut gehen wird mit den beiden…“

Alyssa erschauerte im Nachhinein. Sie mochte weltfremd sein, aber sie wusste, dass Dienstboten-Klatsch zwar eine Mischung aus Neugier und Neid war, dass diese jedoch nur allzu oft aus eigenen Beobachtungen resultierte. Wer seinen Lebensunterhalt in den Herrenhäusern und Villen der besseren Gesellschaft verdiente, musste nicht nur tüchtig und schnell von Begriff sein, der sollte auch die Fähigkeit beherrschen, sich unsichtbar zu machen. Auf diese Weise bekam man sowohl vieles zu hören, als auch einiges zu sehen. Wo nur steckte in diesem Fall also das übliche Quäntchen Wahrheit?

Dass die erste Frau des Lords nach kurzer Ehe unerwartet verstorben war, entsprach den Tatsachen. Krankheit, Tod im Kindbett oder ein Reitunfall gehörten in ihren Kreisen zum normalen Alltag, so dass sie die genauen Umstände dieses Todes nie hinterfragt hatte. Ein Treppensturz war eher ungewöhnlich. Warum hatten weder ihr Vater noch Madame ihr mehr gesagt? Wenn allerdings die Lady tatsächlich einem Mord zum Opfer gefallen sein sollte, dann hätte sich ihr Mörder für seine Tat verantworten müssen und man hätte davon gehört.

Was hinter der Stirn ihres Ehemannes vorging, der ihr gegenübersaß und keinen Versuch machte, ein Gespräch zu beginnen, blieb unergründlich. Intensiv und dunkel besaß sein Blick tatsächlich etwas Diabolisches. Ganz zu schweigen von seiner einschüchternden Art und dem zynischen Lächeln, das keine Spur von Freundlichkeit enthielt, wenn er die Lippen verzog. Hinzu kam, dass er in der Reisekutsche, die sie notgedrungen mit ihm teilte, eine Präsenz besaß, die sie verunsicherte.

Im Grunde war Bevil Carew ein Unbekannter, dem königliches Gesetz und kirchliches Recht seit heute die Macht verliehen, künftig an Stelle ihres Vaters über ihre Person und ihr Wohlergehen zu bestimmen.

So sehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, den Schauder zu unterdrücken, der sie bei dieser Erkenntnis durchrieselte. Im selben Moment neigte sich die Kutsche so scharf zur Seite, dass sie den Halt verlor und vom Polster rutschte. Ein Klammergriff, der ihr förmlich die Luft aus den Lungen presste, verhinderte, dass sie zu Boden stürzte.

Alyssa schrie erschrocken auf. In blinder Panik kämpfte sie gegen Atemlosigkeit und die erzwungene Bewegungslosigkeit an. Vergeblich. Erst als sich das Gefährt stabilisiert hatte und in normalem Tempo wieder an Fahrt gewann, schob Lord Bevil sie wie einen lästigen Stoffballen auf ihren Sitz zurück. Unwillig verschränkte er die Arme vor der Brust und sah ihr dabei zu, wie sie nach Luft schnappte.

„Beruhigt Euch, um Himmelswillen. Ich wollte lediglich verhindern, dass Ihr Euch bei einem Sturz verletzt.“

„Ihr habt mir weh getan…“, beschwerte sich Alyssa heiser und rieb sich die schmerzenden Oberarme.

Nie zuvor hatte es ein Mann gewagt, sie so rücksichtslos und beherzt zu packen. Sie fragte sich, was sie mehr fürchten musste, seinen Hang zur Gewalttätigkeit oder die Erkenntnis, dass sie einem Mann mit solchen Kräften hilflos ausgeliefert war.

„Ich bitte um Verzeihung“, brummte er übellaunig. „Beim nächsten Schlagloch haltet Euch besser selbst fest. Nach dem letzten Regenguss sind die Straßen in dieser Gegend ein einziges Ärgernis.“

Alyssa presste die Lippen zusammen, setzte sich gerader und ordnete ihre Röcke. Der Aufschrei war ihr peinlich. Aber ganz im Banne ihrer sorgenvollen Gedanken, hatte sein plötzliches Eingreifen wie ein Angriff auf sie gewirkt. Dass sie sich dermaßen albern verhalten hatte, ärgerte sie selbst am allermeisten. Sie wollte nicht für eine törichte Gans gehalten werden.

„Ich muss um V-Verzeihung bitten, my Lord“, stammelte sie atemlos. „Normalerweise bin ich nicht so leicht zu erschrecken. Haltet mir zugute, dass der heutige Tage sehr viel Neues gebracht hat. Gebt mir ein wenig Zeit, mich daran zu gewöhnen.“

Ihre Stimme wurde angesichts seines Blickes immer leiser, bis sie schließlich ganz verstummte.

„Zeit ist relativ, Mylady. Je eher Ihr Euch an Euren neuen Stand gewöhnt, umso besser werden wir miteinander auskommen.“

Lord Devil, der Name passt zu ihm, schoss es Alyssa durch den Kopf. Einmal mehr übte sie sich in Schweigen. Wenn ihre Ehe so weiterging, würde sie es noch zur Meisterschaft in dieser Kunst bringen. Natürlich nur, wenn es ihr gelang, ihr Temperament auch weiterhin zu zügeln.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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