Marlon Brando - Jörg Fauser - E-Book

Marlon Brando E-Book

Jörg Fauser

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Beschreibung

»Ich habe in Brando immer einen Rebellen gesehen – eine sicher naive Betrachtungsweise; was ist schon ein Rebell? In einer Welt, in der es von Revolutionären nur so wimmelt, ist der Rebell der Mann von gestern, der Konservative. Mag sein. Bei so vielen Menschen von heute wirkt auch die Erde wie von gestern, und wie Brando halte ich es im Zweifelsfall mit der Erde.« Fauser und Brando – zwei Zerrissene, die nicht nur das Immer-wieder-Aufstehen vereint.

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Seitenzahl: 368

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Jörg Fauser

Marlon Brando

Der versilberte Rebell. Eine Biographie

Mit einem Nachwort von Franz Dobler und einem Text von Brigitte Kronauer

Diogenes

Den Frauen des Südens

In dieser angenehm temperierten, nicht zu heißen und nicht zu kalten Luft, unter dem ewig blauen kalifornischen Himmel, mit seiner bei Tag immerzu freundlich strahlenden Sonne und den nachts vorschriftsgemäß vom Himmel leuchtenden goldenen Sternlein, fahren Tag für Tag gut angezogene, sauber rasierte Herren und prächtig gekleidete, juwelengeschmückte und geschminkte Damen in strahlenden Automobilen der kostbarsten Marken nach den Studios der Filmgesellschaften.

Dort lassen sich unsere vergötterten Lieblinge, die Sterne der Flimmerleinwand, der bewegten und sprechenden, herab, unter Beihilfe vieler Tausender namenloser, halbverhungerter und trotzdem vom Filmteufel besessener Statisten, jene Meisterwerke der Filmkunst hervorzubringen, in denen wir alles vorfinden, was Hollywood, wie es wirklich ist, an Geist, Gemüt und Schönheit besitzt, und denen wir deshalb verdientermaßen unsere verzückte Bewunderung schenken.

Dr. Erwin DehriesDehries, Dr. Erwin in Hollywood wie es wirklich ist (1930)

Der Schatten

Between the Idea and the Reality …

Falls the Shadow.

T.S.EliotEliot, T.S.

Ein schöner Satz: Aber was ist der Schatten, der zwischen Idee (oder Bild) und die Wirklichkeit fällt, die Realität? Es ist ein Schatten, der die Höhen streift, aber fällt er nicht auch in U-Bahn-Schächte? Liegen in diesem Schatten die Liebenden und die Verlorenen, aber treten aus ihm nicht auch die Rebellen? Denn der Schatten ist der Zweifel, er liebkost die Kunst.

Die Kunst! Alle Kunst ist tragisch, sagte Dr. BennBenn, Gottfried, aber umsonst soll sie auch nicht sein, gewusst wie … die versilberte Rebellion. Nun gibt es eine Kunst, die von keinem Schatten getrübt ist und von keiner Tragik, es ist die Kunst der Konjunkturen und der Kulturverwertungsgesellschaften, von ihr kann nicht die Rede sein, wo von Rebellion die Rede ist und vom Elementaren.

In Istanbul machte ich vor Jahren die Bekanntschaft eines alten Opiumhändlers, er hieß wohl Hussein. Ein ausgemergelter, sterbenskranker, lebenszäher Krüppel, ein seltsamer Mann, ein würdiger Greis, ein Opiumschatten. Einmal zeigte er mir seine Schatzkiste, und welchen irdischen Besitz hatte er in sechzig, siebzig Jahren in den Slums von Istanbul akkumuliert? In dem rissigen Lederkoffer befanden sich, neben Sanitätszeug aus deutschen Weltkrieg-Eins- und Wehrmachtsbeständen, neben einer alten Thermosflasche, einem Satz Tarotkarten und etlichen Gebetsketten aus echtem Bernstein, neben einem französischen Frackhemd und einem Pfund steinhartem Opium, ein nach Rosenöl duftender arabischer Koran und ein abgegriffenes Taschenbuch: John SteinbecksSteinbeck, JohnJenseits von Eden in türkischer Übersetzung mit einem gelben Umschlag, auf dem ein sehr türkisch wirkender James DeanDean, James prangte, und dieses Buch war Husseins eigentlicher Schatz, er las fast jeden Tag darin und konnte ganze Partien, wie andere vom Koran, auswendig hersagen – es war sein Traum, es war die Kunst.

Schatten sind überall. Dies Buch ist ein Buch über den Schatten; wenn es was taugen wird, ist es ein Buch über den Schatten zwischen Idee und Realität. Es ist ein Buch für Hussein, für alle Husseins zwischen Üsküdar und Iserlohn, es ist ein Buch für alle, die im Schatten leben. Marlon Brando, dessen Biographie ihm seinen Rahmen steckt, ist ein Mann, der den Schatten immer gespürt hat, der immer gewusst hat, man kann sich die Rebellion versilbern lassen, den Schatten nicht. Und der Schatten versilbert auch nicht.

Es ist ein Buch für Kinogänger, die keine Idole mehr brauchen, sondern einen Hauch von Leidenschaft, von Tapferkeit und Größe. Und manchmal auch den Glanz von Silber. Sicher: »’n bisschen Tabak und ’ne Tasse Kaffee, was braucht der Mann mehr?«, sagt Johnny Guitar; wohlan. Aber vielleicht auch hin und wieder, wenn die Nächte länger werden, einen Schnaps mit dem Kaffee, und etwas Silber in die Nächte.

Marlon Brando, die Legende vom versilberten Rebellen. Ein Poesiealbum aus dem 20. Jahrhundert.

Von Bangkok nach Libertyville

Ach, du Mann im Spiegel!

Lügner, Narr, Träumer, Schauspieler,

Soldat, armer staubiger Schlucker …

CarlSandburgSandburg, Carl

Kein Film ohne Reklame, keine Reklame ohne Legende, ohne Legende kein Star. Wenn schon die heilige Johanna auf Agenten und Ghostwriter nicht verzichten konnte, wie sollten da die Idole des 20. Jahrhunderts allein zurechtkommen, die kein Reich und keine Vision und keine irdisch/himmlischen Heerscharen zu vertreten haben, sondern Massenträume, Massenmythen, Massenbilder. Oder, wie Marlon Brando zu sagen pflegte: »Zuckerberge«.

Den phantasielosen Dummis, aber auch den allzu Irrationalen, die ihrer Biographie sprachlos ausgeliefert waren, stellte Hollywood in den goldenen Jahren, als die Stars geboren wurden, ganze Schreibbüros zur Seite, deren Aufgabe darin bestand, ihren Schutzbefohlenen eine publikumswirksame Legende zu erdichten – sozusagen das himmlische Drehbuch aufzumöbeln. Marlon Brando unterschied sich von den in Hollywood gezüchteten (und zertretenen) Stars auch darin, dass er diese Art von Publicitydichtung schon als Anfänger selbst beherrschte. Seine Vita auf einem Theaterzettel aus dem Jahr 1946 liest sich wie eine perfekte Parodie auf die Materialsammlung eines Presseagenten: Als Sohn eines heute am Field Museum in Chicago wirkenden Linguisten in Bangkok, Siam, geboren, verbrachte Mr. Brando seine Kindheit in Kalkutta, Indochina, der Wüste Gobi und Ceylon. Seine formale Erziehung begann in der Schweiz und endete in Minnesota, wo die strenge Disziplin einer Militärschule seiner persönlichen Entfaltung im Wege stand. Nach einer Periode, in der er sich vorübergehend als genialischer Schlagzeuger sah, kam Mr. Brando nach New York, um die Schauspielkunst zu erlernen.1

In Wirklichkeit wurde Marlon Brando am 3. April 1924 in Omaha im Bundesstaat Nebraska/USA geboren. Nebraska ist tiefer Mittelwesten, Herzland jener Region, die als Middle America für Konservatismus, Patriotismus und Kleinstadtmentalitat steht, sich aber vor allem dadurch ausgezeichnet hat, dass sie die Geburtsorte so eminent individualistischer Talente wie Ernest HemingwayHemingway, Ernest (Schriftsteller), Abraham LincolnLincoln, Abraham (Politiker), Carl SandburgSandburg, Carl (Dichter), Spencer TracyTracy, Spencer (Schauspieler), James ThurberThurber, James (Schriftsteller), F. Scott FitzgeraldFitzgerald, F. Scott (Schriftsteller), Clark GableGable, Clark (Schauspieler), William S. BurroughsBurroughs, William S. (Schriftsteller), Montgomery CliftClift, Montgomery (Schauspieler), John DillingerDillinger, John (Gangster), Adlai StevensonStevenson, Adlai (Politiker), James DeanDean, James (Schauspieler) und Robert Zimmermann alias Bob DylanDylan, Bob (Vortragskünstler und Lyriker) abgegeben hat. Konservativ gewiss, diese Gegend, aber eben auch Heimstatt jenes unverwechselbar amerikanischen Individualismus, der die populäre Volkskultur dieses Landes hervorgebracht und ihr nicht nur im Schriftsteller oder im Schauspieler, sondern z.B. auch in der Figur des Gangsters Ausdruck verliehen hat.

Brandos Eltern: ein fast schon klassisches Paar. Marlon senior (der einzige Sohn erhält selbstverständlich den Namen des Vaters), irisch-französisch-schottischer Herkunft, ein Hüne mit den zeremoniösen, gelegentlich auffrisierten Umgangsformen des stockprotestantischen Handlungsreisenden, er reiste in Kalkprodukten und Viehfutter, ein Trumm von Mann, ein Popanz. Die Mutter, Dorothy PennebakerPennebaker, Dorothy (Dodie, Mutter), genannt Dodie, genaues Gegenteil, aber nicht unbedingt die ideale Ergänzung dazu: Sie war eine hübsche, poetische Frau mit blondem Haar und einer Reputation für ihre »liberalen Auffassungen und fortschrittlichen Ideen«. Sie war von Natur aus den Künsten ergeben: Sie schrieb, malte, bildhauerte und spielte Theater, wobei Letzterem ihre besondere Leidenschaft galt. Sie war eine der Säulen des außerordentlich respektierten Omaha Community Playhouse, einer halbprofessionellen Theatergruppe, die für viele wichtige Schauspieler, darunter HenryFonda, HenryFonda, Ausgangspunkt einer glanzvollen Karriere war. 1927 spielte Mrs. Brando mit Fonda, einem ihrer Protegés, in einer Playhouse-Aufführung von Eugene O’NeillsO’Neills, Eugene Beyond the Horizon.2

Für die Kinder – Marlon, der »Bud« genannt wurde, weil ja Papa seinen Vornamen besetzt hatte, und seine zwei älteren Schwestern JocelynBrando, Jocelyn (Schwester) und FrancisBrando, Francis (Schwester) – war diese Ehekonstellation kein Zuckerschlecken. Der Erziehungsbeitrag des Produkte-Vertreters, der, wie Brando sich später zu erinnern glaubte, »ziemlich oft mit Lippenstift auf dem Hemdkragen heimkam«, scheint sich auf Disziplinarmaßnahmen beschränkt zu haben, die wie meist in solchen Fällen nur die sauren Früchte der Entfremdung trugen. Natürlich hielt die Mutter auf »progressive« und »freie« Erziehung, natürlich witterte der Vater dahinter die Blumen des Bösen. Maurice ZolotovZolotov, Maurice, ein früher Brando-Biograph, schreibt: »Mrs. Brando machte es Marlon fast unmöglich, in seiner Rolle als Mann Sicherheit zu erlangen. Sein ganzes Leben schwankte er zwischen den Polen seiner Eltern und hatte es schwer, zu seiner eigenen Persönlichkeit zu finden.« Dazu kam, dass die Familie oft auf Achse war: 1930 Umzug nach Evanston/Illinois (wo Marlon sich mit dem späteren Komödianten Wally CoxCox, Wally anfreundete), dann nach Santa Ana in Kalifornien und schließlich 1936 nach Libertyville, nomen est omen, 60 Kilometer nordwestlich von Chicago am Michigan-See gelegen.

Libertyville, 2000 Einwohner, ist nun wirklich tiefe Provinz, Hicksville in Reinkultur. Farmland, Apfelbäume, Krämers Welt, Spießers Traum. Die Familie galt als wohlhabend und bezog ein weiträumiges Haus mit reichlich Land drum herum, das Marlon seniorBrando, Marlon (Vater), der als »Gentleman Farmer« Respekt genoss, mit allerlei Viehzeug belebte, 28 Katzen und auch einer Kuh, die, wie könnte es anders sein, von niemand sich melken lässt als von »Bud«. Also reinste Idylle am See, und das noch mitten in den schweren sozialen Erschütterungen der ausklingenden Wirtschaftskrise.

Erschütterungen aber auch im Hause Brando. Denn für beide Eltern ist das Idyll der Rückzug: Aufstecken weiterreichender Ambitionen, Abschotten der Träume, die leider nicht weit trugen, Dichtmachen des Horizontes, der die Sterne nie nähergebracht, mittels Verhüllung der Butzenscheiben: Buds Vater war abweisender geworden. Er hatte zwar gut verdient, aber doch nicht den Erfolg gehabt, den man dem gutaussehenden jungen Vertreter vorhergesagt hatte. Er war immer länger von zu Hause fort und, wenn er zurückkam, wegen Buds schlechten Noten und Schülerstreichen immer gereizter. Bud schien auch die Nähe seiner Mutter zu verlieren. Sie wurde ihm fremd. Wie ihr Mann kam sie in ihre mittleren Lebensjahre, ohne dass die Verheißungen der Freunde in Omaha in Erfüllung gingen … Sie trat noch in einigen Aufführungen der Theater-Gruppe von Libertyville auf, zog sich aber mehr und mehr zurück … Die meiste Zeit war sie allein zu Hause und trank.3

Also der Handlungsreisende in der Provinz, auch mal flott und hübsch gewesen und den Traum vom großen Geld und dem gerechten Gott und Vaterland im Herzen und auf der Stirn getragen, und jetzt an die Landstraßen und die Kleinkrämer und die kleinen dummen Freundinnen in den namenlosen Budiken gefesselt, und zu Hause die verblühte Schöne, die Henry FondaFonda, Henry protegierte und den Kranz der Thespis trug auf den Bühnen, deren Bretter auch in Omaha die Welt bedeuteten, aber jetzt verwelkt im Schoß, aus dem die Kinder in die Welt getreten, und alles nur ein holder Wahn für mittlere Talente, mangels Nachfrage zu ertränken im Gin … die Provinz des Menschen, mit den Füßen in der Scheiße und die Hände zu den Sternen gereckt, und immer weiter und immer fort. Natürlich wachsen in dieser Provinz die Rebellen heran, aber es sind innerlich schon frühzeitig müde Rebellen, mit dem zynischen Zug um die Lippen und dem Blick, der sagt: »Was soll der Schmus, Baby?«

Der junge Brando: Nicht viel dran, wie’s scheint. Die Boxerstatur des Alten und das hübsche Gesicht der Mutter, bisschen Talent zum Schauspielen (seine beste Pantomime soll eine Darstellung vom Tod DillingersDillinger, John gewesen sein) und zum Sport, kein Intellektueller, auch kein Rabauke, kein Rocker, kein Softie, eher Durchschnitt, aber in diesem Durchschnitt eine Indolenz, die die Lehrer zur Weißglut getrieben haben muss: Rausschmiss aus den meisten Schulen, und zwar nicht wegen großer pathetischer Gesten, sondern einfach dieses coole »Leck mich«, wenn der Lehrer auf das Gesittete und das Frommende und das Nützliche des Lernens hinweist … und das gipfelt dann in der unvermeidlichen Anrufung des Kategorischen Imperativs (Originalton Brando seniorBrando, Marlon (Vater): »Um diesen Jungen hinzukriegen, gibt es nur noch ein Mittel, und das ist die Militärschule!«) und in dem wahrscheinlich ebenso unvermeidlichen Immer-noch-eins-Draufsetzen, nämlich Rausschmiss auch aus der Militäranstalt, wie Brando später gern erzählte, wegen Herstellung von Bombenkörpern, wahrscheinlich wegen Indifferenz und Rauchen im Unterricht. Biograph ThomasThomas, Bob: MarlonsVaterBrando, Marlon (Vater)war außer sich. Er ging streng mit Bud ins Gericht. Was sollte nun aus ihm werden? Er hatte noch nicht mal die Oberschule abgeschlossen. Das Land befand sich im Krieg, und der Wehrdienst würde vielleicht »einen Mann aus ihm machen«. Aber Marlon war (wegen einer Knieverletzung, Anm. d. Verf.) untauglich.

Marlon hörte sich die Vorwürfe seinesVatersBrando, Marlon (Vater)an. An seine Mutter konnte er sich nicht wenden; die Flasche war ihr einziger Gesprächspartner. Und seine Freunde verließen ihn jetzt auch. Einer nach dem anderen gingen sie an die Front.4

Wir haben Brando also mit 19 Jahren in einer ziemlich flauen Stimmung. Sein einzig wirklich originäres Interesse bis dahin hatte dem Schlagzeug gegolten, Gene KrupaKrupa, Gene hatte es ihm angetan, der legendäre Chicagoer Drummer, der es Jahre später in AlgrensAlgren, NelsonMann mit dem goldenen Arm dem Frankie Machine angetan haben wird, aber nach zwei Jahren Üben und Üben schafft Bud es nicht mal zum Schlagzeuger der Seven Pork Chops genannten Big Band von Libertyville: fatale Lage.

Der VaterBrando, Marlon (Vater), er hat inzwischen einen Insektiziden-Handel, schlägt dem Sohn vor: »Komm in mein Geschäft!« Aber dieser amerikanische Dollar lockt nicht. Er gammelt ein bisschen rum. Die Schwestern sind in New York, FrancisBrando, Francis (Schwester) auf der Kunst-, JocelynBrando, Jocelyn (Schwester) auf der Schauspielschule. Auch Marlon wollte es mit dem Schauspielen probieren. Hatte er etwa kein Talent? Und Schauspielen – kann das nicht jeder? Schließlich: Wo sonst nichts lockt, lockt das Leben.

Der Alte tobt, es hilft nichts. »Insektenmittel kann ich ja immer noch verkaufen«, sagt sich Bud und schnürt sein Bündel. Der geht bestimmt vor die Hunde, heißt es in Libertyville. Und werden sie sich nicht 30 Jahre später bestätigt gesehen haben, als Bud den letzten Tango tanzte? Kleinstädte haben immer recht, das ist ihr Daseinsgrund. Den letzten Tango beißen die Hunde, und die Blumen des Bösen lachen dazu.

New York

Raget empor, hohe Masten Manhattans! Raget auf, herrliche Hügel Brooklyns!

Bebe, verwirrtes und neugieriges Hirn! Wirf Fragen hinaus und Antworten dazu!

Weile hier und überall, ewige Flut der Lösung!

Schaut, liebende und dürstende Augen, in das Haus, in die Straße oder Versammlung.

Erklingt, ihr Stimmen der jungen Männer! Laut und wohltönend rufet bei meinem Namen mich.

Lebe, altes Leben! Spiele die Rolle, auf die zurückschaun Schauspieler, Schauspielerin!

Spielt die alte Rolle, die Rolle, die groß oder klein, ganz wie man sie gestaltet!

Walt Whitman: Auf der Brooklynfähre

Hundert Jahre nach Walt WhitmanWhitman, Walt kann man nicht mehr dessen inbrünstig hymnische Tonlage erreichen, aber kleinere Ekstasen vermittelt nebst Angst und Schrecken New York dem Reisenden auch heute noch. Marlon Brando kam 1943, mit 19 Jahren, in die Stadt, die mitten im Krieg eine große Zeit hatte. Da drängten sich unter den Emigranten einige absolute Spitzenvertreter der europäischen Geistes- und Kulturbearbeitungswelt in den Theatern, Colleges und Cafés Manhattans (und behaupteten sogar, in der Person des Oskar Maria GrafGraf, Oskar Maria, eine Synthese aus Bayern, Bier und Kommunismus in den teutonischen Nostalgieschwemmen an der 86. Straße); und da tobte sich in den Jazzkellern, Kaltwasser-Apartments und Kaschemmen zwischen Times Square und Bowery eine Meute hochkarätiger Asphaltintellektueller aus, die der US-Army nicht ganz geheuer gewesen und dienstuntauglich geschrieben worden waren … der Underground der 40er Jahre: Dizzy GillespieGillespie, Dizzy, Charlie ParkerParker, Charlie, William BurroughsBurroughs, William S., John Clellon HolmesHolmes, John Clellon, James BaldwinBaldwin, James, Allen GinsbergGinsberg, Allen und Jack KerouacKerouac, Jack, der den Typus der Zeit später, als er längst berühmt und desillusioniert war, so beschrieben hat: Als ich die Hipsters zuerst 1944 um den Times Square herumschleichen sah, konnte ich sie auch nicht leiden. Einer von ihnen,Huncke, HerbertHuncke aus Chicago, kam auf mich zu und sagte: »Mann, ich bin beat.« Irgendwie wusste ich sofort, was er meinte … und als ich zum ersten Mal Bird und Diz in den Three Deuces hörte, wusste ich, dass sie wirklich ernste Musiker waren, die einen irr neuen Klang aufbrachten. Ich lehnte gerade an der Theke und köpfte ein Bier, als Dizzy ein Glas Wasser vom Barkeeper holen wollte, sich gegen mich presste, mir mit seinen Armen am Gesicht vorbeifuhr, um das Glas zu nehmen, und wieder davontanzte, als ob er wüsste, dass ich ihn eines Tages besingen würde … Jedenfalls sahen die Hipsters, deren Musik der Bop war, wie Verbrecher aus, aber sie sprachen weiterhin über die gleichen Dinge, die ich auch mochte; das gab dann lange Skizzen persönlicher Erlebnisse und Visionen, nächtelange Beichten von Träumen, die ungehörig und durch den Krieg unterdrückt worden waren, erregte Debatten ließen das Gären einer neuen Seele spüren (der ewig gleichen Menschenseele) …1

Ah, dieser morsche Moloch, der uns seine mörderischen Schwären aufdrückt und sein Kainsmal und zu dessen Giften und Abgasen wir doch immer wieder zurückkehren – was wäre die Menschheit ohne Metropolis: »Wir sind aus Riesenstädten, in der City, nur in ihr, schwärmen und klagen die Musen«, notierte Dr. Gottfried BennBenn, Gottfried. Diese Nervenverformungen sind natürlich Umpolungen, wen sie nicht verfeinert, den verroht die Großstadt. Der junge Brando hat es bald erkannt: »I’ve got to educate myself«, sagt er zu Freunden, das heißt allerdings nicht, ich muss den zweiten Bildungsweg beschreiten und meine kümmerliche Existenz in den breiten Strom des bürgerlichen Lebens einbetten, sondern: Ich muss mein Potential in den Griff bekommen, was aus mir machen, mich den Reizen und den Risiken stellen, mit denen mich diese Stadt herausfordert.

Als Spezialist eingekerkert in die Lebenszonen seiner speziellen Branche, hat Marlon Brando, soweit bekannt, nie mit den Leuten der Beat Generation Kontakt gehabt. Trotzdem gehört er – man achte auf seine improvisierten Dialoge im Letzten Tango – nach psychischer Konstitution und rebellischer Lebenshaltung durchaus in das Umfeld dieser ja ganz heterogenen Gruppe, deren Qualität es unter anderem ausmachte, auch in Straßenstrolchen die Seele des schöpferischen Menschen zu wecken und manchem Mann im Flanellanzug etwas vom WhitmanWhitman, Walt’schen Impetus und von der Bewusstseinslage der Moderne mitzugeben. Wie die Beats war Brando ein scharfer Beobachter der Großstadtszenerien und ihrer Nachtschattengewächse; ob Schauspieler oder Literat, für den Künstler sind die Auswüchse der Zivilisation, nicht deren bourgeoise Zentren und Produzenten der Mittelpunkt des Lebens, ihm filtern Psyche und Physis der Metropolis die Essenz der kreativen Leidenschaft. Der deutschen Kulturverwaltung, ihrem Amtsdenken, ihrer Streuselkuchengesinnungsmafia, ihren nur noch auf die eigene mediale Aufbereitung und Wiederverbreitung gerichteten Rentenversicherungsmechanismen, ihrer Sinnen-, Risiko- und Kunstfeindlichkeit waren und sind natürlich Literaturen wie die der Beats und in ihrem Umfeld überhaupt alles Spontane, Rebellische und Abnorme von Grund auf verdächtig, es fehlt ihr nicht an Silber, aber es fehlt ihr an Seele.

Brando kommt in New York ohne Beruf, ohne Brieftasche und ohne fest umrissenes Ziel an. Sein einzig wahrnehmbares ist sein mimisches Talent. Während er die üblichen Großstadtjobs verrichtet (Fahrstuhlführer, Lastwagenfahrer, Limonadenverkäufer), geht er auch ohne Zögern in die Schauspielklasse, die seine Schwester JocelynBrando, Jocelyn (Schwester) an der New School for Social Research besucht: ohne die mindeste Ahnung von der Dimension seines Talents, aber wohl auch ohne große Skrupel. Theater, das waren die Laienensembles, in denen seine Mutter geglänzt hatte, das waren das Omaha Playhouse und das Evanston Playhouse und die Drama-Zirkel in Santa Ana und Libertyville, der muffige Übungsraum überm Krämerladen und die Bühne im Auditorium der Oberschule … nicht gerade Stationen glänzender Erfolge, aber in der Erinnerung Brandos doch insofern außergewöhnlich, weil sie Abweichungen von der provinziellen Norm dargestellt hatten, der er unbedingt entrinnen wollte. Noch als Superstar wird er immer wieder und fast beschwörend feststellen, nur ein Zufall habe ihn ans Theater gebracht: »Ich wusste nicht, was ich sonst hätte machen sollen.« Natürlich war es mehr als Zufall – hier setzte ein Flüchtender vor den tödlichen Umklammerungen des bürgerlichen Lebens auf eine scheinbar winzige Chance und gewann.

Wie fast immer in den ersten Jahren seiner Karriere kombiniert Brando Instinkt mit Glück. Auf jeder anderen Schauspielschule wäre ihm vielleicht die Lust an dem Gewerbe frühzeitig vergangen. Aber die Schauspielklasse an der New School ist denn doch etwas anderes. Hier werden Politik, Soziologie, Philosophie, Literatur großgeschrieben, und die Klasse wird geleitet von Stella AdlerAdler, Stella, einer bekannten jüdischen Schauspielerin, die eine Schülerin von Richard BoleslawskiBoleslawski, Richard und Maria OuspenskajaOuspenskaja, Maria ist, jener Theaterleute, die die Lehre des großen StanislawskiStanislawski, Konstantin S. von Moskau nach Amerika gebracht haben. Gary CareyCarey, Gary schreibt in seinem Brando-Buch von 1973: In Stella Adlers Klasse lernte Brando, dass Schauspielen mehr war als eine Handvoll technischer Tricks, mehr als Mimesis, mehr, als sich graziös zu bewegen und das »R« zu rollen. Es war ein kreativer Prozess, in welchem der Schauspieler jede Facette seiner Persönlichkeit – seiner Erfahrungen, Kenntnisse, Beobachtungen – dazu benutzte, um den Ideen des Stückeschreibers Form zu verleihen.2

Im liberalen und fruchtbaren Milieu der New School eignet Brando sich auch Kenntnisse an, die ihm in dem stumpfen Mief der kleinstädtischen High Schools und der Militärakademie verborgen geblieben waren. Er belegt Kurse in Französisch, Kunst, Philosophie und lernt vorzüglich Tanzen, Fechten und Yoga. Seit dieser Zeit beschäftigt er sich mit Religionsphilosophie, Anthropologie, Psychologie, und zwar immer in der naiven Art des fröhlichen Autodidakten, was ihm später viel Häme aus gewissen intellektuellen Zirkeln eintragen wird. Stella AdlerAdler, Stella aber ruft nach einer Woche aus: »In einem Jahr wird Marlon Brando der beste junge Schauspieler des amerikanischen Theaters sein!«

Leiter des Dramatic Workshop der New School war kein Geringerer als Erwin PiscatorPiscator, Erwin, der berühmte Berliner Theatermann, der 1930 nach New York gekommen und in den 30er und 40er Jahren ein Motor der linken Theatergruppen war. Durch seine Hände gingen eine Menge großer Talente (unter ihnen Shelley WintersWinters, Shelley, Rod SteigerSteiger, Rod und Walter MatthauMatthau, Walter), die alle die preußischen Umgangsformen und die strikte Kunstauffassung PiscatorsPiscator, Erwin respektieren lernten. Brandos Einstellung war lascher, und kein Wunder, denn er war alles andere als überzeugt von sich und der Theaterzunft. Auffallend war schon damals seine Begabung für Maskerade und Clownerie, fürs Possenreißen: »Er liebte es, mit Make-up zu experimentieren und mit falschen Koteletten, Perücken, ausländischen Akzenten und ausgefallenen Dialekten.« Aber mit der Oberfläche des Handwerks mochte sich Miss AdlerAdler, Stella nicht so sehr wie mit der »inneren Wahrheit« des Schauspielens befassen, und ihrem scharfen Auge gebührt Respekt, sah sie doch in den Hanswurstiaden des jungen Brando schon den Schatten, der tiefer dringt: »Wenn er für eine Rolle lernen muss, ein Pferd zu reiten, dann beobachtet er dieses Pferd so genau, wie noch nie jemand ein Pferd beobachtet hat, und wenn er in der Szene auftritt, ist er sowohl Pferd wie Reiter.«3

(Eine Episode am Rande. CareyCarey, Gary vermerkt sie, und ich finde, sie illustriert jenes Milieu und seine Menschen und eine bestimmte fanatische Reinheit des Gedankens und Kunstwillens aufs schönste. Der Vater von Stella AdlerAdler, Stella, JakobAdler, Jakob, eine der großen Persönlichkeiten des jiddischen Theaters, wird an der Bühnentür von einem jungen weiblichen Wesen angemacht. Er vernascht die Schöne auf seinem Garderobentisch und drückt ihr dann, um sie rasch loszuwerden, ein paar Eintrittskarten für seine Aufführung in die Hand. Da schreit das Mädchen: »Meine Mutter und mein Vater sterben vor Hunger, und du gibst mir Theaterkarten!« Antwortet Adler knapp: »Wenn du Brot willst, bums mit einem Bäcker.«)

Im Sommer 1944 ging PiscatorPiscator, Erwin mit seiner jungen Truppe aufs Land – Sommertheater, eine Institution der nicht-subventionierten amerikanischen Bühnen. Die Gruppe schlug ihre Zelte in Sayville, Long Island, auf und erwirtschaftete mit der Aufführung klassischer Stücke für New Yorker Sommerfrischler immerhin die Summe von 500 Dollar.

Für Brando war die Saison in Sayville vorzeitig zu Ende. Bob ThomasThomas, Bob schreibt: Es war wohl unausweichlich, dass Brandos Temperament mitPiscatorsPiscator, Erwinteutonischer Disziplin kollidierte. Marlon schätzte es,PiscatorPiscator, Erwinzur Belustigung der anderen Schauspieler auf subtile Weise zu ärgern. Die Truppe wurde vom Management des Theaters mit Essen versorgt, und Piscator betrachtete sich als Hüter der Vorräte. Jede Nacht wurde der große Kühlschrank mit einer Kette verriegelt und mit einem Schloss gesichert. Jede Nacht gelang es Brando, den Kühlschrank zu öffnen und einen Käse oder eine Schnitte Roastbeef zu entfernen. Diese nächtlichen Plünderungen ergrimmten den Tyrannen Piscator. Jeden Morgen inspizierte er den Kühlschrank und schäumte vor Wut über den Phantomdieb.

Die Indolenz des jungen Brando wurde schließlich für Piscator unerträglich. Marlon erinnerte sich später: »Er war der Meister, und wir waren der Shtudents1, und wenn wir frei hatten, durften die Mädchen nicht bei den Jungen sein. Eines Abends erwischte er mich bei einem Techtelmechtel, aber alles, was er von sich gab, war: ›Ja. So. Brando.‹ Am nächsten Tag hieß es dann: ›Raus! Sie sind raus aus dieser Truppe!‹ Und ich haute ab.«4

Ich habe diese Szene so breit zitiert, weil sie zwei ganz typische Brando-Charakteristiken zeigt, im Grunde zwei Seiten einer Medaille: seinen Hunger auf Nahrung und seinen Hunger auf Sex. Wahrscheinlich kann sich jeder selbst einen Reim drauf machen, konstatieren wir: Brando ist ein Fresssack und ein Sexbesessener und ein Säufer wahrscheinlich nur deshalb nicht, weil seine Mutter ihm immer die Flaschen weggeputzt hat. Und wenn wir uns schon der Couch und der Kastrationsangst und dem Ödipus Rex und den satten Stundenhonoraren nähern, warum nicht diese Szene, die sich ebenfalls in Sayville im Sommer ’44 abgespielt hat, als Stauffenbergs Bombe nicht hochging, und an jenem Teil der normannischen Küste, der heute Omaha Beach heißt, wo die amerikanischen Truppen die zweite Front nach Frankreich trugen: Ich fragte mich, was Piscator gesagt haben würde, wenn er über die Nacht Bescheid gewusst hätte, in der wir ein Mädchen, das keinen Platz zum Schlafen hatte, in unserem Bett beherbergten. Wir wollten sie beide bumsen, und Marlon war vollkommen damit einverstanden, sie zu teilen. Wir kletterten alle zusammen ins Bett, aber das Mädchen glaubte, sich in Marlon verliebt zu haben, und wollte nur ihn.

Während er stumm im Dunkeln zugange war und ich frustriert neben ihm lag, spürte ich, wie Marlon eine Hand ausstreckte und mir übers Gesicht streichelte.

»Was soll das?« sagte ich irritiert, »was ist denn?«

»Ich dachte, du würdest weinen«, sagte mein Freund leise.5

Der Mann, der da so herzig aus dem Nähkästchen plaudert, heißt Carlo FioreFiore, Carlo, ist einige Jahre älter als Brando und hatte später, in den 50er Jahren, zeitweise eine etwas seltsame Stellung als Brandos Mädchen für alles – Lichtdouble auf dem Film-Set, Produktionsassistent, Beichtvater, Dialog-Coach, einer der zahlreichen Co-Autoren von Brandos Film Der Besessene, aber generell wohl Kofferträger und Mädchenlieferant. Wahrscheinlich war er eine Zeitlang auch Marlons Freund, obwohl das aus dem Buch, das er 1974 über sich und Brando schrieb, nicht genau hervorgeht. Dieses Buch ist zum Teil reinster Klatsch & Tratsch, der übliche Schmäh, der exundiert, wenn ein minderes Talent vor einem größeren das Bein hebt; aber es geht auch darüber hinaus, denn Fiore ist ein scharfer Beobachter und versteht vom Filmemachen à la Hollywood eine ganze Menge. Was das Buch auch noch lesenswert macht, ist die flott und krott erzählte Geschichte vom Kampf des Autors mit seiner Rauschgiftsucht, denn Mr. Fiore entpuppt sich schon auf Seite 81 als klassischer Greenwich-Village-Hipster mit dem Sinn für die blonde Sexbombe und den satten Schuss Heroin im Arm … die Connection uptown … Charlie ParkerParker, Charlie im Five Spot … »Meine Sucht kostete mich 50 Dollar am Tag, jeden Tag. Junkies kennen keine Feiertage« … oh yeah, kennt man … »Marlon, ich bin vollkommen hooked« … »Tja, du hättest eben den ersten Schuss nicht setzen sollen, Mann … der erste ist der eine zu viel« … Und dann wird man impotent … fängt an zu stehlen … die alte Leier … »Was für ein Leben! Welche Verschwendung!« Und wenn Fiore über seine Beziehung zu Brando schreibt, greint der Junkie im Wind, denn diese Konstellation ähnelt der des Puschers zum Süchtigen, das merkt man schon an dem kecken Ton, den der Autor anschlägt, sobald er nicht mehr von Brando und Brandos Job abhängt.

1944 aber waren Brando und FioreFiore, Carlo enge Freunde. Trotz der Querelen mit PiscatorPiscator, Erwin landete Brando schon im Herbst sein erstes Engagement, einen soliden Part in einer Rogers-&-Hammerstein-Produktion: I Remember Mama; eine Familienkomödie. Der Neuling bekam gute Kritiken, und da das Stück über ein Jahr lief, war er auch finanziell abgesichert. Er konnte sich ein Apartment leisten, das zur Drehscheibe einer Szene junger Schauspieler und Bohemiens wurde, deren gemeinsamer Mittelpunkt Brando war: Man kam hin und traf auf zehn, fünfzehn Leute, die sich in den Räumen aufhielten. Es war seltsam, denn einer schien den anderen nicht zu kennen. Sie waren einfach da, wie an einer Bushaltestelle. Irgendjemand lag schlafend auf einem Stuhl. Leute lasen die Plakate an den Wänden. Ein Mädchen tanzte für sich allein. Ein anderes lackierte sich die Zehennägel. Ein Komiker probte seinen Nachtclub-Auftritt. In einer Ecke wurde eine Schachpartie ausgetragen. Und Trommeln – bum, bum, bum! Aber getrunken wurde nie etwas; das gab es nicht. Hin und wieder sagte einer: »Lasst uns runter zur Ecke gehen und ein Eiskrem-Sundae nehmen.« Marlon war der einzige gemeinsame Nenner, den diese Leute hatten, das einzige Verbindungsglied. Er bewegte sich von Zimmer zu Zimmer, zog den einen oder anderen zur Seite und unterhielt sich mit ihm allein.6

Eine sehr gesittete Szene im Grunde und Brando weniger als Entertainer, sondern mehr als Zeremonienmeister, gewiss als scharfer Beobachter, der auf der Bühne umsetzte, was er tagsüber aufschnappte. Seine Mutter DodiePennebaker, Dorothy (Dodie, Mutter), die zeitweise in New York mit ihm lebte, und der Junkie FioreFiore, Carlo, der seine Theaterträume in Heroin auflöste, waren unter diesen jungen und wohl harmlosen Leuten die Gebrandmarkten; aber was er Fiore durchgehen ließ, verwand Brando bei seiner Mutter nie: dass sie den Sohn samt beginnender Karriere überm Suff vergessen konnte.

Mit dieser Karriere ging es ungewöhnlich rasch voran; so rasch, dass der junge Schauspieler in seiner ersten Rolle die Aufmerksamkeit bekannter Produzenten und Agenten und sogar von Talentsuchern aus Hollywood auf sich zog. Der Mann, von dem es schon einige Jahre später heißen sollte, er sei der größte Schauspieler Amerikas, war ohne Zweifel ein Naturtalent; aber er arbeitete auch viel härter an sich, als er das je zugeben mochte. Obwohl seine Agentin, Edith Van CleveVan Cleve, Edith von der Music Corporation of America, einem gigantischen Konzern der Unterhaltungsbranche, ihn moralisch immer wieder gut aufbaute, war der junge Schauspieler damals dennoch seiner Sache und des Metiers so ungewiss, dass die üblichen Vorsprech-Touren fast ständig im Desaster endeten: »Es war schrecklich«, erinnert sich Edith Van Cleve. »Bei jedem einzelnen Vorsprechen war er grauenhaft. Er konnte einfach nicht lesen … Manchmal machte er den Mund auf und brachte keinen Ton heraus, oder wenn, dann war es ein schrecklich hervorsprudelnder Wirrwarr von Worten.«7

Zu diesem Manko kam die Attitüde lässiger Wurstigkeit, die ihn später berühmt machen sollte – der coole Hipster mit dem Durchblick, der an der Mauer lehnt und zur Welt sagt: »So, das soll’s sein? Is’ ja intressant …« Bei einem Test für eine Filmgesellschaft spielte er mit einem Jojo, bei einem Theaterproduzenten klappte er nach einer Weile das Buch zu, sagte: »Ich bring’ das nicht« und schlurfte hinaus.

Aber dann fand er einen Meister, und es war der richtige Mann zur richtigen Zeit: 1946 begann Brando die wichtigste Zusammenarbeit seiner Schauspielkarriere. StellaAdlerAdler, Stellahatte ihren Mann, HaroldClurmanClurman, Harold, dazu überredet, ihren Protegé in einem Stück zu beschäftigen, das er in Zusammenarbeit mit EliaKazanKazan, Eliaproduzierte. Es war ein zeitgenössisches Drama von MaxwellAndersonAnderson, Maxwellmit dem Titel Truckline Café … Bei der ersten Sprechprobe war Brando nicht zu verstehen.

»Lauter, Marlon!«, schrieKazanKazan, Eliavon hinten. »Hör auf, vor dich hinzumurmeln! Wenn dieses Unternehmen schon Geld verliert, möchte ich wenigstens hören, womit ich es verliere!«8

Das Stück war ein Reinfall und wurde nach 13 Aufführungen abgesetzt, aber Brando bekam wieder ausgezeichnete Kritiken und, viel wichtiger, die Verbindung mit einem der wichtigsten damaligen Theater- und Filmregisseure, die der eigentliche Anstoß für den Durchbruch war, der nicht mehr lange auf sich warten ließ.

Elia KazanKazan, Elia, anatolischer Grieche, Sohn eines Teppichhändlers, in Konstantinopel geboren und mit vier Jahren nach Amerika gekommen, war Anfang der 30er Jahre Mitglied der Kommunistischen Partei geworden und verdiente sich seine ersten Sporen als Theatermann beim links orientierten Group Theatre. 1945 drehte er seinen ersten Hollywood-Film, Ein Baum wächst in Brooklyn. Mit der KP brach er schon vor dem Hitler-StalinStalin, Josef-Pakt, blieb aber ein engagierter Linker und gerade deshalb besonders hellhörig für die, wie er es sah, Unterwanderung der künstlerischen und bürgerlichen Freiheitsideale durch die Stalinisten. Für meine Generation, die in den kommenden Jahren, auf fast schon aussichtslose Position gedrängt, einen vielleicht letzten Kampf führen muss um die noch verbliebenen Freiheitsräume in einem vollbürokratisierten Funktionärsstaat, gleich welche Partei gerade das Sagen, will heißen: das Maul in der Futterkrippe hat, ist KazanKazan, Chris sicher ein weit über seine Filme hinausreichendes Interesse wert.

KazanKazan, Elia war für Brando mehr als ein Regisseur; der Schauspieler adoptierte den Regisseur als geistigen Ziehvater: Für drei oder vier Jahre hatten wir eine sehr enge Beziehung. Ich war wie ein Vater für ihn. Als mein Sohn Chris noch ein kleiner Junge war, kam Marlon immer zu uns und spielte mit ihm. Später, als ich (vor dem Ausschuss) aussagte, wurde er etwas kühl, aber unser Verhältnis blieb ambivalent. Einerseits war er mir dankbar und liebte mich. Als er (1968) ablehnte, Das Arrangement zu drehen, sagte er zu mir: »Du bist der einzig wahre Regisseur, mit dem ich je gearbeitet habe« – und so fort; und ich sagte zu ihm: »Und du bist der beste Schauspieler, mit dem ich je gearbeitet habe«, und er umarmte und küsste mich! Und dann gingen wir unserer Wege. Denn andererseits hatte er dieses Gefühl des Zorns gegen mich – wie es ein Sohn hat. Ein Sohn muss seinen Vater schließlich töten, oder?9

Kein Zweifel, in KazanKazan, Elia hatte Brando eine Art Vater- und Mutterersatz gefunden, wahrlich kein schlechter Tausch für den grummeligen Klinkenputzer und die frustrierte Alkoholikerin – aber eben doch nur Ersatz. Kazan, der Brandos Schwierigkeiten klar erkannte (wie sieben Jahre später die Jimmy Deans), vermittelte den selbstzweiflerischen jungen Schwierigen an seinen eigenen Psychiater, einen Dr. Bela MittelmannMittelmann, Dr. Bela (Brando wird ihn, ebenfalls sieben Jahre später, Jimmy DeanDean, James empfehlen, und die Fama lautet, dass Jimmy dort nur einmal auftauchte, um sofort und wortlos zu verschwinden, aber ob er nun den richtigen Instinkt hatte, lässt sich schlecht abschätzen, denn kurze Zeit später raste er ja mit seinem silbernen Porsche Spider direkt in den zentralen Supercolor-Teenager-Traum, wo es bekanntlich keine grauen Haare und keine Speckfalten und keinen Regisseur, aber auch keinen letzten Tango gibt …).

Über die Couch befand Brando später: »Die Leute tendieren meistens dazu, jemand anderem die Schuld in die Schuhe zu schieben, anstatt sie bei sich selbst zu suchen. Mir ging es genauso. Aber ich war mit genug Verstand gesegnet, um mir klarzumachen, dass die Psychoanalyse das einzige und letzte Mittel war, das mir helfen konnte, mit mir ins Reine zu kommen.«10

Brando mit 22, 23 Jahren. Ein junger Mann von so blendendem Aussehen, dass selbst der Geschmäckler Truman CapoteCapote, Truman mit der Zunge schnalzt: Da er ein weißes Unterhemd anhatte und Drillichhosen und wegen seiner vierschrötigen Sportlerfigur – die Gewichtheberarme, der Charles-Atlas, CharlesAtlas-Brustkasten (wenngleich eine geöffnete Ausgabe der Grundlegenden Schriften von Sigmund FreudFreud, Siegmunddarauf ruhte) – hielt ich ihn für einen Bühnenarbeiter. Oder vielmehr so lange, bis ich sein Gesicht aus der Nähe sah. Es war, als ob das Gesicht eines Fremden an den muskulösen Körper gefügt sei, wie bei gewissen Fotomontagen. Denn dieses Gesicht war so wenig hart, dass es dem kantigen guten Aussehen: straffe Haut, eine breite, hohe Stirn, weit auseinanderstehende Augen, Adlernase, volle Lippen von entspanntem, sinnlichem Ausdruck – einen fast engelhaften Zug von Verfeinerung und Adel verlieh.11

Für sein Alter geht es ihm finanziell nicht schlecht, er bekommt schon 275 Dollar Wochengage. Er hat einen väterlichen Freund, eine gute Agentin, einen Schwarm Verehrerinnen, und wenn er keine große leidenschaftliche Liebe hat – zu leiden scheint er nicht darunter. Er zeigt auch Idealismus, Sympathie für eine »gute Sache«, etwas, das in der von jüdischem Kommerz und jüdischem Kulturbetrieb dominierten New Yorker Szene sicher nicht schlecht ankommt. Er schlägt eine weitaus besser dotierte Rolle aus, um für 50 Dollar Wochengage in einem, das darf wohl gesagt werden, jüdisch-israelischen PR-Stück namens A Flag is Born an der Seite Paul MunisMuni, Paul aufzutreten.

Er hat außerdem einen hervorragenden Appetit, und zwar, wie FioreFiore, Carlo etwas bedauernd feststellen muss, nicht auf französische Küche, sondern auf Pommes frites, Hamburger, Milkshakes, Steaks, Apfelkuchen, und diesem All-American Boy treibt der gute Dr. MittelmannMittelmann, Dr. Bela auch noch die Scheu vor anderen Leuten aus: »Vielen Menschen macht es etwas aus, dass sie emotionale Probleme haben, aber ich mach mir einen Dreck aus dem, was andere sagen. Das verdanke ich meiner Analyse.«

Und doch liegt ein Schatten ganz deutlich auf diesem Bild. Brando weiß, dass, wie es mein verehrter Freund ColonelPélieu, Claude Washburn2 auszudrücken pflegt, »die meisten Frauen nur zum Ficken da sind – und die meisten Männer zum Schneeschieben«. Und er weiß, dass er mehr kann als Schneeschieben. Er steht auf der Kippe. Was sich abzeichnet, ist nicht so sehr Karriere, Karriere machen auch Schneeschieber, man braucht sich nur unsere Staatsmänner oder Kulturträger anzuschauen. Was sich abzeichnet, ist, wie Dr. BennBenn, Gottfried gesagt hätte, »die Kunst«.

 

Es ist das Zittern, das den kreativen Menschen befällt, die Angst des Produktiven vor der Produktion – und vor der Leere danach. Wenn Brando bei Probeaufnahmen Jojo spielt oder einem Produzenten sagt: »Fick dich ins Knie« (DeanDean, James wird später auch das imitieren), dann ist das nicht nur jugendlicher Rotz und Chuzpe und Pose, sondern es enthält den Schatten und das Zittern. Und es enthält die Verachtung für all das, die Verachtung, die Brando später sagen lassen wird, dass der Beruf des Schauspielers nichts sei, wofür zu leben es sich lohne, ohne uns mitzuteilen, was das Leben nun lohnt. Mit diesem Bewusstsein betritt er die Bühne zur Endstation Sehnsucht, einer Sehnsucht, die sein Leben, nein, nicht veränderte, mit der seltsam brennenden Sonne des Mythos zum Glühen brachte. Und nur dieses Glühen, Brando hat das erst allmählich realisiert, macht eine Existenz fortan noch lebenswert, obgleich sie ihr das »eigentliche«, das reale Alltagsleben, entzieht. Das Glühen macht diese Existenz lebenswert, aber es verhindert sie auch. Wer von der Poesie getroffen wurde, kann nicht mehr so tun, als gäbe es sie nicht, auch wenn sie ihn nie mehr trifft. Diese Injektion macht süchtiger als alles Heroin, sie initiiert einen Rausch und eine Ekstase, die nur der Tod auslöschen kann. Der Rest ist Fressen und Erobern, die Moral von Bonzen und der kalte Kotter der Geschichte:

Es knallt. Es ist ein Fest vielleicht,

Ein Feuerwerk zur Goethefeier! –

Die Sontag, die dem Grab entsteigt,

Begrüßt Raketenlärm – die alte Leier.12

Als ich dem Colonel Washburn einmal Deutschland zeigen wollte, kamen wir über den »Wienerwald« in Frankfurt-Bockenheim nie hinaus; moribunde Hühnerknochen und grüne Martinis; drei Tage Sauerkraut und drei Jahre Konstipation. Unbeweglichkeit warf man uns vor und das Verpassen der Rebellion draußen auf den Pflasterstränden; aber unsere Unbeweglichkeit war ja die Rebellion, und die Pflasterstrände liegen heute noch da.

Fußnoten

1

So im Original. Anm. d. Verf.

2

Ein Alias des französischen Schriftstellers Claude Pélieu (Amphetamin Cowboys) Anm. d. Verf.

Kowalski

Wenn der große Schauspieler, von seiner Rolle

erfüllt, umgekleidet und geschminkt sich entsetzlich oder

entzückend, verführerisch oder abstoßend im Spiegel sieht und

dort die neue Persönlichkeit betrachtet, die für die Dauer von

einigen Stunden seine eigene werden soll, dann verschafft er sich

mit dieser Analyse eine neue Vollendung, eine Art rücklaufen-

den Magnetismus. Der magische Vorgang ist dann beendet, und

das Wunder der Objektivität ist vollbracht, der Künstler kann

sein Heureka! ausstoßen. Ob ein Typ der Liebe oder des

Grausens, er kann die Bühne betreten.

CharlesBaudelaireBaudelaire, Charles

1946 schrieb Tennessee WilliamsWilliams, Tennessee, damals 35 und an der Einbildung leidend, er werde in Kürze an »Krebs der Bauchspeicheldrüse« sterben, das Melodram Endstation Sehnsucht, das den Autor mit einem Schlag weltberühmt machte. Als im Jahr darauf das Stück in New York aufgeführt werden sollte, beschwor WilliamsWilliams, Tennessee die Produzentin Irene SelznickSelznick, Irene, die Regie Elia KazanKazan, Elia zu übertragen. Kazan bekam den Job. Für die männliche Hauptrolle hatte die SelznickSelznick, Irene John GarfieldGarfield, John im Auge. GarfieldGarfield, John lehnte aber ab, weil der Part des Stanley Kowalski von der weiblichen Hauptrolle Blanche »überschattet« werde. Da schaltete sich Edith Van CleveVan Cleve, Edith ein. Sie überredete Kazan dazu, ihren jungen Sprössling zu WilliamsWilliams, Tennessee zu schicken, der damals ein Haus in Provincetown bewohnte. Kazan drückte Brando 20 Dollar in die Hand und gab ihm WilliamsWilliams, Tennessee’ Adresse: »Good luck, Marlon.« Anstatt das Geld für eine Fahrkarte auszugeben, schnappte sich Brando eine seiner Freundinnen und trampte mit ihr nach Provincetown. WilliamsWilliams, Tennessee beschrieb den Auftritt 25 Jahre später in seinen Memoiren:Aus irgendeinem Grund fielen bei uns plötzlich Strom und Wasser aus. Unsere Abende wurden von Kerzenschein erhellt, und was die natürlichen Bedürfnisse anging, so mussten wir uns in die Büsche schlagen.

Etwa um diese Zeit erhielt ich ein Telegramm vonKazanKazan, Elia, in dem er mir mitteilte, dass er einen jungen Schauspieler, den er für begabt halte, nach Cape Cod schicken würde, damit er mir die Rolle des Stanley vorlesen sollte. Wir warteten zwei oder drei Tage, doch der junge Schauspieler – er hieß Marlon Brando – erschien nicht. Ich rechnete bereits nicht mehr mit ihm, als er eines Abends in Begleitung eines attraktiven Mädchens – heute würde man sagen »ein steiler Zahn« – aufkreuzte.

Er fragte, warum das Licht nicht brenne, und wir erzählten ihm, dass irgendwas mit der Leitung nicht in Ordnung sei. Er behob den Schaden in kürzester Zeit – ich glaube, er steckte bloß ein Cent-Stück in die Sicherung.

Dann stellte er fest, dass wir ohne Wasser waren, und befreite uns auch von dieser Kalamität.

Er war, mit ein oder zwei Ausnahmen, wohl der bestaussehende junge Mann, der mir je begegnet ist, doch habe ich nie mit Schauspielern »rumgemacht« – das ist so eine Art moralischer Grundsatz von mir, außerdem war Brando nicht der Typ, der sich auf diese Weise eine Rolle zu verschaffen suchte.

Nachdem er unseren Bungalow mit seiner handwerklichen Geschicklichkeit wieder bewohnbar gemacht hatte, setzte er sich in eine Ecke und begann, die Rolle des Stanley zu lesen. Ich gab ihm die Stichworte. Nach weniger als zehn Minuten sprang MargoJonesJones, Margoauf und stieß einen »Texas-Tornado«-Schrei aus.

»Ruf sofortKazanKazan, Eliaan! Das ist das Beste, was ich je gehört habe – ob in Texas oder sonst wo!«

Brando lächelte vielleicht ein wenig, zeigte jedoch im Übrigen keinerlei Anzeichen der freudigen Erregung, die wir anderen empfanden …1

Warum, scheint der Dramatiker nie mitgekriegt zu haben, oder er verschweigt es den Lesern seiner Memoiren (die als Melodram wohl alles übertreffen, was er je auf die Bühne gebracht hat): Brando mochte das Stück nicht, und am wenigsten mochte er die ihm zugedachte Rolle. Kowalski, dieser ungeschlachte Polack mit der Bierflasche und der Pokerkarte in der Hand, der die neurotische southern belle Blanche, die Schwester seiner Frau, mit seinem machismo ins Bett und dann in die Umnachtung treibt, das war keine Figur nach Brandos Geschmack. Man muss auch, liest man das Stück heute, zugeben, dass WilliamsWilliams, Tennessee den Kowalski reichlich platt und plan auf die Bühne stellt, seine Fähigkeiten liegen eher bei den Frauenfiguren (als ViscontiVisconti, LuchinoEndstation Sehnsucht in Rom aufführte, nannte er WilliamsWilliams, Tennessee bei den Probearbeiten immer nur »Blanche«; WilliamsWilliams, Tennessee vermerkt es nicht ohne Rührung). Brando über Kowalski: »Kowalski hatte immer recht und nie Angst. Er wunderte sich nie und bezweifelte nichts. Sein Ego war vollkommen gesichert. Und er hatte die Art von brutaler Aggressivität drauf, die ich hasse. Ich habe Angst vor ihr. Ich verabscheue diesen Charakter.«

Was Brando, für KazanKazan, Elia »der sanfteste Mensch, dem ich je begegnet bin«, zur Idealbesetzung des Kowalski machte, war zweifellos die Sexualität dieser Figur, ihr brutaler Machismo, der, wie im Paul des Letzten Tango, immer auf der Kippe zur negativen Macht, zum Terror steht; erst in seinem vielleicht größten Film konnte Brando 25 Jahre nach dem Kowalski darstellen, dass auch in der männlichen Sexualität eine befreiende Kraft enthalten ist und ihre destruktiven Dämonen vielleicht ins Desaster, aber auch in die leidenschaftliche Achtung vor dem anderen Menschen führen können, mit der die Liebe beginnt.

Die Premiere von Endstation Sehnsucht machte amerikanische Theatergeschichte: Am 3. Dezember 1947