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Der Schatten legt sich dunkel über die öden Wüstenlanden. Tarkans und Jäger reiten gemeinsam gegen die Schergen der Schwarzen Flamme in Ekbar. Ganz vergessen ist der Glanz der Polariä im Süden Areyiticäs noch nicht. Sagen und Überbleibsel alter Pracht lassen den Mythos wieder aufleben. Doch müssen die tapferen Krieger erkennen, dass der Arm ihres Feindes immer länger wird und selbst Wind und Wetter der Macht der Schwarzen Flamme gehorchen. Die Entscheidung rückt näher in der Gestalt riesiger Heere aus den finsteren Festungen aus alter Zeit.
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Seitenzahl: 320
Veröffentlichungsjahr: 2019
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www.polaria.ch
Erstes Buch
Zweites Buch
Drittes Buch
Viertes Buch
Fünftes Buch
Sechstes Buch
Siebtes Buch
Achtes Buch
Neuntes Buch
Karten
Areyiticä
Koboldien
Ekbar
Prolog
Blumenrat
Geschichte
Erstes Kapitel – Sandnebel
Zweites Kapitel – Feuerkammer
Drittes Kapitel – Schattensand
Viertes Kapitel – Sonnensprung
Fünftes Kapitel – Schatteninsel
Sechstes Kapitel - Sternenfeuer
Siebtes Kapitel – Eisesketten
Achtes Kapitel – Schillerkrieger
Neuntes Kapitel - Schattenstadt
Zehntes Kapitel – Sternenjagd
«Der Krieg ist eine Seuche. Er kann Staaten und Völker verschlingen, die vom ursprünglichen Schauplatz der Feindseligkeiten weit entfernt sind.» (Franklin D. Roosevelt)
Prolog
Blumenrat
«Sehr geehrter Boldorat
Jahrhunderte, ja gar Jahrtausende ist es her, da kämpften unsere Völker Seite an Seite für das Gute und die Freiheit. Ihre Schützen und unsere Kämpfer standen sich voller Vertrauen zur Seite in den Zeiten der höchsten Not. Die Bündnisvölker waren sich treu, bis der Feind besiegt schien, doch er kehrte zurück und liess Marsat untergehen, das zu einem Schatten seiner einstigen Macht wurde. Nun doch, so sind wir entschlossen, wird das Volk der einstigen Polariä voller Entschlossenheit den Wiederaufbau des Reiches Marsat und seiner Werte vorantreiben. Nichts wird uns davon abhalten können, wieder in Freiheit und Gerechtigkeit zu leben oder, wenn es vom Schicksal so bestimmt ist, zu sterben. Jener Feind, der einstmals gegen die verschwundene Stadt Polaria zog, scheint zurückgekehrt zu sein, er wird nicht dulden, dass sich die Polariä wieder erheben und nur annähernd zu alter Stärke zurückfinden. Ebenso wenig erträgt er es, dass Ihr noch in Freiheit und Wohlfahrt lebt, die Ihr einst an der Seite der Polariä gegen ihn gekämpft habt. Keines unserer Völker besitzt die Kraft den dunklen Wogen der feindlichen Armeen stand zu halten, zumindest nicht für lange Zeit. Somit erbittet der Statthalter von Marsat im Namen des Reiches und seines Volkes, ebenso wie in jenem des verschollenen Königs, inständig um den Beistand des Volkes Koboldiens.
A kendram carai harai
Lakalt, gilai Marsat»
So las Walter Mühlmann, der Boldoratsmeister, dem Boldorat das Schreiben aus der fernen Stadt der sagenumwobenen Menschen vor. Theophil Korbflechter, der mit seinen Gefährten und den Gästen aus Marsat am vorigen Tag angekommen war, sass müde, doch aufmerksam, hinter dem Kobold, der Lakalts Worte laut vorlas. Beeindruckt hörten die Räte ihrem Höchstgestellten zu, der sich immer wieder zu den zehn Boten umsah und ihnen dankte. Regelmässig neugierige Blicke ernteten allerdings zwei andere Gestalten, sie waren grösser als die Kobolde und trugen bläulich glänzende Rüstungen. Mühlmann hatte den einen bereits als Hendrior, den anderen etwas jüngeren als Jibrialt vorgestellt. Nach der Erklärung Theophil Korbflechters war auch jenen Kobolden, die etwas länger brauchten, um gewisse Dinge zu verstehen, klar geworden, dass Hendrior eine hohe Persönlichkeit im Reiche der Menschen aus dem alten Volk sein musste, das sich seltsamerweise Polariä nannte. Aufmerksam hörten die Räte aller Orte zu und zerbrachen sich den Kopf darüber, wie es sein konnte, dass ein mächtiger Menschenfürst um den Beistand des kleinen Volks bat. Schliesslich trat Hendrior vor und begann zu den Kobolden zu sprechen: «Bestimmt haben Euch Eure Boten bereits von Truppen aus einer Stadt aus den Bergen berichtet. Sie nennen sich die Bündnisgarde, auch Kobolde gehören ihr an als Vertretung eines der grossen Völker der Grimmbolds. Edle Krieger sollen sie sein, kein Schuss von ihnen gehe fehl. Seite an Seite kämpfen sie mit Menschen aus unserem Volk, mit Eyilreä und mit Zwergen und Gnomen, selbst Riesen gehören dieser Garde des Bündnisses im Namen der Grimmbolds an. Ich weiss, dass Ihr ein Volk seid, vor dem sich jeder Feind fürchten muss, sollte er Eure friedliebenden Bürger gegen sich auch nur im Geringsten aufbringen. Unsere Sagen berichten von einer Armee Eures Volkes, die uns einst zu Hilfe kam. Nicht ein einziger Pfeil habe den Feind verfehlt, der von der Armbrust eines Kobolds abgefeuert wurde.»
Nun kamen die Räte nicht mehr aus dem Staunen heraus, sie konnten kaum glauben, dass ihre Vorfahren so vortreffliche Schützen gewesen sein sollen, obwohl sie sich der Treffsicherheit ihrer Bürger sicher waren. Der Bericht von Kobolden, die in einer geheimnisvollen Garde kämpfen sollen, schien ihnen allerdings kaum in den Kopf gehen zu wollen und zumindest etwas übertrieben. Allerdings waren ihnen schon länger solche Gerüchte zu Ohren gekommen. Ungläubig und mit zitternden Ohren hörten sie den Abgesandten jener so eindrücklichen Menschen zu. Jibrialt belustigte sich am Anblick der verblüfften Kobolde, doch wusste er genau, dass er sich nichts anmerken lassen durfte, um die Kobolde nicht zu verärgern oder herablassend zu wirken, obwohl er es keineswegs böse meinte. Hendrior hingegen sah es mit Bestürzung, wie wenig die Kobolde über die Vergangenheit und die Gegenwart ihres Volkes wussten, bis schliesslich Fredi Gurbert aufstand und unaufgefordert zu sprechen begann: «Geschätzte Ratsmitglieder und Gäste aus dem fernen Marsat, es tut mir leid, dass ich unaufgefordert das Wort ergreife, da dies jeder Anstandsregel widerspricht. Allerdings ist es uns ja eigentlich allen bekannt, welche Taten unsere Vorfahren erbracht haben. Märchen werden die alten Erzählungen heute genannt genauso wie Bondogart und sein Goldtopf. Doch spricht jene Erzählung nicht von einem Kobold, der mit mehreren Tausend Schützen an der Seite von edlen Menschen in schimmernden Rüstungen in einen Krieg zieht und von ihnen reich beschenkt zurückkehrt? Die Geschichte der alten Esmeralda Grünfelder, die einst die schönsten Gärten im Norden anlegte, ist wohl auch allen bekannt, obwohl sie nur als Sage gilt. Sie soll ihre Fähigkeiten bei einem Volk im Norden erlernt haben, das, wie wir erfahren haben, Eyilreä genannt wird. Das sagt doch genug aus, damit wir endlich einsehen können, dass viele Geschichten wahr sind und unsere Vergangenheit grösser ist als wir vor einiger Zeit noch zu glauben wagten. Was wir für Märchen hielten, ist unsere Vergangenheit. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit, sehr geehrte Boldoräte und Palastwachen aus Marsat.»
Es war still geworden im Saal, keiner sprach ein Wort oder flüsterte seinem Nebenan etwas zu. Erst Hendrior durchbrach die Stille, er stand wieder auf und sprach laut zu den Boldoräten, die immer noch verwirrt von den Worten des Boten dasassen: «Was bei Euch als Sagen und Märchen gilt, das wurde in unseren Chroniken erfasst. Bondogart Weisskopf war ein grosser Anführer und ausgezeichneter Schütze. Doch von jenen Schlachten, die er an der Seite unseres Volkes ausgetragen hatte, war mir selbst nichts bekannt, bis ich in Marsat davon las.»
Langsam gewannen die Räte ihre Fassung zurück und wurden stolz bis in die Ohrenspitzen. Nun stand Mühlmann mit stolzem, ernstem und dennoch gutmütigem Gesicht auf, während sich Hendrior wieder auf seinen rot gepolsterten Stuhl setzte.
«Meine geschätzten Kollegen, geschätzte Gäste aus Marsat und ehrenwerte Boten, viel hören wir nun über unser Volk, das uns lange als Fabel galt. Allerdings kann es niemand bestreiten, dass sich jenseits unserer Grenzen etwas Grosses zusammenbraut. Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass wir nicht zu zögern haben, sollten diese Bestien in grösserer Zahl zurückkehren», sprach der wackere Herr Boldoratsmeister Mühlmann zu den Räten. Man sah ihm die Last seiner Jahre an, er würde nicht mehr lange Mitglied des Boldorates sein. Dennoch leuchtete aus seinen Augen Entschlossenheit und Jugendlichkeit.
Die Boldoräte klatschten den Worten ihres Vorsitzenden höflich Beifall. Dieser liess sich gut gelaunt in seinen gepolsterten Stuhl zurückfallen. Doch nun stand Hendrior mit ernstem Gesichtsausdruck auf und wandte sich an den Rat und die Boten: «Diese Feinde werden früher oder später bestimmt kommen, ich zweifle nicht daran, dass jeder wehrfähige Kobold zehn dieser Bestien erledigen könnte, doch selbst dann wärt ihr nicht genug Kämpfer gegen die Wogen des Feindes anzukommen. Sollte es ihm gelingen, Euch Eures Vorteils zu berauben, dann werdet Ihr genauso wie wir untergehen, doch wenn wir zusammenstehen, besteht die Möglichkeit, der Sturmflut standzuhalten, die uns bevorsteht. Sei es in einem Jahr, in zehn Jahren, in hundert Jahren oder gar in Tausend Jahren, irgendwann werden die Wogen mit der Absicht heranrollen, alles und jeden, der in Freiheit lebt, zu verschlingen. Das soll dem Bösen nicht gelingen, deswegen bittet das Volk von Marsat um die Unterstützung der Kobolde, wenn es zum Kampf um unser aller Freiheit und Zukunft kommt.»
Die meisten Räte hörten sich das Ganze verwundert an, allerdings waren nicht alle sogleich bereit Hendrior zuzustimmen. Einer der ihren stand auf und ergriff das Wort: «Sehr geehrte Gäste aus dem fernen Marsat, geschätzte Ratsmitglieder. Wieso sollten wir blindes Vertrauen schenken, wo liegt unser Vorteil, sollten wir wirklich ein Bündnis schliessen? Wie wollen wir wissen, dass wir nicht im Stich gelassen werden, wenn es zum Äussersten kommt?»
Beim letzten Wort erhob wiederum Hendrior seine Stimme: «Ich ahnte, dass Zweifel aufkommen würden, ich selbst würde sie hegen. Doch was das Bündnis anbelangt, so existiert es seit langer Zeit, es geht darum es zu erneuern. Was Eure Vorteile sind, so sollt Ihr jederzeit in unseren Festungen Schutz finden, Euer ganzes Volk kann jenseits der Sonnenberge eine neue Existenz aufbauen, sollte dieses Land hier vernichtet werden. Allerdings muss dazu die Mallabasfestung gehalten werden, was mit der Hilfe Eures Volkes deutlich aussichtsreicher wäre.»
Nun wurden auch jene Kobolde hellhörig, die zuvor noch misstrauisch den Worten des Menschen aus der fernen Stadt gelauscht hatten. Begeistert waren jene, bei denen die Worte Hendriors von Anfang an Anklang gefunden hatten. Selbst der älteste Rat Grimmbart Hinterbold fand schliesslich Gefallen an den Worten des Boten aus Marsat. Sein Wort hatte besonders bei den Räten aus den Bergen Gewicht, doch auch bei allen anderen. Er sagte nur selten etwas, doch wenn er sprach, lauschten alle voller Aufmerksamkeit seinen Worten. Man sagte dem alten weissbärtigen Kobold nach, dass er mehr wisse als jeder andere Kobold, obwohl er es nicht durchscheinen liess. Niemand wusste, woher sein gewaltiges Wissen stammte, allerdings hiess es auch, dass er einige Jahre verschollen gewesen sei. Bisher war er Gästen in Kobelstein gegenüber misstrauisch und missmutig gegenübergetreten, doch nun stand er auf, seine Augen richteten sich voller Vertrauen auf Hendrior, und er sprach mit lauter entschlossener Stimme: «Gunä gilai Marsat, Boten des Statthalters von Marsat.»
Zum Erstaunen aller begann er in der Sprache der Polariä, nicht genau jener der Jäger, sondern jener, die die diesseits der Sonnenberge gesprochen wurde, die Sprache Polarias selbst. Er fuhr in dieser Sprache an Hendrior gewandt fort, als sich dessen Gesicht nicht mehr ganz so erstaunt zeigte. Dieser verstand jene Art der Sprache gut und konnte sie inzwischen auch besser sprechen, da die meisten Aufzeichnungen in Marsat im Polariäis von einst geschrieben waren und nicht jenem Polariäis, das in Marsat und im Süden gesprochen wurde.
So meinte Boldorat Hinterbold schliesslich im alten Polariäis: «Nun hege ich keine Zweifel mehr, dass Ihr aus Marsat kommt, der Stadt, die den Skralgas einst Widerstand leistete. Selbst wollte ich sehen, wozu mein Volk fähig wäre, ohne dass ich es über diese Kreaturen aufklärte, und ich muss sagen, es ist immer noch, was es einst war, als noch der Hochkönig herrschte und auch als die Kobolde dessen Nachfahren in Marsat beistanden. Zuerst hatte ich meine Zweifel, doch in unseren Herzen sind wir wie eh und je. Zufrieden im Frieden, kampfbereit und tapfer, wenn wir bedroht werden. Ich selbst habe einige Jahre die Ehre gehabt, an der Seite von Polariä, Eyilreä und anderen Grimmbolds aus Dailron zu kämpfen. Selbstverständlich erhoffe ich mir, dass das Volk der Kobolde ein weiteres Mal Seite an Seite mit den edlen Kriegern der Polariä in den Krieg zieht, um seine eigene Freiheit und jene aller Bündnisvölker zu verteidigen. Ich habe von ihm gelesen und gehört, er soll das Schlimmste sein, was aus der Dunkelsten Stunde übrig geblieben ist und immer wieder soll er versucht haben, alles unter seine Herrschaft zu bringen, besonders die Macht der Menschen aus dem Volke der Polariä, doch auch jeden Kobold will er unter seiner Herrschaft sehen, denn wir sind ein freies, zufriedenes und starkes Völklein. Wir gieren nicht nach Macht, wir wollen leben und andere leben lassen, etwas, das dem Denken des Bösen widerstrebt und das er aus der Welt tilgen will.»
Wohl lauschten die anderen Kobolde den fremdartigen Lauten, doch keiner der Räte verstand Polariäis, einzig die zehn Boten konnten bereits einzelne Fetzen des Gesagten aufschnappen, die allerdings in ihren Augen keinen Sinn ergaben. Umso erstaunter beobachteten sie, dass Hendrior eine grosse Hochachtung zeigte vor Boldorat Hinterbold, als er hörte, dass dieser alte Kobold einst ein Bündnisgardist gewesen war. Nicht nur die Kobolde staunten, sondern auch Jibrialt, der sich etwas rückständig vorkam, da er das alte Polariäis nicht so fliessend und wohlklingend sprechen konnte wie der Kobold. Allerdings fiel ihm das Verstehen mit jedem Wort des alten Boldorates leichter. Nun wandte sich Boldoratsmeister Mühlmann an Boldorat Hinterbold, der wieder Platz genommen hatte: «Gerne würden wir wissen, was Ihr besprochen habt, da wir dieser edlen Sprache nicht mächtig sind. Würdet Ihr uns in Eure Ausführungen einweihen, Herr Boldorat Hinterbold?»
Der Gefragte wiederholte alles in der gewöhnlichen Sprache, was die Kobolde umso mehr staunen liess und auch die letzten Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Boten aus Marsat zerstreute. Sie konnten es kaum glauben, dass einer unter ihnen von all dem so viel und vermutlich noch viel mehr wusste, als er jetzt erwähnte. Manche fragten sich, wieso er sie nicht schon früher über alles unterrichtet hatte, doch machte es für sie Sinn, dass er dem Volk die Möglichkeit geben wollte, sich selbst zu beweisen. Ein wildes Gemurmel brach los, alle Blicke waren auf den alten Kobold gerichtet, der sich von der ganzen Aufmerksamkeit nicht aus der Ruhe bringen liess. Schliesslich musste Boldoratsmeister Mühlmann mit einem Hammer die berüchtigte Sonnenblumenglocke auf seinem Tisch schlagen. Augenblicklich war es ruhig, den Kobolden würde dieser Klang noch eine Weile in ihrem feinen Gehör nachhallen. Die Glocke hatte ihre Wirkung keineswegs verfehlt, nun konnte Boldoratsmeister Mühlmann wieder das Wort ergreifen: «Wir werden abstimmen, doch denke ich, eine grosse Mehrheit des Rates und des Volkes werden Euch folgen wollen, offensichtlich besteht dieses Bündnis seit sehr langer Zeit. So will ich die Boten aus dem fernen Marsat zu einem Fest auf dem grossen Ratsplatz einladen, dort werden sie sich vorstellen können und wahrlich so viel essen wie sie wollen. Ich muss allerdings vorausschicken, dass unser Essen ihren Gewohnheiten kaum genügen wird.»
«Sollten Eure Mahlzeiten auch nur halb so gut sein wie Euer Bier, werde ich ganze Berge davon verspeisen müssen», widersprach Hendrior breit lachend. Ihm kam ein Gasthaus in den Seelanden in den Sinn, wo sie auf dem Weg nach Kobelstein eingekehrt waren und wo sie sich durch zahlreiche koboldische Biersorten hindurch gekostet hatten. Vom Seeländer Dunkelbier bis zum hellen Bergstutzer konnten sie alles trinken. Allerdings hatte besonders den beiden Boten aus Marsat diese Degustation, wie sie die Kobolde nannten, nicht besonders gut bekommen, während die zehn Kobolde am nächsten Tag schon wieder einen klaren Kopf hatten.
Besonders Theophil Korbflechter musste herzhaft lachen, als er sich an das schiefe Gesicht Jibrialts am darauf folgenden Tag erinnerte. Auch die anderen Boten konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen, selbst Jibrialt konnte nicht mehr ernst bleiben, sondern musste schmunzelnd daran denken, wie er vergeblich versucht hatte, sich auf seinem schaukelnden Pferd zu halten. Niemals wäre es ihm am Vorabend dieser weiten Reise in den Sinn gekommen, dass ihn diese kleinen gewitzten Kerlchen dermassen unter den Tisch bechern könnten. Das hatten sie allerdings getan, aber er war ihnen keineswegs böse, sondern fand das Ganze sehr lustig. So verging auch noch die restliche Ratssitzung, der die beiden Boten aus Marsat aufmerksam beiwohnten und die sich immer wieder über die Anliegen der Boldoräte wunderten. Manchmal ging es um ein paar Wiesen da, dann um einen Handelsweg dort, und schliesslich führten ihre Diskussionen wieder zu den Skralgas, die seit langem nicht mehr an den Grenzen gesichtet worden waren. So verging der Rest des Tages mit den emsigen Ziehharmonikagesprächen der Räte aus ganz Koboldien. Draussen sank die Sonne den Weiten der Ebene entgegnen, während bereits die ersten Lieder zum Klang von langen hölzernen Hörnern, von den Kobolden Alphörner genannt, und Handorgeln angestimmt wurden. Warm strich der Wind von Westen heran auf die Sonnenberge zu, wo er sich in die eisigen Höhen der aufragenden Gipfel emporhob, um auf der anderen Seite nach der Überquerung Dailrons wieder auf die weiten Graslande Kebairens hinunterzufallen und Richtung Marsat zu strömen, wo man hoffnungsvoll auf die Antwort der Kobolde wartete. Dort, wo Lakalt den Brief geschrieben hatte, der Koboldien um Beistand bat.
Niemand wusste, woher er kam, kaum den Reiter vor sich sah man. Solchen eisigen Nebel hatte selbst Dogru al-Censur noch nie gesehen. Der Wind trug diese beissenden Schwaden ins Landesinnere und durchnässte die Kleidung der Tarkans und der Tarkans sender. Mehrere Wochen waren schon vergangen, seit Brandor gefallen war, doch seither musste keiner der Jäger mehr sein Leben lassen. Trendiors Blick versuchte die undurchdringliche Nebelwand zu durchbrechen, doch blieb ihm dies verwehrt. Bald ein Jahr war es her, seit er und Larior sich in jenem finsteren Gitterwagen wiedergesehen hatten. Selbst Baldrior, dem Anführer der Tarkans sender, war etwas mulmig zu Mute, während er versuchte, im Nebel mit seinen Adleraugen etwas zu erkennen. Die anderen sassen missmutig in den Sätteln, besonders Larior hasste es zu reiten, vor allem wenn es zur Schlacht kam. Das einzige Pferd, dessen Rücken er mochte, graste derweil wohl mit schönster Aussicht auf den saftigen Bergwiesen Dailrons. Trotzdem verzog er keine Miene und hielt sich gleich hinter Trendior, der allmählich Gefallen am Reiten fand. Auch Krubendair, der etwas rechts von ihnen über den feuchten harten Wüstensand ritt, hatte sich damit abgefunden, dass es hier weit bequemer war auf dem Rücken eines Pferdes den Weg zurückzulegen als auf den eigenen Füssen, obwohl es ihm selbst kaum etwas ausgemacht hätte, den ganzen Weg zu Fuss zu marschieren. Baldrior liess sich ebenfalls nichts anmerken, doch wünschte er sich, während er versuchte in dieser Suppe etwas zu erkennen, inständig etwas festen Boden unter den Füssen. Einige Tarkans flüsterten leise untereinander, allerdings nur dann, wenn einer den Verdacht hegte, irgendwo etwas Merkwürdiges gesehen zu haben. Dann und wann hoben sie bereits ihre Bogen, um dann erkennen zu müssen, dass sie auf einen Wüstenfuchs zielten, der aus welchem Grund auch immer durch dieses verödete, unfruchtbare und vermutlich von jeglicher Beute unbewohnte Land strich. Rasch verschwand dieser erschrocken und tauchte mit seinem Schnäuzchen in den dichten Nebel und fragte sich noch lange, was diese komischen Kreaturen auf den Pferden hier in diesem Gebiet wohl zu suchen hätten. Allerdings würde er es niemals ahnen.
Umringt von den besten Soldaten des Schahs rollte eine Kutsche dahin, breite Platten waren über ihre Räder gelegt, damit sie nicht im Sand einsank. Darin sass auf einer bequemen Samtbank ein missmutig gelaunter Scheich namens Abu ben-Kender, der jedes Mal, wenn er nach draussen blickte und einen Tarkan sender im Nebel erkannte, von beissender Wut über ihre stolze und aufrechte Haltung ergriffen wurde. Besonders die Geschichten, die man sich über diese wagemutigen und ehrenvollen Krieger erzählte, erzürnten ihn mit jedem zurückgelegten Kilometer mehr und mehr. Nicht einmal die frischen Früchte aus der letzten Oase, die er vorgesetzt bekam, konnten sein Gemüt aufheitern. So kamen sie nicht allzu schnell voran, doch immer noch schneller als zu Fuss. Der Calkelem Dogru al-Censur zeigte es nicht, doch wussten die anderen, wie sehr es ihm widerstrebte, diesen Scheich an die Front zu geleiten, damit sich dieser aus dem Fenster seiner Kutsche ein Bild von der Lage machen konnte. Noch nie hatte er diesen Abu ben-Kender gemocht, der so hoch in der Gunst des Schahs stand, doch seit er von Larior und Trendior erfahren hatte, was es mit ihm wirklich auf sich hatte, seit da an verspürte er nur noch abgrundtiefen Hass gegen diese Person. Der Nebel drückte weiterhin auf das Gemüt. Anstatt sich zu lichten, wurde er nur stetig dichter, was in diesem Gebiet für jede Jahreszeit aussergewöhnlich war. So drückten die Hufe der Pferde Meter für Meter Spuren in den feuchten Sand. Sie schwitzten trotz des eisigen Windes am ganzen Körper, die Feuchtigkeit war schier unerträglich, es war fast schlimmer als die langen Ritte unter der sengenden Sonne, wie sie es vor einigen Tage zuvor noch erlebt hatten. Weder Pferd noch Reiter kannte ein solches Klima, obwohl die Tarkans geglaubt hatten, auf alles gefasst zu sein, womit die Wüste sie herausfordern konnte.
So ritten sie den ganzen Tag im Trab dahin und sahen sich ständig misstrauisch um. Ihnen entging nichts, nicht einmal der Flügelschlag eines Aasgeiers, dessen Silhouette sie durch den Nebel ausmachen konnten. Sie rasteten nicht bis es zu dunkel wurde, um auch nur den nebenan Reitenden noch zu erkennen. Den Tag durch hatten sie keine Rast gemacht, denn bei dieser Geschwindigkeit konnten sie gemütlich in den Sätteln essen und trinken. Gerade, als die Diener des Scheichs dessen Zelt aufstellen wollten, trat Dogru zu ihnen heran und hielt sie zurück.
«Euer Herr soll in der Kutsche schlafen oder auf dem Sand. Wir wissen nicht, ob ein Feind in der Nähe ist und müssen jederzeit aufbrechen können», befahl der Calkelem höflich, jedoch bestimmt. Missmutig hörte der Scheich diese Worte und gab nach, denn er wusste, dass man die Tarkans keinesfalls verärgern durfte. Fast alle Tarkans waren beieinander, knapp dreihundert an der Zahl waren sie zusammen mit den Tarkans sender, die auf dem Weg an die Front waren. Im Süden hatte die Armee des Schahs wieder an Boden gut gemacht. Die Rebellen waren beinahe bis nach Kenlmer vorgestossen, als ihnen von Heermeister ben-Simfer alle zur Verfügung stehenden Männer entgegen geworfen worden waren, angeführt von den Tarkans, die tiefe Schneisen in die feindlichen Linien geschlagen hatten. Mehrere überraschte Totenlegionären waren den Tarkans sender zum Opfer gefallen, doch nun wussten sie, mit wem sie es zu tun hatten, sie wussten, dass der Schah Soldaten in seinen Reihen hatte, die sie, die als unbesiegbar gehaltenen Totenlegionäre, besiegen konnten. Allerdings verbreitete sich diese Nachricht nicht nur bei den Rebellen, sondern auch bei der Armee des Schahs, die nun angestachelt von der Tapferkeit der Tarkans sender gegen die Rebellen voranschritt und diese immer weiter zurückdrängte. So kam es, dass Scheich Abu ben-Kender aus irgendeinem unbekannten Grund plötzlich die Front besichtigen und sehen wollte, wie die einstigen Sklaven für den Schah ins Feld zogen. Umso mehr stiess es allen anderen sauer auf, dass dieser Mann dabei war, dem sie keineswegs trauten, sondern der von jenen, die von seiner niederträchtigen Gesinnung erfahren hatten, sogar für einen Feind gehalten wurde. Wache um Wache löste sich ab, die Jäger selbst hatten ebenfalls jeweils zwei Wachen aufgestellt, während die Tarkans ständig kleine Trupps um das Lager patrouillieren liessen. Dogru setzte sich zu Baldrior, der am Rande der Jäger sass und sein Schwert begutachtete.
«Wieso seid Ihr bereit, so weit mit uns zu gehen?», fragte der Tarkan flüsternd, «Ihr könntet jederzeit fliehen, niemand würde es bemerken. Das ist unser Kampf, nicht Eurer.»
«Es ist auch unser Kampf», ergänzte Baldrior leise, «denn jener, der diese Schatten der Unterwelt heraufbeschworen hat, ist seit vielen Jahrtausenden der grösste Feind der Polariä. Nur sein Herr war vor ewiger Zeit noch mächtiger. Auch sonst würden wir Euch beistehen, Ihr seid tapfere Krieger, die für Ekbar kämpfen, für Eure Heimat. An Eurer Seite zu kämpfen ist eine Ehre. Er wird versuchen Ekbar unter seinen Schatten zu zwingen, doch das wollen wir nicht zulassen, jeder Freund wird gebraucht in diesem Krieg, der auf uns zukommt.»
«Ihr sprecht immer, als würde ein furchtbarer Feind versuchen uns zu vernichten, beinahe so schlimm wie der Herr der Unterwelt», entgegnete nun Dogru mit unheilvoller Miene. Baldrior lachte leise auf und erwiderte flüsternd: «Wenn alles stimmt, was mir Larior aus den Aufzeichnungen aus alter Zeit erzählt hat, dann würdet Ihr gerne mit dem Herrn Eurer Unterwelt einen Tee trinken und Karten spielen. Er wurde vom Bösen selbst geschaffen, zur Dunkelsten Stunde, in die mein Wissen nicht zurückreicht. Das Böse wohnt ihm inne, er übertrifft die schlimmste Vorstellung, die jemals durch die Gedanken eines lebenden Wesens wandern kann, so wurde er vom Bösen selbst geschaffen, denn er übernahm dessen finsterste Gedanken. Sollte er nach den Beschreibungen jener, die ihn gesehen und gegen ihn gekämpft haben, vor Euch stehen, würdet Ihr nur zu gerne in die Unterwelt fliehen. Jene, die sich nämlich vor dem Tod gefürchtet haben, kämpfen nun als Totenlegionäre gegen uns.»
Erschrocken lauschte Dogru den Worten des Calkelem Tarkans sender, der selbst voller Furcht in die Gegend blickte. Sie schwiegen eine Weile, doch wurden sie auf einmal von einer hohlen Stimme aufgeschreckt: «Wir dürfen uns nicht vor ihm fürchten, wir müssen dafür sorgen, dass er uns fürchtet. Schliesslich war es unser Volk, das ihn einst besiegte. Die Polariä haben ihn aus dem Land gejagt, deshalb hasst er unser Volk, schon zur Dunkelsten Stunde war er unterlegen. Schliesslich wurde er von Polaria besiegt. Er soll uns fürchten, auch er ist nur ein Wesen, dem die Zeit wohl nichts anhaben mag und dem das Böse innewohnt, doch sind auch er und seine treuen Diener besiegbar.»
Überrascht schauten sich die beiden anderen um und sahen Larior hinter ihnen aufrecht im Sand sitzen. Der junge Bündnisgardist hatte wohl ihr ganzes Gespräch mitbekommen, wobei ihm aufgefallen war, wie ängstlich sie auch nur schon bei der Vorstellung dessen wurden, was wohl noch auf sie zukommen konnte. Erstaunt sahen sie ihn an, wussten allerdings nicht, was sie sagen sollten. Er fuhr fort: «Nicht dass man keine Angst haben sollte, das zu verlieren, was man liebt, denn das ist es, was er uns nehmen will. So will er unseren Willen brechen. Davor, dass ihm das gelingt, müssen wir uns fürchten, nicht davor, dass er uns tötet.»
«Dieser er muss ja wirklich eine furchtbare Gestalt sein, dass Ihr es nicht wagt, seinen Namen auszusprechen», meinte schliesslich Dogru mit bleichem Gesicht. Larior hingegen grinste und erwiderte leise: «Wohl würden die Polariä es wagen, doch trug er bereits so viele Namen und doch nie seinen wahren, dass er für uns namenlos ist. In ihm wohnt das Böse und er will uns vernichten. So trauen sich nicht viele jenen Namen zu nennen, den er viele Jahre trug, sie fürchten sich vor dessen Klang.»
Immer verwirrter blickte Dogru bei Lariors Worten drein. Sie liessen Furcht in ihm aufkommen, doch auch Mut und Entschlossenheit, wie er sie bis anhin nicht gekannt hatte. Allmählich hatte er selbst das Gefühl, er beginne zu begreifen, was wirklich auf ihn und seine Tarkans zukam. Er wusste nicht, was geschehen würde, auch wenn sie die Rebellen besiegen würden. Was geschähe mit Ekbar, wenn dieser jemand ohne oder mit vielen Namen sich schliesslich nach diesem Reich strecken würde? Die Tarkans könnten es nicht allein verteidigen, doch ahnte er, dass er weit schlimmere Diener in seinen Diensten hatte als ein paar unzufriedene Rebellen. Sein Arm musste lang sein, er musste bis in die Hallen des Schahs vorgedrungen sein, ihm ist das gelungen, ein wahrlich mächtiger Feind musste das sein. Bislang hatte Dogru die Totenlegionäre für das Schlimmste gehalten, was es überhaupt geben konnte, doch allmählich begann er den Worten der Jäger vollen Glauben zu schenken, dass es jemanden gab, der das Böse selbst verkörperte.
So sassen und lagen sie müde im dichten Nebel, kein Stern war zu sehen, nicht einmal das Mondlicht vermochte die dunkle Wüste zu erhellen. Kein Geräusch erklang in der Finsternis, als auch die letzten Tarkans ihre leisen Gespräche beendet hatten. Nicht einmal die Schritte der Wachen waren zu hören, der feuchte Sand dämpfte selbst die schwersten Stiefel. Die Nacht verging nur schleppend, selbst die abgehärteten Tarkans hatten Mühe in der ungewöhnlichen Feuchtigkeit einen ruhigen Schlaf zu finden. Manche der Jäger hingegen schliefen tief und fest, während andere in ihren Gedanken verloren kaum Schlaf fanden. Langsam atmend lag Larior neben Trendior und versuchte zwischen den Schwaden hindurch angestrengt auch nur das leiseste Funkeln eines Sterns zu erblicken. Auf einmal flammten seine Augen hell auf, er sah, wie sich die Schwaden leicht verzogen und ihm den Blick auf zwei hell leuchtende Sterne freigaben. Brennend erfüllte sich sein Herz mit neuer Hoffnung und liess ihn erzittern. Das Licht schien immer heller zu werden und durchflammte seinen ganzen Körper, Wärme durchflutete seine Adern und trieb die feuchte Kälte aus den Gliedern. Die Finsternis schien sich langsam aufzuhellen, bis die Schwaden sich wieder überdeckten und jeglichen Blick des jungen Bündnisgardisten verschluckten. Dieser sah nun zufrieden in das Dunkel, bis er nach einigen Minuten einschlief. Trendior neben ihm war schon lange in tiefe Träume versunken, Garlias Gesicht durchwirbelte seine Gedanken, ein feines Lächeln überzog im Schlaf seine Mundwinkel, bis er in einen tiefen traumlosen Schlaf hinüberschwebte. So verstrich die finstere Nacht mit jenem leisen Lichtblick und verging endlich mit dem ersten Dämmerlicht, das schummrig durch den Nebel drang.
Früh war es, zahlreiche abartige Flüche donnerten aus der Kutsche des Scheichs, als Dogru zum Aufbruch rief. Einer weckte den anderen, es ging nicht lange, bis alle Tarkans auf ihren Pferden sassen und auch die Pferde des Scheichs wieder vor dessen Kutsche gespannt waren. Dogru hoffte, dass sie spätestens am folgenden Abend eine Oase erreichen würden, damit ihre Pferde endlich wieder frisches Futter und Wasser bekämen. Nach seinen Einschätzungen sollten sie die grosse Oase bereits Mitte Nachmittag erreichen, ausser etwas Ungewöhnliches würde sie aufhalten. Wie selbst die Tarkans sender erfahren hatten, war jene Oase, die sie zu erreichen suchten, einer jener Stützpunkte, die selbst bei den übelsten Vorstössen der Rebellen, unter grossen Verlusten zu beiden Seiten, von den Truppen des Schahs stets gehalten worden war. Nicht einmal als Kenlmer in die Hände der Rebellen gefallen war, soll auch nur ein Angreifer einen Fuss durch das Tor jener Oase mit dem wohlklingenden Namen Guralianea gesetzt haben. Zu sicher zielten die Schützen dort, zu donnernd waren die Hufe der Streitrosse und zu scharf die Säbel der Besatzung, als dass die Rebellen auch nur einen Zentimeter hätten vorstossen können. Allerdings war bisher keine Meldung über Totenlegionäre von Guralianea zu Heermeister ben-Simfer nach Kenlmer gedrungen, etwas schien sie von dort fernzuhalten und den Soldaten dort Mut zu geben. Umso gespannter waren die Tarkans sender diesen Ort zu erreichen, der offenbar selbst von den Totenlegionären gemieden wurde.
So brachen sie im Nebel zu den murrenden Worten des Scheichs auf, den viele von ihnen am liebsten in der Wüste zurückgelassen hätten. Das Gerücht, dass er kein treuer Diener des Schahs war, hatte unter den Tarkans schon die Runde gemacht, bevor Dogru davon Gewissheit hatte. Allerdings waren sie ihren Treueschwüren zu sehr ergeben, als dass sie einem Gesandten des Schahs auch nur ein Haar hätten krümmen können. So sassen sie mit ausdrucklosen Mienen auf ihren edlen Streitpferden und ritten zu langsam für ihre Gemüter durch den feuchten Wüstensand dahin in Richtung jener hübschen Oase, die nicht mehr fern sein konnte. Durch den Nebel erkannte man die steigende Sonne, doch sah man ihre Umrisse kaum, geschweige denn ihr helles Licht, nur ein dumpfer Schimmer drang zu ihnen durch. Dogru begann zusammen mit Baldrior an der Spitze zu reiten, Baldrior bat Larior neben sich, dem sogleich Trendior folgte, während die Kutsche von missmutig dreinblickenden Tarkans bewacht wurde. Lange ritten sie dahin, die dicken Nebelschwaden lockerten sich allmählich auf und gaben bald einmal vereinzelte Blicke auf den blauen Himmel frei. Trotzdem blieb die Laune aller getrübt, keiner mochte es, den Scheich durch die Wüste zu geleiten, ebenso wenig, wie es diesem gefiel, dass er von so vielen edlen Tarkans begleitet wurde und dazu noch von mehr als zwanzig jener, die von Sklaven zu Helden geworden waren. Je besser sich die Tarkans mit den Jägern verstanden, desto wütender wurde der Scheich in seiner Kutsche. Die Freundschaft zwischen diesen beiden Truppen beunruhigte ihn zusehends.
Baldrior sprach hauptsächlich mit Dogru, sie wurden allmählich richtig gute Freunde, die beiden Calkelem. Sie erzählten sich aus ihrer früheren Zeit und berichteten einander von ihren Taten, wobei keiner seine Geschichte ausschmückte und jeder nur die Wahrheit sprach. Dogru entstammte einer alten Tarkan Familie, die dem Schah treu ergeben war, unzählige seiner Vorfahren waren im Kampf gefallen, immer in vorderster Linie als hohe Tarkans. Dogru konnte nicht sagen wie weit zurück diese Tradition reichte, doch war er stolz darauf, sie weiterführen zu dürfen. Besonders der Rang des Calkelem der Tarkans brachte seiner Familie hohes Ansehen ein, obwohl sie nicht eine besondere Stellung bei den Reichen und Mächtigen inne hatte. Umso höher wurde er von vielen, besonders von jungen Soldaten in der Armee des Schahs, verehrt und von jenen unter den Rebellen gefürchtet. Sein Ruf eilte ihm voraus, doch erst allmählich erkannten die Tarkans sender, welche grosse Rolle dieser Calkelem der Tarkans spielte. Umso überraschter war besonders Baldrior, als er von einem anderen Tarkan erfuhr, dass er selbst schon fast ebenso verehrt wurde wie Dogru al-Censur. Besonders da sich die Truppen des Schahs nun immer mehr auf die Menschen aus diesem sagenumwobenen Volk mit dem grossen Wissen und dem kräftigen Schwert verliessen. Denn ganz vergessen schienen die Polariä auch im Volke von Ekbar nicht zu sein. Baldrior wurde mancherorts schon als König des alten Volkes bezeichnet und viele wünschten sich, ihn zu sehen. Jene unter ihnen, denen die Geschichte vor dem Fall Marsats fremd war, wunderten sich über die Ehrerbietung, die den Polariä im Land Ekbar zuteil wurde. Selbst Trendior hätte nichts davon gewusst, hätte ihm Larior nicht so viel über die Vergangenheit ihres Volkes erzählt. Der junge Jäger aus der Sonnenfestung bei Gar wurde bei jedem Bericht stolzer auf sein Volk. Er hatte schon lange gewusst, dass es einst mächtig gewesen sein musste, doch was er nach und nach erfuhr, übertraf all seine Vorstellungen. So ritten sie dahin und unterhielten sich miteinander. Larior versuchte von Dogru besonders viel über die Sitten in den Städten und Dörfern Ekbars zu erfahren, allerdings schienen ihm einige ziemlich unverständlich. Dennoch zeigte sich, dass dieses Reich auf eine lange glorreiche Tradition zurückblickte und der Schah unangefochtener Herrscher seiner meist treuen Untertanen war. Ebenfalls erfuhren die Tarkans sender auch, dass die Rebellen aus dem Westen seit vielen Jahren revoltierten. Lange Zeit ohne auch nur den Ansatz eines Erfolgs zu sehen, doch nun trieb sie seit einigen Jahrzehnten etwas an, was sich selbst Dogru nicht hätte erklären können, hätte er von den Tarkans sender nicht erfahren, was dahintersteckte.
Die finsteren Gedanken begleiteten sie den ganzen Tag, während Kilometer um Kilometer unter die Hufe der Pferde und die Räder der Kutsche kamen. Allmählich klarte der Himmel etwas auf, doch wollte sich der düstere Schleier auch weiterhin nicht vollends verziehen.
Die Sonne erschien erst nach einigen Stunden zwischen den Wolken aber brannte schon bald wieder in alter Kraft nieder auf die Köpfe der Tarkans auf dem Weg zur Oase.
Der Mittag war vergangen und die Sonne neigte sich bereits wieder, hinter einer Wolke verschwindend, dem Horizont zu, der angespannt in seiner unendlichen Weite auf sie wartete. Selbst auf die eisernen Tarkans schien die Erwartung der Oase Guralianea einen erquickenden Einfluss zu haben. Viele lächelten voller Jugendlichkeit, als Baldriors Ruf erschallte: «Dort scheint die Oase zu sein!»
Er irrte sich nicht, stolz erhoben sich die Palmen weit vor den Mauern der Festung in die Höhe. Von einem grossen See aus erstreckten sich Felder besonders gegen Osten, aber auch nach Süden, Norden und Westen. Frisch wehte ihnen der Duft des gedeihenden Getreides entgegen. Einige Singvögel schienen einen Begrüssungschor zu bilden und pfiffen fröhlich über den Köpfen der Tarkans, deren Gesichter ihre schweren Sorgen nun für eine Weile niederlegten. Bald stimmten die Tarkans ein Lied in ihrer alten Sprache an, sie sangen voller Inbrunst mit ihren tiefen rauen Stimmen, dennoch klang es klar und weit durch die Wüste wie ein Festgesang. Dogru übersetzte den Text gleichzeitig den Jägern:
«Sand in der Wüste und auf der Strasse Staub
Liegt zwischen uns und dem Baum voller Laub
Hoch die Sonne, scheint so grell
Dennoch sind unsre Gedanken hell
Weit liegt der Weg vor unsren Füssen
Nichts kann unsren Geist verdriessen
Das Ziel ist fern und doch so nah
Reiten wir voller Herz für Reich und Schah
Hoch das Reich von Ekbar in den Himmeln
Lasst unsere Fackeln lodernd verglimmen
Stolz zu Pferd, tapfer in den Streit
Die Tarkans sind zum Äussersten bereit
Nieder der Feind tief in den Sand
Gefallen von unserer starken Hand
Staub über des Feindes Gebein
Soll ewiglich verflucht er sein
Ehren die Gefallenen solange wir leben
Lasst uns auch nach ihrem Ruhme streben
Kämpfen für das, was uns ewig teuer ist
Sorgen wir dafür, dass niemand uns vergisst
Kalt die Nacht, heiss der Tag
Glorie sei der Heldenschlag
Kämpfen bis zum äussersten End
So dass unser Name jeder kennt
Hoch soll es unser Reich noch lange geben
Solange, wie unsere Nachfahren edel leben
Auf Pferd oder Kamel durch das Land
Werden unsere Taten niemals verbrannt
Glücklich sei die schöne Frau zu Haus
Leben soll sie ohne furchtbaren Graus
Spielend die Kinder vor der heimischen Tür
Kehr ich mit vollem Herzen zurück zu dir.»
Mehrmals erklang dieser Gesang durch die Wüste. Von dieser Strasse aus erkannte man jeden Feind auf unzählige Kilometer Entfernung und selbst die Trakans konnten ihre Vorsicht fallen lassen. Immer näher erschien das Grün der weitläufigen Oase. Der Duft der würzigen Pflanzen wurde dem Trupp vom Wind entgegengetragen und die Gesichter hellten sich immer mehr auf. Auch die Tarkans sender spürten allmählich, dass diese Oase etwas ganz Besonderes an sich hatte. Tatsächlich war es etwas Altes, etwas Sagenumwobenes, das diesem Ort anhaftete.
Auf einmal sahen die Tarkan sender sie hinter den Palmen aufragen, die Türme der Festung in dieser Oase am tiefblauen See. Die Blätter, die ihr Dach bildeten, waren zu einer geschlossenen Blüte geformt. Die Blattadern waren aus Gold nachgebildet und glänzten in der Sonne, die sich durch die Wolken kämpfte und immer näher an ihrem Sieg stand kurz bevor sie niedergehen würde. Hoch erhoben sich diese Türme über den klaren See und reckten sich majestätisch dem Himmel entgegen. Feinste Arbeit steckte in diesem Bauwerk, alte Arbeit, von Baumeistern, wie es sie hier schon lange nichtbmehr mehr gab. Sie erinnerte Larior an die Städte des alten Volkes jenseits der Sonnenberge. Langsam wurde ihm klar, weswegen sich die Schrekbari vor diesem Ort fürchteten, und so meinte er zu Dogru: «Die Totenlegionäre treten nicht gerne gegen die Festungen der Polariä an, zuvor müssen sie gewaltige Siege errungen haben, ehe sie das tun, ausser er befiehlt es ihnen.»
Er erklärte Dogru, welcher Zusammenhang ihm plötzlich in die Augen gefallen war. Erstaunt hörte dieser Larior zu, dessen Worte das Gesicht des Calkelem erfreuten und erhellten. Umso froher liess er nun sein Pferd ausgreifen, so dass sich der Heereszug etwas in die Länge zog, allerdings nicht ohne die Kutsche weiterhin