Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 746 - Claudia von Hoff - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 746 E-Book

Claudia von Hoff

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Beschreibung

Als Thorsten Unger die Vertretung seiner erkrankten Chefsekretärin zum Diktat ruft, sitzt diese wie ein Häufchen Elend an ihrem Schreibtisch und starrt laut schluchzend auf den Abschiedsbrief ihres Freundes aus ihrem Heimatdorf. Sie waren einander versprochen, doch nun hat er sich für eine andere entschieden. Thorsten befindet sich in einer ähnlichen Lage. Die umschwärmte Frau, die er über alles liebt, hat ihn soeben kurz vor der Verlobung abserviert und einem anderen Verehrer den Vorzug gegeben. Was wird man im Klub über ihn spotten! Während Thorsten seine Sekretärin ein wenig tröstet, trifft er blitzschnell eine Entscheidung. Damit sie beide nicht als Blamierte dastehen und auch um Evis Eifersucht zu wecken, schlägt er Claudia vor, sich zum Schein zu verloben und eine rauschende Verlobung zu feiern!


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Seitenzahl: 133

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Das Schweigen des Herzens

Vorschau

Impressum

Das Schweigen des Herzens

Wo Liebe endet, beginnt die Last

Als Thorsten Unger die Vertretung seiner erkrankten Chefsekretärin zum Diktat ruft, sitzt diese wie ein Häufchen Elend an ihrem Schreibtisch und starrt schluchzend auf den Abschiedsbrief ihres Freundes aus ihrem Heimatdorf. Sie waren einander versprochen, doch nun hat er sich für eine andere entschieden.

Thorsten selbst befindet sich in einer ähnlich schmerzhaften Lage. Die Frau, die er über alles liebt, hat ihn kürzlich vor der geplanten Verlobung abgewiesen und einem anderen den Vorzug gegeben. Allein der Gedanke daran, wie im Klub hinter seinem Rücken getuschelt und gespottet wird, bringt ihn zur Verzweiflung.

Während er Claudia ein paar tröstende Worte zuspricht, keimt in ihm eine unerwartete Idee auf. Wieso sollten sie beide nicht einen Weg finden, diese Demütigungen hinter sich zu lassen? Blitzschnell fasst Thorsten einen Entschluss: Er schlägt Claudia vor, eine Scheinverlobung einzugehen und ein rauschendes Fest zu feiern, das alle sprachlos macht ...

»Ich lasse dich nur schweren Herzens gehen, Liebes.«

Fred Bender stand auf dem kleinen, zugigen Bahnhof neben seiner zukünftigen Frau. Dass beide ein Liebespaar waren, hätte man wahrlich nicht für möglich gehalten. Sie passten nämlich äußerlich ganz und gar nicht zusammen.

Claudia war nur mittelgroß und besaß einen sehr schlanken, feingliedrigen Wuchs, ein herzförmig zartes und dennoch ausdrucksvolles Gesicht. Die braunen Augen boten einen seltsamen Kontrast zu ihrem leuchtend blonden Haar.

Sie zählte zu jenen wenigen Mädchen, die schön sind, ohne sich ihrer Schönheit bewusst zu sein.

Fred war viel zu schwerfällig, um ihr Komplimente machen zu können. Er redete ohnehin nicht viel, aber Claudia verstand ihn auch ohne Worte.

Sie kannte ihn ja, ihren Fred, hatte ihn schon als Kind gekannt. Sie waren zusammen in einem Dorf aufgewachsen, Fred als Sohn eines Bauern, sie als Tochter des Dorfschullehrers. Oft hatte Fred sie auf den großen Leiterwagen steigen lassen, wenn er vom Feld heimgekehrt war. Er hatte wortlos ihr Fahrrad geschnappt und es auf den Wagen gehoben.

»Setz dich zu mir«, hatte er dann gesagt und ihr den zusammengefalteten Sack hingeschoben, damit sie auf dem harten Wagen etwas weicher sitzen konnte.

Diese Fahrten waren für Claudia stets ein unvergessenes Erlebnis gewesen. Fred hatte sie gern, das spürte sie und wusste sie. Er war mit seinen fünfzehn Jahren bereits ein starker, großer Bursche gewesen, der dem Vater tüchtig zur Hand gegangen war und auf den seine Eltern sehr stolz waren.

War etwa Claudias Fahrrad kaputt gewesen, hatte Fred es wieder repariert. Diese Freundschaft hatte sich in all den Jahren erhalten und war dann eines Tages mehr geworden.

Claudia seufzte jetzt und sah Fred mit ihren schönen Augen an.

»Du weißt, wie schwer es mir fällt zu gehen, Fred, lass uns nicht noch einmal über alles sprechen.«

»Aber noch ist es nicht zu spät. Ich nehme dich wieder mit zurück, du wohnst bei uns, und wir heiraten in Kürze«, beharrte der breitschultrige junge Mann, der ein bisschen an einen tollpatschigen Bären erinnerte.

Claudia sah auf ihre Schuhe. Es waren sehr derbe Schuhe, die sie stets abscheulich gefunden hatte. Aber Tante Ernestine hatte darauf bestanden, dass sie sie sich kaufte. Tante Ernestine hatte ohnehin seit dem Tod ihrer Eltern ihr Leben bestimmt. Nun war auch sie tot, und Claudia versuchte, so etwas wie Trauer zu empfinden, aber sie konnte es nicht.

Die altjüngferliche Tante hatte ihr das Leben zur Hölle gemacht. Claudia hatte täglich von ihr zu hören bekommen, wie dankbar sie ihr sein müsse.

»Normalerweise lebtest du jetzt in einem Waisenhaus!« Diesen Satz konnte Claudia schon singen. Sie hatte sich oft gefragt, ob sie dort am Ende nicht glücklicher gewesen wäre.

Doch da hätte es keinen Fred gegeben, Fred, der ihr Herz erwärmte, der gut zu ihr war und ihr heimlich die ersten Erdbeeren aus dem Garten geschenkt hatte. Und darum nahm sie Tante Ernestines Launen in Kauf und war mit ihrem Schicksal zufrieden.

Sie ging wahrlich nicht gern!

»Fred, ich bin so arm wie eine Kirchenmaus. Tante Ernestine hat ihr kleines Erbe der Heilsarmee vermacht, in der sie früher einmal sehr aktiv tätig war.«

»Ja, das war einer ihrer größten Streiche, ich weiß!« Fred Bender wurde fast redselig. »Erst knöpfte sie dir deinen Verdienst bis auf wenige Mark ab, sodass du dir noch nicht einmal ein Kleidungsstück kaufen konntest, und anstatt dir dein sauer verdientes Geld wenigstens nach ihrem Tod wieder zu vermachen, setzte sie dieses Testament auf. Sie war ganz einfach boshaft und hinterhältig!«

»Darüber wird jetzt ein anderer richten, Fred. Fest steht, dass ich mir noch nicht einmal ein Brautkleid kaufen könnte, so wenig Geld besitze ich. Ich ertrüge es nicht, am Ende von deiner Mutter deswegen Vorhaltungen hören zu müssen, wie ich sie von Tante Ernestine ja hinreichend gewohnt bin.«

»Mutter würde das niemals tun«, protestierte Fred energisch.

Claudia wusste es besser. Sie war als Schwiegertochter auf dem Benderhof nicht sehr willkommen. Freds Eltern waren Bauern vom alten Schrot und Korn. Sie hatten es zwar niemals ausgesprochen, aber Claudia war sehr empfindsam und spürte sehr viel mehr als Fred.

Daher wusste sie, dass sich Freds Eltern eine andere Schwiegertochter wünschten, eine, die eine ansehnliche Mitgift mitbrachte. Schließlich war ihr Sohn ja jemand – der Erbe eines der größten Höfe in der ganzen Gegend! Da konnte er schon Ansprüche stellen!

»Was willst du schon in der Fremde?«, grollte Fred.

»Geld verdienen, sonst zieht mich nichts von hier fort, das weißt du. Aber seitdem die Zuckerfabrik ihre Tore geschlossen hat, bin ich arbeitslos. Hier finde ich keine Büroarbeit. Ich habe mich genug darum bemüht.«

»Das hast du«, gab Fred zu. »Aber warum willst du Geld verdienen? Ich bin schließlich nicht arm.«

»Nein, das bist du nicht«, gab Claudia zu. »Aber weil du es nicht bist, Fred, ist es umso schrecklicher für mich, so gänzlich mit leeren Händen in die Ehe zu kommen. Auch ein armes Mädchen hat seinen Stolz.«

Fred nickte bekümmert.

»Ich sehe schon, ich kann dich nicht umstimmen. Pass gut auf dich auf, Claudia.«

Der Zug lief ein.

»Schreibe sofort, wo du untergekommen bist und wie es dir gefällt«, hämmerte ihr Fred ein.

Sie nickte und schluckte. Jetzt, da der Abschied so zum Greifen nahe vor ihr lag, war ihr jämmerlich genug zumute. Sie hätte sich am liebsten an Freds Brust geworfen und wie ein Kind geweint.

Diese Regung hielt noch an, als sie Fred die Hand schüttelte und in das Abteil stieg.

Fred legte ihre Koffer in das Gepäcknetz und stand kurz darauf wieder auf dem Bahnsteig. Der Abschied ging ihm nahe, er fühlte sich unbehaglich.

Und dann setzte sich der Zug in Bewegung. Claudia ließ ein weißes Taschentuch flattern, und als sie nichts mehr von Fred sah, sank sie auf ihren Platz. Sie wischte sich heimlich Tränen aus den Augenwinkeln und wünschte, die Zeit in der Stadt wäre schon wieder herum.

Gewiss würde sie sich dort schrecklich nach Fred und ihrem Heimatdorf sehnen. Doch erst wenn sie so viel Geld zusammengespart hatte, um sich eine Aussteuer kaufen zu können, die Gnade vor den Augen von Freds Mutter fand, konnte sie Fred heiraten!

♥♥♥

Ein halbes Jahr war vergangen.

Claudia lebte in der großen Stadt mit ihren Leuchtreklamen, dem brausenden Verkehr und den vielen Menschen.

Anfangs war es ihr sehr schwergefallen, sich in dieser neuen Umgebung zurechtzufinden, aber man gewöhnt sich an alles. Die Arbeit half ihr über die Sehnsucht nach daheim und die Einsamkeit hinweg. Sie war vielseitig und interessant. Wann immer sie konnte, machte Claudia Überstunden.

»Du bist vielleicht seltsam. Hast du denn niemals etwas vor? Der Alte kann dich fragen, wann er will, du bist immer zur Arbeit bereit«, hatte neulich eine Kollegin kopfschüttelnd festgestellt.

Claudia war dabei wie bei einem schweren Tadel errötet.

»Ich arbeite gern. Und außerdem kenne ich hier niemanden«, hatte sie schließlich gemurmelt.

»Männer kannst du sofort kennenlernen, geh nur einmal mit mir aus. Am Sonnabend ist eine Party ...«

»Nein, nimm es mir nicht übel«, hatte Claudia abgewehrt. »Ich bekomme Besuch.«

Sie hatte geschwindelt, weil ihr keine andere Ausrede eingefallen war. Ach, sie wünschte, Fred würde sie wieder einmal besuchen. Aber ihm hatte es hier bestimmt nicht gefallen. Sie hatte es ihm angemerkt, wie unbehaglich er sich in der Stadt gefühlt hatte. Er war ihr auch etwas verändert vorgekommen.

Zudem hatte es während des ganzen Sonntags in Strömen gegossen! Und so hatten sie sich immer in irgendwelchen Gaststätten herumdrücken müssen, da Claudia keinen Herrenbesuch auf ihrem Zimmer empfangen durfte.

Nein, besonders schön war der Sonntag nicht geworden, aber dennoch wünschte sie sehnlich, Fred möge wiederkommen.

Sie hatte ihn auch einmal besucht. Aber der Sonntag in ihrem Heimatdorf hatte auch unter einem schlechten Stern gestanden.

Ausgerechnet an jenem Sonntag war eine entfernte Cousine von Freds Mutter auf dem Benderhof zu Besuch gewesen und hatte ihre einzige Tochter mitgebracht, damit sie auf dem Hof Kochen und die Hauswirtschaft erlernen sollte.

Fred musste sich um seine Verwandten und um das junge Mädchen kümmern.

Vielleicht hatte Claudia darum das dralle Mädchen Marthe so wenig gemocht. Marthe war plump und in Claudias Augen auch recht dumm. Fred fand sie dagegen sehr tüchtig. Er war froh, dass seine Mutter in diesem Sommer Marthe zur Seite haben würde.

Claudia ließ diese beiden Sonntage vor ihrem geistigen Auge Revue passieren. Dann stellte sie fest, dass sie schon über ein halbes Jahr in der Stadt lebte! Die Zeit war trotz allem sehr schnell vergangen! Gottlob hatte sie inzwischen schon eine hübsche Summe auf die hohe Kante gelegt und sich außerdem etliche Kleidungsstücke gekauft.

Schuldbewusst fuhr Claudia zusammen, als der Abteilungsleiter auftauchte. Sie wurde fürs Arbeiten und nicht fürs Träumen bezahlt!

Jetzt kam er gar an ihren Arbeitstisch.

»Fräulein Mortensen, die Chefsekretärin ist erkrankt, und Herr Unger braucht eine neue Hilfe. Bitte nehmen Sie Ihren Stenogrammblock und einen gespitzten Bleistift mit.«

Claudia sah ihn nicht nur erschrocken, sondern auch entsetzt an.

»Ich soll ...«

»Ja, bitte beeilen Sie sich«, sagte er etwas unwirsch. »Der Chef wartet nämlich nicht gern!«

Da raffte Claudia ihre Arbeitsutensilien zusammen und eilte davon.

»Wo finde ich den Chef?«

»Natürlich im Chefzimmer«, raunzte der Abteilungsleiter.

Claudia kannte Thorsten Unger nur flüchtig. Aber all ihre Kolleginnen sprachen voller Hochachtung von ihm. Er war nicht nur ungeheuer tüchtig, sondern war auch als Mann eine viel beachtete, interessante und elegante Erscheinung.

Schüchtern klopfte Claudia an die Tür. Erst beim zweiten Male hörte sie sein »Herein!«

Zögernd trat Claudia ein. Sie kam gar nicht dazu, ihr Sprüchlein aufzusagen.

»Kommen Sie näher, setzen Sie sich«, forderte Thorsten Unger kurz und warf ihr einen flüchtigen Blick zu.

Claudia huschte auf den ihr angebotenen Platz. Ihr Herz klopfte ängstlich, sie war schrecklich aufgeregt. Wenn ihr Thorsten Unger jetzt etwas diktierte, brach vielleicht die Bleistiftspitze ab, oder sie verstand nicht, was er ihr sagte oder ... Sie merkte, dass ihre inneren Handflächen zu kleben begannen.

Da stand Thorsten Unger hinter seinem Schreibtisch auf.

»Ich hoffe, es macht Sie nicht nervös, wenn ich beim Diktieren auf und ab gehe, Fräulein ...« Er suchte nach dem Namen.

»Mortensen«, half ihm Claudia.

Der Chef schwieg eine Weile, um sich zu konzentrieren. Dann begann er mit seinem Diktat.

Claudia wunderte sich, dass ihr Bleistift über das Papier flitzte. Sie konnte schreiben – gottlob! Thorsten Unger schlug ein recht flottes Tempo an, aber sie kam gut mit! Sie merkte, wie ihre Verkrampfung sich langsam löste.

Nach einer guten Stunde blieb Thorsten Unger plötzlich vor ihr stehen.

»Sind Sie überhaupt mitgekommen?«, fragte er mit dem Anflug eines Lächelns.

»Ja.« Claudia nickte.

»Gottlob.« Er atmete erleichtert auf.

»Schreiben Sie bitte die Briefe und bringen Sie sie mir anschließend zur Unterschrift. Dort ist übrigens Ihr Arbeitsplatz, solange meine Sekretärin fehlt.«

Er öffnete eine Tür. Claudia stand auf. Sie kam erst jetzt dazu, einen schnellen Blick durch das Chefzimmer gleiten zu lassen. Der Raum war groß, hell und luftig, und die Einrichtung zeugte von einem erlesenen Geschmack.

Sie huschte hinaus, doch ehe sie die Tür schloss, merkte sie, dass Thorsten Unger ihr gefolgt war.

»Bitte stellen Sie nur dringende Telefongespräche zu mir durch. Erinnern Sie mich an die fälligen Termine. Ein Terminkalender muss auf dem Schreibtisch liegen. Wimmeln Sie auch unwichtige Besucher ab.«

Dann schloss er die Tür.

♥♥♥

Wie benommen stand Claudia in ihrem neuen Arbeitsraum. Wie sollte sie die Telefongespräche und die Besucher unterscheiden? Sie nagte verzweifelt an ihrer Unterlippe. Ihre Tätigkeit für den Chef endete todsicher mit einer Katastrophe, davon war sie überzeugt.

Gegen Mittag, als sich eine weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung meldete, kam sie zum ersten Male in Gewissenskonflikte.

»Hier ist Elvi von Händel, ich möchte Herrn Unger sprechen«, sagte jene Unbekannte.

»In welcher Angelegenheit bitte?«, fragte Claudia.

»Privat natürlich!« Die Stimme klang nun ausgesprochen ärgerlich und beinahe wütend.

Claudia überlegte blitzschnell. Der Chef würde ganz sicher nicht erbaut davon sein, wenn er gerade jetzt gestört würde.

»Es tut mir leid, Herr Unger befindet sich in einer Konferenz, ich kann ihn dort nicht stören«, sagte sie ihr Sprüchlein auf.

»Was bilden Sie sich eigentlich ein?«, rief die weibliche Stimme empört. Im nächsten Moment hatte die Anruferin aufgelegt. Claudia notierte sorgfältig auch diesen Anruf auf einen Block.

Wenig später hatte sie die Briefe abgetippt und brachte sie zu Thorsten Unger.

»Ach, Sie sind schon fertig«, sagte er im Tonfall eines Menschen, der gerade angestrengt nachgedacht hatte.

Sie reichte ihm die Mappe. Dann wollte sie sich wieder entfernen.

»Bleiben Sie, setzen Sie sich, am Ende gibt es noch Korrekturen oder Rückfragen.« Er deutete kurz auf einen kleinen Sessel und vertiefte sich in die Korrespondenz.

Dann nickte er und sah Claudia anerkennend an.

»Tadellose Arbeit, ich bin sehr zufrieden mit Ihnen.«

Claudia errötete über das unerwartete Lob.

»Hier sind übrigens auch die Anrufe.« Sie zählte die Namen der Teilnehmer auf und berichtete, was sie mit ihnen vereinbart hatte.

Dann kam sie zum letzten Telefonat. Hier stockte sie.

»Am Apparat war ein Fräulein von Händel, privat übrigens. Ich wollte Sie nicht stören ...«

Weiter kam sie nicht. Das schmale Gesicht Thorsten Ungers rötete sich.

»Das hätten Sie aber unbedingt tun müssen«, sagte er ärgerlich. »Merken Sie sich bitte, dass ich immer, immer für Fräulein von Händel zu sprechen bin«, hämmerte er ihr ein.

Claudia senkte den Kopf, presste auf ihrem Schoß die Handflächen gegeneinander und starrte auf ihre Schuhe.

Sie ahnte nicht, wie hilflos und unglücklich sie in diesem Moment wirkte.

»Gewiss«, murmelte sie.

Offenbar hatte Thorsten Unger Mitleid mit ihr. Seine Stimme klang versöhnlich.

»Hier sind die Briefe, sorgen Sie dafür, dass sie sofort abgeschickt werden.«

»Das werde ich tun.« Claudias Stimme war nunmehr wie ein Flüstern. Dann huschte sie hinaus.

Thorsten sah ihr kopfschüttelnd nach. Himmel, da hatte er zwar eine ganz brauchbare Sekretärin erwischt, aber sie schien eine Mimose zu sein. Außerdem fiel ihm erst nachträglich auf, wie ärmlich die Kleine eigentlich angezogen war. Seine erkrankte Sekretärin kleidete sich wesentlich eleganter.

Wenig später wählte er Elvi von Händels Telefonnummer. Die Mutter war am Apparat und wirkte sehr kühl.

»Nein, Elvi ist nicht zu Hause, Herr Unger.«

»Wo kann ich sie erreichen?«

»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen.«

»Hat sie eine Nachricht für mich hinterlassen?«, bohrte Thorsten darauf weiter und bemühte sich, seine Nervosität nicht allzu deutlich durchklingen zu lassen.

»Nein, ich glaube auch nicht, dass sie darauf erpicht war, nachdem Ihre Sekretärin sie so unhöflich abgewimmelt hat.«

»Frau von Händel, ich habe seit heute Vormittag eine Aushilfskraft in meinem Vorzimmer sitzen«, versuchte er sich zu entschuldigen. »Meine Sekretärin ist erkrankt. Diese junge Dame handelte im guten Glauben, mir einen unerwünschten Anruf fernhalten zu müssen.«

»Mir ist es gleichgültig, mein Bester, wir wollen uns nicht streiten. Auf jeden Fall hätten Sie in Bezug auf Elvi entsprechende Anweisungen erteilen müssen. Sie kennen meine Tochter. Sie ist jetzt begreiflicherweise sehr verstimmt.«

»Ja, ich kann es mir denken«, murmelte Thorsten bitter. Dann legte er auf.

Wenn er nicht so viel Arbeit gehabt hätte, hätte er jetzt sein Büro verlassen, um nach Elvi zu suchen und sie wieder zu versöhnen.

Seitdem sie in sein Leben getreten war, war er verrückt nach ihr. Aber er war nicht ihr einziger Verehrer.