Die Zeit der Hochkönige - Freiheit - Siebtes Buch - Luca C. Heinrich - E-Book

Die Zeit der Hochkönige - Freiheit - Siebtes Buch E-Book

Luca C. Heinrich

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Beschreibung

«Ja, da draussen sind Mächte, weit grösser als wir. Doch nicht nur Mächte des Bösen, auch Mächte des Guten liegen diesen Landen inne.» Die finsteren Horden stehen vor den Toren Kailad Mallabas. Eine Armee, wie sie seit tausenden Jahren nicht gesehen wurde, fordert den Durchgang durch das Tal der Könige. Die Schwarze Flamme soll über Caibreyiärea lodern. Doch die Heere des Bündnisses aus den Menschen Polarias, Eyilreä und Grimbold stellen sich mutig den Bestien Farlkors entgegen. Ob sie siegen mögen oder nicht, diese Schlacht ist erst der Beginn dessen, was über Areyiticä hereinbrechen wird. Denn wenn Kailad Mallabas fällt, ist Caibreyiärea verloren und das Feuer der Finsternis wird nach den letzten freien Orten greifen.

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Seitenzahl: 446

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Luca C. Heinrich

Die Zeit der Hochkönige

Erster Teil: Treue

Erstes Buch

Zweites Buch

Drittes Buch

Zweiter Teil: Ehre

Viertes Buch

Fünftes Buch

Sechstes Buch

Dritter Teil: Freiheit

Siebtes Buch

Achtes Buch

Neuntes Buch

Freiheit – Siebtes Buch

Inhalt

Karten

Areyiticä

Ekbar

Ceyiemnia

Caibreyiärea

Erster Prolog

Schattenrat

Zweiter Prolog

Erstes Kapitel - Sonneninsel

Zweites Kapitel – Wellenfahrt

Geschichte

Erstes Kapitel - Schlachttal

Zweites Kapitel - Sonnenschlag

Drittes Kapitel – Morgenrat

Viertes Kapitel – Schluchtennahen

Fünftes Kapitel – Blumenschwert

Sechstes Kapitel – Sandwogen

Siebtes Kapitel – Finsterwasser

Achtes Kapitel – Passritt

Neuntes Kapitel – Nordkampf

Zehntes Kapitel – Passschlacht

Elftes Kapitel – Grünritt

Zwölftes Kapitel – Nordstadt

Dreizehntes Kapitel – Morgenklinge

Vierzehntes Kapitel – Flammenschlacht

Areyiticä

Freiheit

Siebtes Buch

"Das ist nicht das Ende, es ist auch nicht der Anfang

vom Ende, aber vielleicht ist es das Ende des Anfangs."

(Winston Churchill)

Erster Prolog

Schattenrat

Die Sonne schien und dennoch hing ein Schatten über den Feldern und Reben. Man sah nur Frauen, die mit bedecktem Haar die ersten Ähren schnitten und diese in grossen Tüchern zu den Höfen schleppten. Die Jungen, die bei ihnen waren, waren nur selten älter als zwölf Jahre alt und schliffen die Sensen für ihre Mütter oder mähten selbst das Getreide. Krächzende Krähen stürzten sich auf das gemähte Getreide und pickten wild den Weizen aus den Ähren. Manch alte Bäuerin gedachte jener Tage, als Singvögel ihre Arbeit begleitet hatten und sie nicht von diesen bösartigen Krähen geplagt worden waren. Doch diese Zeiten waren vorbei, jene Zeiten, als ihre Gatten noch stets auf dem Hof waren und nicht für den König oben in Cammal in den Krieg ziehen mussten. Alle hatten sie gedacht, dass ihre Männer und Söhne endlich nach Hause zurückkehren würden, da Salmarsat besiegt war, doch nun schien sich etwas noch Grausameres zusammenzubrauen. Fern sah man die Schiffe Periulas aufs Meer hinaussegeln und drohend in Richtung Cammal gleiten, jenen Schiffen entgegen, die nur darauf warteten, endlich den Befehl des Regenten zu erhalten und die Hafenstadt anzugreifen. Doch Feriaks Flotte wurde zurückgehalten, der junge Graf aus Meerschlossfels hielt es wohl noch immer nicht für möglich, jene Stadt anzugreifen, in welcher der Sohn des Königs Sitz genommen hatte, um gegen die Streitkräfte seines Vaters und dessen Regenten Widerstand zu leisten.

An den Sonnenhängen lasen Winzer ihre Trauben ab und fuhren sie auf Eselwagen zu ihren Höfen. Auch unter ihnen gab es nur vereinzelt Männer und wenn, waren sie alt und nützten dem Regenten in der Schlacht nichts mehr.

Immer wieder war es zu Scharmützeln gekommen, als die Truppen Cammals versucht hatten, in die Lande rund um Periula einzufallen, und zahlreiche weitere Familien hatten Angehörige verloren. Es gab kaum noch eine Familie in den Städten oder den Dörfern, die nicht einen Anverwandten in den Jahren des Krieges verloren hatte. Zum Leid der Menschen schienen diese Jahre immer noch nicht enden zu wollen und nun kroch auch noch ein Schatten über ihre Seele, obwohl der warme Frühling und der sonnige Sommer reiche Ernte versprachen. Der Schatten schien vom Schloss Cammals auszugehen, wo der Regent nun unter dem Banner dieser Schwarzen Flamme sass und über den grössten Teil des Reiches gebot. Eine Bäuerin, die gerade mit einem Tuch voll Weizen in Richtung Hof ging, wusste von zahlreichen Bekannten, die geflohen waren, als der junge Graf die Regentschaft über das Reich erlangt hatte. Viele Familien waren nach Periula gezogen oder über den grossen Fluss nach Markander, da sie der sagenumwobenen Gewissenlosigkeit des jungen Meerschlossfels entkommen wollten. Jene, die hier geblieben waren, wandten dann und wann den Blick hin zu den Mauern, die sich auf der Halbinsel in leichten Nebelschwaden erhoben und liessen ihn hin zu den höchsten Türmen gleiten, wo der Regent wohl Rat halten würde.

«Arak hält sich hartnäckiger als erwartet», gab Greg in einem jener Türme zu bedenken. Er stützte den Kopf in seine Hände und seufzte tief. Man sah ihm die Erschöpfung an, die Strapazen der letzten Tage zeichneten sich immer mehr ab. Obelek sah zum Hauptmann der Schlosswache und fügte hinzu: «Ich fürchte, das Volk stellt sich immer weiter auf seine Seite. In manchen Dörfern wurden unsere Soldaten von Aufständischen beleidigt und einige wurden sogar getötet. Vielleicht sollten wir ihnen grössere Gnade erweisen, damit sie uns folgen.»

«Gnade?», erklang die Stimme vom Kopfende der langen Tafel, «Gnade? Niemandem wird Gnade widerfahren. Wer uns nicht folgen will, ist unser Feind und was machen wir mit unseren Feinden?»

«Wir töten sie!», erklang eine eisige Stimme an Mendrienos Seite. Die Ritter zuckten zusammen und Grindor hielt seinen Blick steif geradeaus gerichtet, damit er den Totenmarschall nicht ansehen musste. Mendrieno lächelte hämisch und nickte, ehe er seinen Blick Grindor zuwandte und sagte: «Ich habe gehört, Garlendburg macht Probleme. Ich denke, wir sollten dem Grafen und der Gräfin einmal einen Besuch in ihrem Schloss abstatten. Kann ich dir das überlassen?»

Grindor antwortete unterwürfig: «Natürlich, mein Herr. Gebt mir einen Trupp Totenlegionäre, und das Garland sowie Garlendburg werden sich uns endlich vollends unterwerfen. In Gar scheinen die Sippenoberhäupter nicht zufrieden zu sein damit, dass nicht Prinz Arak seinen Vater beerbt. Ich lasse sie überwachen, sollen sie verschwinden?»

«Ich denke, eine öffentliche Hinrichtung dürfte das Volk in die Schranken weisen», antwortete Mendrieno mit einem fiesen Grinsen. Nun sah ihn Jolak fragend an und meinte: «Werden solche Taten das Volk nicht erst recht erzürnen und auf die Seite Araks treiben?»

Mendrienos fieses Lächeln hielt an, und der junge Graf von Meerschlossfels erwiderte: «Das müsst ihr noch lernen. Wenn man das Volk nur unterdrückt, dann wird es bei jeder Schwäche versuchen aufzustehen, deswegen muss es eine solche Furcht vor uns haben, dass es gar nicht erst nach einer Schwäche sucht. Verbreitet die Botschaft, dass jeder, der im Verdacht steht, gegen die Schwarze Flamme aufzubegehren oder ein Anhänger Araks zu sein, sofort hinzurichten ist. Das Volk soll uns nicht lieben, es muss uns fürchten. Viele werden beides tun, wie es das Volk dieser Stadt tut.»

Nun sah Greg zu Mendrieno hin und fragte den Regenten von Cammal: «Was ist mit Periula, wie sollen wir die Stad einnehmen? Sie hindern uns, grosse Heere nach Gar und noch weiter über die alte Strasse zu entsenden.»

Mendrieno begann kalt zu lachen und sah hämisch grinsend in die Runde. Seine Augen blitzen voller Boshaftigkeit auf, als er antwortete: «Es wird nicht mehr lange gehen und dann wird ein Heer heranrücken, das Periula in wenigen Stunden erobern wird. Sobald diese verfluchten Heere Lakalts bei der Mallabasfestung besiegt sind, werden unsere Verbündeten in Scharen in die Lande diesseits der Sonnenberge strömen und alle Feinde tilgen, die sich uns in den Weg stellen. Wir werden früher oder später sowieso siegen, doch mir wäre lieber früher als später.»

Auf einmal ging die Tür auf und ein schüchterner Junge sah vorsichtig durch den Spalt und sprach: «Mein Gebieter, es ist so weit, das Volk wartet auf die Hinrichtung.»

Mendrienos Gesicht hellte sich noch weiter auf und er schritt sogleich aus dem Raum, gefolgt von seinen Rittern, seinen Beratern und dem Totenmarschall.»

Sie schritten durch das Schloss hinauf auf den königlichen Balkon, wo Urak bereits mit geistesabwesender Miene in einem grossen roten und goldenen Sessel sass und nichts um sich herum wahrzunehmen schien. Mendrieno trat hinaus auf den Balkon über dem grossen Platz. Der Park war nun ebenfalls gepflastert, keine Pflanze war mehr zu sehen. An allen Wänden des Schlosses hingen die Banner der Schwarzen Flamme über dem Meer von Leuten, die sich auf dem Platz versammelt hatten. Sie jubelten, als sie den Regenten erblickten und riefen seinen Namen immer wieder. Schliesslich hob er die Hände, um sie zum Schweigen aufzufordern. Mendrieno hielt einen Augenblick inne und begann anschliessend mit klarer kalter Stimme zu sprechen: «Mein Volk, Krieger der Schwarzen Flamme, Diener des grössten aller Herrscher, Farlkors. Wir haben sie gefasst, als sie aus dem abtrünnigen Markander zum Verräter Arak nach Periula reiten wollten. Sie sind Verräter gegen den König, Verräter gegen den Regenten und Verräter gegen die Schwarze Flamme. Ich gebe den Beschuldigten die Möglichkeit ihre Taten zu begründen, vielleicht mag dies mein Urteil mildern.»

Hämisch hörte Mendrieno, wie das Volk nach Strafe rief und die Worte «Hängt sie!», «Vierteilt sie!», «Köpft sie!» und «Peitscht sie aus!» mehrfach wiederholte. Schliesslich zerrten einige Schlosswachen vier bedauernswerte Gestalten auf den Vorplatz. An ihren Leibern hingen zerfetzte Kleiderreste, und eingetrocknetes Blut verkrustete ihre Haut. Die vier Männer wurden unter Peitschenknallen auf den Platz getrieben, wo ihnen unzählige «Verräter!» Rufe entgegenschallten. Schliesslich erhob Mendrieno erneut seine Hände, um das Volk zu beruhigen und sprach: «Nun lasst die Gefangenen sprechen und ihre Schuld eingestehen.»

Die vier Boten zitterten vor Angst, als Mendrieno ihnen seinen eisigen Blick zuwandte. Ihr Anführer begann schliesslich mit unsicherer Stimme zu sprechen: «Es tut uns leid, wir wussten nicht, dass sich unser verräterischer Graf gegen euch und den König gestellt hatte. Wir machten uns des Hochverrats an Cammals Regenten, Cammals König und der Schwarzen Flamme schuldig. Wir bitten euch um Gnade, wir werden von nun an euch dienen.»

Mendrieno lächelte, als der Gefangene endete und wartete eine Weile, ehe er wieder das Wort ergriff und seine kalte Stimme über den Platz schallen liess: «Sie haben sich gegen uns gestellt und sind damit unsere Feinde. Was machen wir mit unseren Feinden?»

«Töten! Töten! Töten!», schallten die Stimmen der Bürger Cammals durch die ganze Stadt, während Mendrieno immer selbstzufriedener grinste. Der junge Regent wartete wieder eine Weile, bis die Rufe langsam verhallten und begann schliesslich mit seiner Urteilsverkündung: «Richtig, wir töten sie. Sie sollen für all ihre Taten an diesem einen Tag büssen. Jeder wird die Schmach von hundert Peitschenhieben auf sich nehmen, ehe sie gevierteilt werden. Die Peitschenhiebe werden von einem Totenlegionär ausgeführt, die Verräter sollen Qualen leiden, die sie sich niemals vorgestellt haben, Qualen, die jenen eine Lehre sein werden, die sich gegen unsere grosse Sache stellen.»

Bei diesen Worten schritten vier Totenlegionäre aus dem Schloss, ihre Gestalten waren von dunklem Schatten umhüllt. Aus dem Schatten heraus schwangen dunkle Riemen, deren Spitzen mit hartem Eisen besetzt waren. Einer der Schlosswachen riss die zerfetzten Hemden der vier Gefangenen auf, sodass ihre Rücken für die Riemen freilagen. Nun schwieg das Volk, die Menschenmassen zitterten vor dem Anblick der Totenlegionäre und drängten zurück. Voller Furcht blickten sie die Schatten an. Mendrieno genoss die Furcht seiner Untertanen und gab dem Totenlegionär ein Zeichen, mit der Ausführung des Urteils zu beginnen. Die Totenlegionäre erhoben ihre Peitschen und liessen sie niedersausen. Ein Schlag nach dem anderen wurde unter dem schmerzvollen Gestöhne der Gefangenen ausgeführt. Nach zwanzig Schlägen musste einer von ihnen bereits von einer Schlosswachen gestützt werden, damit er nicht zusammenbrach. Die Gefangenen schrien vor Schmerz und Verzweiflung, dass es über die Mauern Cammals hinausschallte. Gleichzeitig johlte die Masse Mendrienos Namen, während dieser zu Grindor meinte: «Wie gesagt, das niedere Volk muss dich nur genug fürchten, so verehren sie dich mehr, als wenn sie dich lieben.»

Schliesslich waren die hundert Schläge erreicht. Die Totenlegionäre machten einfach weiter, ohne dass Mendrieno etwas einwandte. Erst als einer der Gefangenen zusammenbrach und sich nicht mehr rührte, gab der Regent das Zeichen die Tortur zu beenden. Er blickte zu der Schlosswache hin, die den Puls des Zusammengebrochenen fühlte und anschliessend ein Zeichen gab, dass dieser bereits tot war.

«Nun vierteilt sie!», schrie Mendrieno voller hämischer Freude. Die Totenlegionäre holten Pferde herbei, die vor Angst zitterten. Sie banden nicht nur die drei lebenden Gefangenen an den armen Tieren fest, sondern auch jenen, der bereits tot war. Als sie alle an all ihren Gliedern an je einem Pferd befestigt waren, traten hinter alle sechzehn Pferde Totenlegionäre, die nun hinzugekommen waren. Sie holten mit ihren Peitschen aus und droschen damit auf die Pferde ein, damit diese verzweifelt die Flucht zu ergreifen suchten. Nun drehten sich auch viele der Bürger Cammals um, denn dieses Schauspiel wollten sie nicht miterleben. Grindor konnte sich auch nur mit Mühe zwingen, der Strafe mit offenen Augen zuzusehen, während Mendrieno neben ihm voller Mordlust lachte. Dem Bürgermeister aus Gar war übel, als die Pferde weiter rannten, doch durfte er sich nichts anmerken lassen. Er lächelte gezwungen, als Mendrieno ihn misstrauisch musterte und meinte: «Du wirst dich noch daran gewöhnen, ein paar Hinrichtungen und auch dir wird es gefallen.»

Grindor nickte, doch erwiderte er kein Wort. Sein Blick wandte sich der Masse zu, die nun schweigend da stand und keinen Ton mehr von sich gab. Erst nach einer Weile begannen sich wieder Rufe zu erheben und Mendrieno wurde bejubelt. Laut schrien die Leute seinen Namen: «Lang lebe Regent Mendrieno, ewig dienen wir dem Herrn der Schwarzen Flamme, Farlkor ist unser höchster Gebieter.»

Ihre eigenen Worte trieben ihnen die Furcht in die Knochen, doch war ihre Furcht vor Mendrieno und seinen Dienern noch viel grösser. Sie quälten sich diese Worte auszusprechen, denn alles andere erschien ihnen als falsch. Schliesslich war der junge Graf von Meerschlossfels nun ihr Regent. Dieser verschwand unter dem lauten Beifall der Menge wieder vom Balkon und kehrte mit seinem Gefolge ins Schloss zurück. Grindor trat als letzter vom Balkon und warf noch einen letzten Blick auf die tobenden Massen. Etwas ihn ihm war zufrieden, es fühlte sich gut an, eine solche Macht zu haben und in den höchsten Diensten des Regenten zu stehen. In Gar würde seine Macht unbestritten sein, wenn endlich die Sippenoberhäupter keinen Einfluss mehr hätten und ihm das dumme gewöhnliche Volk folgen würde.

Zweiter Prolog

Erstes Kapitel - Sonneninsel

«Lange ist es nun her, seit das letzte Schiff aus Peyirisula hier gelandet ist. Lange Jahre sind vergangen seit den Tagen unserer Vorväter, als täglich Schiffe aus Marsat und Peyirisula mit stolz wehenden Bannern einliefen. Ich wünschte, wir könnten ebenfalls solche Tage erleben», meinte Nibeniair, der Statthalter Sirenarias zu seinem Admiral und blickte auf den Kristall, der mitten im Raum auf einem runden Tisch stand. Admiral Cionior blickte auf das Bild eines gigantischen Schiffes, das an der Wand hing. Es war ein meisterhaftes Gemälde und zeigte dieses Schiff mit dem wohlklingenden Namen «Neyirela» im Hafen Sirenarias. In Cioniors Augen lag zugleich Wehmut wie auch Demut. Nachdem er eine Weile das Bild angestarrt hatte, sagte der Admiral: «Schade, dass dieses Schiff zu unseren Lebzeiten nie in diesem Hafen eingelaufen ist. Es wäre mein Traum, es irgendwann zu erblicken. Ich hoffe, es durchstreift noch immer die See und liegt nicht irgendwo auf Grund.»

Nibeniair lächelte und entgegnete: «Das wohl kaum, ich habe gehört, die besten Handwerker aller Bündnisvölker Areyiticäs hätten daran gearbeitet. Allerdings ist die Heimat unseres Volkes nur noch ein Schatten seiner selbst. Die Stadt, aus der die Polariä entstammen, gibt es nicht mehr, und das letzte Reich wurde vor mehr als zweitausend Jahren durch einen schlimmen Krieg entvölkert. Ich fürchte, es wird kaum mehr jemanden geben, der die Windgreif segeln könnte. Ausserdem war sie das Schiff des Königs, und dieser ist in der letzten Schlacht von Marsat gefallen. Wir wurden zu spät unterrichtet, denn der Kristall des Hochkönigs ist mit seiner Stadt von der Erde verschluckt worden. Unsere Vorväter hätten dem Nachfahren der Hochkönige gewiss zur Seite stehen können.»

Cionior blickte auf die Karte an der Wand und auf das Land in der Mitte. Es war Areyiticä, fern von ihrer Insel. Nach einer Weile des Schweigens meinte der Admiral: «Allerdings verbreiten sich durch einige weitgereiste Handelsleute die Gerüchte, Marsat sei wieder auferstanden. Zwar nicht unter einem König, doch habe der Erbe des letzten Statthalters seinen Sitz angetreten.»

Nibeniair hörte aufmerksam zu, während sich sein Gesicht aufhellte. Er blickte ebenfalls auf die Karte, hin zu jenem Punkt in Areyiticä, der mit Marsat angeschrieben war. Daraufhin strich sein Blick nach Westen, zwischen den Sonnenbergen hindurch, wo das Bild einer grossen Festung mit Kailad Mallabas bezeichnet war, hin zu einem Berg, dessen Flanken von spiralförmigen Mauern überzogen waren. Der Berg erhob sich mitten aus einem See, zu dessen Ufer sich eine weite Hochebene bis zu Bergketten im Süden und Norden ausdehnte. Neben dem Berg stand in grossen goldenen Buchstaben Polaria geschrieben. Dieser Berg war die einstige Heimat ihres Volkes, so fern ihres jetzigen Sitzes und doch fühlten sie sich ihr so nah. Es war eine Sehnsucht in ihren Herzen, jedes Mal, wenn sie den Namen lasen. Doch noch weiter im Osten erkannte man den Wall der Eisberge, die ein Land umgaben, das mit keinem Namen beschrieben war. Einzig an den östlichen Ausläufern, hin zu den Städten Salkenda und Narkenda standen zwei Namen. Namen, deren Klang sie nicht aussprechen wollten. Grak Keresko im Süden stand Salkenda gegenüber und Grak Sarim im Norden warf seinen düsteren Schatten nach Narkenda. Wie zwei Türme schienen sie, die ein Tor hin zum namenlosen Land bewachten. Weite Ebenen umgaben die Ikbalet mit ihren hohen Gipfeln und grauen Gletschern. Beide kannten sie die Geschichte, wie der letzte Hochkönig gegen die Schwarze Flamme gezogen war und gesiegt hatte. Doch ebenso kannten sie das Ende der Geschichte des zwölften Hochkönigs, der in jener Schlacht fiel, nachdem er den Herrn der Schwarzen Flamme bezwungen hatte. Denn als dessen Sohn in seine Heimatstadt Polaria zurückkehren wollte, war diese nicht mehr zu sehen, nur noch karger Fels ragte aus dem Polarisaniä. Ihre Blicke kehrten langsam nach Osten zurück, hinweg über Ceyiemnia und die Sonnenberge, hin zu Marsat und weiter über Saraeleyin nach Sirenaria, ihrer Heimat. Nibeniair wandte sich wieder dem Fenster zu und blickte in den Hafen. Dort liefen Fischerboote ein und brachten frische Ware auf den Markt. Nachdem beide eine Weile geschwiegen hatten, brach der Admiral die Stille: «Was meinst du, wäre es nicht langsam an der Zeit mit einer Erkundungsflotte nach Areyiticä zurückzukehren, um zu sehen, wie die Dinge dort stehen? Ich würde zu gerne den Hafen Peyirisulas erblicken und die Bergfestung von Marsat. Diese soll den Legenden zufolge am ehesten an Polaria erinnern. Ausserdem würde es unseren Seeleuten gut tun, einmal fremde Gewässer zu durchstreifen, schliesslich kennen sie nur die Meere rund um unsere Insel. Ausser einigen Piraten gibt es hier sowieso kaum etwas zu tun und diese fliehen inzwischen schon vor unseren Handelsschiffen.»

«Du hast recht», antwortete Nibeniair etwas zaghaft, «gerne würde ich mitkommen, doch ich fürchte, das Volk von Sirenaria will mich hier behalten. Segle mit fünf Schiffen und starker Besatzung nach Marsat, man weiss nie, was einen dort erwartet. Ich bin mir sicher, du wirst viele Freiwillige finden, ich fürchte fast, jeder Seemann will mitfahren und die Häfen Marsats und Peyirisulas sichten. Wenn es dir beliebt, kannst du deine kleine Flotte auch aufteilen und gleichzeitig einige Schiffe in beide Städte entsenden.»

Admiral Cionior nickte dankend und fügte schliesslich hinzu: «Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gerne noch eines der Botenschiffe mitnehmen, dieses könnte in wenigen Wochen von Areyiticä mit Meldungen zurückkehren, während die Kriegsschiffe mindestens zwei Monate zur Überfahrt benötigen und dies nur bei günstigem Wind. So könnten wir längere Zeit verweilen und möglicherweise die Eyilreä in Milrea aufsuchen.»

Bei diesen Worten blickte er in den Nordosten des grossen Landes inmitten der Karte. Seine Finger strichen entlang den Küsten Caibreyiäreas von Peyirisula, vorbei an Marsat in den Norden nach Milrea.

Der Statthalter liess seine Augen ebenfalls über die Ostküste gleiten und sagte anschliessend: «Ich denke, wir sollten diese Schiffe schon bald entsenden, ein Gefühl sagt es mir. Ich weiss nicht wieso, aber seit einigen Tagen keimen Bilder in meinen Gedanken auf, Bilder, in welchen unser Volk gegen das Böse kämpft. Doch die Geschehnisse scheinen nicht fern in der Zeit, nur fern in der Weite.»

«Das gleiche Gefühl drängt mich», entgegnete der Admiral mit gedankenverlorenem Blick. Schliesslich strich Nibeniair über den Kristall auf dem Tisch und sprach auf einmal mit kräftiger Stimme: «Ich denke, wir sollten nicht zu viel Zeit verlieren, ich fürchte, dieses Gefühl könnte die Wahrheit sein. Bald bricht die zwanzigste Generation an, der grosse Taten vorausgesagt werden.»

Cionior sah nachdenklich aus dem Fenster und erwiderte daraufhin nicht minder entschlossen: «Den Gerüchten zufolge ist dieser Statthalter in Marsat der zwanzigste seiner Linie. Selbst für das Mass der Menschen, die nicht mit einem langen Leben gesegnet sind, wäre er noch jung. Die zwanzigste Generation ist angebrochen und ihr wird Grosses prophezeit. Umso wichtiger ist es, dass wir wissen, was in Areyiticä geschieht. Ich werde mich umgehend mit meinen Kapitänen treffen und unser Auslaufen vorbereiten.»

Nibeniair nickte mit sorgenvollem Gesicht und sah aus dem westlichen Fenster in Richtung des Horizontes.

Unter dem Palast brachen die Wellen klangvoll am standhaften Felsen. Die Schaumkronen glitzerten majestätisch in der Sonne. In einiger Entfernung sprangen Delfine aus dem Wasser und grinsten frech in den blauen Himmel. Es sah alles so friedlich aus, es schien dem Statthalter, als könnte nichts Schlechtes diese Welt heimsuchen. Allerdings wusste er, dass es nicht so war. Er wandte seinen Blick zum Hafen hin und musterte die Schiffe, ein dunkler Schatten überflog sein Gesicht und er sagte, gerade als Cionior den Raum verlassen wollte: «Wie sehr liebe ich den Frieden, wie sehr liegt er mir am Herzen. Die Leute tun wie ihnen gefällt und leben in Wohlstand. Keine Gesetze sind nötig, die Ordnung zu erhalten, nichts muss ich tun, was meinem Willen widerstrebt. Dennoch wäre jeder auf unserer liebsamen Insel dazu bereit in den Krieg zu ziehen, wenn es sein muss. Auch wir sind nicht von Bedrohungen gefeit. Zudem dürfen wir unser Volk nicht im Stich lassen, etwas sagt mir, dass es uns braucht.»

Der Admiral entgegnete daraufhin: «Auch mir widerstrebt es, diese Gefilde zu verlassen, doch es gibt Dinge, die getan werden müssen. Ich glaube nicht, dass das Böse, sei es zurückgekehrt nach Areyiticä, es dabei belassen würde, das dortige Land zu eigen zu haben. Eher würden diese finsteren Mächte jeden jagen, egal wie fern, damit niemand mehr übrig bleibt, der ihnen widerstrebt. Schon einmal wäre dem grossen Bösen beinahe ein Sieg gelungen, doch die Hilfe, die übers weite Meer kam, half unserem Volk einstmals, das Böse aus Areyiticä zu verbannen, auch wenn seine Geschöpfe geblieben waren. Ich werde dafür sorgen, dass wir morgen Abend auslaufen und Kurs auf Areyiticä nehmen.»

Nibeniair nickte und meinte: «Ich hoffe, ihr findet Frieden vor, doch fürchte ich, dass diese Hoffnung ein Trug sein wird. Alles Gute auf dieser Reise wünsche ich dir, sorge dafür, dass ihr heil zurückkehrt! Wenn ihr in Bedrängnis kommt, zögere nicht und sende das Botenschiff so schnell es geht zurück, so dass wir euch Hilfe senden können. Wenn es sein muss, sticht unsere gesamte Flotte in See, um dem Andenken unserer Ahnen gerecht zu werden.»

Cionior schüttelte dem Statthalter von Sirenaria die Hand und verliess daraufhin den Raum durch eine schwere Eichentür. Diese fiel daraufhin wieder zu und Nibeniair blieb alleine in seinem Arbeitszimmer zurück. Er strich über den Kristall auf dem Tisch inmitten des Raumes und murmelte leise vor sich hin: «Viele Vorgänger haben dich gehütet, ohne dass du ihnen ein Bild gezeigt hast. Ich hoffe, in meiner Zeit wird sich dies ändern und du wirst wieder erweckt. Ich hoffe, die Rückkehr steht bevor und deine Kräfte kehren zurück, du edles Erbe aus Nurumcinia, dem heiligsten Ort dieser Welt, der du verborgen bleibst.»

Zweites Kapitel – Wellenfahrt

Die Nacht war vergangen und der Tag gekommen, die Sonne erhob sich hinter ihnen aus den Fluten des Meeres. Ihre Heimat war bereits nicht mehr zu sehen, der Horizont erhob sich vor ihnen. Das Wasser strich um den Bug der Nilya, dem Schiff Admiral Cioniors. Fünf grosse Schiffe glitten elegant über das klare Wasser des Meeres. Hinter ihnen segelte ein sechstes, weit kleineres. Dieses Schiff war lange, verglichen mit der geringen Breite und besass grosse Segel, doch war nur der vorderste der drei Masten aufgetakelt. Dennoch ging dieses Schiff nicht voll an den Wind. Sein Bug war ein Meisterwerk der Schiffbauer Sirenarias. Er schien auf dem Wasser zu schweben und kaum Widerstand hervorzurufen. Dies war eines der schnellen Botenschiffe. Trotz ihrer kleinen Masse gehörten sie zum Stolz der Insel, denn kein anderes Schiff konnte es mit ihrer Wendigkeit und ihrer Schnelligkeit aufnehmen. Cionior drehte sich zu Galanialt um, dem Kapitän der Nilya. Er war ein bärtiger Seemann von stolzer Statur. Seine Augen blitzten beim Anblick des aufkommenden Tages auf und er meinte an den Admiral gewandt: «Cionior, es bedeutet mir viel, dass du mich und mein Schiff für diese Reise ausersehen hast. Es ist schon lange einer meiner grössten Wünsche, den Hafen Peyirisulas und jenen Marsats zu erblicken.»

«Ich bin froh, dass du mit mir segelst», entgegnete Cionior lächelnd, «Du und dein Schiff, ihr seid ein Herz und eine Seele. Als du vor einigen Jahren hättest Kommandant werden sollen, hast du abgelehnt. Damals konnte ich dies nicht verstehen, doch wenn ich die Planken dieses edlen Schiffes beschreite, kann ich deine Gesinnung nachvollziehen. Du könntest heute ebenfalls Admiral sein, doch dann würden wir nicht gemeinsam nach Areyiticä segeln, mein alter Freund.»

Die Gischt spritzte über die Reling und benetzte ihre Gesichter. Die beiden Kameraden genossen es, ebenso wie ihre Mannschaft. Nur erwartungsvolle und frohe Gesichter waren zu sehen, während die sechs Schiffe nach Westen glitten. Obwohl nur ein schwacher Wind wehte, wölbten sich die Segel und bewegten die Last der imposanten Segler. Die Segel waren von solch feiner Machart, dass kein bisschen Wind durch die Maschen drang. Das blaue Blatt und das goldene Schwert schwebten stolz im Wind. Hoch über ihnen am Mast wehte das Banner Polarias, während am mittleren Mast das Wappen Sirenarias in der Sonne glühte. Ein goldenes Schiff fuhr darauf einer goldenen Insel entgegen, über deren Klippen das Wappen Polaria auf blauem Grund wehte. Am vordersten Mast streckte sich der gestickte Schriftzug der Nilya im Wind. Die feinen goldenen Eyilreäis Buchstaben leuchteten auf dem majestätischen Blau. Am Bug streckte ein silberner Adler seine Schwingen aus und es schien, als würde er dem Flaggschiff Cioniors voran gleiten.

«Was denkst du, wird uns dort erwarten?», fragte Galanialt mit leuchtenden Augen. Der Admiral schwieg eine Weile, ehe er antwortete: «Ich freue mich, die Werke unserer Vorfahren zu erblicken, doch fürchte ich, dass das Böse versucht das Volk der Polariä zu vernichten. Es ist ein Gefühl, doch bin ich mir sicher. Es mag heissen, dass Marsat wieder einen Statthalter hat, doch der einzige, der dem höchsten Diener des Bösen die Stirn bieten mag, ist tot und seine Linie erloschen.» «Sprichst du vom Carai Harai Polaria?» hakte der Kapitän leise und behutsam nach. Cionior nickte und fuhr fort: «Ja, wenn die Überlieferungen wahr sind, wird es niemandem ausser einem seiner Erben gelingen, das Böse aus den Landen Areyiticäs zu vertreiben. So fürchte ich, dass dort schlimme Dinge geschehen könnten. Jede Stunde, die wir uns unseren Stammlanden nähern, spüre ich, wie die Mächte stärker werden, die Mächte des Bösen, doch auch die Mächte des Guten.»

Die Tage verstrichen und der Wind war günstig, sie kamen rasch voran und näherten sich ihrem Ziel. In weiter Ferne sahen sie bereits, wie sich die Wolken auftürmten. Ihre Herzen schlugen höher nach der langen Zeit auf See. Dann und wann flatterte eine neugierige Möwe vorbei und beobachtete die grossen Schiffe argwöhnisch. Sie waren ihr fremd und doch irgendwie vertraut. Neben ihnen erhoben sich die gewaltigen Umrisse einer grossen Insel aus den Fluten. Cionior blickte sich zu ihr um und meinte an Galanialt gewandt: «Saraeleyin, die Insel, wo einst die Eyilreä gelandet sind, um den Polariä während der Dunkelsten Stunde beizustehen. Die beiden hohen Völker vereinten sich hier, als alles Land ausser Polaria selbst vom Bösen beherrscht wurde. Man sagt, der graue Gletscher hätte die Insel schon fast erreicht, als die Mächte des Guten ihn zurückdrängten.»

Galanialt schwieg, sein Blick glitt den nebligen Konturen der Insel entlang und wandte sich dann wieder nach Westen. Die sechs Schiffe glitten weiter durch das aufgewühlte Wasser. Trotz des starken Wellengangs lagen sie fest im Wasser und schaukelten kaum. Der Nebel in der Ferne verbarg ihnen die Sicht, er umhüllte einen gewaltigen Berg, der sich direkt an der Küste erhob. Cionior wusste nun, wo sie hinsteuerten, dies konnte nur ein Ort in ganz Areyiticä sein. Auf einmal zog ein scharfer Morgenwind auf und stiess sie noch kräftiger voran. Der Nebel verzog sich und die Sonne fiel auf den Berg, der sich vor ihnen erhob. Cionior hielt sich an einem der Flügel des Adlers am Bug der Nilya fest. Galanialt sah ihn, wie er sich dort festklammerte und wollte ihn gerade stützen, als der Kapitän geradeaus blickte und sah, wie sich auch noch die letzten Fetzen des Morgennebels verzogen. Neben dem gigantischen Berg erhob sich ein Fels, dessen Spitze in der Morgensonne zu brennen schien. Nun wandte auch die restliche Mannschaft ihren Blick zu diesem eindrücklichen Bild hin. Cioniors Aufmerksamkeit zog es bis zur Spitze des hohen Berges. Diese schien noch heller zu brennen als jene des kleinen. Es war ein von hohen Türmen umgebenes Glasdach, das die Sonne des aufgehenden Tages leuchtend zurückwarf. Unter diesem Dach erstreckten sich Mauern und Dächer über die gesamte Bergflanke. Zwischen den beiden Bergen schwang sich eine Brücke in einem weiten eleganten Bogen. Zu Füssen des kleineren Berges öffnete sich die Küstenlinie und gab den Blick auf eine grosse Bucht frei. Doch die Seeleute sahen die Bucht zuerst gar nicht. Etwas anderes fesselte ihren Blick, ein Anblick mitten in dieser weitläufigen Bucht. Ein Anblick, wie sie ihn nur aus Geschichten und von Bildern kannten. Doch, was sie nun sahen, übertraf ihre kühnsten Vorstellungen und malerischsten Hoffnungen.

Ihre Masten erhoben sich hoch und ihre Banner flatterten majestätisch im Morgenwind. Ihr gepanzerter Rumpf glühte blau und ihre anmutige Form verzauberte die Blicke der Mannschaften auf den Schiffen aus Sirenaria. Sie fühlten sich, als stünden sie auf Nussschalen, kläglichen kleinen Booten, mit denen sie auf der offenen See untergehen würden. Cioniors Augen glühten, als er dieses Schiff erblickte und er flüsterte zu sich selbst: «Neyirela, ein Schiff grösserer Mächte, das Schiff des Hochkönigs von einst. Das Flaggschiff unseres Volkes.»

Galanialt hatte zahlreiche Sagen und Lieder darüber gehört, doch keines wurde diesem Anblick gerecht. Die Ballisten im Bug waren schliesslich ebenfalls zu sehen, gewiss konnten sie Pfeile abschiessen, die mindestens halb so lang wie die Nilya waren. Der Kapitän begann leise zu singen:

«Des weiten Meeres grösste Pracht

Durchbricht ihr Glanz die dunkelste Nacht

Gleitet sie wie der Wind voran

Wer immer sich dieses Werk ersann

Soll ewig in höchsten Ehren stehen

So wird sein Werk niemals untergehen

Undurchdringlich ihr Bug

Scheint ihr Anblick ein Trug

Hoh ihre Masten in den Himmel hoch

Erinnern wir uns ihres Daseins noch

Wie schön wäre es, sie einmal zu sehn

Ehe unsere Zeiten auf Erden vergehn

Des Hochkönigs grosser Stolz

Gefertigt aus dem stärksten Holz

Mit stärkstem Panzer überzogen

Hat sich der Nebel vor ihr verzogen

Der Kobolde Meisterwerke treffen genau

Gleisst die Neyirela in majestätischem Blau

Die Winggreif, Königin der See

Dass ihr Glanz niemals niedergeh

Gleitet sie übers weite Meer dahin

Scheint sie ein Werk des Anbeginns

Ein Werk des hohen Sternenzelts

Ein Werk nicht von dieser Welt

Die Neyirela in all ihrer ewigen Pracht

Ein Meisterwerk von allen Völkern gemacht

Ein gewaltiges Schiff ohne seinesgleichen

Ein Schiff, um jedes Ziel zu erreichen

Hält dem Bösen in schlimmsten Nöten stand

Treu wenn der Ruf des Guten hell erklang

Die Neyirela, des Hochkönigs edles Schiff

Glüht sie, gleitend nahe dem klaren Riff

Ewig wird sie über unendliche Gewässer gleiten

Ewig soll sie über die hohen Wellenkronen reiten

Die Zeit soll sie glanzvoll überdauern

Und alle Gefahren besiegen, die lauern.»

Galanialt hatte gar nicht bemerkt, wie alle um ihn herum in dieses Lied eingestimmt hatten, während sie auf den Hafen Marsats zuliefen. Jeder von ihnen kannte es, jeder von den Seeleuten Sirenarias träumte schon lange davon, das herrlichste aller Schiffe zu erblicken. Neben ihnen erhoben sich der Berg des Königs und jener des Statthalters. Die Paläste, die auf ihnen thronten, krönten die mächtigen Mauerwerke, welche die Felsen umgaben. Alle schwiegen sie, während sie immer näher auf die Neyirela zuglitten. Je näher sie kamen, desto imposanter wurde das Schiff. Voller Ehrfurcht und Demut blickten die Seeleute aus Sirenaria hin zu dem goldenen Greif, der ihren Bug zierte. Ein königliches Wesen, so war es, gefertigt aus Gold und Dailronera. Der blaue Stahl aus der Bündnisstadt liess den ganzen Rumpf immer mehr glühen und blendete die Männer an Bord. Schliesslich wandten sie ihre Blicke ab und erkannten, was die Bucht umgab. Überall waren Häuser und Türme zu sehen, die ein grosses Hafenbecken einschlossen. Zahlreiche grosse Schiffe erhoben sich darin, doch keines konnte sich mit der Neyirela messen. Links neben ihnen erhoben sich nun die Klippen des Berges, auf dem der Palast des Statthalters thronte. Vor ihnen erblickten sie einen weiten Platz, auf dem sich einige Leute sammelten. Galanialt erkannte durch sein Fernrohr, dass alle von ihnen zumindest einen langen Dolch im Gürtel trugen. An den Kais stellten sich Soldaten in glänzenden Rüstungen auf und machten sich auf die Ankunft der Fremden bereit. Allerdings schienen sie nicht besonders misstrauisch, keiner von ihnen erhob eine Armbrust oder zog ein Schwert. Mitten zwischen ihnen stand ein alter Mann ohne Rüstung, doch auch er trug ein Schwert. Sein grauer Mantel hing bis auf das Holz des Stegs nieder.

Glenrior blickte den einlaufenden Schiffen entgegen und meinte an Feleralt, einen der Palastwachen Marsats, gewandt: «Ich habe es vorausgesehen, sie erkennen die Zeichen, die Polariä, die einst über das Meer gesegelt sind. Sie kehren zurück, die ersten sind es, die nun einlaufen. Ich glaube, sie gelangen aus Sirenaria zu uns, wenn ich die Banner richtig erkenne.»

Die Segel auf den Schiffen wurden hochgezogen und die Anker geworfen. Präzise legten alle sechs Schiffe an diesem Steg an. Die Palastwachen halfen den Seeleuten die Schiffe an den massiven Holzpflöcken zu vertäuen. Schliesslich schritt Glenrior hinzu, als Cionior die Nilya über eine Strickleiter verliess. Der Schlüsselwahrer Marsats trat auf den Admiral zu, der Glenrior leicht verwirrt ansah, als dieser zu sprechen begann: «Seid willkommen, ich erkenne, dass ihr aus Sirenaria kommt. Die Nilya ist ein altes Schiff, sie hat oft hier angelegt, als Marsat noch gross war. Ihr habt die Zeichen vernommen, Areyiticä wird von einem grossen Krieg heimgesucht, ein Krieg, der unser Volk vernichten oder ihm zu neuem Ruhm verhelfen wird. Ihr seid wahrlich willkommen, denn vermutlich in diesen Stunden wird eine Schlacht geschlagen, die unser aller Schicksal entscheiden könnte.»

«Unser Statthalter hat mich entsandt», entgegnete Cionior langsam, «wir haben geahnt, dass sich hier in diesen Landen etwas wandelt, etwas Mächtiges. Wir sind eine kleine Flotte, die in Erfahrung bringen soll, was in Areyiticä geschieht. Doch ich höre von grossem Übel. Bald werden wir unser Botenschiff zurücksenden und Verstärkung erbitten. Kein Polariä in Sirenaria wird zögern, den Brüdern und Schwestern in unseren Stammlanden zu Hilfe zu eilen. Doch will ich Euch zuerst eine Frage stellen. Ist es wahr, dass Marsats Thron wieder bestiegen wurde?»

Glenrior zögerte noch eine Weile, bis er schliesslich antwortete: «Der Statthalter ist zurückgekehrt, doch der König wird nicht nach Marsat zurückkehren. Seine Linie ist vor zweitausend Jahren erloschen.»

«So werden wir dem Statthalter von Marsat folgen», erwiderte Cionior entschlossen. Glenrior sah ihn mit einem sanften Lächeln an. Seine Gesichtszüge entspannten sich, bis er schliesslich meinte: «Diese Worte erfüllen mich mit grosser Freude. Doch es gibt nicht nur den einen Krieg, der zurzeit geführt wird. Als grosser Seefahrer werdet Ihr von Peyirisula gehört haben, der Stadt der Flotte und der Admiräle. Ein Nachfahre unseres grossen Feindes führt dort einen Krieg gegen den Erben des Statthalters von Isula. Unsere ganze Streitmacht benötigen wir, um uns der Truppen der Schwarzen Flamme zu erwehren. Die Schwarze Flamme lodert nun aber auch im Süden. Deswegen bitte ich Euch, segelt nach Peyirisula und helft Arak Gilai Isula, die Stadt der Flotte und der Admiräle gegen den Nachkommen Farlkors zu verteidigen. Doch lasst uns nun an Land gehen und im Flottenpalast über Eure Pläne sprechen.»

Der Admiral nickte, woraufhin sie über den Steg an Land marschierten. Glenrior gab Feleralt ein Zeichen, woraufhin dieser die Seeleute zu den von grünen Parks umgebenen Gästehäusern führte. Galanialt und die Kapitäne der anderen Schiffe folgten Cionior zum Flottenpalast. Bald hatten sie den festen Pflasterplatz erreicht und der Admiral meinte zum Schlüsselwahrer Marsats: «Vielen meiner Männer ist es ein grosser Wunsch, Peyirisula zu sehen, umso ehrenvoller wäre es, wenn wir es verteidigen könnten. Ich habe gut eineinhalbtausend Mann auf den fünf grossen Schiffen. Alle sind sie gut ausgebildete Kämpfer. Das Botenschiff könnte mit Nibeniairs Erlaubnis ein Vielfaches an Leuten und Material anfordern. Dies würde allerdings einige Zeit in Anspruch nehmen.»

Sie gingen die Treppe hinauf zur hohen Pforte des Flottenpalastes. Das Blatt war golden in die Pforte eingelassen. Drinnen leuchtete die Sonne durch das gläserne Dach und erhellte den grossen runden Tisch, auf dem zahlreiche Karten lagen. Sie setzten sich auf die fein geschnitzten Stühle, die rund herum aufgestellt waren. Glenrior blickte in die Runde und sprach anschliessend: «Jede Hilfe ist uns willkommen. Doch zuerst müssen wir diese Schlacht in Kailad Mallabas gewinnen. Allerdings wären wir besonders im Falle einer Niederlage auf Unterstützung angewiesen. Die wenigen Menschen, die da sind, auch wenn sämtliche kampffähig sind, würden Marsat nicht lange verteidigen können. Egal wie die Schlacht im Tal der Könige ausgehen wird, wir brauchen so viel Hilfe wie ihr entbehren könnt, denn auch wenn wir siegreich sein sollten, so hat der grosse Krieg gegen Farlkor erst gerade begonnen.»

«Ihr werdet sie bekommen», entgegnete der Admiral mit klarer Stimme, «das Botenschiff werde ich morgen in der Dämmerung nach Sirenaria entsenden. Mehrere zehntausend tapfere Polariä werden kommen, sie werden Euch beistehen. Wir, die wir hier angekommen sind, sollten allerdings nach Süden segeln, wenn es um Peyirisula so schlimm steht, wie du berichtest.»

Glenrior nickte, sein Blick wandte sich einer grossen Karte an der Wand zu, die beinahe den ganzen Raum einnahm. Weit im Osten Marsats sah er die Insel, Sirenaria. Es gab noch viele weitere Orte, weit im Meer, doch bei deren Anblick seufzte der Schlüsselwahrer auf und meinte: «Es gäbe so manchen Ort, wo unser Volk einst das Land betrat. Könnten wir nur alle Polariä sammeln. Doch ich fürchte, viele Orte sind bereits verlassen und es fehlt die Zeit.»

«Es gäbe einen Weg», wandte Cionior ein, «zumindest sofern man der Sage glaubt. Die Kristalle von Nurumcinia stehen in den Hallen aller Statthalter, würden sie erweckt, dann wäre es möglich unser ganzes Volk zu sammeln.»

Glenrior sah ihn nachdenklich an, ehe er erwiderte: «Dies ist keine Sage, dies ist wahr, doch es gibt oder gab nur zwei Orte, von welchen aus die Steine erweckt werden können.»

«Dann sollten wir einen dieser Orte aufsuchen», warf Galanialt hastig ein. Glenrior musterte den Kapitän der Nilya eine Weile lang schweigend, ehe er harsch antwortete: «Diese Orte lassen sich nicht einfach aufsuchen.»

«Wieso nicht?», wandte Galanialt ein. Glenrior setzte sich wieder hin und machte ein nachdenkliches Gesicht. Schliesslich stützte er seinen Kopf auf die runde Tafel und begann voller Sorge zu erzählen: «Der eine Ort lag im Palast des Hochkönigs. Dieser ist mit Polaria aus dieser Welt entschwunden. Ausserdem muss man die Klinge Nurumcinias tragen, um ihn zu erwecken und diese ist mit den Erben der Hochkönige aus diesen Landen geschieden. Der andere Ort sollte noch auf dieser Welt weilen, denn er ist der älteste aller Orte Areyiticäs. Dieser Ort wurde allerdings seit der Dunkelsten Stunde nicht mehr betreten. Von jenem Ort stammen alle sehenden Kristalle, es ist Nurumcinia selbst. Es ist überliefert, dass dies der Ort ist, wo diese Welt und das Sternenzelt zusammentreffen. Der mächtigste Ort überhaupt.»

Cionior sah Glenrior ahnungslos an und fragte leise: «Wieso hat niemand mehr diesen Ort seither betreten, wieso hat niemand versucht die Steine zu erwecken?»

Glenrior schwieg und Cionior wiederholte seine Frage. Erst nach dem dritten Mal gab der Schlüsselwahrer eine Antwort: «Es gibt zwei Gründe. Der eine ist die Macht an jenem Ort. Nur wenige Wesen könnten ihr widerstehen und sie für das Gute nutzen. Wer nicht genug Stärke besitzt, der Versuchung der Allwissenheit zu widerstehen, geht daran zu Grunde, denn kein Wesen soll diese Macht besitzen. Die Kristalle lassen sich nicht missbrauchen. Sie würden Trugbilder zeigen und den töten, der versucht, sie zu falschen Zwecken zu entfremden. Niemals hätte ich den Mut dies zu versuchen. Erst ein Wesen dieser Lande habe Nurumcinia betreten, so wird es überliefert, und das war Jarior, der erste Hochkönig von Polaria. Aus diesem Grund gibt es das zweite Hindernis. Das Böse wollte jedem den Weg dorthin versperren, denn das Blaue Schwert wurde in diesen Grotten gefertigt. Die Gefahren und Mächte, die einem den Weg versperren, sind von so grossem Übel, dass kaum jemand sie bezwingen könne. Ausserdem weiss niemand mehr, wo dieser Pfad beginnt. Wenn ihr mehr darüber wissen wollt, müsst ihr im Süden der alten Strasse nach Norden folgen. Fast bis zu einem kleinen Städtchen namens Gar, dort in der Nähe lebt ein Mann, der euch weit mehr über diese Dinge sagen kann. Ich besitze mein Wissen aus Büchern und weiss nichts Gewisses. Dieser Mann weiss mehr als jeder andere in diesen Landen. Manche sagen, er habe schon lange vor der Dunkelsten Stunde in diesen Landen gelebt.»

«Wie ist der Name dieses Mannes?», wollte Cionior sogleich wissen. Glenrior schwieg eine Weile, ehe er antwortete: «Der Name, unter welchem ich diesen Mann kenne, lautet Maral. Er ist ein mächtiger Mann, auch wenn er nicht den Anschein macht.»

Sie besprachen noch eine Weile verschiedenste Dinge und Cionior liess sich über die Lage in diesen Landen ins Bilde setzen. Anschliessend verliessen die Kapitäne der grossen Schiffe den einstigen Flottensitz Marsats. Nur Bienor, der Kapitän des Botenschiffes, blieb zurück. Cionior, Glenrior und er besprachen noch eine Weile die Bitten an Nibeniair und dessen Volk. Über dem Glasdach wurde es bereits dunkel und die ersten Sterne waren zu sehen. Sie leuchteten klar vom Himmelszelt herab. Die Kerzen am Kronleuchter über der runden Tafel wurde entzündet und erhellten den Saal. Schliesslich hatten sie sich geeinigt und Bienor meinte: «Dann werde ich Gilai Nibeniair also mitteilen, dass Ihr um jede Hilfe bittet, die er entbehren kann.»

Glenrior nickte und sagte abschliessend: «Ich glaube nicht, dass der Herr der Schwarzen Flamme Ruhe geben wird, selbst wenn Marsat unter seiner Herrschaft liegt. Farlkor wird jeden Polariä auf dieser Welt vernichten wollen, egal wie viele Meilen des weiten Meeres zwischen ihnen liegen.»

Die eleganten Silhouetten des Botenschiffes hoben sich gegen die aufgehende Sonne hin ab. Es musste nun gegen den Wind segeln, doch die erfahrene Mannschaft liess es rasch hin und her kreuzen. Trotz des ungünstigen Windes entfernten sich die Segel schneller von Marsat als sie es erreicht hatten. Sie waren nun alle aufgezogen und trieben den Rumpf durch das blaue Wasser davon. Rasch entfernte es sich, während die Banner von Polaria und Sirenaria stolz im Wind wehten. Cionior sah ihnen vom Pier aus nach, bis die Sonne über den Horizont gestiegen war und ihn so blendete, dass er seinen Blick abwenden musste. Glenrior neben ihm wandte sich ebenfalls ab und meinte: «So gern ich Euch hier in Marsat habe, so sehr möchte ich Euch raten, so bald als möglich nach Süden zu segeln. Ich weiss nicht, wie lange Peyirisula standhalten wird. Gilai Arak und seine Verbündeten liegen sicher schon einige Wochen im Krieg gegen die Schergen der Schwarzen Flamme. Der Regent in Cammal, dem einstigen Isula, kann gemäss Berichten auf einen grossen Teil der Armee zurückgreifen und musste sie nicht neu formieren. Der Erbe des Statthalters hingegen musste aus der Hauptstadt fliehen, er kann nur langsam Verbündete um sich sammeln.»

«Wir verlassen Marsat morgen in der Früh», entgegnete Cionior nachdenklich, «doch hoffe ich, Ihr seid im Besitz von Karten Isulas. Ich weiss, wo es liegt, doch sind es alte Karten und solche, die weit mehr zeigen. Gerne wüsste ich einiges über die Beschaffenheit der Lande im Süden, ehe wir dorthin segeln.»

Glenrior nickte und antwortete: «Natürlich, manche wurden erst in den letzten Jahren in Peyirisula angefertigt und hierhin gebracht. Darauf werdet ihr alles Wissenswerte über die Geografie Isulas erfahren. Über die Zusammensetzung aus Verbündeten des Gilai Isula und dessen Feinden kann ich Euch allerdings nicht viel sagen. Schon länger sind keine Nachrichten mehr in den Norden gelangt. So folgt mir jetzt, ich werde Euch einige Karten zur Einsicht geben und einige, die Ihr gerne mit Euch nehmen könnt.»

Cionior dankte und folgte Glenrior in den Flottenpalast. Dort verschwand der Schlüsselwahrer in einem Nebenraum und kam mit zahlreichen Karten Isulas zurück. Manche zeigten das ganze Reich und Teile Salmarsats. Auf anderen waren hingegen nur die südlichen Küstengebiete zu sehen, jene Gebiete zwischen den Meerbergen und der Halbinsel von Cammal. Die fünf Kapitäne kamen herbei, sie waren ebenfalls im Landkampf ausgebildet und somit die Hauptleute des kleinen Heeres. Die sechs Seeleute aus Sirenaria betrachteten die Karten genau und versuchten sie sich bis ins kleinste Detail einzuprägen.

Die Sonne hatte ihren Zenit bereits überschritten, als Cionior und seine Kapitäne mit drei verschiedenen Karten den Flottenpalst wieder verliessen. Sie wollten die Mannschaften der verbliebenen fünf Schiffe auf die kommende Fahrt vorbereiten. Sie berichteten von ihrem Vorhaben und davon, Peyirisula anzulaufen. Die Gesichter der Soldaten und Seeleute leuchteten bei diesen Worten. Jeder von ihnen kannte die Sage von der Magie Peyirisulas, jener Stadt, wo das Wasser Polarias ins weite Meer mündete. Niemand liess seine Gedanken vom möglichen Übel trüben, das sie dort erwarten mochte. Alle dachten nur noch an das Wasser des Mallabas, das unter den geschwungenen Brücken der Stadt der Flotte und Admiräle hindurchfloss.

Die Sonne ging nieder und die Gäste aus Sirenaria speisten ein letztes Mal mit den wenigen Palastwachen und Hofgardisten, die in Marsat zurückgeblieben waren. Die Tische waren reichlich gedeckt und Glenrior meinte an Cionior gewandt: «Vielerorts erzählt man sich, in einem Krieg sei nicht nur die Zahl der Soldaten entscheidend, sondern insbesondere deren Versorgung. Bei uns ist dies nicht so. Wir können Vorräte lange lagern und haben Methoden, um Ernten einzufahren, die für mehrere Jahre reichen würden. So seid unbesorgt über jene Polariä, die aus Eurer Heimat kommen werden. Hunger werden sie hier niemals leiden. Unser Nachteil ist, dass wir zahlenmässig nur noch der Schatten des Schattens der einstigen Pracht unseres Volkes sind.»

«Das glaube ich», entgegnete der Admiral und biss genüsslich in einen saftigen Hühnerschenkel. Sie genossen den gemütlichen Abend in einem der grossen Säle Marsats. Einstmals schienen hier grosse Feste gefeiert worden zu sein. Galanialt ahnte, dass in diesem Saal, nahe des Hafens, mehrere tausend Leute Platz fanden. Alle bewunderten sie diese Stadt, die so lange von den Nachfahren der Hochkönige regiert worden war. Draussen überzog das Sternenzelt den Himmel und der Mond stieg auf. Sein silberner Schein erleuchtete das weitläufige Hafenbecken Marsats und tauchte es in ein gespenstisches Licht.

Einige Tage waren vergangen, seit sie Marsat verlassen hatten. Weiten Küstenlinien waren sie entlanggesegelt. Felsige Klippen erhoben sich zu ihrer Rechten. Eine halbwegs zerstörte Stadt hatten sie hinter sich gelassen. Als die Leute im Hafen die Segel erblickt hatten, waren sie sogleich geflohen, obwohl die Schiffe nicht das Wappen Cammals trugen. Zu viel Leid hatten die Menschen Salmarsats in den letzten Jahren von der See aus erfahren, als dass sie solch grossen Schiffen ohne Misstrauen hätten begegnen können.

Die kleine Flotte aus Sirenaria glitt weiter über das Meer dahin. Cionior hatte von Glenrior genug erfahren, um zu wissen, dass dies Salmarsat war, eine Stadt, die dem König von Cammal unterlegen war, ehe ein gewisser Mendrieno die Macht an sich gerissen hatte.

Die fünf Schiffe liessen sich vom Wind immer weiter nach Süden treiben, vorbei an einer idyllischen Bucht mit einigen strohgedeckten Häusern. Bald passierten sie jenes Schloss, das beinahe ins Meer zu stürzen drohte, das Schloss von Meerschlossfels. Merkwürdiger Rauch stieg aus dessen Kaminen und eine grausame Macht war zu spüren. Alle waren froh, als dieser Felsen hinter ihnen in den Nebelschwaden verschwand.

Zwei weitere Tage vergingen, neben ihnen erhoben sich nicht mehr steile Klippen, sondern flache, lange Strände. Das Land hob sich an und war mit mehreren Gehöften und kleineren Dörfern besiedelt. Allerdings stieg nur aus wenigen Kaminen Rauch. Selbst in den Fischerdörfern, direkt am Meer, waren kaum Menschen zu sehen. Manche Boote waren gekentert oder ihre Segel hingen in Fetzen. Es war ein trostloser Anblick, der sich ihnen bot.

«Der Krieg verzehrt dieses Land», sprach Galanialt auf einmal an Cionior gewandt. Der Admiral wurde bei diesen Worten aus seinen Gedanken gerissen und liess seinen Blick dem Horizont entlang gleiten, ehe er erwiderte: «Etwas Böses ist hier am Werk. Es ist nicht nur der Krieg, wie er unter den Menschen leider so oft ausgetragen wird. Es ist die Macht, welche über die Menschen hier herrscht, sie beraubt sie jeglichen eigenen Willens. Ich fürchte, die Menschen hier sind der Macht der Schwarzen Flamme verfallen.»

Galanialt schwieg und wandte seinen Blick wieder in ihre Fahrtrichtung. Die Gischt spritzte die Planken nass, doch wurden sie nicht rutschig. Das Wasser schäumte am Bug der Nilya, als sie sie sahen, die Mauern auf einer Anhöhe. Mitten zwischen ihnen erhob sich ein gewaltiges Schloss. Als Cionior das Schloss durch sein Fernrohr genauer beäugte, liess er es auf einmal fallen. Mit einem Klirren fiel es auf die Planken und der Admiral rang mit wütendem Gesicht nach Worten.

«Sie wagen es», konnte sich Cionior endlich fassen, «sie wagen es, dieses Banner über Bauwerken unseres Volkes aufzuziehen.»

Galanialt griff daraufhin ebenfalls zu seinem Fernglas und suchte das Schloss ab. Da sah er sie, sie wehten an allen Türmen, die Banner der Schwarzen Flamme. Sie schienen das Licht aufzusaugen und Hoffnungslosigkeit zu verbreiten. Er musste seinen Blick abwenden, er konnte dieses Bild nicht länger ertragen.

Bald endete das Land im Westen und sie umrundeten die Halbinsel von Isula. Der Golf von Isula lag nun vor ihnen, und in der untergehenden Sonne sahen sie an seiner nördlichsten Stelle ein helles Glühen. Gleichzeitig kroch die Nacht aus dem Osten heran und umgab bereits die hohen Türme, über denen das gefürchtete Wappen wehte. Trotz der Hoffnungslosigkeit, die Cammal ummantelte, war die Hoffnung stärker, die das ferne Licht im Norden ausstrahlte.

«Peyirisula», flüsterte Cionior zu sich selbst und lächelte, während die Nilya auf ihr Ziel zuglitt. Doch finster türmten sich bald die Wolken über Peyirisula, und dem Admiral schien es, als erhoben sich zahlreiche Masten aus den schattigen Wogen der See.

Geschichte

Erstes Kapitel - Schlachttal

Er wiederholte seine Worte und liess sie über die Mauern schallen: «So, nun ist es so weit, wir entscheiden über unser Schicksal, wir entscheiden selbst, denn diese Festung wurde noch nie eingenommen. Noch nie haben die Bündnisvölker einen Krieg verloren und ich habe nicht vor, dass wir die ersten sind. Sollen sie kommen, wir haben bereits gesiegt. Wir sind uns treu, wir kämpfen in Ehre, wir kämpfen für unsere Freiheit. Der Tod ist nichts Schlechtes, nichts Gefährliches, ein unausweichliches Schicksal, welches uns allen irgendwann widerfährt. Der freie Wille hingegen ist etwas Unbezahlbares, er lässt sich nicht mit dem eigenen Leben aufwiegen, es gibt gar nichts, was ihn aufwiegen könnte. Für die Freiheit, meine Brüder und Schwestern!»

Die Soldaten auf den Mauern und Türmen begannen im Gleichschritt auf den Boden zu stampfen. Sie waren bereit, um sich ihren Feinden zu stellen. Trendior sah noch ein letztes Mal an jene Stelle, wo Larior unter dem Geröll begraben lag und wandte seinen Blick anschliessend Lakalt zu. Der Statthalter stand mit glänzender Rüstung an der vordersten Zinne der Festung und sah dem Feind entgegen. Den Helm trug er unter dem Arm und sein schwarzes Haar wehte im Abendwind. Die Sonne beschien das entschlossene Gesicht des Statthalters, neben dem Kerior und Hendrior stramm standen und darauf warteten, dass der Sturm endlich losbrach. Die Heere rückten heran, niemand mehr scherte sich um die Bündnisgardisten, die durch die Felswand versuchten zur Festung zu gelangen. Kein Rammbock war zu sehen, der das Tor hätte durchbrechen sollen, die Truppen der Schwarzen Flamme wussten sehr wohl, dass sie dazu ewig benötigen würden, wenn es denn überhaupt gelänge. Allerdings erblickten die Heerführer nun, wie die riesigen Horden gedachten, über die Mauer zu gelangen. Hundert Yetis zogen sie und weitere hundert stiessen sie, die Rampe. Sie rollte über die Strasse heran, während die Skralgas ausserhalb der Schussweite der Sigresias und der Schleudern Gräben aushoben und Stellungen befestigten. Die Rampe war breiter als die Strasse und so hoch wie die Mauern von Kailad Mallabas. Auf ihr warteten bereits hunderte, wenn nicht gar tausende Skralgas mit ihren krummen Bögen und ihren schwarzen Klingen darauf, endlich die Mauer zu erreichen. Die Katapulte rollten daneben her, sie waren bereits gespannt und grosse Geschosse lagen bereit. Eyianiar erkannte als erster, was der Feind vorbereitete und schrie: «Schattenfeuer! Richtet die Schleudern auf die Katapulte und zerstört so viele wie möglich.»

Die Skralgas hatten zwischen ihren Befestigungen genug Platz gelassen, damit die Katapulte durchkamen. Zahlreiche Skralgas mit schweren Armbrüsten schritten