Die Vernetzung der Welt - Eric Schmidt - E-Book

Die Vernetzung der Welt E-Book

Eric Schmidt

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Beschreibung

Welche Konsequenzen wird es haben, wenn in Zukunft die überwiegende Mehrheit der Weltbevölkerung online ist? Wenn Informationstechnologien so allgegenwärtig sind wie Elektrizität? Was bedeutet das für die Politik, die Wirtschaft – und für uns selbst? Diese Fragen beantwortet ein außergewöhnliches Autorenduo: Eric Schmidt, der Mann, der Google zu einem Weltunternehmen gemacht hat, und Jared Cohen, ehemaliger Berater von Hillary Clinton und Condoleezza Rice und jetzt Chef von Googles Denkfabrik. In diesem aufregenden Buch führen sie uns die Chancen und Gefahren jener eng vernetzten Welt vor Augen, die die meisten von uns noch erleben werden. Es ist die sehr konkrete Vision einer Zukunft, die bereits begonnen hat. Und ein engagiertes Plädoyer dafür, sie jetzt zu gestalten – weil Technologie der leitenden Hand des Menschen bedarf, um Positives zu bewirken.

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Seitenzahl: 529

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Eric Schmidt • Jared Cohen

Die Vernetzung der Welt

Ein Blick in unsere Zukunft

Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer

Rowohlt Digitalbuch

Inhaltsübersicht

WidmungMottoEinleitungKapitel 1 Die Zukunft des MenschenGesteigerte EffizienzMehr Innovation, mehr ChancenMehr LebensqualitätDas Leben der ReichenKapitel 2 Die Zukunft von Identität, Zivilgesellschaft und JournalismusDie DatenrevolutionDie Krise des JournalismusWas bedeutet der Schutz der Privatsphäre?Strategien für den Umgang mit den Herausforderungen des digitalen ZeitaltersPolizeistaat 2.0Kapitel 3 Die Zukunft der StaatenDie Fragmentierung des InternetsMultilaterale Zusammenarbeit im digitalen ZeitalterVirtuelle StaatenDigitale Provokation und CyberkriegDer neue Kalte KriegKapitel 4 Die Zukunft der RevolutionAller Anfang wird leichter …… doch der Erfolg rückt weiter in die FerneDie virtuelle Niederschlagung von RevolutionenKein neuer FrühlingKapitel 5 Die Zukunft des TerrorismusGrößere Reichweite, größeres RisikoDer Aufstieg der Terror-HackerDie Achillesferse der TerroristenNiemand darf unsichtbar seinDer Kampf um die Herzen und Köpfe geht onlineKapitel 6 Die Zukunft der Konflikte und KriegeWeniger Völkermorde, mehr SchikaneMehrdimensionale KonflikteAutomatisierte KriegführungNeue InterventionenKapitel 7 Die Zukunft des WiederaufbausDas Primat der KommunikationOpportunismus und AusbeutungRaum für InnovationFazitAnhangDankRegister
[zur Inhaltsübersicht]

Für Rebecca, der wir für ihre Ideen

und ihre Unterstützung danken, und für Aiden,

den wir um die Technologie beneiden,

die er erleben wird.

[zur Inhaltsübersicht]

Jeder von uns sollte sich Gedanken

um die Zukunft machen,

denn wir werden den Rest unseres Lebens

dort verbringen.

Charles F. Kettering

Amerikanischer Erfinder und Unternehmer

[zur Inhaltsübersicht]

Einleitung

Das Internet gehört zu den Dingen, die wir Menschen zwar geschaffen haben, die wir aber im Grunde nicht verstehen.[1] Was als Mittel zur Datenübertragung zwischen zimmergroßen Computern begann, ist zu einem allgegenwärtigen und endlos vielfältigen Betätigungsfeld der menschlichen Energie und Kreativität geworden. Das Internet ist physisch nicht greifbar, doch gleichzeitig befindet es sich in einem konstanten Veränderungsprozess und wird mit jeder Sekunde größer und komplexer. Es hat das Potenzial, gewaltigen Fortschritt zu bewirken und furchtbaren Schaden anzurichten, und dabei ist das, womit wir uns heute beschäftigen, gerade erst der Anfang.

Das Internet ist das größte Anarchismusexperiment aller Zeiten. Die Onlinewelt, in der Hunderte Millionen von Menschen digitale Inhalte produzieren und konsumieren, wird kaum durch Gesetze beschränkt. Diese neue Möglichkeit der freien Meinungsäußerung und des Informationsaustauschs hat die komplexe virtuelle Landschaft entstehen lassen, die wir kennen. Denken Sie nur an die vielen Internetseiten, die Sie bisher besucht, an die E-Mails, die Sie verschickt und die Geschichten, die Sie online gelesen haben, an die Fakten, die Sie recherchiert und die Nachrichten, die Sie als Lügen entlarvt haben. Denken Sie an jede Beziehung, die Sie über das Internet geknüpft, jede Reise, die Sie geplant, jeden Job, den Sie gefunden und jeden Traum, den Sie geträumt, gehegt und verwirklicht haben. Denken Sie aber auch daran, was durch das Fehlen von Kontrollmechanismen außerdem ermöglicht wird: Onlinebetrug, Mobbing, Aufrufe zu Hass und Gewalt oder Terror-Chatrooms. Das alles ist das Internet, der größte unregulierte Raum der Welt.

Dieser Raum wird weiter wachsen und unser ganzes Leben verändern, von den Kleinigkeiten des Alltags bis hin zu grundsätzlichen Aspekten unseres Lebens: unsere Identität, unsere Beziehungen und unsere Sicherheit. Die Macht der Technologie reißt uralte geographische und sprachliche Grenzen sowie Informationsbarrieren nieder, die den Austausch unter uns Menschen seit jeher behindert haben, und eröffnet unserer Kreativität und unserem Potenzial neue Räume. Die gewaltige Ausweitung des Internets wird zum Motor einer der aufregendsten gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Revolutionen der Geschichte, und anders als in früheren Epochen wirken die Veränderungen diesmal weltweit. Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hatten so viele Menschen an so vielen Orten so viele Möglichkeiten. Dies ist bei weitem nicht die erste technologische Revolution der Geschichte, doch es ist die erste, die allen Menschen direkten Zugang zu Informationen eröffnet und ihnen Möglichkeiten an die Hand gibt, diese selbst zu erschaffen und sie in Echtzeit zu verbreiten.[2]

Diese Revolution hat gerade erst begonnen.

*

Kommunikationstechnologien verbreiten sich mit atemberaubender Geschwindigkeit. In den ersten zehn Jahren des 21. Jahrhunderts stieg die Zahl der Internetnutzer weltweit von 350 Millionen auf mehr als 2 Milliarden.[3] Gleichzeitig stieg die Zahl der Mobilfunkverträge von 750 Millionen auf über 5 Milliarden und in den folgenden zwei Jahren noch einmal um eine weitere Milliarde.[4] Diese Technologien verbreiten sich mit rasanter Geschwindigkeit bis in die entlegensten Winkel der Erde.

Im Jahr 2025 wird die Mehrheit der Erdbevölkerung, die noch vor einer Generation kaum Zugang zu unzensierter Information hatte, mit Hilfe eines handtellergroßen Geräts sämtliche Nachrichten der Welt abrufen können. Wenn sich die technologische Entwicklung mit derselben Geschwindigkeit fortsetzt, werden dann die meisten der bis dahin vermutlich acht Milliarden Menschen online sein.[5]

Für Menschen aller Schichten wird die Vernetzung deutlich erschwinglicher und einfacher werden. Wir werden über allgegenwärtige Funkzugänge online gehen, die nur noch einen Bruchteil dessen kosten, was wir heute dafür bezahlen müssen. Wir werden effizienter, produktiver und kreativer sein. In Entwicklungsländern wird es neben den schnellen privaten Verbindungen öffentliche Hotspots geben, die das Internet auch in Gegenden zugänglich machen, in denen es heute nicht einmal Telefonanschlüsse gibt. In manchen Ländern wird die Gesellschaft eine ganze Technologiegeneration einfach überspringen. Und irgendwann werden die Errungenschaften der Technologie, über die wir heute staunen, neben den Kurbeltelefonen als Antiquitäten auf dem Flohmarkt verkauft werden.

Neben der Verbreitung dieser Geräte wird auch ihre Geschwindigkeit und Rechenleistung weiter zunehmen. Nach dem Moore’schen Gesetz, einer Faustregel der Technologiebranche, verdoppelt sich die Geschwindigkeit der Prozessoren – der kleinen Schalteinheiten, die in jedem Computer stecken – alle 18 Monate. Demnach wären die Computer im Jahr 2025 etwa 64 Mal schneller als im Jahr 2013. Ein weiteres Gesetz besagt, dass sich die Datenmenge, die über die schnellen Glasfaserverbindungen übertragen wird, alle neun Monate verdoppelt. Selbst wenn diese Gesetze eine natürliche Obergrenze erreichen sollten, wird dieses exponentielle Wachstum bislang ungeahnte Möglichkeiten der grafischen Darstellung und der virtuellen Realität eröffnen, die das Online-Erlebnis beinahe so real erscheinen lassen wie das wirkliche Leben. Stellen Sie sich vor, Sie hätten zu Hause ein «Holodeck» aus der Welt von Raumschiff Enterprise, eine umfassende virtuelle Realität, die Ihnen das Eintauchen in einen dreidimensionalen Raum ermöglicht. In diesem Holodeck könnten Sie sich beispielsweise an einen Strand versetzen und gleichzeitig einen legendären Auftritt von Elvis Presley erleben. Tatsächlich versprechen die nächsten Schritte unserer technologischen Entwicklung, eine ganze Reihe von Ideen aus der Welt der Science Fiction umzusetzen: fahrerlose Autos, gedankengesteuerte Roboter, künstliche Intelligenz und eine voll integrierte Augmented Reality, die unsere physische Umwelt mit digitaler Zusatzinformation visuell überlagert. Diese und andere Entwicklungen werden unsere natürliche Umgebung teilweise verändern, ergänzen und erweitern.

Noch liegt dies in der Zukunft, doch einige dieser bemerkenswerten Entwicklungen nehmen bereits Gestalt an. Aus diesem Grund ist die Arbeit in der Technologiebranche heute so faszinierend – nicht nur, weil wir die Chance haben, erstaunliche neue Geräte zu erfinden und auf den Markt zu bringen, oder weil wir große technische und geistige Herausforderungen meistern müssen, sondern weil diese Entwicklungen die ganze Welt verändern werden.

Die Kommunikationstechnologie wird nämlich nicht nur eine technische, sondern auch eine kulturelle Revolution bedeuten. Die virtuelle Welt wird nicht nur unseren Umgang mit anderen Menschen verändern, sondern auch unsere Selbstwahrnehmung. Dank unseres selektiven Erinnerungsvermögens sind wir in der Lage, rasch neue Gewohnheiten anzunehmen und frühere zu vergessen. Beispielsweise können wir uns heute ein Leben ohne Mobiltelefone kaum noch vorstellen. Die allgegenwärtigen Smartphones schützen uns vor unserer eigenen Vergesslichkeit, sie eröffnen uns den Zugang zur Welt der Ideen (auch wenn die Regierungen einiger Länder diesen noch erschweren), und sie geben uns immer eine Beschäftigung (auch wenn sinnvolle Beschäftigung mitunter schwieriger geworden ist). Das Smartphone trägt seinen Namen zu Recht.

Während die weltweite Vernetzung ihren beispiellosen Siegeszug fortsetzt, müssen sich alte Institutionen und Hierarchien anpassen, weil sie sonst Gefahr laufen, in der modernen Gesellschaft überflüssig zu werden.[6] Die Veränderungen, die wir heute in vielen großen und kleinen Unternehmen beobachten können, sind Vorboten der anstehenden gesellschaftlichen Revolution. Durch Druck von innen und außen wird die Kommunikationstechnologie unsere Institutionen weiter verändern. Wir werden zunehmend mit Menschen jenseits unserer politischen und sprachlichen Grenzen kommunizieren, Geschäfte machen und Beziehungen in der analogen Realität aufbauen.

Die überwiegende Mehrheit der Menschen wird gleichzeitig in zwei Welten leben und arbeiten und zwei Regelsystemen unterstehen. An der virtuellen Welt werden wir durch eine Vielzahl von Geräten teilhaben. In der physischen Welt werden wir wie bisher mit den Gegebenheiten der Geographie, der Willkür der Herkunft (einige kommen als reiche Menschen in reichen Ländern zur Welt, andere als arme in armen), Missgeschicken und Glücksfällen sowie den guten und schlechten Seiten der menschlichen Natur konfrontiert. In diesem Buch stellen wir dar, inwieweit die physische Welt durch ihren virtuellen Widerpart verbessert, verschlechtert oder einfach nur verändert wird. Diese beiden Welten werden einander widersprechen oder in Konflikt geraten, und Ereignisse in der einen Sphäre werden Entwicklungen in der anderen bremsen, beschleunigen oder verschärfen.

Auf der Weltbühne wird die weitere Verbreitung der Kommunikationstechnologien vor allem dafür sorgen, dass Staaten und Institutionen einen Teil ihrer Macht an ihre Bürger verlieren. In der Vergangenheit haben immer neue Wellen von Informationstechnologien dafür gesorgt, dass die Mächtigen – Könige, Kirchen oder Eliten – Einfluss abtreten mussten. Damals wie heute ermöglicht der Zugang zu Information und Kommunikationsmitteln andere Formen der Beteiligung, eine stärkere Position gegenüber den Mächtigen und weitere Freiräume in der Lebensgestaltung.

Die zunehmende Vernetzung vor allem über internetfähige Mobiltelefone ist vielleicht das geläufigste Beispiel für diese Verschiebung der Machtverhältnisse, und sei es nur aufgrund seines Maßstabs. Für manche Menschen bieten die digitalen Medien erstmals die Möglichkeit, gehört und ernst genommen zu werden – dank eines günstigen Geräts, das in eine Tasche passt. Daher werden autoritäre Regierungen zunehmend Schwierigkeiten haben, ihre nun vernetzte Bevölkerung zu kontrollieren, zu unterdrücken und zu beeinflussen; und demokratische Staaten werden sich gezwungen sehen, die Stimmen von Einzelnen, Organisationen und Unternehmen deutlich stärker zu berücksichtigen. Natürlich werden auch die Behörden Wege finden, diese Vernetzung für sich zu nutzen, doch wie wir noch sehen werden, kommt die neue Technologie vor allem den Bürgern zugute.

Dabei stellt sich immer wieder die Frage, ob die Verschiebung der Macht hin zu den Bürgern die Welt sicherer oder unsicherer machen wird. Darauf gibt es bislang keine Antwort. Unsere Reise in die vernetzte Welt mit ihren guten, schlechten und besorgniserregenden Seiten hat gerade erst begonnen. Bei der Arbeit an diesem Buch haben wir diese Frage aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet – der eine als Informatiker und Manager, der andere als Experte für internationale Politik und Sicherheit – und sind zu dem Schluss gekommen, dass die Antwort nach wie vor offen ist. Welchen Verlauf die künftigen Entwicklungen nehmen, hängt davon ab, wie Staaten, Bürger, Unternehmen und Institutionen mit ihrer neuen Verantwortung umgehen.

In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage nach der künftigen Rolle des Staates auf. Nach Ansicht einiger Politikwissenschaftler wird der Staat seine auf maximale Macht und Sicherheit abzielende Innen- und Außenpolitik beibehalten, während andere die Auffassung vertreten, dass auch zusätzliche Faktoren wie Handel und Informationsaustausch eine Rolle spielen werden. Die Ziele des Staates werden dieselben bleiben, doch die Vorstellung, wie sie zu erreichen sind, wird sich ändern. In Zukunft wird jeder Staat zwei Arten der Innen- und Außenpolitik umsetzen müssen – eine für die physische, «reale» Welt und eine zweite für die virtuelle Welt des Internets. Die beiden können sich gelegentlich widersprechen: Der Staat kann in einem Bereich hart durchgreifen und in einem anderen bestimmte Verhaltensweisen zulassen. Nationen könnten im Cyberspace Krieg führen und in der physischen Welt den Frieden wahren. Auf jeden Fall wird der Staat versuchen, den neuen Bedrohungen und Herausforderungen zu begegnen, die die Vernetzung für seine Autorität darstellt.

Für die Bürger bedeutet die Vernetzung, dass sie in der physischen und der virtuellen Welt über verschiedene Identitäten verfügen. Die virtuellen Identitäten werden die übrigen in vieler Hinsicht überflügeln, da sie online dauerhaft erhalten bleiben. Und da sich das, was wir online veröffentlichen, mailen, schreiben und weitergeben, immer auch Auswirkungen auf die virtuellen Identitäten von anderen Menschen hat, müssen wir uns Gedanken über neue Formen der kollektiven Verantwortung machen.

Für Organisationen, Institutionen und Unternehmen geht die globale Vernetzung mit neuen Chancen und Risiken einher. Die Bürger werden ihnen ein neues Maß an Rechenschaft abverlangen und sie zwingen, ihre Verfahren zu überdenken, ihre Zukunftspläne daran anzupassen und nicht nur ihr Handeln selbst zu verändern, sondern auch die öffentliche Darstellung ihres Verhaltens. Die technologische Integration wird gleichberechtigten Zugang zu Information ermöglichen und Chancengleichheit herstellen, womit sich etablierte Unternehmen neuen Konkurrenten gegenübersehen werden. Niemand, von den Mächtigsten bis zu den Schwächsten, wird von dieser historischen Revolution ausgenommen bleiben.

*

Wir haben uns im Herbst des Jahres 2009 kennengelernt, und die Umstände unserer Begegnung trugen dazu bei, dass wir schnell Gemeinsamkeiten entdeckten. Wir hielten uns in Bagdad auf, um auszuloten, welche Rolle Technologie beim Wiederaufbau einer Gesellschaft spielen kann. Bei unseren Gesprächen mit Ministern, Offizieren, Diplomaten und Unternehmern begegneten wir einer Gesellschaft, deren Aussicht auf Wiederaufbau und künftigen Erfolg am seidenen Faden zu hängen schien. Eric Schmidt war der erste CEO eines Technologiekonzerns, der den Irak besuchte, und die Frage drängte sich auf, was Google im Irak wolle. Wir hatten damals keine Ahnung, was das Unternehmen dort vorfinden würde und was es erreichen könnte.

Die Antwort war fast augenblicklich klar: Überall sahen wir Mobiltelefone. Das war überraschend. Das Land war Kriegsgebiet, der Sturz von Saddam Hussein lag sechs Jahre zurück, und unter der Herrschaft des Diktators war es verboten, Mobiltelefone zu benutzen.[7] Der Krieg hatte die zivile Infrastruktur des Landes zerstört, die Versorgung mit Lebensmitteln, Wasser und Strom war schlecht.[8] Selbst Dinge des täglichen Bedarfs waren unerschwinglich. In manchen Gegenden war seit Jahren kein Müll mehr abgefahren worden.[9] Vor allem konnte die Sicherheit der Bevölkerung nicht gewährleistet werden, und zwar weder für hochrangige Regierungsmitglieder noch für kleine Ladenbesitzer. Mobiltelefone schienen das Letzte, was wir in diesem Land erwartet hätten. Doch wir sollten bald erfahren, dass die Iraker trotz ihrer drängenden Probleme der Technologie einen hohen Stellenwert einräumten. Sie besaßen nicht nur Mobiltelefone, sondern sie erkannten auch, dass sie mit diesen Geräten eine Chance hatten, ihre Lebensqualität zu verbessern und dem Schicksal ihres zerrissenen Landes eine Wende zu geben. Die Ingenieure und Unternehmer, denen wir begegneten, äußerten sich frustriert darüber, sich nicht selbst helfen zu können. Sie wussten genau, was sie dazu brauchten: eine zuverlässige Stromversorgung, schnelle Verbindungen, digitale Geräte und Startkapital, um ihre Ideen zu verwirklichen.

Für Eric Schmidt war es die erste Reise in ein Kriegsgebiet, während Jared Cohen schon viele solche Exkursionen unternommen hatte. Trotzdem hatten wir beide das Gefühl, Zeugen einer umfassenden Veränderung zu werden. Wenn selbst die kriegsmüden Iraker die Möglichkeiten der Technologie erkannten und wussten, was sie damit anfangen konnten, wie viele Millionen Menschen gab es noch auf der Welt, die das Wissen und die Motivation mitbrachten, aber keinen ausreichenden Zugang zur Technologie hatten? Jared sah sich in seiner Auffassung bestätigt, dass die staatlichen Stellen bei der Prognose der künftigen Entwicklungen gefährlich weit hinterherhinkten (und wahrscheinlich hatten sie auch Angst vor ihnen), und dass sie nicht erkannten, welches Potenzial die neuen Instrumente boten, mit den anstehenden Herausforderungen umzugehen. Und Erics Gefühl wurde bestätigt, dass die Technologiebranche vor größeren Aufgaben stand und mehr potenzielle Kunden als geahnt hatte.

In den Monaten nach unserer Irakreise wurde uns zunehmend klar, dass sich zwischen den Technologieexperten und den Politikern, die mit der Lösung schwierigster geopolitischer Probleme betraut sind, ein tiefer Graben auftut. Und das, obwohl es ein riesiges Potenzial für die Zusammenarbeit zwischen der Technologiebranche, dem staatlichen Sektor und der Zivilgesellschaft gibt. In der Diskussion über diesen Graben einerseits und die zunehmende Vernetzung andererseits drängten sich uns einige spannende Fragen auf. Wer wird in Zukunft mächtiger sein: die Bürger oder der Staat? Wird die Technologie terroristische Aktivitäten erschweren oder erleichtern? Wie lassen sich Datenschutz und Sicherheitsinteressen vereinbaren, und wo werden wir im anbrechenden Digitalzeitalter Zugeständnisse machen müssen? Wie verändern sich Krieg, Diplomatie und Revolution, wenn alle Menschen vernetzt sind? Wie kann die Technologie positiv wirken, und was kann sie zum Wiederaufbau zerstörter Gesellschaften beitragen? Unser erstes gemeinsames Projekt war ein Bericht für die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton, in dem wir die Erkenntnisse aus unserem Irakbesuch darstellten. Wir schätzen das Potenzial und die Macht der modernen Technologieplattformen ähnlich ein, auf dieser Sichtweise basiert unsere gesamte Arbeit, nicht nur bei Google, sondern auch darüber hinaus. Wir sind überzeugt, dass Portale wie Google, Facebook, Amazon oder Apple weitaus mächtiger sind, als die meisten Menschen ahnen, und dass unsere Zukunft durch ihre weltweite Nutzung geprägt sein wird. Diese Plattformen stellen einen echten Paradigmenwechsel dar, ähnlich wie die Erfindung des Fernsehens. Ihre Macht beruht auf der Fähigkeit, exponentiell zu wachsen. Mit Ausnahme von biologischen Viren gibt es nichts, was sich mit derartiger Geschwindigkeit, Effizienz und Aggressivität ausbreitet wie diese Technologieplattformen, und dies verleiht auch ihren Machern, Eigentümern und Nutzern neue Macht. Nie zuvor waren so viele Menschen in Echtzeit über ein Netzwerk miteinander verbunden. Die Möglichkeit, als Konsumenten, Kreative, Produzenten, Aktivisten und so weiter auf Onlineportalen kollektiv zu handeln, verändert sämtliche Spielregeln. Die viralen Effekte, die wir von Musikvideos oder internationalen E-Commerce-Portalen kennen, sind lediglich ein erster Hinweis auf das, was uns in Zukunft erwartet.

Aufgrund des exponentiellen Wachstums, wie es digitale Plattformen ermöglichen, werden sich Entwicklungen im digitalen Zeitalter weiter beschleunigen, was Auswirkungen auf alle Aspekte der Gesellschaft, von Politik und Wirtschaft über Medien und Unternehmen bis hin zu gesellschaftlichen Werten und Normen hat. Dank dieser Beschleunigung wird die Vernetzung durch das Internet ein neues Zeitalter der Globalisierung einläuten – und zwar einer Globalisierung von Produkten und Vorstellungen. Als Akteure in der Technologiebranche sehen wir es als unsere Aufgabe an, die Veränderungen, die dieser Wirtschaftszweig in unserem Leben und unserer Gesellschaft bewirkt, ehrlich und gründlich zu erforschen. Dies nicht zuletzt, da Behörden, Unternehmen und Bürger gemeinsam neue Regeln aufstellen müssen, während sich das Terrain so schnell verändert, dass kein Gesetz mehr mithalten kann. Die neuen digitalen Plattformen, Netzwerke und Produkte haben schon heute gigantische globale Auswirkungen. Um die Zukunft der Politik, Wirtschaft, Diplomatie und anderer wichtiger Sektoren gestalten zu können, müssen wir daher die Revolution verstehen, die die Technologie auf diesen Gebieten bewirkt.

*

Während unseres Gedankenaustauschs über die Zukunft kam es zu einer Reihe von Vorfällen, die genau die von uns erörterten Vorstellungen und Probleme verdeutlichten. Die chinesische Regierung führte Cyberangriffe gegen Google und Dutzende amerikanische Unternehmen durch; WikiLeaks veröffentlichte Hunderttausende Geheimdokumente; nach den Erdbeben in Haiti und Japan kamen die neuen Technologien in kreativer Weise zum Einsatz, und die Revolutionen des Arabischen Frühlings erschütterten die Welt aufgrund ihrer Geschwindigkeit, ihrer Wucht und ihres Dominoeffekts. Jede dieser turbulenten Entwicklungen eröffnete neue Perspektiven. Wir diskutierten die Bedeutung und Folgen dieser und anderer Ereignisse ausführlich; dabei versuchten wir, künftige Entwicklungen und mögliche technologische Lösungen vorherzusehen. Dieses Buch ist das Ergebnis unserer Gespräche.

Auf den folgenden Seiten stellen wir Ihnen unsere Vision der Zukunft vor. In dieser Zukunft werden komplexe globale Auseinandersetzungen um Bürgerrechte, Staatsführung, Datenschutz, Krieg und andere Themen im Mittelpunkt stehen, deren Ursachen und Lösungen mit der zunehmenden globalen Vernetzung zusammenhängen. Dabei wollen wir aufzeigen, inwieweit wir den Einsatz neuer Technologien so gestalten können, dass er eine Verbesserung und Bereicherung unserer Welt darstellt. Dass die Technologie unsere Welt verändert, ist unvermeidlich, doch wir haben in jedem Moment die Möglichkeit, diesen Wandel mitzugestalten. Mit einigen unserer Prognosen bestätigen wir möglicherweise Ihre Vorahnungen, andere werden völlig neu sein. Wir hoffen, dass unsere Szenarien und Empfehlungen einen Denk- und Diskussionsprozess anstoßen.

In diesem Buch geht es nicht um Geräte, Smartphone-Apps oder künstliche Intelligenz, auch wenn wir diese Themen ansprechen werden. Es geht vielmehr darum, wie wir Menschen mit den neuen Technologien umgehen, wie wir sie einsetzen, uns an sie anpassen und sie für uns nutzen, jetzt und in Zukunft, überall auf der Welt. Vor allem geht es um die Bedeutung einer lenkenden menschlichen Hand im neuen digitalen Zeitalter. Denn bei all den Möglichkeiten, die uns die Kommunikationstechnologien bieten, hängt es allein von uns Menschen ab, ob wir sie zum Guten oder Schlechten nutzen. Vergessen Sie das Gerede, dass Maschinen die Macht übernehmen. Wir haben unsere Zukunft selbst in der Hand.

[zur Inhaltsübersicht]

Kapitel 1Die Zukunft des Menschen

Bald werden alle Menschen auf unserem Planeten vernetzt sein. Wenn in naher Zukunft weitere fünf Milliarden die virtuelle Welt bevölkern, bedeutet dieser Boom in der physischen Welt u.a. Produktivitätszuwächse, Gesundheit, Bildung, Lebensqualität, und zwar für alle, von den elitären Nutzern bis zu den Menschen am unteren Ende der wirtschaftlichen Skala.[10] Doch das Wort «Vernetzung» wird für jeden von uns ganz unterschiedliche Bedeutung haben, vor allem, weil sich unsere Probleme ganz erheblich unterscheiden. Was für manche ein winziger Schritt ist – etwa der Verkauf eines Smartphones zu einem Preis von unter 20 US-Dollar –, kann für andere ein gewaltiger Sprung sein. Die Vernetzung wird uns das Gefühl vermitteln, die Unterschiede zwischen Menschen würden kleiner, da wir alle Zugang zu denselben Plattformen, Informationen und Ressourcen haben, auch wenn in der physischen Welt nach wie vor ganz erhebliche Unterschiede bestehen. Die Vernetzung wird das Problem der sozialen Kluft nicht lösen, doch sie wird einige der Ursachen abbauen, zum Beispiel ungleiche Bildungschancen und wirtschaftliche Möglichkeiten. Das heißt, um die Bedeutung dieser Innovation würdigen zu können, müssen wir die jeweiligen Kontexte einbeziehen. Alle Menschen werden von der neuen Vernetzung profitieren, doch in unterschiedlichem Maße und in unterschiedlicher Form. Hier soll es darum gehen, wie sich diese Unterschiede im Alltag manifestieren.

Gesteigerte Effizienz

Die neuen virtuellen Handlungsspielräume sorgen dafür, dass vieles in der physischen Welt effizienter wird. Wenn die digitale Vernetzung die entlegenen Winkel der Erde erreicht, werden immer neue Nutzer zahlreiche ineffiziente Märkte, Systeme und Vorgehensweisen optimieren können, in den reichsten Nationen genauso wie in den ärmsten. Das Resultat sind erhebliche Effizienz- und Produktivitätssteigerungen, vor allem in Entwicklungsländern, wo Wachstum und Fortschritt über Jahrzehnte durch technologische Isolation und politische Fehlentscheidungen verhindert worden sind. Hier werden die Menschen mit weniger Aufwand bessere Ergebnisse erzielen.

Wenn Smartphones und Tablets auch in armen Ländern erschwinglich sind, werden sie dort große Veränderungen bewirken.

Nehmen wir als hypothetisches Beispiel die Verbesserungen, die schon einfache Mobiltelefone für eine Gruppe von Fischerinnen im Kongo bedeuten: Während diese Frauen ihren Fang früher auf den Markt brachten und im Laufe des Tages zusehen mussten, wie die Fische verdarben, lassen sie sie nun im Fluss und warten auf die Anrufe ihrer Kunden.[11] Erst wenn eine Bestellung erfolgt, holen sie einen Fisch aus dem Wasser, schlachten ihn und nehmen ihn aus. Sie benötigen keine teuren Kühlschränke, niemand muss nachts auf das Gerät aufpassen, der Fisch verdirbt nicht (und vergiftet damit auch keine Kunden mehr). Außerdem wird auf diese Weise die Gefahr der sinnlosen Überfischung gebannt. Die Fischerinnen können ihren Markt außerdem ausbauen, wenn sie andere Fischer in der Umgebung einbeziehen und sich mit ihnen per Telefon absprechen. Für die Frauen und ihre Dorfgemeinschaft wäre das ein guter Ersatz für eine formale Marktwirtschaft, die sicher noch Jahre auf sich warten lässt.

In Entwicklungsländern ermöglichen Mobiltelefone einen neuen Zugang zu und Umgang mit Informationen, und sie verbreiten sich rasch. In Afrika gibt es heute rund 650 Millionen Mobiltelefone, in Asien sind es fast drei Milliarden.[12] Bei den meisten handelt es sich um einfache Handys, mit denen die Nutzer Anrufe tätigen und SMS verschicken können;[13] Internetanschlüsse sind selten, da diese Dienstleistungen in solchen Ländern oft unerschwinglich sind und selbst die Menschen, die sich Internet-Handys oder Smartphones leisten können, die Gebühren nicht bezahlen können. Dies wird sich jedoch ändern, sodass auch die Menschen in Entwicklungsländern von der Smartphone-Revolution profitieren werden.

Hunderte Millionen Menschen leben heute kaum anders als ihre Großeltern und haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von 60 oder auch nur 50 Jahren.[14] Die Aussichten, dass sich die politische oder wirtschaftliche Situation in ihren Ländern in absehbarer Zeit spürbar verbessert, sind eher schlecht. In einer Hinsicht haben sich ihr Alltag und ihre Zukunftsaussichten jedoch verändert: Sie sind vernetzt. Mehr noch, sie werden eine ganze Generation von älteren Technologien (zum Beispiel Einwahlmodems) überspringen und direkt mit schnellen drahtlosen Verbindungen einsteigen. Das heißt, die Veränderungen, die mit der Vernetzung einhergehen, werden hier noch schneller greifen als in den Industrienationen. Die Einführung von Mobiltelefonen wird hier eine weitaus größere Revolution bewirken, als dies von der Warte der entwickelten Länder aus erkennbar ist. Wenn Menschen in Entwicklungsländern online gehen, werden sie mit einem Mal Zugang zu sämtlichen Informationen der Welt haben, und zwar in ihrer eigenen Sprache. Das trifft selbst auf analphabetische Hirten der Massai in der Serengeti zu, deren Sprache Maa keine Schriftform kennt.[15] Sie werden in der Lage sein, mündlich Marktpreise zu erfragen, sich über den Aufenthalt von Raubtieren zu verständigen und gesprochene Nachrichten auf ihrem Gerät abzuhören. Mobiltelefone werden es vormals isolierten Menschen ermöglichen, mit anderen in Kontakt zu treten, die weit entfernt leben und wenig mit ihnen gemeinsam haben. Wirtschaftlich werden sie Möglichkeiten finden, mit Hilfe der verfügbaren Geräte ihre Unternehmen auszubauen, effizienter zu gestalten und ihre Gewinne zu steigern, wie die Fischerinnen dies auf regionaler Ebene mit ihren einfachen Handys konnten.

Die Vernetzung bringt aber nicht nur Smartphones, sondern sie versetzt die Menschen außerdem in die Lage, Daten zu sammeln und zu nutzen. Die Daten sind ein Werkzeug, und in Regionen, in denen mangelhafte Informationen zu Gesundheit, Bildung, Wirtschaft und den Bedürfnissen der Bevölkerung Wachstum und Entwicklung verhinderten, kann die Möglichkeit, effektiv Daten zu sammeln, die Spielregeln verändern. Vom verbesserten Zugang zu digitalen Daten profitiert die gesamte Gesellschaft: Behörden können den Erfolg ihrer Programme besser überprüfen; Medien sowie Nichtregierungsorganisationen können sie für ihre Arbeit nutzen und Tatsachen überprüfen. Amazon wertet beispielsweise die Daten seiner Händler aus und bietet ihnen auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Kredite an, und das selbst in Fällen, in denen andere Banken einen Kredit verweigern würden. Größere Märkte und präzisere Daten tragen dazu bei, die Wirtschaft gesünder und produktiver zu machen.

Auch Entwicklungsländer werden vom Fortschritt bei Geräten und Hightech-Maschinen profitieren. Selbst wenn die neuesten Smartphones und Haushaltsroboter unerschwinglich bleiben, können Schwarzmärkte, wie der chinesische shanzhai, auf denen Imitate von elektronischen Geräten zu günstigen Preisen verkauft werden, die Kluft zwischen Arm und Reich überwinden helfen.[16] Technologien, die im Kontext von Industrienationen entwickelt werden, finden in Entwicklungsländern ganz eigene Anwendungen. In der generativen Fertigung, auch 3D-Druck genannt, können Maschinen physische Objekte «drucken», indem sie die dreidimensionalen Daten eines Objekts aufnehmen und seine Konturen scheibchenweise in flüssigem Kunststoff oder einem anderen Material nachformen.[17] Solche Drucker können inzwischen eine ganze Reihe von Gegenständen produzieren, von Mobiltelefonen über Maschinenbauteile bis hin zu Modellen von Motorrädern.[18] Diese Maschinen werden natürlich auch in Entwicklungsländern zum Einsatz kommen. Mit Hilfe gemeinschaftlich genutzter 3D-Drucker und Open-Source-Vorlagen ließe sich beispielsweise jedes benötigte Werkzeug nachbauen, und es wäre nicht mehr nötig, auf die langwierige und komplizierte Anlieferung teurer Fertigprodukte zu warten.

In den Industrienationen wird der 3D-Druck in modernsten Produktionsverfahren zum Einsatz kommen. In Zukunft werden Maschinen, die von hochqualifiziertem Personal bedient werden, je nach Bedarf und nach Anleitungen aus dem Internet neue Materialien und Produkte maßgeschneidert anfertigen. Dieses Verfahren wird zwar die billige Massenproduktion, wie sie in vielen Branchen üblich ist, nicht ersetzen, doch in Industrienationen wird es eine beispiellose Produktvielfalt ermöglichen.Viele Menschen in Industrienationen werden die neue Informationstechnologie nutzen, um ihre alltäglichen Erledigungen zu optimieren. Zum Beispiel werden sie integrierte Waschmaschinen verwenden, die Kleidung waschen, trocknen, bügeln, falten und sortieren, ein Garderobeninventar führen und per Algorithmus je nach Tagesplan ihrer Nutzer bestimmte Kombinationen vorschlagen. Haarschnitte werden endlich automatisiert und präzise. Die Akkus von Handys, Tablets und Laptops werden schnurlos aufgeladen und machen das lästige Hantieren mit Kabeln überflüssig. Die vielen mobilen Geräte, die wir täglich verwenden, werden in einem einfachen und intuitiv zu bedienenden Informationsmanagementsystem zusammengeführt, was uns den Umgang mit der Technologie deutlich erleichtern wird. Solange unsere Privatsphäre und unsere Daten geschützt sind, können uns diese Systeme viele lästige Alltagsaufgaben wie Besorgungen, To-do-Listen und verschiedene Kontrollaufgaben abnehmen, die eine gewisse Belastung darstellen und uns von wichtigeren Dingen abhalten. Unsere neurologischen Schwächen, etwa Vergesslichkeit und Betriebsblindheit, werden durch Informationssysteme kompensiert, die genau auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten sind. Wir werden nicht nur Gedächtnisstützen wie Kalender und To-do-Listen verwenden, sondern auch Hilfsmittel bei sozialen Fragen: Wenn wir bei der Erledigung einer bestimmten Aufgabe Unterstützung benötigen, stellen sie automatisch einen Kontakt zu Freunden oder Bekannten her, die über das entsprechende Fachwissen verfügen.

Mit Hilfe dieser integrierten Systeme, die wir im Berufs- wie im Privatleben einsetzen, können wir unsere Zeit effektiver nutzen, zum Beispiel um nachzudenken, eine wichtige Präsentation vorzubereiten oder ungestört an einer Schulveranstaltung unserer Kinder teilzunehmen. Die herkömmlichen Suchmaschinen werden zu Vorschlagsmaschinen, die Nutzern alternative Suchbegriffe anbieten, um das Gesuchte schneller zu finden. Sie werden die Effizienz insbesondere steigern, indem sie unseren Denkprozess stimulieren und unsere Kreativität fördern statt hemmen. Natürlich werden wir von vielen Geräten umgeben sein. Beispielsweise werden wir mit Hilfe von Holographien eine virtuelle Version unserer selbst an andere Orte schicken können. Die Informationsflut wird weiter zunehmen, und wir werden endlose Möglichkeiten haben, unsere Zeit zu vertrödeln. Aber wir werden auch produktiver sein, wenn wir es wollen.

Auch auf Gebieten wie der Robotertechnik, der künstlichen Intelligenz und der Stimmerkennung befinden sich Entwicklungen in der Pipeline, die unser Leben effizienter machen und Technologie nahtlos in unseren Alltag einfügen werden. Vollautomatisierte, menschenähnliche und mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Roboter werden wohl für die meisten Menschen noch lange unerschwinglich bleiben, doch die Durchschnittsverbraucher in den Industrienationen werden sich bald eine Reihe von Multifunktionsrobotern leisten können. Geräte wie der Staubsaugerroboter Roomba von iRobot, der erste der sogenannten Dienstroboter, der 2002 auf den Markt kam, werden weiterentwickelt und werden neue Funktionen anbieten. Künftige Geräte werden spielend auch andere Haushaltsaufgaben übernehmen oder einfache Reparaturen ausführen.

Verbesserte Stimmerkennungssoftware wird nicht zu unterschätzende Auswirkungen auf unseren Alltag haben. Suchmaschinen und Roboter lassen sich schon heute per Sprachbefehl steuern, doch verbesserte Stimmerkennung bedeutet, dass wir sämtliche Texte wie E-Mails, Notizen, Vorträge oder Schulaufsätze einfach diktieren werden. Da die meisten Menschen schneller sprechen, als sie tippen, wird uns diese Technologie im Alltag viel Zeit und so manchen Tennisarm ersparen. Der Wechsel zum Diktat könnte unsere Schriftkultur völlig verändern: Werden wir lernen, in ausformulierten Sätzen zu sprechen, oder werden unsere Texte unsere gesprochene Sprache imitieren?

Der Einzug der Gestenerkennungstechnik in den Alltag ist näher, als wir glauben. Kinect ist ein Sensor der Firma Microsoft, mit dem sich Videospiele über Körperbewegungen steuern lassen. Das Gerät kam Ende 2010 auf den Markt und hält den Rekord für das am schnellsten verkaufte elektronische Gerät aller Zeiten: In den ersten zwei Monaten nach Markteinführung wurden mehr als acht Millionen Exemplare verkauft. Die Gestensteuerung wird jedoch bald auch in anderen Bereichen zum Einsatz kommen: Die futuristischen Informationsbildschirme, die im Science-Fiction-Film Minority Report zu sehen sind (hier klärt der Protagonist, dargestellt von Tom Cruise, mit Hilfe von Gestentechnologie und Holographie künftige Verbrechen auf), sind erst der Anfang. In Wirklichkeit sind wir inzwischen sehr viel weiter – die wirklich spannende Herausforderung besteht heute darin, «Sozialroboter» zu entwickeln, die menschliche Gesten erkennen und auf sie reagieren können.[19] Dazu gehören zum Beispiel Spielzeughunde, die sich setzen, wenn ein Kind die entsprechende Geste macht. Blicken wir weiter in die Zukunft, werden wir nicht einmal mehr Gesten benötigen, um Roboter zu steuern. In jüngster Zeit wurden auf dem Gebiet der Gedankensteuerung eine Reihe faszinierender Durchbrüche erzielt. Im Jahr 2012 zeigte ein Team eines japanischen Roboterlabors, dass eine Versuchsperson in einem fMRT-Scanner (der Blutströme im Gehirn misst) einen Hunderte Kilometer entfernten Roboter steuern konnte, indem sie sich vorstellte, verschiedene Körperteile zu bewegen.[20] Mit Hilfe einer Kamera im Kopf des Roboters sah die Versuchsperson die Welt aus dessen Sicht, und wenn sie sich vorstellte, ihren Arm oder ihr Bein zu bewegen, reagierte der Roboter fast augenblicklich. Die Gedankensteuerung lässt sich natürlich nicht nur auf Roboter anwenden, sondern auch auf Prothesen. Diese Entwicklung bedeutet neue Hoffnung für Querschnittgelähmte, Menschen mit Behinderungen oder mit Lock-in-Syndrom, die sich in ihrem gegenwärtigen körperlichen Zustand weder bewegen noch kommunizieren können.

Mehr Innovation, mehr Chancen

Der stetige Prozess der Globalisierung setzt sich mit der zunehmenden Vernetzung fort und wird sogar noch beschleunigt. Trotzdem wird die Welt durch die technologische Entwicklung sowie die Vernetzung über Ländergrenzen hinweg noch kleiner werden, als Sie vielleicht annehmen. Simultanübersetzung, die Zusammenarbeit in virtuellen Räumen und die kollektive Textproduktion in Echtzeit – heute als Wiki bekannt – wird die Kooperation zwischen Unternehmen und ihren Partnern, Kunden und Mitarbeitern revolutionieren. Es mag sein, dass sich manche Unterschiede wie kulturelle Differenzen oder Zeitzonen nie vollständig überwinden lassen, doch durch neue Plattformen wird die Zusammenarbeit mit Menschen aus anderen Kulturen nahezu natürlich werden.

Die Zulieferketten für Unternehmen und andere Organisationen werden zunehmend zergliedert. Dies gilt für die Produktion genauso wie für die Arbeitnehmer. Effektivere Kommunikation über Kultur- und Sprachgrenzen hinweg wird Vertrauen herstellen und damit tüchtigen und talentierten Menschen in aller Welt neue Arbeitsmärkte eröffnen. Es wird nicht mehr ungewöhnlich sein, wenn ein französischer Technologiekonzern seinen Vertrieb in Südostasien, seine Personalabteilung in Kanada und seine Ingenieure in Israel hat. Bürokratische Hindernisse wie Einreisebestimmungen und die Regulierung des Geldtransfers, die die dezentralisierte Zusammenarbeit noch erschweren, werden entweder irrelevant oder lassen sich durch neue digitale Lösungen umgehen. Menschenrechtsorganisationen, die ihre Mitarbeiter in sanktionierte Länder schicken, könnten diese beispielsweise mit Mobile-Payment oder in elektronischen Währungen bezahlen.

Da immer mehr Tätigkeiten keine physische Anwesenheit erfordern, stehen talentierten Menschen immer mehr Betätigungsfelder offen. Beispielsweise könnten sich hochqualifizierte Uruguayer neben Konkurrenten aus Kalifornien um dieselbe Stelle bewerben. Zwar lassen sich nicht alle Arbeiten aus der Ferne durchführen, doch es sind mehr, als wir denken. Für Menschen, die mit ein paar Dollar pro Tag auskommen müssen, gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, ihr Einkommen aufzubessern. Der Mechanical Turk von Amazon, ein digitaler Crowdsourcing-Marktplatz, bietet jedem Menschen mit einem Internetanschluss die Möglichkeit, kleine Aufgaben zu erledigen. Mit der verbesserten Qualität der virtuellen Interaktionen wird dieses Portal weitere Dienstleistungen anbieten. Vielleicht wird man über Amazon eines Tages einen Anwalt aus einem Land und eine Immobilienmaklerin aus einem anderen engagieren können. Globalisierungskritiker werden dies zwar als Angriff auf die nationalen Märkte verurteilen, doch wir sollten diese Möglichkeit wahrnehmen, denn nur so bleiben unsere Länder wettbewerbsfähig und innovativ. Die zunehmende Vernetzung könnte einigen Ländern im Gegenteil helfen, ihre Wettbewerbsvorteile zu entdecken – vielleicht kommen die besten Designer der Welt aus Botswana, und es hat nur noch niemand bemerkt.

Diese zunehmende Chancengleichheit für Talente gilt auch auf dem Gebiet der Ideen. Mit der verstärkten Vernetzung wird die Innovation immer mehr nicht nur von den traditionellen Wachstumshochburgen ausgehen. Menschen an der Peripherie werden ihre einmalige Sicht zur Lösung schwieriger Probleme einbringen und zum Motor von Veränderungen werden. Ein neues Maß der Zusammenarbeit und des internationalen Austauschs wird dafür sorgen, dass die besten Ideen und Lösungen eine Chance haben, entdeckt, erprobt, gefördert und übernommen zu werden. Vielleicht entwickelt ein russischer Programmierer, der heute als Lehrer in Nowosibirsk arbeitet, eine neue Anwendung für das Programm des beliebten Computerspiels «Angry Birds» und sieht eine Möglichkeit, es als Lerntool in seinem Physikunterricht einzusetzen. Er findet ähnliche Open-Source-Anwendungen und schreibt diese für seine Zwecke um. Die internationale Open-Source-Bewegung wird sich ausweiten, weshalb der russische Informatiker eine immense Auswahl an Programmen hat, von denen er lernen und die er in seine eigenen Anwendungen integrieren kann. (Für Behörden und Unternehmen bedeutet der Einsatz der Open-Source-Programme eine deutliche Kostenersparnis und für ihre Entwickler Anerkennung und wirtschaftliche Perspektiven.) In einer voll vernetzten Welt hat er gute Aussichten, die Aufmerksamkeit der richtigen Leute zu wecken, eine andere Arbeitsstelle oder ein Stipendium zu finden oder seine Programme an ein multinationales Unternehmen zu verkaufen. Zumindest hat er eine Chance, sich beruflich zu verbessern.

Innovation kann zwar von unten nach oben erfolgen, doch längst nicht alle regionalen Erfinder arbeiten international. Viele Unternehmen und Innovatoren werden nach wie vor für Kunden vor Ort arbeiten und ortsspezifische Probleme lösen. Ein Beispiel ist der 24-jährige kenianische Erfinder Anthony Mutua, der im Jahr 2012 auf der Wissenschaftsmesse von Nairobi einen ultradünnen Kristallchip vorstellte, der bei Druckeinwirkung Strom erzeugt.[21] Er baute seinen Chip in eine Schuhsohle ein und demonstrierte, wie sich so beim Laufen zum Beispiel der Akku eines Handys aufladen lässt. (Mutuas Chip, der Menschen zu mobilen Ladestationen macht, erinnert uns daran, wie viele Menschen noch immer keinen Zugang zu verlässlicher und kostengünstiger Stromversorgung haben, weil es manche Regierungen nicht eilig haben, Stromnetze auszubauen oder zu reparieren.) Dieser Chip wird demnächst in Serienproduktion gehen, und wenn sein Gerät damit erschwinglich wird, ist Mutua der Erfinder eines der intelligentesten Produkte, das ausschließlich in Entwicklungsländern zum Einsatz kommt, weil es anderswo nicht benötigt wird. Leider bleibt der Zugang der Menschen zur Technologie von äußeren Faktoren abhängig. Selbst wenn Behörden oder Bürger das Problem der Stromversorgung irgendwann in den Griff bekommen sollten, ist noch nicht absehbar, ob nicht neue Hindernisse bestimmte Gruppen daran hindern werden, sich zu vernetzen und dieselben Chancen wahrzunehmen wie andere.

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Bildung ist die wichtigste Säule von Innovation und Chancengleichheit. Auch hier werden wir in den kommenden Jahrzehnten gewaltige Fortschritte erleben, denn die zunehmende Vernetzung wird herkömmliche Routinen aufbrechen und neue Lernchancen eröffnen. Die meisten Schüler werden zu Meistern im Umgang mit Technik, denn Schulen werden Technologie in den Lehrplan aufnehmen und in vielen Fällen den herkömmlichen Unterricht durch interaktive Workshops ersetzen. Bildung wird flexibler und passt sich an die Bedürfnisse und das Lerntempo der Kinder an, nicht umgekehrt. Kinder werden zwar nach wie vor in klassischen Schulgebäuden unterrichtet werden, wo sie mit anderen Schülern in Kontakt kommen und von Lehrern angeleitet werden, doch ein großer Teil des Unterrichts wird durch sorgfältig entwickelte Lerninstrumente erfolgen, wie sie die Khan Academy schon heute verwendet.[22] Es handelt sich um eine gemeinnützige Organisation, die Tausende Lernfilme (vor allem über Mathematik und naturwissenschaftliche Fächer) produziert hat und diese kostenlos im Internet zur Verfügung stellt. Der YouTube-Kanal der Khan Academy ist inzwischen Hunderte Millionen Mal besucht worden, und auch in den Vereinigten Staaten verwenden immer mehr Lehrer die Lernmodule und den schülerzentrierten Unterrichtsansatz des Gründers Salman Khan. Einige Lehrer kehren sogar Unterricht und Hausaufgaben um: Sie lassen ihre Schüler die Videos zu Hause ansehen und nutzen die Unterrichtszeit, um gemeinsam Hausaufgaben zu machen und Aufgaben zu lösen.[23] Wenn der Unterricht durch digitale Instrumente (zum Beispiel die ausgezeichneten Einträge der Wikipedia) seine Bedeutung als klassisches Werkzeug der Wissensvermittlung verliert, werden kritisches Denken und Problemlösungen in den Mittelpunkt der Schulstunden rücken.

Auch für Kinder in armen Ländern bedeutet die künftige Vernetzung einen deutlich verbesserten Zugang zu Lernmitteln, wenn auch nicht auf dem eben beschriebenen Niveau. Die Unterrichtsräume werden nach wie vor in miserablem Zustand sein, Lehrer werden ihre Gehälter kassieren, ohne zum Unterricht zu erscheinen, und Bücher und andere Lernmaterialien werden knapp bleiben. Doch die Vernetzung verspricht Kindern mit Internetzugang die Möglichkeit, Unterricht physisch und virtuell zu erfahren, auch wenn Letzteres eher informeller Natur sein wird.

In Krisengebieten oder in Ländern, in denen der Staat die Grundbedürfnisse nicht ausreichend decken kann, bieten einfache digitale Geräte wie Mobiltelefone eine sichere und kostengünstige Bildungsmöglichkeit. Ein Kind, das aufgrund der Entfernung, der Unsicherheit oder der hohen Gebühren keine Schule besucht, kann mit einem Mobiltelefon Verbindung zur Welt des Wissens aufnehmen. Selbst ohne Zugang zum Internet können Kinder über einfache mobile Dienstleistungen wie SMS oder IVR (Interactive Voice Response, ein Sprachdialogsystem mit Stimmerkennungstechnologie) Bildungsangebote nutzen. Wenn Tablets und Mobiltelefone bereits mit vorinstallierten Bildungsprogrammen in den Handel kommen, können auch Menschen ohne verlässlichen Internetzugang sich mit Hilfe dieser Geräte weiterbilden. Und Kinder, die in überfüllten oder personell unterbesetzten Schulen lernen müssen oder die in Ländern mit bedenklich reduziertem Lehrplan leben, können durch mobile Geräte ihre Bildung ergänzen und unabhängig von ihrer Herkunft ihr Potenzial ausschöpfen. Heute gibt es in Entwicklungsländern verschiedene Pilotprojekte, die mit Mobiltechnologie eine große Bandbreite von Fächern und Fähigkeiten vermitteln: Sie werden zur Alphabetisierung von Kindern und Erwachsenen genauso eingesetzt wie für Sprachkurse und für den Unterricht an Universitäten. Im Jahr 2012 führte das MIT Media Lab ein Projekt in Äthiopien durch[24], in dessen Rahmen es Tablets mit vorinstallierten Lernprogrammen an Grundschulkinder ausgab, und zwar ohne Anleitung oder Lehrpersonal.[25] Die Ergebnisse waren erstaunlich: Innerhalb weniger Monate schrieben die Kinder vollständige Sätze auf Englisch. Aufgrund der mangelnden Vernetzung sind die Möglichkeiten für solche und ähnliche Projekte zwar noch begrenzt, doch das wird sich ändern, wenn in Zukunft die Vernetzung alle erreicht.

Stellen Sie sich nur vor, welche Möglichkeiten diese mobilen Lernportale für Menschen in Afghanistan bedeuten könnten, das bis heute zu den Ländern mit der höchsten Analphabetenquote zählt.[26] Digitale Plattformen, ob in einfacher mobiler Form oder in komplexeren Internetanwendungen, trotzen den Turbulenzen in der Umwelt (seien es politische Unruhen, wirtschaftlicher Zusammenbruch und vielleicht sogar ungnädiges Klima) und bleiben den Nutzern erhalten. Wo die physischen Bildungssysteme störungsanfällig sind, wird der virtuelle Unterricht zur wichtigeren und verlässlicheren Option. Kinder, die mit einem Bildungssystem mit reduzierten Lehrplänen oder antiquierten Lernmethoden aufwachsen, erhalten Zugang zu einer virtuellen Welt, die unabhängiges Lernen und kritisches Denken ermöglicht.

Mehr Lebensqualität

Mit den vielfältigen Fortschritten im Alltag wird die künftige Vernetzung auch eine erhebliche Steigerung der Lebensqualität bringen, in Form von Geräten, die ein gesünderes, sichereres und produktiveres Leben ermöglichen. Wie auch in anderen Bereichen werden nicht alle Menschen gleichermaßen Zugang zu diesen Verbesserungen haben, aber das macht sie nicht weniger bedeutsam.

Die verschiedenen Geräte, Bildschirme und Maschinen in der Wohnung der Zukunft werden nicht nur nützlich sein, sondern Unterhaltung, Ablenkung, geistige und kulturelle Bereicherung, Entspannung und soziale Kontakte bieten. Der entscheidende Fortschritt liegt in der Personalisierung. Wir werden in der Lage sein, unsere Geräte und die gesamte Technologie in unserer Umwelt exakt auf unsere Bedürfnisse zuzuschneiden, um unsere ganze Umgebung unseren Wünschen anzupassen. Es wird uns besser gelingen, unsere Erinnerungen zu «verwalten», ohne dazu physische oder Online-Fotoalben zu verwenden. Mit Hilfe der künftigen Videotechnik und Fotografie werden wir jedes bewegte oder unbewegte Bild, das wir je aufgenommen haben, als dreidimensionale Holographie darstellen können. Mehr noch, wir können jedes beliebige Bild oder Video und jede geographische Kulisse in Holographie-Projektoren speisen und unser Wohnzimmer augenblicklich in einen Erinnerungsraum verwandeln. So könnte beispielsweise ein frischvermähltes Paar seine Hochzeitsfeier den Großeltern präsentieren, die aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen konnten.

Was Sie auf Ihren verschiedenen Bildschirmen (ob Flüssigkristall, Holographien oder Handybildschirmen) sehen, entscheiden nicht die Fernsehanstalten, sondern Sie selbst. Zur Auswahl haben Sie die ganze Welt der digitalen Inhalte, ständig aktualisiert und so geordnet und kategorisiert, dass Sie die Musik, Filme, Sendungen, Bücher, Zeitschriften, Blogs und Kunstwerke finden, die Ihrem Geschmack entsprechen. Die Auswahl aus Informations- und Unterhaltungsangeboten wird größer sein denn je. Inhalte werden in einheitlicheren und offeneren Plattformen angeboten werden, da neue Geschäftsmodelle nötig sind, um das Publikum zu halten. Dienstleister wie Spotify, ein Musik-Stream-Anbieter mit einem riesigen Katalog kostenloser Musik, geben uns bereits heute einen kleinen Vorgeschmack auf die Zukunft: eine grenzenlose Auswahl an kostenlosen oder günstigen Inhalten, die jederzeit und mit fast jedem Gerät abrufbar sind und mit neuen Honorarmodellen für die Urheber operieren. Auch für die Produzenten von Inhalten werden die traditionellen Barrieren niedriger; schon jetzt bringt YouTube Berühmtheiten hervor, und in Zukunft wird es mehr Portale geben, über die Künstler, Schriftsteller, Regisseure, Musiker und andere Kulturschaffende in aller Welt ein größeres Publikum erreichen können. Natürlich sind nach wie vor Talent und Können nötig, um qualitativ hochwertige Inhalte zu schaffen, doch es wird einfacher werden, ein Team aus Menschen mit den erforderlichen Fähigkeiten zusammenzustellen – zum Beispiel einen Zeichner aus Südkorea, eine Sprecherin von den Philippinen, einen Drehbuchautor aus Mexiko und eine Musikerin aus Kenia. Das fertige Produkt hat möglicherweise das Zeug, genauso viele Zuschauer zu erreichen wie eine Hollywoodproduktion.

Die Unterhaltung wird in Zukunft persönlicher werden und die Nutzer in eine andere Welt eintauchen lassen. Im Vergleich mit den künftigen Produkteinbindungen wird das heutige Product Placement passiv und plump wirken. Wenn Sie in einer Fernsehsendung einen Pullover sehen, der Ihnen gefällt, oder wenn Sie ein Gericht nachkochen wollen, sind Informationen wie Bezugsquellen und Rezepte sofort verfügbar, neben allen anderen Informationen über die Sendung, Geschichte, Darsteller und Drehorte. Sie sind gelangweilt und wollen einen einstündigen Urlaub einschieben? Warum schalten Sie nicht einfach Ihr Hologerät ein und besuchen den Karneval in Rio? Sie sind gestresst? Verbringen Sie doch ein wenig Zeit an einem Strand auf den Malediven! Sie haben Angst, dass Ihre Kinder zu verwöhnten Gören werden? Schicken Sie sie doch zu einem Spaziergang durch die Slums von Mumbai! Sie sind enttäuscht von den Übertragungen der Olympischen Spiele? Kaufen Sie zu einem vernünftigen Preis ein holographisches Ticket und lassen Sie die Bodenturnerinnen live in Ihrem Wohnzimmer antreten! Mit Hilfe von VR-Schnittstellen und Holographie-Projektoren können Sie an den Wettbewerben «teilnehmen» und bekommen das Gefühl, wirklich in der ersten Reihe zu sitzen. Natürlich ist nichts schöner als die Wirklichkeit, aber die neuen Technologien werden sehr nahe dran sein, und vor allem sind sie günstiger. Dank der neuen Technik werden Sie angeregter oder entspannter sein als je zuvor.

Sie werden auch sicherer sein, zumindest auf der Straße. Einige der faszinierendsten neuen Transportmöglichkeiten wie Überschallpendelzüge oder Reisen im Weltall liegen zwar noch in ferner Zukunft, doch fahrerlose Autos werden schon bald Wirklichkeit. Googles Flotte von autonomen Fahrzeugen, die von Ingenieuren von Google und der Stanford University entwickelt wurden, ist Hunderttausende Kilometer unfallfrei gefahren, und weitere Modelle werden bald folgen. In einem ersten Schritt werden die Fahrer noch nicht vollständig ersetzt, sondern nur von der Technik unterstützt, und der Autopilot lässt sich wie im Flugzeug noch abschalten. Die Behörden haben das Potenzial dieser Autos bereits erkannt: Im Jahr 2012 wurden sie zunächst im amerikanischen Bundesstaat Nevada zugelassen, und Kalifornien folgte wenig später.[27] Stellen Sie sich vor, was dies für Langstreckentransporte bedeuten könnte: Statt in 30-stündigen Nonstopfahrten die Belastungsfähigkeit der menschlichen Fahrer zu testen, könnten die Computer das Steuer übernehmen, während sich die Fahrer ausruhen.

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Von allen Umwälzungen sind die Fortschritte in Gesundheit und Medizin vielleicht die entscheidendsten. Dank der zunehmenden Vernetzung werden sie mehr Menschen als jemals zuvor erreichen. Die Weiterentwicklung bei Diagnose, Behandlung, Verwaltung von medizinischen Daten und individueller Gesundheitsbetreuung versprechen Milliarden von Menschen besseren Zugang zu medizinischer Versorgung.

Die Möglichkeit, mit Ihrem Handy eine Diagnose zu stellen, werden Sie schon bald nicht mehr missen wollen. Natürlich werden Sie in der Lage sein, Körperteile zu scannen, als handele es sich um Strichcodes. Schon bald werden wir eine ganze Reihe von Geräten nutzen, mit denen wir unseren Gesundheitszustand überprüfen können, zum Beispiel Mikroroboter, die in die Blutbahn gespritzt werden und Blutdruck messen, drohende Herzkrankheiten erkennen und Krebs im Frühstadium entdecken. In der neuen Titanhüfte Ihres Großvaters befindet sich ein Chip, der als Schrittzähler funktioniert, den Insulinspiegel misst und automatisch einen Notruf tätigt, wenn Ihr Opa stürzt und Hilfe benötigt. Sie können sich ein Nasenimplantat einsetzen lassen, das Sie auf Giftstoffe in der Luft und erste Anzeichen einer Erkältung aufmerksam macht.

Diese Geräte werden irgendwann so normal sein wie ein Herzschrittmacher, der erstmals in den 1950er Jahren eingesetzt wurde. Sie werden nichts sein als die logische Fortsetzung der Gesundheits-Apps unserer heutigen Smartphones, mit denen wir unsere Fitnessprogramme kontrollieren, unseren Stoffwechsel kontrollieren oder den Cholesterinspiegel überwachen. Gesundheitstechnologie zum Schlucken gibt es sogar schon heute: Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA hat im Jahr 2012 die erste elektronische Pille zugelassen.[28] Sie wird von dem biomedizinischen Unternehmen Proteus Digital Health in Kalifornien produziert und trägt einen quadratmillimetergroßen Sensor.[29] Im Magen wird sein Schaltkreis von der Magensäure aktiviert und sendet Signale zu einem Pflaster, das am Körper getragen wird und die Daten wiederum an ein Handy weiterleitet.[30] Das Pflaster kann Informationen über die Reaktion eines Patienten auf ein bestimmtes Medikament analysieren, indem es die Körpertemperatur, Herzfrequenz und andere Daten sammelt.[31] Darüber hinaus kann es Daten über die regelmäßige Einnahme an Ärzte weitergeben und sogar aufzeichnen, welche Nahrung ein Patient zu sich nimmt.[32] Vor allem für chronisch Kranke und Alte bedeutet diese Technologie einen erheblichen Fortschritt: Sie werden automatisch daran erinnert, ihre Medikamente einzunehmen, können die Wirkung von Arzneimitteln im Körper beobachten und werden persönlich und datengestützt durch Ärzte überwacht. Nicht jeder verspürt den Wunsch, seine Gesundheit in diesem Maße selbst zu kontrollieren, und in Zukunft wird dies noch detaillierter möglich sein, doch viele begrüßen, dass zumindest ihr Arzt Zugang zu diesen Daten hat. «Intelligente Pillen» und Nasenimplantate werden so erschwinglich sein wie Vitamintabletten. Bald werden wir auf unseren Smartphones persönliche Gesundheitssysteme verwenden können, die mit Hilfe der eben genannten Geräte Daten sammeln, uns frühzeitig auf mögliche Probleme hinweisen, Termine bei Ärzten in der näheren Umgebung vorschlagen und schließlich (natürlich nur mit unserer Einwilligung) Informationen über Symptome und Indikatoren an den behandelnden Arzt schicken.

Gewebeingenieure werden in der Lage sein, aus synthetischen Materialien oder dem Gewebe der Patienten neue Organe zu züchten und damit alte oder kranke zu ersetzen.[33] Zunächst werden allerdings die Kosten einer weiten Verbreitung im Weg stehen. Synthetische Hauttransplantate, wie sie Brandopfer schon heute erhalten, werden durch Transplantate aus eigenen Zellen der Betroffenen ersetzt. In Krankenhäusern werden Roboter immer mehr Aufgaben übernehmen, Chirurgen werden schwierige oder ermüdende Arbeiten zunehmend an hochentwickelte Maschinen abgeben.[1]

Fortschritte bei der Genanalyse werden die Ära der Individualmedizin einläuten. Dank gezielter Tests und Genomsequenzierungen stehen den Ärzten und Gesundheitsexperten mehr Daten über die Patienten und mögliche Behandlungsformen zur Verfügung als je zuvor.[34] Obwohl die Medizin große Fortschritte macht, sind heftige Nebenwirkungen von Medikamenten nach wie vor eine der häufigsten Todesursachen. Noch entwickeln Arzneimittelhersteller Medikamente «von der Stange», doch dies wird sich mit den weiteren Entwicklungen auf dem Gebiet der noch jungen Pharmakogenetik ändern.[35] Bessere Gentests reduzieren die Wahrscheinlichkeit negativer Reaktionen, verbessern die Genesungschancen der Patienten und geben Ärzten und Forschern mehr Daten, die sie analysieren und nutzen können. Schließlich wird es möglich sein, Medikamente herzustellen, die auf die Genstruktur der Patienten zugeschnitten ist. Zunächst werden nur die Reichen davon profitieren, doch auch das wird sich ändern, wenn der Preis einer Genomsequenzierung unter 100 Dollar sinkt. Dann wird ein größerer Teil der Weltbevölkerung in den Genuss der hochspezifischen, individualisierten Diagnosen kommen.

Auch Menschen in Entwicklungsländern können durch Vernetzung und den Zugang zur virtuellen Welt ihre Lebensqualität verbessern, vor allem hinsichtlich ihrer Gesundheit.Obwohl die Versorgung in ihrer physischen Umwelt nach wie vor unzureichend sein wird, weil Impfstoffe fehlen und das Gesundheitswesen insgesamt mangelhaft ist, und obwohl auch äußere Faktoren (zum Beispiel Flucht vor Bürgerkriegen) die Infrastruktur zusammenbrechen lassen können, kann der innovative Einsatz von Mobiltelefonen eine erhebliche Verbesserung der medizinischen Versorgung bedeuten. Hinter dieser Entwicklung stehen vor allem Einzelne und Nichtregierungsorganisationen, die jede Chance ergreifen, um in den stagnierenden Systemen Veränderungen zu bewirken. Das lässt sich schon heute beobachten: In den Entwicklungsländern sorgt die «mobile Gesundheitsrevolution»[36] – der Einsatz von Handys, um den Kontakt zwischen Patienten und Ärzten herzustellen, die Arzneimittelverteilung zu überwachen und das Einzugsgebiet von Kliniken zu vergrößern – für spürbare Fortschritte, weil eine Reihe von Start-ups, gemeinnützigen Organisationen und Unternehmen die Technologie nutzen, um schwierige Probleme zu lösen. Mit Hilfe von Mobiltelefonen lassen sich Medikamentenlieferungen verfolgen und die Echtheit der Mittel bestätigen.[37] Man kann vor Ort nicht verfügbare Gesundheitsinformationen beschaffen sowie Patienten an die Einnahme von Medikamenten oder an Termine erinnern. Außerdem lassen sich Daten über Gesundheitsindikatoren sammeln, die wiederum Behörden, Nichtregierungsorganisationen und andere Akteure verwenden können, um ihre Programme zu gestalten. Die zentralen Probleme der medizinischen Versorgung in armen Ländern – Ärztemangel, Unterversorgung der Patienten in abgelegenen Regionen, fehlende Medikamente, ineffiziente Verteilung oder mangelnde Aufklärung über Impfungen und Prävention von Krankheiten – lassen sich durch die Vernetzung wenigstens zum Teil beheben.

Zumindest geben Mobiltelefone den Menschen größere Handlungsmöglichkeiten in Gesundheitsfragen, auch wenn die Geräte selbst natürlich noch keine Krankheiten heilen können. Über ihre Handys können sich die Menschen über Prävention oder Behandlungsformen informieren. Sie werden die in ihr Telefon eingebauten einfachen Diagnoseinstrumente verwenden können – keine Röntgenstrahlen, sondern einfache Kameras und Mikrofone. Beispielsweise kann ein Patient seine Wunde fotografieren oder seinen Husten aufnehmen und diese Information an eine Ärztin schicken, um mit ihr auch über größere Distanz effizient, kostengünstig und vertraulich zu kommunizieren. Digitale Lösungen wie diese sind zwar kein Ersatz für ein funktionierendes Gesundheitswesen, doch sie können neue Informationen zur Verfügung stellen und Interaktion ermöglichen, die ein großes und seit Jahrhunderten bestehendes Problem zumindest ein wenig erleichtern.

Das Leben der Reichen

Die Vernetzung nutzt allen. Wer heute noch nicht vernetzt ist, wird es in Zukunft ein wenig sein, und wer heute sehr gut vernetzt ist, der wird es in Zukunft noch besser sein. Um zu zeigen, wie das Leben in einigen Jahrzehnten aussehen kann, stellen Sie sich vor, Sie seien eine junge Führungskraft in einer westlichen Großstadt. So könnte ein ganz normaler Morgen aussehen:

Es klingelt kein Wecker, zumindest keiner wie Sie ihn heute kennen. Stattdessen weckt Sie der Duft von frisch gebrühtem Kaffee, das Licht, das zwischen den automatisch geöffneten Vorhängen ins Zimmer strömt, und eine sanfte Rückenmassage Ihres Hightech-Betts. Sie wachen erfrischt auf, denn in Ihrer Matratze befindet sich ein Sensor, der Ihren Schlafrhythmus beobachtet und Sie so weckt, dass Sie nicht aus einer Tiefschlafphase gerissen werden.

Ihre Wohnung ist ein elektronisches Orchester, und Sie sind der Dirigent. Mit einer einfachen Handbewegung und gesprochenen Befehlen können Sie die Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Musik und Beleuchtung regeln. Auf einem durchsichtigen Bildschirm überfliegen Sie die Nachrichten des Tages, während Ihr automatisierter Kleiderschrank Ihnen einen frisch gebügelten Anzug bereitstellt, weil Ihr Kalender für heute einen wichtigen Termin verzeichnet. Auf dem Weg zum Frühstück in der Küche schwebt der durchsichtige Bildschirm, gelenkt durch Bewegungsmelder in den Wänden, als Holographie direkt vor Ihnen her. Sie nehmen sich eine Tasse Kaffee und ein frisch aufgebackenes Hörnchen aus Ihrem vollautomatisierten Ofen und überfliegen Ihre E-Mails auf dem Bildschirm. Ihr zentraler Computer schlägt eine Reihe von Hausarbeiten vor, die Ihre Dienstroboter heute erledigen sollten, und Sie stimmen allen Vorschlägen zu. Außerdem stellt er fest, dass Ihnen am kommenden Mittwoch der Kaffee ausgehen wird, und empfiehlt Ihnen eine Kaffeesorte, die zurzeit in einem Onlineshop im Angebot ist. Alternativ bietet er Ihnen Besprechungen von einigen Kaffeemischungen an, die Ihre Freunde trinken.

Während Sie noch über diese Optionen nachdenken, rufen Sie Ihre Aufzeichnungen für die Präsentation auf, die Sie später vor wichtigen Klienten im Ausland halten werden. Sie können Ihre privaten und beruflichen Daten problemlos über alle Ihre Geräte abrufen, da sie in der Cloud abgelegt sind, einem Onlinespeicher mit nahezu grenzenloser Kapazität. Sie besitzen diverse austauschbare digitale Geräte – von der Größe eines Tablets oder einer Taschenuhr – sowie einige, die Sie am Körper tragen. Alle sind um ein Vielfaches leichter, schneller und leistungsstärker als alles, was Sie heute kennen.

Sie trinken noch einen Schluck Kaffee und sind zuversichtlich, was das Treffen mit Ihren Kunden angeht. Obwohl Sie ihnen nie persönlich begegnet sind, haben Sie das Gefühl, sie bereits zu kennen. Mit Hilfe einer Virtual-Reality-Schnittstelle haben Sie sich schon kennengelernt, indem Sie mit holographischen Avataren, die die Gesten und Aussagen Ihrer Gesprächspartner genauestens wiedergeben, kommunizierten. Wenn Sie Ihre Geschäftspartner und deren Bedürfnisse so gut verstehen, dann haben Sie das auch der autonomen Übersetzungssoftware zu verdanken, die jede Aussage perfekt und nahezu ohne Verzögerung übersetzt. Virtuelle Echtzeitkommunikation wie diese sowie die Möglichkeit, gemeinsam Dokumente und Projekte zu bearbeiten, lassen die räumliche Distanz fast verschwinden.

Auf dem Weg aus der Küche stoßen Sie sich am Küchenschrank den großen Zeh an – autsch. Nachdem Sie sich ein wenig erholt haben, nehmen Sie Ihr mobiles Gerät und öffnen die Diagnose-App. In Ihrem Apparat befindet sich ein winziger Chip, der Ihren Körper mit Mikrowellen scannt.[38] Ein kurzer Check ergibt, dass Ihre Zehe lediglich verstaucht ist und Sie sich nichts gebrochen haben. Ihr Gerät schlägt Ihnen vor, einen Termin bei einem Arzt in der Nähe zu machen, doch Sie lehnen ab.

Sie haben noch ein bisschen Zeit, ehe Sie aus dem Haus müssen – natürlich fahren Sie mit einem fahrerlosen Auto zur Arbeit. Ihr Wagen kennt Ihren Kalender und weiß, wann Sie jeden Morgen im Büro sein müssen; nach einer Auswertung der Verkehrslage kommuniziert es mit Ihrer Armbanduhr: Sie haben noch sechzig Minuten bis zum Aufbruch. Ihre Fahrt zur Arbeit können Sie so produktiv oder so entspannend gestalten, wie Sie wünschen.

Bevor Sie aufbrechen, erinnert Sie Ihr Gerät daran, dass Sie noch ein Geburtstagsgeschenk für Ihren Neffen kaufen müssen. Sie überfliegen die Vorschläge, die Ihnen das System macht, aber keiner davon spricht Sie an. Dann erinnern Sie sich an eine Geschichte, die Ihnen seine Eltern erzählt haben, und die alle über Vierzigjährigen zum Totlachen fanden: Ihr Neffe verstand nicht, was mit der alten Ausrede «Der Hund hat meine Hausaufgaben gefressen» gemeint ist. Wie sollte ein Hund eine Datenwolke fressen?[39] Ihr Neffe kennt nur virtuelle Schulbücher und Arbeitsmaterialien und legt seine Hausgaben in seiner Cloud ab, weshalb ihm die Vorstellung absurd vorkam, er könne seine Hausaufgaben «vergessen» und dafür eine derart widersinnige Ausrede erfinden. Also suchen Sie nach einem Roboterhund und kaufen ihn mit einem Klick. Außerdem fügen Sie dem Hund ein paar individuelle Extras hinzu, die dem Geburtstagskind gefallen könnten, zum Beispiel ein verstärktes Titanskelett, damit es auf dem Hund reiten kann. Dann tippen Sie einen Glückwunsch auf das Kartenfeld. Das Geschenk wird maximal fünf Minuten vor oder nach der von Ihnen gewünschten Uhrzeit bei ihm eintreffen.

Sie überlegen, ob Sie noch eine Tasse Kaffee trinken sollen, doch ein haptisches Gerät («Haptik» bezeichnet das körperliche Erspüren oder Ertasten von Größe, Kontur, Textur oder Gewicht) in Ihrer Schuhsohle zwackt Sie und erinnert Sie daran, dass Sie zu spät zu Ihrer Vormittagsbesprechung kommen, wenn Sie nicht bald aufbrechen. Vielleicht nehmen Sie sich auf dem Weg nach draußen noch einen Apfel mit, den Sie auf dem Rücksitz Ihres Autos essen, während es Sie zur Arbeit chauffiert.

Wenn Sie zu den Besserverdienern der Welt gehören (wie die meisten Bewohner westlicher Industrienationen), dann werden Sie Zugang zu diesen neuen Technologien haben, weil entweder Sie oder Ihre Freunde sie benutzen. Vielleicht haben Sie in dieser morgendlichen Routine einiges erkannt, was Sie sich so vorgestellt oder auch schon selbst erlebt haben. Natürlich wird es einige Superreiche geben, die Zugang zu noch fortschrittlicheren Technologien haben; diese Menschen werden wahrscheinlich den Straßenverkehr gänzlich meiden und zum Beispiel mit automatischen Helikoptern zur Arbeit fliegen. Die physische Welt wird auch weiterhin ihre Tücken haben, doch mit der Ausweitung der virtuellen Welt (die um fünf Milliarden Menschen mit ihren Ideen wachsen wird) haben wir neue Möglichkeiten, Informationen zu beschaffen und Ressourcen zu mobilisieren, um diese Probleme zu lösen, auch wenn unsere Lösungen vielleicht nicht perfekt sind. Es wird zwar nach wie vor große Unterschiede zwischen den Menschen geben, doch die neuen Interaktionsmöglichkeiten und eine bessere Politik können dazu beitragen, diese Verschiedenartigkeit auszugleichen.

Der Fortschritt bei der Vernetzung wird Konsequenzen haben, die weit über unseren persönlichen Bereich hinausgehen. In den kommenden Jahrzehnten wird das Verhalten von Einzelnen und Gesellschaften unter anderem dadurch bestimmt werden, inwieweit die physische und die virtuelle Welt friedlich koexistieren, in Konflikt geraten oder einander ergänzen. Dabei wird sich nicht alles zum Guten ändern. In den kommenden Kapiteln sehen wir uns an, wie wir – Einzelpersonen, Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen, Behörden und andere – mit dieser neuen zweigleisigen Lebenswirklichkeit umgehen, und wie wir im neuen Digitalzeitalter das Beste und das Schlechteste dieser beiden Welten mobilisieren werden. Jeder Mensch, jeder Staat und jedes Unternehmen muss seine eigene Formel finden, und wer sich am sichersten durch diese multidimensionale Welt bewegt, wird in Zukunft im Vorteil sein.

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Kapitel 2Die Zukunft von Identität, Zivilgesellschaft und Journalismus

In zehn Jahren wird die Erde mehr virtuelle als physische Bewohner haben. Fast alle Menschen werden über mehrere Online-Identitäten verfügen und sich zu lebendigen, aktiven Gemeinschaften mit ihren gemeinsamen Interessen zusammenschließen, die unsere Welt abbilden und bereichern. Diese Beziehungen werden gewaltige Datenmengen produzieren – manche sprechen deshalb von einer Datenrevolution – und Bürgern bis dahin unvorstellbare Möglichkeiten eröffnen. Bei allen Fortschritten bleibt jedoch ein großes Aber: Die Revolution nimmt uns die Kontrolle über unsere privaten Daten im virtuellen Raum, und dies wiederum hat weitreichende Auswirkungen auf die physische Welt. Das mag nicht in jedem Fall auf jeden Nutzer zutreffen, doch auf der Makroebene wird unsere Welt durch diese Entwicklung spürbar verändert werden. Als Nutzer müssen wir uns entscheiden, welche Maßnahmen wir ergreifen wollen, um die Kontrolle über unsere Privatsphäre und den Schutz unserer Daten wiederzuerlangen.