Isabelle - Marie Cordonnier - E-Book

Isabelle E-Book

Marie Cordonnier

4,6

Beschreibung

Band 1 der fünf Isabelle-Romane vereint Liebe, Tragik und Leidenschaft. Die schöne und temperamentvolle Isabelle, deren Herkunft im Dunkeln liegt, kommt an den französischen Königshof. Die junge Frau lebt mit ihrer Mutter Mariette, einer Zigeunerin, in den Bergen der Provence. Mariette besitzt geheimnisvolle Heilkräfte, und als der kranke König René davon hört, lässt er die Zigeunerin an seinen Hof kommen. Auch Isabelle sieht dabei zum ersten Mal die Stadt und den Königshof. Durch ihre Schönheit und Schüchternheit fällt sie dem jungen Adeligen Nicolas de Paradou auf und erweckt dadurch die Eifersucht von Geneviève, die ein Auge auf Nicolas geworfen hat. „Marie Cordonniers Romane heben sich nicht nur durch das weniger übliche Set sondern dadurch von der Masse ab, dass die Autorin es wie kaum eine andere versteht, Stimmung zu erzeugen und dem Leser zu vermitteln. Deswegen wirken ihre Romane immer glaubwürdig.Außerdem sind sie so spannend wie unterhaltsam - aber immer ernsthaft.“ Leserstimme

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Seitenzahl: 345

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Marie Cordonnier

Isabelle

Roman

____________BsB____________ 

BestSelect BookDigital Publishers

___Letzte von der Autorin durchgesehene Fassung___

ISBN 978-3-86466-207-2

© 2013 Alle Rechte bei Bestselectbook.com

Die Isabelle-Pentalogie

Buch 1_Isabelle

Buch 2_Geliebte Isabelle

Buch 3_Isabelle de Paradou

Buch 4_Isabelle und der König

Buch 5_Die Macht der Liebe

Inhalt

...............Prolog.....Seite 5...............

1. Kapitel.....Seite 17
2. Kapitel.....Seite 39
3. Kapitel.....Seite 45
4. Kapitel.....Seite 55
5. Kapitel.....Seite 64
6. Kapitel.....Seite 80
7. Kapitel.....Seite 87
8. Kapitel.....Seite 95
9. Kapitel.....Seite 105
10. Kapitel.....Seite 113
11. Kapitel.....Seite 126
12. Kapitel.....Seite 148
13. Kapitel.....Seite 160
14. Kapitel.....Seite 168
15. Kapitel.....Seite 176
16. Kapitel.....Seite 184
17. Kapitel.....Seite 197
18. Kapitel.....Seite 208
19. Kapitel.....Seite 218
20. Kapitel.....Seite 230
21. Kapitel.....Seite 244

...............Ende.....Seite 256...............

Prolog

Ein Jahr vor den Ereignissen 25. Mai 1479

Der Wind zerrte übermütig an den schweren Falten ihres einfachen, braunen Umhanges. Isabelle drückte sich fröstelnd enger in die Nische der mächtigen Mauer. Nach der bedrückenden Dunkelheit des Gotteshauses der zwei Marien, die sie nicht länger hatte ertragen können, schmerzte das klare, blendende Sonnenlicht in den Augen.

Der strahlende Maitag erstarrte unter dem Eishauch des Mistrals, der sich mit ungestümer Macht gegen die wuchtigen grauen Steine warf. Die fast fensterlose Festung, die zur Zeit der Arabereinfälle auch als letzter Zufluchtsort für die Leute von SaintesMaries-de-la-Mer gedient hatte, wirkte aus diesem Blickwinkel weniger denn je wie eine Kirche. Der Sturm pfiff um die burgähnlichen Pfeiler der leeren Wehrgänge und warf sich danach mit unverminderter Wucht über die geduckten, strohgedeckten Häuser und Hütten, die sich Schutz suchend zu Füßen des düsteren Klotzes zusammenkauerten.

In Isabelles Ohren dröhnte noch immer das gleichförmige, leiernde Gemurmel der flehenden Gebete und Gesänge. Vor dem barbarisch aufgeputzten Standbild der heiligen Sarah in der Krypta lagen die Zigeuner auf den Knien. Sie erflehten Gottes Segen und Barmherzigkeit für ihr Volk, wie sie es seit ewigen Zeiten zum Fest der Maria Jacobàa taten. Binnen Kürze würden sich die Männer zur Bittprozession formieren, um die in Flitter und Spitzen gehüllte schwarze Steinpuppe ans Meer zu tragen. Dorthin, wo die heilige Sarah angeblich vor vielen hundert Jahren den Boden der Provence zum ersten Male betreten hatte.

Isabelle zog die frische, belebende Luft in tiefen Zügen ein. In der Kirche hatte eine Dunstwolke aus Schweiß, Moder und Weihrauch das Atmen erschwert. Sie ertappte sich dabei, dass sie Mitleid mit den Frauen und Männern hatte, deren selbstsicherer Stolz nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass sie unter dem Flickwerk ihrer schäbigen und fremdartigen Kleider in der ungewohnten Kälte zitterten.

Während die Frauen rings um sie her ihre ärmlichen Opfergaben zu Füßen der Heiligen aufgehäuft hatten, war Isabelles Herz stumm und ungerührt geblieben. Welche Bitte sollte sie schon an Sarah, die schwarze Dienerin der zwei Marien, richten? Ganz gewiss wünschte sie keinen der glutäugigen Burschen, die das schwere Heiligtum auf ihre Schultern wuchteten, zum Manne. Aber sie fand auch nicht die richtigen Worte, um die fremdartige Sehnsucht und Ruhelosigkeit zu beschreiben, die sie in den letzten Monaten immer stärker zu bedrücken begann. Neidvoll folgten ihre Blicke dem Flug der Möwen, die gleich weißen Pfeilen die gläserne Klarheit des weiten Himmels durchschnitten.

»Träumst du, Mädchen mit den Frühlingsaugen?«

Isabelle schrak auf, fühlte sich ertappt und raffte den schweren Mantel enger um die schmalen Schultern. Misstrauisch musterte sie die gebückte Gestalt, die scheinbar aus dem Nichts an ihrer Seite aufgetaucht war. Eine Bettlerin?

»Lass mich allein. Ich kann dir nichts geben, ich hab selber nichts …« Nur mühsam verbarg sie den Ekel, den ihr die schmutzstarrende, zusammengesunkene Alte einflößte. »Nichts?« Das höhnische Kichern schepperte unangenehm. »Du hast einen warmen Umhang, und meine alten Knochen frieren in diesem Teufelswind.« Die Greisin schob sich noch näher. Isabelle wurde nun von ihren Ausdünstungen getroffen und rümpfte die Nase. Sie wich zurück, so weit es möglich war. »Soll ich dir sagen, ob deine Träume in Erfüllung gehen, Mädchen mit den Frühlingsaugen? Dein Mantel gegen einen Blick in eine abenteuerliche Zukunft, du wirst diesen Tausch nicht bereuen!« Klauenartige, eiskalte Finger zogen die zierliche Hand herab, die die braunen Stofffalten vor der Brust zusammenhielt. »Du erlebst ein Schicksal, dessen Glanz dir Neid und Feinde, aber auch Leidenschaft und Glück bescheren wird.« Zornig riss Isabelle ihre Hand zurück. »Fasle keinen Unsinn! Ich bin Zigeunerin wie du, mir kannst du mit diesen Märchen nicht den Blick vernebeln. Mein Schicksal kenne ich nur zu gut. Irgendwann ein Mann, jedes Jahr ein heulendes Kind. Die Landstraße, der Hunger, Verzweiflung und Elend. Wage nicht, das Gegenteil zu behaupten. Die heilige Sarah straft die Lügner!« Aber etwas zwang sie, trotz allem in die dunklen Augen zu sehen, die das alte, faltige Gesicht beherrschten. Sie schienen jede Einzelheit ihrer Erscheinung genau zu prüfen. Unter den schlichten, weiten Kleidern ließ sich ihre schlanke Gestalt nur erahnen. Dafür war das feine, bräunliche Antlitz mit den ebenmäßigen Zügen umso wirkungsvoller. Die gerade, kleine Nase, der vollendet geformte Mund und die übergroßen, grünen Augen unter der Fülle gelockter, dunkler Haare waren von auffälliger, ungewöhnlicher Schönheit. Das zierliche, ausgeprägte Kinn verriet jedoch Willensstärke und Entschlusskraft. Halb widerstrebend, halb fasziniert ließ Isabelle es zu, dass die Alte erneut nach ihrer Hand fasste. »Zigeunerin – du irrst, mein Kind. Weder bist du eine der unseren, noch ist dir ein Zigeunerlos beschieden …« Ein dürrer, ungewaschener Zeigefinger mit rissigem Nagel folgte den Linien auf Isabelles Handfläche. »In deinen Adern fließt das Blut der Edlen dieses Landes. Du bist das Kind einer leidenschaftlichen Liebe, schon bei Geburt vom Tode bedroht. Unser Volk leiht dir seinen Schutz, bis das Schicksal deine Stunde bestimmt. Hüte dich vor dem Glanz der Macht, denn unter den Juwelen lauern Gift und Falschheit. Bekämpfe deinen Stolz, er lässt deiner Liebe keinen Raum.« »Liebe …« Isabelle lächelte ungläubig. »Dein Herz wird einem Sohn des Südens gehören«, raunte die Zigeunerin mahnend, und Isabelle schluckte die Worte, die ihr auf der Zunge lagen, ungesagt hinunter. Reglos wartete sie, dass die Alte weitersprach. »Wenn ein Kranker die Krone trägt und das Geschlecht deiner Mutter erlischt, naht die Stunde deiner Rache. Wenn der flammende Horizont ertrinkt, kannst du im Tale des Lavendels dein Glück finden. Aber nur, falls es dir gelingt, deinen Stolz zu überwinden.« Die Frau keuchte, rang nach Luft und hob endlich den Blick von Isabelles Hand. »Möge die heilige Sarah dich auf deinen stürmischen Wegen beschützen, Mädchen mit den goldenen Haaren. Auch wenn deine Lippen heute das Gebet zu ihrer dunklen Heiligkeit scheuten.« Isabelle kam taumelnd zu sich, während die letzten Nachzügler der Bittprozession singend an ihr vorbeimarschierten. Was war geschehen? Hatte sie geträumt? Sie fror erbärmlich. Der Wind peitschte den dünnen Wollrock klatschend um ihre Beine, und die grobe Leinenbluse hatte sich in einen scheuernden Eispanzer verwandelt. Wo war ihr Mantel? Hatte sie ihn freiwillig fortgegeben? Sie vermochte nicht zu sagen, was geschehen war. Eines schien leider sicher: Die wirren Träume, die durch ihren Kopf spukten, waren ein schlechter Tausch für den Schutz und die Wärme eines Umhangs. Hinzu kam – wie sollte sie ihrer strengen und nüchternen Mutter diesen Verlust erklären? Die Kräuter-Mariette, wie man die gedrungene, stämmige Zigeunerin in den Bergen rund um Les Baux nannte, war ihrer Tochter Isabelle eine eher unnachgiebige, denn liebevolle oder zärtliche Mutter. In ihren Augen wäre die rätselhafte Prophezeiung der Greisin nichts als eine schreckliche Dummheit. Und, sinnierte Isabelle einsichtig, würde sie nicht Recht haben mit diesem Urteil? Sie zupfte unruhig eine Strähne ihres rabenschwarzen, dunklen Haares zurecht, das Mariette mit Kräuterspülungen und Pasten glänzend und lockig zu erhalten suchte. Mädchen mit den goldenen Haaren? Bei allen Heiligen, die Alte war auch noch blind gewesen, ohne dass sie es gemerkt hatte. Isabelle schämte sich. Sie konnte sich des dumpfen Gefühls nicht erwehren, der schwarzen Sarah zu diesem Frühlingsfest ihren Verstand geopfert zu haben.

Zur selben Stunde war der bezaubernde Garten im hohen Mauergeviert der Burg ein heimliches, verwunschenes Paradies über den Dächern der Stadt Tarascon. Die Sonne wärmte die Steinbänke und ließ die kräftigen Farben der verschwenderisch verstreuten Seidenkissen geheimnisvoll aufglühen.

Hier oben rannte sogar der Eiswind aus den Bergen vergeblich gegen die schützenden Balustraden und Mauern. Aus dieser Sicht war auch die mächtige Rhône nur ein spielerisch geschlungener, silberner Gürtel in einer Borte aus hellen Weidenbüschen. Die intensiven Töne verrieten noch die Kraft des Frühlings.

Der Mann, der eben das glitzernde Schauspiel im durchdringenden Licht des Mistrals bewunderte, wirkte in seiner völligen Reglosigkeit noch massiger und größer als sonst. Über einem prächtigen, rubinroten Untergewand trug er einen kostbaren, pelzgesäumten Mantel. Das kurze, störrische, eisgraue Haar wurde vom Wind gezaust, ohne dass er Anstalten machte, die runde schwarze Samtkappe wieder aufzusetzen, die er zuvor in nachdenklichem Schweigen abgenommen hatte.

Auf der kissenbedeckten Bank hinter ihm saß eine Frau, die soeben von ihrer zierlichen Stickerei aufsah. Kummervoll erkannte sie an den unmerklich vorgesunkenen Schultern, an der leichten Beugung des Rückens die fortschreitenden Zeichen der Krankheit ihres Gemahls. Er verleugnete es zu gerne, aber die Last der sieben Jahrzehnte, die auf ihm ruhte, hatte seine Kraft und seine Gesundheit untergraben. René, Herzog von Anjou, König der Provence, hatte sich hierher zurückgezogen, um seine letzten Jahre in wohlverdientem Frieden zuzubringen. Die Zeit der Kriege, der Intrigen und Eroberungen, der politischen Fehler, aber auch der schrecklichen Schicksalsschläge lag hinter ihm. Auch wenn es seine Ärzte nicht aussprachen, er wusste, dass die Zeit, die er noch zu leben hatte, längst absehbar und begrenzt war.

Jeanne de Laval, seine zweite Gattin, war eine stille, kluge Frau, die ihren Gemahl besser kannte, als es ihm manchmal lieb war. Sie ahnte, dass seine Gedanken der Frau, den Kindern und den Enkeln galten, die längst vor ihm ihren Frieden in Gott gefunden hatten. Er war allein, der Letzte seines Hauses – und auch die zweite, späte Ehe hatte ihm nicht mehr den so sehnlich erwünschten Erben geschenkt.

Kein Vorwurf war je über seine Lippen gekommen, obwohl eine stattliche Anzahl illegitimer Kinder sowohl bewies, dass die Schuld nicht bei René von Anjou lag, wie auch, dass seine Vorliebe für schöne Frauen die Zeiten überdauert hatte. Jeanne de Laval seufzte lautlos. Sie schätzte den König auf ihre ruhige, zurückhaltende Art. Sie hätte alles gegeben, ihm Kummer zu ersparen.

»War das nicht der Seigneur von Turenne, den ich heute aus Eurem Jagdzimmer kommen sah, Sire?«, lenkte sie ihn und sich selbst von düsteren Gedanken ab.

René von Anjou setzte mit einer heftigen Bewegung endlich die Kappe wieder auf. Er brummte etwas Unverständliches, wandte sich um und nickte.

»Ihr habt Euch nicht getäuscht, meine Liebe. Und Ihr werdet nicht fassen, zu welchem Zweck er in die Höhle des Löwen kam.«

Die Feindschaft zwischen dem König und André de Turenne war ein offenes Geheimnis. Sein Besuch konnte nur eines bedeuten.

»Ärger?« »Noch viel unglaublicher«, schnaubte René. »Er war sich nicht zu schade, mir das Loblied seines Sohnes zu singen. Es muss ihn hart angekommen sein, mir schön zu tun.« Die Königin rief sich das Bild des erwähnten Edelmannes vor Augen. »Raimond de Turenne? Ein charmanter Junge, wenn ich dem Urteil meiner jüngeren Ehrendamen trauen darf. Hat sein Vater eine Heirat im Sinn?« Der König lachte hart. »Viel unglaublicher – oder stellt Ihr Euch wieder einmal harmloser, als Ihr es seid, Jeanne? Solltet Ihr als Einzige die Augen vor Turennes ehrgeizigen Plänen verschließen? Er versäumte es nicht einmal, mich darauf hinzuweisen, dass die Herren von Les Baux einst Könige des heiligen Jerusalems waren!« Jeanne rückte etwas zur Seite, und René von Anjou ließ sich neben ihr schwer auf die Bank fallen. Dass der Streit um die Nachfolge des Königs schon zu seinen Lebzeiten ausbrechen würde, war zu erwarten gewesen. Der Adel des Südens fand sich nicht leicht damit ab, möglicherweise einem fernen König in Paris die Reverenz erweisen zu müssen. Die stolzen Herren kämpften um ihre Selbstständigkeit. Mit einer Kopf bewegung ermunterte sie ihren Gemahl, in seinem Bericht fortzufahren. »André de Turenne ließ keinen Zweifel daran, dass es meine Aufgabe ist, für einen Erben zu sorgen. Da meine eigenen Söhne tot sind und auch deren Kinder verstorben, bleibt in seinen Augen nur eine Möglichkeit: Ich soll einen würdigen Nachfolger an Sohnes statt annehmen.« »Meint er damit etwa Raimond?« Die Königin war sehr wohl im Stande, den verschlungenen Gedankengängen Turennes zu folgen. Empört wandte sie sich so heftig zur Seite, dass sich die zarte Wolke des duftigen Musselinschleiers, der von ihrem spitzen Kopfputz wallte, in den Dornen der knospenden Rosen verfing. Heute hatte sie keinen Blick für die Schönheit der Blüten, sie zerrte nur ungeduldig an dem Stoff. »Einen Nachfahren des Bastards Turenne! Habt Ihr vergessen, dass er seine Feinde über die Felsen von Les Baux in die Tiefe zu stürzen pflegte? Nicht umsonst nennt ihn das Volk mit Schrecken die Geißel der Provence. Wer garantiert Euch, dass in Raimonds Adern nicht jenes verfluchte Blut die Überhand gewinnt?« René schwieg. Auch ohne diese triftigen Gründe konnte er keinen Gefallen an dem Vorschlag finden. Das Feuer geheimen Hasses wog schwer zwischen ihm und dem hageren, ehrgeizigen Turenne. Nicht einmal Jeanne ahnte, dass André in Renés Augen ein gewissenloser Mörder war. Aus den Schatten der Vergangenheit tauchte vor ihm die blumen zarte Gestalt Florence de Turennes auf. Das edle Oval ihres Gesichtes mit den grünen Augen, die das Versprechen von Frühling und Liebe gegeben hatten. Die Pracht ihres goldschimmernden Feenhaares, offen, nur von juwelenverzierten Bändern gehalten. Konnte es schon zwanzig Jahre her sein, dass sie verschwunden war und von einem Tag auf den anderen das Licht, die Wärme und das Entzücken aus seinem Leben genommen hatte? Der schneidende Schmerz der Enttäuschung war gelindert, aber nicht verschwunden. Er wusste, dass nur der Tod sie aus seinen Armen gerissen haben konnte. Der Tod in Gestalt von André Turenne; auch wenn er es nicht beweisen konnte, er wusste es. »Wie lautete Eure Antwort, Sire?« Jeannes Stimme riss ihn aus dumpfem Grübeln. Es geschah in letzter Zeit zu oft, dass er glaubte, jene zu sehen, die längst die Erde deckte. Er straffte die müden Schultern. »Ich werde Raimond de Turenne prüfen. Ich bin es dem Hause Anjou und meiner Provence schuldig, persönliche Gefühle außer Acht zu lassen.« Besiegt senkte die Königin den Kopf. Täuschte sie sich, oder lag plötzlich ein Schatten vor der Sonne dieses leuchtenden Maitages? Es war kein Zufall, dass an diesem Tage auch weit entfernt, am Hofe König Ludwigs XI., in Plessiz-les-Tours, das ungewisse Schicksal der Provence Hauptthema eines Gesprächs war. Der Kanzler sah von den Pergamentrollen auf, die den großen geschnitzten Tisch dicht an dicht bedeckten. Seine kratzende Feder, das einzige Geräusch in dem kleinen, aber behaglich eingerichteten Raume, hielt inne. Der junge Mann, der bisher versunken die kriegerischen Szenen auf einem der Wandteppiche anvisiert hatte, begegnete seinen Augen gelassen. Philippe de Commynes, Kanzler des Königs von Frankreich, gönnte sich eines seiner seltenen, sparsamen Lächeln. Kein Zweifel, sein Patensohn Nicolas de Paradou begegnete ihm mit Respekt, aber seiner Haltung fehlte jene kriecherische Unterwürfigkeit, die alle Besucher auszeichnete, die in diesem Kabinett mit dem mächtigsten Diener Ludwigs zu tun hatten. Der Kanzler fühlte sich als einziges Sprachrohr des zornigen, düsteren und machthungrigen Monarchen, der davon träumte, auch noch die letzten selbstständigen Herzogtümer des Landes in ein geeintes Frankreich zu führen. Ein mächtiges Königreich, das endlich allen Bedrohungen von außen gewachsen wäre. Commynes hatte es gelernt, in den Mienen seiner Mitmenschen zu lesen. »Nun, Nicolas, du kehrst also endlich in deinen geliebten Süden zurück.« Eine rein rhetorische Frage, die der Jüngere nur mit einem knappen Nicken beantwortete. »Wirst du die Tage an diesem Hof nicht vermissen? Ich hatte das Gefühl, dass dich weder die Unterhaltung noch die Aufmerksamkeit der schönen Damen langweilen?« »Erwartet Ihr jetzt eine ehrliche oder eine politische Antwort von mir, mein Pate?« Die dunkle, melodische Stimme bebte in verhaltenem Spott, und der Kanzler verzog anerkennend die Mundwinkel. Nicolas de Paradou war ein Edelmann nach seinem Herzen. Mit 26 Jahren zeichneten ihn nicht nur seine Selbstständigkeit und sein Mut aus, er verfügte auch über eine bestechende Intelligenz und eine – in Commynes’ Augen beklagenswerte – Neigung zur Unabhängigkeit. Der Ältere zögerte nicht, ihn in Gedanken einen störrischen Maulesel zu nennen. Er erinnerte sich nur ungern an seine fehlgeschlagenen Versuche, dieses Prachtexemplar zu verheiraten. Nicolas war jeder Falle geschickt ausgewichen. Er hatte sich vergnügt, ohne ein einziges Mal in die Klemme zu geraten. Während sein Pate die schönsten Damen des Hofes vor ihm paradieren ließ, überzeugte er indessen den unzugänglichen König davon, dass er wie kein anderer dazu geschaffen war, den neuesten französischen Gesandten an den provenzalischen Hof zu René von Anjou zu begleiten. Als Provenzale billigte der junge Mann die Politik des Königs nicht. Trotzdem sagte ihm seine Vernunft, dass die Ära der selbstständigen Fürsten und Kleinstaaten ihrem Ende entgegengehen musste. »Ich lasse dich ungern ziehen, Nicolas.« Endlich kam der Kanzler zur Sache. »Aber wie jedes Ding hat auch dein Entschluss, in die Heimat zurückzukehren, eine gute Seite. Froissart, den der König nach Tarascon schickt, ist klug, aber er spricht weder die Sprache des Südens, noch begreift er, was in euren allzu eigensinnigen Köpfen vorgeht. René, dieser alte Fuchs, wird ihn ausspielen, ehe er begreift, was passiert ist. Was ich brauche, das ist ein unbestechlicher Beobachter. Ein Mann, der keines anderen Partei ergreift, der mir aber klar und ohne Beschönigung sagt, was in der Provence geschieht.« Nicolas begriff das Angebot recht gut. »Ich bin zwar Euer Patensohn, aber ich bin kein Spion.« Commynes verbarg seinen Ärger. »Nein, das bist du natürlich nicht. Aber du hast die Regeln der Diplomatie von mir gelernt. Du gehörst nicht mehr zu jener engstirnigen Generation von Rittern, die Konflikte mit Schwert und Blutvergießen lösen möchten. Du weißt, dass deine Heimat in Gefahr ist. Charles du Maine, dem René seine Macht hinterlässt, ist nicht nur schwach, seine Krankheiten werden ihm auch kein langes Leben gönnen.« Nicolas lauschte. Er musste sich nicht lange fragen, warum sein Pate diese Nachhilfestunde über die allgemeine politische Lage abhielt. »Ich habe sichere Informationen darüber, dass der Adel René drängt, einen Erben zu adoptieren. Man will, dass er noch zu Lebzeiten den Vertrag bricht, den er mit König Ludwig von Frankreich geschlossen hat. Du weißt, dass nach du Maines Tod Anjou und die Provence an Ludwig fallen. Dabei muss es bleiben …« »Was macht Euch glauben, dass ich bei diesem Pakt hilfreich sein könnte, Pate? Denkt Ihr, dass mich die Aussicht auf eine abhängige Provence beglückt?« »Beglückt! Pah, sei nicht albern. Wer redet vom Glück, wenn es um schlichte Gebote der Vernunft geht. Willst du, dass sich Frankreich noch einmal in sinnlosen Erbstreitigkeiten zerfleischt? Es bedurfte eines hundertjährigen Krieges und des Todes der Jungfrau von Orleans in den Flammen eines Scheiterhaufens, um die Engländer aus unserem Land zu entfernen. Es ist noch nicht so lange her! Frankreich braucht den Frieden. Nur im Frieden können Wunden geheilt werden, kann die Macht sich festigen. Die Macht eines einzigen Königs, der den Ehrgeiz der Feudalherren in Grenzen hält. Geh nach Tarascon, Nicolas, ich bitte dich darum. Ich will Informationen, keinen Verrat, der dein Gewissen belasten könnte.« Das Schweigen dauerte, aber der Kanzler beging nicht den Fehler, Nicolas in seinen Überlegungen zu stören. Der junge Mann würde den Auftrag annehmen. Er war zu klug, um sich Illusionen zu machen. Er hatte lange genug am Hofe König Ludwigs gelebt, um zu wissen, dass in Plessiz-lesTours und in Paris die zukunftsweisenden Entscheidungen getroffen wurden. Auch hatte Philippe de Commynes keinerlei Bedenken, dass Nicolas am Hofe König Renés nicht willkommen wäre. Zwar war Giselle de Paradou, seine verwitwete Mutter, eine entfernte Verwandte des Kanzlers, aber Nicolas’ Vater war ein Waffenkamerad des Königs gewesen und an seiner Seite gefallen. Die Gräfin Paradou war eine enge Freundin von Renés zweiter Gattin und somit eine genaue Kennerin der Verhältnisse. Hinzu kam, dass schon allein Nicolas’ Erscheinung eine Bereicherung für jeden Hof darstellte. Die hochgewachsene Gestalt, die nachtschwarzen Haare, die dunklen feurigen Augen und die klassisch-edlen Gesichtszüge machten ihn zum Urbild jener Römer, die den Reichtum und die Macht der Provence begründet hatten. Endlich schlug Nicolas in die dargereichte Hand ein. »Ich werde tun, was Ihr verlangt, Pate.«

1. Kapitel

März 1480

Die bewundernd eindeutigen Blicke der Soldaten jagten eine flüchtige Röte in Isabelles Wangen. Sie versuchte, sich weder ihre Furcht noch ihre Empörung anmerken zu lassen. Nur die weißen Fingerknöchel, die bewiesen, dass sie den Henkel des kräutergefüllten Weidenkorbes mit aller Kraft umklammerten, hätten einem geübten Beobachter verraten, wie es um sie stand.

Den Männern von Königin Jeanne fehlte dieser Scharf blick. Sie führten einen Befehl aus, mehr nicht. Was sie aber nicht daran hinderte, die junge Zigeunerin mit den wallenden schwarzen Haaren und der goldenen Haut anzustarren, als stände sie ohne jedes Kleidungsstück vor ihnen. Nicht einmal das unförmige, sackartige Gewand, das ein schmaler Gürtel um die Hüften hielt, konnte verbergen, dass darunter eine biegsame, schlanke Gestalt steckte. Ein wohlgerundeter Busen wölbte das Oberteil, und die nicht sehr sauberen Füße waren zierlich und klein.

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