Die Zeit der Hochkönige - Treue - Drittes Buch - Luca C. Heinrich - E-Book

Die Zeit der Hochkönige - Treue - Drittes Buch E-Book

Luca C. Heinrich

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Beschreibung

"Keine Eurer Armeen wird mich aufhalten können. Es gibt Dinge, wofür es sich zu kämpfen und zu sterben lohnt." Der teure Sieg trägt keinen Frieden, die Machtgier stellt sich ihm entgegen und vergiftet die Herzen. Treue ist ein seltenes Gut und jene die sie in Ehre leben, bezahlen teuer dafür. Verschleierte Absichten zeugen von den Ausmassen der Verschwörung, während sich der Schatten über die Lande des einstigen Isulas legt. Doch wo Schatten ist, ist auch Licht und wo leere Hallen sind, gibt es Erben.

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Seitenzahl: 317

Veröffentlichungsjahr: 2016

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www.polaria.ch

Erster Teil: Treue

Erstes Buch

Zweites Buch

Drittes Buch

Zweiter Teil: Ehre

Viertes Buch

Fünftes Buch

Sechstes Buch

Dritter Teil: Freiheit

Siebtes Buch

Achtes Buch

Neuntes Buch

Treue – Drittes Buch

Inhalt

Karten

Areyiticä

Koboldien

Caibreyiärea

Cammal

Prolog

Frühlingsspäher

Geschichte

Erstes Kapitel - Wintermeldung

Zweites Kapitel - Frühlingsschlag

Drittes Kapitel - Wasserflucht

Viertes Kapitel - Morgenboten

Fünftes Kapitel - Nachtschatten

Sechstes Kapitel - Verfolgungsnebel

Siebtes Kapitel - Waldgrenze

Achtes Kapitel - Sonnenschlösser

Neuntes Kapitel - Nebelfeindschaft

Zehntes Kapitel - Nebelaktion

Elftes Kapitel - Rückkehrsflut

Zwölftes Kapitel - Sommerflucht

Dreizehntes Kapitel - Sonnenweg

Vierzehntes Kapitel - Sonnenstadt

Fünfzehntes Kapitel - Schattenschlucht

Sechzehntes Kapitel - Treueruf

Areyiticä

Koboldien

Caibreyiärea

Cammal

Treue

Drittes Buch

„Es gab noch nie einen guten Krieg oder einen schlechten

Frieden.“

(Benjamin Franklin)

Prolog

Frühlingsspäher

„Ich erwarte von dir und deinen Männern, dass ihr mir jedes kleinste Detail schildern werdet“, meinte Krebold Salzmann schroff, „ich will wissen, wo sie ihr Lager haben, woher sie kommen und möglichst auch noch den Grund ihres Kommens. Sollten sie sich vermehrt in Richtung unserer Grenzen bewegen, müssen wir bereit sein.“

„Natürlich“, antwortete Theophil Korbflechter, „wir werden alles tun, was Ihr verlangt.“

„Das höre ich gerne“, entgegnete Oberbataillonär Salzmann, „doch seid vorsichtig. Was euch die Menschen damals vor mehr als vier Jahren geschildert haben, kann für euch durchaus gefährlich werden. Diese Bestien sind ein ganz schlimmes Gesindel, so glaube ich. Seht zu, dass ihr mit heiler Haut zurückkehrt.“

„Habt keine Sorge, Herr Salzmann“, erwiderte Theophil, „meine Männer und ich werden Euch die Informationen bringen, ohne dass uns etwas geschehen wird.“

„An der Grenze werden wir auf jeden Fall einige Männer postieren, die euren Rückzug sichern werden, falls ihr fliehen müsst“, wollte Salzmann Theophil beruhigen, doch dieser schien wenig besorgt zu sein und erwiderte: „Wir werden uns morgen auf den Weg machen. Ich habe gehört, die Bestien seien einige Kilometer von Holzheim entfernt gesichtet worden. Einige Banditen sollen sich gemäss Berichten aus der Stadt ebenfalls bei ihnen aufhalten.“

Der Morgen des nächsten Tages war angebrochen und Theophil sattelte gerade seinen Esel. Iario stiess ein lautes „I ah“ aus, während ihm sein Herr die Riemen umschnallte, und legte seine Ohren gemütlich nach vorne, als Theophil seine Mähne kraulte.

„Na, mein Guter“, flüsterte Theophil seinem Esel ins Ohr, „bist du bereit für unser nächstes Abenteuer?“

Der Esel rieb zustimmend seine feuchten Nüstern an Theophils Wange. Der Kobold streichelte darauf zärtlich Iarios Nüstern und flüsterte dem Esel zu: „Wir werden wieder viel zu tun haben, doch irgendwann gehen wir zusammen nach Heidenburg, kaufen uns dort ein Gehöft und verbringen dort unseren Lebensabend. Was meinst du?“

Theophils Esel stiess erneut ein gemütliches „I ah“ aus, was der Kobold als Zustimmung auffasste. Während Theophil noch das Fell seines Esels bürstete, ging plötzlich die Stalltür auf. Theophil drehte sich rasch um und sah Fredi Gurbert verwirrt in der Tür stehen, der junge Kobold schüttelte müde seine verschlafenen Ohren, gähnte und fragte dann: „Ist Johann noch nicht hier?“

„Ich glaube nicht“, entgegnete Theophil.

„Er sollte doch bereits hier sein“, meinte Fredi daraufhin noch verwirrter und strich sich durchs zerzauste Kraushaar. Plötzlich hörte man ein Gähnen aus der Box nebenan, dann einen lauten Knall und einen Schmerzensschrei. Kurz darauf ging ein lautes Gezeter los und man hörte Johann Frehnrich fluchen: „Ich hasse diese Querbalken, jedes Mal, wenn man aufsteht, schlägt man seinen Kopf daran an.“

Die Querbalken waren in allen Boxen genau einen viertel Koboldkopf über der Durchschnittsgrösse eines Kobolds angebracht worden, doch Johann war einen halben Kopf grösser als alle anderen und bekundete mit einigen Koboldkonstruktionen seine Mühe, so auch mit diesen Querbalken.

Theophil und Fredi brachen in lautes Gelächter aus, als sie in die Box hineinsahen, wo sich Johann im Heu mit schmerzverzerrtem Gesicht seine Stirn rieb. Allerdings schien das nicht das Einzige zu sein, was seine Gedanken trübte.

„Hast du hier geschlafen?“, fragte Theophil grinsend, der ahnte, was geschehen war.

„Ja“, antwortete Johann, „nach einem Feierabendbierchen wollte ich noch mal nach meinem Eselchen sehen und schlief dann hier ein.“

„Ein Bierchen?“, meinte eine Stimme lachend hinter Theo und Fredi, „wohl eher mehr.“

Es war Ekbrand Hausmeier, seine spitzen Ohren legten sich mit seinem Lachen nach hinten und er meinte: „So wie ich dich gestern aus der Kneipe torkeln sah, waren es etwa zwanzig Bierchen.“

„Nein, nein, zwanzig waren es bestimmt nicht, es waren gerade mal achtzehn im blauen Habicht“, antwortete Johann kurz zögernd, „vielleicht doch mehr, bin nachher noch mit jemandem in den Frischen Frosch auf ein Trünkchen gegangen.“

Er versuchte seine Bierchen an den Fingern abzuzählen, doch immer wieder schüttelte er verwirrt den Kopf und begann von neuem, bis er es schliesslich aufgab. Nun brachen alle wieder in schallendes Gelächter aus, so dass sich der arme Johann die Ohren zuhalten musste.

Es war keine Seltenheit, dass ein Kobold zwanzig oder mehr Mass Bier trank. An einem langen Abend konnte diese Zahl über dreissig steigen. Johann rühmte sich mit seinem Rekord unter den Kameraden, an einem Abend mehr als fünfzig Mass gekippt zu haben. Allerdings hatte er, wie sie alle wussten, den letzten Krug erst in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages in sich hineingeschüttet, ehe er mitten auf dem Hauptplatz von Kobelstein einschlief.

Kurz darauf kamen auch noch alle anderen Boten, es waren dieselben wie jene, die damals nach Kailad Mallabas entsandt worden waren, um die Menschen des alten Volkes aufzusuchen. Der Anführer war Theophil Korbflechter. Ebenfalls wieder dabei waren Johann Frehnrich, Fredi Gurbert, Ekbrand Hausmeier, Gilbert Hofheimer, Richard Gabelmeier, Hans Gilbsenn, Karl Trastelmann, Heinz Waldener und Grif Ebenhart.

Sie alle sattelten nun ihre Esel mit den einfachen Sätteln, an denen zu beiden Seiten eine goldene Sonnenblume befestigt war. Ihre Säbel steckten sie in die Scheiden an den Sätteln, ihre Armbrüste schnallten sie auf die Rucksäcke auf ihren Schultern und hängten die Köcher um.

Bevor sie losreiten konnten, trat noch einmal Krebold Salzmann ein und sprach zum Abschied: „Viel Erfolg auf eurer Mission. Sorgt dafür, dass ihr alle heil und mit möglichst vielen Informationen zurückkehrt. Versucht, nicht allzu auffällig zu sein, sobald ihr Koboldien verlassen habt, doch da mache ich mir bei euch weniger Gedanken. Aber ich bitte euch alle, vor allem einen, den ich hier nicht nenne, auf eurer Reise nicht zu viele Kneipen und Gasthäuser aufzusuchen. Derjenige, den ich meine, weiss es schon, ich war letzte Nacht hier im Stall.“

Johann sah beschämt auf seine Stiefel hinab und lief unter seinem schwarzen Kraushaar rot an. Salzmann musste grinsen, zwinkerte dem beschämten Kobold zu und verabschiedete daraufhin jeden einzeln, als letzten Theophil, dem er ins Ohr flüsterte: „Was du mir damals von den Menschen erzählt hast, deutet an, dass hier etwas Grosses geschieht, sorge dafür, dass ihr wirklich möglichst unentdeckt bleibt, schliesslich wissen nicht mehr viele von unserer Existenz, und vielleicht wäre es auch besser, wenn es so bleiben würde. Dennoch wüsste ich gerne, was an den Grenzen unseres Landes abläuft. Macht‘s gut.“

Theophil verabschiedete sich ebenfalls, bevor er allen voran seinen Esel aus dem Stall hinausführte und in den Sattel stieg. Ihr Weg würde sie bei Theos Onkel in Blauteichen vorbeiführen. Ob er ihn wohl sehen würde, fragte sich der Kobold. Daraufhin ritten sie über den gepflasterten Platz davon, hinaus aus Kobelstein mit seinen Steinhäusern und grossen Baumhütten in Richtung Westen, hin zur Grenze. An manchen Orten lag noch Schnee, doch waren viele Wiesen bereits grün. Dort standen Bauern und verteilten den Mist aus ihren Karren mit ihren vierzackigen Gabeln. Wieder andere pflügten ihre Äcker mit Maultiergespannen oder streuten Pfeife rauchend die Saat aus. Überall schwirrten Spatzen und Raben umher, die sich gleich auf die Samen stürzten, doch mehrere von ihnen wurden von Steinen getroffen, die von den wütenden Bauern geworfen wurden. Nicht einmal jene Felder, auf denen Vogelscheuchen standen, waren vor den gierigen Schnäbeln sicher, auch wenn die Vogelscheuchen noch so gruselig aussahen und furchteinflössend mit ihren zerfetzten Kleidern inmitten der Äcker standen und in die Gegend starrten.

Sie ritten an den bunten Heiden und tiefgrünen Wäldern vorbei, vorbei an den Bächen, die milchiges Schmelzwasser mit sich führten und an den hellen Teichen, die sich hinter den vielen Hügeln gebildet hatten. Immer wieder sahen Koboldfamilien aus ihren Baumhütten herunter und winkten ihnen zu, als sie an ihnen vorbei galoppierten. Bald schon ging der Tag zur Neige, als sie in der Ferne die Umrisse Teichheims mit seinem blaugrünen See erkennen konnten. Schon sahen sie den kleinen Turm mit seiner Glocke auf dem Postgebäude. Auf den Hügeln rund herum standen viele einzelne Bäume, von denen Rauch aufstieg, überall schienen es sich die Kobolde in ihren Kobeln, ihren Baumhütten, gemütlich gemacht zu haben. Die Boten kamen immer näher und hörten bereits die Musik aus der Kneipe am See.

„Was ist heute wohl im Gelben Fisch los?“, fragte Johann sich selbst zuflüsternd mit einem schelmischen Grinsen.

Theophil, der gerade neben ihm ritt, hatte die leise Frage gehört und entgegnete darauf: „Wir essen zuerst und gehen dann schlafen, Johann, heute wird nicht mehr gefeiert.“

Überrascht drehte sich Johann zu Theo um und sah ihn schuldbewusst an, sagte jedoch nichts und richtete seinen Blick daraufhin wieder in Richtung Teichheim. Allerdings sah er bereits sehnsüchtig auf das Schild des Gelben Fisches, denn es zeigte einen Bierkrug mit einem Fisch, wobei der Kobold nur Augen für den Krug hatte.

Das Licht aus den Fenstern des Gelben Fisches spiegelte sich im See und beleuchtete die kleinen Boote, die an einer niedrigen Hafenmauer mit dicken Hanfseilen festgebunden waren. Die kleinen Wellen liessen das helle Licht auf den Mauern des Gasthauses tanzen. Aus dem Kamin der Kneipe stieg dunkler Rauch auf, der sich in der Landschaft verteilte und vom Wind davongetragen wurde.

Als sie vor dem Eindunkeln zwischen die Häuser hineinritten, waren die Strassen bereits menschenleer. Auch die Poststelle war schon geschlossen, und weder Junior noch Senior Schreiber waren irgendwo zu sehen. Einzig der Scheriff drehte noch seine Abendrunde. Angalbold Schneider trug einen Säbel an seiner Seite, in seinem Mund steckte eine Pfeife, aus der er Rauchwolken ausblies. Er schien nicht besonders aufmerksam zu sein und hing seinen Gedanken nach. Seine Stiefel klapperten auf den Pflastersteinen, und er machte ein mürrisches Gesicht. Sie kamen immer näher zum Gelben Fisch und hörten das Gelächter und die Musik immer besser. Bald schon erreichten sie den See, wo ihre Esel gleich den Durst stillten. Johann konnte ihnen nur zu gut nachfühlen, doch was das Getränk anging, so wäre ihm der eine oder andere Krug Bier schon lieber gewesen als geschmackloses Seewasser.

Die Tür der Kneipe ging auf, und der Wirt schmiss einen jungen Kobold raus auf den gepflasterten Platz. Während sich dieser aufrappelte und fluchend das Weite suchte, schrie ihm der Wirt nach: „Lass dich hier nicht mehr blicken, oder ich versenke dich mit Steinen an den Füssen im See.“

Das rote Gesicht des dicklichen Wirtes schien beinahe zu explodieren, seine Wangen waren bereits purpurrot und sein schwarzer gerollter Schnurrbart bebte wie seine Lippen heftig auf und ab. Als er die zehn Boten sah, beruhigte er sich und meinte höflich zu ihnen: „Ah, Ihr müsst die Boten aus Kobelstein sein. Eure Zimmer sind bereit, und ich werde Euch gleich etwas zu Essen auf den Tisch zaubern. Kommt doch herein in die gute Stube.“

Er hielt den Kobolden die Tür auf, und während sie hineingingen, rief er zwei Stallburschen: „Garmbold, Febro, kommt, bringt die Esel in die Ställe, sorgt gut für sie, sie müssen morgen wieder bei Kräften sein!“

Es waren die Söhne von Heinz Salderling, dem Wirt, einem alteingesessenen Teichheimer, dessen Familie seit Generationen den Gelben Fisch führte. Er selbst machte sich sogleich daran die Mahlzeit vorzubereiten, und seine Frau Merida half ihm dabei. Sie war eine etwas rundliche, freundliche und gutmütige Kobolddame. Heinz ging inzwischen zum Tisch, an welchen sich die Boten gesetzt hatten und fragte nach, was sie zu trinken wollten. Neun der zehn zögerten vorerst, doch Johann konnte nicht warten und sagte mit leuchtenden Augen zum Wirt: „Gern einen ganz grossen Krug helles Teichheimer. Ich habe gehört, dieses Jahr soll es besonders gut sein und dazu eine saftige Bratwurst mit gebratenen Kartoffeln.“

Als der Wirt von allen die Bestellungen aufgenommen hatte, wandte sich Hans Gilbsenn an Theophil und fragte ihn leise: „Wohin geht unsere Reise dieses Mal genau?“

Daraufhin senkte Theophil seine Stimme und flüsterte: „Immer wieder wurden Skralgas im Westen und im Süden unserer Grenzen gesichtet. Wir sollen sie nun beobachten. Zudem meinte Salzmann, sollten wir, wenn es sich ergebe, die Menschenstädte im Westen aufsuchen, falls wir sie finden, jene, von denen mein Onkel immer erzählt hat.“

„Hm“, machte Hans nachdenklich, „ich wüsste nur zu gern, was die Skralgas in die Nähe unserer Grenze lockt. Was soll denn an unserem Land so begehrenswert sein?“

„Ich denke, sie wollen irgendwie durch das grosse Gebirge gelangen, doch Gerüchten zufolge sollen es immer weniger werden. Jemand hat sogar erzählt, sie hätten einen grossen Krieg jenseits der Berge gegen ein Königreich im Süden verloren“, erwiderte Theo immer noch im Flüsterton, „doch das kann auch beunruhigend sein, denn nun könnten sie versuchen, die Pässe zwischen den Salzbergen zu überqueren. Diesen Weg hält Salzmann für unwahrscheinlich, denn wie wir damals von den Menschen in der grossen Festung gehört haben, soll hinter diesen Pässen eine verborgene Stadt liegen, die uneinnehmbar sei.“

Dann sah ihn Fredi beunruhigt an und meinte: „Ich hoffe, sie wenden sich nun nicht uns zu, da sie bereits einen Krieg verloren haben.“

„Eben genau das herauszufinden ist unser Auftrag“, meinte nun wiederum Theo etwas lauter. Fredi hingegen bekam beim Klang der sagenumwobenen Stadt aus den Bergen glänzende Augen. Er hatte immer wieder von einem älteren Kobold Geschichten gehört, wonach manch einer aus Koboldien bereits dorthin gezogen sei, um sich einer Garde anzuschliessen. Allerdings wurden diese Märchen unter ihnen immer als solche abgetan und Fredis Mutter bezeichnete den Erzähler als sonderbar.

Bald schon stellte ihnen der Wirt das Essen auf den Tisch, und die Kobolde liessen es sich schmecken. Die Bratwürste, die ihnen serviert wurden, zergingen saftig auf ihren Zungen, und die Kartoffeln glitten würzig mit einem Schluck Bier die Kehle hinunter. Lange sassen die Kobolde auch nach dem Essen da und redeten miteinander. Johann wurde fröhlicher, und Theophil musste dafür sorgen, dass sein Kumpan keinen einzigen Krug Bier mehr erhielt. Die Stimmung im Gasthaus wurde immer ausgelassener, bis einzelne Kobolde aus Teichheim und der Umgebung auf Tischen tanzten und dabei eifrig sangen:

„Hoch die Krüge in die Höh,

einen nach dem anderen hebe man,

hoch die Krüge in die Höh,

trinke, bis man nicht mehr kann.“

Tanze ein Bein ums andere

Rund herum auf dem Tisch

Lieber als ich wandere

Tanze ich im Gelben Fisch.

Mögen Krüge nun zerbersten,

mögen Bänke fliegen,

egal solange fliesst der Gersten

und wir neue Krüge kriegen.

Feiern bis tief in die Nacht,

das ist des Kobolds Spass,

wer früher geht wird ausgelacht,

heut gibt es keinen Hass

Wir leeren einzig jedes Fass.“

Mehrfach mussten Theo und seine Gefährten den schwingenden Füssen entwischen, bevor sie endlich ihre einfachen Zimmer aufsuchten. Diese Zimmer waren rund um eine Eiche hinter dem Gasthaus hinaufgebaut. Die Boten durften die obersten Zimmer beziehen, kurz unter der Krone des hohen Laubbaumes.

Über ihnen wehte der Wind durch das Geäst und strich durch die farbigen Vorhänge. Die zehn Kobolde hatten fünf Zweierzimmer belegt, wobei es von allen das Ziel war, möglichst nicht mit dem betrunkenen Johann einquartiert zu werden. Dieses Los zog zu seinem Bedauern Fredi Gurbert, der versuchte, möglichst wenig vom sinnlosen Geschwafel Johanns mitzubekommen, doch seinen grossen Koboldohren entging zu seinem Leidwesen kein Wort.

Am nächsten Tag brachen sie nach einem kurzen Frühstück in aller Früh wieder auf. Etwas wehmütig blickte Theophil zum Kobel seines Onkels zurück, aus dessen Kamin noch kein Rauch aufstieg und in dessen Wohnung zu dieser frühen Stunde auch noch kein Licht brannte. Ihr Weg führte sie immer weiter in den Westen in Richtung der Grenze. Ständig begegneten ihnen Händler mit ihren schwerbeladenen Maultieren. Sofort wurde ihnen von den Kaufbolden irgendetwas angeboten. Besondere Mühe bereitete es, Johann davon abzuhalten, Tabak zu kaufen. Johann hatte gehört, dass die Ernte vorzüglich ausgefallen war, so konnte er nicht widerstehen, sich einige Blätter zu besorgen.

Nach dem mehrtägigen Ritt erreichten sie den Boldenbach und überschritten diesen. Die Landschaft jenseits dieser Grenze schien wild und unbewohnt zu sein. Allerdings sah man mitten in diesen unendlichen Wirren von Wäldern, Sträuchern und Wiesen immer wieder Strassen. Moos spross zwischen den Pflastersteinen hervor, doch konnte die Natur die Flächen nicht zurückerobern, egal seit wie vielen Jahren sie es bereits versuchte. Manchmal fielen ihnen Säulen auf, die auf Kreuzungen standen und an deren höchster Spitze vier Birkenblätter zu einer Blüte verliefen. Niemand war zu sehen, doch auf einmal rief Theophil: „Seht! Dort stehen Häuser.“

Tatsächlich standen mehrere Häuser zwischen den alten hohen Nussbäumen. Die Hauswände waren von Efeu überwuchert und ihre Dächer von Laub bedeckt. Als sie näher kamen, staunte Fredi und zeigte weiter zwischen die Bäume hinein. Dort sahen sie, wie zahlreiche Häuser in einer Reihe standen und angebaute Ställe besassen. Sie alle waren aus Stein, selbst die Mauern der Ställe, aus hellem gut behauenem Stein, wie ihn die Kobolde erst in der alten Festung gesehen hatten.

Vorsichtig ging Theophil mit gezücktem Säbel auf das vorderste Haus zu und schlug gegen die alte Eichentür. Sie war mit seltsamen Buchstaben verziert, welche keiner der Kobolde entziffern konnte. Als niemand öffnete, rüttelte der Anführer an der Falle, bis sich die Tür aufstossen liess. Er wollte gerade „Hallo“ rufen, als er erkannte, dass auf den Möbeln im Eingang eine mehr als faustdicke Staubschicht lag. Er musste husten und stürmte aus dem Haus. Als ihn die anderen fragend ansahen, meinte der junge Korbflechter mit beissenden Augen: „In diesem Haus scheint seit tausend Jahren niemand mehr gewesen zu sein. Hier hat bestimmt niemand sein Lager.“

In der Annahme, dass er völlig übertrieb, sahen es sich die anderen ebenfalls an und mussten dann hustend feststellen, dass ihr Vorgesetzter nicht übertrieben hatte. Fredi meinte: „Bei dieser Staubschicht müsste doch das Haus einstürzen.“

„Du hast die grosse Festung gesehen“, erwiderte Theophil wenig erstaunt, „das hier sollte dich kaum mehr beeindrucken.“

Auf einmal rief Johann die anderen zu sich, er hatte sich in der Zwischenzeit ein paar Schritte von ihnen entfernt und beugte sich nun über etwas Seltsames und Furchterregendes, das im hohen Gras lag. Die anderen traten zu ihm heran, es war der Körper einer Bestie, eines Skragas, wie ihn nur wenige von ihnen schon gesehen hatten. Theophil drehte den Leib mit seinem Stiefel um, um nicht länger in die wüste Fratze blicken zu müssen. Nun erkannten die Kobolde, weswegen der Skralgas tot im Gras lag. Aus seinem Rücken ragte der Schaft eines hell gefiederten Pfeils aus feinstem Eibenholz. Fredi entdeckte eine trockene Blutspur, die von der Strasse zwischen die Häuser hineinführte, und so meinte er: „Allzu lange kann er noch nicht hier liegen, dennoch lange genug, denn das Blut ist trocken.“

Theophil hatte bereits seinen Säbel gezogen, was ihm einige seiner Gefährten nachtaten, während die anderen einen Pfeil in die Armbrust einspannten. Vorsichtig schlichen sie auf die Strasse zurück, wobei sie sich tief in das hohe Gras duckten. Auf einmal hörten sie den erschrockenen Ruf eines angepflockten Esels von der Strasse her. Rasch rannten sie in jene Richtung, allerdings auf leisen Sohlen, so dass man sie kaum hörte. Als sie bei ihren Reittieren ankamen, schien alles ruhig zu sein, nichts war abhanden gekommen und niemand war zu sehen. Langsam legte sich ihre Aufregung, doch blickten sie immer noch wachsam umher. Auf einmal schrie Gilbert auf und richtete seine Armbrust auf einen der hohen Bäume nebenan. Seine Hand wollte bereits den Bolzen lösen und den Pfeil sausen lassen, als dieser plötzlich blockierte. Die Spitze eines Pfeiles, der genau so aussah wie jener im Rücken des Skralgas, war in das Holz seiner Armbrust eingedrungen und machte sie schussunfähig. Die anderen drehten sich rasch zu ihrem Kameraden um, der erschrocken seinen Säbel gezogen hatte.

Aus dem Geäst eines Baumes ertönte eine Stimme: „Lasst Eure Waffen sinken! Solltet Ihr sie gegen uns erheben, müssten wir uns wehren. Sollte einer von Euch auch nur eine ruckartige Bewegung machen, könnte ihn einer unserer Pfeile treffen und diese Bewegung zu seiner letzten machen, so werft nun Eure Armbrüste und Säbel zu Boden, sehr geehrte Kobolde.“

Erstaunt über die gewählten Worte und wütend über seine Unachtsamkeit, warf Theophil seine Waffen als erster zu Boden, worauf es ihm die anderen nachtaten. Nicht lange ging es, bis fünf Männer in braungrünen Mänteln am Fusse fünf verschiedener Bäume auftauchten. Alle hatten ihre Sehnen gespannt und auf die Kobolde gerichtet, die ihnen mit Furcht und Misstrauen entgegenblickten. Zu beiden Seiten hingen je ein Schwert und ein langer an ihren Gurten und man erkannte den Schaft einer Armbrust, die sie zusätzlich zu den Bogen mit sich trugen. So kamen die schwer bewaffneten Krieger auf die Kobolde zu.

„Selten haben wir Kobolde ausserhalb ihrer Grenzen gesehen“, begann jener, der zuvor schon gesprochen hatte, mit klarer Stimme. Theophil trat langsam vor die anderen hin und erwiderte etwas zaghaft: „Niemand kann uns untersagen, uns ausserhalb unserer Grenzen zu bewegen, da hier niemand lebt. Was sind Eure Absichten, wollt ihr uns töten?“

Die Menschen in ihren Kapuzenmänteln lachten laut auf, ehe sie ihre Kapuzen zurückwarfen und ihre Bogen sinken liessen. Schillernde Helme kamen zum Vorschein, edle Helme, die auf der einen Seite mit einem blauen Blatt aus Saphir mit Goldgravuren und auf der anderen Seite mit einem Rubin mit Silbergravuren verziert waren. Die Kobolde erkannten das Blatt sogleich, doch war ihnen das andere Symbol fremd. Jener, der ihr Anführer zu sein schien, trat daraufhin vor und kam weiten Schrittes auf die Kobolde zu. Er musterte sie eine Weile, ehe er zu Theophil sprach: „Vor uns müsst Ihr Euch nicht fürchten, ich denke, wir haben einen gemeinsamen Feind. So wie ihr ausseht, müsst Ihr koboldische Feldboten sein, solche habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, allerdings weiss ich, dass Ihr einem rechtschaffenen Völkchen angehört.“

„Ihr mögt wissen, wer wir sind, doch würde ich ebenso gerne wissen, wer Ihr seid, ich nehme an, Ihr stammt aus dem Volk der Menschen, die einst diese Häuser hier errichtet haben“, entgegnete der Anführer der Kobolde. Der Mensch mit seiner hohen Statur erwiderte nicht sogleich, doch schliesslich antwortete er: „Mein Name ist Glirior, ich und meine Männer kommen aus Dailron, der Stadt der Bündnisvölker in den Bergen, in deren Auftrag auch wir hier durch die Gegend streifen. Nun wüsste ich auch gerne Euren Namen und Eure Absichten.“

„Mein Name ist Theophil Korbflechter“, antwortete Theophil wahrheitsgemäss, „unser Auftrag ist es, mehr über diese geheimnisvollen Kreaturen herauszufinden, die unsere Grenzen bedrohen.“

„Dann sind wir Euch zuvorgekommen“, entgegnete Glirior mit ausdrucksloser Miene, „jener, den Ihr zwischen den Häusern gesehen habt, war der letzte eines zwanzigköpfigen Spähtrupps, die anderen haben wir bereits etwas weiter nördlich erledigt. Ihr Lager liegt einige Kilometer von hier, allerdings sind es dort zu viele, als dass wir sie mit Eurer Unterstützung vernichten könnten. Dazu müssen wir nach Westen zu einer alten Stadt unseres Volkes gehen, wo noch einige gute Krieger leben. Mit ihnen zusammen können wir dieses Lager zerstören. Ob Ihr uns folgt, ist Euch überlassen, allerdings wäre uns ein wenig Gesellschaft nicht unangenehm.“

Der grosse Soldat aus Dailron pfiff einige Male durch die Finger, bis schliesslich ein Wiehern zu hören war und fünf edle Streitrosse über die Strasse daher galoppiert kamen. Die Esel riefen freudig aus, als sie die Tiere sahen. Und als Glirior Theophil fragend ansah, beriet sich dieser kurz mit seinen Kameraden, ehe er kopfnickend dem Vorschlag des Polariä aus Dailron zustimmte.

Geschichte

Erstes Kapitel - Wintermeldung

„Gefallen?“, entgegnete der Bürgermeister von Gar voller Entsetzen auf die Nachricht des Boten aus Brückstadt. Dieser hatte ihm soeben berichtet, dass sein Bruder gefallen war. Grindor ging in seinem Arbeitszimmer unruhig hin und her, es war ihm elend zumute. Der Bote sass ruhig auf einem Stuhl, doch auch ihm war nicht ganz wohl.

„Im Spitzbachtal, sagtet Ihr?“, fragte Grindor wiederholt nach. Der Bote begann nun ausführlicher zu erzählen: „Nach der Schlacht bei Sonnenheim wurde Euer Bruder zum Hofgardisten befördert, wie mir gesagt wurde. Als das Heer Cammals schliesslich dem Feind in der letzten Schlacht gegenüberstand, kämpfte er ehrenhaft. Den grausamen Unwesen des Feindes war er allerdings ebenso wie viele andere nicht gewachsen. Verschwunden ist er in den Fluten, getroffen von einer dieser Bestien. Doch gefallen als ein Held Cammals ist Euer Bruder auf jeden Fall.“

„Ich habe geahnt, dass dieser Krieg sein Verderben sein würde, dennoch schmerzt mich dieser Verlust sehr“, erwiderte Grindor mit hohler Stimme, während er mit Tränen in den Augen zum Fenster hinaus auf die frische grüne Ebene sah. An schattigen Orten lag noch ein wenig Schnee, doch fast überall rund um Gar herum waren die Wiesen bereits grün, und die ersten Krokusse und Osterglocken blühten.

Arak marschierte zusammen mit Lakalt, Gawair und Befer durch das Tor in die grosse Halle. Sein Gesicht war ärgerlich verzogen und er war gereizt. Am Tisch sassen bereits alle anderen Ritter und einige der hohen Offiziere. Als Arak eintrat, standen alle auf, das nachdenkliche Gesicht des Königs hellte sich auf und, er rief strahlend: „Da kommt der Heerführer, der Cammal im Spitzbachtal grossen Ruhm eingebracht hat. Du musst mir alles berichten, mein Sohn. Bereits singen Barden Lieder über dich und deine Taten ebenso wie über jene deiner Männer.

Doch Arak schien wenig erfreut, er erwiderte scharf mit wutverzerrtem Gesicht: „Wieso postiert Ihr so viele Männer an der Grenze zu Salmarsat und zum gefallenen Helrendar, war dir dieser Krieg nicht bereits genug? Ausserdem hätten wir ohne die Hilfe der Jäger keine Chance gehabt. Darüber könntet Ihr auch mal nachdenken, Vater.“

Nun verdüsterte sich Uraks Miene und er erwiderte ruhig, doch mit einem drohenden Unterton: „Überlasse die Politik mir, dein Handwerk ist das Schwert, meines die Feder, das wirst du früh genug noch erlernen.“

„Die Männer können nicht schon wieder kämpfen, Vater“, fuhr es aus Arak hervor, „vor allem, wieso muss ich davon in Brückstadt von einem Soldaten erfahren und bekomme keine Meldung von Euch?“

Die anderen Edelleute rundherum sahen den Prinzen überrascht an, der den festlichen Vorbereitungen, die seinetwegen hergerichtet waren, keinerlei Beachtung schenkte. Wütend schritt er langsam auf seinen Vater zu.

„Halte deine Zunge im Zaum, Arak“, fuhr nun Urak seinen eben zurückgekehrten Sohn an.

„Salmarsat hat ein Dorf auf der Blaim überfallen, sie wollen unsere Schwäche ausnützen“, unterbrach eine Stimme neben dem König ihren Streit, es war jene Mendrienos von Meerschlossfels.

„Was macht er hier in diesem Rat, wieso ist nicht sein Vater hier?“, fragte Arak entrüstet und mit einem misstrauischen Blick auf den jungen Fürsten.

„Weil sein Vater getötet wurde“, mischte sich nun Feriak mit schleimiger Stimme ein, „von Soldaten Salmarsats“.

Nun machte Mendrieno eine traurige Miene, doch blitzten seine Augen gefährlich unter seinen Lidern hervor. Daraufhin drehte sich Arak auf seinen schmutzigen Stiefelabsätzen um und marschierte davon, die anderen folgten dem wütenden Prinzen.

Er eilte hinaus auf eine der Terrassen. Das bisschen Schnee, das dort gelegen hatte, war bereits wieder geschmolzen, doch herrschte ein nebliges und drückendes Wetter. Man sah kaum bis zur Unterstadt, deren Kaminrauch den Nebel schwarz färbte.

Zu seiner Überraschung stand Celeyia dort an der Brüstung und sah auf die ankommenden Soldaten hinab, die Reihe um Reihe durch das Tor marschierten. Sie umarmte ihren Bruder sogleich, als er zu ihr hin trat und fragte ihn: „Wann kommen die anderen Männer zurück?“

Zuerst sah Arak sie verwirrt an, doch dann verstand er ihre Frage und erwiderte niedergeschlagen: „Es gibt keine anderen, das sind alle, die überlebt haben. Jene, die heute nicht zurückkehren, werden es niemals tun. Viele sind gefallen, um diesen Krieg zu beenden und damit mein Vater nun einen neuen beginnen kann.“

Nun wurde die Prinzessin bleich, starrte Arak wie versteinert an und fragte dann entsetzt: „Du bist mit mehr als drei Mal so vielen Männern ausgezogen. Was ist mit ihnen geschehen?“

„Es waren so viele Feinde“, entgegnete Arak wütend und traurig, „so viele Tote, so viel Verderben.“

„Und wo ist Larior?“, fragte Celeyia, „er ist doch mit dir ausgezogen?“

Arak schüttelte nur den Kopf und antwortete dann leer: „Er hat gekämpft wie kaum ein anderer. Er war während des Feldzuges zum Hofgardisten ernannt worden, doch wurde er vom Spitzbach und seinen Wassermassen in unserer letzten Schlacht weggetragen. Wenn du mehr wissen willst, musst du Grendair fragen, er sollte bereits im Schloss sein.“

Nun sah Celeyia in den grauen Himmel hinauf, ihr Gesicht schien verzweifelt. Auf einmal erblickte sie hoch über dem Schloss etwas Komisches, es sah aus wie ein Vogel, doch schien sein Hinterleib nicht der eines Vogels zu sein. Ein Gebrüll durchdrang den dicken Nebel und dröhnte angsterweckend auf die Stadt nieder. Jene Soldaten, die aus dem Spitzbachtal zurückgekehrt waren, erkannten das Gebrüll sogleich, doch rief es in ihnen die grauenvollen Erinnerungen wach und sie wünschten sich, diesen Laut nie wieder hören zu müssen.

Die Prinzessin blieb schweigend neben Arak stehen und sah auf den Platz hinunter. Die Soldaten waren nur noch Schatten dessen, was sie bei ihrem Abmarsch gewesen waren, ihre Gesichter waren eingefallen und ihre Körper ausgemergelt von den Strapazen. Was noch von ihrer Kleidung übrig war, schienen Fetzen zu sein, die von Rüstungen zusammengehalten wurden.

Dann legte Arak seinen Arm um die Schultern seiner Schwester und flüsterte ruhig: „Es wäre sowieso beinahe unmöglich geworden, du als adelige Dame und er als Sohn eines Schmiedes. Niemals wärt Ihr vereint gewesen, selbst nicht, wenn er als Hofgardist zurückgekehrt wäre.“

„Er war mehr als das!“, fuhr Celeyia den Prinzen an, „Er war nicht einfach nur der Sohn eines Schmiedes, er war einer vom Blute der Polariä. Er sprach Hocheyilreäis, die Sprache meiner Vorfahren. Du weisst so gut wie ich, dass kaum einer der Jäger diese Sprache spricht. Niemand anderen habe ich Worte in dieser Sprache sprechen hören, seit die Soldaten Cammals mich damals gerettet haben.“

„Ich weiss“, erwiderte Arak sanft, „doch du weisst genauso wie ich, dass mein Vater dich am liebsten mit dem mächtigsten König vermählen würde, auch wenn du ihn hassen würdest.“

„Versprich mir, dass du niemals so wirst wie dein Vater, Arak, versprich es mir“, flüsterte Celeyia mit Tränen in den Augen.

Daraufhin begann Arak im Flüsterton zu sprechen: „Ich hatte auf unserem Feldzug viel mit den Jägern zu tun, und so erfuhr ich von ihrem Anführer, Haldrior, dass meine Mutter nicht die leibliche Tochter des Fürstenpaars war, sie war vom Fürst grossgezogen worden, ja, doch stammte sie aus dem Volk der Jäger. So hoffe ich, besitze ich deren Weisheit und nicht die Machtgier des Königs. Ich verspreche dir, Celeyia, dass ich, werde ich einmal Nachfolger meines Vaters, weder adligen Familien so viel Wert beimesse, noch dem einfachen Mann Aufstiegsmöglichkeiten verwehren werde. Doch das dauert noch lange, und du weisst so gut wie ich, dass mein Vater noch lange herrschen wird. Er ist zäher als es scheint, das Alter mag an ihm nagen, doch auch durch seine Venen fliessen Überbleibsel des Blutes des alten Volkes, deswegen wird er noch viele Jahre mit eiserner Hand über Cammal herrschen.“

„Ich werde keinesfalls mit mir machen lassen, was ich nicht will“, flüsterte Celeyia erbost, „Urak hat nicht das Recht mich einfach an einen König zu vergeben, nur um seine eigene Macht zu stärken.“

Schweigend standen die beiden da und sahen auf den Haufen ungepflegter Männer, die zurückgekehrt waren, gezeichnet von Krieg und Leid. Neue Kleidung wurde ihnen gebracht, zusammen mit Töpfen voller Gerstenbrei und unzähligen fetttropfenden Spanferkeln. Gierig schlugen sich die Rückkehrer die Bäuche voll ohne auch nur etwas anderem Beachtung zu schenken.

„Mein Vater ist von allen guten Geistern verlassen, sollte er einen weiteren Krieg beginnen“, meinte Arak, nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander gestanden hatten. Über ihnen zogen sich die Wolken noch enger zusammen und schienen sich zu Gewitterwolken zu ballen. Unten sahen einige der abgemagerten Soldaten verängstigt nach oben, während sie den Brei in sich hineinlöffelten.

Kurz darauf sahen sie, wie alle Hofgardisten, angeführt von Gawair, den Palast unter den bewundernden Blicken des Volkes, das ihnen gefolgt war, betraten.

„Sind die anderen Hofgardisten in Sonnenheim oder Brückstadt geblieben?“, fragte Celeyia den Prinzen, doch dieser antwortete nicht sofort, erst nach einer Weile sah er wieder hoch in den Himmel und antwortete: „Nein, alle die überlebt haben, sind zurückgekehrt. Die anderen ruhen in Ehren auf dem Feld, wo sie tapfer für ihre Sache gekämpft haben. Sie fielen in der Schlacht gegen diese Bestien nicht für Cammal, sondern für ihr eigenes Volk. Als beste Krieger unseres Reiches sollen sie in Erinnerung bleiben, sie, die zusammen mit den Jägern den grössten Teil zum Sieg beigetragen haben. Ein Viertel jener, die auszogen, kehren nicht zurück.“

Erschrocken griff sich Celeyia mit beiden Händen vor den Mund und erwiderte niedergeschlagen: „So viele der besten Männer des Reiches sind gefallen?“

„Larior war einer von ihnen“, meinte Arak daraufhin nachdenklich, „einer jener, die wirklich für das Gute kämpften, so wie er es gelernt hatte. Er mag nicht besonders viel Erfahrung besessen haben, doch machte sein Herz das wett. Ich denke, er war zufrieden damit, etwas getan zu haben, um dich zu schützen. Keinen besseren Tod hätte er sich vorstellen können, das glaube mir.“

Nun drehte sich die Prinzessin ein wenig ab und sah in den dichten Nebel hinaus. Die Dunkelheit verschlang allmählich die Umrisse des Schlosses. Einzig die Feuer, an denen die erschöpften Soldaten sassen, brannten noch, bis sich diese schliesslich auch in ihre Unterkünfte begaben.

Arak ging zurück in das Schloss, doch Celeyia blieb noch eine Weile draussen auf der Terrasse stehen. Im Wind lösten sich die Bänder aus ihrem goldenen Haar, welches daraufhin frei im warmen feuchten Meerwind wehte. Ihre Augen sahen traurig in die Ferne, hin zu den Sonnenbergen. Jene Soldaten, die im Schein der Feuer die Gestalt der Prinzessin sahen, konnten ihre Blicke kaum mehr von ihr losreissen, doch spürte jeder, welche Trauer von ihrem liebreizenden Antlitz ausging.

Auf einmal ertönte hinter dem Prinzen die Stimme des Königs: „Arak, ich erwarte dich heute Abend in der Ratskammer, dort werden sich alle Ritter einfinden.“

Daraufhin drehte sich Arak zu seinem Vater um, sah ihn scharf an und sagte dann mit einem Hauch von Ironie in seiner genervten Stimme: „Glaubt Ihr wirklich, die Skralgas sind besiegt? Glaubt Ihr wirklich, sie lassen uns jetzt für immer in Ruhe? Unser Volk muss sich erholen, zu viele Männer sind gefallen. Irgendwann wird es sich möglicherweise auflehnen, es braucht nur jemanden, der es dazu anstiftet.“

„Soll das eine Drohung sein?“, fuhr Urak seinen Sohn an und blickte ihm erbost in die Augen. Doch dieser wurde nun ruhig und erwiderte nachdenklich: „Nein, nicht von mir, ich ahne, dass jemand in Eurer Umgebung nicht loyal ist und ich weiss auch wer. Doch Ihr werdet sowieso nicht auf mich hören, wenn ich Euch sage, wer es ist.“

„Wirst du wieder einmal von deinem Verfolgungswahn gepackt, Arak? Sag mir nicht, du hast den jungen Mendrieno im Verdacht. Arak, er hat gerade seinen Vater verloren, ich vertraue Mendrieno genau so viel wie ihm“, schrie Urak daraufhin zornig seinem Sohn entgegen. Arak drehte sich ab und rief über die Schulter zurück: „Glaubt was Ihr wollt, doch bedenkt meine Worte, solltet Ihr wirklich einen Krieg gegen Salmarsat beginnen.“

Nun rannte Urak seinem Sohn nach, packte ihn an der Schulter und drehte ihn harsch zu sich herum. Das Gesicht des Königs war rot angelaufen, eine Ader pochte auf seiner Stirn, und er flüsterte Arak bedrohlich ins Ohr: „Wage es nicht meine Autorität anzuzweifeln. Ich weiss, was ich tue. Solltest du meinen Thron wollen, so sage es mir, doch sprich nicht in versteckten Worten. Ich bin nicht nur dein Vater, ich bin dein König, dem du gefälligst zu gehorchen hast, denn du bist nicht nur mein Sohn, sondern auch mein Untertan, über den ich richten kann.“

Darauf erwiderte Arak mit ebenso bedrohlicher Stimme: „Unser Gegner hatte einige tausend Bestien, und diese haben uns schon beinahe besiegt. Wieso soll es nicht wie in alter Zeit Zehntausende oder gar Hundertausende davon geben? Wieso soll es unmöglich sein, dass jene Heere aufmarschieren, die einst das Reich des alten Volkes beinahe in die Knie gezwungen hätten?“

Urak packte seinen Sohn nun am Kinn und senkte seine Stimme noch weiter, sie klang noch bedrohlicher: „Haben dir die Jäger diese Lügenmärchen erzählt? Haben sie dich dazu angestiftet, Unruhe in mein Haus zu bringen? Deswegen verabscheue ich sie, sie versuchen mich zu stürzen, nimm dich vor ihnen in Acht!“

„Ihr wisst genau so gut wie ich, dass sie die Wahrheit sagen. Sie sind für unser Reich gefallen, ohne eine grössere Gegenleistung zu fordern, als dass sie in Ruhe leben können, ohne dass Ihr Jagd auf sie macht. Ihr Blut floss neben dem unseren, sie sind für das Volk Cammals gefallen, nicht aus Machtgier, sondern im Kampf für das Gute!“, schrie Arak nun seinem Vater wütend ins Gesicht ohne sich um jene zu kümmern, die zu ihnen hin gafften.

Einige Leute, die im Säulengang standen, drehten sich verwundert und neugierig um, doch drehten sie ihre Gesichter sofort wieder ab, als sie das furchterregende Gesicht des Königs sahen. Arak wollte nun bereits davonmarschieren, doch drehte er sich noch einmal um, näherte sich seinem Vater immer mehr und flüsterte ihm ins Ohr: „Ihr habt nur Angst, dass derjenige, der das Recht unter den Jägern hat, sein Recht wahrnimmt, als Statthalter von Marsat über dich zu herrschen. Niemand von ihnen hat vergessen noch vergeben, was einst geschah, als die Treue gebrochen wurde. Ich lasse mir nicht mehr alles weismachen wie bisher.“

Jetzt wechselte die Gesichtsfarbe des Königs innerhalb eines Sekundenbruchteils von Purpurrot in ein totenähnliches Weiss. Arak dreht sich um und ging davon ohne ein weiteres Wort zu sagen, Urak hingegen blieb wie angewurzelt im hohen Gang stehen und sah seinem Sohn nach. Das Abbild des Königs erschien nun keineswegs mehr majestätisch, sein Gesicht verlor kurzzeitig jegliche angsteinflössenden Züge, so dass nun immer mehr Leute zu ihm hinblickten. Celeyia stand immer noch draussen auf der Terrasse und hatte gesehen, wie sich ihr Adoptivvater und ihr Stiefbruder stritten. Als Arak davonmarschiert war, blickte sie wieder gedankenverloren in die Ferne, in ihren Augen standen Tränen, doch ihr Blick war dennoch klar.