Die Zeit der Hochkönige - Ehre - Viertes Buch - Luca c. Heinrich - E-Book

Die Zeit der Hochkönige - Ehre - Viertes Buch E-Book

Luca C. Heinrich

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Beschreibung

«Hätten wir nicht Dinge, wofür es sich zu sterben lohnte, so hätte unser Leben keinen Sinn und keinen Wert. Jeder von uns sollte bereit sein für das zu sterben, was er liebt, denn frei lebt nur, wer sterben kann!» Schwer lasten die Jahre des Krieges auf Cammal, doch statt des Lichts des Friedens zieht ein noch dunklerer Schatten über dem Reich auf. Der Statthalter von Marsat sammelt seine Kräfte. Doch die Schwarze Flamme denkt nicht daran, ein Reich des alten Volkes von Polaria zu dulden. Heere werden gerüstet, wie sie seit tausenden von Jahren nicht mehr durch Areyiticä marschiert sind. Währenddessen verschlägt es mehrere Jäger in ein fernes Wüstenland wo sie jedoch den Schergen des immergleichen Feindes gegenübertreten müssen. Der alte Feind schickt seine gefürchtetsten Diener ins Feld, lebende Tote, nur bezwingbar mit reinstem Herzen.

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Seitenzahl: 407

Veröffentlichungsjahr: 2018

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www.polaria.ch

Luca C. Heinrich

Die Zeit der Hochkönige

Erster Teil: Treue

Erstes Buch

Zweites Buch

Drittes Buch

Zweiter Teil: Ehre

Viertes Buch

Fünftes Buch

Sechstes Buch

Dritter Teil: Freiheit

Siebtes Buch

Achtes Buch

Neuntes Buch

Ehre – Viertes Buch

Inhalt

Karten

Areyiticä

Cammal

Koboldien

Ekbar

Erster Prolog

Flammenturm

Zweiter Prolog

Erstes Kapitel - Frühlingsreise

Zweites Kapitel - Schattenglanz

Geschichte

Erstes Kapitel – Sommerliebe

Zweites Kapitel - Sonnenwiedersehen

Drittes Kapitel - Regenblick

Viertes Kapitel - Schattenbruch

Fünftes Kapitel - Feuerhöhlen

Sechstes Kapitel - Schattensaal

Siebtes Kapitel - Schattenhafen

Achtes Kapitel - Silberhöhlen

Neuntes Kapitel - Schattenfahrt

Zehntes Kapitel - Wüstenhafen

Elftes Kapitel – Blutsand

Zwölftes Kapitel - Gartenpalast

Dreizehntes Kapitel - Sandheer

Vierzehntes Kapitel - Windstadt

Fünfzehntes Kapitel - Sturmschlacht

Sechzehntes Kapitel - Sandstadt

Areyiticä

Koboldien

Ehre

Viertes Buch

«Loyalität ist das Mark der Ehre.» (Paul von Hindenburg)

Erster Prolog

Flammenturm

Ein Mann ritt auf seinem Schimmel aus edler Zucht durch das Tor aus dunklem Stein in die finstere Stadt, überall auf den Strassen lag Unrat und es stank nach allem Möglichen. Trotz des Sommers wehte eine eiskalte Brise von Westen über das Gebirge herunter, die durch Mark und Bein ging. Die Wände der Häuser waren grau bis schwarz vor Schmutz, doch auch der Stein darunter war finster. Weiter nördlich an der Bergkette stand eine weitere Stadt, welche sich hoch hinauf zog, die dieser wie ein Ei dem anderen glich. Besonders über jener Stadt stieg schwarzer Rauch auf, und lauter, nicht endender Lärm schallte über die weite dazwischen liegende Ebene, die Ebene der Mächte. Die Felswände verliefen schnurgerade zwischen den beiden Städten, als würden sie eine hohe bedrohliche Mauer bilden.

Mendrieno ekelte dieser Anblick, doch um an sein Ziel zu gelangen, musste er das oberste Ende der Stadt erreichen, den dort stehenden prächtigen Palast. Über jenem Palast loderte eine mächtige schwarze Flamme, die das Licht zu verschlingen schien, eine Flamme voller Grauen, doch für Mendrieno auch voller Hoffnung und Heimatgefühl. Die Strasse wand sich zwischen den Häusern hindurch hinauf in Richtung seines Ziels. Immer wieder marschierten Patrouillen in ihren schwarzen Mänteln und silbernen Helmen vorbei. Die Todesengel lachten grimmig und grüssten Mendrieno demütig. Durch seine regelmässigen Besuche beim Herrn der Stadt wurde er hier langsam bekannt und war hoch geachtet. Einzig bereitete ihm Sorge, dass seine lange Abwesenheit bei den anderen Rittern Misstrauen erregen könnte, doch was scherte ihn das schlussendlich, wenn er seine Ziele erreichen würde und sie ihm gehorchen mussten, falls sie überlebten.

Langsam sah er über die Dächer der untersten Häuser hinaus auf die Ebene. In dieser Richtung war alles flach, in etwas Entfernung sah er nur die beiden breiten Flüsse, der eine entsprang im Norden, der andere etwas südlich davon. Weiter in der Ferne jenseits der Ebene erkannte man die Bergketten, welche das einstige Kernland der verhassten Polariä umschlossen. Ein Tal trennte die südliche und die nördliche Kette, und an beiden Ausläufern zogen sich grosse befestigte Städte empor. Diese bestanden aus hellem Stein und schienen den dunklen Städten diesseits der Ebene gegenüberzutreten wie die Figuren eines Schachspiels.

Am Tor tummelten sich zahlreiche Wachen, und ausserhalb der Stadt waren unzählige Hütten und Zelte aufgebaut worden, zwischen welchen sich die grauenhaften Gestalten der Skralgas tummelten. Immer wieder kamen Wagen herangekarrt, gefahren von fremdländisch aussehenden Männern. Sie trugen weisse Turbane, manchmal kamen sie auch auf Tieren geritten, die Mendrieno noch nie gesehen hatte, es waren weder Pferde noch etwas Ähnliches, doch konnten die fremdländischen Männer zwischen den beiden Höckern auf deren Rücken bequem sitzen. Einer dieser Männer ritt etwas vor Mendrieno auf seinem Kamel die Stadt hinauf, sein Gesicht verbarg er mit einem Teil seines Turbans. An der Seite des Kamels hing ein langer Krummsäbel mit reich verziertem Griff, das Heft war aus Gold mit eingelassenen Juwelen. Sein weisses Gewand leuchtete hell in der dreckigen Stadt und er fiel jedem auf, der ihn sah. Im oberen Teil der Stadt wurde alles sauberer, aber man sah immer wieder Männer und Frauen mit grimmigen Gesichtern auf der Strasse. Manche von ihnen schritten stolz voran, gefolgt von aneinandergeketteten Sklaven. Die steile Strasse begann sich nun in einem letzten grossen Bogen zum Palast zu schwingen. Das dunkle Strassenpflaster aus schwarzem Obsidian unter ihm war fein säuberlich gearbeitet. An den Seiten der Strasse standen hohe Eisenstatuen mit langen Schwertern. Sie sahen böse auf jeden hinab, der an ihnen vorbeiritt. Bald schon kam Mendrieno um die letzte Biegung, nun hoch über der Stadt, und stoppte vor einem hohen schwarzen Tor in schwarzem Stein. Davor hielten mehrere Todesengel Wache und liessen den Grafen von Meerschlossfels rasch passieren. Dieser ritt in den Innenhof, wo eine hohe schwarze Säule stand, auf der eine fahle dunkle Flamme düster loderte. Sein Pferd wurde in einen Stall geführt, wo bereits mehrere Männer versuchten das Kamel des Fremden zu zügeln. Rund um diesen Hof standen Bauten aus reinstem schwarzen Stein, doch war am hinteren Ende ein hoher Turm mit einem langen mächtigen Anbau erstellt worden. Die Pforte wurde sofort geöffnet, als Mendrieno eintreten wollte. Der weiss gekleidete Mann stand bereits vor ihm, vor einer Tür. Sein Gegenüber hatte dunklere Haut als Mendrieno und trug einen schwarzen, sorgsam gepflegten Bart. Die Gesichtszüge des Mannes waren streng und seine Wangen kantig. Auf einer Brosche an seinem schwarzen Seidenturban prangten schwarze Lettern auf weissem Hintergrund, doch konnte sie der Fürst von Meerschlossfels nicht lesen. Sie waren seltsam geschwungen, doch bei weitem nicht so elegant wie Eyilreäis Buchstaben.

Sie warteten beide lange schweigend nebeneinander, bis schliesslich ein Mann mit heimtückischem Gesicht die Tür vor ihnen aufmachte. Dann öffnete er seinen Mund und lange spitze Zähne kamen zum Vorschein: «Seid gegrüsst unsere Freunde. Seid gegrüsst Mendrieno und Querem Bin-Keled, mein Herr erwartet Euch im Turm der Flamme, folgt mir!»

Misstrauisch folgten die beiden dem Mann hinauf, weit hinauf bis zu einer dicken Eisentür im schwarzen Stein. Sie traten ein und sahen eine Gestalt von ihnen abgewandt aus dem Fenster schauend. Im Fenster spiegelten sich zwei feurig rote Punkte, doch konnten sie ansonsten nicht viel im Raum erkennen. Auf einmal begann die Gestalt zum Fenster gewandt zu sprechen: «Was gibt es Neues?»

Querem bin-Keled zuckte zusammen beim Klang dieser eisigen Stimme, während er sah, wie Mendrieno erstaunlich ruhig blieb und völlig fasziniert von dieser Gestalt vor ihm war. Der Gesandte aus dem Süden kam sich immer kleiner vor, doch den Gast von jenseits der Sonnenberge schien diese Gestalt nicht einschüchtern zu können, auch wenn Mendrieno seinen Kopf noch demütig gesenkt hielt.

«Es läuft alles nach Plan, mein Herr», begann Mendrieno, «die beiden Reiche befinden sich nun im Krieg.»

«Das hoffe ich», erwiderte die dunkle Gestalt am Fenster und wandte sich Mendrieno zu, «denn das letzte Mal habt Ihr mich dazu gebracht Isula zu unterschätzen, eine Statthalterschaft, die den Glanz verloren hat und nicht mehr in den Händen der Polariä, seien sie verflucht, liegt.»

«Keine Sorge, mein Herr, Isula ist nun zu schwach und Ihr werdet alles jenseits der Sonnenberge einnehmen können, sobald der Krieg zu Ende ist. Isula wird nicht mehr fähig sein, die Skralgas zu bekämpfen, sollten sie wieder zurückkehren. Die Gaben meiner Mutter werden den letzten grossen Gegner rasch dahinraffen, wenn es nötig werden sollte.»

«Ja, alles wird mein sein und ich werde es richten, alles jenseits der Sonnenberge wird mir gehören», meinte die Gestalt im schwarzen Hermelinmantel. Der Schatten schritt auf Mendrieno zu, so dass dieser langsam unter ihrem fürchterlichen Blick aus ihren rot brennenden Augen zurückwich. Der Graf von Meerschlossfels wollte gerade etwas erwidern, doch als er seinen Blick abwenden wollte, fragte die Gestalt argwöhnisch: «Was ist, läuft etwas nicht nach Plan?»

Querem-Bin-Keled wurde vom Drang ergriffen, den Raum zu verlassen und einen Ort zu suchen, wo ihn dieser grausame Blick nicht erreichen konnte. Nun wandte der junge Graf seinen Blick wieder den furchterregenden Augen zu und erwiderte: «Isula bereitet mir keine Sorgen mehr, diese Statthalterschaft wäre augenblicklich Geschichte. Allerdings wurde vor fünf Jahren der Thron Marsats wieder bestiegen.»

«Was?», rief er aus, «der König lebt noch?»

«Nein», erwiderte Mendrieno, «es ist der Erbe des ehemaligen Statthalters von Marsat, der sein Erbe angetreten hat, doch ist er dabei, die Menschen des alten Volkes um sich zu versammeln. Das bereitet mir Sorgen, denn sollten sie wieder zu alter Stärke zurückfinden, wird es so enden wie in den Skralgaskriegen.»

«Da täuschst du dich, mein lieber Mendrieno, nun sind wir stärker als damals, wir werden nicht mehr unter den Sonnenberge, sondern zwischen ihnen hindurch marschieren», erwiderte er mit seiner kalten mächtigen Stimme.

Mendrieno stutzte und sah ihn ungläubig und etwas verängstigt an. Bevor er jedoch mit seinem Plan fortfahren konnte, wurde er vom fremdländischen Mann unterbrochen, welcher in gebrochenem Akzent einwandte: «Seid gegrüsst, unser Herr, ich bringe Botschaft vom Sultan Kel al-Kender, er vermeldet Erfolge im Kampf gegen das ehemals hochkönigstreue Reich Ekbar, grosse Teile der Küste sind bereits eingenommen. Einzig der Durchmarsch durch die Al-Ekbar Wüste macht unseren Rebellentruppen noch Sorgen. Der Schah von Ekbar versucht mit der Hilfe Terzenias uns zurückzuhalten, doch deren Unterstützung ist nicht stark, die Dschungelmenschen sind sich die Wüste nicht gewohnt. Sollten wir jedoch den Hafen von Kol Gelad einnehmen, so wären wir ein Stück näher daran, Isula auch von der See her angreifen zu können.»

«Zu lange kämpft Ihr schon», fuhr die eisige Stimme den Gesandten aus dem Süden an, «solltet Ihr mit Euren Truppen es nicht schaffen, den Schah in die Knie zu zwingen, so werde ich die Skralgas losschicken, und diese werden dafür sorgen, dass Eure Männer bis in die Stadt Ekbar vorrücken und den Schah stürzen werden. Es reicht mir nicht, wenn Kel al-Kender nur aus seinem Sultanat einige Angriffe über die Flüsse führt, ich will das ganze Reich. Wenn Euer Sultan nicht spurt und endlich grössere Siege einbringt, werde ich eine der Totenlegionen entsenden und einer der Marschälle wird Euch führen, dann werdet Ihr und Euer Volk schon das erreichen, was Ihr sollt.»

Nun schaute der fremdländische Mann ihn ängstlich an, erschauderte beim Anblick der Gestalt und antwortete: «Natürlich mein Herr, natürlich werden wir das tun, wenn Ihr es uns gebietet.»

«Das will ich hoffen», fuhr die Gestalt den Gesandten aus dem Süden an, so dass dieser zusammenzuckte und schon beinahe das Gefühl hatte, sein Ende sei gekommen, «denn euer Sultan sollte Schah werden und mir die Treue schwören, ebenso wie es der Khan aus dem Norden getan hat. Ihr beide seid auch hier aus einem gemeinsamen Grund, denn Mendrieno wird in Zukunft Gefangene des alten Volkes nicht mehr töten, sondern sie in den Städten des Schahs verkaufen. Dort werden sie versuchen sich zu befreien und damit Kräfte des Schahs zu binden, so werdet Ihr mir hoffentlich bald bessere Nachrichten bringen, ehe ich ein Heer entsenden muss.»

Daraufhin setzte sich der Bote auf einen Stuhl in der Ecke und verbarg sein gebräuntes Gesicht in den Händen. Nun wandte er sich wieder an Mendrieno: «Ausserdem erwarte ich von dir, dass du mir das Schwert des Hochkönigs bringst, es ist irgendwo jenseits der Sonnenberge, am ehesten in Marsat selbst. Ich rate dir, mich nicht noch einmal zu enttäuschen, wie es dein Bruder einst getan hat.»

«Natürlich nicht», erwiderte Mendrieno mit stolzer Stimme, «doch ich hätte noch eine Frage. Wie hofft Ihr die Sonnenberge durchdringen zu können, ohne durch die Tunnel zu marschieren?

«Es gibt nur zwei Wege, und jenen durch Milrea will selbst ich noch nicht gehen», wurde Mendrieno aufgeklärt. Nun schluckte der junge Graf mehrmals leer und stellte die Frage, deren Antwort er schon zu wissen fürchtete: «Kailad Mallabas, die Mallabasfestung? Das ist kaum möglich.»

«Doch, ist es», bekam der Gast zur Antwort, «nur weil dein Bruder versagt hat und es vor zweitausend Jahren nicht geschafft hat die Festung zu stürmen, ist es mir nicht unmöglich. Ich habe genug Skralgas, um die letzten paar Männer des alten Volkes zu vernichten und alles, was jenseits der Sonnenberge ist. Zudem habe ich nun die Todesengel, welche treu für mich kämpfen und welche als Elite das Schwert finden werden. Du wirst einige meiner Todesengel zur Seite gestellt bekommen anstelle deiner unfähigen Nachahmungen, die nur gegen normale Soldaten standhalten konnten. Todesengel der Totenlegion werden Euch begleiten und ebenso einer der Marschälle, bis das Schwert gefunden wird. Ich werde dafür sorgen, dass nicht einmal ein Zehntel meines Heeres, das ich entsende, nötig wäre, um Kailad Mallabas zu zerstören, ich werde ein Heer entsenden, wie es nicht einmal in den Skralgaskriegen vorgekommen ist. Nun, da die Zwillingsstädte nur noch kleine Überbleibsel ihrer einstigen Kraft und kaum mehr bevölkert sind, kann mein Heer ungestört gegen Osten ziehen. Dennoch sollte es durch Ekbar marschieren, da ich Ceyiemnia meiden werde, solange noch irgendwo ein Polariä über ein Reich herrscht.»

Nun wurde Mendrieno bleich im Gesicht, als ihn die lodernden roten Augen seines Gegenübers beinahe zu durchbohren drohten. Er kam auf den jungen Meerschlossfels zu und flüsterte drohend: «In etwas mehr als einem Jahr wirst du dich fragen, wieso du Zweifel hattest, dass die Mallabasfestung eingenommen werden könnte.»

Der junge Graf wollte nichts mehr erwidern und hatte sich bereits abgedreht, als ihm noch ein letzter Gedanke einfiel: «Es sind in den letzten Jahren vermehrt Truppen erschienen, sie sind nie mehr als zu fünft unterwegs. Soll ich diese Truppen auszurotten versuchen, genug Männer hätte ich dafür.»

«Genug Männer», lachte er auf einmal höhnisch und kalt auf, «zu fünft sagst du, dann wirst du kaum genug Männer haben. Je kleiner die Trupps, desto schwieriger sind sie zu finden. Wenn deine Söldner sie suchen, werden sie dabei in grosser Zahl umkommen, eher lässt sich das ganze alte Land jenseits der Sonnenberge erobern, als dass man diese Männer ausrotten könnte. Du scheinst nicht zu wissen, auf was du dich einlässt. Das sind Dailceyibrä, die Bündnisgardisten aus Dailron, versuche gar nicht erst, sie zu bekämpfen, überlasse das mir und meinen Dienern, die Schrekbari werden das erledigen und sie alle vernichten.»

Zweiter Prolog

Erstes Kapitel - Frühlingsreise

Einmal mehr ritten die Kobolde unter der Führung Theophils durch das Tal der Könige, doch das erste Mal ganz hindurch. Sehnsüchtig blickte sich Johann nach den gastfreundlichen Wächtern der imposanten Festung um, während Fredi die Pracht der Baute bestaunte. Zu ihrer Linken sahen sie einen prächtigen Wasserfall aus den Bergen donnern, dessen Wasser unter einer Brücke vor ihren Füssen in Richtung des Mallabas floss. Links neben diesem donnernden Wasserfall sah man die Mündung einer Schlucht, doch statt Wasser führte eine gut gepflasterte Strasse heraus, jene nach Dailron. Die Kobolde ritten auf ihren stattlichen Eseln allerdings an der Abzweigung vorbei in Richtung Osten. Hinter dem imposanten Talaus erblickten sie das scheinbar unendlich weite Grasland Kebairens, dem Gebiet am Ausgang der Sonnenberge, welches sich bis hin zu den Wäldern erstreckte. Viel hatten ihnen die Jäger bei ihrem Aufenthalt erzählt und erklärt, was sie dazu benötigten an ihr Ziel zu gelangen. Immer weiter ritten siegang klappernd über die breite gepflasterte Strasse in Richtung der Wälder jenseits des weiten Graslandes. Einzig kleine Hügel hoben sich von der Ebene ab, doch abgesehen von einigen alten Ruinen war nichts zu sehen, das an Menschen erinnerte. Das einzige, was sie noch erblickten, war eine Herde wilder Hochlandrinder, die von einem Hirten langsam den Sonnenbergen zugetrieben wurden.

«Na so was», hielt sie der Hirte an, als sie an ihm vorbeireiten wollten, «das glaubt man ja kaum. Seid gegrüsst, werte Kobolde, Eure Gesichter sieht man diesseits der Sonnenberge kaum einmal.»

«Seid gegrüsst, werter Hirt», grüsste Theophil höflich zurück, «es wundert mich, dass Ihr uns erkannt habt, denn wir haben erfahren, dass einzig die Menschen des alten Volkes von unserem Dasein wissen.»

Daraufhin erwiderte der Hirt lachend: «Mein Name ist Rendialt, ich bin einer eures sogenannten alten Volkes. Genauso wie Krieger gibt es auch Hirten und alle anderen im Volke der Polariä. Schon viel habe ich über Euer Volk gehört, doch bin ich bisher noch keinem von Euch je begegnet. Allerdings hatte mir mein Vetter einst etwas von einem Kobold erzählt, einem aufgeweckten Kerlchen namens Jakob Korbflechter.»

«Wirklich?», rief Theophil erfreut aus, «Jakob ist mein Onkel, er hat mir einige Male von den Menschen aus dem alten Volk erzählt, doch das hier ist ein grossartiger Zufall.»

Nun sah der Hirt den Anführer des Koboldtrupps staunend an und fragte ihn neugierig: «Was ist denn Euer Ziel, dass Ihr Koboldien verlassen habt und durch das Tal der Könige gekommen seid?»

«Marsat», antwortete der Kobold sogleich, «dort wollen wir hin, um dem neuen Statthalter unsere Ehre zu erweisen und ihm unsere Unterstützung zuzusichern. Was könnt Ihr uns über diesen Herrn Lakalt und Marsat erzählen?»

«Lakalt ist ein anständiger Mann und ein grosser Krieger und Feldherr», kam Rendialt ins Schwärmen, «wir können uns glücklich schätzen, in ihm unseren Anführer gefunden zu haben. Was Marsat betrifft, so freut Euch auf dessen Anblick, Ihr werdet nie mehr etwas derart Prächtiges sehen wie die Stadt der einstigen Könige. Wärt Ihr vor zehn Jahren gekommen, so hättet Ihr eine beinahe unbewohnte Geisterstadt vorgefunden, doch nun sind die Jäger von überall her zurückgekehrt und haben wieder Leben in die Stadt gebracht. Es ist nicht so, dass alle Häuser bewohnt wären, doch allmählich gibt es wieder einige Familien mehr, welche die Stadt langsam bevölkern.»

Gerne hörten die Kobolde die hoffnungsvollen Nachrichten, die der Hirt zu berichten wusste, und lauschten neugierig den weiteren Neuigkeiten. Die Zeit verrann und es wurde schliesslich Mittag, bis sie sich von Rendialt verabschiedeten. Sie ritten weiter über die breite Strasse, und alle Kobolde entzündeten ihre Pfeifen. Der süssliche Duft zog hinter ihnen her durchs Land, während sie sich den Wäldern näherten und sich die Sonne dem Horizont entgegen neigte. Die Distanz zwischen ihnen und dem grünen Band vor ihnen war immer noch beträchtlich, so dass sie beschlossen ein Lager aufzuschlagen, bevor die feurige Kugel zwischen die Sonnenberge niederstürzte und sich der blaue Himmel über ihnen verdunkelte. Genug Gebüsche und Sträucher standen am Strassenrand, um ein kleines Feuer zu entfachen. Im Schutze eines Hügels schlugen sie das Nachtquartier auf, und eine feine Rauchwolke stieg schon bald über der Hügelkuppe zum Himmel auf. Noch während sie ein saftiges Stück Wildschwein über den Flammen brieten, verdunkelte sich der Himmel über ihnen und die ersten Sterne begannen zu funkeln. Die Kartoffeln, die Fredi in einer Bratpfanne briet und die Johann mit Kräutern aus der Umgebung streckte, liessen ihren würzigen Geruch durch die ganze Landschaft gleiten.

Schon bald lief den Kobolden das Wasser im Mund zusammen und sie verschlangen die Mahlzeit gierig nach dem strengen Tagesritt. Als es langsam kälter wurde und auch der letzte goldene Streifen über den Sonnenbergen verschwand, wickelten sie sich in ihre warmen kuschligen Wolldecken.

Gilbert übernahm die erste Wache und blickte wachsam auf das leere fruchtbare Grasland hinaus. Er fragte sich, wie viele Kühe und Schafe wohl hier weiden konnten, hier auf diesen fruchtbaren Wiesen, wie viele es wohl gewesen sein mochten, als das Reich Marsats in seiner Blüte gestanden hatte. Er setzte sich oben auf den Hügel und nahm seine Armbrust zur Hand, während die anderen unten noch am Feuer miteinander schwatzten. Johann wusste die eine oder andere Trinkgeschichte zu erzählen, während Fredi gerne eines seiner Märchen preisgab. Missmutig hörte Gilbert das Gelächter und sah sich nach allen Seiten um. Auf einmal sprang er auf und sah in Richtung Osten, hin zum dunklen Wald. Dort sah er mit seinen scharfen Augen einen einsamen Wagen auf sie zu karren, ein Fuhrwerk gezogen von einem Maultier. Auf dem Bock sassen zwei müde Reisende, einer von ihnen schien zu schlafen, während der andere erschöpft die Zügel in seinen Händen hielt. Langsam kam das klapprige Fuhrwerk auf den Hügel zu, und Gilbert liess seine Armbrust allmählich sinken. Als die anderen ebenfalls das Klappern der Räder auf den harten Pflastersteinen hörten, sprangen sie sofort auf, doch Gilbert beruhigte die Kobolde sogleich mit einer raschen Handbewegung. Johann, der gerade das Feuer löschen wollte, trat zurück, und Theophil, der bereits einen Pfeil auf seine Armbrust aufgelegt hatte, stellte sich neben Gilbert auf den Hügel. Nun erkannten sie, dass der Wagen mit zahlreichen Waren beladen war, doch konnten sie im fahlen Licht des Halbmondes nichts Genaueres erkennen. Auf dem Schoss des schlafenden Mannes lag eine Laute, die er so in seinen müden Händen hielt, dass es schien, als würde er immer noch darauf spielen. Immer näher kam das Fuhrwerk, bis der Kutscher schliesslich anhielt und auf einmal in der Luft zu schnuppern begann. Er sah sich misstrauisch um und zog unter dem Bock ein Breitschwert hervor. Bevor er überhaupt den Bock verlassen und dabei seinen Gefährten wecken konnte, hörte er Gilberts Stimme: «Seid gegrüsst Reisender, ich sehe, Ihr wollt uns sicherlich nichts Böses, so kommt und ruht Euch an unserem gemütlichen Feuerchen aus.»

Erschrocken drehte sich der Händler im Kreis und fuchtelte mit seinem Schwert wild in der Luft herum. Auf einmal flammte jedoch eine kleine Fackel auf und brachte das Gesicht eines sonderbaren Kerlchens zum Vorschein, jenes von Gilbert Hofheimer. Als dieser den verwirrten Ausdruck des Reisenden sah, huschte ein belustigtes Lächeln über sein Gesicht und liess seine schneeweissen Zähne aufblitzen. Es ging nicht lange und die anderen Kobolde erschienen an der Seite ihres Kameraden, so dass der Mann immer verwirrter dreinschaute und dann seinen Kumpan weckte, um sicher zu gehen, dass nicht nur er diese Gestalten sah.

Dieser schreckte hoch und sah die Kobolde ebenso sprachlos an, wie sein Gefährte es getan hatte. Dieser murmelte allerdings auf einmal einige Verse vor sich hin und musterte währenddessen die Kobolde von ihren Wuschelköpfen bis hin zu ihren Holzbodensandalen:

«Spitze Ohren

Spitze Pfeile

Zu grossen Kriegern erkoren

Selbst tapfer hängend an einem Seile

Das Ziel getroffen

Die Schlacht gewonnen

Doch dann wird gesoffen

Und ihre Sorgen sind zerronnen

Krug um Krug

Wird getrunken

Das ist kein Trug

Und auch nicht erstunken

Die Fässer leeren sich

Der Kopf wird schwer

Doch würden andere kleinlich

Wollen die Kobolde noch mehr.»

Anschliessend fasste sich der Mann auf dem Bock wieder und rief überrascht aus: «Ihr müsst Kobolde sein, niemals hätte ich geglaubt, dass es Euch wirklich gibt. Einst habe ich dieses Gedicht von wandernden Jägern in den Wäldern gehört, doch habe ich es immer für ein Märchen gehalten. Ich bin Barde, müsst Ihr wissen, ich kenne unzählige Gedichte und Verse, viele wahre Zeilen, doch noch mehr erfundene, so wurde heute allerdings eines meiner Gedichte zu einem wahren, während ich es immer für eine Sage hielt. Entschuldigt meine Unhöflichkeit, mein Name ist Nekel, ich reise hier umher und suche nach Neuigkeiten und neuen Stoffen für meine Lieder. Hier in dieser Gegend gibt es so viele davon, die im Süden niemand kennt.»

Als der reisende Barde geendet hatte, stellte sich sein Gefährte vor: «Ich bin Kerei, ein Händler aus Periula, einer Hafenstadt im Reiche Cammal. Ich war hier auf der Suche nach Waren, die so einzigartig sind, dass ich womöglich mein Familienunternehmen noch retten kann. Allzu gerne wüsste ich allerdings die Namen Eurer Kumpane, Herr Hofheimer.»

Gilbert stellte daraufhin alle anderen Kobolde vor, als letzten Theophil, der vortrat, als er als Anführer genannt wurde. Erst jetzt erkannte der Barde, dass diese aufgeweckten, harmlos scheinenden Kerlchen bis an die Zähne bewaffnet waren. Jeder von ihnen hatte einen langen Säbel und einen Dolch mit scharfer Klinge im Gürtel stecken und daneben etwas Kugelförmiges an einer Schnur hängen. In der Hand hielt jeder seine Armbrust und einen Pfeil, der nur darauf wartete aufgelegt zu werden. Respektvoll sahen die beiden Reisenden die Kobolde an und Kerei fuhr fort: «Gerne nehmen wir Euer Angebot an und gesellen uns zu Euch, denn Ihr scheint mehr als gut gerüstet zu sein, sollten uns selbst in dieser Gegend Banditen überfallen, was ich allerdings bezweifle. Es heisst, hier würde es kaum ein Bandit wagen Überfälle zu verüben, denn es sei ein grosses Gebiet der Jäger, ausserdem gibt es hier kaum Reisende.» Während er sprach, zog eine Wolke am Mond vorbei und verdunkelte den Sternenhimmel kurzzeitig, doch bald erhellte das fahle Mondlicht wieder das Dunkel der Nacht und sorgte dafür, dass die beiden Ankömmlinge ihr Fuhrwerk ohne grössere Mühe zum Feuer führen konnten. Bald hatten es sich diese ebenfalls unter ihren Decken bequem gemacht, nachdem sie noch die Reste der Koboldmahlzeit und einen Teil ihres Proviants gegessen hatten. Während nun Johann seine Wache angetreten hatte, hörte Nekel aufmerksam den Geschichten der Kobolde zu und schien sie sich einzuprägen, besonders eines, das Fredi erzählte:

«Grüne Bäume, grüne Weid

Tanzende Mädchen

Heut gibt’s kein Leid

Klare Bäche, roter Wein

Singende Vögel

Heut ist niemand allein

Schillernde Falter, röhrender Stier

Durstige Männer

Trinkt Euer schäumendes Bier

Blauer Himmel, weisse Fluh

Freude neues Leben

Seht das Kalb der Kuh

Tiefblaue Seen, bunte Heid

Tanzende Mädchen

Tragt Euer schönstes Kleid

Grüne Hügel, hohe Eichen

Alle Kobolde

Es soll zur Freude gereichen.»

Staunend hörte der Barde den wohlklingenden Worten zu und sprach sie leise für sich selbst einige Male nach. Kerei lag währenddessen ausgestreckt unter seiner Wolldecke und blickte in den klaren Sternenhimmel, während die fröhlichen Worte der Kobolde erklangen.

Es wurde immer später und die Augenlieder der Gestalten um das Feuer wurden schwerer. Schliesslich meinte Theophil mit einem Gähnen: «So, nun sollten wir uns endlich schlafen legen, morgen liegt ein langer Ritt vor uns.»

Die anderen nickten zustimmend und kuschelten sich ebenfalls in ihre Wolldecken. Ein Kobold nach dem anderen übernahm die Wachschicht, während die anderen eingerollt um das kleine Feuer lagen und vor sich hin schnarchten. Die dünne Rauchfahne wurde vom kühlen Nachtwind in Richtung der Sonnenberge getragen und verteilte sich über den endlosen Graslanden Kebairens. Die nächtliche Stille umfing sie alle und liess sie friedlich durch ihre Träume wandeln.

Früh erschien am nächsten Morgen die Sonne über dem Wald und liess die Sonnenberge golden erstrahlen, so, dass jedem, der sie sah, ihr Name klar wurde. Die weiten Weiden standen nun in voller Pracht und die vereinzelten Bäume ragten majestätisch aus den Wiesen empor. Das Feuer war ausgebrannt, einzig eine feine Glut leuchtete noch in einem matten Rot und liess ganz feine Rauchschwaden emporsteigen. Alle waren schon auf und packten ihre Sachen zusammen. Das Maultier wurde wieder vor das Fuhrwerk gespannt und vorsichtig zurück zur Strasse geführt. Die Kobolde hatten ebenfalls ihre Esel gesattelt und leiteten sie an ihren Halftern zurück zur Strasse.

«Wohin werdet Ihr nun gehen?», fragte Theophil Nekel. «Nach Waldnam», antwortete der Barde und streckte sich mit einem tiefen Gähnen, «es heisst, es gebe einen Jäger, der sich gegen den Bürgermeister der Stadt stelle. Viele beschreiben ihn als Helden, da er sich gegen diesen Tyrannen auflehnt, der in einem grossen Palast wohnt, während viele Bürger kaum zu Essen haben. Ich will etwas über ihn erfahren, um dann Heldenlieder in die Welt hinauszutragen. Wohin führt Euch Euer Weg?»

«Nach Marsat», erwiderte der Anführer der Kobolde beiläufig ohne sich dabei etwas Besonderes zu denken. Der Barde schien allerdings erschrocken zu sein und sah den Kobold mit ängstlicher Miene warnend an: «Geht nicht dorthin, diese Stadt ist verhext, böse Geister treiben dort ihr Unwesen, Geister grosser Krieger, die keine Fremden in ihrer prächtigen Stadt dulden.»

Johann nebenan begann zu Grinsen und bemerkte etwas höhnisch: «Das wäre dann vermutlich ein unwahres Gedicht gewesen, das Ihr da mitbekommen habt.»

«Nein, das ist weder ein Gedicht noch ein Gerücht», widersprach Nekel verärgert, «das habe ich in Cammal am Hofe erfahren. Mir wurde erzählt, die Geister dieser Stadt wollten alles erobern, was es gibt, einzig der König von Cammal könne sie im Zaum halten.»

«Klingt nach ziemlich heftiger Propaganda, die sich dort abspielt, doch lasst es unsere Sorge sein, sollten wir von diesen Geistern entführt werden», entgegnete nun Gilbert mit einem breiten zynischen Lachen. Nekel fand es hingegen kein bisschen lustig, dass er mit seiner Grösse sich vor dieser Stadt fürchtete, während diese kleinen Kerlchen genau dorthin gehen wollten.

Sie sprachen noch eine Weile miteinander, bis sie sich schliesslich voneinander verabschiedeten und der Händler zusammen mit dem Barden den Sonnenbergen entgegen fuhr, während die Kobolde auf den Sonnenaufgang zuritten.

Zweites Kapitel - Schattenglanz

Sie rochen endlich die salzige feuchte Luft, die ihnen im Tal der Könige beschrieben worden war. Lange konnte der Weg vor ihnen nun nicht mehr sein, bis sie endlich ihr Ziel erreichen würden. Immer wieder sahen sie grosse Gehöfte auf den weiten Wiesen stehen, Gehöfte, deren Felder und Weiden grösser waren als zahlreiche Gebiete Koboldiens. Sie fühlten sich bereits wieder erschöpft, obwohl sie noch nicht lange geritten waren und erst gerade etwas zum Morgenessen gespeist hatten. Die Sonne war hinter der Hügelkuppe, die vor ihnen lag, noch nicht zu sehen, und sie ritten auf ihren edlen Eseln durch den Schatten des kühlen Morgens. Immer weiter führte sie die Strasse auf die Kuppe hinauf, bis ihnen die goldenen Strahlen der Morgensonne schliesslich ins Gesicht leuchtete. Die Sonne erstrahlte weit über der silbernen See gerade über einem Berg, der sich aus goldenen Wogen zu erheben schien. Auf der Spitze des Berges glitzerte etwas beinahe so hell wie die Sonne selbst. Die Kobolde benötigten eine Weile, bis sich ihre Knopfaugen an das grelle Sonnenlicht gewöhnt hatten und sie erkannten, was es wirklich war.

«Das ist das Dach eines Palastes», rief Fredi Gurbert auf einmal aus, «da ist eine Stadt auf dem Berg.»

Tatsächlich entdeckten nun auch die anderen, was der jüngste von ihnen bereits erblickt hatte. Staunend sahen sie, wie sich im Schatten des Berges Häuser und Mauern bis hinauf zu jenem Palast zogen, dessen glitzerndes Kristalldach sie umso mehr bestaunten. Der Palast der Könige von einst zog ihre Blicke so in seinen Bann, dass sie nicht einmal Augen für den prächtigen Palast des Statthalters weiter untern hatten. Auf einmal erkannten sie, dass das nicht alles war, mit offenen Mündern sahen sie, dass sich am Fusse des Berges weit über das Land Steinhäuser erstreckten, hohe massive Häuser und Bauten hinter einer eindrücklichen Mauer, die das ganze Werk umgab. Weit in der Ferne, jenseits dieser Bauten, sah man die goldene Fläche des Ozeans, der fliessend in die Stadt überzugehen schien. Dort sahen sie es bereits vom Hügel aus, die Windgreif, das Schiff des Königs. Allerdings war es aus dieser Entfernung nur winzig klein, so unscheinbar, dass die Kobolde die wahre Grösse des Stolzes der Flotte von Marsat noch nicht erkennen konnten. Weit in der Ferne auf dem golden glänzenden Meer sahen sie einen winzigen Punkt, doch schien es kein Schiff zu sein, sondern eine Insel, die durch die milchige Luft schimmerte, jene Insel, auf der die Hocheyilreä aus Eyilrea zur Dunkelsten Stunde gelandet waren, ehe das Eis sie begrub. Staunend ritten sie auf das grosse bläulich schimmernde Eisentor vor ihnen auf der Ebene zu.

Das Reiten über den sonnigen Hang wärmte die Felle ihrer Reittiere auf und liess sie schwitzen. Eine Weile waren sie unterwegs, bis sie schliesslich die Ebene vor der imposanten Mauer erreichten und wieder geradeaus reiten konnten. Die Sonne stand schon fast senkrecht über ihnen, als Theophil einen letzten Halt vorschlug, bevor sie in dieses gigantische Werk eintreten würden. Niemand hatte etwas dagegen noch einen Happen zu speisen, ehe sie weiterreiten würden. Die Mittagspause wurde allerdings kurz gehalten, und so sassen die Kerlchen mit ihrem lockigen Haar bald wieder auf ihren müden Eseln. Diese hatten ihre Mägen mit frischen Gräsern und Kräutern gefüllt, so dass sie ihre schweren Hufe auch noch das Wegstück über die harte Pflasterstrasse zur Mauer tragen mochten. Theophil ritt ihnen voraus und blickte mit strahlendem Gesicht hin zum offenen Tor. Die Sonne schien ihnen nun in den Nacken und beleuchtete das Bauwerk vor ihnen, das in den goldenen Strahlen noch eindrücklicher wirkte. Sie waren bereits so nahe, dass Gilbert das Birkenblatt auf den Torflügeln erkennen konnte und sich an die prächtige Mallabasfestung erinnerte.

«Das Tal der Könige war nichts dagegen, wie kann eine lebende Hand etwas derart Mächtiges und Prächtiges erschaffen?», bemerkte der Bote aus Koboldien staunend.

Die anderen nickten ihm zustimmend zu, doch schwiegen sie und genossen den Anblick der Mauer, die immer näher kam. Der Berg in einiger Entfernung erhob sich noch majestätischer und wurde vom golden glänzenden Dach des Plastes gekrönt.

Ein Wagen karrte ihnen entgegen, ein grosser Wagen gespannt hinter drei Pferden. Der Dreispänner näherte sich und die Kobolde erkannten, dass sich auf der langen Ladefläche zahlreiche leere Milchkannen stapelten. Die kräftigen Pferde zogen den Wagen leichthufig auf einen breiten gepflasterten Feldweg zu einem grossen Gehöft in südlicher Richtung. Zahlreiche Ställe waren dort zu sehen, umgeben von weiten Feldern und Äckern. Den Hang hin zur Hügelkette hinauf zogen sich Weinreben und Obstbäume, die den Hügel in ein frisches Grün tauchten. Die Fruchtbarkeit dieser Landstriche liess sich regelrecht einsaugen und war in der Luft zu spüren.

Der Mann auf dem Bock grüsste die Kobolde höflich, bevor er abbog, doch schien es ihn nicht zu verwundern, die Kerlchen aus dem fernen Land hier anzutreffen.

Die Wachen liessen die Kobolde sofort passieren, nachdem sie sie von Kopf bis Fuss gemustert hatten. Unheimlich schien den kleinen Kerlchen der Gang durch den Torbogen, es war ihnen, als würden sie unter einer hohen Brücke durchreiten. Ihre Esel trugen sie in die Stadt hinein, hinein zwischen die hohen Häuser mit ihren grossen Fenstern. Kaum jemand war hier zu sehen, einzig einige Wagen kreuzten ihren Weg, ansonsten schien es wirklich eine Geisterstadt zu sein, wie der Barde es berichtet hatte. Dennoch sahen sie allmählich mehr Menschen, je weiter sie in die imposante Stadt hineinritten. Kinder spielten auf der Strasse und Frauen schüttelten die Decken aus den Fenstern. Der salzige Geruch der See wurde immer stärker und sie zogen ihn durch ihre feinen Nasen tief ein, bis sie es schliesslich erblickten, das Meer. Weit erstreckte es sich zwischen die Häuser herein und bildete das grosse Hafenbecken. Staunend blieben die Kobolde stehen, als sie zwischen den Häusern herausritten und sich vor ihnen der Hafen öffnete. Das Becken war von grossen edlen Bauten umgeben. Manche erhoben sich palastähnlich hinter dem grossen Platz, alle trugen das Blatt der Polariä über der Eingangspforte. Doch die Blicke der Kobolde wurden von etwas anderem eingefangen. Mit offenem Mund starrte Fredi die Windgreif an, die etwas weiter draussen vor Anker lag. In den Augen der Kobolde liess sie alle Schiffe rund herum erblassen, obwohl diese mit ihrer Pracht beinahe alles übertrafen, was die Boten aus Koboldien je gesehen hatten. Ein grosser breiter Platz umgab das Becken, ein Platz aus weissem Marmor, der in der Abendsonne golden strahlte. Die Leute tummelten sich nur so auf dem Platz und gaben diesem Teil der Stadt einen belebten Ausdruck, keineswegs jenen einer Geisterstadt. Viele kleine Boote lagen an einem Kai vor Anker. Es schienen Fischerboote zu sein, doch erkannten die Kobolde, dass diese vermeintliche Boote grösser waren als viele Koboldbauten und ihr Mast höher als zahlreiche Wohnbäume. Nebenan stand ein hohes Haus mit einem silbernen Fisch, der davor aushing. Neugierig sahen sich die Boten aus Koboldien um, bis schliesslich ein bewaffneter Trupp von Männern an ihnen vorbeimarschierte. Ihre silberblauen Rüstungen glänzten in der Abendsonne, das Birkenblatt auf ihrer Brust strahlte umso mehr. Sogleich hielten sie vor den kleinen Ankömmlingen und derjenige, der ihr Anführer zu sein schien, trat vor: «Ihr werdet wohl die Kobolde sein, von denen wir gehört haben, oder? Was führt Euch hierher nach Marsat?»

«Wir kommen aus Koboldien, die Tagsatzung sendet uns, um uns mit Eurem Anführer, dem Herrn Statthalter Lakalt zu treffen», erklärte Theophil und verneigte sich leicht vor dem Palastwachen.

Dieser setzte ein gutmütiges Lächeln auf und fuhr anschliessend fort: «Wir sind ebenfalls auf dem Weg zu ihm, Ihr könnt uns sogleich folgen. Ihr und Eure Esel habt Glück, denn der Statthalter bevorzugt es zurzeit, hier unten am Hafen sich um seine Angelegenheiten zu kümmern.»

Der Trupp setzte sich wieder in Bewegung und folgte den Männern der Palastwache in Richtung eines palastartigen Hauses mitten am Hafen. Eine flache Treppe führte unter einem säulengetragenen Dach zu einer hohen stählernen Pforte. Diese Baute trug wie die glanzvollen Paläste ebenfalls ein Dach aus Kristallglas und leuchtete golden in der gleissenden Abendsonne. Viele Zeichen waren in den weissen Stein eingemeisselt worden, eine Art Schriftzeichen, die die Kobolde nicht lesen konnten. Vor dem Gebäude stand ein Brunnen, der aus birkenblattförmig gemeisselten Steinen zu einer Blüte geformt war.

«Das war einst das Hauptgebäude der Teilflotte von Marsat», begann die Palastwache zu erklären, «hier hatten sich die Admiräle mit dem König und dem Statthalter getroffen, doch sind diese Tage schon längst vergangen. Allerdings ist die Einrichtung geblieben ebenso wie die zahlreichen Karten. Der Statthalter hat es sich der Einfachheit halber zum Geschäftssitz genommen.»

In der Tat war es ein eindrückliches Gebäude, dessen Goldverzierungen den Kobolden erst beim näheren Ansehen auffielen. Ihre Esel wurden sogleich fortgeführt und konnten im Schatten frischen Hafer mampfen und kaltes Wasser süffeln. Vor diesem Gebäude standen ebenfalls zwei dieser edel dreinblickenden furchteinflössenden Wachen wie jene, welche die Kobolde begleiteten. Als diese sahen, dass die kleinen Kerlchen in Begleitung anderer Palastwachen unterwegs waren, liessen sie sie ohne weitere Fragen zu stellen passieren. Der eine der beiden musterte die Reisenden aus dem fremden Land neugierig und sah ihnen nach, als sie durch die schwere Pforte in die hohe Eingangshalle des Gebäudes traten. Es war eine helle Halle unter der gläsernen Kuppel, die von aussen sichtbar gewesen war. Nichtsdestotrotz brannten geheimnisvolle Lichter an den Wänden und erhellten den Saal mit seinem Springbrunnen, der ebenfalls die Blüte aus Birkenblätter darstellte, jedoch, im Gegensatz zu seinem Gegenstück vor dem Gebäude, aus Metall gegossen war. Entzückt bewunderten die Kobolde die Statuen im Säulenkreis rund um den Brunnen und bestaunten deren feine Konturen. Nach hinten führten zwei Treppen bogenförmig in das zweite Stockwerk, während im ersten eine hohe Pforte aus Eichenholz eingelassen war. Sie trug ebenfalls ein aus Gold gegossenes Wappen, jenes des Birkenblatts mit dem Schwert.

Die beiden Flügel standen ein wenig offen, und die Besucher aus Koboldien sahen, dass sich dahinter ein weiterer eindrücklicher Saal eröffnete. Dort wurden sie nun hineingeführt und blieben staunend stehen. Das lange Dach wurde von hohen Säulen getragen und bestand ebenfalls aus Kristallglas. Grosse Landkarten hingen zwischen den Säulen, Seite an Seite mit wundervollen Gemälden, die grosse Kriegsschiffe zeigten auf ruhiger See oder dann auch wieder erfasst von wildem Sturm. Mehrere grosse runde Tische standen entlang der Saalmitte, sie waren aus weissem Marmor und mit feinen Goldarbeiten verziert. Am hintersten dieser Tische standen mehrere Männer über etwas gebückt, doch konnte keiner der Kobolde erkennen, was es war. Nur wenige dieser Männer schienen alt zu sein, die meisten sahen nicht älter aus als dreissig Jahre, doch konnte sich Fredi gut daran erinnern, was ihm auf der Mallabasfestung erzählt worden war, nämlich dass die Menschen des alten Volkes nur langsam altern. Als sie näher kamen, hob einer der Männer den Kopf, er schien der jüngste zu sein. In raschem Schritt kam er auf die Kobolde zu und stellte sich breitbeinig vor die Reisenden aus Koboldien hin.

«Seid gegrüsst, Kobolde aus dem Westen, welche Gründe führen Euch hierher nach Marsat?», begann der Mann freundlich. Theophil stellte sich vor die anderen Kobolde und entgegnete seinerseits ebenso höflich: «Wir wurden entsandt, um einen gewissen Herrn Statthalter Lakalt von Marsat aufzusuchen, könntet Ihr uns vielleicht zu ihm führen?»

«Ihr steht vor ihm», erwiderte der Mann in seiner gewöhnlichen Kleidung mit einem breiten Grinsen im Gesicht, «ich weiss, ich sehe nicht so aus, als würde ich die einst mächtigste Stadt diesseits der Sonnenberge regieren. Allerdings gibt es auch nicht viel zu regieren, die Menschen hier klären ihre Angelegenheiten unter sich.»

Die Kobolde verbeugten sich tief vor dem Statthalter, und Theophil bekundete sogleich seine Freude: «Mein Name ist Theophil Korbflechter, ich bin der Anführer unserer kleinen Unternehmung im Auftrag der Tagsatzung Koboldiens. Es ist uns eine Ehre, Euch begegnen zu dürfen, Herr Lakalt von Marsat. Wir wurden zu Euch gesandt, um Euch unsere Bereitschaft zur Wiederaufnahme des alten Bündnisses zu bekunden. Ausserdem wären wir froh, hier bei Euch Rat zu finden, denn es scheint, als hätte sich vieles in der Welt geändert, doch nur das Wenigste zum Guten.»

«Es freut mich, Euch hier begrüssen zu dürfen», entgegnete Lakalt höflich, «ich habe bereits einiges über Euer Volk gehört und gelesen, doch habe ich selbst noch nie einen Angehörigen des edlen Volkes der Kobolde getroffen. Umso mehr freut es mich, dass Ihr unser sagenumwobenes Bündnis erneuern wollt. Das ist etwas, das mir sehr viel bedeutet und für Marsat von grösster Wichtigkeit ist, denn unser Reich ist noch nicht lange wiederbelebt worden, und wie Ihr beim Betreten der Stadt wohl gesehen habt, sind wir nicht annähernd so viele wie zu den längst vergangenen Glanzzeiten unseres Volkes, als den Berichten nach eine enge Beziehung zwischen unseren Völkern geherrscht haben soll. Im Norden mag es ja einige Städte geben, die noch bevölkert sind, doch werden wir auch mit deren Hilfe alleine nicht dorthin zurückgelangen, wo wir einst standen.»

«Wie wir erfahren haben, ist das Bündnis niemals erloschen, sondern hat mit der Bündnisstadt, der verborgenen Stadt in den Bergen, weitergelebt», sagte Theophil in demütigem Tonfall.

«Das ist wahr», antwortete der Statthalter zustimmend, «ich habe ebenfalls von dieser verborgenen Stadt hinter den hohen Pässen der Sonnenberge erfahren und auch schon Besuch von einigen aus ihrer Garde erhalten, einer meiner Bekannten lebt nun dort.»

Der Statthalter schien sich gut mit den Kobolden zu verstehen und so kam Theophil gleich zur Sache: «Etwas ist geschehen, wovon wir Euch unbedingt berichten müssen, um Euch zu warnen und Euren Rat einzuholen. Einiges scheint sich zu ändern, denn nahe unserer Grenze haben wir Kreaturen gesichtet oder besser gesagt Schatten. Kreaturen, die uns beinahe das Blut in den Adern gefrieren liessen. Pfeile konnten ihnen nichts anhaben, nur die Skralgas wurden davon getötet. Einzig Schwerter können sie töten oder, wenn man den Bündnisgardisten glaubt, dem lebenden Tod dieser Schatten ein Ende setzen, um sie in den richtigen Tod zu schicken.»

Schockiert hörte ihm Lakalt zu, während der Kobold von der Grausamkeit dieser schrecklichen Kreaturen berichtete.

«Sie liessen keine Leiber zurück, wenn sie besiegt wurden, sondern verschwanden mit einem Blitz. Nur ihre schwarzen Masken blieben liegen und verbrannten langsam», fuhr der Kobold mit ängstlicher Miene fort, «niemand konnte uns genau sagen, wer sie waren und woher sie kamen, einzig einige der Bündnisgardisten meinten, dass ihre schlimmsten Befürchtungen wahr werden könnten. Manche behaupteten, es seien seine höchsten Diener.»

Nun wurde selbst das Gesicht des Statthalters blass, dennoch versuchte er seine Fassung nicht zu verlieren und entgegnete langsam: «Ich habe Sagen gelesen und Geschichten gehört über jene, die sich dem Schicksal nicht hingeben möchten und ein längeres Leben voller Lasten antreten wollen, um ihrem endgültigen Schlaf zu entkommen. Eine grausame Qual muss es sein, doch werden sie auf diese Weise zu den treusten Dienern von ihm, dessen Name ich nicht einmal kenne, doch dessen böse Macht diesen Kreaturen unzählige weitere Jahre in seinem Dienste verleiht.»

Geschichte

Erstes Kapitel – Sommerliebe

Leise schlichen die Männer in ihren dunklen Mänteln durch das Unterholz, ihre Armbrüste hielten sie abschussbereit in der Hand. Glirior kroch voraus und flüsterte: «Hier sollen sich die Banditen aufhalten, bald sollten wir an dieser Hohlgasse sein. Dort warten wir am besten, bis sie zuschlagen und überraschen sie dann.»

Die fünf Männer krochen weiter und versuchten jedes kleinste Geräusch zu verhindern, einzig Jilior zweifelte: «Und wenn die Reisenden bereits zu Schaden kommen? Wäre es nicht klüger die Banditen zuvor anzugreifen?»

«Nein», erwiderte Glirior, «erstens müssten wir ihr Lager finden, und wenn wir sie vor ihrem Angriff überraschen, sind sie vermutlich noch im Wald, und wir können nicht alle erwischen. Ausserdem haben wir ja keine Ahnung, wie viele es sind.»

«Ich denke, sie halten sich etwas westlicher, um nicht zu nahe an Altfestungshausen zu sein», warf Larior ein. Vier Jahre waren nun vergangen, seit er damals mit Grendair in Dailron angekommen war. Glirior sah ihn fragend an und erinnerte sich, dass Larior diese Gegend gut kannte. Er meinte: «Gut, du kennst dich hier aus. Dann können wir heute mal sehen, was deine selbst geschmiedeten Schwerter leisten können. Ich hoffe, das dünne Ding zersplittert nicht.»

Bei diesen Worten strich der Anführer über das einfache Heft des Schwertes zu seiner Linken und lockerte es etwas in der Scheide, so dass im Unterholz eine bläulich schimmernde Klinge aufblitzte.

Sie schlichen noch etwa einen Kilometer weiter nach Norden, wo die grosse Strasse einem Hohlweg glich. Das Gebüsch um sie herum wurde immer dichter und die Bäume immer höher. Die Morgendämmerung war noch nicht angebrochen, nur der helle Mondschein vermochte das Unterholz zu durchdringen. Aus der Ferne durchzog beissender Rauch die Büsche und erreichte ihre Nasen. Sie waren froh, dass sie Tücher über ihre Münder und den grössten Teil ihres Gesichts trugen. Sie krochen nicht weit abseits der Strasse ihrem Ziel entgegen. Dabei erklärte Glirior: «Nach dem Waffenstillstand werden viele Wagen nach Brückstadt fahren, Isula wird Nachschub dorthin entsenden für den Fall, dass der Waffenstillstand bricht.»

Bald kamen sie einen Hügel hinauf, das Moos unter ihnen war glitschig und feucht, doch die Männer liessen sich davon nicht beirren. Sie spürten, wie neben ihnen ein Steilhang abfiel und sahen im langsam aufkommenden Dämmerlicht, dass hier der Abhang zur grossen Strasse war. Es ging eine Weile, bis sie endlich Hufgetrappel hörten, doch erklang es noch aus einiger Entfernung. Auf der anderen Seite des Durchstichs knackte etwas, doch konnten sie den Grund nicht erkennen. Die Sonne kam bereits am Horizont zum Vorschein, der Durchstich lag aber weiterhin im Schatten. Das Hufgetrappel kam immer näher, und die Männer der Bündnisgarde versuchten zwischen den Büschen hinauszusehen. In der Ferne sahen sie eine Kutsche, begleitet von zahlreichen bewaffneten Reitern auf den Durchstich zukommen. Zuvorderst ritten drei Männer, die Larior sofort als Ritter erkannte. Kurz darauf erkannte er, dass es sich bei einem von ihnen um Arak handelte, einen anderen erkannte er bald als Haldak und dazu war Gelak bei ihnen. Doch was so wertvoll sein konnte, dass es von drei Rittern und zwanzig berittenen Schlosswachen begleitet wurde, konnte Larior sich nicht erklären. Kurz vor dem Durchstich gab Arak ein Zeichen, und alle Reiter lockerten die Schwerter in ihren Scheiden. Als sie den ganzen Tross erblickten, meinte Jilior beruhigt: «Ich glaube nicht, dass Banditen eine so gut bewachte Kutsche ausrauben wollen. Ich denke, wir können uns etwas zurückziehen und noch abwarten.»

Glirior nickte zustimmend und die beiden anderen folgten ihm, einzig Larior wollte noch Arak beobachten. Bald erkannte er, dass bei den reitenden Schlosswachen auch Greg dabei war. Der junge Bündnisgardist sah, wie sie alle vorbeiritten, mehrere Gesichter, die er kannte, die jedoch bereits merklich gealtert hatten und vom zermürbenden Krieg gezeichnet waren. Schliesslich wollte auch er sich gerade abwenden, doch auf einmal erklang ein schriller Schmerzensschrei vom hintersten Reiter, welcher sich an die Brust griff und daraufhin vom Pferd stürzte. Die anderen wollten sogleich beschleunigen und fliehen, als donnernd mehrere Holzstämme und Steine vor ihnen auf die Strasse niedergingen. Der Weg vor ihnen war abgeschnitten, der Kutscher versuchte sofort sein Gespann zum Wenden zu bringen, doch seine Pferde bockten und drohten durchzugehen, als auf einmal ein Pfeil an ihnen vorbeisauste. Die Reiter hielten ihre Schilde hoch und konnten die Pfeile abwehren, die auf sie zukamen, doch mehrere ihrer Pferde wurden getroffen und warfen ihre Reiter ab. Es schien niemand weiteren zu treffen, als plötzlich Schlachtrufe über ihnen erklangen. Arak sah, wie zahlreiche gut gerüstete Banditen den Steilhang heruntergerannt kamen. Ihr Strom schien nicht zu enden, es waren gut doppelt so viele wie sie selbst.

«In Stellung!», schrie der Prinz seine Männer an, welche daraufhin versuchten, so rasch wie möglich einen Schildwall aufzubauen. Mehrere legten Pfeile auf ihre Bögen und schossen sie den nahenden Banditen entgegen. Manche von diesen brachen zusammen und rollten auf den Schildwall zu. Ihre Verteidigung schien erfolgsversprechend und undurchdringbar für die ungeordneten Banditen. Dann erschrak Arak, am Waldrand über ihnen erschienen Männer in ihren schwarzen Umhängen und silbernen Helmen. Stolz erhoben sie sich dort in einer geordneten Linie mit gezogenen schimmernden Klingen.

«Todesengel!», schrie der Prinz, «haltet ihnen stand!» Als die Banditen auf den Schildwall der Truppen Cammals stiessen, stachen die Schlosswachen wild und erfolgreich drauf los, doch dann schwirrte ihnen ein Pfeilhagel entgegen, viele brachen zusammen und der Schildwall bekam Lücken. Bald stürmten auch die Todesengel nach, und Haldak sah den Prinzen voller Verzweiflung an. Einer von ihnen stürzte sich gerade zwischen die beiden Ritter und wollte Haldak sein Schwert in die Brust rammen, als plötzlich ein Pfeilbolzen seinen silbernen Helm durchdrang und er regungslos niederging. Vier weitere gut gezielte Bolzen folgten und durchdrangen die Rüstungen der Todesengel, als wären sie aus weichem Stoff. Sogleich folgten zahlreiche weitere Pfeile und streckten mehrere der Angreifer nieder, doch sie blieben weiterhin zahlreich. Als einer von ihnen schliesslich die Kutsche erreichte, erschallte ein lautes «Jetzt!» durch den Durchstich, die Todesengel und Banditen hielten kurz inne. Dann brachen sie jedoch in lautes höhnisches Gelächter aus, als sie gerade einmal fünf Männer in dreckigen Mänteln den gegenüberliegenden Hang herunterrennen sahen. Umso wilder versuchten sie die letzten Streiter Cammals zu besiegen und zu töten. Diese wehrten sich tapfer, besonders Haldak, Gelak und Arak, welche in einem Dreieck gegen die heranstürmenden Feinde kämpften. Die Banditen wussten nicht, wie sie die drei Männer in ihren roten Umhängen besiegen sollten, doch die Todesengel stürzten sich furchtlos auf den Prinzen und die beiden Ritter.