Silbernes Feuer - Marie Cordonnier - E-Book

Silbernes Feuer E-Book

Marie Cordonnier

3,8

Beschreibung

Frankreich im 16. Jahrhundert: Das Bauernmädchen Féline ist verzweifelt: Ihr Vater wurde auf einer vornehmen Jagdgesellschaft getötet, als er sein Ackerland schützen wollte, und der Hof wurde ihr genommen. Beinahe mittellos, stehen Féline und ihrer Schwester schwere Zeiten bevor. Zu allem Überfluss hat Féline auch noch einen Unfall mit dem Marquis von Adelys. Doch statt wütend zu reagieren, bittet der Edelmann das Mädchen, ihm auf sein Schloss zu folgen. Um ihren ärmlichen Lebensumständen zu entkommen, lässt Féline sich auf ein gefährliches Doppelspiel am Hof König Heinrichs VI. von Frankreich ein.

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Marie Cordonnier

SilbernesFeuer

Roman 

© by Autorin

Alle Rechte bei  BsB

                        1.Kapitel

August 1594-Survillier

Das Gewitter gefolgt von einem Regender der biblischen Sintflut glich, vollendete das von Menschen begonnene Zerstörungswerk. Braungrau, schlammig, wie von der Hand eines wütenden Riesen durchpflügt, boten die heckenumsäumten Felder ein Bild des Jammerns. Die Jagd, die der Lehnsherr von Survillier für sich und seine Freunde veranstaltet hatte, war zu Ende und den Schnittern blieb in diesem Sommer nichts mehr zu tun.

Die rücksichtslose Kavalkade der adeligen Herrn und ihrer Jäger hatte, die natürlichen Umzäunungen durchbrechend, das goldene Meer der reifen Ähren wie ein Sturm durchtobt. Kaum so viel war stehen geblieben, dass es im kommenden Winter den ärgsten Hunger stillen würde. Aber auch dieses Wenige versank nun seit Stunden unwiederbringbar im Morast.

Féline starrte mit blicklosen Augen über die zerbröckelnde Mauer aus Feldsteinen hinweg, welche die Dorfkirche und den kleinen Friedhof von den Äckern trennte. Sie sah weder die Verwüstung ringsum, noch die hastig zugeschaufelte Grube zu ihren bloßen Füßen. Die Umrisse des groben Holzkreuzes am Kopfende verschwammen bereits im heftigen Regen.

Das Grab war nur Ruhestätte für einen gebrochenen Körper. Das Herz ihres Vaters lag dort draußen, unter den vernichtenden Hoffnungen einer guten Ernte. Es hatte schon zu schlagen aufgehört, ehe er sich in einem wahnwitzigen Anfall auswegloser Verzweiflung zwischen die Pferde des Grafen und seiner Jäger geworfen hatte.

Doch es war ausschließlich die Feuchtigkeit des herabstürzenden Niederschlages und keine Trauer, die Félines Wangen nässte. In ihr loderte ein Feuer, das jede Träne ausbrannte und allen Gram klein und nichtig erscheinen ließ. Von den eisig kalten Zehenspitzen, bis in die letzte triefende Haarlocke, war sie von so verheerendem Hass und Zorn erfüllt, dass sie ihn am liebsten laut herausgeschrien hätte, um dem übermächtigen Druck zu entgehen, der ihr schier die Luft abpresste.

Doch vermutlich würde sie mit diesem Ausbruch nur dem guten alten Abbe Vidame Kummer bereiten, der immer wieder versuchte, ihr die Demut zu predigen, die ihr seiner Meinung nach wohl anstand. Demut! Schon das Wort straffte ihre Schultern und sorgte dafür, dass sie die blassen Lippen zu einem schmalen Strich aufeinander presste.

Sollte sie sich vielleicht auch noch dafür bedanken, dass es der Graf von Survillier nicht für nötig hielt, das Edikt des neuen Königs zu respektieren? Hatte Heinrich der IV. nicht als eine seiner ersten Amtshandlungen verboten, ab März in den kultivierten Feldern und Weinbergen des Königreiches Frankreich zu jagen?

Wer war der Herr von Survillier, dass er sich anmaßte, dieses Edikt seines Herrschers einfach abzutun? Und wo war der Richter, der ihn dafür bestrafte, dass er ihren Vater getötet, die Zukunft Blandines vernichtet und ihr selbst die Heimat genommen hatte?

Der Gedanke an ihre Schwester milderte für kurze Zeit die kalte Strenge ihrer Züge und schenkte ihnen stattdessen den Ausdruck resignierter Verzweiflung. Arme, zarte, weltfremde Blandine. Was sollte nun aus ihr werden? Die bescheidene Mitgift, die für ihren Eintritt in das Kloster der frommen Frauen von Beaumont nötig war, hätte vom Erlös der Ernte beglichen werden sollen. Es war nicht nur der Herzenswunsch ihrer Schwester, sondern auch der, ihrer vor drei Jahren verstorbenen Mutter gewesen, dass die Kleine dort Zuflucht hinter den Klostermauern fand.

Doch eine Bettlerin mit leeren Händen wollte kein Orden haben. Niemand brachte in diesen schwierigen Zeiten Mitleid für zwei Mädchen auf, die nicht mehr besaßen, als das bescheidene Gewand, das sie trugen. Der ärmste Bauer im Dort erwartete wenigstens ein paar Sous Mitgift oder etwas Land, falls er eine von ihnen zur Frau nahm.

Aber die wenigen ersparten Münzen, die der Vater versteckt gehabt hatte, waren für teures Saatgut und einen neuen Pflug verwendet worden. Nach der Ernte sollten sich die Ausgaben lohnen! Und die Hoffnung war berechtigt gewesen. Stark und dicht hatten die Ähren auf den Halmen gestanden, in einer üppigen Fülle, die versprach, dass auch nach Abzug der Pacht für den Grafen von Survillier genügend für Jean und die Seinen bleiben würde. Gerechter Lohn für magere Jahre der Plackerei und des Hungers.

Inzwischen hatten sie nur noch die Wahl, um Almosen zu bitten oder sich im Schloss von Survillier als Mägde zu verdingen. Féline spürte nicht, dass sich ihre Hände unbewusst zu Fäusten ballten. Das Leben einer so hübschen Magd wie Blandine in einem solchen Haus konnte man sich unschwer ausmalen. Außerdem - dem Mörder ihres Vaters dienen! Nein, lieber verhungern!

Außer dem Abbe würde ihr Tod sowieso niemandem ein zusätzliches Gebet wert sein. Ihr Vater war ein verschlossener, wortkarger Mann gewesen, der sich wenig um andere bekümmerte. Dass seine Kate abseits von Survillier, am Waldrand auf dem Gelände einer still gelegten Mühle lag, isolierte ihn zudem vom Leben der übrigen Dorfbewohner.

Mutter und Blandine hatten in dieser Einsamkeit Trost in Gebeten gesucht. NurFéline teilte, solange sie denken konnte, die Liebe des Vaters zum Land und zu den Tieren. Von klein auf war sie ihm zur Hand gegangen, mehr eine Magd, denn eine Tochter. Der Zins, den der Graf seinen Bauern auferlegte, war hoch und oft nur um den Preis des eigenen Hungers zu erbringen. Jede helfende Hand linderte die Not.

Dabei begriffFéline, dass sie erst jetzt das wahre Gesicht nackter Existenzangst zu sehen bekam. Niemand fragte nach ihren Gefühlen. Sobald die Nachricht vom Tode Jeans das Schloss erreicht hatte, benannte der Verwalter des Grafen einen neuen Pächter. Bis zum kommenden Sonnenaufgang mussten sie die Hütte für Maurice und seine vielköpfige Familie geräumt haben.

Blandine hätte zu gerne die Einladung des stiernackigen Bauern angenommen, im Hause zu bleiben, bis sie eine neue Heimat gefunden hatten. Aber ihre Schwester weigerte sich strikt. Obwohl mit fast 22 Sommern unverheiratet, ahnte Féline instinktiv, was die viel sagenden Blicke bedeuteten, mit denen Maurice, die blasse, zierliche Blandine gemustert hatte, die sogar im groben Bauerngewand wie eine scheue, liebliche Blume wirkte. Die Tatsache, dass er verheiratet war, würde ihn kaum davon abhalten, sich zu nehmen, was er begehrte! Fürs Erste hatte ihnen der gütige Abbe Quartier angeboten, aber dann ...

Was die Zukunft für sie bereithielt, jagte sogar einer so tatkräftigen jungen Frau wie Féline Schrecken ein. Doch sie würde die Dinge nicht ändern, wenn sie hier wie ein steinernes Monument vor dem Grab des Vaters Wache hielt und törichte Rachepläne schmiedete. Es lag außerhalb ihrer Macht, einem Mann wie dem Grafen von Survillier die Schrecken zu bereiten, die sie in ihrer Fantasie in den glühendsten Farben ausmalte.

Sie zog das fadenscheinige braune Schultertuch, das vor Nässe schwarz und schwer war, enger um die schmalen Schultern. Dann warf sie den dicken Zopf, der ihre Haare im Nacken zusammenhielt, entschlossen auf den Rücken und ging zwischen den Gräbern hindurch zur Pforte. Sie fror, doch diese Kälte hatte nichts mit dem Regen zu tun, der sie mittlerweile bis auf die Haut durchnässt hatte. Sie kam von innen, stumpfte alle Empfindungen ab und verwandelte das Herz in einen schweren, fühllosen Stein.

Féline, die Tochter Jeans des Bauern, erwartete nichts mehr von ihrem Leben. Sie hätte freiwillig das bisschen Seelenheil das sie besaß, dafür gegeben, anstelle ihres Vaters in der Erde zu liegen. Er hatte das Elend, den Hunger, die Armut und die Sorgen für immer hinter sich. Warum ihn bedauern? Ihre Gefühle waren dem Neid näher als der Trauer.

Der Regen trommelte ohne Unterlass auf das Dach der Reisekutsche. Er tränkte die massiven Ledervorhänge, welche die Fenster schützten und schien sogar vor den samtüberzogenen Polstern nicht Halt zu machen. Philippe Sebastien Vernon, Marquis von Adelys, rückte mehr zur Mitte der Sitzbank und betastete unwillig mit seiner schmalen aristokratischen Hand die obere Achselpartie seines Umhanges.

Einwandfrei nass! Er knirschte einen unhörbaren Fluch und verschränkte die Arme vor der Brust. Wie er wünschte, dass er den Bitten seines Gastgebers hätte folgen und bleiben können, bis dieses Teufelswetter sich ausgetobt hatte! Aber er selbst wusste am besten, dass die Botschaft, die ihn in den späten Nachmittagsstunden erreicht hatte, keinen Aufschub duldete. Wenigstens diese Eile war er der Absenderin als letzten Liebesdienst schuldig.

Eine scharf genommene Kurve warf ihn mit der rechten Schulter hart gegen den Fensterrahmen der Kutsche. Zum Henker, war dieser Kerl auf dem Bock wahnsinnig geworden? Beeilen sollte er sich, aber nicht das Gefährt samt dem Herrn in den Schlamm der Landstraße werfen. Gerade im Begriff, mit den Degengriff hart gegen die vordere Rückwand zu klopfen, um dem Fahrer seinen Unwillen mitzuteilen, schleuderte ihn ein zweiter, unberechenbarer Ruck so hart zwischen die Polster, dass er sich den juwelenverzierten Knauf der Waffe zwischen die eigenen Rippen stieß.

Der lästerliche Fluch des Marquis ging diesmal im Wiehern der Pferde, dem Kreischen der Kutschenräder und dem rauen Aufschrei einer entsetzten Männerstimme unter. Dann blieb das Gefährt schwankend stehen. Adelys sprang, ohne auf das blank polierte Leder seiner Stiefel aus spanischem Leder zu achten, mitten in den Schlick der Dorfstraße von Survillier.

Während der unablässig strömende Regen die bauschige, weiße Feder seines Samtbaretts blitzartig in einen müden Schatten einstiger Eleganz verwandelte und über die Ränder tropfte, versuchte er zu erspähen, was passiert war. Erst auf den zweiten Blick erkannte er das graue, schmutzige Bündel, das in beängstigender Nähe seiner Leitpferde lag, als menschliche Gestalt. Die Männer seiner Eskorte bückten sich und versperrten seine Sicht. Ein herrischer Befehl verschaffte ihm umgehend Gehör.

»Die Person ist mir geradewegs vor die Pferde gelaufen«, jammerte der Kutscher, den die unheilvolle Miene seines Herrn Böses befürchten ließ. So wie jener beim Aufbruch zur Eile getrieben hatte, war dieser Unfall das Schlimmste, was ihm passieren konnte.

»Dummkopf! Ist sie tot?«, forschte der Marquis eher beiläufig, nachdem ihm die verrutschten Röcke, die bloßen schmutzigen Füße und die schlanken Waden verrieten, dass es sich um eine Frau handeln musste.

»Nein, Euer Gnaden, das Herz schlägt, aber es rührt sich nicht, das arme Dingelchen ... was machen wir nur?«

Wahrhaftig, ein solcher Aufenthalt hatte ihm noch gefehlt. So wenig er den Grafen mochte, es ging nicht an, dass er zum Dank für eine Jagdeinladung seine Leibeigenen umbrachte. Der

Mann hatte Recht, was sollten sie tun? Der Wolkenbruch schien sie von der übrigen Welt zu trennen. Wenn es in Survillier eine Menschenseele geben sollte, die ihm helfen würde, so wagte sie sich bei diesem Wetter nicht auf die Straße.

Sogar der Umriss der Kirche, aus deren Portal die Frau gekommen sein musste, war kaum zu erkennen. Eben im Begriffe, die Anweisung zu geben, die Ohnmächtige in das Gotteshaus zu tragen, bewegte plötzlich einer der Reiter die Schultern der jungen Frau, und ihr Kopf fiel schwer zur Seite.

Der Marquis vonAdelys verharrte mitten in der Bewegung. Vom Regen rein gewaschen leuchtete das schmale, ovale Antlitz des Mädchens wie eine Gemme. Es war nicht mehr so die Vollkommenheit der reglosen Züge, mit der schmalen, kleinen Nase und dem weichen, sinnlichen Mund, die ihm den Atem raubte, sondern die Tatsache, dass er dieses Gesicht so gut wie sein eigenes kannte!

Sogar die zitternde Bewegung der langen, schwarzen Wimpern, die ihre Schatten auf die blassen Wangen warfen, war ihm schmerzlich vertraut. Sie deutete an, dass sie in Kürze wieder zu sich kommen würde, und in der Spanne dieses Herzschlags traf er eine abenteuerliche Entscheidung, über die er sich selbst keine Rechenschaft abgeben mochte.

»Sie kann hier nicht liegen bleiben, tragt sie in die Kutsche! Wir nehmen sie mit!«

»Nein!«

Mit einer blitzschnellen, kraftvoll geschmeidigen Bewegung hatte sich die junge Frau unverhofft aus den Händen ihrer Helfer befreit und stand auf eigenen Füßen. Ein wenig schwankend noch, vom Sumpf der Straße bedeckt, aber bereit, es mit der ganzen Welt auf einmal aufzunehmen.

»Ich bin keine Leibeigene!«, fauchte sie heiser. »Wenn Ihr mich anrührt, schreie ich das Dorf zusammen!«

Während seine Männer auf eine Entscheidung ihres Herrn warteten, trat Adelys gelassen näher. Dunkle Flecken, dort wo sein Umhang auf den breiten Schultern lag, verrieten, dass auch seine vornehmen Kleider dem Guss nicht länger standhielten.

Schritt für Schritt gegen die Steinmauer des bescheidenen Gotteshauses zurückweichend, fand sich Féline unverhofft zwischen dem Fremden und der Kirche gefangen. Offensichtlich wollte dieser hohe Herr sein Spielchen mit ihr treiben. Einer der Jagdgäste des Grafen, vermutete sie völlig richtig. Einer von jenen Reitern, deren Pferde gestern den Körper ihres Vaters zwischen die ruinierten Ackerfurchen gestampft hatten. Es war ihr nicht bewusst, dass jeder noch so kleine Funke des mörderischen Hasses, den sie empfand, in ihren ausdrucksvollen Augen loderte.

Es war dieser Blick, der den Marquis zögern ließ. Die grauen Augen, die er kannte, waren sanft und verschleiert wie der blasse Dunst, der auf dem morgendlichen Meer lag, wenn Wolken den Sonnenaufgang verdeckten. Sie hielten keinem Vergleich zu dem leidenschaftlichen, hellen, rein silbernen Feuer stand, das ihm aus dem empörten Antlitz dieses Mädchen entgegenflammte.

Ihre dunklen Pupillen waren umgeben von einem Ring flüssigen Silbers, der gegen die Außenkante der Iris hin einen fast schwarzen Rand aufwies, sodass der Kontrast zum Weiß des Auges wie mit einem Tuschestrich betont schien. Umrahmt von seidig schwarzen, unglaublich langen Wimpern, waren es die schönsten Augen der Welt, aber zugleich auch die bösesten, die er je gesehen hatte!

Kein Feind hatte ihn jemals mit so viel erbittertem Hass gemustert, und es hatte einige von ihnen gegeben, als er an der Seite des Königs, in den Erbfolgekriegen für die Sache der Protestanten gefochten hatte.

»Wer bist du?«, fragte er ruhig, ohne auf ihren Ausruf einzugehen.

»Niemand, über den Ihr verfügen könnt!«, zischte sie mit einer Arroganz, die der seinen absolut ebenbürtig war und die in krassem Gegensatz zu ihren schmutzigen Lumpen stand.

»Hat man dich nicht gelehrt, auf Fragen eine Antwort zu geben und respektvoll zu höher Gestellten zu sprechen?«

Mit lässiger Geste fasste erFélines Kinn und drehte ihren Kopf zur Seite, das reine, ebenmäßige Profil bewundernd, das gegen die grobe Steinmauer gesehen, von ergreifender Schönheit war. Ihren ersten Schrecken überwindend, riss sie sich hastig aus diesem Griff und trat zur Seite.

»Ich kenne Euch nicht«, knirschte sie kaum hörbar, weder die erschreckten Mienen der Eskorte, noch die eisige des Edelmannes beachtend, der nun Zuflucht im Spott suchte.

»Dann verzeiht, meine schmutzige Jungfer. Gestattet, dass ich mich Euch vorstelle, Philippe Sebastien Vernon, Marquis von Adelys und treuer Diener seiner Majestät, unseres Königs Heinrich von Navarra. Tut Ihr mir nun die Ehre an, Eurerseits Auskunft zu geben?«

Wenn er darauf gehofft hatte, das Dorfmädchen einzuschüchtern, so fand er sich getäuscht. Im Gegenteil, die Abneigung in ihrem Gesicht wurde durch feindliche Verachtung verstärkt. Immerhin besaß sie genügend angeborene Vorsicht, ihn nicht durch weitere Beleidigungen zu reizen.

»Man nennt michFéline«, murmelte sie. »Jean, der Pächter war mein Vater!«

Féline, der Kosename für ein kleines verspieltes Kätzchen, schien der pure Hohn, für diese kratzbürstige Tigerin mit der kehligen Stimme.

»War? Dann ist er tot?«, forschteAdelys.

»Gestern gestorben. Die Jagdgesellschaft vom Schloss nahm keine Rücksicht auf einen Landmann, der seine Ernte zu retten versuchte. Er wurde niedergeritten!«

Das erklärte den blanken Hass in ihren Augen. Auch wenn sich der Marquis keine Regung anmerken ließ, so erinnerte er sich doch deutlich an die unerfreuliche Episode, dieser insgesamt so unerquicklichen Einladung zur Jagd auf Schloss Survillier. Die Versuche König Heinrichs, seine protestantischen und katholischen Edelleute einander nach Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen näher zu bringen, waren nicht immer besonders angenehm für alle Beteiligten.

Ohne den dringlichen Wink seines Herrschers wäre er nie auf die Idee gekommen, die Jagd des Grafen auch nur in Erwägung zu ziehen. Survillier, ein alter Haudegen mit beklagenswerten Manieren, gehörte nicht zu den Freunden des eleganten, jungen Kreises, den der Marquis von Adelys um sich gesammelt hatte. Wie es aussah, teilte dieses zornige Geschöpf seine Verachtung für den Edelmann.

Mit der Schnelligkeit eines Atemzuges hatte der Marquis seine Überlegungen abgeschlossen, ohne Féline aus den Augen zu lassen. »Was ist mit dem Rest deiner Familie?«, setzte er das Verhör fort, das seine Begleiter ebenso verwunderte wie die verstörte Féline.

»Da sind nur Blandine und ich. Sie ist meine Schwester. Die Mutter ist schon lange tot.«

Der Einfall von eben gewann in seinem Kopf Gestalt und tollkühne Klarheit.

»Dann komm mit mir, du sollst es nicht bereuen!«

Félinespürte den Schlamm zwischen ihren Fingern, die sie in den Falten des nassen Rockes verkrampfte. Wahrhaftig, für wie einfältig hielt sie dieser noble Herr? Sie empfand es nicht als Ehre, von seinesgleichen ins Heu geworfen zu werden. Sie besaß nur noch ihren Stolz und ihre Unschuld, beides würde sie zu verteidigen wissen!

»Nein!«

Die mürrische Ablehnung klang so endgültig, dass Adelys erkannte, dass er es mit bloßer Überredung nicht schaffen würde. Er packte das Mädchen am Arm und spürte die erstaunliche Energie, mit der sie sich wortlos gegen diesen Griff zur Wehr setzte.

»Gibt es etwas auf dieser Erde, das du dir mehr als alles andere wünschst?«

Zum ersten Male schauteFéline bewusst in das kantige Gesicht unter dem triefenden Barett. Sie musste den Kopf dafür weit in den Nacken legen. Vage nahm sie die buschigen, dunklen Brauen und die ausgeprägten Wangenknochen wahr. Den scharf geschnittenen Mund, der ihr grausam und höhnisch vorkam. Dann konzentrierte sie sich auf die braungrünen Augen, die sie an einen Raubvogel erinnerten, der gelassen seine Beute beobachtete und auf den richtigen Moment zum Zupacken wartete.

Er war jung, sicher erst Ende der Zwanziger, aber gleichzeitig umgab ihn eine gewisse Aura des Überdrusses, was ihn wesentlich älter wirken ließ. Sollte er die Antwort auf ihre verzweifelten Gebete darstellen? Bediente sich Gott solcher Männer?

»Was meint Ihr damit, Seigneur ...?«, ließ sie ihn seine Frage genauer erklären.

»Ich möchte, dass du mit mir kommst, und ich werde dir dafür das geben, was du dir am meisten wünschst. Natürlich nur, wenn es in meiner Macht steht.«

»Das tut es!« Auch Féline vergeudete keine Zeit mit unnützen Skrupeln. Eine Bettlerin wie sie konnte sich derartigen Luxus nicht leisten. »Bezahlt meiner kleinen Schwester die Mitgift für das Kloster der frommen Frauen von Beaumont und ich bin Eure Dienerin.«

Sie brachte das letzte Wort kaum über ihre Lippen. Aber wenn dies das Wunder war, um das sie gefleht hatte, so wollte sie erst Blandine in Sicherheit wissen und dann darüber nachdenken, was es bedeutete, die eigene Freiheit so unbesonnen zu verkaufen.

»So sei es«, nickte der Fremde jetzt. »Komm mit!«

»Und meine Schwester?«

Adelys seufzte. Er konnte sich keinen längeren Aufenthalt leisten, die Zeit drängte. Und doch - er hatte keine andere Wahl. Zu gut begriff er das instinktive Misstrauen dieses Mädchens. »Wo ist deine Schwester?«

»Auf unserem Hof. Wir müssen bis Sonnenaufgang fort, der neue Pächter ist benannt. Sie wartet auf mich.«

»Weise dem Kutscher den Weg dorthin. Wenn mich nicht alles täuscht, willst du dich selbst davon überzeugen, dass ich mein Wort halte. Nun denn, unser Weg führt über Beaumont. Wir können deine Schwester mitnehmen, und ich werde der Oberin mein Wort geben, dass ich die Mitgift für sie übernehme. Vorwärts jetzt, die Zeit drängt auch für mich!«

»Aber ich ...«

Féline wich vor dem harten Ausdruck seines Antlitzes zurück. Langmut gehörte offensichtlich nicht zu seinen Tugenden.

»Meine Geduld ist zu Ende! Was noch?«

»Nichts.«

Sie zuckte mit den Achseln und drehte der Kirche und dem kargen Pfarrhaus den Rücken zu. Wenn sie heute Abend nicht kamen, so würde sich Abbe Vidame Sorgen machen. Indes, der Fremde sprang bereits in die Kutsche, und die Gefahr, dass er seine Zusage widerrief, trieb sie vorwärts. Vielleicht konnte die Abtissin von Beaumont ihm später eine Nachricht zukommen lassen.

Sie kletterte trotz des Wolkenbruchs auf den Kutschbock, von selbst ahnend, dass es der Marquis kaum begrüßen würde, wenn sie ihre schmutzigen Röcke auf seinen Samtpolstern ausbreitete. Während sie das Umschlagtuch über ihrer schmalen Gestalt enger raffte und der Neugier des Kutschers mit trotzigem Schweigen antwortete, kämpften Hoffnung und Zorn in ihr. Was wollte der Edelmann von ihr?

Kein Stelldichein im Heu, so viel glaubte sie inzwischen sagen zu können. Auch wenn viele der Gäste des Grafen diesen Zeitvertreib durchaus schätzten und eine Reihe von Bastarden hoher Herrn in Survillier aufwuchs. Der Eishauch, der von ihm ausging, deutete eher auf Abscheu, denn auf eine Vergewaltigung hin. Sie presste die Lippen aufeinander und bezwang ihre nagende Furcht.

Eines nach dem anderen. Als Erstes galt es, eine plausible Geschichte für Blandine zu erfinden, um diese zu beruhigen. Die Kleine, in ihrer unwandelbaren Zuneigung, würde es nicht dulden, dass sich Féline für sie verkaufte. Aber glücklicherweise war sie so vertrauensselig und weltfremd, dass sie jedes Märchen glauben würde. Eine Notlüge, die sie in ihrer Schüchternheit nie durch Rückfragen prüfen würde.

Sie entschied, dass bereits ihre Mutter beim Pfarrer die Summe für Blandines Klosterleben hinterlegt haben sollte. Wie ihre Tochter nach der mildtätigen, heiligen Blandine benannt, war es Jeans frommer Frau zuzutrauen, in lebenslanger Sparsamkeit auf dieses Ziel hingearbeitet zu haben.

Wenn erst die Jüngere hinter den schützenden Mauern von Beaumont in Sicherheit war, würde sie sich dem Schicksal stellen können, das der Fremde für sie plante. Welche Schrecken es auch immer für sie bereithalten sollte. Man konnte nicht um ein Wunder flehen und dann an seinen Einzelheiten herummäkeln.

1.Kapitel

Philippe Vernon hatte die Füße gegen das schräge Bodenbrett des Reisewagens gestemmt und fing so das ständige Schwanken und die unregelmäßigen Stöße der Landstraße ab. Nahezu bewegungslos in die Polster gelehnt, die Arme über dem goldbetressten, dunkelbraunen Wams verschränkt, betrachtete er unverwandt das Mädchen, das ihm gegenüber in der Ecke saß. Sie war endlich eingeschlafen und kein noch so wildes Rütteln konnte ihren erschöpften Schlummer stören.

Die nächtliche Totenwache beim Vater, die Aufr

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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