Die unbekannte Lösung - Daniela I. Kaiser - E-Book

Die unbekannte Lösung E-Book

Daniela I. Kaiser

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Beschreibung

Auf der Suche nach der besten Lösung begegnete ich der Malerin Catherine und geriet in eine Situation, an die ich mich erst gewöhnen musste: für acht Tage wurde ich ihr Modell. Acht Tage, die sich anfühlten wie eine Ewigkeit, denn in acht Geschichten lehrte mich Catherine kreativ zu denken. "Ein tolles Buch. Inhaltlich, sprachlich und gefühlsmäßig." - "Das Buch erzeugt wunderschöne Bilder im Kopf, und dieser Dreh am Schluss hat mich total beeindruckt." - "Ein sehr interessanter Exkurs durch die Kunstgeschichte und sehr kurzweilig. Ich kann das Buch jedem empfehlen!" - "Ein richtig tolles Buch. Es hat unglaublich viel Spaß gemacht, es zu lesen!"

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Seitenzahl: 77

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Daniela I. Kaiser

 

Die unbekannte

Lösung

Eine Kunstgeschichte über die Sehnsucht nach Kreativität

 

 

 

Was fehlt denn?

Ein Nichts, aber dieses Nichts ist alles.

Honoré de Balzac

 

 

Alle Menschen haben das gleiche Potential an Energie. Der Durchschnittsmensch verschwendet die seine in einem Dutzend Kleinigkeiten. Ich verschwende die meine auf eine einzige Sache: die Malerei.

Pablo Picasso

 

 

 

 

 

 

Inhalt

 

Titel

 

Catherines Atelier oder: die Frage
Die Brücke
David und Goliath
Der Rahmen
Die Woge und das Meer
Das Wesen des Stiers
Keine Pfeife
Punkte und Verbindungen
Finden ohne zu suchen
Die ewige Muse

 

Hinweise
Daniela I. Kaiser
Impressum

 

 

 

 

Catherines Atelier oder: die Frage

 

 

 

 

 

Wage ich es, „ich“ zu sein?

 

Da stand ich nun vor der Hausnummer sieben der Rue des Grands Augustins. Nach kurzem Zögern drückte ich auf die Klingel, neben der schlicht Catherine stand. Ob sie mir helfen könnte? Ob sie überhaupt mit mir reden würde? Sie war meine letzte Hoffnung. Mit so vielen hatte ich gesprochen, so viele hatten den Kern meiner Frage nicht verstanden.

Ein dumpfes Summen ertönte. Ich drückte gegen das eiserne Tor und betrat den gepflasterten Hof des alten Pariser Patrizierhauses. Einige Fenster waren beleuchtet, jemand bewegte sich und sah kurz aus dem Fenster. Für einen kurzen Moment begegneten sich unsere Blicke. In schnellen Schritten durchquerte ich den Hof und folgte der Wendeltreppe bis ins Atelier. Ich betrat einen großen Raum, der über ein offenes Deckenfenster vom Tageslicht erhellt war. Darin standen ein immens rotes Sofa, ein Paravent und eine Staffelei mit Leinwand, dahinter zwei schlanke beigefarbene Hosenbeine. Warm war es, und es roch nach dem beißenden und zugleich inspirierenden Geruch frischer Farbe.

Eine schmale, betagte Dame kam hinter der Staffelei hervor. „Setzen Sie sich. Ich bin Catherine.“ Sie reichte mir die Hand, überraschend kraftvoll. Obwohl in Gedanken hunderte Male gesprochen, suchte ich nun nach den richtigen Worten für mein Anliegen. Sie durchbrach meinen Gedankenfluss und ihre freundlichen Augen zwinkerten mir zu. „Es ist unsere erste Sitzung, lassen Sie uns kurz meine Vorgehensweise besprechen.“ Ich setzte mich auf das Sofa, in das ich zu tief einsank. Catherine nahm mir gegenüber auf einem hölzernen Hocker Platz. Irritiert sah ich zu ihr auf. Sie hatte grüne Augen und viele tiefe Falten. Natürlich kannte ich Bilder von ihr, doch ihr Antlitz übertraf meine Vorstellung. Können Falten schön machen? Dieses Gesicht war schön, ohne Zweifel, vielleicht schöner als das der meisten jungen mit glatten Gesichtszügen, denn in ihm zeigte sich ihr langes Leben: mehr Lachen als Sorge, mehr Zuversicht als Vergangenheit, eine Ahnung von Ewigkeit in diesem flüchtigen Augenblick. Ich war überwältigt. Dieses Gesicht war eine gemalte Biografie. Auf einen Blick erzählte es ein ganzes Leben. „Haben Sie noch Fragen?“ – „Oh. Ja.“ Ich hatte kein Wort mitbekommen. Ich hatte Fragen, deshalb war ich hier. Aber woher wusste sie …? Nach kurzem Zögern fügte ich hinzu: „Ihre Kreativität. Mich fasziniert Ihre Kreativität. Deshalb bin ich hier.“

„Danke sehr!“ Sie antwortete mit einem Lächeln. „Wollen wir mit der Arbeit beginnen?“ – „Ja, gerne. Wo fange ich am besten an …?“ – „Dort hinter dem Paravent können Sie sich entkleiden, und dann machen Sie es sich auf dem Sofa bequem.“

Was? Ich soll mich … ? „Aber – was denken Sie …“

„Ach ja, zum Honorar. Seien Sie unbesorgt, ich habe den Ruf, meinen Modellen großzügige Honorare zu zahlen. Wir beginnen mit einer entspannten Pose.“ Ich spürte, wie meine Wangen erröteten. Wie sich meine eben noch gedachten Formulierungen in Luft auflösten. Was machte ich eigentlich hier? Catherine war zu ihrer Leinwand zurückgekehrt, die zwischen uns stand. Hastig griff ich nach meinem Rucksack, erhob mich schwungvoll aus dem Sofa und lief geräuschlos Richtung Tür.

„Warum sind Sie tatsächlich hier?“ Ihre Frage teilte den Raum in Wirklichkeit und Fiktion. Abrupt blieb ich stehen. Ich drehte mich um, wollte mich nicht ertappt fühlen. Wollte vielmehr den Mut spüren, den ich hatte, als ich mich entschloss, nach Paris zu fahren, um, nun ja, um mit Catherine ins Gespräch zu kommen. Ich drehte mich um und fragte unvermittelt: „Darf ich Sie um etwas bitten?“ Und bevor sie etwas Gegenteiliges erwidern konnte: „Helfen Sie mir bei der Lösung einer Frage? Einer sehr wichtigen Frage? “ Ich wartete ab. Catherine schwang ihren Pinsel kraftvoll über die Malfläche. „Wie wird Ihr Leben sein, wenn Sie eine Lösung haben?“ Ihre Frage überraschte mich.

Wie bitte? „Ich verstehe nicht ganz … .“

„Wenn Sie also morgen früh aufwachen, und Ihre Frage wäre über Nacht wie durch ein Wunder zu Ihrer vollen Zufriedenheit beantwortet, woran merken Sie, dass es so ist? Was würden Sie an diesem Morgen als erstes tun? Wo sind Sie? Wer ist dabei?“ Ich hörte, wie ihr Pinsel über die Leinwand glitt, ein langgezogenes Geräusch aus feuchter Farbe.

Ich sah zum Dachfenster, doch ich sah nicht die vorbeiziehenden mattweißen Wolken vor dem leuchtend blauen Himmel. Ich sah mich nicht davonlaufen, nach diesem kurzen Anfall von Mut, von dem ich wollte, dass er anhielt. Also konzentrierte ich mich auf Catherines Frage, und ich stellte mir den Tag vor, an dem meine Frage gelöst ist. Zuerst war dieses tiefe Gefühl, das ich mit der Lösung meiner Frage verbinde, doch mit einem Male schoben sich Bilder davor, ich sah alles genau vor mir, es war wie in einem Film und doch ganz anders. Ich nahm Düfte und Geschmäcker wahr. Und vor allem: Ich handelte. Es war wie ein Film, dessen Verlauf ich beeinflussen konnte. Es fühlte sich so wirklich an, wie das Extrakt eines gelingenden Lebens.

„Woran würden Sie merken, dass Ihre so lange ungelöste Frage beantwortet wäre?“ Catherines wiederholte ihre Frage und holte mich abrupt zurück ins Atelier.

„Es ist alles. Und doch nichts.“ Und nach einer kurzen Pause versuchte ich, den Kern dessen zu formulieren, was in mir nachhallte: „Ich hätte mich geändert. Ich wäre mutiger. Kreativer. Voller Vertrauen.“ Jetzt erst blickte Catherine wieder hinter ihrem Bild hervor und schien keineswegs erstaunt, mich mit Rucksack und voll bekleidet zu sehen. Etwas verlegen begab ich mich nun doch hinter den Paravent.

„Sehen Sie,“ Catherine sprach weiter, „das sind die Fragen, die ich mir bei jedem Gemälde stelle. Was soll danach anders sein als zuvor? Welchen Unterschied macht dieses Gemälde? Viele junge Künstler fragen, was sie darstellen sollen, ob sie gegenständliche oder abstrakte Werke schaffen wollen, und wie Farben und Linien sich gegenseitig bedingen. Ich aber frage mich: Was soll meine Kunst bewirken? Wie kann das Gemälde den Augenblick seines Betrachters verändern? Alles andere ergibt sich.“

Zügig entkleidete ich mich und platzierte Kleidungsstücke auf und Schuhe unter dem hölzernen Schemel, wie in einem Stillleben. Ich befand mich zwischen Enthusiasmus, dass sich Catherine auf meine Frage einließ, und Entmutigung, weil ich mich schämte. Doch ich wollte mich trauen. Dieses Mal wollte ich. Und da kam es wieder, dieses Gefühl von Mut. Mit einem Mal war ich sicher, dass ich eine großartige Erfahrung machen würde, von der ich mein ganzes Leben lang erzählen würde. Ich sank tief in den roten weichen Stoff und versuchte zu vergessen, dass ich nackt vor dieser fremden, angezogenen Malerin lag. Mir kamen die vielen Gemälde in den Sinn mit nackten Menschen, mehr Frauen als Männern, und ich stellte mir vor, wie sie den Malern Modell gestanden oder gelegen sind.

Ich bemühte mich, eine entspannte Haltung einzunehmen und betrachtete meinen Körper. Der Bauch war schon flacher gewesen. Mir gefällt aber die lebendige Linie, die von meinem Bauch zu den Beinen verläuft. Ich mag meine trainierten Beine, doch wenn ich sagen müsste, was mir an meinem Körper am besten gefällt, dann sind das meine Füße. Symmetrische wohlgeformte Füße.

„Warum kommen Sie zu mir?“ Catherine sah mich an mit den Augen der Malerin, die ihr Modell betrachtet. „Sie sind für mich der Inbegriff von Kreativität, Sie sind Inspiration, Genie.“ Mir gefiel meine Antwort, doch Catherine widersprach mir. „Nein, nein. Nein! Hören Sie: Jeder Mensch hat Ideen. Aber viele halten sie nicht für würdig und bedeutend, nicht für gut genug. Dahinter verbirgt sich die Angst, dass die eigenen Ideen kritisiert werden. Ein Künstler hat diese Angst auch, aber er lernt damit zu leben. Deshalb sind nur die Menschen mit ihrer Kreativität erfolgreich, die ein so wichtiges Ziel haben, dass sie die Zurückweisungen, Kritiken und Ablehnungen aushalten. Haben Sie ein großes Ziel? Ein Ziel, das Ihr eigenes Leben übersteigt?“