Die Wikingersaga - Drei Romane in einem Band - Kari Köster-Lösche - E-Book
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Die Wikingersaga - Drei Romane in einem Band E-Book

Kari Köster-Lösche

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Beschreibung

Der Thorshammer Haithabu, die aufstrebende Stadt der Wikinger. Hier erlebt der junge Bootsbauer Folke die glücklichsten Tage seines Lebens; die schöne Tordis ist seine erste große Liebe, jede freie Minute will er mit ihr verbringen. Doch dann bricht plötzlich das Unheil über die Stadt herein: Ein Schiff sinkt vor der Küste, und im Wald wird ein Toter gefunden – von einem Baum hängend, am Arm den Thorshammer. War der Mann ein Schmuggler? Und welche Fracht barg das gesunkene Schiff? Unfreiwillig gerät Folke mitten in die Nachforschungen des Wikgrafen. Zu spät erkennt er, dass die Suche nach Antworten einen hohen Preis fordern könnte. Nicht nur seine Liebe steht auf dem Spiel – auch sein eigenes Leben … Das Drachenboot Als eines Tages ein unbekanntes Drachenboot in der Werft des jungen Bootsbauers Folke einläuft, ist es mit seinem beschaulichen Leben vorbei. Denn die grimmige Besatzung des „Grauen Wolfs“ scheint ein dunkles Geheimnis zu hüten – ebenso wie der verletzte Krieger, den Folke in seinem Haus aufnehmen soll. Woher stammen seine seltsamen Wunden? Was ist auf dem Schiff geschehen? Der neugierige Folke sucht nach Antworten und heuert kurzerhand auf dem „Grauen Wolf“ an. Als ihm klar wird, dass er sich damit in tödliche Gefahr begibt, ist es bereits zu spät … Die Bronzefibel Birka, die große schwedische Handelsmetropole, feiert die Hochzeit des königlichen Beraters. Aus allen Ländern des Nordens strömen die Menschen herbei, unter ihnen auch der Schiffsbauer Folke. Bei seiner Ankunft fällt dem jungen Wikinger unter mysteriösen Umständen ein besonderes Schmuckstück in die Hände – eine kunstvoll gearbeitete Bronzefibel. Was hat es damit auf sich? Und wem gehört sie? Folke macht sich im Trubel der Hochzeitsfeier auf die Suche nach dem rechtmäßigen Besitzer. Zu seinem Entsetzen findet er jedoch etwas ganz anderes: zwei Tote und ein Netz aus Intrigen und Rachsucht …

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Über »Der Thorshammer«:

Haithabu, die aufstrebende Stadt der Wikinger. Hier erlebt der junge Bootsbauer Folke die glücklichsten Tage seines Lebens; die schöne Tordis ist seine erste große Liebe, jede freie Minute will er mit ihr verbringen. Doch dann bricht plötzlich das Unheil über die Stadt herein: Ein Schiff sinkt vor der Küste, und im Wald wird ein Toter gefunden – von einem Baum hängend, am Arm den Thorshammer. War der Mann ein Schmuggler? Und welche Fracht barg das gesunkene Schiff? Unfreiwillig gerät Folke mitten in die Nachforschungen des Wikgrafen. Zu spät erkennt er, dass die Suche nach Antworten einen hohen Preis fordern könnte. Nicht nur seine Liebe steht auf dem Spiel – auch sein eigenes Leben …

Über »Das Drachenboot«:

Als eines Tages ein unbekanntes Drachenboot in der Werft des jungen Bootsbauers Folke einläuft, ist es mit seinem beschaulichen Leben vorbei. Denn die grimmige Besatzung des »Grauen Wolfs« scheint ein dunkles Geheimnis zu hüten – ebenso wie der verletzte Krieger, den Folke in seinem Haus aufnehmen soll. Woher stammen seine seltsamen Wunden? Was ist auf dem Schiff geschehen? Der neugierige Folke sucht nach Antworten und heuert kurzerhand auf dem »Grauen Wolf« an. Als ihm klar wird, dass er sich damit in tödliche Gefahr begibt, ist es bereits zu spät …

Über »Die Bronzefibel«:

Birka, die große schwedische Handelsmetropole, feiert die Hochzeit des königlichen Beraters. Aus allen Ländern des Nordens strömen die Menschen herbei, unter ihnen auch der Schiffsbauer Folke. Bei seiner Ankunft fällt dem jungen Wikinger unter mysteriösen Umständen ein besonderes Schmuckstück in die Hände – eine kunstvoll gearbeitete Bronzefibel. Was hat es damit auf sich? Und wem gehört sie? Folke macht sich im Trubel der Hochzeitsfeier auf die Suche nach dem rechtmäßigen Besitzer. Zu seinem Entsetzen findet er jedoch etwas ganz anderes: zwei Tote und ein Netz aus Intrigen und Rachsucht …

Über die Autorin:

Kari Köster-Lösche, 1946 in Lübeck geboren, Tierärztin und Wikingerexpertin, hat einen Großteil ihrer Jugend im schwedischen Uppsala, dem Zentrum der nordischen Kultur, verbracht. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Nordfriesland.

Kari Köster-Lösche veröffentlicht bei dotbooks bereits die historischen Romane »Die Erbin der Gaukler«, »Jagd im Eis«, »Die Wagenlenkerin«, »Die Hexe von Tondern«, »Die Reeder«, »Die Heilerin von Alexandria« und das Kinderbuch »Stille Nacht, eisige Nacht« sowie die historische Romanserie:

DIE SACHSEN-SAGA:»Das Blutgericht – Erster Roman«»Donars Rache – Zweiter Roman«»Mit Kreuz und Schwert – Dritter Roman«

Die Romane der »Sachsen-Saga« sind auch als Sammelband erhältlich.

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Originalausgabe September 2016

Copyright © der Originalausgabe »Der Thorshammer« 1992 by Ehrenwirth Verlag GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe »Das Drachenboot« 1992 by Ehrenwirth Verlag GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe »Die Bronzefibel« 1993 by Ehrenwirth Verlag GmbH, München

Copyright © der vorliegenden Gesamtausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Atelier Nele Schütz, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Fernando Cortes

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3- 95824-290-6

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Kari Köster-Lösche

Wikinger-Saga

Drei Romane in einem Band

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Kari Köster-Lösche

Der Thorshammer

Die Wikinger-Saga

Band 1

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Letzte Woche im Schlangenmonat

1. Sonnentag in Haithabu

Es war ein glutheißer Abend in den letzten Tagen des Schlangenmonats im Jahr 925. Die Arbeit in der Bootsbauerei ruhte längst, und auch die Buden der anderen Handwerker lagen still und leer am Ufersaum. In der Stadt stiegen schmale Rauchfahnen aus jedem der unzähligen Häuser und Höfe, Zeichen dafür, daß die Menschen nun nach einem langen arbeitsreichen Tag um das Herdfeuer versammelt waren. Vereinzelte Stimmen wurden hinter den Bretterumzäunungen der Häuser laut; mancher der Kaufleute, die von weit her in dieses Grenzgebiet zwischen Nordleuten und Franken gekommen waren, mochte unerwartet einem Freund wiederbegegnet sein und das Ereignis tüchtig begießen. Im allgemeinen aber waren die Menschen hier in Haithabu an der Schlei nüchtern und ruhig, denn wer im Handel tätig ist, muß einen kühlen Kopf bewahren.

Folke, der siebzehnjährige Gehilfe, gleichzeitig Neffe des Schiffbaumeisters Thorbjörn, trat durch die Pforte auf den bohlenbelegten Weg und sah sich um. In Richtung auf den Wall, der die Stadt umschloß, war alles ruhig, aber am Hafen schien einiges los zu sein. Er setzte sich in Bewegung, immer abwärts am Bach entlang.

Er wollte den heute erst gestreckten Kiel des neuen Langbootes noch einmal ganz in Ruhe und ganz allein in der Bootsbauerei betrachten – es war sein erstes Schiff und sein erster Kiel, und beide flößten ihm beinahe Ehrfurcht ein. Still und verschlossen, wie er war, mochte er seine Freude in Gesellschaft nicht laut äußern. Außerdem hatte er sich in der Gegenwart der Männer, für die die Kiellegung ein Alltagsgeschäft war, nicht blamieren wollen.

Wegen der Hitze war er nur mit einer dünnen Sommertunika und leichten Schuhen bekleidet; wäre es nach ihm gegangen – er wäre barfuß gelaufen, aber Hild, die Frau seines Oheims, die dem Haushalt vorstand, duldete das nicht. Folke grinste in sich hinein. Zu gut hatte er noch im Ohr, wie sie ihm gleich nach seiner Ankunft zu verstehen gegeben hatte, daß man zu der Oberschicht von Haithabu gehöre: »Hier nicht«, hatte sie mit einem Blick auf seine nackten Füße spitz bemerkt, und allein aus der Betonung der Worte hatte er sofort gewußt, daß sie auf den Bärenhof seines Vaters Björn anspielte. Als ob er nicht durch seine Mutter Aasa eine sehr sorgfältige Erziehung genossen hätte! Allerdings mußte er einräumen, daß seine Kenntnisse der bekanntesten Heldengesänge ihr wichtiger gewesen waren als die Überprüfung seines Schuhwerks.

Folke eilte die schmale Gasse entlang zum Hafen. Lang und schlaksig war er und wuchs immer noch; im Gehen schienen sich seine Knochen aneinander zu stoßen wie seine Zunge an allzu vielen Worten; aber im Laufen waren seine Bewegungen elegant wie die eines jungen Hirsches. Ohne innezuhalten, lauschte er. Seine leisen Schritte wurden von gleichmäßigem Pferdegetrappel übertönt: eine Patrouille des Wikgrafen.

Seit der schwedische König Knuba über Haithabu herrschte, gab es um das Grenzgebiet zwischen dem Deutschen Reich und dem Wikingerreich noch mehr Streit als vorher, und Haithabu war nun mal die südlichste Stadt der Wikinger. Seit anderthalb Jahrhunderten Drehscheibe für den Handelsverkehr zwischen Norden und Süden, zwischen Westen und Osten, gab es manchen Herrscher, der ein Auge auf die blühende Stadt geworfen hatte: mit neuerbauten Befestigungsanlagen, mit dem besten Hafen der südlichen Ostsee, mit der kürzesten Verbindung von Ostsee zur Nordsee überhaupt, mit einer königlichen Münzwerkstätte und einer rührigen Kaufmannschaft, war sie ein Leckerbissen für jedermann. Ja, es gab vielerlei Gründe, wachsam zu sein, und die meisten jungen Männer der Stadt besannen sich auf die Tugenden ihrer Väter und übten vor den Wällen mit dem Speer und der kurzen Axt fleißiger als noch vor einigen Jahren.

Die Straße endete am großen Speicher an der Bucht. Wie üblich während des hellen nordischen Sommers, wurden auch jetzt noch Schiffe beladen, die am nächsten Morgen in See stechen sollten. Folke wandte seinen Kopf der leichten Brise entgegen, die vom Wasser kam, und sog den salzigen Duft ein. Während seine Nase die toten Schollen und die vom letzten Sturm in den Hafen geworfenen Algen unterschied, nahm er mit den Augen wahr, daß die friesische Witwe noch laden ließ, ebenso der russische Kaufmann, der schon das dritte Jahr hintereinander nach Haithabu kam. Auch das größte ortsansässige Handelshaus kannte noch keine Nachtruhe: Kaufmann Högni, ein alter Erbfeind von Folkes Familie. Ihm gehörte das stattlichste der Schiffe, die ihren Heimathafen hier hatten.

Folke gab sich keine Mühe, sich zu verbergen. In der Stadt mußten Högnis Männer ihn in Ruhe lassen. König Knubas Vogt bewahrte den Marktfrieden zuverlässig, notfalls mit dem Schwert, und das wußte jeder, der sich hier aufhielt, ob Schwede, Norweger, Sachse, Franke oder Friese.

Drei Sklaven und einer von Högnis Gefolgsmännern hoben einen Kasten vom Transportwagen, der in eine Decke eingehüllt war. Als sie den Behälter über die Laderampe ins Boot schleppten, schwankte es wie ein Stückchen Kiefernborke im Tümpel, und das Wasser klatschte laut zwischen der geklinkerten Bordwand und der Spundwand des Anlegers.

Der junge Bootsbauer trat neugierig an das Kauffahrtschiff heran, das schnell wieder breit und behäbig wie zuvor im Wasser lag.

Die zwei älteren Sklaven setzten den Kasten neben dem Mast ab. Schweigsam und unscheinbar von Gestalt, waren sie für einen Wikinger in ihrer grauen Wollkleidung genauso unsichtbar wie die Götter Odin und Thor, und sie waren es gewohnt, unbeachtet zu bleiben. Einer von ihnen mühte sich ungeschickt mit einem langen Seil ab, das er mitgebracht hatte. Der dritte, der Jüngste von ihnen, nahm ihm das Tau ab und schoß es wie ein Seemann auf. Als er das Ende mit einem Palstek am Mastfuß belegte, war Folkes Neugier geweckt.

Der Sklave richtete sich auf, und ein kleines Kreuz glänzte auf seiner nackten Brust in der warmen Abendsonne auf. Mit seinem sonnenverbrannten klaren Gesicht unter hellbraunen Haaren sah er aus wie ein beliebiger junger Mann in der Stadt – er schien alles andere als ein Sklave zu sein. Für einen Moment lang schaute Folke in hellblaue Augen, die ihn ohne Scheu und Zurückhaltung musterten. Aber bevor Folkes flüchtige Gedanken sich näher mit ihm befassen konnten, wurden sie von Högnis Mann abgelenkt.

»Was spionierst du hier herum?« fauchte der: Folke hatte in ihm längst Sote den Schweden erkannt. Sein roter Bart war der längste und borstigste, den es in der ganzen Stadt gab, da konnte kein russischer mithalten. Kürzer als sein Bart war seine Rede. »Hau ab!«

Folke zog überrascht seine Hände von der Bordwand zurück. Während er aus den Augenwinkeln wahrnahm, daß unter der Plattform des Steuermanns ein sorgfältig in Decken eingehülltes Paket lag, das von dem älteren Sklaven mit dem Fuß außer Sicht geschoben wurde, antwortete er stolz: »Du scheinst mich nicht zu kennen, Sote Rotbart. Ich bin Folke Björnssohn aus der Sippe der Bären. Mein Vater ist Husbjörn Granesohn, freier Bauer auf Bärenhof zu Missunde, meines Vaters Bruder ist Thorbjörn Granesohn, bekannter Schiffbauer in Haithabu. Wir Dänen haben hier keine geringeren Rechte als ihr Schweden. Es steht dir nicht zu, mich zu beleidigen.«

Der Schiffer, kenntlich an der roten Kapuze, die ihm am Rücken herabhing, stieg vom Schiff. Seine Bewegungen waren bedächtig wie bei allen erfahrenen Seeleuten, die nur zu genau wissen, wie schnell jemand über, statt von Bord geht. Er baute sich vor Folke auf, so dicht, daß dieser die stumpf gekauten Schneidezähne sehen konnte. Angriffslustig schien er nicht zu sein, aber Folke war auf der Hut.

»Ich kenne dich«, sagte der Schiffer in der singenden Sprachmelodie der Schweden. »Aber ich kenne meinen Herrn noch besser, und darum achte ich sein Recht höher als deine Neugierde. Nie würde mein Herr deiner Familie Einblick in seine Geschäfte geben. Also mach, daß du fortkommst!«

Folke antwortete verblüfft: »Ich kam hier nur eben vorbei auf dem Weg zum Bootsplatz meines Vaterbruders. Du wirst verstehen, daß ich mir gern jedes gut gebaute Schiff ansehe. Und nun habe ich genug gesehen.« Er wandte sich ab, lief den kurzen Anleger entlang und sprang auf den Uferweg. Er ärgerte sich. Schon für weniger hatten Männer sterben müssen. Aber es war zu spät, jetzt noch umzukehren.

Der Rotbart sah mißmutig hinter ihm drein und feuerte dann den unscheinbaren der älteren Sklaven mit der Peitsche an. Den jungen verschonte er.

Hinter dem letzten Steg für die großen Schiffe hatten die Fischer ihre Bootsplätze. Ihre kleinen Nachen und Prähme schaukelten sanft in den Boxen, die sie am Ufersaum mit Hilfe von Holzknüppeln angelegt und durch Steinschüttungen mit Muschelschalenauflage voneinander getrennt und gut begehbar gemacht hatten. Zwischen den Boxen und dem dazugehörigen Grasland, wo die Netze und Reusen sauber aufgestapelt waren, führte Folkes Weg hindurch. Die aufgeblasenen, bunt angemalten Schweinsblasen zur Markierung leuchteten hell in der Dämmerung.

Allmählich wurde es stiller um Folke, in den Büschen raschelten die Igel, und er hörte das Pfeifen einzelner Fledermäuse, die am Wasser Mücken jagten. Zu seiner Linken lag das Noor, das innerste Ende der Förde, die sie die Schlei nannten. Hier war der beste Naturhafen weit und breit an der Ostsee. Auch die fernreisenden Kaufleute, die lieber ihre letzte Etappe im gastfreien Bärenhof bei Missunde unterbrachen, als in Haithabu bei Nacht einzusegeln, lobten ihn in hohen Tönen. Mit Wehmut mußte Folke plötzlich an den väterlichen Hof denken. Hier hatte er mit dem Vater Braunbär, Ur und Dachs gejagt und hatte mit ihm in der Schlei gefischt. Der Vater hatte seinem jüngsten Sohn Blätter von Buche, Eiche, Ahorn, Linde und Esche in die Hand gegeben, hatte ihn riechen und fühlen lassen. Er hatte ihm beharrlich beigebracht, wie man Bäume fällt und ein Haus baut und auch, wie und wann man Gerste und Roggen zu säen hat. Und obwohl Folke dieser bäuerlichen Kenntnisse zu Hause überdrüssig gewesen war, hatte er jetzt Heimweh.

Widerwillig löste er seine Gedanken vom Bärenhof und sah trotzig hinaus auf die Förde. Dort glitzerten die Pfähle der Hafenpalisade schwärzlich im Wasser. Die Sonne erreichte sie nun nicht mehr. Nur zwischen den Enden der Molen, die mit je einem Wachtturm gesichert waren, lag ein heller Streifen Wasser, der sich bis zum Horizont erstreckte und erst vom schwarzen Wald am jenseitigen Ufer verschluckt wurde.

Die Mole war leer bis auf die zwei Soldaten der Wachmannschaft des Wikgrafen. Die langweilten sich. Sie hatten ihre Speere abgestellt und hockten auf dem Boden, wohl ein Brettspiel zwischen den Füßen. Wahrscheinlich war ihnen das nicht erlaubt. Nun ja, was ging es ihn an. Er konnte die Männer verstehen – vermutlich besser als der Wikgraf, wenn es ihm zu Ohren käme.

Nach einigen Minuten stand er endlich vor der Bootsbauerei. Der große Schuppen, in dem sie ihr Handwerkszeug aufbewahrten und in dem sie auch die kostbaren zukünftigen Steven- und Kniehölzer trockneten, versperrte breit und entschieden den Uferweg: Hier war Haithabu zu Ende. Dahinter erhob sich der Wehrwall, dessen dem Feind zugewandte Pfahlreihe noch im letzten Licht des Tages lag. Da oben war alles still, die Soldaten waren wohl auf ihrer Wachrunde.

Eine kleine Brise bog die Birken und Holunderbäume am Fuß des Walls und fegte die Mückenschwärme weg, die sich auf dem stillen Gelände tummelten. Folke überquerte den Schiffsbauplatz zwischen Ufer und Werkstatt; er war von Rinde und Holzspänen übersät, zwischen denen das Gras büschelweise hochsproß. Es knisterte und knackte leise unter seinen Füßen. Folke stieß einen Brocken Eichenrinde mit dem Schuh beiseite und atmete tief ein. Der Holzteer, mit dem sie im Frühjahr die untersten Bohlen des Schuppens abgedichtet hatten, war am Tag in der Sonnenhitze wieder weich geworden und glänzte in Tropfen zwischen den Stoßkanten. Sein Duft mischte sich mit dem kräftigen Geruch der Bretter, die sie in den letzten Wochen mit der Axt zugehauen und zwischen schmalen Holzstreifen zum Trocknen aufgesetzt hatten. Drei Stapel Bauholz aus vergrauter Eiche, einer aus hellgelber Kiefer, die von weit herkam, und zwei aus kürzeren, besonders krummen Ästen von Esche: Sie würden sich in den nächsten Monaten unter den Händen des Meisters zu einem Schiff fügen, wenn Njörd ihm gnädig beistand. Diese Gerüche waren es, um derentwillen er darauf verzichtet hatte, sich auf einem der Langboote unter König Knubas Kommando Kriegsruhm zu erwerben.

Das Boot, an dem er zusammen mit Thorbjörn am selben Tag den Kiel gestreckt und die Steven angebolzt hatte, war auf Lagerhölzern aufgepallt. Folke umschritt den Kiel mit den Steven und den Stützhölzern. Dreißig Schritte benötigte er von einem Schiffsende bis zum anderen, und die äußersten Pallhölzer lagen schon fast im leise gluckernden Wasser. Ein Kriegsschiff sollte es werden, scharf geschnitten und schnell wie ein Windhund.

Folke kniff die Augen zusammen, legte den Kopf schief und sah es schon fertig in voller Schönheit auf der Helling stehen. Das Sonnenlicht würde sich auf dem bunt bemalten Drachenkopf spiegeln, und dessen Augen würden feurige Strahlen auf die Feinde an fremden Küsten werfen. Folke in Haithabu hat das Schiff gebaut, würde der Skalde später zum Ruhm des siegreichen Königs singen, und dieser und alle Zuhörer wüßten sofort, daß ein Teil des Ruhms auch auf den Schiffbauer des Königs fiel, und sie würden nicken und ihre Trinkhörner erst auf Knuba und dann auf Folke erheben.

»Warum seufzt du?« fragte eine leise Stimme hinter Folke, und er fuhr herum, in der Hand den Dolch, den er aus dem Gürtel gerissen hatte. Als er erkannte, wer hinter ihm stand, verzog er verärgert den Mund und steckte das Messer wieder weg. »Ach, du bist es«, sagte er. »Ich habe dich nicht kommen hören.«

»Ich bin auch nicht gekommen«, erwiderte der Alte, der nicht zu den Schiffbauern gehörte und sich dennoch das. Recht nahm, auf dem Platz ein und aus zu gehen, wie er wollte. »Ich war schon hier. Gekommen bist du.« Indem er das sagte, schloß er die Augen und hob den Kopf wie ein blinder Seher, der die Zukunft weissagt. »Gegangen aber sind Ragnvald und Assur. Beide starben in Särkland. Im Zweikampf wurde Öystein getötet. Frakki starb daheim. Tot ist auch Bue.« Trauer überkam den alten Mann, und er bewegte stumm die Lippen, während Folke in Ehrfurcht schwieg. Viele Söhne oder nahe Verwandte hatte der Alte verloren, und darüber mußten sich seine Sinne verwirrt haben.

Ein gewöhnlicher Mann konnte er nicht sein: aus seinem hageren langen Gesicht mit den tief eingekerbten Furchen neben den Nasenflügeln sprachen vergangene Kraft und Härte. Seine Waffen hatte er anscheinend schon vor langer Zeit abgelegt, nur den Helm nicht. Unter dem verbeulten und gekerbten Blech lugten dünne graublonde Haare strähnig hervor.

Der unhörbare Trauergesang ging in ein Murmeln über, aber erst nach einer Weile wurden daraus wieder Worte, die Folke verstehen konnte: »Niemand blieb übrig, ihnen einen Stein zu setzen. Außer Odin, dem Allwissenden, Suchenden, wird niemand bezeugen, daß sie in Walhalla auf den großen letzten, siegreichen Kampf warten.«

Folke fröstelte. Odin anzurufen war ungewöhnlich, der Umgang mit ihm war nicht ungefährlich; nur Könige, Jarle und Seher wagten das Zwiegespräch. Er kannte niemanden, der mit Odin wie mit seinesgleichen redete. Für ihn selber als freien Bauernsohn von guter Herkunft war Thor zuständig, ebenso wie für seinen Vater und seine Brüder; seine Mutter Aasa, die ihm immer und immer wieder von den Göttergeschlechtern erzählt hatte, bis er sie auswendig kannte, hatte stets mit Ehrfurcht von Odin gesprochen. »Odin muß es bezeugen«, verlangte der alte Mann bestimmt, nickte, als ob er sich jetzt selber sicher sei, und schlug die Augen wieder auf. Er musterte Folke erstaunt. »Ich wollte dich nicht stören«», sagte Folke lahm und hatte plötzlich das Gefühl, eingedrungen zu sein, wo er nichts zu suchen hatte. Auf seltsame Art fühlte er sich wehrlos in der Nähe dieses alten Mannes. Seit seinem Erscheinen war jegliches Geräusch in der Natur erstorben. Kein Igel und kein Käfer raschelten, die schlaftrunkenen Vögel waren verstummt. Sogar der Wind in den Büschen hatte sich gelegt, es war totenstill.

Der alte Mann schien Folkes Furcht nicht zu teilen. »Horch«, befahl er und deutete mit dem Zeigefinger in die Luft. »Odin holt Atem. Es ist sein Hain. Er wartet.«

Folke sah ihn an, ohne etwas zu erwidern. Sein Herz krampfte sich zusammen wie seine Hand. War der Alte ein Priester? Er hatte es in der Stadt flüstern hören. Und standen sie hier auf heiligem Boden, ohne daß er davon wußte? Eine Ewigkeit lang war es ihm unmöglich sich zu rühren, und seine Zunge war wie gelähmt.

Der Alte lauschte immer noch. In der Ferne rollte erster Donner. Plötzlich fuhr ein Windstoß zwischen die Männer und wirbelte Holzschnitt und trockenes Gras auf. Mühsam entspannte sich Folke. Er hatte sich ins Bockshorn jagen lassen. Vor einem Menschenalter wäre ein freier Mann auch in Haithabu vielleicht noch nicht viel wert gewesen, aber heutzutage herrschte hier das Gesetz des Königs. Heimliche Opfer gab es nicht mehr, und dieser Platz gehörte Thorbjörn.

Folkes Unsicherheit ging in Ärger über. Wahrscheinlich war der Mann nur einer von den Alten, die zu Hause als unnütze Esser unerwünscht waren. Viele von ihnen trieben sich im Sommer draußen herum, blieben als geduldeter Gast eine Mahlzeit lang auf entlegenen Höfen und zogen weiter. »Warte«, sagte er hitzig, »ich werde Thorbjörn erzählen, daß du wieder hiergewesen bist.«

Die Aufmerksamkeit des Alten wich unvermittelt einem unzufriedenen Brummeln. »Ich habe die Hand nicht gegen dich erhoben. Ich hätte es können«, erinnerte er Folke, aber der Bann, den er für einige Minuten über den jungen Mann geworfen hatte, konnte nicht mehr zurückgeholt werden. Der alte Mann schien es selbst zu spüren. Er sah Folke mit trüben Augen an, dann drehte er sich um und schlurfte auf bloßen Füßen davon.

Wie merkwürdig, daß er hei dieser Hitze einen Mantel trägt, dachte Folke unbestimmt und starrte ihm nach. Vielleicht weil er alt war. Alte Männer froren leicht. Um die Fünfzig schätzte ihn Folke.

Der alte Wikinger verschwand hinter der Ecke des Bootsschuppens, und Folke hörte noch einige Augenblicke sein trockenes Altmännerhüsteln, bis es von den glucksenden Wellen am Ufersaum und dem Gebrumm einer verspäteten Hummel übertönt wurde. Erst lange nach dem unerwünschten Besucher machte Folke sich nachdenklich auf den Heimweg.

In der Zwischenzeit hatte der Wind gedreht, und der Himmel war nachtschwarz. Folke sah nach oben und beschleunigte seine Schritte. Es würde gleich losbrechen. Thor hatte seine Böcke angespannt, irgendwo in weiter Ferne warf er bereits den Blitzhammer.

Als Folke wieder an den Hafenanlagen anlangte, waren sie fast leer. Die Kaufleute hatten ihre Arbeiten kurzerhand beendet. Als der Sturzregen begann, sprang Folke in die offene Tür eines Lagerschuppens: Er konnte den Regenguß gut hier abwarten. Die Wachleute durften sich nicht in Sicherheit bringen – die würden bis auf die Haut naß werden. Er grinste ein wenig und blinzelte dann aufmerksam durch die Regenschwaden.

Anscheinend hatten die Wachleute etwas gesichtet. Sie drängten sich zusammen an einer der Verteidigungslücken und spähten auf die Schlei. Aber es stieg weder ein Segel über der Palisade in die Höhe, noch erschien eines in der Hafeneinfahrt. Folke verlor das Interesse und fing gelangweilt an zu pfeifen.

2. Sonnentag auf See

Anderthalb Stunden von Haithabu entfernt, näherte sich der Stadt ein Langboot mit äußerster Reisegeschwindigkeit. Es kam von Birka, dem Zentrum des schwedischen Wikingerreichs und als Handelsstadt noch größer als Haithabu. Der Knorr gehörte dem Kaufmann Ivar, der Pelze nach Süden brachte. Nach Haithabu und dann weiter ins Frankenreich, wo die Nerze bei den Damen und Herren von Stand als Besatz an Kleidersäumen, als Brustlatz und als Kappe hochbegehrt und darum teuer waren. In diesem Jahr war er mit seiner letzten Fracht spät dran. Die kleinen wilden Jäger des äußersten Nordens, wo die Winterpelze am dichtesten waren, die Samen, hatten die Felle mit einem ganzen Monat Verspätung zu seinen schwedischen Zwischenhändlern gebracht. Ivar wußte nicht, warum, aber eines wußte er genau: den Franken würden die Gründe gleichgültig sein, weshalb er zu spät zum Markt und für das Herbstgeschäft kam. Sie würden sich nach zuverlässigeren Geschäftspartnern umsehen.

Der Schiffsführer, der zugleich Ivars Kompagnon war, trieb darum die Ruder so hart an, wie er konnte. Sklaven wären weniger empfindsam als seine Schweden gewesen; aber sie waren teurer als die Felle, und nur ein schlechter Geschäftsmann hätte sie als Ruderer statt als Handelsware benutzt.

Ivar jedoch war ein guter Geschäftsmann. Anpassungsfähig an sich schnell verändernde Verhältnisse, sprachbegabt und gewandt, hatte er schnell gelernt, die Franken richtig zu nehmen. Im Glauben wie in der Kleidung gab er sich fränkisch: in diesem Jahr trug er weinrote Pumphosen, dazu eine Untertunika aus reiner Seide. Die Schöße seines Oberrockes waren mit breiten Nerzkanten gesäumt und mit einem goldverzierten Ledergürtel zusammengefaßt. Der üppige Goldbelag erzählte mit seinen Figuren nach nordischer Art eine ganze Fabel, und der Betrachter, der sie las, konnte leicht das kräftige Schwert am Gehänge übersehen.

Ivar wußte es jedoch zu gebrauchen. Vom Beginn einer Fahrt bis zu ihrem Ende mußten er und sein Kompagnon mit ihren Männern bis an die Zähne bewaffnet und verteidigungsbereit sein. Denn nicht nur Biber-, Nerz- und Zobelfelle gehörten zur üblichen Fracht, sondern auch Bronzebarren, und zur Bezahlung der noch kostbareren Rückfracht führten sie Goldmünzen und Hacksilber mit sich.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen stand Ivar neben dem Steuermann auf der achterlichen Plattform und musterte die Uferlinie, die mal ferner, mal näher rückte, aber im Abendlicht ringsum gut zu sehen war.

»Der Wikgraf hält seinen Bezirk in Ordnung. Räuber brauchen wir jetzt kaum noch zu fürchten«, sagte er, ohne die weiten Wasserflächen auch nur für eine Sekunde aus den Augen zu lassen.

»Nein. Aber das Wetter um so mehr«, entgegnete Kaare, der Steuermann, wortkarg. Er steuerte das Schiff, den »Kühnen Adler«, manchmal in nur anderthalb Ruderlängen an verdächtigen Wasserwirbeln vorbei, um Zeit zu sparen, und Ivar zuckte nicht mit der Wimper. Sein Steuermann war ein ausgezeichneter Schiffsführer, und er kannte die Eigenschaften seines Knorr in- und auswendig. Ihm lag es im Blut zu wissen, wie hoch er an den Wind gehen konnte und wieviel Welle er dem Plankengefüge zumuten konnte. So nötigte er dem Handelsschiff stets das Äußerste an Geschwindigkeit ab, und mancher Kleinkönig der Wikingerreiche hätte ihn gerne als Schiffsführer eines Kriegsschiffes in seinem Dienst gesehen.

Die zehn Ruderer zogen die Ruderblätter hart durch, ihre nackten Oberkörper glänzten von Schweiß, und die Tropfen wurden zum Rinnsal, die die langen Hosen und die bloßen Füße näßten. Acht von ihnen saßen auf den Ruderbänken der vorderen Plattform, zwei hinten. Sie waren während des Ruderns schweigsam bis zur Wortkargheit, zäh und stets wachsam. Ihre Äxte lagen griffbereit zu ihren Füßen, die Langbögen und die Köcher unterhalb der Reling.

Im Bug kauerte Frau Aasa, die in Sigtuna nahe bei Birka ihre Tochter besucht hatte und nun auf der Rückreise zum Bärenhof war. Sie war eine schöne Frau, obwohl man gegenwärtig von ihrem Gesicht nicht viel sehen konnte, weil es von der Kapuze ihres leichten, daunengefütterten Reisemantels verhüllt war. Aber sie saß lieber in der Gischt als im Gestank der feucht gewordenen Felle. Und wenn sie dadurch den schwitzenden vordersten Ruderern sehr nahe kam, so zog sie diese Männer doch der Gesellschaft des Kaufmanns vor, der so sichtlich die heimischen Sitten abgeworfen hatte.

Mitleidig blickte sie auf die Ruderer. Sie waren ausgepumpt und gaben dennoch ihr Bestes. Die Treue, die sie ihrem kaufmännischen Führer dadurch bewahrten, rührte Frau Aasa ein wenig und stimmte sie Ivar gegenüber milder.

Nachdem sie die Insel Kieholm passiert hatten, begann Frau Aasa unruhig zu werden. In wenigen Minuten würde sie zum Bärenhof emporsteigen und von ihrem glücklichen Ehemann in die Arme geschlossen werden. Aasa bemerkte nicht, daß Ivar seinen Platz neben dem Steuermann verlassen hatte. Mit wenigen großen Schritten eilte er nach vorne und überquerte gewandt die schmale Planke, mit der man den vollgepackten Laderaum in der Schiffsmitte überbrückt hatte.

»Frau Aasa«, sagte Ivar leise.

Sie drehte sich zu ihm um, voller Vorfreude auf die Ankunft. Sie bereute ein wenig, daß sie so abweisend gewesen war. Nun wurde es Zeit, ein wenig Schuld abzutragen und sich wenigstens in angemessener Form für seine Gastfreundschaft und Fürsorge auf dem Schiff zu bedanken. Und stets hatte er seinen Steuermann dafür sorgen lassen, daß ihr nach dem abendlichen Landen ein Zelt errichtet wurde, noch bevor die Männer ihr Essen bekamen.

Aber bevor Aasa etwas sagen konnte, hob der Kaufmann seine auch nach der langen Fahrt sorgsam gepflegte Hand. »Es ist leider nicht so, Frau Aasa«, sagte er mit betrübtem Gesicht, »daß ich komme, um mich von dir zu verabschieden. Im Gegenteil. Wir haben vor, so schnell wie möglich nach Haithabu zu fahren, und es bleibt keine Zeit, dich an deinem Hof abzusetzen.«

Frau Aasa, die schon die Rauchfahne von ihrem eigenen Herdfeuer sah, konnte es kaum glauben. Sie schüttelte wortlos den Kopf.

Ivar nickte, und sein festes Kinn blieb für einen Moment auf den feinen Haaren des Pelzbesatzes am Wams liegen, während er nach den richtigen Worten suchte. »Sieh dort«, sagte er, und Aasa folgte unwillkürlich dem schlanken Zeigefinger vor ihren Augen zu den haufenartigen Wolken, die im Südwesten aufzogen. »Sie ziehen schnell. Es braut sich ein Unwetter zusammen.«

»Eine halbe Stunde«, bat Aasa und bemühte sich angestrengt, die Verzweiflung zu unterdrücken, die sie zu überwältigen drohte. »Mehr kostet es nicht.«

»In einer halben Stunde kann ein Gewittersturm schon über uns sein«, widersprach der Schiffsbesitzer mit hörbarer Besorgnis. Er hob die grauen, geraden Augenbrauen leicht an und wartete auf ihre Zustimmung.

Aasa preßte die Kiefer zusammen und atmete tief ein. Im stillen fand sie, daß der Kaufmann übertrieb. Aber sie war zu höflich, um Ansprüche zu stellen, wo sie keine hatte. Sie neigte den Kopf.

Ivar nickte ihr dankbar zu, jedoch spürte Aasa, daß er nur seinen eigenen Plänen gefolgt war, ohne ihr eine Wahl zu lassen. Er war ein siegesgewohnter Mann, aber manchmal zeigte er es unnötig deutlich.

Aasa ließ sich an Deck niedersinken. Den Tränen nahe, sah sie oberhalb der Furt ihr Anwesen vorüberziehen, das Haupthaus, das nach Nordosten durch einen alten Eichenwald geschützt war und darum halb verborgen, das Gesindehaus, den kleinen alten und den großen neuen Stall. Aber viel Gelegenheit, nach ihrem Besitz und ihren Leuten Ausschau zu halten, blieb ihr nicht: an dieser schmalen Stelle hatte der Strom rauschende Geschwindigkeit, und zu ihrem Unglück stand er gegen ihre Fahrtrichtung. Viel vernünftiger wäre es deshalb gewesen, an der Brücke festzumachen, aber Kaare peitschte die Männer mit seinen Worten vorwärts, nutzte den Neerstrom am Ufer aus, erst am einen, dann am andern, und Aasa hielt sich mit aller Kraft am schwankenden Schiff fest. Ein wenig Trost empfand sie erst, als der bucklige Missunder Fährmann, der seinen Nachen für die Nacht festmachte, sie erkannte und zögernd winkte. Für einen kurzen Augenblick traute sie sich, die Hand von der obersten Planke zu nehmen und ein wenig anzuheben. Nun würde Husbjörn wenigstens Bescheid bekommen.

Die Männer legten sich auch hinter dem scharfen Knick der Schlei noch gewaltig in die Riemen, bis die letzten Sände von Kielfoot achteraus lagen. Der Himmel im Südwesten hatte sich inzwischen verdüstert. Eine tiefe schwarze Wolke hing über dem Land, und in großer Höhe war ein sirrendes Pfeifen in der Luft. Kurze, kräftige Wellen bauten sich schon auf, aber der »Kühne Adler« schoß wie ein Pfeil über die Wasseroberfläche.

Frau Aasa mochte das offene Wasser nicht. Sie rückte von der Reling weg und verließ nach wenigen Minuten die Plattform, um sich neben dem Mast auf die Felle zu setzen. Ihr weicher Sitz erbebte, als Ivar mit einem Satz bei ihr landete. Er lächelte ihr beruhigend zu. »Nun, Frau Aasa, wird es da vorne zu naß? Unsere Männer wittern den Hafen wie Pferde den Stall.«

Aasa sah den Kaufmann dankbar an. Sie verstand den Trost in seinen Worten.

Ivar legte seine Hand auf ihre Schulter. »Ich weiß, daß du dich vor dem Wasser fürchtest«, sagte er freundlich. »Aber auf dieser Reise hat Thor Wolken und Wind für uns gebändigt. Er wird es bis in den Hafen tun.«

»Wie es scheint, erwartet er uns schon in Haithabu«, sagte Aasa mit feinem Humor. Allmählich nötigte ihr dieser Mann Respekt ab. Nur wenige Nordleute würden sich bemüht haben, eine ängstliche Frau zu beruhigen, insbesondere, wenn sie sich vor dem Wasser fürchtete. Es mußte seine fränkische Art sein.

»Das sieht so aus«, bestätigte Ivar und lächelte zurück. Mit vorgeschobener Unterlippe betrachtete er nachdenklich die Frau, die zu seinen Füßen saß. Ihre Sippe war nicht mächtig, aber sie hatte einen tadellosen Ruf. Es würde nicht schaden, sich ein wenig um sie zu bemühen. »Ich hätte dich jetzt gerne sicher zu Hause gewußt«, sagte er. »Es war nicht möglich; aber wenn wir in Haithabu gelandet sind, werde ich dafür sorgen, daß du ungefährdet nach Hause kommst. Ich selber und Kaare müssen zwar heute nacht noch weiter, jedoch nicht, bevor dein Geleit aus wehrhaften Männern und zuverlässigen Pferden zusammengestellt ist.«

»Das war nicht Teil der Abmachung«, wehrte Aasa ab, obwohl sie sich über seine Fürsorge freute. »Ich habe Verwandte in Haithabu, die mich aufnehmen werden. Aber ich danke dir. Du und deine Leute werdet immer im Bärenhof willkommen sein.«

»Vielleicht ergibt es sich auf der Rückfahrt«, stimmte Ivar zu. »Wenn ich es mir recht überlege, sogar ganz bestimmt. Ich würde dir gerne ein paar schöne weiche Schuhe aus Köln mitbringen, wenn du erlaubst; solche, wie sie an den fürstlichen Höfen getragen werden.« Und zu Aasas großem Erstaunen zog er ihre Hand an seine Lippen und küßte sie zart. Sie ließ es sprachlos geschehen und starrte ihm nach, als er, mühsam sein Gleichgewicht haltend, auf dem schwankenden Boden nach vorne ging. Schuhe aus weichem Leder, dachte sie. Wo hätte ich denn dafür Verwendung? Unwillkürlich sah sie auf ihre derben Knöchelstiefel hinunter, die für das Spritzwasser an Bord und das Waten im seichten Uferwasser gerade gut waren. Aber am Hof, so wie er ihr beschrieben worden war, nein, da konnte sie sich ihre Stiefel nicht vorstellen. Sie lächelte ein wenig und verlor vorübergehend ihre Angst.

Aus den niedrigen Wolken tauchten die Umrisse der Haithabuer Festung auf. Kaare steuerte nun die Einfahrt in das Noor an und korrigierte den Kurs nach backbord: sie waren bereits etwas über das Ziel hinausgeschossen. Er lächelte zufrieden. Sein Gedächtnis für Kurse und Landmarken trog ihn nie.

Die Haddebyer Enge lag unmittelbar vor ihnen, als die Wolken aufbrachen und ihr Wasser über das Schiff ausschütteten. So heftig war der Wolkenbruch, daß der Steuermann die Ruderer des Vorschiffs nicht mehr erkennen konnte und auch Ivar nicht, der vorne stand, um sie aufzumuntern. Doch Kaare hörte ihn: mit ruhiger Stimme gab er den Ruderern den Takt an.

Wilde Sturmböen packten plötzlich das Schiff und schüttelten es. Kaare umklammerte das Steuer mit beiden Händen. Es kam jetzt darauf an, Kurs zu halten, auch wenn er in der undurchdringlichen Schwärze nichts mehr sehen konnte. Mit Augen, Ohren und Nase bemühte er sich, die Einfahrt zu orten. Für einen ganz kleinen Moment war er versucht, einen hellen Blitz herbeizuwünschen, aber dann entsetzte er sich selber über seinen tollkühnen Gedanken. Thor jedoch hatte ihn verstanden.

Er brüllte laut auf vor Vergnügen, sprengte mit seinem Bockwagen über den Wolken herbei und warf den Blitzhammer genau auf den »Kühnen Adler«.

Der Blitz fuhr in den Mast und durch die Stenge des Segels mitten in die nassen Felle hinein, stieß sich einige Male am Eisenballast, dann fuhr er zwischen den Spanten wieder in das Wasser hinaus, um dort zu verzischen. Hinter sich ließ er eine Spur aus verkohlten, rauchenden Haaren und eine gelähmte Frau.

»Raus!« brüllte der Steuermann, der als erster die Gefahr begriff.

Die Ruderer ließen sich über die Bordwand ins Wasser gleiten, ihre Äxte in den Händen; Ivar und Kaare aber sprangen mit zwei Sätzen in den vollaufenden Laderaum, wo sie bei ihrem Fahrgast zusammentrafen. Aasa war bei Bewußtsein, aber bewegen konnte sie sich nicht. Der Kaufmann warf sich die Frau über die Schulter.

Mit zusammengekniffenen Augen versuchte Kaare im Regen zu verfolgen, wo seine Männer blieben, und hörte sie zu seiner Erleichterung rufen. Wenige Meter vom Schiff hatten sie Grund unter den Füßen gefunden. Ein Krachen ließ ihn herumfahren. Die Rah hatte sich aus ihrer glühenden Verschnürung am Masttopp gelöst und war zwischen die Schilde an der Bordwand gestürzt. Der Rumpf des Handelsseglers begann sich zu neigen.

Ohne Hast stieg Ivar mit seiner leichten Last von Bord. Einige Meter nur mußte er schwimmen, dann konnte er sich auf die Füße stellen und die Frau auf seine Arme nehmen. Nach wenigen Minuten langten sie bei den übrigen Männern an Land an. Ivar setzte Aasa schwer atmend auf den Sumpfgrasbüscheln ab, zwischen denen das Wasser stand.

»Danke«, sagte Aasa, legte die Hände vors Gesicht und fing an zu weinen.

lvar richtete sich stumm auf und sah auf die See hinaus, wo die Wolken sich bereits hoben und der Regen nur noch sanft fiel.

Kaare, mit seinem vernünftigen und praktischen Verstand, zählte die Männer durch, die erschöpft und verwundert im Gras saßen und langsam wieder zu Atem kamen. Er überzeugte sich, daß keiner verletzt war, dann ging er zu Frau Aasa und hockte sich vor sie nieder. »Kannst du dich jetzt bewegen?« fragte er. »Hat Thor ein Brandmal an dir hinterlassen?«

Frau Aasa sah an ihrem triefenden wollenen Mantel hinunter, bewegte die Zehen in den Schuhen, dann schüttelte sie schwach den Kopf. »Es ist mit mir alles in Ordnung«, beteuerte sie. »Danke, daß du dich um mich kümmerst.«

Kaare nickte und sprang auf. Dann ging er sich umsehen. Sie befanden sich in einem Sumpf am Rande des Noors. In einiger Entfernung wuchsen Bäume, und das Gelände schien anzusteigen. Dorthin mußten sie sich wenden. Haithabu konnte nicht weit sein.

Kaare trat neben Ivar, der immer noch teilnahmslos auf das Wasser starrte. Jetzt, wo das Meer sich beruhigt hatte, wo es nur noch trügerisch sanft plätscherte und der gleichmäßige Regen Blasen aufwarf, konnte man die Mastspitze ihres Bootes aus dem Wasser herausragen sehen. »Wir hatten unser Glück wohl aufgebraucht«, sagte er, hilflos in seinem Bemühen, eine Erklärung zu finden.

Ivar richtete seinen Blick auf den Steuermann, und in ihm lag zu Kaares Überraschung maßloser Zorn. »Wirklich? Konntest du das nicht voraussehen?« fragte er mit Haß in der Stimme.

Die Felle hatten in der Eile des Aufbruchs nicht ausreichend wasserdicht verpackt werden können. Sie hatten zuviel Wasser aufgesaugt. All das war richtig. Und trotzdem ... »So denkst du darüber?« fragte Kaare nach einer Weile.

»Ja, so denke ich darüber«, antwortete Ivar mit harter Stimme.

»Dann gibt es dazu nichts mehr zu sagen.« Kaare wandte sich ab und winkte den Männern, ihm zu folgen. Diese erhoben sich, naß, frierend und müde. Von einem Grasbüschel zum anderen springend, begannen sie sich ihren Weg zu suchen. Kaare sah zurück. »Komm, Ivar«, rief er ungeduldig über seine Schulter, »wir können hier nicht bleiben. Frau Aasa muß ins Trockene, und wir schließlich auch.«

Ivar seufzte und wandte sich endlich um. Er hatte einen Verlust erlitten, dessen Größe sich noch gar nicht abschätzen ließ. Aber es war richtig, jetzt mußte erst für die Frau und die Männer gesorgt werden.

Aus der Richtung, wo Kaare die Stadt vermutete, hinter der bewaldeten Anhöhe, erschollen laute Stimmen. Fackeln leuchteten zwischen den Büschen auf. »Wir werden gesucht!« rief er erleichtert und rannte mit großen Sätzen den Abhang hoch, den Männern entgegen, die soeben aus dem Wald traten. Es waren Soldaten des Wikgrafen, und bei ihnen befand sich Folke, der bestürzt seine erschöpfte Mutter in die Arme schloß.

3. Sonnentag abend und Mondtag

Neun Soldaten des Wikgrafen unter einem Anführer waren losmarschiert, um die Schiffbrüchigen zu suchen. Der Wikgraf war derzeit abwesend, aber jeder in der Stadt wußte, wie hoch der König – und in seinem Auftrag der Wikgraf – die fernreisenden Händler hielt; auch die allmählich angewachsene Verärgerung zwischen dem König und der ansässigen Kaufmannschaft hatte daran noch nichts geändert. Andererseits lag die Sicherheit der Stadt in seinen Händen, und diesen Auftrag vergaß der Wachhauptmann keinen Augenblick; in schwerer Bewaffnung mit Lederhelm, Axt, Pfeil und Bogen sowie dem Buckelschild hatten sie die Suche aufgenommen.

Er überblickte sofort, daß die Schiffbrüchigen Leib und Leben gerettet hatten und einigermaßen ruhig schienen. Während die Soldaten am Waldrand stehenblieben, Pfeil und Bogen schußbereit, trat er selber zu demjenigen, den er als Anführer ausmachen konnte. Er stellte die Axt auf den Boden, bevor er Ivar höflich ansprach.

»Ihr befindet euch«, deklamierte er, als hätte er eine oft wiederholte Formel aufzusagen, »im schwedischen Reich des Königs Knuba und darin auf dem Boden der Handelsstadt Haithabu. Wo auch immer ihr herkommt, steht ihr jetzt unter Knubas Gerichtsgewalt, aber auch unter seinem Recht. Ich mache euch darauf aufmerksam, daß für das ganze Stadtgebiet Handelsfrieden ausgerufen wurde, der das ganze Jahr gilt. Was sonst noch über die Steuern für eingeführte Waren gilt, wird euch der Wikgraf selber mitteilen, der morgen wieder in der Stadt ist.«

»Nun mach aber mal halblang, Benno«, rief einer der Ruderer empört und trat aus der Mitte des Schiffsvolkes heraus, das sich instinktiv wie zum Kampf zusammengefunden hatte. »Sehn wir so aus, als ob wir Waren zu verzollen hätten? Und kennst du mich etwa nicht?«

Ivar sah sich zornig um und hätte Halvdan, der ihn mit seiner allzu flinken Zunge schon öfter geärgert hatte, scharf zurechtweisen müssen. Statt dessen schlug er ihm mit dem Handrücken ins Gesicht. »Es ist«, sagte Ivar und richtete sein Augenmerk auf den Anführer der Stadtwache, ohne sich um den aufbrausenden Halvdan zu kümmern, »nicht das erste Mal, daß wir in Haithabu sind, und wir kennen euer Recht. Wir sind friedliche Handelsleute, die vor wenigen Augenblicken ein großes, vollbeladenes Schiff verloren haben. Mich kennt man weit und breit als Ivar den Pelzhändler, und mag ich dir auch unbekannt sein, so doch nicht dem Wikgrafen. Unsere Haut haben wir gerettet, sonst aber kaum etwas. Was wir nun brauchen, sind Unterkunft und ein Platz zum Trocknen unserer Kleidung. Bisher ist nur für Frau Aasa gesorgt, wie ich annehme.« Mit schmalen Lippen erwartete er die Antwort des Wachmanns. Um seine berechtigten Ansprüche durchzusetzen, würde er diesem Mann gegenüber möglicherweise etwas deutlicher werden müssen. Der Wikgraf kannte seinen Rang, dieser hier nicht.

Aber es war nicht nötig. Der Krieger sah betreten drein. In seinem Eifer, seine sächsische Herkunft wettzumachen und seinen Vorgesetzten besonders gut zu vertreten, hatte er von Recht geredet, wo Bevorzugung erwartet wurde. Er war nur ein einfacher Mann, der sich hochgedient hatte; er behandelte alles gleich, bis man ihn mit der Nase daraufstieß, daß mehr als das angebracht war. Dann aber reagierte er rasch, und das war in den Augen seines Vorgesetzten grundsätzlich sein größter Vorzug. »Für dich und deine Männer steht ab diesem Moment alles zur Verfügung, was die Stadt an Hilfe aufbringen kann«, beteuerte er. »Im Namen des Wikgrafen heiße ich euch willkommen.«

Ivar rang sich ein kühles Lächeln ab und dankte mit einem Nicken für den verspäteten Gruß. Dann gab er das Zeichen zum Aufbruch, ohne sich um die Soldaten zu kümmern. Hauptmann Benno verzichtete schweren Herzens darauf, seine Leute ans Ende der Kolonne zu verweisen, was sowohl als Fürsorge wie auch als Vorsorge hätte gedeutet werden können, und ging mit Ivar voraus, gefolgt von Kaare, der sich ihnen wortlos anschloß.

Folke stand mit Frau Aasa etwas abseits. Er stützte seine Mutter behutsam, die in der Zwischenzeit wieder so weit bei Kräften war, daß sie mit seiner Hilfe den Soldaten und der Schiffsmannschaft langsam folgen konnte. »Nur ein Wort noch, Kaufmann Ivar«, rief Aasa hinter ihm her, der die Frau anscheinend schon vergessen hatte.

Dieses fiel in diesem Moment auch dem Kaufmann auf. Er schlug die Hände wie in Entsetzen zusammen und war mit wenigen Schritten an ihrer Seite. »Verzeih mir«, sagte er reuig, »aber ich sah dich in der Obhut des jungen Mannes, und da du selber sagtest, du habest hier Verwandte ...« Ohne den Satz zu beenden, sah er Aasa und ihren Sohn verständnisheischend an.

Aasa verzieh ihm, er hatte genug um die Ohren. »Ich möchte mein Angebot wiederholen«, sagte sie schlicht. »Die Gastfreundschaft, die dir der Bärenhof anbietet, gilt auch in Haithabu. Du bist im Haus meines Schwagers willkommen.«

»Jeder kann dir sagen, wo du Thorbjörn Schiffbauers Anwesen findest«, ergänzte Folke höflich.

»Ich nehme die Einladung gerne an«, entgegnete Ivar nach kurzem Überlegen. »Du verstehst aber sicher, daß ich mich erst vergewissern muß, daß meine Leute gut untergebracht sind. Ich werde nachkommen, sobald ich kann.« Ivar nickte Folke freundlich zu, verbeugte sich kurz vor Aasa und eilte zum Wachhauptmann zurück. Dort fiel ihm noch etwas ein; es sah so aus, als ob er dem Hauptmann einen Befehl gebe. Dieser nickte und schickte einen Soldaten zu Aasa und ihrem Sohn.

Aasa, die dem Kaufmann nachgesehen hatte, dachte einmal mehr, daß Ivar sich nehme, was ihm seiner Meinung nach zustehe, und wunderte sich, daß er trotz allem noch Zeit fand, für eine Eskorte zu ihrer Sicherheit zu sorgen.

Inmitten der Bootsleute befand sich ein weiterer Bürger der Stadt, ein unscheinbarer Handwerker, den seine Neugier den Soldaten hatte folgen lassen.

»Woher kommt ihr denn so?« fragte er munter, während sie den Abhang zwischen den belaubten und zuweilen stacheligen Büschen hochstiegen. »Ihr seht eigentlich aus wie Schweden. Wenn ich raten sollte, so müßte ich sagen: aus dem Osten. Stimmt's? Und mit – laß mich mal überlegen – zehn bewaffneten Männern seid ihr nicht nach Haithabu bestimmt, sondern weiter in den Süden. Ja, ja«, schwatzte er, »recht hat euer Herr, heutzutage muß ein Fernhändler wehrhaft sein, wenn er kostbare Ware hat. Was führt ihr denn mit euch, wenn ich fragen darf?« Er blickte um sich, auf der Suche nach einem Gesprächspartner. Die Ruderer waren versprengt, jeder suchte sich zwischen Büschen und den Bäumen des allmählich dichter werdenden Waldes seinen eigenen Weg. In seiner Nähe sah er nur den mürrischen Mann, den der Anführer über den Mund geschlagen hatte. Der Handwerker rückte vertraulich näher zu ihm heran und flüsterte: »Woher kennst du eigentlich Benno Sturmbock?«

»Ach, der und Sturmbock! Alte Ziege wolltest du wohl sagen«, höhnte Halvdan. »Stellt sich hin und redet mit uns, als ob wir hier Neulinge wären. Und als wäre ich nicht am Frühlingsfest hier gewesen! Besoffen habe ich mich jeden Abend mit ihm, sechs oder acht oder ich weiß nicht wie viele Nächte hintereinander! Bei Thor und allen seinen Zechkumpanen! So kann er doch nicht mit mir umgehen!« Halvdan wurde immer lauter, bis sein schlauer Nachbar ihn am Arm ergriff und schüttelte.

»Still«, warnte er. »Im Wald gibt es Langohren.«

Halvdan knurrte und schwieg endlich. Das war dem Handwerker gerade recht. »Ist es bei euch Sitte, Beleidigungen hinzunehmen?« wollte er wissen. »Da kenne ich die Schweden sonst aber anders.«

Durch Halvdan schien ein Ruck zu gehen, und er wollte aufbrausen, besann sich aber noch rechtzeitig. »Besten Dank für deine Nachfrage«, sagte er verdrießlich, »aber bei den Schweden ist es Sitte, Beleidigungen zu vergelten. Nur werde ich damit wohl warten müssen, bis ich von eurem Stadtgebiet herunterkomme. Mit eurem Wikgrafen und dem König will ich mich nicht anlegen. Noch bin ich auch durch Schwur gebunden, aber irgendwann ...«

Der Handwerker sah sich verstohlen um. »Recht hast du«, stimmte er zu. »Der Wikgraf ist streng, er läßt nichts durchgehen. Die kleinste Kleinigkeit – schon bist du um einen Kopf kürzer.«

Halvdan fand allmählich seine Laune wieder. Mit einem spöttischen Seitenblick auf den kleinen quirligen Mann fragte er: »Hast du etwa dein Ohr dort gelassen, wo der Wikgraf die Köpfe hinrollen läßt?«

Der Handwerker zog schamhaft einige braune Haarsträhnen über die Ohröffnung, der die Ohrmuschel fehlte. Eine rote, wulstige Narbe war alles, was von ihr übriggeblieben war. »O nein«, wehrte er ab, »das ist eine andere Geschichte. Hat mit dem Königsrecht nichts zu tun. Ein Mann, der sich seiner Haut nach Kräften wehrt, kann leicht zu Schaden kommen, das weißt du wohl selbst.« Das wohl, dachte Halvdan. Aber es ist doch merkwürdig, daß eine ehrenvolle Kampfnarbe das Aussehen einer schimpflichen Bestrafung annehmen kann. Indes berührte er das Thema nicht weiter. Bis sie die Stadt erreichten, hatte er den neuesten Klatsch erfahren und selber auch viel erzählt.

Auch Kaufmann Ivar hatte mit dem Hauptmann ein unverbindliches Gespräch begonnen. Es war nie ungünstig, mit einem Untergebenen zu plaudern, bevor man auf dessen Vorgesetzten traf. Auch aus halben Bemerkungen ergab sich eine ganze Meinung, hörte man nur recht viel davon.

Währenddessen hatten sie den Absatz auf halber Höhe des Berges erreicht und trafen dort auf einen Weg, der von oben kam und durch den Wald abwärts in Richtung Stadt weiterführte. Der Hauptmann wies zur Kuppe hoch und erklärte: »Die Schutzburg des Königs liegt da oben, wie du weißt. Aber die Unterkünfte sind zur Zeit alle durch Wachmannschaften besetzt, und wir können euch da oben nicht unterbringen, wie es sonst wohl der Wunsch des Wikgrafen wäre. Die Kaufmannshäuser sind nämlich auch alle belegt, durch auswärtige Kaufleute.« Nicht ohne Stolz fügte er hinzu: »Haithabu läuft Birka allmählich den Rang ab, du wirst schon sehen. Ihr werdet deshalb in der Stadt von den Handwerkern aufgenommen. Welche das sind, werde ich feststellen, wenn wir dort sind. Die Leute machen es unter sich aus.«

Ivar nickte gleichgültig. Sein Interesse galt viel mehr einer nebenbei geäußerten Bemerkung des Hauptmanns. »Ist das Grenzgebiet zur Zeit unruhig?«

Der Soldat zuckte bedächtig mit den Schultern. »Nicht viel mehr als sonst, würde ich sagen. Aber man hört, daß der Sachsenkönig ein Auge auf uns geworfen haben soll.«

»Ist das die Meinung des Königs?« wollte Ivar der Kaufmann wissen.

»König Knuba spricht nicht mit mir«, antwortete der Wachmann vorsichtig. »Meine Befehle bekomme ich vom Wikgrafen, und der hält es nicht für nötig, sie zu erklären.«

»Und was glaubt das Volk?«

»Daß es stimmt«, antwortete der Soldat prompt.

Ivar nickte und blieb still und nachdenklich, während sie dem Weg abwärts folgten. Durch die Kronen der Bäume schimmerte der Himmel wieder hell nach dem Gewitter, aber hier unten war wenig zu sehen. Jedoch kannte der Hauptmann seinen Bezirk auch im Stockdunkeln. Ohne die Hilfe der Fackelträger in Anspruch zu nehmen, die weiter hinten folgten, stapfte er selbst an den schmalen, steilen Stellen sicher vorweg, machte Ivar hier auf eine dicke, oberflächlich verlaufende Baumwurzel aufmerksam, dort auf einen kleinen Bachlauf, dessen viele Rinnsale den Weg über mehrere Meter matschig und unsicher machten.

Am Fuß der Anhöhe hörte der Wald auf und gab eine offene Fläche frei, die vor dem Stadtwall von Haithabu endete. Ivar war es recht, als der Hauptmann vorschlug, hier zu warten, bis die Männer sich gesammelt hatten. Nach einiger Zeit kam auch der letzte auf seinen bloßen Füßen aus dem Wald gerutscht. Alle waren mittlerweile müde und unwirsch und schlugen fluchend die Mücken weg, die sich über ihre dampfenden Leiber hermachten.

Geschlossen marschierten sie zum nächsten Stadttor. Ivar wunderte sich nicht, daß auch dort ein Soldat stand, Schild und Speer in den Händen. Achtungsvoll trat dieser einen Schritt zurück, als er den Wachhauptmann erblickte, und ließ sie ohne Kontrolle in die Stadt.

Dort war die beginnende Nachtruhe einstweilen wieder aufgehoben. Nicht wenige Haithabuer freuten sich auf eine willkommene Unterbrechung ihres sonst gleichmäßigen Lebens. Der Wachhauptmann geleitete die Schiffbrüchigen mit polternden Schritten durch die Stadt, und viele seiner Einwohner folgten ihnen, um Herberge und trockene Kleidung anzubieten. Die Jungen sprangen zwischen den Ruderern umher, fragten sie aus und taten sich mit tollkühnen Erzählungen über eigene Schiffbrüche im Einbaum hervor.

Endlich waren sie an der Halle des Königs angekommen, deren eine Seite fast offen war; in der Mitte des weit einsehbaren Raumes stand ein Hochsitz. Davor stellte sich jetzt der Hauptmann auf, zum Zeichen, daß er im Namen des Wikgrafen reden wolle. Ivar, Kaare und die Ruderer sammelten sich in seiner Nähe, während die Haithabuer Bevölkerung an den Wänden Aufstellung nahm und stiller wurde, je mehr sich die Versammlungshalle füllte, und schließlich erwartungsvoll schweigend den Hauptmann anblickte.

»Wir haben hier die Besatzung des Schiffes ›Kühner Adler‹«, erklärte der Hauptmann unbeholfen aber laut. »Ihr Führer ist Kaufmann Ivar aus Birka. Gerettet sind alle. Folke der Schiffbauer kommt noch mit seiner Mutter Aasa, die ebenfalls auf dem Boot war. Jetzt brauchen sie alle ein Nachtquartier, Essen und trockene Kleidung.«

Da Benno nun seine Ansprache beendet hatte, drängten die Leute näher, eine bunte Mischung aller Bevölkerungsgruppen. Aus den großen Kaufmannshäusern waren die Herrinnen selbst gekommen, um Hilfe anzubieten. Manche hatten einen Sklaven mitgebracht, um mögliche Verletzte zu stützen. Aber auch sächsische und slawische Handwerker waren da: jeder sah es als Ehre an, einen der fremden Gäste bewirten zu dürfen. Enttäuschung wurde laut, daß es sich nur um ein kleines Schiff mit wenigen Schiffbrüchigen handelte. Ivar, der mehrmals herzlich gebeten wurde und dankend mit dem Hinweis auf Thorbjörn ablehnte, erweckte Anstoß, vor allem bei Högnis Frau, die sich gekränkt zurückzog.

Nach einer Weile erst löste der Tumult sich auf; die Ruderer verschwanden nach und nach mit ihren Wirtsleuten, hauptsächlich ansässigen Schweden. Als der Kaufmann Ivar als einziger Fremder im Raum übriggeblieben war, sah der Hauptmann seine Aufgabe als gelöst an. Er beglückwünschte sich im stillen, daß er den Wikgrafen so gut vertreten hatte, und sagte laut: »Es scheint, als hätten wir alle deine Leute gut untergebracht. Ich werde dich nun zu Thorbjörns Hof bringen. Du hast damit keine schlechte Wahl getroffen. Thorbjörn ist angesehen und hat ein bequemes Haus.«

Ivar war schon halb auf dem Weg nach draußen. Ihm eilte es jetzt. Die leinene Pumphose hing in kalten Falten an seinen Beinen herunter, und die Wickelgamaschen aus Wolle, die bereits zu trocknen begannen, kratzten auf der Haut. »Komm«, sagte er und ließ es an seiner sonstigen Höflichkeit fehlen.

Der Hauptmann aber nahm es nicht übel. »Gewiß, gewiß«, sagte er ein wenig großspurig und eilte dann dem Kaufmann auf einer Straße voraus, neben der ein schmaler Bachlauf herlief, dann über eine Brücke hinweg. »Hier sind wir schon.« Er wies auf ein stattliches Haus mit mehreren Nebengebäuden. Das Anwesen war mit einem hohen Lattenzaun eingefriedet, und in dem erleuchteten Eingang stand Folke.

»Ich biete dir den Willkomm im Namen meines abwesenden Vaterbruders«, sagte der Bootsbauer Folke stolz, »und auch im Namen meiner Mutter Aasa.«

Ivar nickte und trat ein.

Er hatte es in der Tat nicht schlecht getroffen. Das Haus des Bootsbauers hatte mehrere Räume, und der Wohnraum war groß und luftig. Dank der Höhe des Firstes zog der Rauch schnell nach oben und verschwand zwischen den Reethalmen. Ivar beglückwünschte sich selbst. Er haßte die kleinen Katen, in denen der Rauch wie Nebel zwischen den Wänden liegenblieb und ständig zum Husten reizte. Unauffällig sah er sich im Hauptraum um.

Auf den fellbespannten Bänken entlang der Wände konnten viele Leute übernachten. Aber bisher schliefen nur die kleinen Kinder und eine Gestalt, die unter einer warmen Wolldecke völlig unkenntlich war. Die Hausfrau kniete am Herd und fachte das Feuer an, als Folke den Gast zu ihr brachte.

Hild erhob sich. An ihrem Gürtel klirrten die Schlüssel des Hauses. Während sie die Asche von den Händen putzte, die sie schließlich zusammengelegt auf ihrem Kleid ruhen ließ, musterte sie den Gast mit abschätzenden Blicken. Sie war mittelgroß und hatte ein rundes Gesicht, eingerahmt von aschblonden Haaren. Sie war viel jünger als Aasa und unterschied sich auch sonst wie Tag und Nacht von ihr. »Willkommen«, sagte sie.

Ivar hatte sich beim Anblick des unmodernen Kleides und der kunstlosen Schmuckfibeln der Hausfrau kurzerhand entschlossen, seine höfischen Umgangsformen beiseite zu lassen; hier waren sie nicht angebracht. Er bedankte sich in einfachen Worten, und Frau Hild war zufrieden. Sie wandte sich erneut dem Essen zu.

Ivar und Folke setzten sich auf eine der Bänke, die über und über mit Bären-, Wolfs- und Rentierfellen bedeckt waren, wie Ivar mit Kennerblick feststellte.

Folke schwieg. Er wünschte sich, daß seine Mutter nicht schon schliefe oder wenigstens Thorbjörn im Hause wäre. Aasa war den Umgang mit dem achtunggebietenden Gast gewöhnt, und sein Onkel hatte durch seinen Beruf mit Männern aller Art zu tun. Er selber fühlte sich durch Ivar eher niedergedrückt und wußte nicht, was er sagen sollte. Erst das Warmbier, das Hild dem Gast im Holzbecher reichte, gab ihm Gelegenheit, diesem wenigstens höflich zuzuprosten.

Aber der Kaufmann war ohnehin wenig gesprächig. Nach dem Essen entbot er Hild und Folke sofort eine gute Nacht und ließ sich dann eine Schlafbank zuweisen.

Am nächsten Morgen schien die Sonne schon warm über das Noor, als Folke sich zur Werkstatt aufmachte; die meisten Häuser der Stadt lagen noch im Schatten hinter dem Wall und den angrenzenden Wäldern. Die Handwerker nahmen wohl ihre Morgenmahlzeit ein, denn in ihren Häusern war es still; nur die Hunde waren hinausgelassen worden, und die Hühner scharrten und kratzten laut in den Höfen.

Unten am Hafen war mehr los. Dort tummelten sich die Seeleute und die Sklaven der großen Kaufleute. Sie mußten nachholen, was sie am Vorabend nicht geschafft hatten. Sonst aber erinnerte nichts mehr an das Unwetter vom Vortag. Folke, der keine Lust auf ein Gespräch hatte, setzte sich auf dem Uferweg in einen gemächlichen Trab. In der Schiffbauerei würde er heute allein arbeiten. Thorbjörn, der mit den beiden älteren, erfahrenen Gesellen drüben im Dorf Schleswig war, wurde im Laufe des Tages zurückerwartet, vielleicht sogar erst am Abend.

Fast mit Liebe betrachtete Folke den Baumstamm, der über vier Böcken lag und den er schälen sollte. Ein Mast würde aus ihm werden, ein stattlicher, zäher, und der würde nicht in der Mitte knicken, wie der, den er ersetzen sollte. Ein Stümper, wer einen Mast aus fremdländischem Fichtenholz macht, hatte der Meister gesagt, als er mit dem Auftraggeber gesprochen hatte.

Der Baum war längst entastet. Der Bogenmacher hatte diese Aufgabe übernommen, nachdem sie die Esche gemeinsam gefällt hatten. Thorbjörn arbeitete schon lange mit dem Bogenmacher Ordulf zusammen – obwohl der ein Sachse war: sein Interesse an dem Baum war genauso groß wie ihr eigenes. Er stellte aus den geschmeidigen Ästen ohne Knorren die besten Langbogen der Gegend her. Die Schiffbauer dagegen machten sich die krummgewachsenen dicken Äste und Astgabelungen, deren Spannkraft und Geschmeidigkeit keine andere Holzart erreichte, für die Spanten und Kniehölzer zunutze.

Folke holte ein Schälmesser aus der Werkstatt und fing an, die Borke sorgsam zu entfernen. Noch war sie glatt, denn der Baum war jung; erst wenn er so alt wie ein Greis war, fing auch seine Haut an, sich zu furchen. Ohne es zu wollen, mußte Folke an den Alten denken. Er sah sich vorsichtig um. Der würde ihn doch nicht wieder überraschen wollen? Nein, er war allein, die Vögel zwitscherten es ihm zu.

Folke starrte sinnend auf das Gebüsch, ohne etwas zu sehen. Der Mantelstoff des Alten war sehr fein gewebt gewesen und die rote Färbung nicht einmal verschossen. Wie mochte der Mann an ein Kleidungsstück gekommen sein, das sich sonst nur Könige und Edelleute leisteten? Es blieb ein Rätsel.

Nachdem Folke stundenlang ohne Unterbrechung gearbeitet hatte, hörte er jemanden auf der Straße kommen. Thorbjörn war es nicht, der benutzte innerhalb der Stadt kein Pferd. Gemächlich klopfte er die Späne von seinen Gamaschenhosen und richtete sich auf.

Das Pferd kannte er – das kam vom Schmied, der auch Pferde an Kaufleute auslieh –, den Mann aber nicht. Der sprang herunter, blieb auf krummgewachsenen Beinen neben dem schnaufenden Gaul stehen und sah sich wie ein sichernder Fuchs um. Als er endlich fertig war, war Folke gewiß, daß er nun jeden Busch auf dem Gelände auswendig kannte. »Du bist doch der Schiffbauer Thorbjörn«, sagte der Mann endlich und machte dabei den Mund kaum auf, als müßte er mit dem Atem sparsam sein.

Folke schüttelte den Kopf. »Thorbjörn ist nicht da.«

»Aber du baust Boote, wie man sieht. Puh, heiß hast du es hier. Komm in den Schatten, ich habe mit dir zu reden.« Folke schwieg abwartend. Der Mann sah nicht so aus, als würde Thorbjörn viel Wert auf ihn legen. Dürr und schmächtig wie einer, der kurz vor dem Verhungern ist: nicht Kaufmann zu Schiff, sondern Wanderhändler. Aber er folgte ihm dennoch. Der Meister wies nie jemanden ab, ohne ihn angehört zu haben. Und der Schatten der Hütte schien für einige Minuten verlockend; die Nachmittagssonne brannte immer noch heiß.

»Wenn dein Meister nicht da ist«, sagte der Mann schlau und dachte, er hätte einen Dummen gefunden, »repariere du mein Schiff, und es soll dein Schaden nicht sein. Es ist nur eine Kleinigkeit, und ich gebe dir dafür einen schönen Kamm für deine Liebste. Komm, schlag ein.« Er hielt dem Bootsbauer schon die offene Hand hin, mit der anderen in der Tiefe seiner Umhängetasche nach dem versprochenen Kamm suchend.

Während Folke überlegte, bog Ivar um die Ecke. »Tu es nicht«, sagte er rasch. »Der Ruderschaft ist gebrochen, das ist keine Kleinigkeit.«

Obwohl Folke keineswegs vorgehabt hatte einzuschlagen, weder für seinen Meister noch für sich, nickte er dem Schweden dankbar zu. »Solche Geschäfte sind unredlich«, sagte er dann mit der Rechtschaffenheit dessen, der noch nie der Versuchung erlegen ist. »Ich und mein Meister sehen uns ein Schiff immer an, bevor wir den Handel abschließen.«

Der Mann grinste breit und zuckte mit den Schultern. »Trotzdem, wie dein Freund hier sagt: Wir brauchen ein neues Ruder.«