Donars Rache - Zweiter Roman der Sachsen-Saga - Kari Köster-Lösche - E-Book
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Donars Rache - Zweiter Roman der Sachsen-Saga E-Book

Kari Köster-Lösche

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Beschreibung

Eine junge Frau im Kampf gegen das Unrecht: „Donars Rache“ – der zweite Roman der Sachsen-Saga von Kari Köster-Lösche jetzt als eBook bei dotbooks. Zwischen Zukunft und Vergangenheit … Die junge Tierärztin Gunhild hat ein Geheimnis: Sie weiß, wie man durch die Zeit reist. Und obwohl das Leben in der Gegenwart deutlich sicherer ist, kann sie nicht vergessen, was sie im Sachsen des 9. Jahrhunderts erlebt hat. Dem Ruf ihres Schicksals folgend kehrt sie zurück in die Vergangenheit – mitten hinein in einen blutigen Glaubenskrieg zwischen den Sachsen und den Franken. Als die Sachsen sich geschlagen geben, kann Gunhild dieses Unrecht nicht dulden. Die moderne junge Frau ruft auf zum Widerstand gegen die christliche Eroberung – und startet einen Feldzug gegen das Unrecht … Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Donars Rache“ – der zweite Roman der Sachsen-Saga von Kari Köster-Lösche. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag

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Über dieses Buch:

Zwischen Zukunft und Vergangenheit … Die junge Tierärztin Gunhild hat ein Geheimnis: Sie weiß, wie man durch die Zeit reist. Und obwohl das Leben in der Gegenwart deutlich sicherer ist, kann sie nicht vergessen, was sie im Sachsen des 9. Jahrhunderts erlebt hat. Dem Ruf ihres Schicksals folgend kehrt sie zurück in die Vergangenheit – mitten hinein in einen blutigen Glaubenskrieg zwischen den Sachsen und den Franken. Als die Sachsen sich geschlagen geben, kann Gunhild dieses Unrecht nicht dulden. Die moderne junge Frau ruft auf zum Widerstand gegen die christliche Eroberung – und startet einen Feldzug gegen das Unrecht …

Über die Autorin:

Kari Köster-Lösche, 1946 in Lübeck geboren, Tierärztin und Wikingerexpertin, hat einen Großteil ihrer Jugend im schwedischen Uppsala, dem Zentrum der nordischen Kultur, verbracht. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Nordfriesland.

Kari Köster-Lösche veröffentlicht bei dotbooks bereits die historischen Romane »Die Erbin der Gaukler«, »Jagd im Eis«, »Die Wagenlenkerin«, »Die Hexe von Tondern«, »Die Reeder«, »Die Heilerin von Alexandria« und das Kinderbuch »Stille Nacht, eisige Nacht« sowie zwei historische Romanserien:

DIE WIKINGER-SAGA:»Der Thorshammer – Band 1«»Das Drachenboot – Band 2«»Die Bronzefibel – Band 3«

DIE SACHSEN-SAGA:»Das Blutgericht – Erster Roman«»Donars Rache – Zweiter Roman«»Mit Kreuz und Schwert – Dritter Roman«

Die Romane der »Wikinger-Saga« sind auch als Sammelband erhältlich.

***

eBook-Neuausgabe Juli 2015

Copyright © der Originalausgabe 2004 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Fanfo

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-073-5

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

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***

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Kari Köster-Lösche

Donars Rache

Die Sachsen-Saga – Band 2

dotbooks.

Kapitel 1

»Ich habe am, eigenen Leib erfahren, welch schreckliche Waffe das Christentum ist, und bin aus der Kirche ausgetreten«, bekannte Gunhild trotzig und sah ihren Freund Günter an. War er überhaupt noch ihr Freund? Das Erlebnis ihrer Zeitreise ins achte Jahrhundert stand zwischen ihnen und machte die Atmosphäre frostig{1}. Aber sie war unfähig, etwas dagegen zu tun. Und auch nicht willens, denn die Begegnung mit dieser ganz anderen Welt, in der sie zwischen Franken und Sachsen in ständiger Gefahr gelebt hatte, ließ sich nicht vermitteln. Schon gar nicht, dass sie sich dort als Teil dieser Welt gefühlt hatte.

»Du bist sehr verändert, seitdem du fort warst«, bemerkte Günter und drückte nachdenklich seine Zigarette aus. Er warf einen Blick aus dem schrägen Fenster der Dachwohnung. Von draußen hörte man verhaltenes Quietschen von schwerem Arbeitsgerät. »Sogar deine Frisur ist anders. Du wolltest das Haar doch streichholzkurz tragen.«

Gunhild seufzte leise. Damals hatte sie nicht erwartet, die Hafenkräne von Kiel jemals wieder zu Gesicht zu bekommen. Jetzt war sie sich nicht sicher, sie überhaupt sehen zu wollen. In ihrem Kopf erstand das Bild hoher Eichen und unübersichtlicher Wasserarme, eine Landschaft von atemberaubender und wilder Schönheit. Sie lächelte in sich hinein und tastete nach dem Hornkamm in ihrem Nacken. Durch ihn fiel es weniger auf, dass ihre Haare noch nicht lang genug waren für eine sächsische Frisur, die außerdem noch nach einem der wunderschönen Haarnetze verlangt hätte. Immerhin waren sie blond.

»Warum vertraust du mir nicht?«, fragte Günter hartnäckig. »Du kannst doch ruhig zugeben, dass du an der Weser einen Kerl getroffen hast, der dich mit seinem schicken Boot mitgenommen hat. Und dass ihr euch anschließend fast ein halbes Jahr auf den Bermudas vergnügt habt. Oder wo auch immer. Ich bin nicht engstirnig, wie du weißt, ich verzeihe dir. Es kann ja mal passieren.«

»Es war kein Kerl. Jedenfalls war es nicht so, wie du meinst«, entgegnete Gunhild leise und überhörte absichtlich seine chauvinistische Überheblichkeit. Sie waren nicht so eng liiert, dass er ihr etwas zu verzeihen gehabt hätte. Nicht einmal, wenn sie wirklich auf den Bermudas gewesen wäre. An eine Zeitreise würde er nicht glauben, als Geologe maß er die Erdgeschichte in Gesteinsformationen, und andere Dimensionen waren ihm fremd.

»Was dann?« Günter zündete sich eine neue Zigarette an, womit er deutlich genug zeigte, dass er Gunhild noch eine Weile zu behelligen gedachte. »Ich meine, da kann doch nur eine Liebesaffäre dahinter stecken, wenn eine Tierärztin in guter Anstellung so mir nichts, dir nichts verschwindet und nicht einmal ihren Arbeitgeber informiert …«

»Er hat mir ja dafür gekündigt …«

»Ja, das ist wohl das mindeste, was du erwarten konntest«, brauste Günter auf. »Was hast du dir dabei eigentlich gedacht? Ich hätte dir nicht obendrein noch ein gutes Zeugnis ausgestellt!«

»Fachlich entsprach es der Wahrheit«, entgegnete Gunhild ruhig. »Ich bin gut.«

»Das reicht nicht. Du bist außerdem unzuverlässig.«

»Günter, meinst du nicht, dass du jetzt gehen solltest«, bat Gunhild. »Wir streiten uns ja nur noch. Lass mich zur Ruhe kommen, dann verstehen wir uns wieder besser, ich verspreche es dir.«

Günter runzelte die Stirn und betrachtete sie voll Misstrauen. »Sag mal, warst du vielleicht im Entzug? Drogen?« Gunhild schüttelte genervt den Kopf.

»Ich habe ein Recht zu erfahren, was passiert ist«, beharrte Günter. »Immerhin hätte die Polizei mich beinahe eingebuchtet, als ich dein Verschwinden gemeldet habe. Wer weiß, ob nicht ein kleiner Eintrag jetzt meine Personalakte verunziert: Wurde des Mordes an seiner Freundin verdächtigt, oder so.«

»Das wäre denkbar, sofern deine Vorgesetzten irgendeinem geheimen Netzwerk angehören«, sagte Gunhild sarkastisch, der jetzt der Geduldsfaden riss. »Für das Opus Dei wärst du jedenfalls nicht mehr tragbar. Eintrag: Günter Schmitz, für das Gotteswerk auffällig geworden erstens durch die Freundschaft mit einer unbedeutenden Schwedin; zweitens und wirklich verdächtig durch das spurlose Verschwinden dieser Frau. Günter Schmitz kommt als neues Mitglied nicht mehr in Frage. Zitatende. Du musst versuchen, ihnen klar zu machen, dass der Mordversuch an mir nur allzu gerechtfertigt war, weil ich beschlossen hatte, aus der Kirche auszutreten.«

Günter drückte die Zigarette aus und stand auf. »Das wär’s dann wohl«, meinte er knapp. »Ruf mich an, wenn du wieder bessere Laune hast.«

Gunhild ließ die angehaltene Luft entweichen, als die Wohnungstür hinter Günter zugeschlagen war. Bei Licht besehen, verhielt er sich nicht anders als die Franken des achten Jahrhunderts, zwischen denen sie sich plötzlich wiedergefunden hatte. Herrisch und dominant, wenn man ihn ließ, egoistisch und im Grunde seines Herzens undemokratisch. Also ungefähr so wie die meisten deutschen Männer. Der einzig wirkliche Unterschied zwischen ihm und den Altfranken war, dass in seiner Nähe den heiligen Bäumen keine Gefahr drohte.

Sie lachte leise. Erzählen konnte sie es Günter natürlich nicht. Überhaupt tat sie besser daran, sich nicht mehr in der Vergangenheit zu verlieren, sondern mit Nachdruck nach einer neuen Stelle als tierärztliche Assistentin zu suchen. Vor ihr lag der Grüne Heinrich, das Tierärzteblatt. Uninteressiert begann sie die Märzausgabe bis zu den letzten Seiten durchzublättern.

Die Stellensuche gestaltete sich schwieriger, als sie gedacht hatte, der Markt war voll von jungen Tierärztinnen. Tierärzten selbstverständlich auch.

Im Herbst des vergangenen Jahres war sie zurückgekehrt, jetzt ging es aufs Frühjahr zu, und außer der Aussicht, für eine Hundeschule mit angeschlossener Pension die Boxen zu reinigen, gab es keinerlei Angebote. Noch reichte ihr Sparkonto aus, noch konnte sie auf die Boxen verzichten. Gunhild stand auf und stellte sich ans Fenster, um über den Kieler Hafen zu blicken.

Am Schwedenkai lag ein großes Segelschulschiff, wahrscheinlich die Gorch Fock. Seeleute in Uniform stiegen die Gangway hoch, andere kamen herab. Alles wirkte so normal, so ruhig, ein geplantes, sicheres Leben. Vor einem halben Jahr, als sie den täglichen Kampf der Menschen des Mittelalters um Nahrung hautnah erlebt hatte, wäre es ihr nicht im Traum eingefallen, dass sie im 21. Jahrhundert in eine ähnliche Situation geraten könnte. Und doch war genau das der Fall. In spätestens zwei Wochen würde sie pleite sein.

Es dauerte mehrere Wochen, bis Günter anrief. »Du hast dich nicht gemeldet«, sagte er vorwurfsvoll. »Also muss ich es wohl machen. Wie geht’s dir so?«

Gunhild schluckte hart. Er hatte sich nicht nach ihr erkundigt, als es ihr finanziell besonders dreckig ging. Andererseits war sie selbst schuld. »Gut«, antwortete sie betont munter. »Ich habe seit zwei Wochen einen Job, einen Zeitvertrag als Fleischbeschauerin auf dem Schlachthof. Als Vertretung bis Ende Mai.«

»Glück gehabt. Oder auch: die dicksten Bauern mit den dümmsten Kartoffeln. Na, du weißt schon. Womit ich selbstverständlich nicht behaupten will, dass du dick bist.« Günter lachte schallend.

»Spinnst du?«, fragte Gunhild scharf, als sie sich endlich Gehör verschaffen konnte. »Ich bin Tierärztin!«

»Ja, eben. Aber es klingt, als würdest du dich jetzt als Metzgersfrau betätigen.« Günter nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette.

Gunhild wusste, dass damit dieses Thema beendet war. Sie beschloss, auf seine Unlogik nicht weiter einzugehen. Sie hatte es satt, sich nur mit ihren Kuscheltieren zu unterhalten.

»Ich wollte dich einladen«, erklärte Günter lakonisch, als sie still blieb. »Zum Reitturnier in Neumünster. Am Sonntag.«

Gunhild nickte erleichtert. Pferde waren das Einzige, was sie beide wirklich verband, allerdings stellten sie für Günter hauptsächlich einen ästhetischen Genuss dar. Und der Geruch von Pferden, Sägespänen und Torfstreu wäre eine willkommene Abwechslung zu den Duftnoten, von denen sie täglich umgeben war. Der Blutgeruch auf Schlachthöfen war um nichts angenehmer als der Kotgestank in den Nirostaboxen von Hundeschulen. »Gern«, sagte sie.

»Also abgemacht. Ich hole dich ab wie immer, zehn Uhr.«

»Zehn Uhr«, wiederholte Gunhild.

»Du bist ja heute so handzahm«, bemerkte Günter süffisant und legte auf, bevor sie Kontra geben konnte.

Gunhild schnitt ein Gesicht. Sein überhebliches Grinsen konnte sie durch die Leitung sehen.

Irgendwie verfranzten sie sich in Neumünster, obwohl der Weg zur Nordlandhalle normalerweise an jeder Ecke ausgeschildert war. Zumindest hatte Gunhild das immer so empfunden, wenn sie nicht dorthin wollte.

Günter warf ihr einen langen Blick zu. »Wer hat denn den Stadtplan?«, fragte er anzüglich, als sie zum zweiten Mal an der gleichen Kirche vorüberfuhren.

Gunhild blickte grimmig auf die Karte und zog es vor zu schweigen.

»Vielleicht will dich der heilige Kilian ärgern«, bemerkte Günter und machte eine Kopfbewegung zur zurückbleibenden Kirche. »Wo du neuerdings so auf Kriegsfuß mit der Kirche stehst … Vielleicht spürt er das und führt dich in die Irre, damit wir zu spät kommen.«

»Der heilige Kilian?«, meinte Gunhild nachdenklich. Plötzlich sah sie den Reliquienhändler Tassilo mit seinem Karren vor sich, wie er dem fränkischen Priester Knochen und Fingernägel von Heiligen verkaufte.

»Genau. Seine Gebeine wurden 788 im Beisein Karls des Großen in den Salvatordom von Würzburg überführt und später in diese Kirche von Neumünster.«

Wie elektrisiert fuhr Gunhild angesichts dieser zufälligen Namensgleichheit herum.

»In einer evangelischen Kirche würde er natürlich nicht liegen«, murmelte Günter betont.

»Was wäre daran so schlimm?«, fragte Gunhild patzig. »Die großen Verbrechen an den Menschen wurden jedenfalls nicht von der evangelischen, sondern von der katholischen Kirche begangen!«

»Was kümmern dich denn in letzter Zeit die Kirchen?« Günter war sichtlich irritiert, beinahe hätte er eine rote Ampel überfahren. »Seit deiner Rückkehr bist du in dieser Hinsicht ausgesprochen feindselig.«

»Nicht ohne Grund«, sagte Gunhild und schob die Gummimatte, auf die sie bei seiner Notbremsung demonstrativ die Füße gestemmt hatte, an ihren Platz zurück. »Ich hatte einige einschlägige Erlebnisse, die ziemlich unangenehm waren.« So unangenehm, dass sie beinahe mit ihrer Hinrichtung geendet hätten. Aber das konnte sie ihm nicht sagen, er hätte sie für verrückt erklärt. Sie hätte das besagte Vierteljahr ja auch im Landeskrankenhaus von Schleswig verbracht haben können.

»Aha.«

Sarkasmus wäre ein milder Ausdruck gewesen für die Art, mit der er diese drei Buchstaben hervorbrachte. Gunhild sah sich zu einer trotzigen Erklärung genötigt. »Das Schlimme ist ja, dass die römische Kirche so weitermacht wie seit eh und je. Denke nur an das Opus Dei, die heilige Mafia. Mit ihrem unter nicht ganz astreinen Umständen vor kurzem heilig gesprochenen Gründer.«

»Du wirst langweilig. Das hast du neulich schon erwähnt. Außerdem verehren ihn viele Menschen. Sie werden ihre Gründe haben.«

»Zweifellos«, stimmte Gunhild ironisch zu. »Und viele Gläubige sind sich bewusst, dass die Kirche eine blutige Spur durch die Jahrhunderte gezogen hat. Neun Millionen Tote, nur um sich in Europa die Alleinherrschaft zu sichern. Lenin, Hitler, Pol Pot – sie werden zu Recht als Massenmörder gebrandmarkt. Warum die katholische Kirche nicht? Weil es so viele Päpste waren, die die Massenmorde befahlen?«

Günter sah über seine Schulter zurück, dann überfuhr er im Bogen die durchgezogenen weißen Linien der mehrspurigen Straße und gab in der Gegenrichtung Gas.

»Was machst du?«, fragte Gunhild verständnislos.

»Ich fahre zurück nach Kiel«, antwortete Günter knapp. »Das Turnier fällt aus. Für heute und für immer.«

Für heute und für immer, wiederholte Gunhild in Gedanken, als Günter sie vor ihrer Haustür abgesetzt hatte, und das galt auch für ihre Freundschaft. Sie war beendet.

Irgendwie fühlte sie sich überrumpelt, als sie die Treppen zu ihrer Wohnung hochstieg. Günter konnte nicht über seinen Schatten springen. Aber sie auch nicht.

Sie war nach ihren Erlebnissen bei der Christianisierung, zu deren Opfern sie zählte, nicht bereit, noch irgendwelche Konzessionen zu machen. Am liebsten hätte sie sogar als Zeitzeugin des achten Jahrhunderts Vorträge gehalten. Es war unendlich bedauerlich, dass sie ihre Kamera verloren hatte, denn anhand der Fotos hätte sie alles beweisen können.

Gunhild trat die Wohnungstür hinter sich zu, ließ ihren Rucksack mitten im Flur fallen und ging ins Schlafzimmer, wo sie die Schuhschachtel aus dem Schrank herausholte und mit ihr auf das Bett sank.

Andächtig nahm sie Haduwichs Dolch heraus und betrachtete ihn. Der Griff war mit hell gefleckter Birkenrinde umwickelt. Solche Handarbeit gab es noch heute in Schweden. Auf einer Seite waren Runen in die Rinde geschnitzt, die sie aber nicht lesen konnte. Bei manchen Buchstaben hatten sich die spitzen Ecken gelöst und rollten sich zusammen.

Tränen liefen Gunhild die Wangen hinab. Sie wischte sie nicht ab. Sie wollte sich an Haduwich und ihren Vater Hassio, an Kobbo und die mutigen Frauen erinnern. Selbst wenn es schmerzte.

Am meisten schmerzte ihre Sehnsucht nach Gerowulf, dem Mann, der entschlossen gewesen war, seine Sachsen nach Verden zu führen, wo Tausende von unbewaffneten Männern von Karls Kriegerhorde ermordet worden waren. Gunhild bettete den Dolch wieder sanft auf das Seidenpapier, schloss den Karton und starrte in die Luft, ohne etwas zu sehen.

Vielleicht lebte Gerowulf noch, vielleicht gab es eine winzige Chance, dass er dem Inferno entkommen war.

Gunhild krallte sich in die Bettdecke. Ein Schwindel erfasste sie, wie sie ihn unter den heiligen Bäumen der Sachsen verspürt hatte.

Plötzlich erkannte sie, dass es ihre Aufgabe war, Gerowulf zu suchen.

Kapitel 2

Die heiligen Eichen der Sachsen. Gunhild hatte längst begriffen, dass sie auf geheimnisvolle Weise mit diesen Bäumen verbunden war. Aber wie? Und warum sie? Andere Leute hatten doch nicht die Gewohnheit, unter alten Eichen ohnmächtig zu werden und dann einen Zeitsprung zu machen.

Gleichgültig schnitt sie mit der gebogenen Klinge ihres Fleischbeschaumessers in den Achsellymphknoten eines Rindes, um sein Inneres zu inspizieren. Der Blutgeruch am Laufband war überwältigend, ebenso wie der Lärm in der Schlachthalle, und sie verabscheute beides mehr denn je.

Sie starrte auf die bräunlich gelbe Schnittfläche, ohne viel zu sehen, dann nahm sie den nächsten Lymphknoten in Angriff.

Jemand tippte ihr auf die Schulter. Wie ertappt, sah Gunhild sich um. Hinter ihr stand der verantwortliche Schlachthoftierarzt, ihr derzeitiger Chef. Missmutig sah er zu ihr auf.

»Meine Teuerste, wenn Sie weiterhin so gedankenlos im Fleisch herumsäbeln, fliegen Sie. Ich habe mehrere Tierärzte auf der Warteliste, gestandene Praktiker, alles Absolventen der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Schätze, dass die mehr Einsatz bei der Arbeit zeigen als Sie. Außerdem haben Sie sich geschnitten. Im Zeitalter von BSE und zunehmender Tuberkulosegefahr ist von einer Vermischung menschlichen und bovinen Blutes abzuraten.«

»Jawohl«, murmelte Gunhild und sah durch ihn hindurch. Sein Kamelgesicht mit den langen gelben Zähnen lohnte ohnehin keinen zweiten Blick, auch wenn er ihr das Stichwort zu einer Erkenntnis geliefert hatte.

Soeben war ihr aufgegangen, was mit ihr im Bannkreis eines heiligen Baumes geschah. Seine Kraft mischte sich auf geheimnisvolle Weise mit einem Teil ihres Wesens. Sie erinnerte sich an die seltsame Anziehung, die sie verspürt hatte und die sich verstärkte, sobald jemand Hand an ihn legte.

»Was ist?«, fragte ihr Chef in scharfem Ton. »Machen Sie gefälligst endlich weiter! Die Schlachtkörper stauen sich schon, sehen Sie das denn nicht?«

»Ja, Dr. Kamél, ich sehe es. Und nein, Herr Kollege, ich mache nicht weiter«, antwortete Gunhild in sanftem Ton und strahlte ihn an, während sie das Fleischmesser in den Plastikköcher an ihrem Gürtel schob. »Ich kündige. Auf der Stelle.«

»Das können Sie doch nicht machen. Ich werde Ihnen eine Abmahnung verpassen«, schnaubte er und zog die Oberlippe in fassungslosem Unverständnis zurück.

Als wollte er zubeißen, dachte Gunhild. »Doch, das kann ich«, widersprach sie ungerührt und marschierte hinaus, vorbei an den Rindern, denen das Fell maschinell abgezogen wurde, vorbei am plätschernden Blutstrom einer gerade geöffneten Halsvene. Sie verschloss ihre Ohren vor dem dumpfen Plopp des Bolzenschussapparates, mit dem das nächste Rind betäubt wurde, und stieß endlich erleichtert die Tür zum Umkleideraum hinter sich zu, wo von dieser modernen Metzelei kaum etwas zu hören und nichts zu sehen war.

Ihre weißen blutverschmierten Gummistiefel ließ sie demonstrativ mitten auf dem Fliesenboden zurück. Die sollte an sich nehmen, wer wollte.

Erfüllt von Zufriedenheit, ging Gunhild an die Vorbereitungen. Stundenlang surfte sie im Internet auf der Suche nach Informationen aus der Zeit des Karl, der in der Geschichtsschreibung der Große genannt wurde, dann fuhr sie zur Stadtbibliothek und setzte sich mit einem Stapel einschlägiger Bücher an einen Tisch. Sonderlich viel gaben sie nicht her.

Auf dem Rückweg ging sie bei ihrem Apotheker vorbei, legte demonstrativ ihren Rezeptblock auf die Theke und verlangte kühn Antibiotika ad usum proprium.

»So viel für den eigenen Gebrauch? Dann müssen Sie ja todkrank sein«, staunte der Mann ungläubig. »Oder wollen Sie auf Weltreise gehen?«

»Segeltour«, gab Gunhild geheimnisvoll Auskunft. »Ich will mit ein paar Leuten über den Atlantik, wissen Sie? Nord-Ostsee-Kanal, englische Kanalküste, Spanien, Kanaren, dann der große Sprung zu den Bermudas. Ich bin die einzige Medizinerin an Bord.«

»Tierärztin, um genau zu sein. Aber ich wusste nicht, dass Sie auch segeln. Na, dann herzlichen Glückwunsch.« Der Apotheker nickte ihr ein wenig neidisch zu. »Ihr jungen Leute habt es gut, keine Verantwortung, keine Familie und immer genug Geld. Wir konnten früher höchstens mal ans Mittelmeer reisen.«

»Sie haben ja so Recht«, flocht Gunhild höflich ein.

»Na, Schwamm drüber. Die Zeiten haben sich geändert, und dafür können Sie auch nichts. Wochenlang auf Reisen. Wir sollten für die wahrscheinlichsten Indikationen auf einem Boot ein breit gefächertes Sortiment zusammenstellen.«

»Es wäre ausgesprochen nett, wenn Sie Ihre Fachkenntnisse mit einbringen würden«, sagte Gunhild unwillkürlich und überging die Tatsache, dass er ihr die Segeltour offensichtlich nicht gönnte. In Wahrheit war sie mit einem Segelboot noch nicht über Gotland hinausgekommen. Und er hatte Korsika und Elba vermutlich bequem mit dem Flugzeug oder Auto erreicht.

»Schmerzmittel? Bestimmt. Schnupfen- und Hustenpräparate, auf See erkältet man sich leicht. Wie alt sind Ihre Mitreisenden eigentlich? Herzinfarkte? Viagra?« Die Stimme und das selbstgefällige Lachen des Apothekers verloren sich hinter den Regalen.

Er wartete gar nicht auf Gunhilds Antwort. Sie war ja nur Tierärztin. Sie blieb stumm und dachte mit geschlossenen Augen an einen wundervollen Eichenwald.

Eine Woche später brach Gunhild die Brücken hinter sich ab. Die Wohnung war an eine dankbare Studentin untervermietet, das Telefon um- und die Post abgemeldet, und sie hatte einer guten Bekannten erzählt, dass sie auf unbestimmte Zeit durch die Welt bummeln würde. Nicht erreichbar, aber vielleicht würde sie sich selbst mal melden.

Das war’s. Erleichtert gab Gunhild an einem frühen Maimorgen Gas Richtung Autobahn, Ziel Verden an der Aller oder Umgebung. Kurz vor ihrer Ankunft fiel ihr auf, dass sie das Empfinden hatte heimzukehren, keineswegs, als ginge sie auf eine Expedition in eine ihr nicht sonderlich vertraute Zeit. Sie zweifelte nicht einmal daran, dass sie ankommen würde. So als wäre es undenkbar, in einer falschen Zeit zu landen oder gar auf einer Polizeiwache, aufgegriffen als Verrückte in absonderlicher Kleidung.

Nicht weit südlich von Verden fand sie an der Aller, was sie suchte: ein altes Fährhaus mit Parkplatz, wo man sich hoffentlich um ihren Wagen kümmern würde, ohne ihn auszuplündern, und riesige Eichen.

Das kleine Beil aus dem Campingbedarf in der Hand, auf dem Rücken den randvoll mit lebensnotwendigen Dingen gefüllten Rucksack, streifte Gunhild erwartungsvoll durch das Wäldchen.

Schließlich stieß sie auf einen mächtigen Baum, verziert mit einem eingeschnittenen Herzen, das über die Jahrzehnte fast bis zur Unkenntlichkeit in die Breite gegangen war. Sie legte die Schneide sacht an die Rinde, und umgehend spürte sie die ihr schon bekannte Anziehungskraft.

Bevor ihr schwarz vor Augen wurde, umklammerte sie die Rucksackriemen und das Beil, damit sie auf keinen Fall verloren gingen.

Glücklich hörte Gunhild sächsische Laute, noch bevor sie die Augen aufschlug. Über ihr breiteten sich die Kronen mehrerer Eichen aus, und unter ihrem Kopf spürte sie weichen Waldboden. Es hatte geklappt, sie war nicht nur in der richtigen Zeit, sondern sogar auf der richtigen Seite der wechselnden Fronten angekommen!

Noch zufrieden lächelnd, fiel ihr Blick auf eine Leinenhose. Es dauerte einen Augenblick, bis sie die ausladende Ausbuchtung zwischen den Beinen des Mannes wahrnahm und begriff, dass er gerade dabei war, sich seiner Hose zu entledigen. Ein Berserker von Mann, und seine blauen Augen richteten sich voller Gier auf sie.

»Komm! Wir haben keine Zeit für Weiber!«

Gunhild, die schon in die Höhe geschossen war, fuhr herum und erblickte zwei weitere Männer in zerlumpten Kleidern und auf ärmlichste Weise nur mit Bögen und Pfeilen bewaffnet. Sie hob drohend ihr Campingbeil und ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie es benutzen würde.

»Komm, Buto, die Franken sind uns auf den Fersen! Verzichte wenigstens einmal auf eine Frau«, zischte der Älteste der drei und sah sich gehetzt um.

»Um Rache an einer Fränkin zu üben, ist immer Zeit«, gab der Mann zurück, der sich inzwischen mit nacktem Unterkörper und hoch aufgerichtetem Glied Gunhild näherte.

»Ich halbiere es dir«, drohte Gunhild entschlossen und unterdrückte ein irres Kichern, als sie sich an den Vorschlag des Apothekers erinnerte. Sie nahm Maß. Das Glied war so groß,, dass sie es kaum verfehlen würde. Auch ohne Viagra.

»Hört ihr, sie ist eine Fränkin«, sagte der Mann, der Buto hieß, unbeirrbar. Er entblößte große gelbe Zähne, während er sie böse musterte.

So tapfer sie sich gab, in Wahrheit war Gunhild erbärmlich zumute. So hatte sie sich ihre Rückkehr nicht vorgestellt. Sie meinte, in der Ferne Hundegebell zu hören. Sie lauschte mit hoch erhobenem Kinn.

»Hörst du, die Franken haben dich fast schon!«, schnaubte der Alte wütend und machte kehrt, um im Wald zu verschwinden.

»Nimm sie doch mit!«, flüsterte der Jüngste, bevor er dem Anführer ins Unterholz folgte.

Buto entwand Gunhild ohne Mühe das Beil, packte sie an der Hand und zog sie mit sich. Im Laufen zerrte er seine Hose wieder hoch und klemmte sie unter dem Gürtel fest.

Zweige peitschten Gunhild ins Gesicht, sie litt an heftigem Seitenstechen und ihre Schulter fühlte sich an wie ausgekugelt. Aber Buto kannte keine Gnade. Sobald sie hinfiel, riss er sie wieder auf die Füße.

Keuchend stolperte Gunhild vorwärts. Ihr Kopf war wie leer geblasen, nur das eine wusste sie noch: Sie durfte den Rucksack nicht loslassen. Wenn überhaupt irgendetwas, dann konnte sein Inhalt sie retten.

Im Wald war es dunkel, heller nur über einem Bachbett, durch das sie eine Weile wateten. Als die drei Männer endlich auf einer Lichtung Halt machten, hatte Gunhild jedes Gefühl für Zeit und Richtung verloren.

»Wir bleiben hier«, bestimmte der alte Anführer kurz. »Anscheinend haben sie unsere Spuren verloren. Oder aufgegeben, weil der Spießbraten sie nach Hause rief. Die Franken sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren.«

Gunhild atmete auf. Im letzten Licht des Tages sah sie die Umrisse von Hütten. In jedem Weiler lebten Frauen. Sie würde versuchen, sich in ihren Schutz zu begeben. Der Kerl würde nicht wagen, das eherne Gesetz der Gastfreundschaft zu brechen und sie inmitten von Kindern und Frauen zu vergewaltigen.

Es war alarmierend still. Die Herdfeuer waren anscheinend bereits gelöscht worden, obwohl es ja eigentlich noch früh am Abend war. Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Dorf. Störrisch blieb Gunhild stehen.

»Komm endlich«, knurrte Buto und versetzte ihr eine gewaltige Ohrfeige, bevor er sie in einen düsteren Hauseingang stieß.

Über Gunhild leuchteten erste Sterne. Endlich begriff sie. Der Weiler lag verlassen. Sie war allein mit drei rachsüchtigen Sachsen, die sich auf der Flucht vor den Franken befanden.

In der relativen Sicherheit verfallender Lehmwände fanden die Männer zu ihrem gewohnten Verhältnis zueinander zurück. Eindeutig besaß der ältere Sachse Autorität. Buto wagte offenbar nicht, vor seinen Augen über Gunhild herzufallen.

Nach kurzer Zeit brannte ein Feuer auf dem gestampften Boden, das niedrig gehalten wurde. Die Männer sprachen wenig und blieben wachsam.

Auch Gunhild fühlte, dass irgendetwas sie störte. Erst als Buto von der Türöffnung zurückgekehrt war, nachdem er eine Weile konzentriert mit geschlossenen Augen in die Dunkelheit gelauscht hatte, fiel es ihr auf. Das Trommeln der Hillebillen fehlte. Im vergangenen Jahr waren manche Nächte vom Lärm der sächsischen Nachrichtenhölzer erfüllt gewesen. »Wird hier nicht mehr Krieg geführt?«, erkundigte sie sich.

Die beiden jüngeren Männer grinsten spöttisch und überließen dem Alten die Antwort.

Der sah Gunhild verwundert an. »Hier wird kein Krieg geführt.«

Gunhild biss sich auf die Unterlippe. Schließlich hielt sie die Ungewissheit nicht mehr aus. »Ist denn Frieden?«

Der Sachse schüttelte den Kopf und holte schließlich zu einer ausführlichen Antwort aus. »Hier ist nichts. Hier leben keine Sachsen, gegen die noch Krieg geführt werden könnte. Und Franken? Es gibt manchmal welche. Einzelne Streifen. Der fränkische Heerbann hat geraubt, was zu holen war, und anschließend gebrandschatzt. Das Vieh und die Menschen, soweit sie noch am Leben waren, haben sie fortgeführt, die Saat zertreten, die Gräber geplündert …«

Gunhild starrte ihn ungläubig an. Was er beschrieb, war verbrannte Erde. »Wo finde ich dann den Gaufürsten Wittekind?«, fragte sie endlich.

Der Alte lehnte sich im Schneidersitz vor und betrachtete sie mit zusammengekniffenen Augen. »Du bist doch eine Fränkin, oder etwa nicht? Hat Wittekind sich ein fränkisches Weib genommen, um dem Frankenkönig gefällig zu sein?«

Ihre Hoffnung, durch Wittekind etwas über Gerowulf zu erfahren, zerstob. Der Sachse wusste nichts über ihn. Sie verzog verärgert die Lippen. »Ich gehöre zu den Nordleuten.«

»Glaub ihr nicht, Firderich«, warf Buto warnend ein. »Nordleute gab es hier in der Gegend, das habe ich auch gehört. Aber sie weiß nicht, dass sie tot sind. Sie spricht weder richtiges Sächsisch noch Fränkisch. Die stammt nicht von hier. Und außerdem: Wie will sie hierher gekommen sein, frage ich dich! Sie versucht, sich bei uns einzuschmeicheln, um uns auszuhorchen. Anscheinend schicken die Franken jetzt schon ihre Sklavinnen los, um uns Sachsen zu überlisten.«

»Wenn das stimmt, wärst du ihr erstes Opfer geworden«, entgegnete der Alte trocken. »Ein befriedigter Mann gerät leicht ins Schwadronieren. Vor allem, wenn sie so geschickt ist, wie du ihr anscheinend unterstellst.«

Gunhild klopfte das Herz, während Buto die Zähne bleckte, weil er anscheinend keine passende Antwort fand.

»Ich halte sie für gefährlich«, meinte er schließlich. »Sieh dir doch mal ihr Beil an. Die Schneide ist dünn wie Riedgras, schärfer und härter als der beste fränkische Stahl, den ich kenne.«

Sie nickte unwillkürlich. Das Beil war ziemlich teuer gewesen. Mit Waffen kannte Buto sich aus.

»Lass mal sehen«, befahl der Jüngste, der bisher überhaupt noch nicht gesprochen hatte. Buto warf ihm das Beil vor die Füße. Er nahm es auf und betrachtete es mit funkelnden Augen. »Welche Sächsin besitzt denn so ein kostbares Stück? Handlich und für eine Frau gefertigt.«

»Eben.« Buto machte hinter Firderichs Rücken eine wegwerfende Geste, und der Jüngere grinste etwas unsicher zurück.

Firderich zweifelte immer noch. »Sie sieht nicht aus wie eine Fränkin«, murmelte er.

Buto pflanzte sich mit gespreizten Beinen vor Gunhild auf und musterte sie ausgiebig. »Wie eine Sächsin sieht sie schon gar nicht aus«, behauptete er mit Bestimmtheit.

Gunhild hatte lange überlegt, was sie mitnehmen sollte. Zwar konnte das lange Leinenkleid zur Not als sächsisch durchgehen, aber ihr fehlten die Fibeln, das Haarnetz, das unbedingt zu einer ehrbaren Frau gehörte, die Schlüssel am Gürtel … Trotzdem war sie in Kiel sicher gewesen, dass man sie akzeptieren würde, allerdings bei wohlwollender Prüfung. Auf eine andere hatte sie sich nicht vorbereitet. Sie blinzelte unsicher zu ihm hoch.

Plötzlich verzogen sich seine Lippen, die von rötlichen Borsten und Aknepickeln umgeben waren, zu einem lüsternen Grinsen. »Als Erstes werde ich feststellen, ob sie überhaupt eine Frau ist …«

Von Firderich war keine Hilfe zu erwarten. Seine Autorität galt offenbar mehr für Fragen der Kriegstaktik. Der andere junge Mann schaute erwartungsvoll auf Buto, in dessen Beinkleid es sich schon wieder regte.

Nicht mehr lange, und sie würden sich beide auf Gunhild stürzen. Aber immerhin hatte sie sich in den letzten Minuten gedanklich auf den Ernstfall vorbereiten können. Behutsam, um niemanden zu alarmieren, zog sie ihren Rucksack zu sich heran. »Ist euch bekannt, warum sich die Franken so vor Zauberei fürchten?«, fragte sie provokant.

Buto riss vor Erstaunen den Mund auf. Firderich aber zog böse die Augenbrauen zu einem schütteren hellen Strich zusammen. »Wage nicht, leichtfertig von Zauberei zu sprechen, Weib! Niemandem außer den weisen Frauen steht der Umgang mit solchen Dingen zu.«

In diesem Augenblick holte Buto aus und trat gegen Gunhilds Rucksack. Sie bekam ihn gerade noch am Riemen zu fassen, warf sich darüber und wühlte blind nach ihrem Fotoapparat. Bevor sich einer der Männer besann, richtete sie das Objektiv auf Buto und drückte ab.

Die Sachsen versteinerten, als das leise Surren bei der Ausgabe des Bildes wie die Verkörperung von Gunhilds Zauberkraft durch den Raum schwebte.

Butos Unterkiefer zitterte und in seinen Augen stand blankes Entsetzen, nachdem Gunhild ihm das Sofortbild aufgedrängt hatte. Das Foto, das er losließ, als. sei es brandheiß, flatterte zu Boden und blieb in der Aushöhlung des Mahlsteins liegen, den die Hausbewohner zurückgelassen hatten.

Nach einem Augenblick der Stille rührte sich Firderich und kroch ächzend dorthin. Seine gelichteten weißlichen Haare fielen auseinander und gaben die helle Kopfhaut frei. Irgendwie tat er Gunhild Leid. Ein so alter Mann hatte es sich verdient, umsorgt von einer Schwiegertochter die Enkel auf den Oberschenkeln hüpfen zu lassen. Was machte er hier?

Ohne das Bild anzufassen, betrachtete Firderich es und wandte sich schließlich zu Gunhild um. »Du hast Buto das Heil genommen«, sagt er tieftraurig. »Warum? War das nötig? Ihr Fränkinnen seid es gewöhnt, von Männern wie Tiere benutzt zu werden. Ist der Unterschied zu einem Sachsen so gewaltig, dass allein sein Versuch dich besonders beleidigt?«

Gunhild schluckte trocken. Ihre clevere Selbstverteidigung war gründlich danebengegangen. Obendrein hielt nun auch der einzige besonnene Mann sie für eine Fränkin. »Ich habe ihm das Heil nicht genommen«, widersprach sie nachdrücklich. »Siehst du, ich kann die Abbildung zerreißen …«

Firderich packte ihr Handgelenk mit eiserner Faust und drückte es zu Boden. »Mach es nicht noch schlimmer!«, bellte er, jetzt wieder unangefochtener Anführer seines kleinen Trupps. »Willst du ihn töten?«

»Dann soll er das Foto doch behalten«, schrie Gunhild, allmählich selbst zornig und verwirrt wegen dieser geradezu lächerlichen Verwicklung. »Er kann es verwahren und seiner Frau zeigen!«

Der Sachse ließ sie los. »Eine Frau hat er nicht. Aber du würdest das gestatten?«, fragte er ungläubig.

»Warum denn nicht?« Gunhild atmete auf und strich sich die Haare hinter die Ohren. Den Kamm hatte sie bei der wilden Flucht verloren. Die unmittelbare Gefahr schien vorüber.

Firderich nickte bedächtig und wandte sich an Buto, der sich immer noch nicht gerührt hatte. »Wenn ein Kind nach der Sitte der Christen auf einen fremden Namen getauft wird, heimlich aber bei seinem eigentlichen Namen gerufen wird, behält es sein Heil und das seiner Sippe. Jedenfalls habe ich nie etwas anderes gehört.«

Buto räusperte sich. »Und?«, brachte er mit unsicherer Stimme hervor.

»Du musst diese Abbildung, in der ab jetzt dein Heil ruht, an dich nehmen und darfst sie nie aus der Hand geben. Dann wird es so sein, als wäre nichts geschehen.«

Der junge Mann machte ein zweifelndes Gesicht, aber er wagte nicht, Firderich offen zu widersprechen.

Gunhild kam eine Idee, mit der sie das Unglück gutzumachen hoffte. »Firderich hat Recht, Buto«, sagte sie ernst. »Es käme mir nicht in den Sinn, einem Mann sein Heil zu nehmen. Auf der anderen Seite wollte ich dich wissen lassen, dass ich nicht machtlos bin. Aber zum Zeichen der Versöhnung werde ich dir eine …« – wie übersetzte man Plastiktüte nun am besten? – »einen Heilsbewahrer schenken, in dem du die Abbildung mit dir tragen kannst, ohne dass sie durch Wasser beschädigt werden könnte.«

»Ja«, murmelte Buto gedämpft und verfolgte argwöhnisch, wie Gunhild eine Tüte von ihrer Vorratsrolle riss und das Foto sorgfältig verpackte. Erst als sie es ihm reichte, schien er beruhigt. Plötzlich betrachtete er das Bild sogar mit Stolz, bevor er es an seiner nackten Brust auf einer dichten Schicht von rotblonden Haaren verwahrte.

Auch Firderich war tief beeindruckt. »Dieser Heilsbewahrer … In ihm könnte man bestimmt auch etwas anderes als sein Heil aufbewahren. So etwas habe ich noch nie gesehen.«

»Das versteht sich«, bestätigte Gunhild erleichtert. »Die Franken auch nicht.«

Sie wartete, bis Firderich seinen Platz am Feuer wieder eingenommen hatte, und setzte sich dann neben ihn. »Wir wollen von vorne anfangen«, sagte sie bestimmt. »Wie stelle ich es am besten an, Wittekind zu finden? Eigentlich suche ich nach dem Nordmann Gerowulf, der seine Krieger zum Gerichtstag nach Verden führen wollte, aber ich weiß nicht, ob er jemals dort ankam. Wittekind könnte es wissen.«

Der Status einer Zauberin brachte Gunhild persönliche Sicherheit und eine Menge Informationen von Firderich ein. Sie erfuhr, dass die Gegend zwischen Weser und Aller praktisch entvölkert war, die meisten Weiler verbrannt und die Felder zerstört. Wer den Franken entkommen konnte, war geflohen.

»Und weshalb seid ihr hier?«, fragte Gunhild entsetzt. »Wenn ich dich richtig verstanden habe, Firderich, seid ihr alle drei hier fremd.«

Der Sachse nickte düster. »Wir stammen von einem Nebenfluss des Rheins. Unsere Heimat steht völlig unter der Knute der Franken und der Pfaffen. Der Kölner Bischof saugt uns sächsische Bauern bis auf den letzten Blutstropfen aus. Wer nicht zahlen will oder nicht mehr zahlen kann, wird versklavt.«

»Ich weiß«, bestätigte Gunhild mit Nachdruck.

Firderich sah überrascht auf. »Hat deine Familie auch ihren Hof verloren?«

»Darüber weiß ich nichts«, antwortete Gunhild hart an der Wahrheit entlang. »Ich wurde als Geisel von einem Priester festgehalten, zusammen mit Haduwich, die Hassio von Verdens Tochter ist.«

»Hassio von Verden? Den kenne ich«, sagte Firderich atemlos und legte die Hand auf die magere Brust, um seine plötzliche Aufgeregtheit zu bekämpfen. »Siehst du, Buto, sie ist sehr wohl eine Sächsin. Was Hassio betrifft, er steht im Dienst des Bischofs von Köln. Er blieb mir wegen seiner seltsamen Ansichten in Erinnerung.«

Gunhild zog die Augenbrauen hoch.

Firderich lachte leise und zuckte mit einer Schulter. »Hassio kümmert sich um die Pferde des Bischofs. Anscheinend hat er ihm weisgemacht, dass er die fränkischen Pferde durch Zucht verbessern könnte.«

»Warum nicht? Was ist daran so erstaunlich?« Jetzt war Gunhild wirklich neugierig. Haduwich hatte gelegentlich von ihrer Familie erzählt, aber nie, dass der Vater Pferde züchtete.

»Mit Hilfe von sächsischen Pferden«, knurrte Firderich. »Die fränkischen sind gut! Wie könnte man sie ausgerechnet mit unseren schwächlichen Pferden verbessern? Wir an der Ruhr essen sie, verstehst du, wir reiten sie nicht! Es gefiel mir nicht, dass Hassio dem Mann etwas vorgelogen hat, auch wenn der nur ein Franke ist.«

»Aber es stimmt doch«, rief Gunhild. »Die sächsischen Pferde sind weltberühmt!«

»In welcher Welt lebst du denn, Frau?«, erkundigte sich Firderich verächtlich. »Ich glaube nicht, dass du davon etwas verstehst.«

Es war entschieden gescheiter, dieses Thema nicht zu vertiefen. »Die Ruhr ist weit weg. Was wollt ihr denn hier?«, erkundigte sich Gunhild stattdessen.

»Wir suchen Wittekind. Wir wollen uns ihm anschließen.« Firderich grinste, und die beiden Jüngeren brachen in Gelächter aus, als hätten sie sich mit Gunhild einen gelungenen Spaß erlaubt.

Am nächsten Morgen konnte Gunhild sich selbst davon überzeugen, dass die Sachsen nicht übertrieben hatten. Das Dorf, in dessen Ruinen sie übernachtet hatten, war bis auf die letzte Hütte niedergebrannt worden. Das Feuer hatte sogar auf den nahen Wald übergegriffen; wie verkohlte Finger griffen die schwarzen Aste der Eichen in den Himmel.

Es war kein Ort, an dem man auch nur eine Minute länger als nötig verweilte. Gunhild war dankbar, dass sie bald aufbrachen. Die Männer erlaubten ihr gönnerhaft, in ihrem Schutz zu reisen. Darüber hinaus behielt Buto ihr Beil, beides für Gunhild gewichtige Gründe, nicht den Versuch zu machen, sich allein nach Verden durchzuschlagen.

Der Pfad, der einmal zur Aller hinuntergeführt haben musste, war mit niedrigem Gestrüpp bewachsen und schwer begehbar. Mit spitzen Fingern befreite sich Gunhild von einer Brombeerranke, die hinter Firderich zurückgeschnellt war.

»Geh schneller«, zischte Buto hinter ihr und versetzte ihr einen Stoß.

»Sind Franken in der Nähe?«, fragte Gunhild leise, während ihr das Herz stockte.

»überall muss man mit Franken rechnen.«

Danach schwieg er wieder. Gunhild bemühte sich, Firderich und dem jungen Schweigsamen, der Firderichs Sohn war, ohne dass sie bisher seinen Namen gehört hatte, dicht auf den Fersen zu bleiben. Sie lief mit zusammengebissenen Zähnen und hoffte, dass ihr Seitenstechen nicht noch schlimmer würde.

Der Eichenwald endete in Weiden und Gebüsch und es ging abwärts. Dankbar erblickte Gunhild zwischen den Stämmen endlich blinkendes Wasser.

Es war eine Fährstelle und der Fährmann legte gerade an. Gunhild ließ sich auf einen Stein sinken, um zu verschnaufen.

»Zwei Mann gleichzeitig«, sagte der Fährmann lakonisch, »eine größere Fähre findet ihr bei Verden. Aber die Wartezeit bei mir ist nicht lang.«

»Der Weg auf der anderen Seite der Aller soll bequemer sein, habe ich gehört …« Firderich wartete auf eine Antwort, während der Fährmann sich stehend auf seinen Staken stützte und ihn ungeniert musterte.

»Das stimmt. Die Franken von der Garnison benutzen ihn. Er ist jetzt breiter als früher …«, antwortete er schließlich. »Seid ihr getauft? Für Ungetaufte ist es nicht ratsam hinüberzuwechseln.«

»Wir sind getauft«, antwortete Firderich barsch. »Der Herr verdamme das Christenpack, das uns dazu gezwungen hat!«

»Und was geht es dich an?«, erkundigte sich Buto hochnäsig.

Der Fährmann machte sich nicht die Mühe, Buto zu antworten. Seine Blicke glitten gleichgültig über ihn hinweg und saugten sich an Gunhild fest. Sie kannte ihn nicht. Oder sollte es ihr Rucksack sein, der ihn so sehr interessierte? Zu allen Zeiten wurden Reisende ausgeplündert.

In der Zwischenzeit war Firderich mit Hilfe seines Sohnes in den Einbaum gestiegen und hatte es sich so gut es ging bequem gemacht. »Ihr kommt nach«, sagte er zu Buto und meinte auch Gunhild.

Die Fähre machte rasche Fahrt, obwohl der Fährmann sie wegen des schnell strömenden Wassers im Gleichgewicht halten musste und dabei nicht abtreiben lassen durfte. Aber er verstand sein Handwerk, wie Gunhild einigermaßen erleichtert feststellte.

Endlich traute sie sich, den Einbaum aus den Augen zu lassen und das jenseitige Ufer zu betrachten. Trotz der Frankenscharen, die es bevölkern sollten, war kein Laut zu hören. Allerdings hatte die Aller hier anscheinend ihr eigentliches Bett verlassen und war ungewöhnlich breit.

Ein Blinken zwischen den Bäumen auf der anderen Seite fesselte eine Weile ihre Aufmerksamkeit, aber das war auch das einzig Interessante. Gunhild versank in Gedanken, bis der Fährmann ein zweites Mal anlegte und sie einsteigen hieß.

Mitten auf dem Fluss fiel Gunhild ein, dass Fährleute mit vielen Menschen sprachen. Sie drehte sich zu ihm um. »Hast du zufällig etwas von Wittekind gehört?«, fragte sie.

»Wittekind!« Der Fährmann spuckte ins Wasser und stakte das Boot von einer kleinen Grasinsel frei.

Nanu, dachte Gunhild verwundert. Als sie an Buto vorbei wieder nach vorne über den Bug spähte, bemerkte sie seine misstrauische Miene und wechselte einen vorsichtigen Blick mit ihm. Er nickte kaum merklich und begann verstohlen das Ufer abzusuchen.

Gunhild dachte an das Blinken. Ein Signal war es nicht gewesen, aber womöglich hatte es von einer Waffe hergerührt. Unwillkürlich zog sie den Kopf zwischen die Schultern und versuchte, sich so klein wie möglich zu machen.

»Da ist der Anlegeplatz schon«, bemerkte hinter ihr der Fährmann.

»Wo? Ich sehe nichts. Und wo sind meine Freunde?«, fragte Buto mit vor Anspannung heiserer Stimme.

»Hast du etwa Angst um sie? Sie sind auf der Landzunge hinter dem Schilf. Ich kann ihre Köpfe sehen. Aber hüte dich, aufzustehen, Fremder! Du würdest mein Boot aus dem Gleichgewicht bringen.«

Gunhilds Atem stockte einen Augenblick, bis sie begriff, dass der Fährmann Buto zum Widerspruch zu reizen versuchte. Sie streckte den Fuß aus und trat nach dem Sachsen, um ihn zu warnen.

Aber ihre Warnung kam zu spät. Buto stemmte sich bereits auf den Seitenkanten in die Höhe, um Ausschau zu halten.

Die Strömung führte den Einbaum schnell vorn Landeplatz fort, während Buto den schlaffen Körper des toten Fährmanns über das Heck in die Aller wälzte. Gunhild kauerte immer noch starr vor Schreck in der Mitte, versuchte, dem Pfeilhagel zu entgehen, der ihnen folgte, und sah dem Staken nach, der über Bord gegangen war, als Buto über sie hinweggeturnt war.

Buto hatte sie beide gerettet. Er hatte die Angreifer getäuscht und war im entscheidenden Augenblick nach vorne abgetaucht, statt aufzustehen. Der Pfeil, der für ihn bestimmt gewesen war, hatte den Fährmann getötet.

Die Leiche rutschte platschend ins Wasser. Ein Pfeil traf sie. Das Boot befand sich jetzt außerhalb der Schussweite, aber es torkelte in der Strömung hin und her.

»Verdammter Verräter«, knurrte Buto.

»Was, glaubst du, ist mit Firderich und seinem Sohn geschehen?«, fragte Gunhild, während sie krampfhaft den Bootsrand umklammerte und sich so wenig wie möglich rührte. Der altertümliche Kahn besaß schließlich keinen Kiel und war empfindlich wie ein Wetterfähnchen. »Sind sie tot?«

Buto überlegte. Seine Augen unter der niedrigen Stirn verrieten, dass ihn ganz andere Gedanken beschäftigten als die verloren gegangenen Gefährten.

Gunhild konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass sein Interesse erneut ihr galt. Möglicherweise rechnete er gerade aus, was ihm seine alleinigen Besitzrechte an ihr einbringen konnten. »He, meinst du, dass sie tot sind?«

»Vielleicht nicht«, antwortete er schließlich. »Firderich muss sie vor mir gewarnt haben, sonst hätten sie nicht gewusst, dass sie es mit mir nicht aufnehmen können. Mich wollten sie lieber nur tot an Land lassen. Aber dich wollten sie lebend. Warum? Ist ihnen bekannt, dass sich eine Zauberin in der Gegend herumtreibt?«

»Unsinn«, erklärte Gunhild entschieden. »Wieso fragst ausgerechnet du danach, warum sich Männer für mich interessieren?«

»Dein Sack. Der ist auffallend. Er könnte den Franken bekannt sein. Vielleicht ist es sogar gefährlich, dich als Begleitung zu haben.«

Fröstelnd hörte Gunhild ihm zu. Er mochte nicht besonders klug sein, aber eitel, anmaßend und argwöhnisch. Und berechnend. Eine unangenehme und gefährliche Kombination. Es war vernünftiger, ihm nicht mehr zu widersprechen.

Ihr Schweigen gefiel Buto, es machte ihn zum uneingeschränkten Herrscher des Bootes.

Nach einiger Zeit bemerkte Gunhild jedoch, dass er sich auf den Knien aufgerichtet hatte und unschlüssig mal rechts, mal links ins Wasser spähte. Mittlerweile befanden sie sich in der Mitte der Aller, in ihrer Nähe trieben belaubte Aste und ein Baumstamm mit umfangreichem Wurzelwerk.

»Mit Gewichtsverlagerung müsste es gehen«, schlug Gunhild entgegen ihrem Vorsatz vor, weil sie erkannte, dass er keine Ahnung hatte, was zu tun war. »Ich meine, wir könnten ganz vorsichtig versuchen, den Einbaum zu lenken, indem wir unsere Körper einsetzen. Und dazu unsere Hände als eine Art Steuer.« Wie Seitenschwerter, aber die waren noch nicht erfunden.

Da er nicht widersprach, hatte er anscheinend nichts dagegen einzuwenden. Gunhild drehte sich wieder in Fahrtrichtung, verlagerte ihren Oberkörper bedächtig nach Steuerbord und tauchte ihre Hand in das Wasser. Noch bevor sie die Wirkung überprüfen konnte, hörte sie Butos erstickten Warnruf. Als sie sich umdrehte, blickte sie auf eine Pfeilspitze, die auf ihr rechtes Auge gerichtet war.

»Mach das nicht noch mal!« Seine Stimme war heiser vor Anstrengung.

»Schon gut«, sagte Gunhild entgeistert. »Wenn du meinst, du kannst es besser …«

»Ich habe Flüssen noch nie getraut! Aber Wotans Rattenschwanz von Bedienerinnen soll mich holen, wenn ich mir von einem Weib sagen lasse, was ich tun soll«, knurrte Buto, ohne die Waffe aus der Hand zu legen.

Es war so gut wie aussichtslos, darauf zu hoffen, dass sie zufällig nah ans Ufer gerieten. Liebend gerne wäre Gunhild an Land geschwommen. Allerdings war da ihr Rucksack, den sie um nichts in der Welt verlieren wollte.

Sie fügte sich für den Augenblick in ihr Schicksal, das da hieß, zusammen mit einem unberechenbaren Mann in einem steuerlosen Einbaum flussabwärts zu treiben, bis sie in der Nordsee landeten.

Kapitel 3

»Ich sehe Pferde vor uns«, staunte Buto.

Gunhild drehte vorsichtig den Kopf, in der Hoffnung, dass er wenigstens dagegen nichts einzuwenden hatte. Sie trieben tatsächlich auf eine ganze Herde zu, die mitten im Wasser zu weiden schien. Rechts davon erkannte sie mächtige Palisaden und Wachtürme. »Das ist die Pferdeinsel von Verden«, sagte sie erschrocken.

»Umso besser. Genau da wollen wir ja hin«, bemerkte Buto zufrieden, als wäre es sein Verdienst.

»Firderich kann unmöglich nach Verden gewollt haben, um sich in der fränkischen Garnison nach Wittekind zu erkundigen«, widersprach Gunhild ungläubig. »Was denkst du dir bloß! Wir müssen auf der Stelle an Land und uns dann in der Dunkelheit in die sächsische Siedlung schleichen. Hat Firderich dort jemanden gekannt, den er fragen wollte?«

»Keine Ahnung, mich hat er in seine Pläne nie eingeweiht. Wir werden erst einmal bei den Pferden landen. Die schützen uns ausgezeichnet vor den fränkischen Spähern.«

Es war zum Haareraufen. Aber Gunhild konnte nichts gegen seinen Plan unternehmen. Sie hoffte, dass der Strom sie wenigstens an der Siedlung vorbeitragen würde, was dem Verhalten des ungesteuerten Einbaums nach der bisherigen Erfahrung entsprechen würde. Unwillkürlich duckte sie sich wieder und hielt wachsam Ausschau.

Auch als die Insel der Pferde querab lag, zeigte sich dort kein Franke. Möglicherweise aßen die Wächter zu Abend, es war immerhin später Nachmittag. Über der Garnison und der Siedlung qualmten jedenfalls Kochfeuer.

»Mist«, knurrte Buto.