Die Zeit der Hochkönige - Treue - Zweites Buch - Luca C. Heinrich - E-Book

Die Zeit der Hochkönige - Treue - Zweites Buch E-Book

Luca C. Heinrich

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Beschreibung

«Sie wollen uns alles nehmen, was wir lieben, alles Gute. Deshalb müssen wir kämpfen, kämpfen für das Gute, unsere Freiheit und alles, was wir lieben.» Der Schatten kriecht aus den Bergen und kommt drohend näher, doch die Menschen Cammals treten ihm entgegen. Der Feind besitzt nun ein Gesicht, doch ist dieses grausamer als alle Feinde, denen sie sich je gestellt haben. Geheimnisvolle und grauenhafte Wesen treten in Erscheinung, die selbst dem alten Volk fremd sind. Die Zeit ist gekommen, da große Heldentaten gefordert sind, um das Böse im Zaum zu halten.

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Seitenzahl: 322

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Erster Teil: Treue

Erstes Buch

Zweites Buch

Drittes Buch

Zweiter Teil: Ehre

Viertes Buch

Fünftes Buch

Sechstes Buch

Dritter Teil: Freiheit

Siebtes Buch

Achtes Buch

Neuntes Buch

Treue – Zweites Buch

Inhalt

Karten

Areyiticä

Koboldien

Garland

Cammal

Prolog

Herbstsee

Geschichte

Erstes Kapitel - Herbstritter

Zweites Kapitel - Herbsternte

Drittes Kapitel - Sonnenrückkehr

Viertes Kapitel - Herbstreise

Fünftes Kapitel - Wellenstadt

Sechstes Kapitel - Oktobernebel

Siebtes Kapitel - Herbstgold

Achtes Kapitel - Herbstleid

Neuntes Kapitel - Sonnenheim

Zehntes Kapitel - Morgenschlacht

Elftes Kapitel - Herbstgarde

Zwölftes Kapitel - Klippendrang

Dreizehntes Kapitel - Herbsttrauer

Areyiticä

Koboldien

Garland

Cammal

Treue

Zweites Buch

„So ist das nun mal im Krieg. Du gewinnst oder verlierst - und der Unterschied ist nur ein Wimpernschlag.“ (Douglas MacArthur)

Prolog

Herbstsee

Es war nun Herbst geworden, mehrere Monate bevor Haldak nach Gar kommen und Cammal den Krieg beginnen würde. Sorglos erlebten die Bürger von Gar die Jahreszeit der farbigen Blätter noch ein letztes Mal, bevor sich alles ändern sollte. Die Bäume hier hatten bereits ihre ersten farbigen Blätter verloren, und das Grün der Wiesen verwandelte sich allmählich in ein ödes Braun. Der frische Herbstwind wiegte die Bäume wie Fahnen am Mast und liess ihre Äste drohend ächzen.

Als Theophil Korbflechter und Gilbert Hofheimer mit ihren acht Gefährten zu den Seen an der Südgrenze Koboldiens kamen, waren diese bereits dick zugefroren. Ein kalter Wind wehte von den schneebedeckten Gipfeln der Sonnenberge herunter und liess die Fichten hin und her wanken. Die zehn Gefährten trugen nun nicht mehr ihre gewöhnlichen roten Trachten, sondern braune Mäntel über ihren Lederhemden, welche ausserhalb der Grenzen nicht so auffällig waren.

Verwundert sahen die Kobolde auf die Seen hinunter, für sie als Gewohnheitswesen passten die gefrorenen Seen gar nicht ins Bild. In dieser Jahreszeit sah man schliesslich normalerweise immer noch die Kobolde nach ihren Arbeitstagen zur Entspannung fischend am Ufer sitzen, gemütlich auf den warmen Steinen mit einer Pfeife im Mund. Dieses Jahr jedoch schien dies unmöglich zu sein, denn bei solcher Kälte war es einem Kobold nicht mehr behaglich genug. Selbstverständlich hätten sich die Leute hier überwunden, wäre das Fischen lebensnotwendig gewesen, doch das war es nicht. Manch ein Kobold liess die silbernen Fische, nachdem er sie gefangen hatte, wieder ins Wasser zurückgleiten.

Gilbert fiel ein Loch im Eis auf, doch war es bereits wieder dabei zuzufrieren. Ein Angler musste das Loch gemacht haben. Die Lust auf Fisch hatte ihn wohl aus seiner warmen Stube getrieben. Obwohl erst Oktober, war es bereits kalt wie im Dezember, von fern sah man die eingeschneiten Sonnenberge. Sie blendeten einen, wenn man sie anblickte, es war dieser Glanz, welcher diesen Bergen einst ihren Namen gegeben hatte. Langsam röteten sie sich in der Abendsonne, sodass ihre weissen Gipfel goldrot zu glühen begannen.

„Hätte Salzmann nicht so lange mit unserer Zusammenstellung gezögert, wären wir vielleicht schon fast dort und müssten nicht mit einem kalten Wintereinbruch rechnen“, beschwerte sich Gilbert, „der trägt die goldenen Sonnenblumen bereits viel zu lange, um noch etwas von der Welt zu wissen.“

Richard Gabelmeier, einer der zehn Boten, stimmte Gilbert mit einem Kopfnicken zu und meinte mürrisch: „Ich habe keine Lust, ausserhalb unserer Grenzen, wo uns alles unbekannt ist, in ein Schneegestöber zu geraten und elend zu erfrieren.“

Nun pflichteten ihnen auch die übrigen Kobolde bei, auch Theophil, welcher dann jedoch gleich noch einwarf: „Uns wird kaum etwas anderes übrig bleiben als strikt unserem Auftrag zu folgen, schliesslich haben wir vor der Tagsatzung einen Eid darauf geleistet.“

Mit einigen weiteren mürrischen Worten ritten alle zusammen auf ihren Eseln eine Weile über einen gut gepflegten Uferweg dem Braunfeldsee entlang. Dieser galt als der südlichste See von ganz Koboldien, dennoch war auch dieser See dick zugefroren. Dem See entlang genossen noch einige Schafe das letzte Gras, während meist junge Kobolde in einen dicken Mantel gehüllt und Pfeife rauchend neben ihnen sassen und sie hüteten.

Gilbert kamen die Geschichten in den Sinn, welche ihm seine Mutter über diesen See erzählt hatte, als er noch ein Kind gewesen war. Er war hier in den Seelanden aufgewachsen und kehrte immer gerne hierher zurück. Jene Geschichte, die ihm nun in den Sinn kam, war ein Gedicht, nur ein kurzes und dennoch eines seiner liebsten. Leise flüsterte er zwei der unzähligen Strophen vor sich hin:

„Wer wohnt in einer Höhle ganz tief im See

Ein Monster niemand weiss wie ihm gescheh

Laut gurgelnd und brodelnd

Besingen wir es jodelnd

Es mag das Gute

Sein Schwanz ist wie eine Rute

Setzt es ein gegen das Böse

Soll untergehen mit Getöse.“

Es solle ein Monster in diesem See leben, ein grosses Monster, welches jeden verschlinge, der Böses im Sinn habe. Denjenigen, der Gutes sinne, soll es jedoch verschonen. So hatte sie ihm immer erzählt, sei seit vielen Jahren niemand mehr verschlungen worden, denn keiner wollte Böses.

„Ich hoffe, wir werden diese komischen Menschen finden“, brach Ekbrand Hausheimer das Schweigen, „zumindest hoffe ich, sie haben etwas mehr Manieren als jene in Holzheim.“

Egbrand spielte damit auf ein Ereignis an, das er einige Tage zuvor erlebt hatte, denn Holzheim war eine Menschenstadt gleich über der südlichen Grenze Koboldiens. Die Menschen dort waren grundanständig, lieb und so wie man sich Nachbaren jenseits der Grenzen am liebsten vorstellte, doch besassen sie kaum Manieren. Auch wenn sie es meist gut meinten, kam das nicht immer gut rüber.

„Mein Onkel meint, die Sagen würden stimmen, und die Menschen, die wir suchen, seien wirklich so edel und hilfsbereit wie es immer heisst“, erwiderte Theophil daraufhin, „sie werden uns sicher einen guten Rat geben, schliesslich sollen sie gebildet sein und die Geschichte bis weit zurück kennen.“

„Und sie sollen alt werden, sehr alt, sehr, sehr alt“, fügte Fredi Gurbert hinzu, „das sagten mir meine Mutter und meine Grossmutter, beide Grossmütter, väterlicherseits und mütterlicherseits.“

Darauf lachten einige, sie mochten einfach Fredis Ausdrucksweise, er war einer der nettesten Kobolde den sie kannten und auch immer zur Stelle, wenn jemand Hilfe benötigte, allerdings waren seine Sätze manchmal etwas dümmlich und unbeholfen.

Gilbert nahm daraufhin einen grossen Schluck aus seinem Wasserschlauch, worauf er meinte: „Hoffentlich sind nicht auch noch die Flüsse zugefroren, sonst müssen wir uns Pickel suchen um Wasser nachzufüllen.“

Die anderen stimmten ihm ernst zu und auch die Esel stiessen ein lautes „I Ah“ aus, womit sie seinen Sorgen beizupflichten schienen. Mit einem Seufzer nahm Theophil seine Feldflasche hervor und spasste: „Ich denke, dünnes Eis sollte ich mit dieser Flasche zerschlagen können, schliesslich ist sie schwer genug. “

„Du brauchst wieder einmal deine Extrawurst und kannst nicht einfach einen Wasserschlauch mitnehmen“, meinte nun wieder Gilbert, während er seinen Kameraden in die Seite stiess, „woher hast du die eigentlich?“

„Die habe ich von meinem Vater zum Geburtstag bekommen, sie wurde von Gnomen gefertigt, ganz gute Arbeit“, antwortete daraufhin Theophil etwas belustigt.

Sie ritten munter weiter, mehrere Tage ohne grössere Zwischenfälle. Mit Theophils Feldflasche liess sich tatsächlich Eis durchschlagen, was ihre Reise weiter beschleunigte. Sie kamen rasch voran, überall grüsste man die Boten der Tagsatzung höflich und sorgte dafür, dass sie genug Verpflegung erhielten. In der Zwischenzeit hatten sie das Holzwasser überschritten und Koboldien somit verlassen. Auch an der koboldischen Grenze wurden sie ausser einem kurzen Gespräch mit den Grenzwächtern, welche ihnen Glück wünschten, nicht aufgehalten. Eine Weile ging es zügig weiter und sie kamen durch Holzheim, eine freundliche Stadt der Menschen mit gutmütigen Seelen, doch dümmlich und schwer von Begriff. Einzig am Rande eines grossen Waldes zwischen dem Holzwasser im Norden und der Grossen Oststrasse im Süden wurden sie durch einen Zwischenfall kurz aufgehalten.

Eine Weile ritten sie nun auf der Grossen Oststrasse, wie sie sie nannten, entlang des Grossen Flusses, welcher ruhig neben ihnen dahinfloss. Die Strasse war mehrheitlich gepflastert und hatte kaum Kurven. Dort wo es Runsen gab, waren diese einst aufgefüllt worden, und grosse kolossale Brücken schwangen sich über die Bäche. Gab es einmal einen Felsen, der eine Kurve verlangt hätte, so wurde dieser durchstochen. Manchmal führte die Strasse fast schon durch künstliche Schluchten, sie liess sich von nichts beeinträchtigen, nicht einmal der Wald konnte sie im Laufe der Zeit erobern, auch wenn sie seit ewiger Zeit nicht mehr gepflegt wurde. Sie schien eine gerade Linie zu sein, die von der Natur nicht überwältigt werden konnte, ein Werk aus Urzeiten, deren Erbauer sich von nichts hatten einschüchtern lassen, als sie noch auf der Höhe ihres Könnens standen und ihr Volk noch auf dem Zenit seiner Macht und Weisheit gestanden hatte.

Manchmal ritten die Boten auch neben der Strasse auf den weichen Wiesen, was ihre Esel sehr schätzten. Die grossen Durchstiche umritten sie weitläufig, denn die Menschen in Holzheim hatten sie vor Hinterhalten der Banditen gewarnt, welche es auf nichtsahnende Reisende abgesehen hätten.

Als sie eine Zeitlang nahe dem Ufer des Grossen Flusses entlang geritten waren, bemerkten sie, dass unweit davon breite Wege angelegt waren, doch konnten sie sich den Grund dafür auch nach langem Kopfzerbrechen nicht erklären.

Sie ritten weitere Tage immer hin zu den Sonnenbergen, welche sich nun noch höher über sie erhoben, einige von ihnen schienen sogar in den Himmel zu stechen. Sie meinten, in den Schneefeldern und Geröllhalden alte Gebäude zu erkennen, welche den Jahren des Verlassenseins Widerstand geleistet hatten. Gilbert meinte zu Theo gewandt: „Vielleicht wohnen in diesen Steinbauten dort oben einige der gesuchten Menschen.“

„Ich glaube kaum, eher könnten das die Häuser der Gnome sein. Allerdings sollte man die sagenumwobenen Menschen, die wir suchen, so wie ich gehört habe, in ihrer Baukunst nicht unterschätzen“, erwiderte Theophil, „zudem müssen wir auf schnellstem Weg unser Ziel, das Tal der Könige in den Sonnenbergen, erreichen, ich habe das Gefühl, es wird bald bis hier herab schneien, auch wenn es das zu dieser Jahreszeit noch nicht tun sollte.“

Sie ritten weiter und weiter, bis sie schliesslich beschlossen, auf einer Hügelkuppe zu rasten, denn es war schon fast dunkel. Die Sterne leuchteten hell am Himmel und der Mond stieg immer höher. Als erstes war Fredi am nächsten Tag wach und schrie plötzlich voller Begeisterung: „Da, da wo gestern noch Nebel war, seht, seht. Dort ist das Tal, das Tal mit dem Hügel in der Mitte.“

Verschlafen setzte sich auch Richard auf und meinte die Augen reibend: „Ja, du hast recht, das Tal mit dem Hügel in der Mitte. Ich nehme an, die Menschenfestung befindet sich auf diesem Hügel, wenn nicht, so will ich nicht Richard Gabelmeier sein.“

Sie packten rasch zusammen, führten ihre über Nacht angepflockten Esel zu einem Bach in der Nähe, welcher noch nicht zugefroren war, und liessen sie trinken, während sie ihre Wasserschläuche füllten und Theophil seine Feldflasche. Das Wasser war kalt, aber es erfrischte die müden Beine der Esel und die verschlafenen Gesichter der Kobolde. Als sie einige Happen gegessen hatten, brachen sie auf, kehrten auf die Strasse zurück und ritten dem Hügel entgegen, in welchem die Strasse zu enden schien. Als die Sonne vor ihnen aufging und über den Hügel leuchtete, erkannten sie, dass es gar kein Hügel war, doch blendete es sie zu stark, als dass sie erkannt hätten, was es genau war. Auf jeden Fall war die Silhouette zu kantig, um ein natürlicher Hügel zu sein.

Erst als die Sonne schon fast senkrecht über ihnen stand und sie ein gutes Stück nähergekommen waren, meinten sie es zu erkennen. Es waren Mauern, die das ganze Tal in einem Halbkreis durchquerten und mit den Mauern zur anderen Seite hin drei Ovale bildeten, hoch aufragend und eine gewaltige Bastion einschliessend. Das Hauptgebäude inmitten dieser Mauern glänzte in der Mittagssonne und strahlte durch das ganze Tal. Türme erhoben sich von der Bastion in der Mitte und auch an den Enden, wo beide Mauerringe zusammenliefen. Ihre Dächer waren wie eine geschlossene Blüte mit vier hohen Blättern geformt.

Als sie näher kamen, sahen sie die drei Mauern noch besser, welche sich vor ihnen emporhoben, helle breite Mauern aus glattem Stein, wie ihn die Kobolde noch nie gesehen hatten. Die Strasse führte sie an ein seltsames Tor, das aus einem ihnen fremden Metall bestand und mit Gold beschlagen war. Das Gold bildete, auf beide Torflügel aufgeteilt, ein Blatt, dessen Stiel ein Schwert darstellte.

Doch dann sahen sie etwas, was ihnen Schrecken und Staunen durch die Glieder jagte, wie sie es bisher nicht erlebt hatten. Der Fluss verschwand einfach in der Festung, er verschwand durch ein Gitter aus demselben Stahl wie das Tor. Das Gitter schien ebenfalls alt zu sein, dennoch hatte ihm die Zeit nichts anhaben können. Es verdeckte einen Eingang, durch den imposante Schiffe fahren konnten, so hoch, dass selbst Segelschiffe mit aufgerichteten Masten hindurchgleiten konnten.

Sie schritten an das edle Tor und klopften laut an die hohe Pforte. Das dumpfe Geräusch widerhallte im zuvor stillen Tal. Es schien längere Zeit so, als wäre die Festung verlassen, doch auf einmal ging eine kleine Tür im grossen Tor auf und mehrere Menschen sprangen heraus, Menschen, die mit Bogen auf die Kobolde zielten und solche, die sie mit Schwertern langsam einkreisten. Es waren Recken, grösser als die Menschen von Holzheim, mit breiteren Schultern und strengeren Zügen. Die Augen in ihren vernarbten Gesichtern sahen die Kobolde stechend an, sodass diese das Gefühl hatten, durchbohrt zu werden.

Ängstlich legten die Kobolde ihre Ohren an den Kopf und hoben die Hände langsam in die Höhe. Plötzlich rief einer der Menschen den anderen etwas zu, was die zehn Boten nicht verstanden, ein anderer rief ihm zurück, nun für die Kobolde verständlich: „Ah, Kobolde! Lasst eure Waffen sinken, das sind Freunde.“

Alle folgten dem Befehl, und einer von ihnen trat vor Theophil. Theophil seinerseits fühlte sich vor dem grossgewachsenen Mann nicht mehr grösser als eine Maus, obwohl der Unterschied kaum drei oder vier Köpfe ausmachte. Allerdings blickte ihn dieser Mann so durchdringend an, dass Theophil sich noch kleiner vorkam als zuvor.

Theophils Ohren erreichten aber fast die Schultern des Mannes, welcher die Kobolde nun neugierig mit seinem scharfen Blick musterte. Sein gut gepflegter kurzer grauer Bart umkränzte sein Gesicht, erweckte jedoch keinerlei Misstrauen bei den Kobolden, welchen Bärte ansonsten schnell einmal Angst einflössten. Ausser einem Schnauzer war es unter den gutbürgerlichen Kobolden sowieso nicht Sitte, Barthaare stehen zu lassen, einzig im Herbst, wenn ihnen die kalten Winde die Wangen einzufrieren drohten.

Als Theophil dem Mann ebenfalls in die Augen starrte, begann dieser mit freundlicher Stimme: „Dürfte ich Eure Namen wissen, Herr Feldbote, wenn ich mich nicht irre? Und Eure Absichten, schliesslich sind wir es nicht gewohnt, Kobolde hier als ganze Gruppe anzutreffen.“

Verwundert sahen die Kobolden den Mann an, als er die Bezeichnung Feldbote erwähnte, welche ausserhalb der Grenze Koboldiens nicht gebräuchlich war. Auf einmal wurden seine strengen Züge freundlich, und ein sanftes Lächeln trat in das zerfurchte und vernarbte Gesicht.

Zögernd begann Theophil: „Ich bin Theophil Korbflechter, meine Begleiter sind Gilbert Hofheimer, Richard Gabelmeier, Ekbrand Hausmeier, Fredi Gurbert, Johann Frehnrich, Hans Gilbsenn, Karl Trastelmann, Heinz Waldenser und Grif Ebenhart. Wir sind auf der Suche nach dem alten Volke der Menschen, welche einst unsere Verbündeten gewesen sein sollen.“

„Hm, altes Volk, ich glaube, Ihr seid richtig, Herr Korbflechter“, erwiderte der Mann mit einem stolzen Lachen, „mein Name ist Galdrior. Seid willkommen, denn auch wir kennen die alten Sagen von jenen langohrigen Armbrustschützen, welche ihr Ziel nie verfehlten.“

Nun traten die Jäger durch die Tür zurück in die Festung, und der grossgewachsene Mann gab den Kobolden ein Zeichen, ihnen zu folgen, worauf diese ehrfürchtig durch die schwere Tür eintraten. Fredi Gurbert war so damit beschäftigt, sich die Tür anzusehen, dass er stolperte und der Länge nach hinfiel. Rasch war einer der Jäger zur Stelle und half dem armen Kobold wieder auf die Beine. Dieser bedankte sich verdattert bei dem Mann, der ihn weit überragte.

Als sie eintraten, verschlug es den zehn Kobolden beinahe den Atem, denn nun merkten sie, wie dick die Mauer der Festung war. Bis sie auf der anderen Seite ankamen, mussten selbst die grossgewachsenen Wächter mehr als zwanzig Schritte machen. Für die Kobolde galt es umso mehr auszuschreiten und umso imposanter kam ihnen die Festungsmauer vor. Von allen Seiten her sahen ihnen in die Mauer gehauene Steinkrieger entgegen, fein gearbeitet mit strengen Gesichtszügen voller Entschlossenheit. Theophil fiel im Schein einer Fackel das Blatt mit dem Stiel in der Form eines Schwertes auf, das alle diese Figuren auf der Brust und auf dem Helm trugen. Hastig versuchte Gilbert in das Sonnenlicht auf der anderen Seite des Tunnels zu treten. Ihm war auf einmal so kalt vor Ehrfurcht aber ebenfalls ganz warm ums Herz, als er ahnte, dass das die Menschen waren, die sie suchten.

Hinter der ersten Mauer befanden sich zahlreiche Steingebäude, viele von ihnen am Fusse der zweiten Mauer errichtet, welche sich weit in den Himmel hob. An der vorderen Mauer standen ebenfalls grosse Bauten, und dennoch führte eine breite Strasse zwischen den Gebäudereihen hindurch.

Die edlen Bauten sahen verlassen aus und wirkten unheimlich in ihrer Grösse und Pracht auf die kleinen Kobolde, welche sich nun noch kleiner vorkamen. Weit über ihnen sahen sie die Wachttürme der zweiten Mauer aufragen, hoch gegen den Himmel zu. Das ehrfürchtige Schweigen, welches seit ihrem Eintreten geherrscht hatte, wurde erst von Theophil gebrochen, als dieser flüsternd Galdrior fragte: „Wie alt sind diese Bauten und diese Mauern?“

„Ich weiss es nicht genau“, antwortete der Jäger ebenfalls flüsternd, „allerdings stehen sie hier seit langer Zeit und werden noch lange erhalten bleiben. Sie standen bereits hier, als ich geboren wurde und das ist lange her in eurer Zeitrechnung, sehr lange, dennoch wurde die Mallabas Festung von einer Generation erbaut, die lange vor mir gelebt hat.“

Nun sah sich Theophil noch neugieriger um, er hatte noch nie etwas Derartiges gesehen, nichts in dieser Grösse und Pracht. Viele dieser einzelnen Häuser waren um einiges grösser als die grössten Gebäude in ganz Koboldien. Deswegen verwunderte es ihn umso mehr, als einer der Jäger neben ihm plötzlich traurig meinte: „Die Pracht dieser Festung ist leider vergangen, keine Fahne, kein Banner weht mehr über den Türmen, diese Zeiten sind längst vorbei.“

Es war ebenfalls ein grauhaariger Jäger mit faltigem Gesicht, doch war er etwas kleiner als Galdrior. Später erfuhren die Kobolde, dass er Fruniar hiess und er scheinbar der älteste der Menschen war, welche sie durch die Festung begleiteten.

Nachdem sie lange der vordersten Mauer entlang gegangen waren, kamen sie zu einer Treppe, die auf die Mauer hinauf führte. Die Stufen bereiteten den Kobolden einige Schwierigkeiten, denn sie waren viel höher als sie es sich gewohnt waren, vor allem Fredi stolperte mehrmals.

Auf der Mauer verschlug es ihnen erneut den Atem, vor ihnen erstreckten sich der Grosse Fluss, die breite Strasse und das ganze Tal, durch welches sie gekommen waren. Die Aussicht war überwältigend. Gilbert schaute mit offenem Mund zwischen zwei Zinnen hindurch, ihm war, als ob er sogar die ersten Hügel Koboldiens in der Ferne erkennen könnte. Sie sahen, wie die Sonne allmählich dem Horizont entgegensank und sich die ersten Wolken am Himmel hinter ihnen rosarot einfärbten. Solch einen Ausblick hatte noch keiner der Kobolde jemals genossen, es war für die kleinen Kerlchen wie ein Traum, aus dem sie nicht mehr erwachen wollten.

Gilbert bemerkte, dass die anderen inzwischen weitergegangen waren. Sie hatten bereits eine Brücke erreicht, welche sich von dieser Mauer aus in einem hohen Bogen in die nächste hinein schwang. Einigen der Kobolde wurde es fast schwindlig, als sie von der schmalen Brücke hinabblickten und die Dächer der hohen Bauten unter ihnen sahen. Auf der Brücke selbst musste man im Gänsemarsch gehen. Auf den Seiten hatte es einzig eine kniehohe Brüstung. Ihnen wurde erklärt, dass es zu beiden Seiten, wo die zwei Mauern zusammenliefen, Tore gab, die hinter die höhere Mauer führten. Für die dritte Mauer lagen die Tore wieder in der Mitte und gaben den Weg frei an den Fuss der imposanten Bastion, die mitten zwischen der gewaltigen Festung in den Himmel ragte.

Durch eine weitere kleine Eisentür hoch über den Dächern der Häuser stiegen sie in die zweite Mauer ein und folgten einem langen, nur von einigen Fackeln erleuchteten Gang. Kurz darauf traten sie durch eine weitere Tür aus der Mauer hinaus auf einen gepflasterten Platz, den sie rasch überquerten. In der Mitte des Platzes erhob sich eine hohe Statue aus Stein mit dem Bildnis eines Mannes, der vermutlich einst ein grosser Krieger gewesen war. Doch was die Kobolde verwunderte, war die kleinere Statue neben ihm. Sie stellte einen kleinen Mann dar mit einem Helm, durch dessen beide Löcher zwei spitze Ohren hervorschauten. In der Hand trug er eine Armbrust mit einem aufgelegten Pfeil, auf dem Rücken einen Köcher und an der Seite einen langen Säbel. Er sah genauso aus wie die gewöhnlichen Kobolde, einfach in fester Rüstung und in Stein gemeisselt. Auffällig waren seine grimmigen Gesichtszüge, Kobolde waren sonst gutmütige Wesen.

„Ja, das ist einer der Euren“, begann nun Galdrior lachend, als er die verdutzten Gesichter der Kobolde sah, „einst bestand ein Bündnis zwischen unseren Völker. Dieses Bündnis wurde auf diesem Platz geschlossen, und obwohl Euer Volk uns vor zweitausend Jahren noch einmal beistand, weiss niemand, wann und von wem das Bündnis geschlossen wurde. Die Aufzeichnungen aus alter Zeit sind verschollen, genauso wie zur selben Zeit unser König verschollen oder gestorben ist. Diese Aufzeichnungen, heisst es, liegen in einer verborgenen Stadt in den Bergen. Eine Strasse dorthin führt nicht weit von hier in östlicher Richtung in die Berge, eine andere soll dem Vernehmen nach durch Euer Land führen.“

Nun waren die Kobolde erneut erstaunt und Fredi Gurbert meinte fragend: „Also dann, dann waren wir, die Kobolde, auch schon an Kriegen beteiligt. Dann stimmen die Geschichten also wirklich, die mir Mama immer erzählt hat, dann sind sie also nicht erfunden, das muss ich ihr erzählen, wenn wir wieder zu Hause sind.“

„Nein, sie sind nicht erfunden, die Tapferkeit der Kobolde ist bei uns bekannt, ebenso ihre Schiesskünste“, erklärte nun Fruniar zustimmend, „man sagt sogar, kein Pfeil, abgefeuert von einer Armbrust der Kobolde, würde sein Ziel verfehlen, selbst aus grosser Entfernung nicht, keine lebende Gestalt sei ohne beste Rüstung vor ihren spitzen Pfeilen sicher.“

„Das stimmt“, meinte nun Richard Gabelmeier, „wenn unsere Armbrustschützen schiessen, dann treffen sie auch. Zu wissen, dass das selbst unter den Menschen bekannt ist, macht uns stolz.“

Als niemand mehr etwas erwiderte, traten sie in ein hohes Gebäude, das an der zweiten Mauer angebaut war. Durch die grossen Fenster oberhalb des Eingangs schien die rötliche Abendsonne herein und liess das helle Gestein feurig erstrahlen.

In der Mitte des Saals stand eine grosse runde Tafel mit vielen gepolsterten Stühlen. In der Mitte der Tafel waren feine Schnitzereien zu sehen, und Gilbert rief laut aus, nachdem er sich auf seinen Stuhl gestellt hatte, um die Schnitzereien genauer zu betrachten: „Da sind ja ebenfalls Kobolde!“

Lautes Gelächter brach aus, als sie alle das überraschte Gesicht des kleinen Kerls sahen, der sich niemals vorgestellt hätte, dass seine Vorfahren einst Seite an Seite mit diesen grossen tapferen Recken gekämpft hatten. Dann, als sich alle gesetzt hatten, schritt einer der jüngeren Jäger zum Kamin, welcher sich im vorderen Teil des Saales befand und begann einzufeuern.

„Ihr müsst bestimmt hungrig sein“, begann darauf Galdrior, „lasst uns etwas essen und trinken, bevor wir uns um Euer Anliegen kümmern. Narior hat heute in der Früh einen Hirsch erlegt und wird ihn nun für uns braten. Dazu gibt es ein gutes Bier, denn wie ich aus Gedichten gehört habe, ist das Euer Lieblingsgetränk.“

Die Kobolde strahlten von einem Ohr zum anderen, als sie sahen, wie der Mann am Feuer einen Hirsch zu braten begann, umso mehr, als das erste Fass mit hellem Bier angezapft wurde und jeder einen grossen schäumenden Krug bekam.

Daraufhin öffnete sich Tür und einige Frauen kamen herein, verwundert sahen sich die Kobolde zu ihnen um und staunten einmal mehr. Die schönsten Frauen aus Holzheim konnten sich nicht annähernd mit diesen Menschenfrauen vergleichen. Wie die Männer hatten auch sie edle Gesichter, und es schien Gilbert, als wären sie allesamt Königinnen. Zart glitzerte ihre Haut und hell schimmerte ihr Haar, doch in ihren klaren Augen lag der gleiche stechende Blick wie in jenem ihrer Männer. Die Kobolde erwachten allerdings aus ihren Wachträumen, als sie sahen, dass sie Brot, Käse und Kartoffeln mit sich trugen. Die Frauen stellten die Esswaren auf den Tisch und setzten sich dann ebenfalls. Kurz darauf traten vier weitere Jäger ein. Sie trugen zwei grosse Fässer und stellten diese auf einen Tisch nebenan, auf welchem zuvor leere Fässer gestanden hatten.

Nachdem weitere Jäger eingetreten waren, sich an den Tisch gesetzt hatten und der Hirsch gebraten war, begannen sie zu essen. Für die Kobolde war es das erste richtige Mahl mit gebratenem Fleisch, seit sie Kobelstein verlassen hatten. In einem der Fässer war Bier, im anderen Wasser, und es war keine Frage, aus welchem die Kobolde ihre Krüge füllen liessen. Die Kobolde erfreute es umso mehr, als sie sahen, dass noch ein zweites Fass mit Bier gebracht wurde, denn auf Wasser hatten sie nach den letzten Tagen keine Lust mehr.

„Die Trinkfreudigkeit Eures Volkes wird bei uns ebenfalls in alten Liedern besungen“, meinte Galdrior, als er sah, wie die Kobolde den Gerstensaft genossen.

Darauf begann die Frau an Galdriors Seite, seine Frau Marlea, mit ihrer leichten Stimme: „Ich kann Euch eines der Lieder in Eurer Sprache vorsingen, es sollte sich reimen, obwohl es in unserer Sprache gedichtet wurde.“

Rasch tranken die Kobolde einen Schluck und sahen dann Marlea erwartungsvoll an. Diese begann mit feiner Stimme:

„Spitze Ohren

Spitze Pfeile

Zu grossen Kriegern erkoren

Selbst tapfer hängend an einem Seile

Das Ziel getroffen

Die Schlacht gewonnen

Doch dann wird gesoffen

Und ihre Sorgen sind zerronnen

Krug um Krug

Wird getrunken

Das ist kein Trug

Und auch nicht erstunken

Die Fässer leeren sich

Der Kopf wird schwer

Doch würden andere kleinlich

Wollen die Kobolde noch mehr

Bänke wären zum Sitzen da

Tische zur Mahlzeit bereit

Oh wie täuscht man sich

Die Kobolde tanzen darauf in freudiger Zeit.“

Die Kobolde staunten betroffen, denn sie wussten, dass es stimmte, an ihren grossen Festen wurde Fass um Fass gelehrt, und je später es wurde, je höher stiegen sie. Am Anfang des Abends eines Festes wurde immer noch auf dem Boden getanzt oder auf den Bänken gesessen, allerdings kannte es besonders Johann nur zu gut, wie mit der fortschreitenden Zeit und der Anzahl Krüge die Höhe stieg. Der einzige Grund für einen Kobold, spät in der Nacht am Boden zu tanzen, war dann, wenn der Tisch und die Bänke zusammengebrochen waren.

Das Bier der Jäger war nicht schlecht, doch dachte Theophil an die Fässer, welche sein Vater immer hatte, gebraut in einem Tal in den Ausläufern der Sonnenberge, das Bier des alten Paul Braumeister, dessen Familie schon seit ewigen Zeiten das beste Bier in ganz Koboldien braute.

Die Kobolde liessen sich das Essen schmecken und konnten kaum genug vom saftigen Hirschfleisch bekommen, ebenso genossen sie das frisch gebackene Brot und die gebratenen Kartoffeln. Seit Holzheim hatten sie nicht mehr aus Tellern gegessen, umso edler empfanden sie die Zinnteller, auf denen ihnen nun das Essen serviert wurde. Zahlreiche Krüge Bier beendeten das Mahl, und einige der Frauen räumten zusammen mit mehreren Jägern die Zinnteller und das Besteck ab.

Als die Tafel wieder leer war, begann Galdrior: „Welchen Rat wollt Ihr nun von uns erhalten, was ist geschehen, dass die Kobolde erstmals seit so vielen Jahren wieder die Menschen aufsuchen? Die Zeiten haben sich wahrhaftig geändert und etwas zieht herauf, doch kann ich den Grund Eures Kommens nur erahnen.“

„Etwas Furchtbares“, begann Theophil und nahm einen grossen Schluck aus seinem Krug, bevor er fortfuhr, „Koboldien wurde angegriffen.“

Der Jäger sah den Kobold erschrocken an und fragte: „Von wem? Was genau ist passiert?“

Theophil erzählte ihnen die ganze Geschichte in allen Einzelheiten. Besonders als er die furchtbaren Gestalten erwähnte, sahen die Gesichter der Jäger erschrocken und überrascht aus, beinahe furchterregt. In ihrer Sprache begannen sie beunruhigt miteinander zu sprechen und sahen dann wieder ihre Besucher an.

„Es war furchtbar, so etwas habe ich noch nie gesehen“, fügte Theophil hinzu, als er geendet hatte, „was kann das bedeuten? Was ratet ihr uns zu tun?“

Anstatt zu antworten rief Galdrior seinen Männern hastig etwas in der Sprache der Jäger zu, woraufhin einige eilends den Saal verliessen. Dann wendete er sich den Kobolden zu und meinte: „Ihr müsst Eure Grenzen schützen. Sollte das nicht gelingen, zieht mit Eurem Volk in die Berge zu den Gnomen oder hierher in diese Festung, das zweite wäre mir lieber. Diese Nachricht ist äusserst beunruhigend, allerdings könntet ihr hier Zuflucht finden, auch ohne starke Besetzung würden wir die Mallabas Festung lange verteidigen können. Zusammen mit Euren Armbrustschützen würde sie für ein gewöhnliches Skralgas Heer uneinnehmbar.“

„Was waren das für Kreaturen?“, fragte darauf Gilbert.

„Das waren diese Skralgas“, begann Galdrior nachdenklich, „doch so weit weg von den Sonnenbergen waren sie schon lange nicht mehr, sie wollen etwas erreichen. Im Süden, auf der Ostseite der Sonnenberge, haben sie bereits einige Siedlungen des Reiches Cammal angegriffen, doch sind sie noch nicht zahlreich und noch nicht weit vorgedrungen. Etwas scheint sich zu wandeln, lange Zeit wurde nichts mehr von diesen Kreaturen gehört. Ich habe Boten entsandt, sie sollen unser Volk darüber unterrichten, dass Gefahr droht.“

Nach einer Weile des Schweigens meinte Richard zu Galdrior gewandt: „Würdet Ihr uns helfen, wenn wir angegriffen werden?“

Zögernd erwiderte der Jäger: „Das kann ich nicht sagen, einige Männer kämen bestimmt, doch sind wir nicht zahlreich genug und zu weit verstreut, um grosse Schlachten zu schlagen. Wir versuchen einzig, die Menschen diesseits in Caibreyiärea, der Region zwischen den Sonnenbergen und dem Meer, zu schützen. Die Könige der Reiche der gewöhnlichen Menschen vermögen es nicht, ihr Volk vor Banditen zu bewahren. Einzig jene unseres Volkes, welche sich unter diese Menschen gemischt haben, erkennen das Leid, welches in den Völker herrscht, während die Könige blind dafür bleiben und es sich in ihren Hallen gut gehen lassen. Sollte Cammal tatsächlich in einen Krieg mit den Skralgas verwickelt werden, so wird es in einem Gemetzel enden. Auf jeden Fall werden wir Euch helfen, möglichst viele Eures Volkes hierher in Sicherheit zu bringen, sollte es nötig sein.“ Darauf herrschte eine Weile lang Stille, einzig das prasselnde Feuer hörte man im Saal. Es war dunkel geworden, und mehrere Fackeln wurden angezündet. In diese Stille begann Fruniar plötzlich zu sprechen: „Der Krieg wird den Süden aufzehren, Urak kann sein Land nicht ohne hohe Verluste verteidigen. Der Statthalter von Marsat sollte endlich die Suche nach dem König aufgeben, schliesslich hat er nun das Recht dazu, zweitausend Jahre sind verstrichen, und der König ist vermutlich schon seit damals tot und seine Linie erloschen. Haldrior soll uns anführen, unser Volk würde geeint anstatt weiter zu zerfallen. Lasst uns ihn auffordern sein Recht einzufordern. Wenn unsere Feinde wieder stärker werden, müssen wir es auch tun.“

„Du kennst Haldrior“, erwiderte Galdrior verärgert in ironischem Tonfall, „er will es der zwanzigsten Generation überlassen, der grossen Generation, er selbst streift lieber in einem zerfetzten Mantel durch die Wälder anstatt eine prachtvolle Rüstung zu tragen und ein glänzendes Heer anzuführen. Lieber lässt er zu, dass sich unser Volk von den alten Sagen abwendet und sich mit den Menschen in den dreckigen Städten vermischt. Selbst jene, die in den Festungen und glanzvollen Städten der Vergangenheit Wache halten, lässt er über die Bauern wachen. Die Hofgardisten von Isula kämpfen in der Zwischenzeit für Urak ebenso wie die Palastwachen von Peyirisula, da Urak der Erbe des Statthalters von Isula ist. Sie würden allerdings keinen Augenblick zögern, Haldrior zu folgen, sollte er die Macht annehmen, doch wird er das nicht tun, so, wie ich ihn kenne. Nicht einmal einen Sohn hat er, der ihn beerben könnte.“

Darauf trat Narior an den Tisch und erzählte geheimnisvoll: „Es gibt Gerüchte, nach welchen Lakalt, ein Hofgardist in Cammal, sein Sohn sein soll. Lakalts Mutter habe dann jedoch einen Adligen geheiratet. Bald soll Lakalt sogar zum Ritter geschlagen werden und Ritter der Hofgarde werden, der oberste Hofgardist.“

„Dieser Mistkerl von einem König in Isula“, rief nun Fruniar fluchend aus, „seine Linie verriet uns, benannte die Stadt in Cammal um, doch behält er die Hofgarde bei, die nur aus Polariä besteht. Sie werden jedoch nicht zu Rittern geschlagen, weil sie nicht adlig sind, dennoch gut genug, um die gefährlichsten Einsätze zu übernehmen. Alle gewöhnlichen Menschen in dieser Hofgarde fallen bei ihren ersten Einsätzen. Lakalt muss unser Blut haben, sonst würde er nicht mehr leben. Es könnte tatsächlich sein, dass dieser Lakalt der Erbe Haldriors ist.“

Geschichte

Erstes Kapitel - Herbstritter

Es war ein milder Spätsommertag in Cammal, als Lakalt das Fenster seines Zimmers im Schloss des Königs Urak öffnete. Von dort aus sah er auf die Stadt hinaus. Es war eines der grösseren Zimmer im Palast, ein Ritterzimmer. Das geschnitzte Himmelbett wurde von roten Vorhängen umgeben, und ein farbiger, geknüpfter Teppich lag davor. Der Boden war aus hellem Stein ebenso wie die Wände. In der Ecke befand sich ein prasselnder Kamin, der das Zimmer wärmte und wilde Schatten an den Wänden spielen liess.

Der September hatte nun richtig begonnen und der heisse Sommer klang aus. Lärmend lag die Stadt unter ihm, auf die der Ritter mit traurigen Augen hinabblickte. Man sah in den verdreckten Gassen kaum junge Männer. Viele Frauen erledigten schwere Arbeiten, die früher von ihren Männern und Söhnen gemacht worden waren.

„Würde dieser Krieg doch sogleich enden“, ertönte eine traurige Stimme hinter Lakalt, „würden diese Bestien doch einfach in die Löcher zurückkriechen, aus welchen sie gekommen sind.“

Es war Arak, welcher eingetreten war, sich neben Lakalt stellte und fortfuhr: „Würde mein Vater doch nur das Angebot aus Salmarsat annehmen, seinen Teil vom gefallenen Helrendar abtreten und dafür die Hilfe König Gelrads annehmen, die Männer könnten endlich zurückkehren. Das Volk ist unzufrieden, Lakalt, der Krieg sollte seit drei Jahren zu Ende sein, doch fallen Tag für Tag mehr Männer und es ist kein Ende in Sicht. Es wird nicht mehr lange gehen, und eine weitere Stadt wir vom Landvolk verwüstet, wie damals Gar, kurz nach Beginn des Krieges.“

„Ich hörte Gerüchte, Meerschlossfels wolle ein Bündnis zwischen deinem Vater und Gelrad verhindern“, bemerkte darauf Lakalt misstrauisch und sah Arak an.

„Ich weiss“, antwortete dieser, „ich weiss nicht alles, doch glaube ich, dass Jandraer auf Druck seines Sohnes handelt, welcher sich ein eigenes Fürstentum erhofft auf dem Gebiet, welches an Salmarsat übergeben werden soll.“

„Meinst du nicht, da liegt mehr dahinter“, erwiderte Lakalt ärgerlich und misstrauisch, „meinst du nicht, dass an der Sache etwas faul ist. Ich habe Mendrieno bis jetzt noch nie im Kampf gesehen, dieser Gockel bevorzugt Feste anstatt sich um die wahren Probleme zu kümmern. Ich nehme an, er hat diesen Sommer einmal mehr um die Hand deiner Schwester angehalten.“

„Ich mag Mendrieno auch nicht“, stimmte Arak zu, „doch hat Meerschlossfels dem Königshaus schon gute Dienste erwiesen und stand immer loyal hinter dem König. Wir sollten uns mit unserem Misstrauen zurückhalten. Zudem weisst du genau so gut wie ich, wie es vor Jahren, als mein Grossvater noch König war, auf der Blaim Halbinsel zu- und hergegangen ist. Was Celeyia betrifft, so weisst du es in der Zwischenzeit genau, dass sie nicht meine leibliche Schwester ist, Soldaten haben sie damals aus den Fängen von Plünderern befreit, als sie kaum mehr als zehn Jahre alt war.“

„Sie hat etwas an sich, das ich bisher bei kaum jemandem gesehen habe. Sie scheint in gewisser Weise nicht menschlich zu sein, zu schön ist sie dafür“, entgegnete der Ritter dem Prinzen, „Auf den Krieg zurückzukommen, so habe ich bereits vom Blaim Krieg gehört, doch wollte mir mein Stiefvater nie viel darüber berichten.“

Daraufhin begann der Prinz zu erzählen: „Es war in einem der ersten Jahre, als mein Grossvater Nuniak die Krone erhielt. Der damalige König von Salmarsat dachte sich, er könnte dem jungen König den einzigen Stützpunkt Cammals auf der Blaim Halbinsel abnehmen und somit den Eingang zur Fischenbucht alleine kontrollieren. Zudem wollte er auch den Ort Fischenbucht mit seinem grossen Hafen einnehmen. Lange hielten es die Könige unserer Reiche gut miteinander, doch da Salmarsats König Nuniaks Schwester nicht zur Frau bekam, trübte dies das Verhältnis und es gab keinen Bund mehr, der die Reiche zusammenhielt. Das einzige, was diese Fehde beenden könnte, wäre, wenn Danrad die Prinzessin zur Frau bekommen würde, was wiederum Meerschlossfels mit Missgunst aufnehmen würde. In Meerschlossfels war Cheleio der Heermeister, er war Jandraers Vater. Grosse Schlachten wurden geschlagen, vorwiegend auf der Halbinsel, doch auch in der Meerenge und bei Fischenbucht starben viele Männer. Zuerst schien es, als wäre Nuniak taktisch so schwach wie erwartet, doch übertrug dieser die Heerführung im ganzen Krieg Cheleio, der mit guten Schachzügen nicht nur den Feind abwehrte, sondern auch einige Gebiete Salmarsats erobern konnte, so dass nun, wie du weisst, die gesamte Fischenbucht in Cammals Besitz ist. Es schien, als wären dem damals jungen Cheleio ungewöhnliche Talente gegeben. Seine mutigen und erfolgreichen Feldzüge sind bis heute noch legendär. Für seine Taten hatte er die Blaim und das Land um die Fischenbucht herum als Fürstentum erhalten.“

Nun blickten sie beide schweigend zum Fenster hinaus, sie sahen in die Wälder und auf die Felder, welche die Stadt umgaben. Wehmütig blickte Arak in den roten Laubwald, auf die alten zerfallenen Steinruinen und meinte traurig zu Lakalt: „Ich würde gerne einmal Cammal in dieser Grösse und Pracht sehen, wie es einst gewesen sein musste, den Ruinen nach zu urteilen.“

„Ich auch“, antwortete Lakalt mit trauriger Miene, „ich auch. Zu gerne würde ich jene Zeit erleben, in der das alte Volk noch die Herrschaft über diese Gebiete innehatte.“

„Nun lass uns ins Ratszimmer gehen, um die neuen Pläne zu besprechen“, schlug Arak vor, „und anschliessend gehen wir zum Bankett, bevor wir die Stadt morgen wieder verlassen.“

Beim Wort Bankett wurde Lakalts Miene etwas heiterer, und ein Lächeln huschte über sein müdes Gesicht. Die beiden machten sich auf den Weg ins Ratszimmer, wo die anderen anwesenden Ritter bereits auf die beiden warteten. Das Ratszimmer war ein hoher Saal in einem der Seitenarme des Schlosses. Banner aller Ritter zierten die Wände, und oberhalb des prasselnden Kamins hingen die Familienschwerter eben dieser Ritter, zuoberst jenes der Königsfamilie. Sie setzten sich an einen grossen runden Eichentisch. Zu Araks Rechten sass Lakalt als oberster Hofgardist und Ritter, zu seiner linken Feriak als oberster Ritter unter dem Prinzen.

Feriak war der älteste Ritter und ein enger Vertrauter des Königs, doch weder Lakalt noch Arak mochten ihn besonders. An Lakalts Seite sass Gawair, Hauptmann der Hofgarde, zweiter Hofgardist. Haldak und dessen noch lebender Bruder Jolak, der Zwilingsbruder von Haldaks gefallenem Bruder Jelak, waren ebenfalls zugegen.