Die Tournee - Jörg Fauser - E-Book

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Jörg Fauser

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Beschreibung

Drei auf dem absteigenden Ast: SPD-Mitglied Harry Lipschitz, dem nicht nur das Herz zu schaffen macht. Der Münchner Galerist und gescheiterte Lebenskünstler Guido Franck. Und die alternde Schauspielerin Natascha Liebling, die mit einem Provinztheater durch die Lande tingelt. Verknüpft wird alles durch die rätselhaften Aktivitäten eines Charles Kuhn, der »sich benahm wie ein Ganove und sich ausdrückte wie ein Philosoph«, und der ehrgeizigen Journalistin Vicky Borchers-Bohne.

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Jörg Fauser

Die Tournee

Roman aus dem Nachlass

Herausgegeben von Jan Bürger und Rainer Weiss

Mit einem Nachwort von Detlef Bernd Blettenberg

Diogenes

Das ist schön bei uns Deutschen; keiner ist so verrückt dass er nicht noch einen Verrückteren fände, der ihn versteht.

Heinrich Heine, Harzreise

1. Fassung

14. April 1987 –

1. Teil

LIN, DIEANNÄHERUNG

Das Urteil

Die Annäherung hat erhabenes Gelingen.

Fördernd ist Beharrlichkeit.

Kommt der achte Monat, so gibt’s Unheil.

 

Das Bild

Oberhalb des Sees ist die Erde: das Bild der Annäherung.

So ist der Edle in seiner Absicht zu lehren unerschöpflich und im Ertragen und Schützen des Volkes ohne Grenzen.

 

I Ging, Das Buch der Wandlungen

1

In der Nacht, als Harry einen kurzen Gang zum Bierstübchen machte, war der Himmel noch ganz klar, die Luft ein Frühjahrsversprechen. Aber Freitagmittag hatte es schon sieben Stunden geregnet, und es sah ganz danach aus, als werde es weiterregnen, ein kalter preußischer Landregen, der auf das undichte Dach der Veranda prasselte, unter dem die Amseln im Nassen missmutig palaverten, und wie eine Wand vor den Beeten im Garten stand, hinter der die frischen Setzlinge ersoffen.

Regen oder nicht. Harry machte sich stadtfein. Grauer Kammgarnanzug mit Weste, marineblaues Baumwollhemd mit feinen weißen Streifen, sein Lieblingsbinder, taubengrau mit kräftigen roten Punkten, und dann band er die frisch gewienerten schwarzen Halbschuhe mit den breiten, aufgesetzten Kappen zu – 25 Jahre alt, aber Qualität kam eben nie aus der Mode – und schritt ins Badezimmer, um einen Rasierschnitt abzupudern, als Ellie aus der Küche kam, wo sie die Mittage am Radio, am Telefon und an der Kaffeemaschine verbrachte, mit dem Sittich in Reichweite, den Zeitungen und der Flasche Mampe Eierlikör.

»Was hast du denn vor, Harry?«

Er tupf‌te eine Spur Eau de Cologne auf die Stelle, fuhr sich noch mit dem Kamm durch die Haare. Mit knapp 57hatte er immer noch genug davon, und grau waren sie auch nicht alle.

»Zweiter Freitag im Monat«, sagte er zu ihrem Spiegelbild. Wenigstens könnte sie mittags die Lockenwickler weghaben, dachte er. Aber lass sie. Sie hat ihren Frieden verdient.

»Ja und, Männe?«

»Na komm, Ellie. Du weißt doch, Abteilungssitzung.«

Seit den Tagen, als er für das Ostbüro der Sozialdemokratischen Partei gearbeitet hatte, besaß Harry Lipschitz das Mitgliedsbuch der SPD, deren Ortsvereine in Berlin Abteilungen genannt werden. Es gab freilich auch eine andere Abteilung, für die Harry bis vor einigen Jahren Auf‌träge erledigt hatte; aber die hatte nie in öffentlichen Sitzungen getagt. Und weil Harry in jenen schon mythischen Tagen des Ostbüros seinen Hauptberuf in der Gegend der Potsdamer Straße ausgeübt hatte – auf der Potse, wo auch Ellie ihrem Gewerbe nachgegangen war –, war er stur Mitglied der 8. Abteilung der Schöneberger SPD geblieben, obwohl sie beide jetzt schon fünf Jahre in dem Häuschen in Buckow lebten, das Ellie geerbt hatte.

»Du warst doch schon über ein Jahr nicht mehr bei deinen Genossen«, sagte Ellie kopfschüttelnd. »Warum denn ausgerechnet heute?«

Harry hätte das Badezimmer liebend gern verlassen – er war 53 Jahre Junggeselle gewesen und würde sich nie an ein Badezimmer gewöhnen, das einer Frau gehörte –, aber da stand Ellie, die dicke Ellie von der Potse, bei der Gartenarbeit in Buckow aufgeblüht zu Rubensformen, und versperrte den Weg.

Er fingerte seine Gitanes aus der Westentasche und machte sich eine an.

»Wir müssen jetzt die Reihen schließen«, sagte er dann.

»Das hättet ihr man machen sollen, bevor sie euch die Hosen ausgezogen haben, mein Süßer.«

Politischen Diskussionen war Lipschitz – außer im engsten Kreis – immer aus dem Weg gegangen. Ein Mann tat, was er für richtig hielt, ob geschäftlich oder politisch, tat es im Stillen und ging seines Weges. Das war die alte SPD gewesen, so hatte sie getickt, jedenfalls da, wo Lipschitz seinen Beitrag geleistet hatte. Aber heute musste wohl alles ausgelaugt werden im Geschwätz, und dann noch mit Frauen wie Ellie, die nur über’s Gemüt funktionierten, was ja ihr Schatz war – aber doch nicht in der Politik! Er hatte Ellie ohnehin im Verdacht, die Alternativen zu wählen – die haben doch recht, wenn ich mir meinen Garten anseh, Harry! – oder die CDU – der Diepgen erinnert mich an einen Freier, der sehr spendabel war, Männe! –, obwohl er sich mit Schaudern an den Abend erinnerte, als hohe Genossen mit Tränen in den Augen vor die Kameras getreten waren: Sieh mal, Harry, bei euerm Verein wird jetzt auch Gefühl gezeigt! Und er wütend abdonnerte ins Bierstübchen, wo die ganze rechte Laubenpieperblase ihren Triumph begoss: Wehe den Besiegten.

»Außerdem muss ich auch mal wieder unter Leute«, sagte Harry und putzte seine Brille mit dem dicken Ende seines Binders. Dazu musste er die Zigarette im Mundwinkel behalten, und als er sie rausnahm, spürte er wieder dieses Ziehen in der Schulter, das ihn schon die ganze Woche beunruhigt hatte. »Den ganzen Winter hier in der Bude gehockt, ich fühl mich ja wie eine von deinen rostigen Harken.«

Sie sah, wie er sich die Schulter massierte. Ja, der arme Kerl muss mal raus, dachte sie. Logo. Wenn ich nur nicht immer diesen Kloß im Magen hätte, dass er wieder anfängt mit den alten Geschichten, dass ihn wieder einer ausnützt, nur weil er mal einen Tapetenwechsel braucht, dabei kennt er sich doch gar nicht mehr aus, weder auf dem Kiez noch bei der Abteilung, bei der, die nie in der Zeitung steht.

»Meine Harken sind nicht rostig«, sagte sie, schob sich an ihn heran und legte einen Arm um ihn, ein halber hätte gelangt, so dünn war er. »Und du pass auf, Männe, ich will dich gesund wiederhaben. Lass den Schnaps weg und fahr Droschke. Und rauch nicht so viel, Süßer, du weißt doch, was der Arzt gesagt hat.«

»Seit wann verstehen Ärzte was von Gesundheit? Und tu nicht so, als ob ich einen Job hätte. Ich geh eben zur Abteilungssitzung statt zum Kegeln.« Aber dass sie sich kümmerte, tat ihm doch gut. Dass sie sich kümmerte, war seine alte SPD gewesen, und jetzt, wo sie am Arsch war, hatte er sich zu kümmern. Er zog Ellie an sich, und obwohl sie schon Lippenstift aufgetragen hatte, gab er ihr einen Kuss.

 

»Sieht doch wieder ganz passabel aus, die Potse«, meinte der Taxifahrer, der zwar in Harrys Alter war, aber doch aus einer anderen Zeit stammte. Passabel, in der Tat; im Abschnitt vor der Bülowstraße präsentierte sich die Straße der Puffs und Kaschemmen, der Zockerbars und Nobelruinen jetzt als architektonischer Gelsenkirchener Neo-Barock, und zwischen Polsterzentralen und Supermarkt-Filialen klebten noch letzte Relikte aus der alten Zeit – Spelunken, Kebab-Läden, Spielcasinos – wie Schimmelflecken.

Und der Schimmel, dachte Harry, kommt doch immer durch.

In den Kutscherstuben blieb Harry erst mal in der Tür stehen, schüttelte den Regen aus seinem Trenchcoat und dem Pepitahut, den er seit Neuestem wieder trug, und machte Bestandsaufnahme. An der Wand vor der Tür, die zum Versammlungsraum führte, und dem Tresen ratterten Spielautomaten, die er nicht erinnerte. Ebenso wenig die Palme, die vorn am Tresen stand und fast bis zur Decke reichte, war das nun eine Geste an die Dritte Welt? Die Tische glänzten neu, imitiertes Teak, spießig, aber solide, und jedenfalls gab es noch keine Neonstrahler, keine Alternativnuttchen, die Cocktails servierten, keine Pornofilme und keine Kokainhändler, obwohl die Typen, die an den Automaten herumspielten und am Tresen hockten und würfelten, auch nicht gerade wie gestandene Mitglieder aussahen.

 

Von denen war nur Erwin da, der alte Erwin, mindestens siebzig musste er jetzt sein, einer vom alten Schlag, der noch illegal gearbeitet hatte und in der Emigration gewesen war. Erwin saß in seinem alten schwarzen Wintermantel allein in der Kneipe – die Streuner zählten nicht – vor einem Wodka und runzelte die Stirn über seinen buschigen weißen Brauen, als er Lipschitz sah.

»Was führt dich denn her, Harry?«

Lipschitz hängte Mantel und Hut an den Haken, setzte sich und bestellte bei der Bedienung – einer neuen, die ihn nicht kannte – ein Bier und zwei Wodka.

»Abteilungssitzung«, sagte er zu Erwin, »was sonst.«

Der Alte musterte ihn scharf. »Wie lange warst du nicht mehr hier?«

»Ich gehör doch nach Buckow«, verteidigte Harry sich, »aber zu den Kleingärtnern passe ich nicht.«

»Das kann ich mir vorstellen.«

Die Getränke kamen. Sie prosteten sich stumm zu. Lass den Schnaps weg, hörte Harry Ellie sagen und trank den Wodka ex. Nach einem halben Jahr der erste, das musste so sein. Er zündete sich eine Zigarette an. Erwin rauchte nicht. Kam von den Naturfreunden, erinnerte Harry, war Nichtraucher und Nacktschwimmer.

»Ich habe vor, jetzt wieder öfter vorbeizusehen«, sagte Harry. »Wir müssen aufpassen, dass der Laden weiterläuft.«

»Dann solltest du aber in Zukunft dienstags kommen«, sagte Erwin, »der Termin ist geändert. Dienstag, nicht Freitag. Hast du die Mitteilungen nicht bekommen?«

Harry schüttelte den Kopf. »Hab’s wohl übersehen.« Ihm war, als fiele er in ein Loch. Tagelang hatte er diesen Auf‌tritt geplant – da bin ich wieder, Genossen, auf mich könnt ihr zählen, wenn die Reihen geschlossen werden –, hatte sogar noch einmal in ein paar ollen Sachen geblättert, aus der großen Zeit, als er beim Ostbüro die Stalinisten bekämpf‌te: und dann falscher Termin, die ganze Aufregung umsonst. Er trank sein Bier, spürte sein Herz hämmern, manchmal fehlte ein Schlag, die Pumpe war auch aus dem Takt. Na komm, nu sind wir mal in der Stadt.

»Mach dir nichts draus«, sagte Erwin. »Da sind jetzt die Jungen, die machen das auch ohne uns. Pflanz du nur deine Apfelbäume, draußen in Buckow.«

Aber davon wollte Harry nun wirklich nichts wissen. »Die machen es ohne uns? Bauen aber mächtig Scheiße dabei, Erwin. So katastrophal haben wir noch nie dagestanden, seit ich dabei bin, und das ist schon lange her, weißt du. Ich komm ja aus dem Ostbüro. Da kämpf‌ten wir noch hart bandagiert.«

»Vergiss das Ostbüro, Harry.«

»Das passt wohl nicht in die neue Richtung, wie?«

»Und das seit zwanzig Jahren, Harry. Wenn die Partei so langsam wäre wie du, säßen wir noch immer mit 30 Prozent da.«

»Soweit ich sehe, sind wir wieder auf dem besten Weg dazu.«

»Wir müssen uns eben der neuen Zeit öffnen, Harry. Das kostet Nerven, aber selbst die Russen machen es. Russland wird sozialdemokratisch, und du kommst noch mit dem Ostbüro an!«

»Ich lebe an der Mauer, Erwin, ich sitze da jeden Tag und seh nach drüben, aber ich seh nicht, dass der Osten sozialdemokratisch wird.«

Sie hatten ihre Stimmen erhoben, saßen da und schrien sich fast an, und die Jungs an den Automaten starrten rüber. Mensch, die kloppen sich gleich!

»Haut mal nicht so auf den Putz, ihr beiden Opas«, mahnte die Bedienung.

»Ich dachte, das ist hier ein Parteilokal«, sagte Harry.

»Dienstagabend nebenan«, sagte die Bedienung.

»Wir nehmen noch zwei Wodka, Gudrun«, sagte Erwin und rieb sich die Hände. »Bei dem Regen müssen Opas Wodka trinken und sich über den Sozialismus streiten, damit die Durchblutung stimmt.«

»Aber nicht so laut«, sagte Gudrun, »ihr vergrault mir sonst meine Gäste.«

»Die könnten ruhig zuhören, statt sich das Hirn mit ihrer Musik wegzupusten.«

»Die haben wenigstens ihren Spaß«, sagte Gudrun zu Harry, »ihr mit eurer Politik, ihr seid doch wie zwei alte Köter, die sich um einen abgenagten Knochen streiten.«

Harry trank auch den nächsten Wodka ex. Abgenagter Knochen? Alter Köter? Jedenfalls war er keiner von den Alten, die sich an die Rockschöße der Jungen hängten, um sich vorzugaukeln, sie nähmen auch noch mal teil am lustigen Lenz.

»Als ich im Ostbüro gearbeitet habe …«

»Du müsstest sagen, Harry: als ich bespitzelt, gestohlen, unterschlagen, gefälscht und gekidnappt habe …«

»… als wir gegen den Kommunismus gekämpft haben …«

»… gegen Spitzel, Diebe, Fälscher, Kidnapper …«

»… wir durf‌ten nicht im Rampenlicht stehen, aber wir waren doch eine Art von Held …«

»… für die CIA, den BND, den Secret Service, meinst du? Spione sind keine Helden, Harry. Spione sind nützliche Idioten …«

»… die Partei hat uns damals nicht wie nützliche Idioten behandelt, als wir den Apparat in der Zone am Leben gehalten haben …«

»… im Kalten Krieg war die Partei damals selbst ein nützlicher Idiot …«

»… und später, als wir den freiheitlichen Rechtsstaat vor dem Terrorismus geschützt haben …«

»… ausgerechnet du, Harry, ein Dieb, ein Fälscher, ein Zuhälter, ein kleiner Maxe von der Potse …«

»… jedenfalls war die Partei damals kein nützlicher Idiot für grüne Maulwürfe …«

»… die Partei hat sich geändert, Harry, das ist der Lauf der Geschichte, und du bist stehengeblieben, du stehst immer noch auf dem Potsdamer Platz und lässt dein Pferdchen laufen, und die Dienste lassen dich laufen, und das nenne ich einen nützlichen Idioten, und wenn du nicht zu unbedeutend wärst, zu traurig, zu pathetisch, dann würde dich die Partei heute rausschmeißen …«

»… das träumst du wohl, Erwin, das ist dein Sozialismus, mir den Schauprozess machen, ihr feigen Opportunisten, ihr steht vor der Geschichte da als diejenigen, die die SPD kaputtgemacht haben, ausverkauft haben an das Pack, das diesen Staat kaputtmachen will …«

»Jetzt reicht es aber, Harry«, sagte Erwin.

»Du wirst dich noch wundern«, sagte Harry und bezahlte. »Ich hab im Ostbüro kämpfen gelernt.«

Er stand auf und ging. Gudrun machte die Discomusik lauter. Der Regen rauschte angenehm, drei Schritte, und man war alles los, bis auf die Stiche in der Brust, das Flimmern im Kopf, den man doch hoch tragen konnte.

 

Bei Diener hatte sich seit 30 Jahren nichts geändert, und Harry bekam sogar seinen Lieblingsplatz, links vom Eingang, an der Wand mit den Schauspielerfotos, sodass er den Tresen im Blick hatte und Lilo, die an ihrem Tisch saß und mit ihren Freundinnen klönte, alle um die siebzig jetzt, aber die gingen nicht mit der Zeit wie Erwin, sie waren die Zeit.

»Wie siehst du denn aus, Harry?«

Er zog an seiner Gitane und griente.

»Früher war ja schon nicht viel an dir dran, aber jetzt siehst du aus, als würdest du die Hauptrolle im Dünnen Mann spielen.«

»Aids wird er haben«, meinte Andi, der Kellner, dem seine langen Dienstjahre bei Diener das mürrische Gehabe eines Grabwärters eingepflanzt hatten, der unwillkommene Touristen mit Schauergeschichten erschreckt. Er knallte Harry einen Wodka und ein Bier hin und fügte hinzu: »Aber in deinem Alter spielt das ja keine Rolle mehr. Was zu essen, Harry?«

»Bring mir eine Fleischwurst«, sagte Harry, und dann lehnte er sich zurück und hörte mit einem Ohr auf Lilo, die erklärte, warum der FC Bayern diesmal den Europacup holen musste – Lilo und ihr FC Bayern, meine Güte, wenn sich alle so treu blieben, brauchte die Partei sich nicht den Kopf zu zerbrechen –, und dachte an Ellie. Fast sechs Jahre waren sie jetzt zusammen, seit er sie damals von der Potse weggeholt hatte, wo sie wie festgeklebt vor dem Bierhimmel auf ihre Stammkunden gewartet hatte, den pensionierten Stadtschulrat, den türkischen Gemüsehändler, den Brief‌träger, der so gut bauchreden konnte – solide Leutchen, sicher; zusammen waren sie fast 200 Jahre alt und brachten so viel Umsatz, dass Ellie gerade ihre Miete bezahlen konnte. Und inzwischen räumten die Bosse mit dem Babystrich und den SM-Profis ab und gingen ins Immobiliengeschäft, nachdem sie die alten Puffs noch mit Asylantenabsteigen kaputtgemacht hatten. Also hatte Harry Ellie von der Straße geholt – er kannte sie ja noch von Urzeiten her, vom Stutti, beim 6-Tage-Rennen im Sportpalast hatten sie sich zum ersten Mal geknutscht, und dann hatten sie sich 20 Jahre aus den Augen verloren – und mit ihr das Bierstübchen in Buckow aufgemacht von der Abfindung, die er aus der Abteilung rausgepresst hatte, aber die Kneipe war ihm auch noch zu viel gewesen, das ständige Gequatsche konnte Harry nicht mehr ab. Und so hatte er die letzten zwei, drei Jahre einfach dagesessen, ein bisschen im Garten geharkt, den Vögeln zugehört, an der Mauer gesessen und ins Zwielicht gestarrt.

Das alte Leben holte einen doch unbarmherzig ein.

Magengeschwüre.

Ellies Eltern, drüben am Prenzlauer Berg, beide in einem Jahr.

Ellies Unterleibsoperation, drei Monate lag sie am Tropf.

Und dann kam auch noch die Abteilung, frech wie Oskar, so ein Jungscher, ein Rotzlöffel: Kleines Zubrot, Harry, das alte Netz, einmal noch, echt easy, rein und raus – und geendet hatte es damit, dass sie ihn drei Tage lang in der Normannenstraße grillten. Aber Harry war so oft gegrillt worden, er sprang doch vom Rost.

Er spürte das Ziehen in der Schulter, jetzt lief es durch den linken Arm, und ein Riese drückte auf seine Brust. Luft. Ganz ruhig, Harry. Rein und raus damit. Reicht noch lange für dich. Echt easy.

Andi knallte die Fleischwurst auf den Tisch, verstand Harrys Blick falsch, sagte: »Na, da staunste? Hättste auch gern so einen, was?«

»Nimm’s wieder mit«, sagte Harry.

»Was ist denn mit dir los?«

»Bring mir noch einen Wodka.«

»Nimm’s weg«, sagte Lilo, die einen geübten Blick hatte, zu Andi, und der räumte die Fleischwurst ab und brachte einen Wodka.

»Setz dich zu uns«, befahl Lilo, und Harry nahm sein Bier und seinen Wodka und rückte an das Damenkränzchen und hörte zu, wie Lilo von ihrem Lieblingsclub schwärmte, und dann hörte er nur noch ein Summen, ein merkwürdiges Summen im Ohr, wie von einer Hummel, ein dunkler vibrierender Ton, aus dem sich, je länger er zuhörte, eine Melodie ergab, und zu der Melodie Wörter, ein Song, Harry hörte einen Chor, einen Chor im Ohr:

Wenn wir schreiten Seit an Seit

Und die alten Lieder klingen …

Harry hatte nie gesungen. War nie einer von denen gewesen, die mitmachten. Immer unauf‌fällig im Hintergrund, Harry, grau in grau. Brachte ja auch dieses Leben mit sich, was hatte man nicht alles mitmachen müssen, um nicht unterzugehen, man war ja nichts gewesen, eine Kriegswaise in einer kaputten Welt, da hieß es, mitschwimmen oder untergehn. Aber auch später, im Ostbüro und auf dem Kiez, nie war Harry einer von denen gewesen, die die Klappe aufrissen, den Ton angaben, die Richtung bestimmten. Ein Einzelgänger. Schön für sich. Und doch angewiesen auf den Mutterschutz der Menge. Und auf das Wort, das den Weg beschrieb.

Und die alten Wälder widerklingen …

»Bist wohl auch ein Fan von ihr, Harry«, sagte Lilo mit scharfer Stimme, als habe sie es schon dreimal gesagt. Ihre Damen hoben die geblondeten Köpfchen und starrten dahin, wo Harrys Blick hing: das Foto einer Schauspielerin, mit Autogramm, mitten unter der Galerie von Toten und Vergessenen und solchen, die noch hofften.

»Das ist doch die Liebling«, sagte eine der Damen abfällig. »Hab gehört, die soll scheußlich baden gegangen sein.«

»Die Natascha ist eine ganz Große«, sagte Lilo, die keine Kritik an ihrer Welt duldete, »bloß, sie hat keine Disziplin. Schrecklich, ein Talent so wegzuschmeißen. Aber jetzt dreht sie in München. Ein ganz großer Film.«

»Nicht was beim Fernsehen?«

»Die großen Filme sind heute alle Fernsehen, Lotte.«

Harry, der gar nicht gemerkt hatte, wo er hinstarrte, sah sich das Foto pflichtbewusst an – eine dunkelblond gelockte Naive mit einer kessen Nase, na gut – und trank seinen Wodka. Film und Fernsehen war nicht seine Welt, er las lieber und ging gern zum Boxen, und da war es wie mit der alten SPD: Es gab keine guten Bücher mehr, und es gab keine guten Boxer in Deutschland. Sie müssen erst wieder richtig Kohldampf schieben, dachte er, dann gibt es wieder gute Bücher und gute Boxer, und dann geht es auch der Partei wieder besser – und er hörte den Chor:

Wissen wir, es muss gelingen

Mit uns zieht die neue Zeit …

Aber je länger er dem Chor zuhörte, desto benommener wurde Harry. Irgendetwas wollte raus aus ihm. Er rang nach Luft.

»Ist dir nicht gut, Harry?«

»Willst du einen Kaffee, Harry?«

»Bring ihm mal einen Cognac, Andi!«

»Hättest eben was essen sollen, Harry!«

»Und dann die vielen Glimmstengel.«

»Sieht aus, als kippt er gleich um.«

»Mach lieber mal an die frische Luft, Harry.«

»Kommt nach einem Jahr wieder und fällt um, typisch Harry.«

Aber Harry Lipschitz fiel nicht um, den Gefallen tat er ihnen nicht. Zigarette im Mundwinkel, Hut schief auf dem Kopf, blickte er sich an der Tür noch mal um.

»Ruft mich an, wenn ihr renoviert habt«, sagte er und winkte einer Taxe.

 

Als er am Stuttgarter Platz ankam, hatte es aufgehört zu regnen. Es war noch hell, ein sanftes, sauberes Licht, als ob es zum Streicheln wäre. Der feuchte Asphalt roch nach der See, der Wind, der über das S-Bahn-Gleis kam, nach Frauen. Die schäbigen Fassaden am alten Kiez prangten im Neonflackern der Bumslokale wie die geschminkten Wangen alter Huren. Auch sie hielten den Kopf noch hoch.

Harry irrte wie durch Watte. Ein bohrender Schmerz grub sich durch seinen Magen. Atemlos tappte er in die nächste Kneipe. Über dem Tresen und der Reihe verstaubter Likörflaschen vergilbten alte Plakate von der Côte d’Azur: Ferien in Monte. Es roch nach hundertjährigem Bier, Rauch und ranzigem Schweiß. Wie durch Spinnweben sah Harry den langen Tisch im Hinterzimmer, den gelben Lichtkegel über dem grünen Filz, die Karten und die Einsätze. Obwohl das Radio irgendeine Schnulze dudelte, herrschte Grabesstille. Der Hüne hinterm Tresen wandte Harry ein eingefallenes, zerkerbtes Gesicht mit einem grauen Seehundbart zu.

»Harry, was treibt dich denn her?«

Harry fand einen Hocker, zog sich hoch.

»Besichtigung«, stieß er hervor, nachdem er saß.

»Das machen doch nur Westler. Trinkst du was?«

»Wodka. Reise in die Vergangenheit, Hermann.«

»Was gibt’s da zu sehen?«

»Mach dir auch einen. Mich selbst gibt’s zu sehen.«

Hermann stellte ihm einen Wodka hin, brühte sich einen Tee auf. »Ich trink nicht mehr, Harry. Und was siehste, wenn du dich siehst?«

Harry leerte das Glas in einem Zug. Wodka hatte ihm nie was getan. Zigaretten auch nicht. Er rauchte eine an. Der Schmerz wich zurück. Einer, der gern tänzelt. Man musste nur zurückschlagen, das war das ganze Geheimnis. Nur nicht in die Seile drängen lassen. Beinarbeit. Luftarbeit.

»Ich kann mich jedenfalls ansehn, Hermann«, sagte er in einer etwas schrillen Tonlage, »ohne kotzen zu müssen. Kennst du noch jemand, der das von sich behaupten kann?«

»Du warst eben schon immer etwas Besonderes«, sagte der Hüne voll schwerer Ironie.

»Ihr habt mich nie für voll genommen«, sagte Harry, noch etwas schriller. »Ihr habt immer gesagt: der arme Harry. Tipp ihn an, und er fällt um.«

»Hat nie einer gesagt, Harry.«

»Klar habt ihr. Alle. Und weißt du was? Ich steh heute noch im Telefonbuch. Unter Klarnamen. Harry Lipschitz, Buckow. Kennst du viele, die heute noch im Telefonbuch stehen, Hermann?«

»Du hast dich prima gehalten«, gab Hermann zu.

»Und weißt du, warum ich mich gehalten hab? Weil ich unbeirrt auf Kurs geblieben bin.«

Der Hüne versuchte zu lachen. Viel Übung hatte er nicht. »Manchmal hast du auch ein bisschen geschummelt«, sagte er und gab Harry noch einen Wodka. Der Wodka war zimmerwarm und schmeckte wie eingelegte Schuhe, aber Harry stürzte ihn herunter, als wäre er am Verdursten.

»Wo hab ich geschummelt? Ich hab nie faule Sachen gemacht.« Harrys Stimme griff immer höher. »Hab ich je einen reingelegt? Hab ich je mehr verlangt als meinen Anteil? Hab ich je gesungen, Hermann? Hab ich kleine Kinder auf Rauschgift gebracht?«

»Lass gut sein, Harry.«

»Hab ich je die Partei verraten?«

»Dass du Kommunist warst, wissen wir doch alle.«

»Ich und Kommunist? Bist du verrückt?«

»Ein kleiner Mitläufer, na und? Hat doch niemand ernst genommen. Und jetzt trink aus, hier wird gezockt und nicht gesoffen. Besichtige deine Vergangenheit lieber bei den Mädels nebenan, da haben die auch noch was davon.«

»Mitläufer?«

Das hätte er nicht sagen sollen, dachte Harry und rutschte langsam vom Hocker, das Wodkaglas noch in der Hand. Der Rest Schnaps kippte aus und auf die feine Hose. Flecken überall. Er fiel durch Flecken, durch Reste, durch Nebelfetzen, durch die Geschichte, er rutschte an den Seilen runter, er ging zu Boden. Der Schmerz riss ihn an sich, presste ihm die Luft weg. Der Schmerz war alles, was er jetzt noch haben konnte, und er bekam ihn.

Hermann telefonierte. Einen andern hätte er einfach auf die Straße geschleppt, neben die Mülltonnen, damit er da krepierte, aber Harry Lipschitz hatte doch den Notruf verdient. Hatte ja selbst den Notruf gemacht, plötzlich hier reinzuschneien nach so viel Jahren. Wollte wohl im Kiez abgehen. Herrgott, waren die Jungs sentimental. Hermann spürte selbst Druck hinter den Augen.

»Jetzt weiß ich auch, warum er so schnell gesoffen hat«, sagte er zu den Zockern. »Er hat gewusst, dass er nie mehr was kriegt.«

2

Die Galerie lag im Münchner Gärtnerplatzviertel zwischen einem Müsliladen und einer Lederbar. Der griechische Krämer an der Ecke verkauf‌te schon frische Feigen, und neben dem Szene-Café offerierte ein Surabaya-Stüberl Tropencocktails und Krabben in Chili-Sauce. Bautrupps, Motorradcliquen, Handelsvertreter für Körnerdiäten und Forschungsreisende in Sachen Safer Sex; alte Männer richteten sich in der ersten halbwegs warmen Frühjahrssonne auf den Bänken ein, starrten den Mädchen nach, die schon Bein zeigten, und sahen zu, wie die Bierfässer ausgewechselt wurden. Der italienische Möbelhändler brachte an seinen garantiert echten Renaissancestühlen neue Preisschilder an, die Bardame im Surabaya-Stüberl telefonierte seit einer Stunde mit ihrem Steuerberater, und auch in der Galerie Sylvia Franck – ein großer Raum im Erdgeschoß, rosa Wände, ein Sammelsurium von Möbeln, Bildern, Mappen, Blumenvasen, Bücherkisten, Bauerntruhen, eine Unordnung wie bei einem Umzug – sah man den Fakten des Geschäftslebens ins Auge.

»Ausweislich der Bücher ist überhaupt nicht zu erkennen, wie die Galerie so lange überlebt hat«, sagte der Mann im Besuchersessel vor dem Schreibtisch in der Ecke neben der Tür, die in die Wohnung führte. Felix Esterhazy war klein, dick, hatte dichte schwarze Haare und einen grau melierten Bart, melancholische Augen, einen spöttischen Mund. Trotz des warmen Wetters trug er einen Kaninchenfellmantel über seinem Anzug und eine gestreif‌te Krawatte zum weißen Hemd. Dicke, beringte Finger streichelten eine Elfenbeinfigur.

»Aber das dürf‌te wohl Sylvias Geheimnis bleiben, mein lieber Guido.«

Guido Franck kippte seinen Stuhl – eine Leihgabe des Möbelhändlers – an die Wand und schwang seine Füße auf den Tisch. Für seine hagere Figur war er etwas groß geraten. Er hatte einen ausgeprägten Eierkopf mit schütterem, sandfarbenem Haar, tief‌liegende, nervöse Augen, ein schwaches Kinn und trug einen Schnurrbart, der im Licht rötlich schimmerte. Er rauchte Zigaretten Kette, und seine Nase war aufgedunsen und mit geplatzten Adern übersät. Seine Kleidung sah immer noch teuer, aber ungepflegt aus; auf dem Kragen des Tweed-Sakkos ein Ring von Schuppen.

»Aber die Galerie hat überlebt«, sagte er mit einer rauen, etwas hohen Stimme, »trotz Sylvia – und ich habe nicht vor, sie jetzt zuzumachen.«

»Dann würde ich dir raten, erst mal Inventur zu machen.«

»Ich bin gerade dabei, wie du siehst.«

»Und was ist der Plunder wert?«

Franck zündete sich eine Reval ohne Filter an, hustete und kratzte sich am Ohr. Seine Hände waren ständig in Bewegung.

»Wenn ich ihn auf dem Trödel verhökere, kann ich froh sein, wenn ich zwei Mille kriege. Wenn ich Liebhaber finde, das Zehnfache, vielleicht Zwanzigfache. Sylvia hat einen ziemlich eklektischen Geschmack.«

»Wenn du mich fragst, habt ihr beide nicht die Bohne künstlerischen Geschmack«, sagte Esterhazy und stellte die Elfenbeinfigur auf den Tisch. »Diesen Schrott, mein Lieber, kriegst du in Afrika an der Tankstelle, wenn sie kein Wechselgeld haben, wie in Italien Kaugummi.«

»Bei mir kostet er 250 Mark.«

»Und wie viel verkaufst du davon? Eine Figur in der Woche? Im Monat? Im Jahr?«

»Die laufen doch nur nebenbei mit, Felix. Ich hab keinen Trödelmarkt, sondern eine Kunstgalerie.«

»Die Galerie Sylvia Franck, ich weiß. Im Verzeichnis der Münchner Kunstgalerien seid ihr freilich nicht mehr zu finden. Kunstpolitische Differenzen, Guido, oder habt ihr die Mitgliedsbeiträge nicht bezahlt?«

»Da musst du schon Sylvia fragen. Sie hat sich um die Vereinsmeierei gekümmert.«

Esterhazy nahm eine Havanna aus einem Etui, zog sie aus der Zellophanhülle, die er demonstrativ auf den Boden fallen ließ, leckte sorgfältig das Deckblatt ab und steckte sie mit genießerischen Zügen in Brand.

»Wie sagte Kipling so richtig? A woman is a woman, but a good cigar is a smoke.« Er ließ den Rauch zur Decke ziehen und sagte dann: »Mir ist schleierhaft, wie du diesen Laden halten willst, Guido. Als dein geschäftlicher Berater muss ich dir sagen, wenn du nicht eine neue Kapitalquelle auf‌tust, liquidier, was zu liquidieren ist, stoß das Gerümpel ab, das Sylvia dir gnädigerweise dagelassen hat, und mach was Neues auf.«

»Und was soll das sein?«

»Ja mei, verkauf halt Surfbretter oder französischen Landwein. Jemand anderm tät ich ja sogar zu einem Restaurant raten, aber davon gibt’s schon zu viel in dieser Gegend, und die Arbeit ist mörderisch. Am besten wäre für dich vielleicht eine Tabaktraf‌ik – Zigaretten, Zeitungen, Schulhefte, an Silvester ein paar Kracher und zu Fasching Pappnasen. Du hättest ein kleines, sicheres Einkommen und genug Zeit zum Schreiben deiner Artikel.«

Franck kippte den Stuhl nach vorn, stand auf und ging mit langen Schritten auf und ab.

»Ich habe nicht vor, den Laden aufzulösen«, sagte er. »Ich hasse es, zu kapitulieren. Zufälligerweise habe ich nämlich im kleinen Finger mehr Kunstverstand als Sylvia, wenn sie hundert Hände hätte. Ich brauch nur eine Ausstellung, die richtig fetzt, und ich hab den Maler dafür, ein Genie, sag ich dir, reif für den großen Durchbruch. Du wirst sehen, die werden mir noch aus den Fingern fressen, die großen Galerien, der Kunstverein …«

»Nachdem du sie in deiner Kolumne alle beleidigt hast?«

»Das zählt doch nicht, Felix. Was zählt, ist der Erfolg. Und den krieg ich. Weil ich ihn nämlich will. Weil er mir zusteht. Weil ich heiß darauf bin. Alles, was mir fehlt, ist ein bisschen Kapital, um weiterzumachen.«

»Und wie viel wäre das?«

»Ich muss sechs Monate flüssig bleiben.«

»Also dreißig Riesen, mit allem Drum und Dran.«

»Und noch mal zehn für die erste Ausstellung. Da darf an nichts gespart werden, und hast du eine Ahnung, was allein ein guter Katalog zum Drucken kostet?«

»Ich kann’s mir vorstellen. Dein Overhead könntest du schon ein bissl senken.«

»Bitte was?«

»Deine fixen Kosten, Guido.«

»Ich kann nicht anfangen, meine Zigaretten selbst zu drehen.«

»Wer redet denn von Zigaretten? Die Weiber gehn ins Geld.«

»Ich hab keine Weiber.«

Esterhazy erhob sich. »Wie du meinst, Guido. Aber wo willst du 40000 Mark hernehmen? Ich glaube nicht, dass dir die Bank einen so hohen Kredit einräumt. Und bis du diesen Plunder an Liebhaber verkauft hast, hat dein Malergenie eine andre Galerie gefunden. Du bist nun mal nicht Kahnweiler, mein Lieber.«

Das Telefon klingelte. Franck schnappte sich den Hörer.

»Galerie Franck.«

»Spreche ich mit dem Inhaber?«

Eine Männerstimme. Ausländischer Akzent. Ziemlich nah. Stadtgespräch.

»Ja, worum geht es?«

»Ich hätte gern bei Ihnen vorbeigeschaut.«

»Dienstag bis Freitag, 16 bis 18 Uhr.«

»Heute ist Montag.«

»Das gilt natürlich nur für Publikumsverkehr.«