Digitale Paranoia - Jan Kalbitzer - E-Book

Digitale Paranoia E-Book

Jan Kalbitzer

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Beschreibung

Das Internet ist allgegenwärtig. Kaum jemand kann sich ihm noch entziehen. Wie gefährlich ist es? Kapern Firmen und Geheimdienste unsere Privatsphäre? Zerstört das Internet unsere zeitlichen und räumlichen Strukturen, greift es sogar in unser Gehirn ein? Der Psychiater Jan Kalbitzer legt unser Online-Verhalten auf die Couch und erhebt einen Befund. Sein Fazit: Wir müssen darüber, wie wir in Zukunft leben und zusammenleben wollen, völlig neunachdenken. Eines ist klar: In der analogen Welt bleiben können wir nicht mehr, die Reise hat bereits begonnen. Auch deshalb müssen wir begründete Sorgen von irrationalen Ängsten trennen. Und wir müssen uns darin üben, beide Seiten der Medaille zu sehen. An dem von ihm begründeten Zentrum für Internet und seelische Gesundheit untersucht Jan Kalbitzer die Auswirkungen des Internets auf unsere Psyche und befragt Gesunde wie Patienten zu den Auswirkungen dieser Technologie auf ihr Leben – was ihnen Probleme bereitet, aber genauso, was ihnen hilft. Das Buch enthält zahlreiche Fallbeispiele und Verhaltensexperimente, die die Leser selbst ausprobieren können. Sie helfen, unser Verhältnis zum Internet zu überprüfen, verloren geglaubte analoge Fähigkeiten zu reaktivieren und Ressourcen des Internets auf gesunde Weise zu nutzen.

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Jan Kalbitzer

Digitale Paranoia

Online bleiben, ohne den Verstand zu verlieren

Mit 12 Illustrationen von Katharina Grossmann-Hensel

C.H.Beck

Zum Buch

Macht das Internet faul, depressiv und dumm? Bedroht die Digitalisierung unsere Menschlichkeit? Oder treiben uns die apokalyptischen Warnungen fragwürdiger Experten in die digitale Paranoia? Was das Internet mit uns macht und wie wir damit umgehen wollen, das müssen wir selbst, und zwar alle gemeinsam, herausfinden, meint der Berliner Psychiater Jan Kalbitzer. Deshalb enthält sein Buch neben Analysen und Fallbeispielen auch zahlreiche Verhaltensexperimente, mit deren Hilfe wir den Geheimnissen unseres Umgangs mit dem Netz auf die Schliche kommen. Selbst aktiv zu werden ist die beste Medizin gegen digitale Paranoia.

Mit 12 Originalillustrationen von Katharina Grossmann-Hensel

Über den Autor

Dr. Jan Kalbitzer ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er forscht am Zentrum für Internet und seelische Gesundheit der Charité Berlin und arbeitet als Psychotherapeut in eigener Praxis. 2015 erhielt er für seine Forschung den Max-Rubner-Innovationspreis, seit 2016 ist er wissenschaftlicher Leiter des Ladenburger Kollegs «Internet und seelische Gesundheit».

Inhalt

1. Wie das Internet mein Leben verändert hat

Kein Psychiater kann die Zukunft vorhersehen

Im Shitstorm der Erkenntnis

Wie dieses Buch funktioniert

2. Das langsame Erwachen

Und plötzlich ist die Kontrolle weg

You can always get what you want …

Der Teufelskreis des «Nicht-davon-Loskommens»

3. Online – wo ist das?

Wenn das Zeitgefühl abhandenkommt

Experiment 1: Was ist anders an der Zeit im Internet?

Wenn der Ort, an dem wir sind, egal wird

Experiment 2: Wiedereinführung räumlicher Grenzen

Die Situationen im Netz können unübersichtlich sein

Experiment 3: «Kulturbotschafter» im Internet

Wer bin ich und wer will ich sein?

Experiment 4: Ihr digitales Alter Ego

4. Klug handeln in einer unbekannten Welt

Hey Doc, mein Kind ist out of focus

Experiment 5: Folgen Sie Ihren Kindern

Wir dürfen nicht verlernen, uns Herausforderungen zu stellen

Experiment 6: Finden Sie Flow im Internet

Vergeht die Zeit im Internet wirklich schneller?

Experiment 7: Das Kathrin-Passig-Experiment

5. Digitale Paranoia – und wie man mit ihr umgeht

Irrationale Angst im Umgang mit dem Internet

Experiment 8: Therapie der digitalen Paranoia

Die gekränkte Fee

Experiment 9: Tun Sie etwas …

6. Lassen Sie sich nicht verrückt machen

Macht das Internet depressiv?

Experiment 10: Machen Sie jemanden einen Tag lang glücklich und beobachten Sie sein Internetverhalten

Statt zu vereinsamen, können wir das Internet nutzen, um besser füreinander zu sorgen

Experiment 11: Verortung in sozialen Beziehungen

Was uns antreibt

Experiment 12: Werden Sie Teil einer Gruppe, die das Internet der Zukunft gestaltet (oder gründen Sie eine)

7. Was wird aus uns werden?

Zitierte Texte, Videos und wissenschaftliche Literatur

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Für Luise die liebevoll erträgt, dass ich fast alles an mir selbst ausprobieren muss, bevor ich es verstehe

1. Wie das Internet mein Leben verändert hat

Das Internet ist allgegenwärtig. Mit dem Internet informieren wir uns, wir kommunizieren über das Internet, und wir synchronisieren unser Leben miteinander. Es gibt kaum noch Menschen, die das nicht tun, für die meisten ist es völlig selbstverständlich. So selbstverständlich, als sei das Internet immer schon da gewesen. Und trotzdem bleibt es uns irgendwie fremd. Diese Technik hat ihren Weg so rasant in unseren Alltag gefunden, dass unser Verhältnis zu ihr bislang ungeklärt geblieben ist. Und ungeklärte Verhältnisse führen zu Problemen; fragen Sie Ihren Psychiater oder Psychotherapeuten.

Mit Mitte dreißig fühle ich mich gerade noch eher jung. Nur wenn ich über das Internet nachdenke, habe ich das Gefühl, schon sehr alt zu sein. In meiner Kindheit gab es (für die Allgemeinheit) kein Internet. Meine erste E-Mail-Adresse legte ich mir Ende der 1990er Jahre zu. Um die Jahrtausendwende hatte ich den ersten Computer mit eigenem Internetzugang in meinem Zimmer. Das war vor fünfzehn Jahren. Innerhalb dieser Zeitspanne hat das Internet mein Leben grundlegend verändert. Und nicht nur meins. Ich kenne niemanden, den es nicht verändert hat.

Zunächst war die westliche Gesellschaft – was das Internet anbelangt – noch in zwei große Gruppen unterteilt: die Enthusiasten und diejenigen, denen es egal oder suspekt war. Aber selbst wenn Sie zu der zweiten Gruppe gehören, besitzen Sie mittlerweile mit ziemlicher Sicherheit ein Smartphone oder werden sich bald eins anschaffen. Und wenn Sie eins haben, dann empfangen Sie darauf wahrscheinlich auch regelmäßig arbeitsrelevante E-Mails, wie wir alle mittlerweile. Wir spüren, dass uns diese Entwicklung verändert hat. Und nicht wenige beobachten diese Entwicklung mit Sorge.

Es soll nicht verleugnet werden, dass ein Teil unserer Sorgen, wie wir seit einigen Jahren wissen, berechtigt sind. Für viele Firmen etwa, deren Angebote wir im Internet nutzen, zählt die Maximierung ihres Wissens über unser (Kauf-)Verhalten alles und unsere Privatsphäre wenig bis gar nichts. Es gibt immer noch wenige Gesetze, die uns schützen, und selbst diese werden oft nicht eingehalten. Die Geheimdienste einiger Staaten scheinen zudem durch das Internet nahezu unbegrenzten Zugang auf alle Daten zu haben, die sich in irgendeiner Form über uns sammeln lassen, und sie versuchen, daraus ein Risikoprofil zu erstellen, um potentielle «Feinde» schneller erkennen und besser überwachen zu können. Wir wissen mittlerweile auch, dass selbst in den freien westlichen Gesellschaften jeder in ihr Visier geraten kann, auch Sie und ich. Und sei es, weil der Nachbar auf unserer letzten Party ein Foto von unserem Wohnzimmer gemacht und auf Facebook gepostet hat – inklusive der Fotowand, auf der wir auf einem Bild als Jugendliche mit Palästinensertuch zu sehen sind.

Aber auch jenseits dieser offenkundigen Bedrohungen behagt vielen die aktuelle Entwicklung nicht. Es ist nicht nur die Tatsache, dass wir ständig erreichbar sind – wir erleben auch einen generellen Verlust von zeitlichen und räumlichen Strukturen. Früher war unser Tag unterteilt durch feste Termine, durch eine räumliche Trennung zwischen Arbeitsplatz und Zuhause, durch ein klar strukturiertes Fernsehprogramm und Mitteilungen, die zu bestimmten Zeiten mit der Post kamen oder auf dem Anrufbeantworter auf unsere Rückkehr nach Hause warteten. Mittlerweile erfahren wir alles an jedem Ort und können arbeiten oder auf Informationen zugreifen, wann immer wir wollen. Wobei «wollen» nicht der richtige Ausdruck ist. Wissen wir eigentlich, was genau wir tun wollen? Oder tun wir vieles einfach, ohne genauer zu wissen, warum wir uns so verhalten? Es fällt den meisten von uns offenkundig schwer, die früher (also in der analogen Welt) von außen auferlegten Strukturen nun (im digitalen Zeitalter) durch eigene, innere Strukturen zu ersetzen. Vielen Menschen, die mit mir sprechen, gelingt dies zunächst nicht. Sie beschreiben das Gefühl, vom Internet «eingesaugt» zu werden bzw. darin zu «versacken».

Wie verändert uns diese Entwicklung? Werden wir uns an sie gewöhnen und einen selbstverständlichen Umgang mit ihr pflegen? Oder bringt das Internet die Grundelemente unseres Daseins so sehr ins Wanken, dass wir erschöpfen und krank werden? Immer mehr Menschen, die zu mir kommen, stellen sich diese Fragen. Die Feuilletons der Zeitungen sind voll von Artikeln zu dem Thema.

Diese Auseinandersetzung und die damit verbundenen Sorgen sind im Prinzip nichts Schlechtes, sie helfen uns, uns zu schützen und auf schwierige Situationen vorzubereiten. Problematisch wird es dort, wo sich eine Sorge verselbständigt, irrational wird, uns beherrscht und davon abhält, wichtige Dinge anzugehen. In Bezug auf das Internet – wo es einerseits wirklich viel zu tun und andererseits viele Ängste gibt – hat sich in den letzten Jahren der Begriff der digitalen Paranoia entwickelt, den ich in diesem Buch nutzen will, um unser irrationales Verhältnis zum Internet aus der Perspektive eines Psychiaters zu beschreiben.

Als ordentlicher Psychiater muss ich jedoch eine Begriffsdefinition nachschieben: In diesem Buch wird der Begriff «Paranoia» zur Beschreibung irrationaler Ängste verwendet. Bei solchen irrationalen Ängsten sind sich Menschen bewusst, dass die Angst eigentlich nur teilweise berechtigt ist und sie ihre Sorgen unzulässig verallgemeinern. Dies ist die umgangssprachliche Bedeutung des Begriffs. Paranoia im psychiatrischen Sinn ist eine wahnhafte Überzeugung, etwa die Vorstellung, im Bett von Außerirdischen mit einem Laser bestrahlt und manipuliert zu werden. Andererseits: Wenn jemand sich im Internet von ausländischen Geheimdiensten beobachtet fühlt, hätten wir hier vor zehn Jahren sehr wahrscheinlich Wahnvorstellungen vermutet – heutzutage ist das normal. Wer aus Sorge, von ausländischen Geheimdiensten beobachtet zu werden, online keine Kochrezepte mehr sucht, gilt aber weiterhin als übermäßig ängstlich (jedoch nicht unbedingt als wahnhaft). Man könnte also sagen, dass Edward Snowden unser gesellschaftliches Verständnis internetbezogener Wahnvorstellungen grundlegend verändert hat.

Die Grenze zwischen irrationaler Angst und Wahn verläuft dort, wo die realistische Einschätzung von etwas nicht mehr richtig funktioniert. Solange wir noch die Position einnehmen können, dass wir unseren Gedanken zwar ausgeliefert sind, dass sie aber wahrscheinlich zumindest teilweise irrational sind, ist eher von einer Paranoia im umgangssprachlichen Sinne einer Angst auszugehen – zum Beispiel der Kollege, der das Gefühl hat, dass alle am Arbeitsplatz ihm etwas Böses wollen, der aber in einem ruhigen Gespräch durchaus dazu in der Lage ist, einzuräumen, dass er sich in eine nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprechende Vorstellung hineingesteigert hat.

Kein Psychiater kann die Zukunft vorhersehen

Die Psychiater, die eigentlich auf unsere irrationalen Sorgen in Bezug auf das Internet eingehen sollten, schweigen zu diesem Thema. Nun, nicht alle Psychiater schweigen, es gibt einige unrühmliche Ausnahmen: Jede Gesellschaft im Umbruch hat ihre Untergangspropheten, die mit populistischen Szenarien Geschäfte machen. Die tun dann das Gegenteil: sie verstärken die Sorgen noch. Wenn Beschwerden oder Krankheiten durch Ärzte verursacht werden, dann nennt man das «iatrogen». Ängste vor Krankheiten werden oft durch theatralisches Auftreten von Ärzten iatrogen verstärkt. Die digitale Paranoia ist insofern auch ein teilweise iatrogenes Problem.

Abgesehen von solchen populistischen Einlassungen gibt es kaum etwas von uns Psychiatern zu diesem Thema zu lesen. Denn kein seriöser Arzt oder Wissenschaftler kann zu diesem Zeitpunkt eine Antwort auf die Frage geben, ob uns das Internet dicker, dümmer oder depressiver macht. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass man weder aus der Gegenwart noch aus der Vergangenheit die Zukunft vorhersagen kann. Aber wir können Muster in unserem Verhalten erkennen. Insbesondere, dass wir uns zwar an technische Entwicklungen gewöhnen, unser Verhältnis dazu aber trotzdem ungeklärt und irrational bleibt. Carl Benz, der Erfinder des Automobils (in dessen ehemaligem Wohnhaus ich im Verlauf dieses Buchs noch in eine unangenehme Situation geraten werde), wurde der Überlieferung nach auf seinen ersten Fahrten von aufgebrachten Bürgern mit Steinen beworfen. Heute sind Autos eine Selbstverständlichkeit, und nur die wenigsten haben Angst vor der Technologie Auto, obwohl ich von vielen Menschen weiß, die von Autos schwer verletzt und getötet wurden, wohingegen mir vergleichbare Fälle beim Internet nicht bekannt sind. Laut Statistik stellt Handy-Nutzung am Steuer ein neues Risiko im Straßenverkehr dar, aber auch hier geht aus meiner Sicht die Gefahr vom Auto (bzw. vom verantwortungslosen Nutzer) aus. Sicherlich sind Verkehrstote immer mal wieder ein Thema in den Medien, aber sie sind auch ein Stück weit Teil des Alltags geworden. Sogar trotz des Klimawandels, von dem wir wissen, dass er durch Autoabgase mit verursacht wird, fahren wir noch fast immer allein und fast immer in unnötig großen Autos durch Städte, in denen es ausreichend öffentlichen Nahverkehr gibt, der uns genauso gut von A nach B bringen könnte. Oder wir könnten Fahrrad fahren. Das wäre besser für unsere Gesundheit und für die Umwelt. Tun die meisten aber nicht.

Im Internet erleben wir Ähnliches. Wir teilen unsere privatesten Informationen, zum Beispiel über den Menstruationszyklus, Schwangerschaftswunsch oder Schlafstörungen, mit den ominösen Anbietern einer App, die gleich auch noch Zugriff auf unsere Kontakte und Fotos haben wollen – ohne uns genauer zu sagen, wofür. Und wir legen einen Großteil der Informationen über unser Leben in die Hand von Anbietern wie Facebook und übergeben ihnen gleich noch Nutzungsrechte für unsere Bilder. Warum eigentlich?

Wir können auch deshalb wenig über die Zukunft sagen, weil wir überhaupt nicht wissen, was an Entwicklungen noch alles auf uns zukommt. Wie wird es uns beispielsweise verändern, wenn 3-D Einzug ins allgemein verfügbare Internet hält und wir durch dreidimensionale Umgebungen navigieren, wenn wir womöglich sogar Berührungen spüren und uns riechen? Werden wir dann immer noch so handeln, wie wir es jetzt tun? Sehr anschaulich wird der Effekt der «Eintauchtiefe» bei einem kleinen Video im Internet, das Menschen zeigt, die offen über ihr Verhältnis zu Pornovideos sprechen und sich vor der Kamera mithilfe von 3-D-Brillen zum ersten Mal in ihrem Leben pornografische Virtual-Reality-Filme anschauen. Bereits in diesem kleinen «Experiment» zeigt sich, dass allein die Erweiterung der räumlichen Dimension unser Erleben im Internet völlig verändern kann. Vielleicht surfen wir ja auch bald während der Arbeit deutlich weniger im Internet, wenn regelmäßig ein Hologramm unseres Chefs auftaucht und uns zu mehr Leistung antreibt. Vielleicht verspüren wir dann kein Bedürfnis mehr, uns zu besuchen, weil wir keinen Unterschied mehr spüren zwischen direkten Umarmungen und Umarmungen über das Internet. Auch ich finde diese Perspektive irgendwie beunruhigend, wenngleich ich nicht genauer sagen kann, warum. Aber deutlich wird zumindest: Von dem ausgehend, was wir jetzt kennen und wissen, die Auswirkungen des Internets auf die Psyche vorherzusagen, ist vermessen.

Wenn wir die Zukunft schon nicht vorhersagen können, dann können wir jedoch zumindest dieses Wissen über unsere Irrationalität im Umgang mit Technik als Ausgangspunkt nehmen, um nachzudenken, wie wir die Zukunft gestalten wollen. Viele Probleme, mit denen sich dieses Buch beschäftigen wird, beruhen auf bisher unbekannten Nebenwirkungen grundsätzlich positiver Entwicklungen, wie der Möglichkeit zur ständigen Kommunikation mit Menschen rund um den Globus. Aber es gibt auch gravierendere Probleme, denen wir nicht so einfach Herr werden können. Es liegt wohl in der Natur des Menschen, der Büchse der Pandora nicht widerstehen zu können. Wo ein schneller Weg zu gesellschaftlicher Aufmerksamkeit, zu Macht oder Geld lockt, wird es immer Menschen geben, die ihren kurzfristigen Gewinn dem langfristig Sinnvollen vorziehen oder egoistisch auf den eigenen Vorteil bedacht sind und zum Nachteil der Gemeinschaft handeln. Viele der Probleme, die wir mit dem Internet haben, beruhen auf dieser Schwäche des Menschen. Und damit sind sie kein genuines Problem des Internets: Das Internet ist in dieser Hinsicht vielmehr wie ein neuer, fremder Kontinent, den wir angefangen haben zu besiedeln und auf dem einerseits immer noch ein starker Pioniergeist herrscht, andererseits aber auch eine gewisse Gesetzlosigkeit. Wir werden dort weitere Quellen großen Reichtums entdecken, deren unkontrollierte Ausbeutung zur Belastung der Gemeinschaft wird oder unsere Rechte auf Würde und Privatsphäre bedroht.

Mit einem psychiatrischen Blick auf die Welt des Digitalen will ich unserer digitalen Paranoia, unserem irrationalen Verhältnis zur Technik Internet, die Möglichkeit eines reflektierten Umgangs gegenüberstellen. Die Frage ist, mit welchen Hoffnungen wir uns auf den Weg in die Zukunft machen können, aber auch, gegen welche Gefahren wir uns wappnen sollten. Und grundsätzlich, welche Regeln wir für unseren Umgang miteinander brauchen, wenn wir uns gemeinsam in dieses Abenteuer begeben. Denn eines ist klar: In einer Welt ohne Internet bleiben können wir nicht mehr, die Reise hat bereits begonnen. Wenn aber die zur Zeit eher sorgenvolle Frage, ob uns das Internet krank oder verrückt macht, dazu führt, dass wir uns ernsthaft damit auseinandersetzen, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen, dann bin ich insgesamt optimistisch.