Die ungezähmte Rebellin - Marie Cordonnier - E-Book

Die ungezähmte Rebellin E-Book

Marie Cordonnier

4,8

Beschreibung

Es ist eine überstürzte, abenteuerliche Reise, die Roxana wagt, als sie aus Burg Glain flieht, um der Ehe mit einem ungeliebten Mann zu entgehen. Auf ihrer Flucht fällt die junge Frau in die Hände einer üblen Bande. Doch im letzten Augenblick wird sie gerettet - von Jaufré, dem jüngsten Sohn des Falken, der sich schon lange von seinen Brüdern losgesagt hat. Er führt ein wildes Leben als Pirat, ein Leben, das Roxana nur zu gern mit ihm teilt. Sie wird seine Geliebte - bis Jaufré erfährt, dass seine schöne Rebellin das Mädchen ist, das sein Vater vor Jahren nach Burg Glain schickte, angeblich als seine uneheliche Tochter.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 374

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,8 (18 Bewertungen)
15
3
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



               Marie Cordonnier

Die ungezähmte Rebellin

Roman

1.              Kapitel

Marseille – Im Sommer des Jahres 1273

Die Luft imFutaille noirehing zum Schneiden dick zwischen den groben Tischen und Bänken. Der Gestank, der sich aus den verschiedensten Essensdüften, trocknenden Weinpfützen und jenen unnennbaren Aromen zusammensetzte, die eine Horde ungewaschener Seeleute und Abenteurer ausdünstete, gehörte zum >Schwarzen Fass< wie die kahlköpfige Gestalt des Schwarzen Jean und seine offenherzigen Mägde. Die Kaschemme im Hafen von Marseille war ein bevorzugter Schlupfwinkel für jene Männer, bei deren Anblick sich ein christlicher Seemann erschreckt bekreuzigte.

Unstimmigkeiten unter den Gästen gehörten zur Tagesordnung und wurden vom Schwarzen Jean persönlich geschlichtet, im Notfall mit Hilfe eines eisernen Bratspießes. Auch sonst achtete der Hausherr sorgfältig darauf, nur jene handverlesene Schar von Halsabschneidern, Gaunern, Piraten und Halunken unter seinem Dach zu begrüßen, welche den ausgezeichneten Wein imSchwarzen Fasszu würdigen wussten. Sie alle lümmelten sich um die groben Tischplatten und machten einander Konkurrenz darin, ihr Glück oder ihr Unglück mit dem fruchtigen Burgunder hinunter zu schwemmen, den der Schwarze Jean auf den Flussbooten erstand, die vom Oberlauf der Rhône kamen.

Doch die glutäugige, schwarzlockige Zigeunerin, die an diesem Tag mit wiegenden Hüften und weit ausgeschnittener Bluse durch den Raum strich, war neu imFutaille noire. Der Mann, der seinen Platz in der dunkelsten Ecke des ohnehin nur spärlich beleuchteten Raumes gewählt hatte, sah ihr zu, wie sie von einem zum anderen ging, jedoch nicht blieb, wenn sie eingeladen wurde. Für einen Herzschlag blitzte Interesse in seinen Raubtieraugen auf, die bisher so gelangweilt das vertraute, bizarre Bild betrachtet hatten.

Das Interesse war gegenseitig. Auch die wilde Schöne hatte mit

sicherem Instinkt jenen kräftigen, großen Mann entdeckt, der dort hinten im Halbdunkel saß, die langen Beine weit von sich gestreckt. Er schien ihr durchaus einen zweiten Blick wert zu sein.

Im schwachen Schein der blakenden Öllampen blitzten goldene Strähnen in seinen nachlässig zurückgestreiften Haaren. Der mächtige Brustkorb, der das überraschend weiße, elegante Hemd spannte, verriet Kraft und männliche Stärke, der scharfe Dolch und das Schwert verrieten kluge Vorsicht.

Am auffallendsten waren jedoch die scharf geschnittenen Züge, zu kantig, um schön zu sein. Der verhangene Blick der goldenen Augen, gepaart mit einem sinnlichen Mund, ließen an ein geschmeidiges Raubtier denken, an eines, dessen Jagdinstinkt sehr ausgeprägt war.

Nun denn, warum sollte sie nicht ihr Glück bei ihm versuchen?

»Ein Blick in Eure Zukunft, Seigneur? «

Die Andeutung eines spöttischen Lächelns kräuselte den verführerischen Mund, und der Blick glitt zu seinem Weinbecher zurück.

»Ich mach mir meine Zukunft selbst, Mädchen! Wenn du dir jedoch ein paar Livres verdienen willst, dann können wir auf andere Art ins Geschäft kommen! «, entgegnete er knapp und gab ihr einen spielerischen Klaps.

»Es ist gefährlich, die Mächte des Schicksals zu leugnen, Seigneur«, murmelte die Zigeunerin und griff nach der Hand, die so lässig und entspannt neben dem Weinbecher lag.

Was ihn dazu trieb, das Spiel zu dulden, hätte er selbst nicht zu sagen gewusst. Eine Mischung aus Unlust und Überdruss, aber vielleicht auch Neugier. Was konnte die Zukunft noch für einen Mann bereithalten, der alle Gesetze und moralischen Einschränkungen hinter sich gelassen hatte?

»Euer Drang nach Freiheit und Euer Stolz haben Euch aus der Heimat vertrieben«, raunte die Zigeunerin, und ihre Finger zitterten leicht, als sie den Linien seiner Handfläche folgten.

Es war eine sachte, zögernde Berührung, und doch sträubten sich ihm die Härchen im Nacken. Verdammt, er würde sich nicht verrückt machen lassen von ein wenig Hokuspokus. Man brauchte nicht viel Fantasie, um zu wissen, dass die Gäste des Schwarzen Jean nicht zu jenen braven Bürgern gehörten, die am heimischen Feuer geblieben waren.

»Erst wenn Ihr die Einsamkeit der Verzweiflung kennen gelernt und zwischen Katzengold und einem wahren Schatz zu unterscheiden gelernt habt, werdet Ihr die Heimat Eures Herzens finden. «

»Spar dir deinen närrischen Unsinn! «

Mit einem ungeduldigen Ruck zog er seine Finger aus ihrem Griff und schloss sie um den Weinbecher. »Dieses Gefasel von Schätzen und Gold ist die Spezialität von dir und deinesgleichen. Der Weiße Sarazene hat es nicht nötig, sich um Gold und Schätze zu kümmern, schönes Kind! «

Die Zigeunerin wich vor dem Namen zurück. Man kannte ihn an den Gestaden des Mittelmeeres, doch es war kein Name, den man gern hörte. Der Weiße Sarazene war ein gefürchteter Mann. Die Spione des Herzogs von Anjou boten ein kleines Vermögen für einen Hinweis auf seinen Aufenthaltsort, und die Berber der afrikanischen Küste fluchten, wenn sie nur von ihm hörten. Sie hatte nicht geahnt, dass er so jung war! Kaum Mitte der Zwanzig, und schon eine gefährliche Legende!

»Ihr seid nicht das, was ihr vorgeben wollt«, murmelte sie, ohne selbst zu begreifen, woher die Worte kamen, die sich ihr auf die Lippen drängten. »Achtet auf das silberne Licht des Mondes, das Euch Zukunft verheißt. Es schenkt Euch die andere Hälfte Eures Seins, ohne die ihr nicht glücklich sein könnt! «

Die Zigeunerin, die unwillkürlich die Augen geschlossen hatte, verstummte, und erst die Münze, die kühl und hart zwischen ihren Brüsten landete, brachte sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Mit einem leisen Schrei wirbelte sie herum und floh aus dem Schwarzen Fass<.Ein spöttisches Lachen folgte ihr die ausgetretene Treppe hinauf, melodisch und gleichzeitig so klar und kalt. Die Frau, die sich mit diesem Mann verband, musste aus demselben Stoff gemacht sein wie er. Stark, frei und bereit, das eigene Leben in die Waagschale zu werfen. Sie war nicht diese Frau, ganz bestimmt nicht, und sie bedauerte schon jetzt das Mädchen, das es eines Tages sein würde!

Paris, im Oktober des Jahres 1273

»Je eher wir einen Gatten für sie finden, umso besser wird es sein! «, verkündete Alix d’Escoudry und ignorierte den verblüfften Ausdruck auf dem Gesicht ihres Gatten. »Sie ist neunzehn! Eine junge Frau in der Blüte ihrer Schönheit. Sie hat so viele Bewunderer, dass sich doch wohl einer darunter finden wird, der über den Makel ihrer Geburt hinwegsieht. «

»Gütiger Himmel, Ihr wisst nicht, was Ihr da plant! « Regier schüttelte den Kopf. »Roxana verheiraten! Ihr müsst närrisch sein! « Alix sah ihren Gemahl streitlustig an. Wollte er vielleicht, dass seine Schwester eine alte Jungfer wurde? »Was wollt Ihr damit sagen? Dass ich zu viel verlange? Dass sie für den Leichtsinn ihres Vaters büßen soll, der ihrer Mutter ein Kind gemacht hat, ohne sie zu heiraten? «, fragte sie spitz. »Verzeiht, dass ich so von Eurem gemeinsamen Vater spreche, Rogier! Doch Roxana hat es nicht verdient, dass ihr der Weg in eine ehrenvolle Zukunft versagt wird! Es muss eine Möglichkeit geben, ihr das Leben zu sichern, das sie so überreich durch den Adel ihres Herzens verdient! «

»Welch flammende Rede für das Wohl meiner entzückenden Halbschwester! « Rogier schlang die Arme um seine wütende Gemahlin und küsste sie ausgiebig - nicht nur, weil er sie so gern küsste, sondern weil er inzwischen wusste, wie sehr seine Küsse Alix’ Temperament besänftigen konnten.

»Ihr habt Recht, meine Liebe, in allem, was Ihr sagt. Doch ich bezweifle, ob es einem von uns gelingen wird, den unabhängigen Geist und den lästigen Eigensinn dieser so speziellen Dame zu überwinden. Wenn Ihr Roxana verheiraten wollt, werdet Ihr höllische Schwierigkeiten bekommen. Sie hängt an ihrer Freiheit, und ich habe bisher nicht den Eindruck, dass sie irgendeinem Mann sonderlich zugetan ist. «

»Ich weiß«, gab Alix bedrückt zu. »Aber vielleicht könnten wir ... «

Die Lauscherin an der Tür des kleinen Salons raffte ihre bestickten Seidenröcke und verschwand ebenso lautlos, wie sie vor wenigen Minuten gekommen war. Die Röte auf Wangen und Stirn verriet ihren Unmut. Wahrhaftig, auf einen derart unsinnigen Gedanken konnte auch nur Alix kommen! Seit sie Rogier d’Escoudry geheiratet hatte und der Geburt ihres ersten Kindes entgegensah, war sie zu einer glühenden Verfechterin des früher von ihr so verachteten Ehestandes geworden.

Roxana d’Escoudry beeilte sich, die Tür des großen, bezaubernd ausgestatteten Gemachs hinter sich zu schließen, das sie vorhin erst verlassen hatte, um sich auf die Suche nach der Dame des Hauses zu machen. Das elegante, neue Palais in St. Denis, das Alix mit solcher Begeisterung in Besitz genommen hatte, bot jeden Komfort, aber in diesem Moment hatte Roxana keinen Blick für die schönen Glasfenster, die bunten Wandteppiche und die kunstvollen Schnitzereien.

Das also steckte hinter der liebenswürdigen Einladung, die Stadt für ein paar Wochen zu verlassen und Alix Gesellschaft zu leisten, die angeblich unter den üblichen Beschwerden einer ersten Schwangerschaft litt. Bei ihrer Ankunft hatte sie sofort bemerkt, dass es Alix keineswegs schlecht ging, im Gegenteil, sie war geradezu aufgeblüht. Und Roxana hatte gedacht, dass Alix nur deshalb so übertrieben hatte, damit ihr die Königinmutter nicht böse war, weil sie lieber in ihrem neuen Heim blieb, statt sich unter die Damen des Hofes zu mischen.

Ein Gatte? Bei allen Heiligen, sie wollte keinen Gatten! Zumindest keinen, den Alix ihr verschaffen konnte. Was mischte sie sich ein? Roxana mochte Alix de Beziers, sie war wie alle Gattinnen der Escoudrys etwas Besonderes. Alix würde sich prächtig mit

Léonie verstehen, die mit Mathieu auf Glain, der Stammburg der Familie, lebte. Ebenso wie mit der stolzen Charis, die mit Simon über das Leben von Tinteniac herrschte. Aber das gab ihr noch lange nicht das Recht, in ihrem, Roxanas, Leben herumzu pfuschen!

»Nein! «

Dieses eine Wort wurde nicht von den bestickten Tapisserien und den dicken Polstern verschluckt, sondern hallte wider und schien sich zu sträuben, wie die junge Frau, die es ausgesprochen hatte.

Denn auch Roxana fühlte sich mehr und mehr von dem Luxus und dem Wohlleben erstickt, die sie wie eine Wand aus dicker schwerer Seide umfingen. Sie wollte nicht mit Wohlverhalten für einen Überfluss bezahlen, an dem ihr im Grunde nichts lag. Die fremde, unruhige Sehnsucht, die sie bisher so erfolgreich unter Kontrolle gehalten hatte, bäumte sich gegen die Zukunft auf, die Alix für sie im Sinn hatte. Sie war nicht das Mädchen, für das die elegante Nichte der Königinmutter sie hielt.

Roxana stellte sich vor den Standspiegel neben den üppig gefüllten Kleidertruhen. Das große, reflektierende Oval zwischen den silbernen Blütenranken warf das Porträt einer zierlichen, höchst eigenwilligen Edeldame zurück. Obwohl kaum mittelgroß, wirkte sie durch ihre stolze Haltung größer, als sie tatsächlich war. Die tiefschwarzen Haare waren von einem silbernen Netz gebändigt, umrahmten ein alabasterfeines, apartes Antlitz.

Es war nicht oval, wie es dem herrschenden Geschmack entsprach, sondern ein wenig herzförmig, mit einem ausgeprägten, energischen Kinn und einer schmalen kleinen Nase. Über der klaren Stirn wölbte sich in vollkommenem Schwung die Brauen. Unglaublich lange, dunkle Wimpern umgaben die leicht mandelförmigen, hellen Augen, deren Farbe stets ein getreuer Spiegel von Roxanas Gefühlen war. Bei Zorn wurden sie dunkelgrau wie unpolierter Stahl, aber wenn sie glücklich war, schimmerten sie wie leuchtendes Silber.

Ungewöhnliche, sprechende, erfahrene Augen, die in diesem zarten Mädchengesicht ebenso verblüffend wirkten wie der volle, verführerische Mund, hinter dem zwei Reihen perlweißer Zähne blitzten. Lippen, so verlockend und sinnlich, dass sie einen augenfälligen Kontrast zu dem feinen Antlitz bildeten und den Betrachter unwillkürlich darüber nachsinnen ließen, wie sie sich unter einem Kuss anfühlen würden. Ein Gesicht, das man nicht so schnell vergaß.

Roxana d’Escoudry verfügte über die seltene Fähigkeit, die eigene Person ohne Selbstbetrug einschätzen zu können. Nun dachte sie angelegentlich darüber nach, ob sie wie eine dumme Närrin einem Traum nachhing oder ob sie das eigene Glück mit derselben, nüchternen Zielstrebigkeit ansteuern konnte, wie sie sie für die drei ältesten Söhne des Falken an den Tag gelegt hatte.

Sie hatte ihr Versprechen gehalten, das sie dem sterbenden Ritter vor Tunis gegeben hatte, wo Mathieu d’Escoudry, den alle den Falken nannten, den Tod gefunden hatte. Nahezu gleichzeitig mit dem frommen König Ludwig von Frankreich, der seine Ritter zu einem letzten Kreuzzug hatte führen wollen. Ein Unternehmen, das von dem königlichen Bruder Charles d’Anjou sabotiert worden war und in völliger Desorganisation, in Seuchen und Tod geendet hatte. «

Es war ihr in den vergangenen Jahren gelungen, die Söhne des Falken vor dem Hass des königlichen Bruders in Sicherheit zu retten, ohne zu verraten, dass sie sehr genau über die Gründe des Herzogs Bescheid wusste. Es war keine schlechte Idee, nun auch der eigenen Person Schutz zukommen zu lassen, und zwar, ehe der hohe Herr sein Interesse wieder dem königlichen Hof zuwandte und vielleicht den Beweis für eine Vermutung fand, die er mit Sicherheit schon längst hegte.

Unwillkürlich griff Roxana zu jenem goldenen Medaillon, das sie an einer feinen Goldkette um ihren Hals trug und das mehr als ein Talisman und Schmuckstück war. Es war die einzige Verbindung zu einer Vergangenheit, die für immer ihr Geheimnis bleiben musste! Sie hatte es geschworen!

Aber es gab eine Zukunft! Eine Zukunft, die allein in ihren Händen lag!

»Roxana? «

Sie machte ein ausdrucksloses Gesicht, als ihre Schwägerin ins Zimmer trat, wie immer mit jenem leichten Hauch von Atemlosigkeit und Röte auf den Wangen, der bewies, dass Rogier sich nicht nur darauf verstand, endlose Episteln für den König zur formulieren und ausländische Gesandte mit der Brillanz französischer Diplomatie zu verblüffen.

»Wie wunderbar, dass ich Euch hier finde! Ich habe beschlossen, ein Fest zu veranstalten, und Ihr müsst mir bei der Organisation ein wenig zur Hand gehen«, verkündete Dame Alix strahlend.

Roxana hätte sich normalerweise nichts bei dieser fröhlichen Aufforderung gedacht, doch das zufällig belauschte Gespräch mahnte zur Vorsicht. Welch ein Segen, dass niemand sie bemerkt hatte!

»Ich dachte, Ihr hättet Euch nach St. Denis zurückgezogen, um dem Trubel bei Hofe zu entgehen, Alix«, meinte Roxana in gespielter Verblüffung.

Sie konnte förmlich sehen, wie Alix’ flinker Verstand arbeitete. »Ich spreche ja auch nicht von Trubel, Kind«, entgegnete Alix, »sondern von dem Wunsch, ein paar nette Menschen und gute Freunde um uns zu versammeln. Wenn Ihr noch Wünsche für die Gästeliste habt, so zögert nicht, mir Eure Freunde zu nennen. «

Roxana war einen Moment lang versucht, ihr tatsächlich ein paar Namen zu nennen, aber dann verzichtete sie lieber darauf. Sie wollte keine Hoffnungen wecken, die ohnehin nie in Erfüllung gehen würden.

»Es gibt niemanden. « Sie zuckte mit den Schultern und schüttelte ein paar nicht vorhandene Falten aus den hellblauen Seidenröcken, die sich um ihre schmale Taille bauschten.

»In der Tat? Keine Freunde? « In Alix’ Stimme schwang ein Lächeln mit. »Und was ist mit dem Seigneur de Foix? Monsieur de Penthièvre und Gilles de Mortaigne? «

Dies waren nur ein paar der Edelmänner, die Roxana am Hofe des Königs nicht von den Fersen wichen, und sie hatten alle eines gemeinsam: Sie stammten aus den edelsten Familien des Landes. Roxana bezweifelte jedoch, ob ihr Interesse über einen leichtfertigen Flirt hinausging. Keiner von ihnen würde daran denken, eine Frau zu heiraten, die nicht aus einer Familie kam, die an Adel und Tradition der ihren entsprach.

»Sie wären begeistert, wenn sie ein wenig mehr von mir küssen dürften als nur meine Fingerspitzen«, entgegnete das junge Mädchen trocken. »Aber ich denke kaum, dass ich sie deswegen als meine Freunde bezeichnen könnte. Muss ich Euch etwas über die verwegenen Wünsche der Chevaliers erzählen, die um die jüngeren Hofdamen herumscharwenzeln? «

Alix hatte sich von der Nennung ihrer drei aussichtsreichsten Kandidaten ein wenig mehr Enthusiasmus von Roxana erhofft. Dass diese sich so ablehnend verhielt, enttäuschte sie.

»Also gibt es niemanden, der dein stolzes Herz aus dem Takt bringt, Petite? « Dies war der Kosename, den die Familie für das Bastardkind gefunden hatte, das vor drei Jahren so überraschend bei ihnen aufgetaucht war.

»Jemand ... vielleicht... möglicherweise ... «, antwortete Roxana und schenkte Alix ein rätselhaftes Lächeln.

»Dann lass uns diesen jemand zu unserem Fest einladen«, erwiderte Alix. Sie bezähmte die eigene Neugier, denn sie wusste sehr wohl, dass Roxana keinen Ton sagen würde, wenn sie es nicht wollte.

»Ich hege den Argwohn, dass er keine Einladungen zu Festen annimmt«, erwiderte Roxana mit einem Seufzer. »Er ist nicht die

Art Mann, mit dem sich eine Gastgeberin schmückt. Ich fürchte, wir werden auf seine Anwesenheit verzichten müssen ... «

»Gütiger Himmel, von wem sprichst du? « Alix d’Escoudry klang höchst alarmiert. »Man könnte meinen, der Seigneur wäre ein Straßenräuber oder Jahrmarktsgaukler! «

»Von allem etwas und noch ein wenig mehr, fürchte ich«, antwortete Roxana und erhöhte Alix’ Besorgnis damit nur noch mehr.

Dann jedoch schüttelte die Ältere den Kopf und sah Roxana vorwurfsvoll an. »Du machst dich über mich lustig! «

Nein, niemals würde die stolze und warmherzige Roxana ihr Herz einem nichts würdigen Halunken schenken!

»Ein wenig vielleicht«, räumte Roxana mit einem spitzbübischen Lächeln ein und wechselte das Thema. »Erzählt mir mehr über Euer Fest! «

Später ärgerte Alix sich darüber, dass sie Roxana wieder einmal auf den Leim gegangen war. Wieso hatte sie sich davon abbringen lassen, weitere Fragen zu stellen? Vielleicht hätte sie in diesem Moment die Ereignisse noch beeinflussen können, wenn sie daran gedacht hätte, dass Roxana zwar gern scherzte, aber niemals die Unwahrheit sagte.

Roxana d’Escoudry überflog die wenigen Zeilen, die sie an Rogier und seine Gemahlin geschrieben hatte. » Verzeiht, dass ich nicht an Eurem Fest teilnehmen kann, aber ich beabsichtige nicht, einen jener charmanten Herren zu heiraten, die Ihr mir ohne Zweifel dabei präsentieren werdet. Ich will selbst herausfinden, wem mein Herz gehört, und ich bitte Euch, macht Euch keine Sorgen um mich. Ich werde weder nach Glain noch nach Tinténiac gehen, also bereitet weder Léonie oder Charis Sorgen, indem Ihr nach mir fragt. Sobald ich erfahren habe, was ich wissen möchte, werdet Ihr von mir hören, so wahr ich dem sterbenden Falken Treue und Gehorsam versprochen habe! Achtet auf Euch und Eure Gemahlin und auf das Kind! Roxana. «

Es war ein eher nüchterner Brief, der nicht verriet, wie sehr sie die Söhne des Falken in ihr Herz geschlossen hatte. Dies blieb ihr Geheimnis. Es waren Brüder, die sie sich selbst gesucht hatte und deren Stolz und Zorn sie sehr wohl einschätzen konnte, wenn sie von ihrem leichtsinnigen Abenteuer erfahren würden.

Glücklicherweise würde niemand herausfinden können, in welche Richtung sie sich gewandt hatte. Denn niemand wusste von ihren Gefühlen, und nicht einmal der kluge Rogier würde auf den Gedanken kommen, dass sie über Informationen verfügte, die er für sein sorgsam gehütetes Geheimnis hielt.

Roxana faltete das Pergament und verzichtete darauf, es zu siegeln. Die Mägde und Kammerfrauen konnten nicht lesen, also würde die Nachricht ohnehin bei Rogier und Alix landen. Sie legte die Botschaft auf die rankenbestickte Decke ihres Bettes und griff nach dem schweren Umhang, den sie ausgewählt hatte. Ein schmuckloser Reitmantel aus dickem, flämischem Wollstoff, der im Notfall den Regen abhielt und unter seinen reichen Falten verbarg, dass der Jüngling, der ihn trug, vielleicht ein wenig zu schmal und zu grazil für einen Mann war.

Es lag Jahre zurück, dass Roxana Jungenkleider getragen hatte, aber das Gefühl der Leichtigkeit und Freiheit, das sie ihr gaben, war das gleiche wie früher. Eine eng anliegende Lederkappe verbarg die straff geflochtenen und zurückgestrichenen Haare; darüber zog sie die breite Krempe eines dunklen Hutes so tief in die Stirn, dass ihr halbes Gesicht im Schatten lag.

Roxana verzichtete auf einen weiteren Blick in den Spiegel. Sie löschte die Kerze und sah aus dem Fenster. In einer guten Stunde würde der Tag dämmern. Höchste Zeit, jene Verabredung einzuhalten, die sie am gestrigen Nachmittag in aller Heimlichkeit getroffen hatte. Die Handwerkertruppe, die kurz vor Sonnenaufgang in Richtung Avignon aufbrechen wollte, würde nicht lange auf einen säumigen Mitreisenden warten.

Es waren Steinmetze und Maurer mit ihren Familien, die in den vergangenen Jahren am Bau der großen Abtei von St. Denis gearbeitet hatten und deren Dienste nicht länger benötigt wurden, da sich das Bauwerk der Vollendung näherte. Sie wandten sich nach Süden, einmal, um der nördlichen Kälte des kommenden Winters zu entgehen, zum anderen von dem Gerücht verlockt, dass in Avignon so viel gebaut wurde, dass ein ordentlicher Handwerker für sich und die Seinen dort ein gutes Auskommen fand.

Roxana hatte zufällig von dieser Reisegruppe erfahren und nicht länger gezögert, nachdem sie Alix belauscht hatte. Sie kannte die Hartnäckigkeit ihrer Schwägerin und wusste, dass diese nicht ruhen würde, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. Roxana verließ das hübsche Kabinett, ohne sich noch einmal umzudrehen. Sie war an Abschiede gewöhnt. Lautlos wie ein Schatten huschte sie durch das stille Haus, das Bündel mit ihren wenigen Habseligkeiten unter den Arm geklemmt.

Die voluminösen Roben, pelzgefütterten Umhänge und duftigen Schleier ließ sie ohne Bedauern zurück. Der schüchterne junge Diener, der sich angeblich auf Wunsch seiner Herrin in dringenden Geschäften in Richtung Süden begab, erinnerte in nichts an die elegante, kapriziöse Hofdame, die Alix d’Escoudry verheiraten wollte.

Er nahm seinen Platz auf einem der Fuhrwerke ein, welche die Habe der Handwerker transportierten, antwortete knapp und mit dunkler Stimme, wenn er etwas gefragt wurde, und war ansonsten so bescheiden und unauffällig, wie es die Dame versprochen hatte, die so reichhaltig dafür bezahlt hatte, dass er im Schutz der Reisegruppe bleiben durfte, bis diese ihr Ziel erreicht hatte.

Die Reisegruppe hatte längst den Schatten der Türme von St. Denis hinter sich gelassen, als unter dem Dach von Rogier d’Escoudry eine gewaltige Aufregung ausbrach. Und es dauerte eine Weile, bis der Seigneur d’Escoudry und seine Frau sichsoweit beruhigt hatten, dass sie nachdenken konnten. Hatte Roxana in den letzten Tagen etwas gesagt oder getan, was ihnen vielleicht einen Hinweis geben könnte, wohin sie sich gewandt hatte?

»Jemand, dem ihr Herz gehört! «, murmelt Alix und las den Brief zum hundertsten Mal.

»Ein Straßenräuber oder Schlimmeres, der keine Einladungen zu Festen annimmt und dem sie sich so verbunden fühlt, dass sie auf eigene Faust ... « Rogier brach ab und runzelte die Stirn. Da war etwas, ein flüchtiger Gedanke, eine vage Möglichkeit. Fragen, die Roxana immer wieder gestellt hatte, bis er sich jedes Gespräch darüber verbeten hatte.

»Ich bitte Euch, redet! «, bat Alix, die das Schweigen nicht länger ertrug. »Woran denkt Ihr? «

»Wie würdet Ihr Roxanas Verhältnis zu mir und meinen Brüdern beschreiben? «, fragte er seine Gemahlin.

»Sie würde ihr Leben für Euch geben«, antwortete Alix ernst. »Ihr wisst, wie sehr sie Euren Vater geliebt hat und wie stark sie sich dem Namen Escoudry verpflichtet fühlt. Umso mehr wundere ich mich ja, dass sie so einfach auf und davon ist. «

»Ich glaube fast, ich kann Euch den Grund dafür nennen«, sagte Rogier mit einer unüberhörbaren Spur von Panik. »Ich wollte bei Gott, ich würde mich täuschen, aber ich fürchte, dies ist nicht so! «

2. Kapitel

Das schäbige Haus duckte sich zwischen die Lagerschuppen und baufälligen Gebäude, als sei es keine öffentliche Spelunke, sondern das heimliche Versteck eines Halsabschneiders. An seinem Äußeren befand sich nicht der kleinste Hinweis darauf, dass der neugierige Pastetenverkäufer am Hafen sie auf den richtigen Weg geschickt hatte.

Immerhin hatte dieser Weg, wie angekündigt, durch das übelste

Viertel der Stadt geführt. Ungepflasterte, staubige Straßen, Berge von Unrat und Gassen so eng, dass man fürchten musste, von den Hauswänden erdrückt zu werden, waren noch das Harmloseste gewesen. Am meisten hatten sie die stark geschminkten Mädchen und Frauen in den Hauseingängen erschreckt, die ihr höchst eindeutige Angebote nachgerufen hatten, denen vulgäre Zoten folgten, wenn sie so tat, als hätte sie nichts davon gehört. Die einfachste Stallmagd in Glain kam ihr gegen diese elenden Geschöpfe noch wie eine Prinzessin vor. Gab es wirklich Männer, die sich von ihnen verlockt fühlten?

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!