Die Villen vom Wörthersee - Werner Rosenberger - E-Book

Die Villen vom Wörthersee E-Book

Werner Rosenberger

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Beschreibung

Unvergessliche Sommer am Wörthersee »Unvergesslich sind mir die Sonnentage, das smaragdgrüne Wasser und die entspannte Atmosphäre am lichtflirrenden Wörthersee.« Seit rund 150 Jahren ist Kärntens größter See Bühne für illustre Sommergäste: Adelige und Bürgerliche, Industrielle und Künstler, Schauspielerinnen und Operettenstars tummeln sich zwischen Klagenfurt, Pörtschach und Velden. Nicht nur Johannes Brahms und Gustav Mahler, auch Ian Fleming, Hubert Marischka oder Udo Jürgens wurde der Wörthersee zum Sehnsuchtsort. Bis heute erzählen imposante Villen und pittoreske Häuser am Seeufer vom Leben und Schicksal so manchen Sommergastes. Werner Rosenberger hat zahlreichen namhaften Persönlichkeiten nachgespürt und entführt seine Leserinnen und Leser auf eine atmosphärische Nostalgiefahrt rund um den Wörthersee. Mit zahlreichen Abbildungen Inklusive Entdeckungstouren und Karte

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Seitenzahl: 326

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Werner Rosenberger

Die Villen vom Wörthersee

Wenn Häuser Geschichten erzählen

Mit 66 Abbildungen

Der Umwelt zuliebe #ohnefolie

Besuchen Sie uns im Internet unter: amalthea.at

© 2022 by Amalthea Signum Verlag, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Elisabeth Pirker/OFFBEAT

Umschlagabbildungen: Kartenmotiv: Maria Wörth, 1910/www.alte-ansichten.eu/Klagenfurt-Land; Fotohalter © iStock.com

Karten im Vorsatz: © arbeitsgemeinschaft kartographie

Lektorat: Martin Bruny

Herstellung und Satz: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten

Gesetzt aus der 11/14 pt Minion Pro Regular

Designed in Austria, printed in the EU

ISBN 978-3-99050-207-5

eISBN 978-3-903217-87-4

Inhalt

Am Wörthersee. Villen und Geschichten, Häuser und Schicksale

Gebrauchsanweisung

1 Die Königin der Operette

Tarviser Straße 22–26, Klagenfurt

2 Ein Schloss »wie ein Bürger mit edlem Gesicht«

Lorettoweg 52, Klagenfurt

3 Leer stehendes Geisterhaus und Sorgenkind

Villlacher Straße 338, Klagenfurt

4 Mit dem Schnauferl zum Seefest

Römerweg 5, Krumpendorf

5 Das Sommerhaus des Architekten

Am Hang 6, Krumpendorf

6 Heimkehrer aus dem Nebelland

Strandweg 101, Krumpendorf

7 Ein Seebär, ein Finanzgenie und ein Helfer für den Storch

Parkweg 1, Krumpendorf

8 Sehreise in die Abstraktion

Hauptstraße 232, Krumpendorf

9 Die Frau mit dem Häubchen

Moosburgerstraße 47, Krumpendorf

10 Zuckerhäuschen am See

Hans-Pruscha-Weg 5, Pörtschach

11 »… das entzückend Unmoralische dieses kleinen Ortes …«

Pörtschach

12 Wo der Sommer überwintert

Werzerpromenade 8, Pörtschach

13 Logenplatz mit Blick auf die Karawanken

Hauptstraße 256–258, Pörtschach

14 Lieben Sie Brahms?

Hauptstraße 228, Pörtschach

15 »Merci, Chérie«

Töschling 1, Pörtschach, Techelsberg am Wörthersee

16 Ein Humorist lästert über die »Schnackerlaristokratie«

Pörtschach (genaue Adresse nicht eruierbar)

17 Das Glück liegt auf dem Wasser

Pörtschach (genaue Adresse nicht eruierbar)

18 Das letzte Adieu im Herbst des Lebens

Alfredweg 5, Pörtschach

19 Nah am Wasser gebaut

Hauptstraße 133, Pörtschach

20 »Neu-Wien«, die lachende, kokette, flirtende Weltdame

Pörtschach (genaue Adresse nicht eruierbar)

21 »Ein Ort von Lebensfreude – lange bevor es Saint-Tropez gab«

Schlosspark 1, Velden

22 Tee-Importeure und Sammler

Rosentalerstraße 49, Velden

23 Die Moderne am See

Auen-Waldpromenade 35 und 36, Schiefling

24 Vom Sommerhaus zur Festung

Auen-Süduferstraße 11, Schiefling

25 Das Landhaus des Zwölftonkomponisten

Auen-Bergweg 22, Schiefling

26 Das waren Zeiten!

Golfstraße 2, Oberdellach

27 Ein Leben für vier Räder

Unterdellach 12

28 Eine romantische Kircheninsel

Lindenplatz 3, Maria Wörth

29 Die schöne, unglückliche Ottilie

Pfarrplatz 1, Maria Wörth

30 Illustre Gäste im »Klein Miramare«

Schlossweg 2, Reifnitz

31 Schloss Sekirn – und das wahre Glück: ein blauer Himmel

Wörthersee-Süduferstraße 59, Sekirn

32 »’s Röserl vom Wörthersee«

Wörthersee-Süduferstraße 18, Maiernigg

33 Beim Hofoperndirektor in Maiernigg

Wörthersee-Süduferstraße 23, Maiernigg

Dank

Literatur und Quellen

Bildnachweis

Namenregister

Der Autor

Velden am Wörthersee. Panorama, 1913

Am Wörthersee. Villen und Geschichten, Häuser und Schicksale

Unvergesslich sind mir die Sonnentage, das smaragdgrüne Wasser und die entspannte Atmosphäre am lichtflirrenden Wörthersee. Hier war viel Sommerglück zu Hause. In dieser Welt der Unbeschwertheit konnte man Kind sein. Man lag herrlich faul herum, blinzelte ab und zu in den übertrieben blauen Himmel, und das war eigentlich alles, was man zwischen Frühstück und Mittagessen zu tun hatte. Das Wichtigste war es zumindest.

Einige Jahre später – es war im Sommer 1981 – saßen wir mit der bestens gelaunten Blues-Legende B. B. King in einem Gastgarten in Velden, trafen den Pianisten Chick Corea backstage beim Jazzfestival, und Chuck Berry ließ sich ein besonderes Vergnügen extra in seinen Auftrittsvertrag schreiben: Dem Gründungsvater des Rock’n’Roll wurde auf Wunsch nach der Ankunft am Flughafen ein Schlüssel zu einem eigens für ihn reservierten Mercedes-Cabrio ausgehändigt, mit dem er dann selbst bis hinter die Bühne fuhr, um Minuten später dem Publikum seine Hits wie Johnny B. Goode oder Sweet Little Sixteen lautstark um die Ohren zu knallen.

Früher war angeblich alles schöner: die Berge höher, das Wetter besser, die Felsen schroffer. Durch die Brille der Kindheitserinnerungen sowieso. Irgendwann wird es Zeit, an die alten Urlaubsorte zurückzukehren. Und sich trotzdem nicht die gute Laune verderben zu lassen, wenn das sinnentleerte Brummbrumm der GTI-Treffen mit allen Nebenerscheinungen wie Motorengeheul, Party-Exzessen und Schnapsleichen sogar viele Alteingesessene in die Flucht treibt.

Der Wörthersee ist seit rund 150 Jahren Bühne. Vor dem auf Riesengaudi programmierten Massentourismus war die Sommerfrische. Alles begann mit dem Bau der Eisenbahn ab den 1860er-Jahren: Kärntens größter See wurde von den Städtern entdeckt, die in repräsentativen Villen ihre Natursehnsucht auslebten und vor der Sommerhitze aus Wien und den anderen urbanen Zentren der Monarchie aufs Land flüchteten. Hin zu Idylle und Ruhe.

Der Wiener Porzellanfabrikant Ernst Wahliss kam, sah und wurde zum Tourismuspionier, indem er Pörtschach, »früher ein unscheinbares Dörfchen, zu einem der fashionabelsten Badeorte Österreichs umgestaltete«, wie die Neue Freie Presse im Nachruf am 19. Juli 1900 vermerkte.

Bald tummelten sich Adelige und Bürgerliche, Industrielle und Künstler, Schauspieler und Operettenstars, Reiche und Berühmte am Ufer des Sees, heute die Region mit der höchsten Milliardärsdichte weit und breit.

Tatsächlich ist Kärnten schwer zu fassen. Am eindringlichsten spiegelt es sich vielleicht in seinen Liedern, die zu dunklen, sehnsüchtigen Melodien von Tod und Einsamkeit erzählen. Im Lesachtal oder in Unterkärnten, wo die Orte Namen wie Bleiburg oder Eisenkappel tragen, wohnt in den Gesichtern der Menschen noch die Melancholie. Der expressionistische Maler Werner Berg hat hier gelebt. Seine Bilder zeigen die Schönheit und die Enge dieses Landes, die Heimatverbundenheit seiner Bewohner.

Aber das ist – aus der Wörthersee-Perspektive – Hinterland. Es heißt, Kärnten sei eine Schönheit, die immer fremder wird, je besser man sie kennenlernt. Doch dieser Erkenntnis begegnet man vor Ort mit Schmäh: »Es soll in Österreich Gegenden geben, wo’s net amoi schen is, wenn’s schen is. Aber bei uns ist es sogar schen, wenn’s schiach is.«

»Lei låsn! Måch ka gschistegschaste!« ist hier das Lebensprinzip. Zu Normaldeutsch: Lass es gut sein, immer mit der Ruhe, nur keine Aufregung. Die österreichische Riviera ist nichts für unruhige Leute, die für ihren Urlaub schon vor der Ankunft das volle Programm im Kopf haben. Dafür ist die Luft hier zu weich, zu lau, zu südlich und das Dolcefarniente mit Gelegenheiten zum intensiven Strandflirt zu verlockend. Wer zu seinem Wohlbefinden nicht unbedingt eine tosende, donnernde Brandung braucht, kann hier glücklich sein, glücklich werden und glücklich machen.

Glückssucher gab es schon anno dazumal in den vielen Seewinkerln, wo man heute über einiges hinwegsehen muss, was an neu gebauter Hässlichkeit nicht zu übersehen ist, weil man im Lauf der Zeit Maßstäbe und das Gefühl für Grenzen vergessen hat. Ohrwurmgebeutelt vom Lied Du bist die Rose, die Rose vom Wörthersee … war auch noch nicht Johannes Brahms, der am 29. Juni 1877 an seinen Freund Theodor Billroth begeistert aus Pörtschach schrieb: »Hier – ja hier ist es allerliebst, See, Wald, drüber blauer Berge Bogen, schimmernd weiß in reinem Schnee.«

Sommerfrische 1950 beim Fünfuhrtee mit Tanz auf der Terrasse des Hotels Mösslacher in Velden

In Gustav Mahlers »Komponierhäuschen« (während der Sommermonate zeitweise öffentlich zugänglich) mitten im Wald oberhalb seiner Seevilla in Maiernigg über Sekirn, die sich heute in Privatbesitz befindet, entstanden ab 1900 wesentliche Teile seiner Liederzyklen und Symphonien. Und ebenfalls am Südufer des Sees, in Auen, steht das 1932 von Alban und Helene Berg ersteigerte »Waldhaus« im romantisch-alpinen Heimatstil unter Denkmalschutz, wo der Zwölftonkomponist an der Oper Lulu und an seinem »dem Andenken eines Engels« gewidmeten Violinkonzert arbeitete.

Auch die Kärntner Maler des 19. Jahrhunderts wie Markus Pernhart waren inspiriert von der Landschaft am See mit seinen spiegelnden Wasser- und Eisflächen, pittoresken Bauten, Bergen und Wolken. Lohnende Motive auch für Künstler des 20. und 21. Jahrhunderts. Da spannt sich der Bogen von Herbert Boeckl und Arnold Clementschitsch und deren an der Naturvorlage orientierten Ölbildern bis zu den »Naturabstraktionen« von Peter Krawagna in der Villa Waldesruhe in Krumpendorf.

Lange vor dem Milliardär Friedrich Karl Flick, der die einstige Villa und den Künstlertreff des Wiener Theatertausendsassas Hubert Marischka aus den 1920er-Jahren bis zur Unkenntlichkeit zur Festung umgebaut hat, lange vor der Kaufhaus-Witwe Heidi Horten und dem Waffenproduzenten Gaston Glock, der einem Ondit zufolge allein bereits geschätzte zwei Dutzend Villen am See als garantiert gewinnbringende Geldanlage besitzt. Lange vor den Porsches und Piëchs waren schon ein Weltreisender und ein Heimkehrer von der Expedition auf eine arktische Vulkaninsel 1882/83 da, außerdem einer der ersten Automobilisten – Max Schindler von Kunewald – und auf Schloss Sekirn der James-Bond-Erfinder Ian Fleming.

Auch wenn Ferrari, Lamborghini, Bentley, Jaguar und Maserati zu den Ahs und Ohs der Passanten über den Boulevard vor dem Ufer vorbei an Casino, Schlosshotel und Seepark paradieren: Velden hat heute eine Aura mondäner Dörflichkeit. Und an der langen Seepromenade von Pörtschach fällt es nicht schwer, sich in die verträumte und überlebte Zeit der untergehenden Donaumonarchie zurückzuversetzen.

Vieles hat sich inzwischen geändert. Doch eines dürfte gleich geblieben sein: das Tempo, mit dem am Seeufer promeniert wird. Es ist das Tempo des 19. Jahrhunderts. Da sieht man sie noch, die vom Anflug einer genießerischen Langeweile gezeichneten Gesichter im sonnigen Zauber des Nachsommers, dessen reines Glück Adalbert Stifter so wunderbar geschildert hat. Kurz bevor alle freudig wieder auf der Flucht vor der Schwermut des Herbstes in die Großstadt sind. Und die Schwalben bereit, die Heimreise in wärmere Länder anzutreten.

Gebrauchsanweisung

Dieses Buch mit Geschichten aus längst vergangenen Tagen kann man nicht nur lesen, sondern die »Riviera der Alpen« auch zu Fuß oder – wie einst Gustav Mahler – mit dem Fahrrad erkunden. An vielen Orten rund um den Wörthersee ist auf Spazierwegen noch die Atmosphäre eines der altösterreichischen Traumziele mit fast südländisch anmutendem Flair zu spüren, auch wenn sich nicht alle Villen und privaten Kulissen der Schriftsteller, Schauspieler, Komponisten, Hofräte und Industriellen über weit mehr als ein Jahrhundert erhalten haben. Und was sich auf den hier vorgeschlagenen Routen heute meist diskret hinter hohen Hecken und Zäunen verbirgt, ist manchmal besser vom Wasser aus vom Segel- oder Motorboot mit Blick auf das Festland oder auf einer Rundfahrt via Wörthersee-Schifffahrt zu besichtigen. Auf den Spuren der Landlust der Städter von seinerzeit kann man vieles über die Schicksale von Menschen erfahren, die zwar an den Wörthersee zur Sommerfrische fuhren, aber ebenso in Berlin und Wien, Karlsbad und Rijeka, Hamburg und Venedig zu Hause waren.

In den folgenden drei Touren werden nur jene Villen (Kapitel) berücksichtigt, deren tatsächliche Adresse (noch) feststellbar ist. Auf der Karte im Vorsatz sind sie mit den jeweiligen Kapitelnummern verzeichnet.

Die Touren 1 und 2 können, vor allem von sportlichen Leserinnen und Lesern, zu Fuß gegangen werden, Tour 3 sollte aufgrund der größeren Distanz mit dem Fahrrad oder einem anderen fahrbaren Untersatz in Angriff genommen werden. Wer eine Tour lieber auf gemütliche Teil-Spaziergänge aufteilt, kann dies natürlich auch tun.

Entdeckungstour 1 – Klagenfurt & Krumpendorf: Kapitel 1 bis 9

Entdeckungstour 2 – Pörtschach: Kapitel 10, 12 bis 15, 18, 19

Entdeckungstour 3 – Südufer (ab Velden): Kapitel 21 bis 33

1Die Königin der Operette

Tarviser Straße 22–26, Klagenfurt

Die Welt war ihre Bühne, die Bühne ihre Welt: Marie Geistinger, Soubrette, Offenbachantin und Amerikas Darling mit Wahlheimat Kärnten.

Das Sonnenkind in ihr war stärker als das Schattenkind. Ihr Name hatte Weltruhm. Und ihr Äußeres erinnerte an »das Märchen von ewiger Jugend«. Marie Geistinger (1836–1903), in der Wickenburggasse 9 in Graz geboren, eroberte zuerst Wien, dann Berlin und schließlich New York, gefeiert als »Darling of America« bei sieben Gastspielen in den USA, ehe Kärnten ihre letzte Wahlheimat wurde.

Sie war so populär wie wenige andere und zog sich 1894 zurück in ihre hübsche zweistöckige Villa am Lendkanal in der Schiffgasse 13 (heute Tarviser Straße 22–26), wo sie herzkrank am 29. September 1903 im 68. Lebensjahr starb. Das solide Herrschaftsgebäude habe nichts Theatralisches, fand das Neue Wiener Journal. Obwohl die Theaterleute sonst nie ihre Herkunft verleugnen. Es bleibt immer etwas Pose zurück, die sich selbst im Äußeren des Wohnhauses ausdrückt. Auch das Interieur: alles einfach und gediegen. Silberne und goldene Lorbeerkränze, wenige vergilbte Bandschleifen, da und dort ein Prunkstück mit eingravierter Widmung. Memorabilien einer Dame von Welt. Sie war mit Leib und Seele beim Theater, spielte alle Rollen – von der großen Tragödie bis zur Operette.

Als sie, die Tochter eines russischen Hofschauspielerehepaars, in ihrer Geburtsstadt Graz noch in Kinderrollen auftrat, als Lehrbub in einer Posse bei einem Gastspiel von Johann Nestroy, ging in einem Zwischenakt der große Komödiant und abgründige Spötter auf die kleine Marie zu, nahm ihren Kopf in beide Hände, sah ihr gutmütig ins Gesicht und sagte in seiner für ihn typischen pointierten Weise: »Du bist ein Teufelsmadel. Wenn aus dir ka große Schauspielerin wird, dann bist selber schuld dran.«

Marie Geistinger, die Königin der Operette, als Boulotte in Blaubart

In der Blüte der Jugend und Schönheit, goldblond, mit großen blauen Augen, einem weichen sinnlichen Mund und herrlichen Zähnen, war sie vom ersten Auftreten an der Liebling der Wiener. In einer Zeit, als sich Operettendiven damit qualifizierten, dass sie mit Nacktheit und erotischer Ausstrahlung Großstadtpublikum anlockten – und nicht mit Gesangs- oder Schauspielkünsten. Marie Geistinger machte ursprünglich als »Schöne Helena« Furore, weil sie in »einer gewagten Entkleidungsszene ihre nur durch dünnes, straffes Trikot verhüllten körperlichen Reize nicht geizend zur Schau trug«, schrieb ihr Biograf, der Plakatdesigner, Avantgarde-Bühnenbildner und Wiener Allroundkünstler Emil Pirchan.

Jacques Offenbach hatte sie persönlich aus Berlin geholt, wo sie am Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater 1860 bei der Berliner Erstaufführung des Orpheus mitgewirkt hatte und als besondere Attraktion auf der Bühne einige Hüllen fallen ließ. »Im Jahr 1863 spielte ich in Berlin in der Posse Mamsell Übermuth, in welcher eine decente Auskleidungsscene enthalten ist«, berichtete die Geistinger. »Offenbach war im Theater. Er kam im Zwischenact auf die Bühne und sagte zu mir: ›So schön und discret habe ich noch nie Jemanden auskleiden sehen; in meiner nächsten Operette lasse ich für Sie eine solche Scene schreiben.‹«

Die Wiener Zeitung nannte Geistinger als Helena eine »höchst routinierte Schauspielerin« und »leidliche Sängerin«, die aber imstande war, ein Stück zu »tragen«. Betont wurde, dass »einzelne Damen« mit »tadellosem Körperbau« in einem Stück voller »derber Zweideutigkeiten« auftraten, in dem »in verschiedenem Sinne florierende Nacktheit« vorkam, die das Publikum angeblich »gelangweilt« habe. Auch wenn »hyperprüde Denunzianten« im Zuge der Produktion energisch das Verbot von »Prostitution auf der Bühne« verlangten, lief sie in Wien weiter und weiter und war einer der größten Offenbach- und Geistinger-Erfolge überhaupt.

Ihr Kostüm in dieser Rolle war seitlich hoch hinauf geteilt und gab den Blick frei auf ihre Beine. Auch ein Kaffeehaus in der Margaretenstraße 51 an der Ecke Kleine Neugasse nannte sich »Zur schönen Helena«: Auf den Spiegelscheiben war Geistingers »Figur in allen möglichen und unmöglichen Posen eingeätzt. Das lebensgroße Bildnis der Helena hing dort, auf der Rückseite hatte der Maler die Geistinger – nackt – hingemalt. Ein wilder Verehrer der Künstlerin schoss deswegen zwei Pistolenkugeln gegen dieses schöne Ölgemälde«, berichtet Pirchan.

Die schöne Helena war Geistingers markanteste Rolle in Wien. Erfolge feierte sie auch als Offenbachs Großherzogin von Gerolstein und als Boulotte in Blaubart. Von Johann Strauß’ Operetten kreierte sie die Fantaska in Indigo, die Lorenza in Cagliostro, die Marie in Karneval in Rom – und am 5. April 1874 gab sie in der Uraufführung der Fledermaus die Rosalinde. Irgendwann fand sie lange keine neue Rolle, die ihr zusagte, wollte aber in Wien nicht wieder ihr oft gespieltes Repertoire wiederholen. Also übernahm sie als pikantes Novum und »Dame in Männerkleidern« die Titelrolle in Millöckers Operette Der Bettelstudent. Sie war so vielseitig wie keine andere – in Operetten und auch als lebensechtes Dirndl in den Volksstücken von Ludwig Anzengruber. Sie war Salondame und anderntags Possensoubrette, trat aber auch in den großen Rollen der Klassiker wie Maria Stuart und Medea auf. Nur Mutterrollen hatte sie nicht gern. Da gab es leere Häuser, weil das Publikum die ewig junge Geistinger sehen wollte.

Wie sehr sie auch Kollegen begeisterte, belegen die Briefe von Josef Kainz an seine Eltern. Er ist »entzückt, verrückt, elektrisiert und enthusiasmiert«. So etwas habe er in seinem Leben noch nicht gesehen: »Das Frauenzimmer ist ein Genie.« Bei dieser Verwandlungsfähigkeit stehe einem der Verstand still. Merkwürdig, dass die Geistinger, mittlerweile älter geworden, nur mehr ihre Operetten- und Possenrollen spielen wollte. Als sie nach mehr als 25 Jahren noch immer in denselben Operettenpartien auftrat, zeichnete sie der Theaterkarikaturist Theo Zasche einmal als »Schöne Helena«: Mühsam auf zwei Krücken gestützt, trägt sie Filzpatschen an den Füßen und einen dicken Schal um den Hals.

Sehnte sie sich am Ende nach dem Theater zurück? »Ab und zu! Das wird man nie ganz los. Ich habe eine zu schöne Zeit beim Theater zugebracht. Glauben Sie, ich möchte nicht heute noch gerne Komödie spielen, wenn es Rollen für mich gäbe? Bitte sehr, keine jungen Frauen«, gestand sie 1898 mit heiterer Zufriedenheit im Gespräch mit dem Neuen Wiener Journal. Die Ungarin Lili Lejo in Klagenfurt die Traviata singen zu hören, machte ihr Freude. Auf einmal dachte sie an die Kameliendame, die sie so gerne gespielt hatte: »Und ich hätte weinen können, dass es jetzt nimmer ist.«

Bei Theodor Herzl findet sich die Lebensweisheit, »dass immer derjenige glücklich zu preisen ist, der das Ersehnte nicht erlangen konnte. Aber diese Einsicht steht am Ende der Dinge, nicht am Anfang, und dazwischen liegt das ganze Leben …« Gäste führte die »Königin der Operette«, wie sie in Wien genannt wurde, in ihrem Haus in Klagenfurt gern auf ihren Balkon hinaus: »Da, sehen Sie sich diese Aussicht an. Ist das nicht herrlich. Weit über den Wörthersee hinüber schweift der Blick zu den stolz ragenden Bergkuppen empor. Da fragen die Wiener noch, die mich manchmal besuchen, ob ich mich nicht langweile. Kann man sich langweilen, wo es so schön ist?«

Postkarte der Villa von Marie Geistinger am Lendkanal in Klagenfurt

Damals war es schon einige Jahre her, dass die Sängerin mit dem hellen Sopran mit Offenbach korrespondiert und mit Anzengruber sein Volksstück Der Pfarrer von Kirchfeld 1870 aus der Taufe gehoben hatte. Dass sie mit Maximilian Steiner 1869 bis 1875 als Direktorin das Theater an der Wien geleitet und in der Zeit ganz in der Nähe am Getreidemarkt 1 an der Ecke Linke Wienzeile gewohnt hatte. Dass sie auf Gastspielreisen ging, um zu zeigen, dass die »Schöne Helena« von einst auch imstande war, die Kameliendame, die Pompadour, die Maria Stuart, die Adrienne Lecouvreur und andere hochdramatische »Weiber« darzustellen.

Allmählich war ihr das Land der Operette zu eng, und sie betrat das Reich des Dramas. Der Schriftsteller und Dramaturg Heinrich Laube wollte sie überreden, ganz zum Schauspiel zu wechseln: »Lassen Sie doch die Operette samt dem Theater an der Wien zum Teufel gehen, da ist für eine Künstlerin nichts mehr zu holen.« Sie stand gerade in Cagliostro in Wien von Johann Strauß auf der Bühne. Für ihn: »So ein Schmarrn! Die Operette ist fertig!« Tatsächlich wechselte die Geistinger damals zum Schauspiel, ohne aber der Operette abzuschwören.

Das Paradies der Geistinger ab den 1880er-Jahren war ihr im 16. Jahrhundert von einer Burg zum heute unter Denkmalschutz stehenden Schloss Rastenfeld am Gunzenberg in Mölbling verwandeltes Anwesen. Dort bewohnte sie ein einstöckiges, mit Antiquitäten, kostbaren Möbeln und Meissener Porzellan ausgestattetes Landhaus inmitten eines feenhaften Parks, mit einer Schar strammer Doggen, es sollen rund 20 gewesen sein. Aus dem Bühnenstar war eine Landwirtin geworden, die in der Einsamkeit des Landlebens mit Ehrgeiz das Ziel verfolgte, aus dem verwahrlosten Rastenfeld eine Musterwirtschaft mit Treibhäusern, einem großen Obstgarten und Viehbestand mit Hühnern, Schweinen und Allgäuer Kühen zu machen.

Der Kikeriki witzelte: »Sie ist ein Weib, der’s ›Rasten‹ fehlt.« Während ihrer Abwesenheit beaufsichtigte und leitete eine gute Freundin und Nachbarin aus Althofen ihr Anwesen, eine Opern- und Operettensängerin, die vor allem für ihre Hosenrollen bekannt war und ebenfalls zur praktischen Landwirtschaft konvertierte: die Mezzosopranistin Anna Grobecker, die eigentlich Anna Mejo hieß.

Geistingers Credo: Man findet nicht im Ausruhen, sondern in der Arbeit die einzige richtige, wahre und dauernde Erholung. Als sie das Gut übernahm, hatte sich unter der Bevölkerung das Gerücht verbreitet, dass »ane, di was Theater spielt«, Rastenfeld gekauft habe. Wobei die einfachen Leute vom Land vom Sinn des Wortes »Theaterspiel’n« auch nicht annähernd eine Vorstellung hatten, da sie noch nie in einem Theater waren. Ihr Buen Retiro war ihr »nicht nur, was das Draufzahlen betrifft, teuer geworden«, schrieb sie für die Zeitschrift An der schönen blauen Donau. »Ich liebe dieses abgelegene, weltvergessene Stückchen Erde wirklich und wahrhaftig.« Der Gegensatz zwischen dem Theaterleben und der Zucht von Stierkälbern, zwischen Jungviehherden und Operetten sei so eigentümlich, dass man vielleicht nicht ganz zu Unrecht über eine derartige Kombination der Tätigkeiten den Kopf schüttle. Aber sie scherte sich nicht viel um die sie wegen ihrer Rinderzucht »frozzelnden« Leut’. Denn sie fühlte sich »unendlich wohl bei den ländlichen Arbeiten« und wollte »sie nicht um die Welt wieder aufgeben«. Sogar auf den Viehmarkt nach Fladnitz fuhr sie selbst, verkaufte dort das gemästete Vieh und kaufte eventuell das zur Mast taugliche Jungvieh ein, wie viele andere Grundbesitzer im Kärntnerland. Sie zog ausschließlich semmelfarbenes Hornvieh auf und schenkte auch der Schaf- und Schweinezucht in ihrer Wirtschaft große Aufmerksamkeit. Als sie in Budapest auftrat, machte ihr ein befreundeter Gutsbesitzer einen Musterwidder und zwei Mutterschafe zum Geschenk.

Als Alexander Girardi einmal in Klagenfurt gastierte, fuhr die Geistinger in die Stadt, um den ehemaligen Kollegen spielen zu sehen und ihn zu treffen. »Sie müssen auf einen Tag nach Rastenfeld kommen«, sagte sie. »Gibt’s dort Theaterzettel?«, fragte er. »Wozu?« – Girardi: »Schau’n S’, in aner Gegend, wo kane Theaterzettel ang’schlagen sind, halt i’s ka Stund’ aus.« Worauf sie entgegnete: »Gut, wenn S’ mir Ihr Wort geben, dass Sie ’rauskommen, lass i auf jeden Baum an Theaterzettel anpicken.« Darauf Girardi: »Dann kumm i.«

Viel gemunkelt wurde über das wahre Geburtsdatum der Geistinger, die sich immer wieder darüber beschwerte, dass man sie älter machte. Der Sohn des Schriftstellers Ludwig Held, während der Direktion von Maximilian Steiner Sekretär am Theater an der Wien, hatte in seinem kleinen privaten Theatermuseum ein Bild, das die Schauspielerin seinem Vater zum Geschenk gemacht hatte – mit der Widmung: »Lang leben, will jedermann. Alt werden will niemand. Marie Geistinger, geboren 1836, also noch keine 70 Jahre alt. 1903.« 1836 hat sie eigens doppelt unterstrichen.

Aus Klagenfurt in der Zeit ihres endgültigen Abschiedes von der Bühne, am 24. April 1900, schrieb sie an Hugo Thimig: »Was Ihren Wunsch wegen eines gedruckten Reklamebildes von mir betrifft, so kann ich ihn leider nicht erfüllen. Von früher existieren wohl solche, doch habe ich dergleichen mir nie aufbewahrt, und ich glaube nicht, dass noch welche aufzutreiben sind, denn es ist achtzehn Jahre her. Und die letzten Male, 97 und 99, wurden nur Photographien ausgestellt. Selbst letztere besitze ich nicht mehr, da ich bei meiner letzten Anwesenheit in New York, vergangenes Jahr, den ganzen Vorrat verschenkte.«

Es war die Zeit der ersten Blüte des deutschsprachigen Theaters in Amerika, noch lange vor Max Reinhardt. Als 1848 die Leute des Vormärz ihre Liebe zum deutschen Theater in die neue Heimat mitbrachten. Deutsche Theater entstanden damals in New York, Milwaukee, St. Louis, Chicago, Cincinnati und in kleineren Städten. Im deutschen Theater wurde übrigens das Starsystem geboren, da die Direktoren im manchmal harten Konkurrenzkampf »große Kanonen« aus Deutschland und Österreich mit viel Reklameaufwand drüben engagierten.

Doppelgastspiele wie von Ludwig Barnay und Ernst von Possart, Adolf von Sonnenthal und Ferdinand Bonn, Josef Kainz und Adalbert Matkowsky sind in die amerikanische Theatergeschichte eingegangen. Die Tänzerin Fanny Elßler eröffnete 1840 den Reigen der Gastspiele berühmter europäischer Darsteller im Dollarland. Im Lauf der Zeit kamen dann unter anderen Marie Geistinger, Katharina Schratt, Josefine Gallmeyer, Friedrich Mitterwurzer, Helene Odilon und Adele Sandrock über den Ozean.

In Amerika war die Geistinger auch mit 64 Jahren als Soubrette eine Sensation. Alle wollten sie sehen und hören, der Zulauf war enorm. In New York spielte sie, was sie in Wien nicht mehr gewagt hatte, die Leni in Carl Millöckers Lebensbild mit Gesang, die 1871 uraufgeführte Operette Drei Paar Schuhe – und erschien im letzten Bild im Trikot wie einst. Da sie immer noch schöne Beine hatte, konnte sie es wagen.

Hugo Benedix, Schauspieler und Regisseur an Carltheater und Theater an der Wien, unternahm im Juni 1892 mit einem Freund eine Alpenwanderung, fuhr zunächst nach Krumpendorf und quartierte sich beim Kapitän Johann Heinrich Scherrl ein, einem alten Seebären, der 30 Jahre lang alle Meere befahren und sich dann an den Wörthersee zurückgezogen und dort eine prächtige Villa direkt am Seeufer erbaut hatte. Bei einem Ausflug nach Klagenfurt trafen sie vor dem Hotel »Zum Kaiser von Österreich« die Geistinger, die sie prompt auf ihr Gut einlud. Die Herren bekamen Zimmer im Schweizerhaus, und die Gastgeberin führte sie durch ihr Haus, über das der Komponist Franz von Suppè einmal vermutlich scherzhaft übertrieben geäußert hatte: »Die Villa der Geistinger in Rastenfeld ist nur mit den Königsschlössern in Bayern zu vergleichen.«

1893 hatte die Geistinger ihr Gut Rastenfeld samt der Villa Marienhof an Carl Auer von Welsbach verkauft. Der Erfinder der Gasglühlampe, der Metallfadenglühlampe und des Cereisen-Zündsteins für Feuerzeuge war auch Entdecker von vier neuen Elementen. Der Industrielle, Gründer der Treibacher Chemischen Werke (heute Treibacher Industrie AG) und Schöpfer der Marke Osram, ließ rund 250 Meter westlich der Villa Marienhof in den Jahren 1898 bis 1900 das monumentale Schloss Welsbach errichten. Bei einem Kärntenbesuch sagte Kaiser Franz Joseph: »Sie haben wieder eine Erfindung gemacht. Ist sehr verdienstvoll.«

Roland Adunka, Leiter des 1998 eröffneten Auer von Welsbach-Museums in der Altstadt von Althofen, hat sich viele Jahre lang mit dem Universalgenie beschäftigt: »Auer von Welsbach kam durch Zufall ins bei Sommerfrischlern beliebte Althofen, um sich zu erholen. Ihm gefiel die liebliche Mittelkärntner Landschaft, und er blieb schließlich in Rastenfeld.«

Auer von Welsbach war in vielen Bereichen Pionier. So fuhr er das erste Automobil in der Gegend. Einmal soll er ein Huhn überfahren haben. Er gab dafür dem Bauern eine Krone. »Das war damals viermal so viel wie der Wert des Huhnes«, erzählt Roland Adunka. Als Auer von Welsbach nun durch die Straßen fuhr, wurden Futterkörner für die Hühner auf die Straße geworfen in der Hoffnung, es könnte wieder einmal eines unter die Räder kommen.

2Ein Schloss »wie ein Bürger mit edlem Gesicht«

Lorettoweg 52, Klagenfurt

Postkartenidylle in der Ostbucht: Maria Loretto mit dem historischen Gemäuer und dem alten Gnadenkirchlein strahlt im Sonnengold.

Im Sommer trubeliges Treiben. Im Winter frostige Stille. In dieser Stimmung muss Is schon still uman See, eines der populärsten Kärntnerlieder, entstanden sein. Es sind die Tage, bei denen selbst der Herrgott ein Dach über dem Kopf zu brauchen scheint. Die einzigen Badegäste sind Enten und Blesshühner. Die Strandbäder sind verwaist. Das Schloss Maria Loretto spiegelt sich in der glatten Wasserfläche. Postkartenidylle. So ähnlich tiefenentspannt wie unsereiner müssen einst die Herren Orsini, Grafen von Rosenberg, gewesen sein.

Während damals andere ihre Villen und Schlösser lieber im Glan- oder Wölfnitztal bauten, mit Blick auf grüne Wiesen und gelbe Saatfelder statt auf türkisschimmernde Gewässer, errichtete der kaiserliche Rat und Burggraf zu Klagenfurt Johann Andreas Graf Orsini-Rosenberg im Jahr 1652 auf Maria Loretto – damals noch eine Insel – eine prachtvolle Palastanlage im italienischen Stil. Das Lustschloss mit mehreren Nebengebäuden und weitläufigen Gärten war umgeben von einer Mauer mit zwölf frei stehenden Türmen.

»Das jetzige Schloss sieht aus wie ein Bürger mit edlem Gesicht, sein größter Vorzug ist die Abgeschiedenheit«, schrieb der Universalgelehrte, Topograf und Historiker J. W. Valvasor 1688 in seiner Landbeschreibung des berühmten Erz-Herzogthums Kärndten. »In Summa, es kann nichts Lustigeres geben, als diesen Ort.« In Maria Loretto mündet oder vielmehr beginnt der vier Kilometer lange und von Kastanienbäumen beschattete Lendkanal, der seit 1527 Klagenfurt mit dem See verbindet. Wie alte Stiche und Zeichnungen zeigen, seinerzeit ausgestattet mit einem imposanten mehrtürmigen Eingangsportal.

Historische Ansicht von Schloss Maria Loretto am See, um 1680

»Jeder Kaiser, der in Klagenfurt zu Gast war, schaute auch bei Maria Loretto vorbei«, berichtet der Kärnten-Kenner und langjährige ehemalige Gemeinderat der Grünen in Klagenfurt Reinhold Gasper, durch dessen Initiative 15 Naturschönheiten zu Naturdenkmälern erklärt wurden. Die ursprüngliche Anlage in Maria Loretto am See erinnerte an das Schloss Isola Bella im Lago Maggiore. Am 30. August 1660 bewirtete hier Graf Orsini-Rosenberg Kaiser Leopold I., der in Begleitung venezianischer Gondolieri von Klagenfurt aus eine Wörthersee-Rundfahrt unternahm, für die extra eine ganze Flotte von Holzschiffen gebaut worden war. Während des Spanischen Erbfolgekrieges waren in Maria Loretto vier Prinzen des Kurfürsten Max Emanuel von Bayern interniert, die in Kriegsgefangenschaft geraten waren. Erhalten geblieben sind von der ursprünglichen Pracht nach einem verheerenden Brand am 9. Oktober 1708 nur mehr das sehr viel schlichter erneuerte Schloss, Reste eines frei stehenden Turms, heute Teil des Loretto-Bades, und die wiederhergestellte Kapelle von 1660, eine Nachbildung der Mutter aller Loretto-Kapellen, und zwar jener von Maria Loretto bei Ancona. Sozusagen eine Nachbildung der »Casa Santa«, jenem legendären Heiligen Haus Marias, das – wie die Legende erzählt – Engel, in Wahrheit wahrscheinlich Kreuzfahrer, von Nazareth nach Ancona getragen haben sollen.

Aus der ersten Bauzeit stammen ein rundbogiges Portal mit Wappen und ein Ziehbrunnen im Garten. Wo früher der Graf mit seiner Familie samt Dienerschaft domizilierte, fand später auch ein bunt zusammengewürfeltes Völkchen von Sommergästen aus nah und fern Unterkunft und vergnügte sich in der komfortablen Bade- und Schwimmanstalt am Fuß des Felsens. Prominente Gäste auf Sommerfrische waren in Loretto 1908, ein Jahr vor ihrer Heirat, die Hofopernsängerin Anna von Mildenburg und der Schriftsteller und Kritiker Hermann Bahr. Eine Begegnung, an die sie sich noch viele Jahre später erinnerte, war jene mit einem »zur Fettsucht neigenden Asthmatiker von Geburt, beinahe Terrier von Rasse«. Er strich auf der Halbinsel »faul und gelangweilt herum, niemand sprach ihn an, niemand streichelte ihn, man gab ihm halt sein Futter und das ist für einen Hund zu wenig, er will auch eine Ansprache haben«.

»Ich redete jeden Hund an und so auch ihn, und von da an wich er nicht mehr von mir. Er folgte mir zu Wasser und zu Lande, schwamm neben mir im See und seine Begriffe von Anhänglichkeit brachten mich oft in recht heikle Situationen, verrieten meine Anwesenheit da und dort, denn er wartete vor den Türen und schnupperte durch alle Spalten und bedrohte jeden, der versuchen wollte, dorthinein zu gelangen, wo ich eben allein und abgeschlossen weilte«, schrieb Anna von Mildenburg im Essay Mein Hundeleben. Für Hundenarren erzählt. Anhänglich war ihr »Zufallshund Foxl«, stürzte sich einmal von der Landungsbrücke in den See und schwamm dem Dampfer, auf dem sie einen Ausflug machen wollte, bis zur nächsten Station nach. Da sie ihn nicht auf das Schiff mitnehmen durfte, fuhr sie mit Foxl im Ruderboot zurück. Er: selig und zufrieden. Sie: nachdenklich wegen der Zukunft. Was sollte mit dem Hund werden? Dann machte sie eine zweitägige Wanderung und freute sich auf die Rückkehr zu Foxl. Alle empfingen sie aufgeregt: Foxl war allein ans andere Ufer geschwommen, um sie zu suchen, war dann triefend und verstört wiedergekommen, in ihr Zimmer gedrungen und lag nun schon den zweiten Tag unter ihrem Bett, fraß nicht und zeigte jedem die Zähne, der ihm nahe kam. »Er blieb auch in seinem Winkel, als ich eintrat, fing nur furchtbar zu heulen an, es klang wie eine ungeheure vorwurfsvolle Klage und erst nach leisem schmeichelndem Zureden kroch er endlich zu mir hin, legte die Pfoten auf mein Knie und den Kopf an meine Brust und sah mich so trostlos und so flehend hundstreu an, dass ich ganz zerknirscht war und ihm leise die heiligsten Versprechungen in sein Ohr flüsterte«, schrieb Anna Mildenburg. Eine davon hatte seine Mitnahme nach Wien zur Folge.

Anna von Mildenburg, um 1926 von Trude Fleischmann fotografiert, schrieb Mein Hundeleben. Für Hundenarren erzählt.

Das Nebeneinander von Aristokraten, Millionären und Fußvolk verlief nicht immer friktionsfrei am Wörthersee. Zumal ein Freibad billiger und natürlicher ist. So wurde im Sommer 1930 plötzlich ein großes Stück des öffentlichen Gewässers der Allgemeinheit weggenommen. Das dem Exgrafen Orsini-Rosenberg gehörige Bad Loretto hatte, weil ziemlich verwahrlost, kaum Besucher. Der Familienrat suchte nach einem Ausweg und beschloss, einen Stacheldraht um die Glanfurt zu ziehen, um die Badelustigen dem Bad Loretto zuzuführen. Aber die weigerten sich. Der Stacheldrahtzaun bekam bald Lücken, und die Leute badeten wieder lustig in der Glanfurt.

Wie der Arbeiterwille, die sozialdemokratische Parteizeitung der Steiermark, berichtete, setzte sich der junge Schlossherr hin und »malte höchst eigenhändig, weil es billiger ist«, auf eine Verbotstafel folgende Worte: »Sie blöder Schweinehund! Wenn Sie nochmals den Zaun beschädigen, so werden Sie erstens der Staatsanwaltschaft wegen boshafter Sachbeschädigung angezeigt und zweitens wegen Besitzstörung geklagt. Dr. Orsini-Rosenberg.«

Das Medienecho blieb nicht aus: »Das ist die vornehme Aristokratensprache, die den gewöhnlichen Menschen Schweinehund heißt.« Aber wenn es sich um den Besitz anderer Leute handelte, redete Orsini-Rosenberg nicht von Besitzstörung. Am rechten Ufer der Glanfurt, Orsinis Besitz gegenüber, stand seit 1768 ein wertvoller Stein mit schöner Pyramide. Eines Tages stellte die Eigentümerin fest, dass der Stein, schön geputzt, plötzlich auf dem Schlossgrund am Seeufer bei der alten Landungsbrücke stand. Das Schloss Loretto war um eine Sehenswürdigkeit reicher geworden. Dort, wo der Stein früher immer stand, wurde aber keine Tafel hingestellt – mit dem aristokratischen Vermerk: »Sie blöder Schweinehund!«

3Leer stehendes Geisterhaus und Sorgenkind

Villlacher Straße 338, Klagenfurt

Das Hotel Wörthersee, einst ein architektonisches Juwel, heute Lost Place, sucht Liebhaber für eine sanfte Revitalisierung.

Was haben das patinierte Kurhaus Semmering, 1909 eröffnet, und das alte Hotel Wörthersee, mit schöner Fernsicht auf einer Anhöhe zwischen Klagenfurt und Krumpendorf, gemeinsam? Beide sind seit vielen Jahren dem Verfall preisgegebene Ruinen. Aber für beide gibt es jetzt sogar wieder Hoffnung auf eine Zukunft nach einer glanzvollen Vergangenheit.

Der Grazer Hotelier Florian Weitzer will dem traditionsreichen Semmering-Hotel als neuer Eigentümer wieder Leben einhauchen. Und Goldgräberstimmung gab es zuletzt bei verschiedenen Investoren im Wechsel zwischen Hoffnung und Enttäuschung auch immer wieder beim Hotel Wörthersee in der Villacher Straße 338, auch Schlosshotel Wörthersee genannt.

Graf Douglas Thurn-Valsássina (1864–1939) ließ es 1891 bis 1897 am Ostende des Sees nach Plänen des Klagenfurter Architekten Wilhelm Heß (1846–1916) errichten, der unter anderem auch am Bau von Schloss Velden und – für den Wiener Porzellanfabrikanten Carl Ernst Wahliss – des Parkhotels in Pörtschach beteiligt war. Für die Fachwerkkonstruktionen, Fensterläden, Balkone und Loggien des monumentalen Hotels Wörthersee verwendete Hess ausschließlich Holz. An der Eisenbahn-, Pferdebahn- und Dampfschiffstation Militärschwimmschule gelegen, hatte es zunächst 30, später 50 Zimmer in der Luxuskategorie, außerdem schöne Gärten und Veranden.

Der Bauherr war in der Monarchie von 1905 bis 1909 k. u. k. Diplomat in Sofia und dann von 1911 bis Oktober 1913 österreichisch-ungarischer Botschafter am russischen Hof von Nikolaus II. in St. Petersburg. Keine gute Nachrede hatte er nach der Abberufung von diesem Posten in der Zeitung Arbeiterwille, die Otto Bauer als bedeutendstes sozialdemokratisches Medium Österreichs nach der Arbeiter-Zeitung würdigte. Während der größten Spannungen zwischen Österreich und Russland sei der Graf wochenlang auf der Jagd in Kärnten gewesen, statt in Petersburg seine diplomatische Pflicht zu erfüllen: »Selbstverständlich bezog der noble Herr für die Betätigung seiner Jagdfreuden seinen sehr hohen Gehalt fort, ohne sich indes um die kriegerischen Verwicklungen am Balkan zu kümmern.«

Der blaublütige Nobelherr wurde aber nicht etwa pensioniert, monierte das Blatt, sondern wurde in »Disponibilität«, also mit Vorbehalt der Wiederverwendung, übernommen, das heißt, er bekam zeit seines Lebens ein hohes Gehalt plus Zulagen. »So wird bei uns in Österreich für die Aristokraten gesorgt, deren ganze Tätigkeit darin besteht, dass sie den lieben Herrgott einen guten Mann sein lassen und verächtlich auf das gewöhnliche Volk herabblicken«, hieß es klassenkämpferisch im Arbeiterwillen.

Das Hotel Wörthersee und die Militärschwimmschule, um 1902

»Für die Staatsbahnbediensteten, die Lehrer, die Eisenbahner, die staatlichen Arbeiter, die alle dem Staate wirkliche physische und geistige Arbeit leisten, ist freilich kein Geld vorhanden. Douglas Graf Thurn-Valsassina hatte das alles nicht nötig. Er wurde auch ohne besondere Arbeitsleistung ausgiebig versorgt. Hoffentlich erinnert er sich des bekannten Satzes: ›Noblesse, oblige!‹ (Adel verpflichtet!) und zahlt den Arbeitern in seinen Betrieben so viel Lohn, damit sie nicht verhungern brauchen.«

Was einst als Mix aus Jugendstil, Regionalromantik, Barock und englischer Landhausarchitektur den Charme eines Grandhotels hatte, verfällt mittlerweile still und leise. Das unter Denkmalschutz stehende Hotel Wörthersee mit der markanten Fassade und Fachwerks- und Holzkonstruktionen in der Tradition des Heimatstils neben der viel befahrenen Bahnstrecke und der Kärntner Straße ist schon seit Jahren ein Sorgenkind am See. Eine Sanierung kostspielig und schwierig. Das Tauziehen zwischen wechselnden Besitzern und der Behörde eine Never-Ending-Story.

Der Haubenkoch und Neo-Hotelier Armin Strohschein, der das Haus Anfang der 1980er-Jahre erwirbt, erlebt ein »Drama mit dem Denkmalschutz« und verkauft es wieder 2009. Die neue Eigentümerin, die Seilerstätten Immobilien AG, zeigte sich bereit, ins Hotel Wörthersee zehn Millionen Euro zu investieren. Aber damit hätte man nicht alle Auflagen des Bundesdenkmalamtes erfüllen können. 2016 signalisierte ein an der Außenfront angebrachtes Plakat: »Zu verkaufen«.

Der eventuellen Spekulation auf einen Neubau hatte schon seinerzeit die Bürgermeisterin Maria-Luise Mathiaschitz eine Absage erteilt: Das Hotel stehe auf einer Zone-Zwei-Widmung, was bedeutet: »Dass mit dem Hotel auch ein Wert verfällt. Wenn es verfällt und weg ist, dann ist hier maximal eine zweigeschossige Bebauung plus Dachgeschoss möglich. Das heißt, die derzeitige Quadratmeteranzahl wird man nicht mehr erreichen können.«

Das Wörthersee Hotel bleibt weiter Geisterhaus und Sorgenkind. Nach langem Stillstand und mit neuem Eigentümer sollen Umbau und sanfte Revitalisierung des seit Jahren leer stehenden Hotels endlich beginnen, hieß es schließlich im März 2019. Schon zwei Jahre davor gab es von der Politik grünes Licht. Da winkte der Stadtsenat die Teilbebauungspläne des polnischen Investors Marcin Wolski durch. Er hatte das Objekt um 900 000 Euro gekauft und will sieben Millionen Euro in den Umbau stecken. Errichtet werden sollen im denkmalgeschützten Haus neben einem Restaurant und Spa Appartements und Zimmer. Aber auch hier gilt wie anderswo: Die aufwendige Detailplanung braucht Zeit. So lange stehen sich der Pessimismus des Intellekts und der Optimismus des Willens und der Hoffnung gegenüber, dass es ein Happy End geben kann.

Schloss Freyenthurn oberhalb der Ostbucht des Wörthersees, Südansicht

Inzwischen blickt Schloss Freyenthurn vom Südhang des Falkenberges herunter. Ursprünglich um 1541 für Hans Angerer, den Hofzahlmeister von König Ferdinand I., unter Verwendung älterer Bauteile im burgartigen Renaissancestil errichtet, bekam es nach mehreren Besitzerwechseln um 1885 unter Wilhelm Karl Heinrich Reichsgraf von und zu Westerholt-Gysenberg eine neue Fassade und Zubauten. Zu dieser Zeit erlangte es seine heutige markante Gestalt im Tudorstil mit vielen Erkern und Türmen.

1904 sorgte das Schloss für Aufsehen unter den Bibliophilen: Die Hauptattraktion einer Auktion kostbarer alter Bücher bei Sotheby’s in London war die Versteigerung eines Psalmorum-Codex, der um den Rekordpreis von 4000 Pfund Sterling oder 96 000 Kronen den Besitzer wechselte. Das große lateinische Psalterium von Fust und Schöffer, auf 136 Pergamentblättern mit großen gotischen Lettern auf Kosten des Kartäuser Klosters zu St. Jakob bei Mainz gedruckt, war ein Fund in der Bibliothek auf Schloss Freyenthurn, eine ausgesprochene Rarität, erstmals beschrieben im Zentralblatt für Bibliothekswesen im Februar 1887. »Das Psalterium von 1459 ist wohl das wertvollste Buch, das jemals im Handel vorgekommen ist«, fand der renommierte Frankfurter Antiquar Simon Leopold Baer. »Es ist viel seltener und prächtiger, wie die Mazarin-Bibel.« Ein Exemplar des gleichen Buches, von dem überhaupt nur 13 Exemplare bekannt und davon sechs unvollständig sind, wurde aus der Bibliothek von Sir John Thorold im Oktober 1900 um 5250 Pfund Sterling an John Pierpont Morgan, besser bekannt als J. P. Morgan, verkauft.

Die umfangreiche Kunst- und Büchersammlung des US-amerikanischen Unternehmers und einflussreichsten Privatbankiers seiner Zeit, außerdem Präsident des New Yorker Metropolitan Museum of Art von 1904 bis 1913, ist der Grundstock der Morgan Library & Museum an der Madison Avenue in Manhattan. Zu den einzigartigen Kostbarkeiten des Hauses gehören Manuskripte, Papyri, Inkunabeln, frühe Drucke, illustrierte Bücher, Musikautografen und Grafiken. Es bringt drei Gutenberg-Bibeln und Bob Dylans It Ain’t Me Babe, nicht unbedingt für die Ewigkeit auf Hotelpapier gekritzelt, an einem Ort zusammen.