Die Zwerge - Michaela Stadelmann - E-Book

Die Zwerge E-Book

Michaela Stadelmann

0,0

Beschreibung

Prag, 1885: Wegen angeblicher Kollaboration mit den Hexen hat der Rat der Drei Baronka Daliborka unter Hausarrest gestellt. Ihre Cousine Nadeshda Commerciante leistet ihr in der Schenke unter dem Hradschin dabei Gesellschaft und will sie für ein Leben als reisende Händlerin begeistern. Derweil befreit sich Sir Arthur Carpenter aus seinem Kristallkokon. Um Alanys seine Liebe zu beweisen, will er die verschüttete Quelle im Kiez Gesundbrunnen für die Drachengattung sichern. Dafür muss er lediglich Ragnor, den Gnom, töten. Auf seiner Wanderung gen Westen trifft Sahir auf seinen Vater König Murhat. Er fleht Sahir an, mit ihm unter den Djebel Toubkal zurückzukehren, da sein Leben bald zu Ende gehen wird. Sahir ist jedoch nur nur unter der Bedinung dazu bereit, dass er seine einzig wahre Liebe zur Königin nehmen darf. Sir Elliot, knapp dem Tod entronnen, muss erkennen, dass er nur das Spielzeug seines Herrn Sir Morrogoth war und sinnt auf Rache. Ausgerechnet die Hexen unterbreiten ihm einen undurchsichtigen Vorschlag. Und Sibylle kann plötzlich Lebewesen aus anderen Welten sehen und mit ihnen reden. Wird Sibylle im Kloster unweit Berlins bleiben können oder ist sie endgültig verrückt geworden? Welchen Preis zahlt Sir Elliot für die Rache an seinem Herrn? Kann König Murhat angesichts des Wunsches seines Sohnes sein Leben in Frieden beschließen? Und wird Frau Daliborka wirklich alles aufgeben und mit ihrer Cousine nach Osten reisen?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 206

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Was bisher geschah

Band 1: Der Nachtmahr

Barbara und Sibylle betreiben eine Wirtschaft in Berlin-Gesundbrunnen. Während Sibylle ein gottgefälliges Leben mit regelmäßigen Kirchgängen führt, ist Barbara glühende Anhängerin der Esoterik. Sie vereinbaren, bei einer Séance zu erörtern, wer von den beiden Frauen richtig liegt: Gibt es die Geisterwelt? Oder ist nur das, was in der Bibel steht, richtig? Doch am nächsten Morgen kann sich keine der beiden Frauen an die Séance erinnern. Und auch der geheimnisvolle Orell, der ihnen von der Kolonialwarenhändlerin Klara vermittelt wurde, ist wie vom Erdboden verschluckt. 

Parallel zur Séance wird der Statthalter der Zwerge Sahir Altin von einem Nachtmahr überfallen, der die Territorialurkunde der Zwerge aus Sahirs Graveur-Werkstatt raubt. Daraufhin bricht ein Kampf um die Vorherrschaft der Gattungen der Drachen, Elben und Zwerge im Kiez Gesundbrunnen aus: 

Nacheinander tauchen der Drache Sir Arthur Carpenter, Agent der SFERA, und Sir Elliot of Waterford aus London in Berlin auf. Sie sollen zusammen mit einer weiteren Gesandten der Zwerge herausbekommen, wer die Urkunde gestohlen hat. Nach den ersten Untersuchungen weist alles darauf hin, dass der Diebstahl von einem beschworenen Nachtmahr ausgeführt wurde, der nun Teil einer Chimäre gewesen sein muss. Diese Wesen bestehen aus verschiedenen Gattungen und können jede Form annehmen, die ihnen beliebt. Kurz darauf verfallen Sir Arthur und der Zwerg Sahir Altin fast gleichzeitig einem Liebeswahn, ausgelöst von drei mit Steinmagie versetzten Edelsteinen. Solche Zauber können nur von Hexen gewirkt werden. Offiziell gibt es in Gesundbrunnen aber keine Hexen. Oder doch?

Sir Elliot of Waterford kann Vergangenheit und Zukunft spüren. Auf diese Weise erfährt er von der zarten Liebesgeschichte zwischen Sahir Altin und der Montanwissenschaftlerin Baronka Daliborka, die noch nicht eingetroffen ist. Vor 100 Jahren hatte Frau Daliborka darauf gehofft, dass Sahir, der Prinz des Königreichs unter dem Djebel Toubkal, um ihre Hand anhält, was jedoch nie geschah. Bevor Sir Elliot den Prinz dazu befragen kann, überfällt ein Drache den Kiez, um eine Jungfrau zu rauben. Es ist Lady Alanys, Sir Arthurs Ehegattin, die weiß, dass ihr notorisch fremdgehender Gatte ihr in Berlin untreu geworden ist, und zwar mit der Wirtin Sibylle. Nun fordert sie nicht nur deren Leben, sondern zerstört auch die Straße, in der die Bierstube von Sibylle und Barbara steht.

Parallel dazu kommt auch endlich Baronka Daliborka an. Ihre Reise vom tschechischen Johannisbad nach Berlin ist gespickt mit Explosionen, Schlägereien und dem verfressenen Gnom Ragnor. Ihn hat sie versehentlich aus den Händen eines zwielichten Wirtes befreit und beauftragt ihn mit kleineren Arbeiten. Unter anderem soll er dafür sorgen, dass ihr bei einer Explosion zerstörter Terrakotta-Leibsoldat Huang wieder zusammengesetzt und nach Berlin gebracht wird. Aufgrund der Reiseverzögerungen kommen Huang und Ragnor jedoch vor Frau Daliborka an. Ragnor landet zufällig wieder in einem Brunnen und findet dort einen der drei verzauberten Steine, den Sahir dort hineinbefördert hat. Bei der ersten Begegnung händigt der Gnom ihn Sir Elliot aus. Den zweiten Stein findet Sahir kurz darauf in einem Körbchen, in dem er sich seine Jause aus Sibylles und Barbaras Wirtshaus geholt hat. 

Huang marschiert durch den Kiez und versetzt alles in Angst und Schrecken. Zusammen mit dem Drachen kreiert er das perfekte Chaos. Aus Rache für seine Untreue sperrt Lady Alanys ihren Mann mit einem magischen Feuerstoß in einen Kristallkokon ein. Sahir wird von der Überschlagsspannung getroffen und in erkalteter Lava eingeschlossen. 

Kurz darauf kommt Frau Daliborka in Berlin an. Das Wiedersehen mit Sahir hat sie sich ein bisschen anders vorgestellt. Während sie mit Sir Elliot überlegt, wie man Sahir und Sir Arthur aus den Kokons befreien kann, erscheint die Küchenhilfe Anna im Hinterhof zu Sahirs Werkstatt. Mit ihr erlebte Sahir den magischen Liebesrausch. Anna hat ein Stück Schlacke dabei, das sie zufällig in der Nähe des Friedhofs St. Sophien fand. Sie möchte wissen, wie es Sahir geht, doch als sie den Kokon berührt, erkennt Ragnor, der Gnom, dass sie den Nachtmahr in sich trägt. In rasender Wut will er seine Herrin Frau Daliborka vor Anna beschützen. Kaum berührt Anna mit der Schlacke den Kokon, kommt es zu einem neuerlichen Überschlagsblitz zwischen der Schlacke, dem Stein, den der Elb Sir Elliot verwahrte, und dem Stein, den Sahir zufällig in Händen hielt, als er vom Überschlagsblitz getroffen wurde. Seine Werkstatt wird völlig zerstört, Anna, Huang und Ragnor vergehen im Feuer. 

Sahir kommt erst wieder in der Dependance der Elben zu sich, die ihm von dieser Gattung zur Verfügung gestellt wird. Doch er hat das Gedächtnis verloren und erkennt weder Sir Elliot noch Frau Daliborka. Auch an sein Leben als Graveur in Gesundbrunnen kann er sich nicht erinnern. Trotzdem muss der Diebstahl aufgeklärt werden, bevor eine von Zwergen und Elben ungeliebte Gattung ihre Ansprüche auf den Kiez Gesundbrunnen stellt: die Hexen, die anscheinend längst hier sind. Doch woran kann man sie erkennen?

Ausgerechnet Anna, die scheinbar im Feuer der Explosion vergangen ist und vielleicht auch gar nicht Anna heißt, könnte das Geheimnis lüften. Doch sie ist schon weit weg von Berlin, als die Sonne aufgeht, denn es zieht sie gen Westen. 

Band 2: Die Hexen

Sibylle und Barbara wurden beim Einsturz ihrer Bierstube schwer verletzt und in der Charité versorgt. Doch Barbara geht es viel schlechter als Sibylle. Ständig muss sie sich übergeben und hat seltsame rote Pusteln auf der Haut, die sich auch die Ärzte nicht erklären können. Sibylle, die schneller wieder auf den Beinen ist, vermutet einen Zusammenhang mit dem Steinbrocken, den Barbara immer bei sich trägt: Wenn man ihn in die Hand nimmt, überträgt er seine Wärme auf die Haut und dringt tief in das Gewebe ein. Es handelt sich um radioaktive Pechblende, doch das wissen weder Sibylle noch Barbara.

Während Sibylle ihre Behandlungsschulden in der Küche der Charité abarbeitet, wird der Oberarzt auf Barbara aufmerksam. Er verpflichtet sie als Forschungsobjekt und sie wähnt sich in besten Händen. Kurz darauf verschwindet Barbara scheinbar spurlos aus dem Frauensaal. Als Sibylle sie endlich wiederfindet, ist es bereits zu spät, denn von Barbara ist nur noch ein blutiger Torso übrig. Kopflos flieht Sibylle aus Berlin und gelangt in eine abgeschiedene Abtei, wo man sie aufnimmt. 

Prinz Sahir, immer noch ohne Erinnerung, will um jeden Preis die Seele der totgeglaubten Anna bei einer Séance beschwören, obwohl damit hohe Risiken verbunden sind, um von ihr den Namen ihres Auftraggebers zu erfahren. Der Versuch schlägt fehl. Daraufhin beschwört Prins Sahir Ragnor, den Gnom, der nach der Explosion in den Äther zurückgekehrt ist. Da er den Nachtmahr in Anna erkannte, könnte auch er den Nachtmahr und anschließend den Auftraggeber finden. Doch Ragnor kann oder will nichts erzählen und futtert lieber die Süßigkeiten, die Frau Daliborka ihm als Lockmittel unter die Nase hält. Prinz Sahir sperrt ihn dafür zur Strafe in eine magische Flasche, die nur er öffnen kann.

Man zieht sich zurück, um in der Abgeschiedenheit die nächsten sinnvollen Schritte zur Auffindung der Territorialurkunde zu ersinnen. Sir Elliot verfällt in seinem Zimmer in Erinnerungen an seine geliebte Mariella, die Meerjungfrau. Ihre Gattung wurde nach der angeblichen Sabotage des napoleonischen Russlandfeldzugs durch Meerelben und Vampire auf Druck des Feldherrn als geächtete Gattung klassifiziert. Da Sir Elliot auch seinen besten Freund Julio, einen Vampir, nicht an die Inquisition verlieren wollte, gewährte er ihm und Mariella auf dem Familienlandsitz in Cork Asyl. Doch Mariella und Julio verliebten sich ineinander und betrogen Sir Elliot. In Wut verriet der Elb der Inquisition ihren Aufenthaltsort, besann sich und warnte die beiden, worauf sie flohen. Er bereut seine Tat. 

In der Abgeschiedenheit seines Zimmers entdeckt er einen Ausschlag auf seinen Armen, den er zunächst für die gefährliche Perlenschuppe hält. 

Frau Daliborkas Bitten um Befehle an die Wiener Hofburg bezüglich der weiteren Vorgehensweise im Fall des Urkundendiebstahls werden ignoriert. Es werden lediglich weitere Explosionen im Dezernatsbereich bestätigt sowie der Bau einer Mauer weit im Osten, beauftragt durch die Gattungen der Dunkelwesen. 

Da auch Prinz Sahir als höchster Anwesender aller Gattungen keine Befehle erteilt, geht Frau Daliborka in der Nacht zusammen mit Sir Arthur zurück nach Gesundbrunnen. Sie wollen den Explosionsort nochmals untersuchen und die Quelle finden, die Gesundbrunnen ihren Namen gegeben hat. Mit der Freilegung und der Besiegelung der vor einem Jahre verschütteten Quelle kann der Anspruch der Zwerge provisorisch erneuert werden, bis die Urkunde wieder beschafft wurde. Als zweite Möglichkeit hat Sir Arthur ein Treuhandgesetz entdeckt, mit dem der Kiez zeitweise von Zwergen und Elben verwaltet werden kann, sobald alle verfügbaren Quellen und Brunnen des Kiezes mit einem Siegel versehen wurden. So fällt er nicht den Hexen, Vampiren oder Kobolden in die Hände, die hoffentlich nichts von diesen Gesetzen wissen. 

Sie spüren auch Klara, die Hexe auf, die für den Diebstahl der Urkunde verantwortlich ist. Die Baronka und der Elb erklären ihr, dass sie keinen Krieg wollen und deshalb die Treuhandschaft in Kraft gesetzt haben. 

Am nächsten Tag will Frau Daliborka Prinz Sahir von der nächtlichen Aktion erzählen, um nachträglich seine Erlaubnis dazu zu erzwingen. Doch er ist verschwunden und hat Ragnor freigelassen. Der Gnom kann der Baronka nur sagen, dass der Prinz Anna suchen wollte, nach der er sich vor Sehnsucht verzehrt. Und dass Anna nicht nur die Chimäre ist, sondern auch Orell, das Medium aus der Séance in sich trägt. In ihn hat Prinz Sahir sich so sehr verliebt, dass er ohne ihn nicht mehr leben will. 

Sir Elliot geht es stündlich schlechter, da es sich bei seinem Ausschlag nicht um einen Ausbruch der Perlenschuppe handelt, sondern um die "Krankheit der hitzigen Steine". Frau Daliborka weiß, dass von bestimmten Steinen tödliche Strahlung ausgeht, kennt aber kein Mittel dagegen. Kurz darauf wollen die Hexen die Elbenbotschaft stürmen. Außer Frau Daliborka, Sir Elliot, Ragnor, der elbischen Dienerin Raoula und einem Protokollbeamten ist jedoch niemand mehr in der Botschaft. Frau Daliborka beschließt, mit der Hexe Klara zu verhandeln. Klara erzählt der Baronka, dass die Hexen mit Hilfe des Criminalgerichts an die Menschen verschachert wurden, da sie zu den Dunkelwesen zählen. Frau Daliborka ahnt die Not, die hinter dem Diebstahl steckt: Sobald die Hexen einen Bezirk für sich hätten deklarieren können, wären sie frei gewesen. Umso bitterer muss die Treuhandschaft der Elben und Zwerge für sie sein, denn von dieser Möglichkeit wussten die Hexen tatsächlich nichts. 

Zwergin und Hexe retten Sir Elliot vor einem Anschlag von Raoula. Sie, eine Meerjungfrau der Gründer, hat Rache an den Landelben geschworen. Außerdem erkennen sie die Menschen als Feinde der Zwischenwelt, die von der Industrialisierung und den Napoleon-Feldzügen immer weiter zurückgedrängt wird. Es gibt jedoch zu viele Verbindungen zwischen Menschen und Zwischenweltgattungen, dass es Jahrzehnte dauern könnte, diese Verbindungen zu kappen. Außerdem würde ein Krieg zwischen Menschen- und Zwischenwelt alles Leben auf der Erde auslöschen. 

Hexe und Zwergin beschließen, den Menschen nach und nach das Geheimnis der hitzigen Steine zu offenbaren, damit die Menschheit sich von selbst ausrottet und die Zwischenwelt gerettet wird. Frau Daliborka erteilt dem Gnom Ragnor den Auftrag, einen geeigneten Menschen dafür zu finden. Er entscheidet sich für Marie Curie und reist in das Jahr 1895. Dass er in verschiedenen Zeitebenen leben kann, weiß Frau Daliborka nicht.

Kurz darauf trifft unter Jeremias Stempelmacher die Delegation des Dezernats Hofburg ein und besetzt die Dependance der Elben. Die inzwischen eingedrungenen Hexen werden hinausbefördert. Klara muss zu ihrem Mann zurückkehren.

Frau Daliborka muss ein Verhör ob ihrer "Kollaboration mit dem Feind", den Hexen, über sich ergehen lassen. Ihr droht ein Amtsenthebungsverfahren. 

Mariellas und Julios letzter Besuch an Sir Elliots Krankenbett endete tödlich für die Meerjungfrau und den Vampir. Deshalb hadert Sir Elliot damit, dass er überlebt hat. Frau Daliborka sagt ihm, dass sie Berlin verlassen wird, um die Amtsenthebung in ihrer Heimat auszufechten, was der Elb bedauert. 

Orell ist derweil zweimal auf Geheiß der Hexen festgehalten worden, um die gestohlene Urkunde herauszugeben, die der Nachtmahr in ihm versteckt hat. Bei einer Gelegenheit zerriss die Urkunde in zwei Teile, doch der nicht unterschriebene Teil landete bei den Hexen. Erst, als Orell durch einen Wald kommt, tritt der Nachtmahr aus ihm heraus und überlässt den Tieren die andere Hälfte der Urkunde. Eine Eule trägt sie davon, niemand weiß, wohin. Orell setzt seinen Weg nach Westen fort. 

Bevor Lady Alanis mit ihrem Gatten im Kokon nach Kanada zurückreist, will sie herausfinden, mit wem er sie in Berlin noch betrogen hatte. Sie konsultiert dazu einen Nebenapparat des Orakels "Euphonia" und landet bei der ersten Begegnung zwischen ihrem Mann und Sibylle. Parallel dazu entdeckt sie, dass die verschüttete Quelle, mit deren Auffindung sie den Bezirk für ihre Gattung provisorisch sichern kann, wenige Stunden zuvor von dem quirligen Gnom Ragnor freigelegt wurde. Somit ist er der neue Statthalter von Gesundbrunnen. Sie will ihn finden und zurück in den Äther schicken, damit er seine Rechte verliert und niemand davon erfährt. Danach steht es Alanys frei, den Kiez einzunehmen und endlich nach Europa zurückzukehren. 

Die Begegnung

Keine Woche ist es her, dass sich mein Leben grundlegend geändert hat. Von der angesehenen Wirtin bin ich zur besitzlosen Bittstellerin geworden. Heimlich habe ich mir immer gewünscht, nur noch Gott dienen zu dürfen. Aber der Platz, den man mir in diesem Kloster gegeben hat, ist dürftig. Der Schlafsaal für die Küchenmannschaft ist zugig, die Decken sind hären und löchrig, viele davon stockfleckig. Für die Aushilfen aus dem Dorf, mit denen ich arbeite, bin ich eine weitere Esserin an einer viel zu großen Tafel. Seit ich da bin, können sie ihren Hunger nicht mehr stillen, da sie mir von dem Wenigen, das sie für ihre Dienste bekommen, etwas abgeben müssen.

Auch die Nonnen schätzen mich gering. Für sie bin ich die verlorene Sünderin, die die Menschheit mit Alkohol zur Sünde verführt hat. In ihren Augen kann ich lesen, dass sie mich am liebsten wieder vor die Tür jagen würden. Zu meinem Glück haben sie jedoch bei der Heiligen Mutter Gottes geschworen, auch gegen Kreaturen wie mich Barmherzigkeit walten zu lassen. So bleiben ihnen nur Gesten und kühle Worte, um mir ihre Verachtung zu zeigen.

Nie hatte Sibylle größeres Verlangen nach einem Kästchen verspürt, in das sie ihre Gedanken legen konnte, als in dieser Nacht. Nur Stunden nach der Ankunft im Kloster waren die Ereignisse der letzten Tage zu ihr zurückgekehrt. Besonders während der Andachten stürzten sich die Erinnerungen wie Dämonen auf sie. Kreischend und hohnlachend zerrten sie an ihren Haaren und pressten Tränen aus ihr heraus, die Sibylle längst versiegt geglaubt hatte. Wie hatte sie nur so selbstzufrieden mit ihrem Leben sein können? Nur weil sie alles bis auf einen klaren Verstand besessen hatte? Nicht einmal mehr Barbara war ihr geblieben. Ob man sie inzwischen wie einen räudigen Hund auf ungeweihtem Acker verscharrt hatte?

Nie hatte Sibylle sich müder gefühlt. Doch der Hunger ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Und sank sie doch einmal in leichten Schlummer, weckte sie das reißende Schnarchen der dicken Köchin wieder auf, das mühelos die Eichentür zu ihrem separaten Zimmerchen durchdrang. Untermalt wurde der Nachtgesang vom schaurigen Chor der knurrenden Mägen, die in unordentlichen Reihen um Sibylle verteilt lagen. Spitze Gesichter standen wie fahle Monde über den Pritschen, blasse Ärmchen staken wie Zweige unter den dürftigen Decken heraus. Über manch hohle Wange rannen im Schlaf Zähren. 

Oh, welch Elend!

Sibylle hielt es nicht mehr aus. Trotz der bleiernen Schwere erhob sie sich von der Pritsche und schlich hinaus. Es war den Hilfskräften strengstens verboten, während der Nacht das Wirtschaftsgebäude zu verlassen. Wer erwischt wurde, konnte wegen des Verdachts auf Unzucht mit anderen hinausgeworfen werden. Doch Sibylle kümmerte das nicht, sie brauchte Luft.

Stolpernd gelangte sie aus dem zugigen Steingebäude, dessen Geruch aus Moder, schlechtem Atem und mangelnder Hygiene an ein gemauertes Grab erinnerte. Im Windfang roch es nicht viel besser, doch die drückende Gegenwart der zur Armut verurteilten Seelen wich bereits von ihr. Auf nackten Füßen schritt Sibylle hinaus ins Freie. Es war eine Wohltat, barfuß auf dem gefrorenen Boden zu stehen.

Soll mich doch der Tod holen, dachte sie ergeben, ich habe nichts mehr zu verlieren außer meinen Körper. Sie ließ die Februarkälte in ihre dünnen Kleider kriechen. Das prickelnde Zwicken auf der Haut erschien ihr wie ein Vorgeschmack auf den Korridor zwischen allem Irdischen und dem verheißungsvollen Jenseits. Kündigte sich so der Gevatter an?

Erleichterung überkam sie. Vielleicht war sie schon auf dem Weg auf die andere Seite. Dort hatten Scham und Ungewissheit keine Bedeutung mehr. Dort würde sie niemand verachten für ihr einst so sündiges Leben, im Gegenteil! Dort erwartete sie die Belohnung für ihre Gottgefälligkeit. Dort würde sie die bigotten Nonnen in ihren schwarzen Gewändern erwarten und ihnen zur Begrüßung huldvoll zunicken. Welche Schmach für die Bräute Christi …

»Bei Oberons Güte, was macht Ihr hier draußen?«

Sibylles Aufmerksamkeit wurde zurück in die kalte Winternacht gezerrt. Plötzlich waren ihre Zehen Eisklumpen. An Bauch und Rücken bildete sich frostiges Moos, als wollte es sie schon für die letzte Reise schmücken. Zitternd vor Kälte wickelte sie die Arme um ihr armseliges langes Unterkleid. 

»Entschuldigt, Herr«, schnatterte sie und wäre so gern herumgefahren, um zurück in das Schlafgebäude zu fliehen. Doch sie fror so sehr, dass es kaum reichte, sich die Hände um die eigenen Schultern zu schlingen. 

»Keine Entschuldigung«, wehrte die traurige Stimme des Herrn ab, dessen Silhouette sich aus der Nacht schälte. »Wärme braucht Ihr, Frau, und ordentliches Schuhwerk. Kann man es glauben, dass man Euch so hinaus in die Natur lässt? Ach, ihr Menschen!«

Ein Licht leuchtete über Sibylle auf, körperlos und doch so hell wie die Sonne. Augenblicklich wurde ihr warm. Ihre kalten Muskeln lockerten sich und ließen sie freier atmen. Gleichsam schienen sich ihre Augen zu öffnen. Sie erblickte ein ebenmäßiges Gesicht mit den traurigsten Augen der Welt, tiefblau, unergründlich. 

Geheimnisvoll. 

Ehe Sibylle sich besann, flüsterten ihre Lippen hoffnungsvoll: »Arthur?«

Die Silhouette verharrte. »Sir Elliot of Waterford, wenn es genehm ist. Sir Arthur Carpenter wird schon auf dem Schiff in seine Heimat sein.« 

Endlich trat der fremde Sir ganz in den Lichtkreis der seltsamen Nachtsonne. Sibylle erschrak, so ergriffen war sie von der fremden und doch so eleganten Erscheinung. Der Stoff seines Gehrocks schmiegte sich wie eine zweite Haut an seine Schultern. Gleichwohl passte seine Kleidung nicht zu den nächtlichen Temperaturen. Sie war zu sommerlich. 

Sir Elliot breitete die Arme aus, um Sibylle in ein Wolltuch zu hüllen, ohne dass sie sagen konnte, woher er es nahm. 

»Seid Ihr ein Engel?«, fragte sie.

Verblüfft zog Sir Elliot die Hände zurück. »Ein Engel? Ich? Nein. Aber sagt, woher kennt Ihr Sir Arthur?«

Brennende Röte überzog Sibylles Gesicht. Sie vermochte beim besten Willen nicht zu antworten, so hart traf sie die Scham und die Gewissheit, dass er wirklich nicht mehr kommen würde, um sie zu retten. Eine Nacht hatte sie mit ihm gehabt, eine Nacht mit tausend Sternen und Versprechungen, die er nicht gehalten hatte, wie Sir Elliots Worte bewiesen. Ein paar wundervolle Stunden, weil sich plötzlich alles so seltsam gut zu fügen gewusst hatte. 

Bis der Drache auftauchte.

Aber es gab keine Drachen.

Wieder warfen sich die Dämonen auf Sibylles Rücken. Sie sank in die Knie, bis sie auf dem gefrorenen Boden saß. 

Das ist doch verrückt, dachte sie, ich bin verrückt! Wir haben Bodenfrost und ich sitze im Hemd vor dem Schlafgebäude, gefangen in einem Kloster, in dem selbst die Barmherzigkeit teuer erkauft werden muss. Ich habe alles verloren, dafür hohes Fieber, und ich fantasiere!

»Er war Gast in der Bierstube, bevor sie abbrannte«, sprach der Rest von Sibylles Vernunft. »Ein wirklich zuvorkommender Herr, dieser Sir Arthur aus Edmonton, Alberta.«

Vor ihr war auch Sir Elliot auf die Knie gesunken. Seltsam sah er da oben aus, wie er so über ihr schwebte. »Ja, zuvorkommend, aber ohne Heimat im Herzen«, bestätigte Sir Elliot. »Seine Untreue hat einige Wesen ihre Existenz gekostet.«

»Ja, und uns die Schenke.« Sibylle wollte schluchzen, doch da war nichts mehr. »Eigentlich war es Barbaras Schenke. Nun ist sie auch tot und ich habe nichts mehr.« In der Erwartung, trotzdem Tränen zu finden, wischte sie sich über die Wangen. »Sogar der Glaube droht mir, verloren zu gehen. Aber was ist ein Leben ohne den festen Glauben an Gott?«

Das wollene Tuch wärmte so gut. Dankbar wickelte Sibylle sich fester darin ein. Hoffentlich musste sie es nie wieder hergeben.

»Ich kenne mich mit derlei Dingen leider nicht aus«, bekannte der geheimnisvolle Sir Elliot. »Also mit Dingen, die hauptsächlich Menschen beschäftigen. Doch glaube ich, gehört zu haben, dass der Zweifel normal ist, wenn man — an Gott glaubt.« Er sprach es aus wie eine zutiefst irritierende Eigenschaft. 

»Ja …« Je wärmer sich Sibylle fühlte, desto klarer wurden ihre Gedanken wieder. »Ich vermute«, fuhr sie mit schwerer Zunge fort, »das ist die Strafe für meine Sünden. Ich habe geglaubt, die Seele meiner Freundin Barbara mit einer spiritistischen Séance retten zu können. Doch irgendetwas ist schiefgelaufen. Seitdem ist nichts mehr so wie vorher.« Das Licht über ihrem Kopf erzitterte. Ein Gedanke ereilte sie, der noch verwunderlicher schien als diese Begegnung: Ein Mann in einem Nonnenkloster, war das nicht absonderlich? 

»Sagt, was macht Ihr hier, Sir Elliot?«

Der fremde Sir lächelte. »Vergiss diese Frage«, flüsterte er und Sibylle gehorchte. Das musste Zauberei sein, genau wie das Licht über ihr. Und das Wolltuch.

»Sag mir lieber, ob Sir Arthur eine Quelle erwähnte«, fuhr Sir Elliot beschwörend fort. »Oder etwas anderes. Zum Beispiel, ob er Anna noch gesehen hat.«

Über Sibylles erkaltende Wangen huschte ein Lächeln. »Das wurde ich schon einmal gefragt. Von einer robusten Frau. Mit Augenbrauen. Sehr buschig … Dann war es wohl doch kein Traum?«

Das Licht erlosch. 

Auch das Wolltuch war verschwunden. 

Dafür umschloss die tödliche Kälte Sibylles müde Knochen. Mit einem Schlag war sie wieder bei sich, stemmte sich taumelnd auf die halb erfrorenen Füße und machte, dass sie in den Schlaftrakt zurückkam. Fast hätte sie geflucht, als sie sich den Zeh am Türstock stieß. 

Dann war es wieder still. 

Nur wenn man ganz genau hinschaute, konnte man die sehr schlanke Silhouette erkennen, die mit ihrem zu leichten Gehrock immer noch in der Dunkelheit verharrte. 

Pod Hradem

»Feigenkaffee ist einer der Gründe, warum ich in Prag bin.« Missmutig starrte Frau Daliborka in ihre Kaffeetasse. »Der andere Grund bist du, werte Cousine.« Sie schenkte Nadeshda Commerciante einen nicht zu deutenden Seitenblick. »Aber der eigentliche Grund offenbart sich erst in diesen beiden Nachrichten. Als ob ich es geahnt hätte!«

Zwei Schreiben landeten auf dem grob gezimmerten Holztisch der Zwergenklause »Pod Hradschinem«. Interessiert schob Nadeshda ihren Humpen mit dem Steintrunk beiseite und las die ersten Zeilen:

Hochverordnete Dame, 

mit diesem Schreiben obliegt mir die schwierige Aufgabe, die zutiefst betrübliche Mitteilung zu überbringen, Euch auf Anordnung des delikatesten irdischen Amtes, entschieden von den Höchsten der Häupter unseres gemeinsamen Volkes, den vor Kaisers Gnaden ernannten Geschlechtern der zwergischen Führerschaft des Riesengebirges, namentlich Ihro gepriesenen Fürsten von …

Verärgert schob Nadeshda den Brief weg. »Werte Cousine, ich weigere mich, etwas zu lesen, das mich aufgrund des unendlichen Satzgeschlinges Jahre meines Lebens kostet! Gib mir eine Zusammenfassung dieser«, sie verzog angeekelt das Gesicht, »kurial-invaliden Schmonzette.«

»Besser hätte ich es nicht ausdrücken können«, knurrte Frau Daliborka. »Mein Assistent Stempelmacher, der alte Speichellecker, teilt mir darin mit, dass nach meiner Abreise aus Berlin auch die Territorialurkunde der Elben aus dem Bezirk Gesundbrunnen verschwunden ist. Und zwar aus der Berliner Dependance. Trotz strengster Bewachung durch die Truppe der Bündnispartner.«

»Schlampig, schlampig.« Nadeshda grinste süffisant und nahm einen großen Schluck aus ihrem Humpen.

»Deshalb wurde mein Assistent Stempelmacher vom Rat der Drei dazu auserkoren, die vermaledeite Urkunde wieder zu beschaffen. Angeblich nach Rücksprache mit der Wiener Hofburg von Lord Athern persönlich.« Rasch stopfte Frau Daliborka das Schreiben in die Innentasche ihrer Weste. »Stempelmacher bittet deshalb um die Entlassung aus meinen Diensten.«

»Ist das schlimm?«

Geradezu verächtlich winkte Frau Daliborka ab. »Stempelmachers Verlust ist verschmerzbar. Aber das ist nicht die einzige Nachricht und leider auch noch nicht alles im Zusammenhang mit den Besitzansprüchen der Gattungen.« Sie deutete auf das zweite Schreiben, dem Nadeshda bisher keine Beachtung geschenkt hatte.

Die seufzte. »Hör zu, liebe Cousine, ich bin nicht auf der Welt, um meine Lebenszeit mit Lesen zu vergeuden.«

»Nur weil keine Zahlen darin vorkommen, heißt es noch lange nicht, dass diese Buchstaben nicht wichtig sind«, zischte Frau Daliborka böse. »Lies und sag mir, ob ich mit dir rechnen kann.«

Nadeshdas Augen begannen zu leuchten. »Geht es etwa doch um Geld?«

»Lies, verdammich!«

Beflissen strich die Händlerin die Goldreife an ihren Handgelenken zurück und beugte sich über das Pergament. Wenn ihre Cousine fluchte, sollte man Spott und Ironie fahren lassen und lieber tun, was sie von einem verlangte. Sonst wurde eben diese, die sich Montanwissenschaftlerin nennen durfte, sehr ungemütlich. Also las Nadeshda Commerciante das kurze Anschreiben mit dem gebrochenen Siegel der Prager Gesandtschaft. Und verlor endgültig den Glauben an die Gerechtigkeit in der Welt der Zwerge. 

»Da hol mich doch der Grubenwurz!«, entfuhr es ihr. »Steht da wirklich ›suspendiert‹?«

Die Gespräche in der Schänke erstarben. Gefühlt Hunderte von Augenpaaren ruhten plötzlich auf Frau Daliborkas Rücken. Langsam drehte sie sich zu den Neugierigen ihrer Gattung um, musterte vier oder fünf von ihnen streng und hob warnend die Augenbrauen. Beide.