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Eine dunkle erotische Geschichte über zwei verlorene Seelen, die von ihrer Vergangenheit heimgesucht werden. In Millions beendet Pepper Winters die epische Reise, bei der Pim ihre Stimme findet und Elder endlich Frieden zulässt. Der Wunsch nach Rache führte sie zusammen, aber es ist die heilende Kraft der Liebe, die sie in die Zukunft führt. Pepper Winters schreibt Dark Romance vom Feinsten. Jedes Buch der Bestsellerautorin ist eine gewaltige Reise voller Schmerz und Leidenschaft.
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Seitenzahl: 546
Veröffentlichungsjahr: 2021
Aus dem Amerikanischen von Michael Krug
Impressum
Die amerikanische Originalausgabe Millions (Dollar #5)
erschien 2017 im Verlag Pepper Winters.
Copyright © 2017 by Pepper Winters
Copyright © dieser Ausgabe 2021 by Festa Verlag, Leipzig
Lektorat: Katrin Hoppe
Titelbild unter Verwendung von: iStock/Shutterworx
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-86552-939-8
www.Festa-Verlag.de
PROLOG
Selix
Das Leben meinte es mit niemandem gut.
An manchen Tagen tat es so, als wäre es freundlich. Es gewährte einem Geschenke, erfüllte Träume und Fantasien. Und am nächsten Tag riss es einem alles wieder weg.
So sah die Realität aus.
Ich wusste es. Elder wusste es.
Wir beide durchschauten die zahlreichen Lügen der Welt und sahen ihre Wahrheit. Ich glaube, ich hatte ihn deshalb gehasst, als wir uns auf den Straßen von New York zum ersten Mal begegnet waren. Er strahlte damals dieselbe Mühsal aus. Dieselbe Verbitterung. Dieselbe schwere Scham wie ich – eine Scham, die wir in Hass und Übellaunigkeit umgemünzt hatten.
Wir hatten uns um Gebiets- und Besitzansprüche gezankt. Und manchmal kämpften wir nur, weil wir es satthatten, von einem Universum verletzt zu werden, das uns völlig aufgegeben hatte.
Es heißt ja, dass es in der Natur des Menschen liegt, eigene Charakterzüge bei anderen zu hassen. Hat jemand das gleiche Temperament wie man selbst, kann man ihn nicht leiden. Bei den gleichen Beinen würde man bei anderen sagen, sie wären zu kurz. Bei der gleichen Nase würde man sich darauf fixieren, wie überdimensioniert sie doch sei. Nicht weil man die andere Person hasst, sondern weil man sich in einem tief verborgenen Teil der Seele selbst hasst.
Unser fataler Fehler bestand darin, auf uns selbst herumzuhacken. Uns selbst in Stücke zu reißen, indem wir andere in Stücke rissen, in denen man sich wiedererkannte.
Seltsam, aber so verdammt wahr.
Elder erinnerte mich an mich selbst. Deshalb konnte ich ihn nicht ausstehen.
Ich erinnerte ihn an ihn selbst. Deshalb verabscheute er mich.
Wir prügelten gegenseitig die Scheiße aus uns raus. In gewisser Weise prügelten wir sie aus uns selbst raus. Bis eines Tages … dieser Selbsthass, den wir uns nicht eingestanden, einfach aufgab. Da fanden wir uns damit ab, dass der Teil, den wir am meisten an uns hassten, auch der Teil war, den wir am dringendsten zum Überleben brauchten.
Nach dieser Erkenntnis hatte sich ein freundschaftlicher Waffenstillstand gebildet – oder zumindest etwas, das einer Freundschaft ähnelte. Wir hatten den Versuch aufgegeben, uns gegenseitig umzubringen. Wir waren von Feinden zu widerwilligen Bekannten und allmählich zu Vertrauten geworden.
Bis zum heutigen Abend sah ich mich noch immer in Elder. Ich sah meine Vergangenheit in seinen Augen, meinen Kummer. Aber als ich in den Schatten stand und ihn mit Pimlico in Hawksridge Hall tanzen sah, musste ich ihm letztlich zugestehen, dass er sich weiterentwickelt hatte.
Er war nicht mehr wie ich. Und ich verabscheute nichts mehr an ihm, weil nichts mehr übrig war, das mich an mich selbst erinnerte. Er hatte seine Reise der Erlösung und Akzeptanz begonnen. Tauschte letztlich Tragik gegen verschissene wahre Liebe ein.
Mich hatte er zurückgelassen, indem er etwas gefunden hatte, das er niemals kaufen oder stehlen könnte. Einerseits freute ich mich für ihn, zugleich erfüllte mich rasende Eifersucht.
Darauf, dass er gefunden hatte, was mir vor so vielen Jahren abhandengekommen war.
Darauf, dass er sich auf ein Leben mit Verfehlungen und Versöhnungen mit dem einen Menschen freuen konnte, der seine beste Freundin und Partnerin werden würde.
Den Job war ich los.
Ich verkörperte nicht mehr sein Spiegelbild, das ihm seine Fehler vor Augen hielt.
Ich war wieder allein und ertrank schnell in allem, was ich viel zu lange ignoriert hatte.
Dankbar für den leeren Wagen schnaubte ich über den Restgeruch von Sex und Champagner, den Pimlico und Elder zurückgelassen hatten.
Erst vor wenigen Sekunden waren sie ausgestiegen und die Gangway hinaufgegangen, die Körper eng umschlungen, die Herzen widerlich verflochten. Aber die Zeit hatte die merkwürdige Eigenart, es so wirken zu lassen, als wäre ich schon ewig allein.
In gewisser Weise war ich das.
Immerhin war ich bereits seit Jahrzehnten verloren. Und nun, da die beiden ekelhaft ineinander aufgingen, hatte ich niemanden mehr, um die hämisch über mich hereinbrechenden Erinnerungen auszulöschen.
Morgen würde ich von Prest die Wahrheit darüber erfahren, was genau sich geändert hatte. Wie er auf ein elendes Leben gepfiffen und sich mit allem, was er noch hatte, auf die von ihm gerettete Frau eingelassen hatte. Doch für diese Nacht hatte ich die volle Absicht, allein zu sein – so, wie es sein sollte.
Als ich mit dem Wagen den Kai entlangfuhr, sah ich Pim und Elder noch einmal auf dem Deck, wo sie lachend wie liebeskranke Trottel in Richtung ihrer Unterkunft stolperten.
Ich hätte zu wetten gewagt, dass eine Möwe auf sie kacken könnte, und sie würden es nicht einmal merken.
Idioten.
Ich verdrehte die Augen, trat aufs Gas und beschleunigte an der beeindruckend großen Phantom entlang, um das Auto an Bord zu bringen. Die Seite hatte sich bereits klaffend geöffnet. Ich bog auf die Schwerlastrampe und lenkte das Fahrzeug behutsam in den Bauch des Schiffes.
Beim vertrauten Wechsel von Land auf See schlug mein Herz jedes Mal wieder schneller. Im Gegensatz zu Elder – der meiner Meinung nach zur Hälfte von Fischen abstammen musste – konnte ich das Meer nicht ausstehen. Mit dem schwankenden Deck unter meinen Füßen wurde ich einfach nicht warm. Ich bevorzugte einen stabilen Untergrund aus Erde und die solide Härte von Stahl.
Aber in jener schicksalhaften Nacht, in der er einen Lottogewinn gestohlen hatte, wurde ich von ihm eingeladen, eine neue Möglichkeit zu erkunden: freiwillig obdachlos zu bleiben und mich mit einem leeren Leben zu bestrafen, nachdem ich so viel gehabt hatte – oder in einem Krieg, der nicht meiner war, an seiner Seite zu kämpfen.
Manch einer hätte wohl abgelehnt – vor allem als er erwähnt hatte, dass eine gefährliche Gruppierung nach seinem Blut lechzte und so gut wie sicher welches fließen würde, wenn man ihn fände. Aber wozu die Illusion eines Lebens aufrechterhalten, wenn es in Wirklichkeit … nur eine riesige, hohle Seifenblase war?
Ich hatte keine Werte mehr. Keine Ehre. Niemanden, für den es sich zu kämpfen lohnte. Keinen Ort, an den ich gehörte.
Ich war allein und dachte mir, ich könnte genauso gut bei ihm allein sein. Spontan beschloss ich, ihn künftig zu duzen. Das erschien mir in Anbetracht unserer Beziehung richtiger.
Ich parkte auf dem vorgesehenen Stellplatz, schaltete den Motor ab und stieg aus. Durch das Drücken eines Knopfs an der Wand fuhren automatische Keile um alle vier Räder herum aus dem Boden. Sie würden verhindern, dass der Wagen in einem Sturm herumgeschleudert wurde.
Ich hängte den Schlüssel in den Schrank mit den ordentlichen Haken für alle möglichen Spielzeuge an Bord. Dann fuhr ich mir mit beiden Händen durchs Haar und seufzte.
Mein Job als Chauffeur ist erledigt.
Nicht dass Elder je von mir verlangt hätte, solche Aufgaben zu übernehmen. Ich hatte bloß festgestellt, dass mich die Erinnerungen nicht so leicht einholten, wenn ich die Bedürfnisse anderer über meine eigenen stellte und nur daran dachte, was ich für sie statt für mich selbst tun konnte.
Mir flatterte etwas Heu aus den Haaren und erinnerte mich daran, womit ich beschäftigt gewesen war, während Elder Unaussprechliches mit Pim getrieben hatte.
Ich kannte den Namen der Frau nicht. Ihr Gesicht hatte ich nicht gesehen. Ich erinnerte mich nur daran, dass sie eine Maske trug, die aussah wie ein Spinnennetz mit Morgentau, der auf Silberfäden glitzerte. Ihr Kleid ergänzte die Illusion mit Silberschuppen und schimmernden Perlen.
Es kam nicht oft vor, dass ich mich nach Gesellschaft sehnte. Aber nach ein, zwei Tänzen hatte sie mir angeboten, mich herumzuführen – obwohl sie den Ort genauso wenig kannte wie ich.
Wir landeten in den Ställen, wo wir es trieben wie die Karnickel, während uns ein Pferd aus der nächsten Box dabei zusah. Wir zogen uns nicht aus, wir vereinbarten nicht, uns wiederzusehen. Wir wussten beide, dass wir uns gegenseitig für unverfängliche Gesellschaft benutzten. Danach hatten wir uns mit einem dankbaren Kuss getrennt und uns über das Wissen gefreut, dass wir gegenseitig unseren Schmerz etwas gelindert hatten.
Ich sollte in den Aufzug steigen und den Weg zu meiner Unterkunft antreten. Dort sollte ich mir den Sex im Stall vom Körper waschen und anschließend schlafen, damit ich morgen früh gewappnet wäre, Prest in den Arsch zu treten.
Allerdings war ich noch nicht bereit, mich in die Gefangenschaft des Ozeans zu begeben.
Ich wollte noch etwas länger festen Boden unter den Füßen spüren. Ich wollte frei sein, nicht in meinem Inneren gefangen. Dort würden mich die Klauen meiner Vergangenheit finden und wünschen lassen, ich wäre in derselben Nacht wie meine zukünftige Braut gestorben.
Also ging ich auf das offene Garagentor zu und drückte den Knopf, der es schließen und hinter mir verriegeln würde. Dann trat ich von der Jacht auf den Kai.
Am Himmel funkelten Sterne.
In klaren Nächten wie dieser sehnte ich mich nach einer Zigarette. Die Gewohnheit hatte ich vor Jahren abgelegt – teils weil ich es wollte, teils aus Geldmangel. Ich wusste, dass es für mich besser war, nicht zu rauchen. Dennoch sehnte ich mich an diesem Abend nach dem prickelnden Geschmack und dem ungesunden Kick von Nikotin.
Ich hatte keinen Drink, um mich zu beschäftigen, und niemanden, der mich ablenkte. Also schlenderte ich den Kai entlang. Unterwegs sichtete ich leere Kisten, haushoch an der Seite einer Lagerhalle gestapelt.
Perfekt.
Ich könnte hinaufklettern. Oben würde mich niemand sehen. Dort könnte ich ungestört die Phantom mit ihren hübsch erhellten Fenstern betrachten und an meinen Gedanken ersticken, statt sie tief in mir zu vergraben.
Ich trat mir die feinen Schuhe von den Füßen, packte etwas von den Erfahrungen meines vergangenen Lebens auf der Straße aus und trat den Weg die Kisten hinauf an. Es bedurfte nur weniger Sekunden und ein paar gut platzierter Sprünge, um die Kisten zu erklimmen und dem Himmel näher zu kommen.
Mein Puls ging kein bisschen schneller, als ich oben ankam und mich schwerfällig setzte.
Aus dieser Perspektive bot die Phantom tatsächlich einen hübschen Anblick. Sie wogte wie eine dunkle Meeresgöttin, bereit, jeden auszulöschen, der sich mit ihr anlegen wollte. Die Welt beruhigte sich, die Nacht wurde stiller. Nur meine Atmung störte den ultimativen Frieden.
Und an der Stelle fand sie mich.
Wie immer.
Die Frau, die ich geliebt hatte, dahingerafft von einer ungeplanten Schwangerschaft. Ich ließ mich von der Vergangenheit überwältigen, ließ den gnadenlosen Hass auf das ungeborene Kind, das sie mir geraubt hatte, über mich kommen. Und dadurch hörte ich nicht, wie in der Nähe Krieg Einzug hielt.
Die Erinnerungen zogen mich tief hinab, und ich krümmte mich unter den letzten Augenblicken voll Blut und Kummer. Das Brennen der Tränen darüber, dass ich einer Frau meine Seele geschenkt hatte und am Leben bleiben musste, als sie die Welt verließ, zerriss mich jedes Mal aufs Neue.
Oft gab ich mich meinem Schmerz nicht hin. Ich hasste Selbstmitleid und verabscheute Selbstvorwürfe.
Aber nachdem ich an diesem Abend bezeugt hatte, dass wahre Liebe einem Mann widerfahren war, den ich einen Freund zu nennen wagte, war ich am Boden zerstört – es erinnerte mich daran, was ich verloren hatte, was er erlangt hatte und wie verschieden wir nun waren.
Nicht mehr dieselben.
Meine Ohren füllten sich mit Geisterstimmen und Phantomgebrüll. Ich hörte, wie ich die Ärzte anflehte, etwas zu tun. Hörte, womit ich ihnen drohte, falls sie versagten. Hörte meine Flüche, als ich mit nichts zurückblieb.
Ich war so besessen von meiner qualvollen Folterkammer der Erinnerungen, dass mir die erste Salve entging.
Auch die zweite.
Das Ra-ta-ta-ta der Schüsse vermischte sich mit dem Klatschen sanfter Wellen und dem Knarren von Takelagen der auf dem Wasser schaukelnden Boote.
Meine Finger schienen glitschig von Blut aus der Vergangenheit zu werden. Mein Mund fühlte sich weit aufgerissen vor Schreien an, die ich vor langer Zeit ausgestoßen hatte. Meine Lunge leerte sich, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch zu sterben, um sie wiederzufinden, und der Sturheit, trotz der täglichen Qualen weiterhin zu atmen.
Ich verlor das Zeitgefühl, als ich im Geist der Frau versank, die ich mit jeder Faser meines Wesens vermisste.
Aber dann folgte ein weiterer Schuss.
Diesmal ungefiltert von den Fluten oder der Jacht.
Peng.
Die Geräusche hallten durch die Bucht wider, in Uhrentürmen und zwischen Schiffsmasten.
Peng.
Peng.
Peng.
Jäh schlug ich die Augen auf.
Was zum …
Ein Kreischen.
Ein Schrei.
Ein Platschen.
Scheiße, sie haben uns gefunden.
Ich sprang von meinem Platz auf den Kisten auf, stürmte hinunter zum Kai und preschte los. Meine bestrumpften Füße verursachten keine Geräusche, als ich in der Dunkelheit schlitternd zum Bug des Schiffes raste. Ein kleiner Bootsmotor sprang an, grollte und verpestete den Nachthimmel mit beißenden Benzindämpfen.
Französisches Gemurmel mischte sich zum Lärm des Motors, als jemand Gas gab und losbrauste. Ich erhaschte einen flüchtigen Blick auf einen auf die Motorhaube gemalten Vogel und eine rot-blau gekleidete Gestalt, die ausgestreckt hinten lag.
Pimlico?
Scheiße, das kann nicht sein …
Ich hatte nur wenige Minuten dort oben gesessen. Sie waren in Sicherheit gewesen. Und offensichtlich so hoffnungslos und widerwärtig verliebt …
Dass sie überrumpelt worden waren.
Fuck!
Das Schnellboot beschleunigte, holperte rasend über die schwarze Dünung. Es gab nichts, was ich tun konnte. Ich konnte unmöglich hinterherschwimmen, und ich hatte keine Harpune, die ich darauf abfeuern konnte.
Ich war hilflos, während Wasser mit Schaumkronen gegen den Kai schwappte. In vollem Lauf raste ich weiter.
Sie hatten Pimlico, aber wo steckte Prest?
Ich kehrte in die Richtung um, aus der ich gekommen war, und fluchte keuchend darüber, wie lang diese verdammte Jacht war.
Als ich endlich die Gangway erreichte, packte ich die Reling und warf mich in eine scharfe Kurve, bohrte die Zehen in die Sprossen und stürmte auf das Deck.
Meine Haut wurde eisig vor Beklommenheit.
Keine Geräusche.
Keine Besatzung.
Kein Leben.
Wo zum Teufel sind alle?
Ich schnappte mir eine Waffe aus einem der zahlreichen Verstecke an Deck und stürmte auf Prests Kabine zu.
Unterwegs spannte ich den Hahn und legte den Finger auf den Abzug. Feuerbereit.
Seine Türen standen weit offen. Blut verschmierte das polierte Deck. Leichen übersäten seine Unterkunft.
Männer in Schwarz mit knallroten Handschuhen.
Chinmoku.
Wenn sie tot sind … Wo zum Teufel ist dann Prest?
Schlitternd hastete ich über den Holzboden zur Seite der Balustrade, wo eine Strickleiter hinab ins Wasser hing.
Ich schaute dort hinunter, von wo die Drecksäcke mit Pim davongerast waren. Dort sichtete ich den einen Mann, den ich als Freund bezeichnete.
Tief unten, im silbrigen Mondschein und vereinzelten Lichtern vom Kai kaum sichtbar, schnappte Elder hustend nach Luft und trat matt Wasser.
Mit verzogenem Gesicht umklammerte er mit einer Hand seinen Arm.
Er ging unter.
Meine Finger legten sich um die Reling, als er wieder auftauchte. Mit weit aufgerissenem Mund und geschlossenen Augen klammerte er sich am Leben fest.
Er konzentrierte sich zu sehr darauf, nicht draufzugehen, um mich zu bemerken. Wieder ging er unter. Und noch einmal. Seine Beine konnten ihn nicht über Wasser halten.
Noch ein paar Minuten, dann würde er ermüden und ertrinken. Noch ein paar Minuten, dann wäre er tot und ich wieder allein.
Das wird verdammt noch mal nicht passieren.
Ich warf die Waffe aufs Deck und riss mir das Jackett und die Hose vom Leib. In meiner Hast riss ich sämtliche Knöpfe des Hemdes ab. Prest hatte vielleicht noch Minuten, aber ich würde nur Sekunden brauchen.
Nackt bis auf die Boxershorts hechtete ich von der Seite.
Ich dachte nicht darüber nach, wo die Besatzung steckte oder warum tote Chinmoku den Boden von Prests Schlafzimmer vollbluteten. Ebenso wenig zerbrach ich mir den Kopf über Pimlico oder darüber, wer sie entführt hatte. Elder verkörperte das Herzstück dieser schwimmenden Familie.
Er hatte für mich oberste Priorität.
Ich landete zu nahe, spritzte noch mehr Wasser auf ihn.
Er schnappte nach Luft und hustete, bevor er wieder unter die aufgewühlten Wellen sank.
Und nicht mehr auftauchte.
Ich streckte den Kopf unter Wasser, ertastete kalte Haut und zog Prest an die Oberfläche. Als sein Mund an die Luft gelangte, stöhnte er, atmete ein und schrie vor Schmerz auf, als ich ihn herummanövrierte. Meerwasser strömte ihm über das Gesicht. Ich schlang den Arm um seine Brust und achtete darauf, sein Kinn so zu neigen, dass er atmen konnte.
Dann paddelte ich rückwärts zum Kai.
Als ich mit dem strampelnden Fuß sein Bein traf, schrie er abermals auf und verzog gequält das Gesicht. »Gottverdammt noch mal, Selix. Wo zum Teufel warst du?« Seine Zähne klapperten vor Schock und Kälte, sein Blut floss wie Öl.
Ich wollte ihm nicht sagen, dass ich in einem Moment der Schwäche in Erinnerungen versunken gewesen war. Ich wollte nicht zugeben, dass ich Hochverrat begangen hatte, während er im Krieg gewesen war. »Jetzt bin ich hier.«
»Tja, dann kümmere dich nicht um mich, sondern um sie …« Ein Husten schüttelte ihn durch. Die davon ausgelösten weiteren Schmerzen ließen ihn zusammenzucken. »Sie haben sie entführt.«
Ich warf einen Blick zum schwarzen Horizont, wo jede Spur von dem Boot oder von den Motorgeräuschen fehlte. Es war, als wäre es nie da gewesen. Sogar der Benzingeruch hatte sich zu einem salzigen Nichts verflüchtigt. »Sie sind weg, Prest.«
»Sie können nicht weg sein. Das können …« Er stöhnte, als ihn meine strampelnden Beine erneut traten und sich mit ihm verhedderten, während ich näher an den Pier schwamm. »Sie können sie nicht haben.«
Warmes Blut floss über meine Hand in seiner Achselhöhle. Ich hatte genug Schusswunden gesehen, um zu wissen, dass er schleunigst raus aus dem Meer musste. Er musste ruhig und gefasst bleiben, sich zuerst um sich selbst kümmern, bevor er sich den Kopf über Pim zerbrechen konnte.
»Konzentrieren wir uns auf dich.« Mit zusammengebissenen Zähnen schwamm ich schneller. Mir war nur allzu bewusst, wie schnell sein Leben schwand. »Und danach auf sie.«
»Herrgott noch mal!« Prest krümmte sich in meinem Griff. »Scheiße, tut das weh.«
»Was tut weh?« Ich konnte nicht erkennen, ob die Kugel in seinem Arm das schlimmste oder das geringste seiner Probleme darstellte.
»Alles.« Er heulte dem Mond entgegen, während ich das letzte Stück kraulte, ihn näher zu mir zog und die Finger dabei versehentlich in eine wunde Stelle bohrte.
Wo zum Teufel ist Michaels?
Er brauchte einen Arzt. Sofort.
Ich könnte ihn ins Auto werfen und mit quietschenden Reifen ins nächste Krankenhaus rasen. Aber was, wenn er es nicht schaffte? Seine Haut hatte sich bereits bläulich verfärbt, seine Lippen wirkten in der Nacht beinahe schwarz.
Als ich den Kai erreichte, überlegte ich besorgt, wie ich seinen triefnassen, in einem Smoking steckenden Hintern aus der Bucht schaffen sollte. Was immer er an Verletzungen hatte, es musste beschissen schmerzen.
Aber meine Sorgen waren umsonst.
Als sich meine Finger um die Sprosse der Notleiter legten, rollten Elders Augen nach oben, und er erschlaffte in meinem Griff zu einer teigigen Wasserleiche.
Mein Herz setzte einen Schlag aus, als ich die Hand unter seine Nase hielt und seine Atmung überprüfte – ich fürchtete, nichts wahrzunehmen, und betete, ich würde irgendetwas spüren.
Als ein leichter Hauch von Wärme offenbarte, dass er nicht tot, sondern nur bewusstlos war, ging ich weniger sanft mit ihm um und arbeitete stattdessen schneller.
Ich schleppte seinen ramponierten Körper die Treppe hinauf, legte ihn wie einen gefangenen Fisch auf dem Kai ab. Triefnass und erschöpft landete ich auf Händen und Knien neben ihm.
Er wachte nicht auf. Aber sein Herz pumpte mehr und mehr Blut aus seinem Körper. Es sammelte sich langsam unter ihm und tropfte schwarz in die Fluten.
Meine Arbeit war noch nicht beendet, seine Zeit jedoch fast aufgebraucht.
Ich richtete mich auf und bückte mich. Mit einer gedanklichen Entschuldigung gelang es mir irgendwie, mir seine reglose, sterbende Gestalt über die Schulter zu hieven.
Als ich den langen Weg zur Gangway antrat, schloss ich mit dem Tod einen Pakt, damit er mir nicht noch jemanden nahm, an dem mir etwas lag.
Der Sensenmann hatte mir meine Braut und mein ungeborenes Kind genommen.
Meinen Freund würde er mir nicht nehmen.
Jedenfalls nicht heute.
KAPITEL 1
Elder
Schmerz.
Starker, unangenehmer Schmerz.
Jäh schlug ich die Augen auf und schnappte nach Luft. Ich war am Ertrinken gewesen, daran erinnerte ich mich noch. Hatte Wasser getreten und aus Schussverletzungen geblutet, während mir ein Schnellboot mit brummendem Motor meine Frau geraubt hatte.
Verdammt noch mal, Pim.
Jäh setzte ich mich auf und schrie gellend, als sich die Schmerzen zu sengenden Höllenqualen steigerten und mich prompt zurücksinken ließen.
Wo zum Teufel bin ich?
Blinzelnd betrachtete ich mit verschwommenem Blick meine aktuelle Hölle. Die Laken rochen nach mir, die Wände kamen mir ebenso vertraut vor wie die Möbel.
Mein Zimmer.
Moment … Als ich zuletzt hier gewesen war, hatte ich um mein Leben gekämpft, während Pim von Chinmoku festgehalten wurde. Im Verlauf des Kampfes war einiges umdekoriert worden.
Mühsam setzte ich mich wieder auf und wappnete mich für den Anblick von roten Flecken auf dem Teppich, aufgedunsenen Leichen, zertrümmerten Möbeln und zerrissenen Vorhängen.
Aber anstelle des Schauplatzes eines Verbrechens erblickte ich sterile Sauberkeit. Der beißende Geruch von Bleichmittel und Industriereinigern hing in der Luft. Der Teppich sah an einigen Stellen dunkler aus, wo er noch feucht vom Waschen war.
Keinerlei Anzeichen eines Kampfs oder Massakers.
Alles in Ordnung.
Alles wie gehabt.
Hatte ich es geträumt? Hatte ich schlechtes Gras geraucht und einen üblen Trip gehabt, in dem Pim entführt wurde? Und in dem ich von einem französischen Arschloch angeschossen wurde, das mein Leben im Alleingang zerstört hatte?
Wenn ja, warum tat dann alles so beschissen weh?
Von draußen drang das Geräusch von Schritten herein. Mit finsterer Miene spähte ich zur offenen Tür, die Muskeln angespannt, bereit, mich zu verteidigen.
Ich mochte auf der Phantom sein, aber alles andere fühlte sich fremdartig an – sogar mein Körper.
»Ah, du bist wach. Wurde auch Zeit.« Selix marschierte herein und duzte mich, was ich nur am Rand registrierte. Er trug ein Tablett mit Besteck und etwas Dampfendem in einer Schüssel. »Michaels hat gesagt, du würdest eine Weile weggetreten sein. Aber es sind Stunden vergangen, Prest.«
»W…« Ich hustete. Salz brannte mir in der Kehle.
War ich doch ertrunken? Befand ich mich in einer Hölle, in der meine Seele dachte, sie wäre am Leben, während mein Körper am Meeresgrund von Krustentieren angeknabbert wurde? Und falls ich nicht tot war, wer hatte mich gefunden? Wie konnte ich am Leben sein?
Wo zum Teufel ist Pim?
Mein benebeltes Hirn bewarf mich mit einer Frage nach der anderen und verlangte, jede noch so kleine Einzelheit sofort zu erfahren.
Mein Herz geriet ins Stottern, als sich Stress in meinem Körper ausbreitete. »Was ist passiert?« Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse – meine Stimme klang wie die eines Wracks voll gesplittertem Treibholz.
»Die Chinmoku haben dich gefunden.« Selix trat an mein Bett und stellte das Tablett auf dem Tisch ab. »Dann ist irgendein französischer Wichser eingetroffen, hat die Chinmoku niedergemäht, dich angeschossen und Pim mitgenommen.«
Also doch nicht bloß ein schlechter Joint.
Scheiße.
»Das weiß ich alles«, sagte ich barsch. »Ich meine, was ist seither passiert? Wo warst du? Hast du Pim gefunden? Wie lange war ich weggetreten?« Ich blickte an meinem von Schmerzen geplagten Körper hinab, hob die Decke an und spähte darunter.
Heilige Scheiße.
Meine nackte Haut wies nicht mehr die gemischt westliche und östliche Bräune auf, die ich kannte, sondern eine Unzahl von blauen Flecken, Quetschungen und Traumata. Ich sah aus wie Pim bei unserer ersten Begegnung.
Meine Drachentätowierung lag unter Verbänden versteckt, die sich um meine Rippen, über meine Schulter und den linken Bizeps erstreckten. Der Ringfinger meiner rechten Hand ruhte in einer Schiene, mein linker Arm in einer Schlinge, und ein Stützverband mit Klettverschluss umhüllte mein Fußgelenk.
Ich war ein Gefangener medizinischen Versorgungsmaterials.
Selix räusperte sich.
Jäh heftete sich mein Blick auf ihn. Ich ließ das Laken flatternd auf mich fallen und tat so, als wäre mein Körper kein Trümmerhaufen.
»Erklär mir das«, verlangte ich vor Wut schäumend.
Wie zum Teufel sollte ich Pim in diesem Zustand folgen?
»Ich hab gehört, wie sie verschwunden sind. Hab bemerkt, dass du über Bord gegangen warst. Es ist mir gelungen, dich zu erreichen, bevor du ertrunken bist.« Er rieb sich den Nacken. »Es tut mir leid, Prest. Es tut mir leid, dass ich nicht früher da war und sie nicht daran hindern konnte, sie mitzunehmen.«
Was immer er getrieben hatte, während Pim und ich überfallen wurden, es war nicht seine Schuld. Dass ich unachtsam gewesen war, ging allein auf meine Kappe. Sosehr ich ihm die Schuld an ihrem Verschwinden geben wollte, er hatte mich aus dem Meer gezogen. Einen Menschen gerettet. Ein Jammer nur, dass es der falsche gewesen war.
Bevor ich ihm danken und ihn zugleich verfluchen konnte, kam Michaels mit einem Stethoskop um den Hals und einer schwarzen Tasche in der Hand durch die Tür herein. »Selix hat mir gesagt, dass Sie noch leben.«
»Ja, ich lebe. Aber Sie nicht mehr lang, wenn Sie mich nicht in Ordnung bringen.« Knurrend deutete ich auf meinen ramponierten Körper. »Nehmen Sie mir den Scheiß ab.«
Michaels stellte seine Tasche mit medizinischen Wundern auf die Matratze und stupste mein heiles Bein an. »Ich fürchte, das geht noch nicht.«
»Tja, das Zeug muss aber runter, denn wir müssen Chinmoku jagen und französische Drecksäcke abschlachten.«
Selix verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich bin dabei, die Männer aufzuspüren, die Pim entführt haben. Glaub mir, ich kümmere mich darum. Versprochen. Aber du musst dich erst mal ausruhen.«
»Falsch. Ich muss bloß raus aus diesem gottverdammten Bett.«
Es war nicht so, dass ich Selix nicht vertraute oder sein Versprechen nicht zu schätzen wusste. Wenn er sagte, dass er etwas unternahm, um sie zu finden, dann zweifelte ich nicht daran. Aber das bremste nicht meine rasend anschwellende Wut. Ich wollte nicht hier herumliegen, während er die Arbeit erledigte. Ich war nie gut darin gewesen, Hilfe anzunehmen. Und ich hatte mit Sicherheit nicht vor, damit anzufangen – schon gar nicht, wenn das Leben der Frau, die ich liebte, auf dem Spiel stand.
Ich hatte Pim im Stich gelassen. Ich musste derjenige sein, der es in Ordnung brachte.
Michaels holte ein paar Pillen heraus und griff sich das Glas Wasser von meinem Nachttisch. »Nehmen Sie die hier.«
»Ich nehme gar nichts, bis Sie mir ein paar Antworten geben.«
»Nehmen Sie die Tabletten, dann gebe ich Ihnen Antworten.«
Mein Schädel pochte, als ich mich auf die Schmerzmittel konzentrierte. Ich konnte nicht leugnen, dass meine Gedanken vor lauter Schmerzen zerstreut waren. Wenn ich nicht gegen diese Höllenqualen hätte ankämpfen müssen, hätte mein Hirn vielleicht besser funktioniert. Schneller. Präziser.
Wir würden Pim noch vor dem Ende des Tages finden, und ich würde zwei weitere Morde auf dem Kerbholz haben, sobald ich den Männern, die Pim entführt hatten, die Herzen herausgerissen hätte.
Also schnappte ich mir die Tabletten, warf sie mir in den Mund und schluckte sie trocken hinunter. Mit finsterer Miene sah ich Michaels an und zog die Augenbrauen in der Erwartung hoch, dass er seinen Teil der Abmachung einhalten würde.
Er nickte und sagte: »Sie waren eine Zeit lang im OP. Ich musste zusätzliche Hilfe aus einem Krankenhaus in der Nähe engagieren. Die Rechnung dafür wird übrigens heftig ausfallen. Nur damit Sie es im Voraus wissen.« Er lächelte. Aber als ich weiter finster dreinschaute, ging er zu einer Aufzählung meiner Beeinträchtigungen über. »Die Kugel hat Sie an der Schulter erwischt. Sie hat ein paar Bänder zerfetzt. Das bedeutet, Sie könnten dauerhafte Gelenkschäden davongetragen haben, aber ich habe mein Bestes getan. Die Nähte an Ihrem Haaransatz kommen in einer Woche raus. Trotz Ihres Dickschädels habe ich nur sieben Stiche gebraucht, Sie können sich also glücklich schätzen. Außerdem haben Sie überdehnte Sehnen im Ellenbogen, deshalb werden Sie während der Heilung ein erhebliches Schwächegefühl und Schmerzen haben. Eine Physiotherapie wird Ihr bester Freund werden, um volle Beweglichkeit zurückzuerlangen. Zwei angeknackste Rippen, möglicherweise Nierenquetschungen, ein gebrochener Ringfinger, und vergessen wir nicht das gebrochene Fußgelenk.«
Mit einem Blick zu Selix fragte er scherzhaft: »Hab ich was ausgelassen?«
Selix zuckte mit den Schultern. »Wer zum Geier weiß das schon? Klingt mehr nach einer Einkaufsliste als nach meinem Kumpel.«
Ich warf ihm einen Blick zu, mit dem ich sowohl seine Anspielung auf unsere Freundschaft als auch seinen trockenen Sarkasmus würdigte, der diesen frustrierenden Moment ein wenig erträglicher werden ließ.
Michaels schob die Hände in die Taschen. »Wissen Sie, in Anbetracht aller Umstände geht es Ihnen besser, als zu erwarten war, nachdem Sie von einer Übermacht angegriffen wurden und eine Nahbegegnung mit einer Schusswaffe hatten.«
Es ging mir besser, als zu erwarten war? Gott, war ich nutzlos.
Ein gottverdammter Krüppel.
Ich hatte es schon immer gehasst, ans Bett gefesselt zu sein und mich nicht rühren zu können. Mein Gehirn arbeitete mit einer höheren Frequenz – ich hatte keine andere Wahl als mitzuziehen. Im Bett zu liegen würde mich um den Verstand bringen. Nicht zu wissen, ob es Pim gut ging, würde mich in ein Monster verwandeln.
Wir mussten ihr hinterher. Bestimmt war Selix bereits in See gestochen, während ich wie ein hilfloser Fleischklumpen herumgelegen hatte und von Ärzten bearbeitet worden war. Er kannte mich. Er würde die Lage verstehen.
»Du hast gesagt, ich war stundenlang bewusstlos.« Ich sah Selix an. »Wo sind wir? Welchen Kurs hast du eingeschlagen?«
Ich spitzte die Ohren, lauschte angestrengt auf das beruhigende Brummen von Propellern. Mein Körper achtete auf das vertraute Meeresschaukeln, mit dem wir auf der Jagd nach unseren Feinden durch die Wellen pflügten.
Aber es gab keine Motorengeräusche, keine schaukelnden Bewegungen.
Wir lagen so stationär vor Anker wie ich in diesem gottverdammten Bett.
Meine Stimme senkte sich zu einem bedrohlichen Tonfall. »Jemand sollte mir besser erklären, wo wir sind und warum wir nicht fahren.«
Michaels warf Selix einen besorgten Blick zu. »Scheiße, ich hab nicht an Amnesie gedacht. Sie glauben doch nicht etwa …«
»Gottverdammt noch mal, Michaels.« Mein Temperament loderte heiß auf. »Ich leide nicht unter Gedächtnisverlust. Ich bin kein Arschloch, das bemuttert werden muss.«
Ich hievte mich höher aus den Kissen und zuckte zusammen, als mir Feuer und Messer in verschiedene Teile meines Körpers fuhren. »Ich erinnere mich an alles. Ich verstehe, was passiert ist. Ich hab die Aufzählung meiner Verletzungen gehört. Ich sehe die Verbände und die Nähte. Das ist mir alles klar, okay? Was ich nicht kapiere, ist, warum wir nicht in Bewegung sind. Warum sind wir nicht unterwegs, um Pim zu finden? Warum zum Teufel habt ihr es für klug gehalten, in England zu bleiben, obwohl Pim offensichtlich nicht mehr in England ist?«
Mein Gehirn verschwamm, als kränklicher Schweiß aus meinen Poren sickerte.
Die Schmerztabletten betäubten kaum, was ich ertragen musste.
Selix legte mir die Hand auf die brennende Schulter, drückte mich sanft zurück auf die Kissen. »Weil es keinen Sinn hat, ohne Ziel herumzukreuzen. Außerdem wissen wir nicht, ob sie noch in England ist. Sie könnten …«
»Frankreich, Selix. Sie sind aus Frankreich gekommen und hatten ein Schnellboot. Sie haben den Kanal überquert.« Ich kämpfte gegen seinen Druck an, schlug seine Berührung weg. »Selbst wenn uns die Logik kein Ziel geliefert hat, es hätte sehr wohl Sinn gehabt, in See zu stechen, weil vorwärts immer besser als Stillstand ist.«
Er schaute finster drein. »Wir finden sie. Es ist erst einen Tag her. Wir haben noch reichlich Zeit, um …«
»Warte, was?« Ich schoss in aufrechte Sitzposition, nahm die sengenden Qualen in meinen Knochen nicht wahr, ignorierte die Übelkeit erregenden Schmerzen im Schädel. »Einen Tag? Was soll das heißen, einen Tag?« Als ich betroffen zum Himmel aufschaute, blendete mich nicht die strahlende Sonne – stattdessen lachte mir der verdammte Mond ins Gesicht.
Der Mond, nach dem mich meine romantische Mutter benannt hatte, bevor ihr Glück in tiefe Verbitterung umgeschlagen war.
Es war dunkel gewesen, als Pim entführt wurde.
Auch jetzt war es dunkel.
Es ist erst ein paar Stunden her. Nicht gottverdammte 24 Stunden!
Bitte, lass es nur ein paar Stunden gewesen sein.
Michaels legte die Hand auf meine bandagierte Schulter und entlockte mir damit vor Unbehagen ein Zischen. »Es ist 27 Stunden her, Prest. Die Operation hat eine Weile gedauert, danach haben Sie viel länger geschlafen, als wir erwartet hatten. Zwischendurch dachte ich schon, Ihre Gehirnerschütterung hätte Sie ins Koma versetzt.«
Einen ganzen Tag verloren?
Es wurde einfach immer schlimmer.
Ich fletschte die Zähne und wünschte, ich könnte irgendjemanden in Stücke reißen. »Na fantastisch. Also haben wir einen ganzen Tag lang nichts unternommen, um Pim zu retten, und ich habe eine Gehirnerschütterung. Sonst noch was? Denn jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, es mir zu sagen, bevor ich verdammt noch mal durchdrehe.«
Michaels erklärte nüchtern: »Glauben Sie mir, die Gehirnerschütterung ist die geringste Ihrer Sorgen. Ihre Vitalwerte sind in Ordnung. Sie sprechen normal. Sie waren so lange weggetreten, weil Sie die letzten Wochen kaum geschlafen haben. Etwas in Ihnen hat die Ruhe gebraucht und sie sich genommen.« Er bedachte mich mit seinem Arztblick, der besagte: Diskutieren Sie bloß nicht mit mir, ich weiß es am besten. »Wir haben den Pier nicht verlassen, weil wir nicht wussten, ob ich qualifiziert genug bin, um Sie durchzubringen, oder ob wir Sie ins Krankenhaus schaffen müssten. Sie müssen schon entschuldigen, dass wir Ihr Leben an erste Stelle gesetzt haben, statt auszulaufen und übers Meer zu irren, auf der Suche nach etwas, wovon wir …«
»Pim ist nicht etwas, Michaels.« Blanke Wut ließ mich die Hände zu Fäusten ballen, bevor die Schiene an meinem gebrochenen Finger und die heftig geschundenen Knöchel mich vor Schmerz zwangen, mein Verhalten zu überdenken. »Sie ist alles. Wenn sie gestorben ist, während Sie Ihr Möglichstes getan haben, um mich am Leben zu erhalten … tja …« Meine Stimme senkte sich zu einem Flüstern. »Dann springen Sie besser von Bord, bevor ich Sie in die Finger kriege.«
Unbeeindruckt von meiner Drohung nickte er knapp. »Sie waren noch nie gut darin, auf Anweisungen zu hören. Aber glauben Sie mir ruhig, wenn ich Ihnen sage, dass Sie besser auf sich achten müssen.«
Am liebsten hätte ich ihn ausgeweidet. »Ich muss besser auf Pimlico achten.«
Selix schaltete sich ein, schob sich physisch und verbal zwischen unsere rasch eskalierende Diskussion. »Und das wirst du. Ist ja nicht so, als würden sie damit davonkommen. Jetzt bist du wach. Wir machen uns auf die Jagd.«
»Es geht nicht darum, ob sie damit davonkommen, Selix. Es geht darum, wie lange sie Pim schon haben. Was, wenn sie angefasst worden ist? Vergewaltigt? Verletzt? Was, wenn all die Fortschritte, die wir erzielt haben, zunichtegemacht sind, weil ich nicht für ihre Sicherheit sorgen konnte?«
Ein tieferer, vielschichtiger Schmerz nistete sich in meinem Herzen ein.
Ich hatte sie im Stich gelassen.
Sie würde mir nie wieder vertrauen. Sie würde mich nie wieder lieben. Und warum zum Teufel sollte sie auch? Ich hatte sie enttäuscht und verdiente keine weitere Chance.
Scheiß drauf.
Geduldig sein? Im Bett liegen und mich von einem Arzt belehren lassen? Damit war ich fertig.
Soldaten im Krieg ruhten sich nicht aus.
Und ich hatte es auch nicht vor.
Ich warf die Laken ab und scherte mich nicht darum, dass ich darunter splitternackt war. Als ich das im Stützverband steckende Fußgelenk über die Bettkante schwang, zischte ich zwischen den Zähnen hindurch, dann hievte ich den von grünen und blauen Flecken überzogenen Körper hinterher. Um mich herum drehte sich alles. Ich schluckte den metallischen Geschmack von altem Blut und Betäubungsmitteln hinunter. »Selix, gib Jolfer Bescheid, dass er losfahren soll. Sofort.«
Michaels kam näher, packte mich am Bizeps, stützte mich und versuchte gleichzeitig, mich zurück ins Bett zu drücken. »Seien Sie kein solcher Idiot, Prest. Sie brauchen Ruhe. Ihr Körper muss dringend heilen …«
»Und ich muss dringend jemanden umbringen. Entweder diesen französischen Drecksack oder Sie.«
Als er die Hände nicht von mir nahm, stieß ich ihn weg und blieb stehen. Ich ignorierte den Ansturm schwarzer Punkte vor meinen Augen, schluckte die Übelkeit und die Schmerzen hinunter. Ich versteifte die Knie gegen mein gestörtes Gleichgewichtsempfinden, begrüßte die Qualen und mischte sie mit Wut zu einem Cocktail, vor dem sogar ich mich fürchtete.
Dicht mit der Nase vor der von Michaels raunte ich knurrend: »Entscheiden Sie sich. Die oder Sie. Denn wenn Sie mir in die Quere kommen, trifft es Sie.«
Michaels hob die Hände und wich zurück. Frustration stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Na schön. Wenn Sie meine harte Arbeit unbedingt zunichtemachen und Ihren Körper ruinieren wollen, nur zu.« Er warf einen Blick zu Selix, schnappte sich seine Tasche und stürmte zur Tür. »Wenn er wieder bei klarem Verstand ist oder ins Koma gefallen ist, dann geben Sie mir Bescheid.«
Damit stapfte er zur Tür und knallte sie hinter sich zu.
Gut, dass wir den los sind.
Selix stand da und beobachtete mich, während ich meinen nächsten Schritt plante.
Pim war von französischen Männern entführt worden. Der Akzent hatte nicht nach kanadischem Französisch geklungen. Auch nicht imitiert oder wie eine Zweitsprache. Sondern rein, angeboren.
Diese Leute waren Froschfresser gewesen, geboren und aufgewachsen im Land der Froschschenkel.
Eingeborene eines Landes, das nur eine kurze Seereise von England entfernt lag.
Obwohl mich nicht weiter störte, dass ich nackt war, humpelte ich zu meiner Garderobe und warnte Selix mit einem Blick davor, etwas zu sagen. Jeder Schritt brachte mein Fußgelenk, meinen Ellbogen, meine Schulter, meinen Schädel und meine Rippen – eigentlich alles – förmlich um, trotzdem blieb ich nicht stehen. Ich würde nicht nachgeben, mich nicht entspannen und keinerlei Freundlichkeit mir gegenüber zulassen.
Nicht bevor Pim gefunden und wieder in Sicherheit wäre.
Nicht bevor zur Verteidigung ihrer Ehre Blut geflossen wäre.
So wahr mir Gott helfen würde.
KAPITEL 2
Pimlico
Alles fühlte sich falsch an.
Der saure Belag auf meiner Zunge. Die Dehydrierungskopfschmerzen hinter den Augen. Die völlige Stille eines Hauses statt einer Jacht. Bis hin zu dem Grauen, wieder eingesperrt zu sein.
Kaum war ich vor einigen Stunden aufgewacht, hatten alte Gewohnheiten eingesetzt.
Meine Finger sehnten sich nach einem Stift, um an Niemand zu schreiben. Meine Stimme wechselte von ihrer neu entdeckten Gabe zu stummer Selbsterhaltung. Meine Haut kribbelte unter dem Ballkleid vor Angst, Alrik könnte jeden Moment hereinspazieren und es mir ausziehen. Vor Angst, ich könnte erneut dazu gezwungen werden, das Leben nackt, still und verängstigt zu fristen.
Zugutehalten konnte man dem Raum nur, dass er nichts mit dem nüchternen weißen Herrenhaus gemein hatte, in dem ich früher eingesperrt gewesen war.
Die Atmosphäre hier wirkte elegant und einladend. Das Bett war weich und übersät mit Kissen, im Badezimmer gab es herrlich duftende Shampoos und Haarspülungen. Es war kein Gefängnis … und erinnerte eher an eine Hotelsuite, die vor unterschwelligem Reichtum strotzte und ein weibliches Flair vermittelte.
Aber welche Illusionen die weichen silbernen Teppiche und die enteneierblauen Sofas auch zu erschaffen versuchten, meine Panik linderten sie nicht. Die Mauern hielten mich gegen meinen Willen fest. Die Fenster hinderten mich daran zu fliehen. Dieser Ort war nicht mein Freund, also behandelte ich ihn auch nicht als solchen.
Obwohl mir in der Vergangenheit eingebläut worden war, dass ich knien, mich unterwerfen und um Gnade betteln musste, hatte ich jeden Quadratzentimeter untersucht und auseinandergenommen. Ich war zu den deckenhohen Fenstern marschiert, hatte daran gerüttelt und nach einer Schwachstelle gesucht, an der ich sie zerbrechen und aus meinem dreigeschossigen Käfig springen konnte.
Als das fehlschlug, rannte ich zur Tür und riss an der Klinke. Ich benutzte sogar Haarnadeln aus meiner aufgegangenen Hocksteckfrisur und bemühte mich, das Schloss zu knacken.
Was mir nicht gelang.
Aber es spielte keine Rolle.
Ich klammerte mich weiter an Hoffnung, ignorierte die wachsende Verzweiflung und warf die Teppiche auf der Suche nach Falltüren zurück.
Die Schubladen durchforstete ich nach Waffen.
Auch das Bett hatte ich auf der Suche nach irgendetwas, das mich retten könnte, praktisch demoliert.
Gefunden hatte ich nichts.
Die Suite blieb sanft und romantisch – sie schien sich beinahe dafür zu entschuldigen, dass sie mich in ihrer kultivierten Umgebung gefangen hielt.
Stress bestürmte mein Herz und erinnerte mich an eine andere Zeit, in der ich wie ein gefangener Vogel in einem winzigen Käfig geflattert hatte.
Ein Déjà-vu davon, wie ich im Hotel des Vierteljährlichen Markts der Schönheiten, kurz VMS, darauf gewartet hatte, verkauft zu werden, ließ meinen Mund trocken werden und versetzte mich in Panik. Ich hatte damals jeden Winkel jenes Zimmers abgesucht. Gefunden hatte ich nur einen angeknabberten Bleistift.
Aus jenem Glücksfund war Niemand geboren worden. Mein Geist hatte einen Weg gefunden, sich zu retten, obwohl er meinen Körper nicht retten konnte. Aber hier gab es Papier und Stifte, Make-up und Bücher und alles, was ein normales, gemütliches Schlafzimmer ausmachte.
Nichts ließ erahnen, was die Zukunft für mich bereithielt. Ich wusste nur, dass ich in einer fremden Dimension aufgewacht war, in der man Elder angeschossen und mich entführt hatte.
Warum?
Warum war ich hier?
Wo war hier?
Was konnte ich tun, um von hier zu verschwinden?
Eines stand fest: Ich würde mich nicht wie früher hinsetzen und an Niemand schreiben.
Diesmal würde ich mit Zähnen und Klauen kämpfen, um mich zu befreien. Ich weigerte mich strikt, erneut verkauft zu werden oder mich einem kranken Besitzverhältnis zu unterwerfen.
Ich war kein Besitz oder kaputtes Spielzeug mehr. Der Franzose, der mich entführt hatte – und in seiner Fantasiewelt glaubte, er wäre mein Retter –, würde noch den Tag verfluchen, an dem er meine glückliche neue Welt in Stücke gerissen hatte.
Er wird dafür bezahlen.
Gott, was werde ich ihn dafür bezahlen lassen.
Irgendwo tief in mir loderte ein heißes Feuer. Meine früheren Ängste – die sich bemühten, mich in die Dunkelheit zu zerren, aus der ich so mühsam hervorgekrochen war – verformten sich zu etwas Drastischem und Wildem.
Die Konsequenzen spielten keine Rolle mehr.
Die Furcht davor, sich durch Gegenwehr Vergeltung einzuhandeln, zählte nicht länger.
Wenn ich dabei sterben würde, mich gegen diese neue Realität aufzulehnen, dann sollte es eben so sein.
Ich fürchtete mich nicht mehr.
Vor dem Tod.
Vor Schmerzen.
Vor Monstern.
Ich fürchtete höchstens noch, dass Elder gestorben sein könnte, ohne von meinem Schicksal zu erfahren.
Tut mir leid, wenn ich beim Versuch zu entkommen sterbe, Elder. Aber falls du auch tot bist … Dann sehen wir uns wohl bald wieder.
Die zornige Hitze in meinem Bauch kroch mir die Wirbelsäule hinauf und drohte mit Tränen der Wut.
Aber ich vergoss sie nicht.
Ich durfte mir nicht den Kopf darüber zerbrechen, ob Elder lebte oder tot war … noch nicht.
Mit um mich geschlungenen Armen blieb ich zögerlich vor den großen Fenstern stehen. Finster betrachtete ich die Aussicht und verabscheute den malerischen, liebevoll gepflegten Garten mit Hecken und Obstbäumen. Vögel flatterten umher, ohne zu ahnen, dass an diesem Ort eine Bestie hauste, die eine wahre Liebe auseinandergerissen hatte.
Die Knitter in meinem Ballkleid, als ich mich umarmte, brachen mir das Herz.
Man hatte mir den seidigen Satin mit seinen karmesinroten und marineblauen, kämpferischen Schattierungen nicht ausgezogen, während ich bewusstlos gewesen war. Das zerrissene Mieder wurde nach wie vor von Elders hastig angebrachtem Halstuch zusammengehalten.
Unter dem schweren Prunk fühlte sich meine Haut klebrig von altem Schweiß und Sex an, und meine nackten Füße waren kalt. Ich konnte nicht leugnen, dass ich beim Durchsuchen des Badezimmers sehnsüchtig die Dusche beäugt hatte.
Aber was hätte es für einen Sinn gehabt, mich zu waschen, wenn ich danach nichts zum Anziehen hatte? Auf keinen Fall würde ich die schlichte Kleidung tragen, die in mehreren Größen im Schrank hing. Ich würde von diesem Entführer keinerlei Geschenke annehmen.
Alrik hatte mir Kleidung verweigert. Dieses neue Arschloch hingegen bot mir Kleider an, als wäre ich eine Art Barbiepuppe.
Dazu wird es nicht kommen.
Ich würde schmutzig bleiben. Und ich hoffte inständig, ich würde zum Himmel stinken, falls ihm je der Gedanke käme, mich zu berühren. Ich würde mein von wildem Sex verfilztes Haar, mein verschmiertes Make-up und die Reste von Elders Entladung auf den Innenseiten meiner Schenkel in Ehren halten, denn diesem neuen Mistkerl gehörte ich nicht.
Ich gehörte mir selbst.
Ich gehörte Elder.
Aber sein Name ist nicht Elder …
Der Gedanke kam aus dem Nichts, entsprungen aus dem Chaos der Ereignisse jener Nacht. Meine Fingernägel bohrten sich in mein Mieder.
Miki.
Die Chinmoku hatten ihn Miki genannt.
Elder hatte freimütig zugegeben, einen anderen Namen zu haben, genau wie ich. Tatsächlich waren unsere Gemeinsamkeiten verblüffend, wenn man einen Schritt zurücktrat und sie aus der Ferne verglich: Wir hatten beide unsere Väter verloren. Wir hatten Mütter, die alles andere als perfekt waren. Wir führten weit weniger gewöhnliche Leben als andere Menschen.
Und die erschreckendste Ähnlichkeit von allen? Eine lachhafte, bizarre Laune des Schicksals.
Ich wurde nach der Armbanduhr meines Vaters Minnie Maus genannt, und Elder … heißt Miki.
Ungläubig schüttelte ich den Kopf.
Micky und Minnie.
Konnte es einen noch haarsträubenderen Hinweis darauf geben, dass uns das Schicksal als treibende Kraft zusammengeführt hatte? Dass unsere Begegnung nicht bloß ein günstiger oder spontaner Zufall gewesen war? Das Leben hatte uns zu einem bestimmten Zweck zusammengebracht. Aus einem Grund.
Ich hatte ihm jahrelang als Niemand geschrieben. Aber schon bevor er Niemand wurde, hatten wir durch unsere Namen ein Paar gebildet, waren für immer als beliebte Disney-Figuren miteinander verbunden.
Und trotz allem, was man ohne Weiteres für Vorsehung halten könnte, sind wir auseinandergerissen worden!
Ich lachte laut auf und schaute zur Decke. Irritiert, frustriert, wütend, traurig, verwirrt.
Ein breites Spektrum von Emotionen erfüllte mich, aber eine Emotion fehlte endlich.
Angst.
Jede Spur davon war verschwunden.
Im Augenblick war ich vor allem wütend.
So, so wütend.
Mir taten alle leid, die kommen würden, um mich zu berühren, denn sie würden den Raum ohne Finger verlassen.
Beim Klicken eines Schlosses wirbelte mein Kopf herum. Die Tür öffnete sich, und eine Frau in einer niedlichen, schwarz-weißen Dienstmädchenuniform erschien. Suchend schaute sie zum verwüsteten Bett. Als sie mich in den zerrissenen Decken nicht fand, wanderte ihr Blick rasch über die verschobenen Möbel und zurückgeschlagenen Teppiche dorthin, wo ich stand und in meinem zerknitterten Kleid genauso mitgenommen wie das Zimmer aussah.
Sie schluckte und setzte ein verhaltenes Lächeln auf. Gleichzeitig sprachen Fragen aus ihrem hübschen Gesicht. Runde Nase, breite Augen, braunes Haar, ordentliche Frisur. Sie trug ein kleines Tablett mit einem Teller, beladen mit einem dicken Sandwich und Chips. »Ah, Sie sind wach.«
Ich konnte zwischen zwei Szenarien wählen.
Möglichkeit eins: Ich rührte mich nicht von der Stelle und überließ ihr das Kommando. Ich konnte mich lammfromm geben, sie einlullen und zu dem Glauben verleiten, ich würde mich nicht wehren. Ich konnte die Pimlico sein, die Alrik erschaffen hatte.
Oder ich konnte mich für Möglichkeit zwei entscheiden.
Und die gefällt mir viel besser.
Ich konnte sofort angreifen, konnte ihr zeigen, dass sie die falsche Frau entführt hatten. Dass ich dieses Leben schon geführt hatte und mich weigerte, es noch einmal zu führen. In diesem Fall war mir egal, dass eine Frau beteiligt war. Ebenso wenig kümmerte mich, dass ihr Lächeln freundlich und ermutigend wirkte. Oder dass dieses Haus eine einladende Atmosphäre besaß, nicht die einer Folterkammer.
All das war mir egal.
Für mich ging es nur um Elder und darum, zu ihm zurückzukehren. Ihn hoffentlich lebend zu finden und dem Schicksal zu gestatten, uns das zu geben, was es so offensichtlich wollte.
Ich war fertig mit diesem Unfug.
Ich bin damit fertig, andere mein Leben diktieren zu lassen.
Ich krallte die Fäuste in meine Röcke, hob sie an und stürmte auf die Frau zu. Meine nackten Füße trugen mich schnell und leise. Ihr Lächeln schlug in einen besorgten Ausdruck um.
Sie trat einen Schritt zurück. Das Geschirr klirrte auf dem Tablett.
Als ich sie neben der offenen Tür an die Wand gedrängt hatte, verlangte ich knurrend: »Lass mich gehen. Sofort.«
Sie hielt das Tablett als Barriere zwischen uns, warf einen kurzen Blick auf mich, auf den Ausgang und dann auf die Anrichte neben sich. »Kann ich das abstellen, bevor wir uns Ihren Forderungen widmen?«
Ihre stoische, unaufgeregte Reaktion verunsicherte mich ein wenig.
Da ich nicht daran gewöhnt war, aggressiv aufzutreten, fiel es mir schwer, barsch und unhöflich zu bleiben, statt aus ihrem persönlichen Freiraum zurückzuweichen und mich zu entschuldigen.
Ich zitterte vor Zerrissenheit zwischen Richtig und Falsch. Dabei hoffte ich inständig, die Frau würde mir nicht anmerken, wie sehr ich kämpfen musste, um ihr die Stirn zu bieten. »Ist mir egal. Geh einfach weg von der Tür, dann tue ich dir nichts.«
Sie nickte, als wäre sie an Gewaltausbrüche von Gefangenen in Ballkleidern gewöhnt. Behutsam stellte sie das unerwünschte Essen ab und streckte beschwichtigend die Handflächen vor. »Alles in Ordnung. Niemand wird …«
»Aufhören!«, herrschte ich sie an. Ihre sanfte, süße Stimme schlängelte sich durch meine Wut und bezirzte mich, an Freundlichkeit statt an Grausamkeit zu glauben. Die Frau war eine Kerkermeisterin der übelsten Sorte, denn sie vermittelte mir das Gefühl, ich wäre die Böse, weil ich meine Freilassung forderte.
Ich durfte ihr nicht gestatten, mich einer Gehirnwäsche zu unterziehen oder mir meine Wut zu stehlen, die ich so mühsam aufgebaut hatte.
Alles, was ich fortan tun würde, erfüllte den Zweck, zu Elder zurückzukehren. Jemanden zu haben, gegen den ich kämpfen konnte, verlieh mir einen weiteren Schub an Mut und Wut. Und ich tat etwas, wozu ich mich nie für fähig gehalten hätte.
Ich legte die Hand um ihre Kehle, packte sie so, wie Alrik mich oft gepackt hatte, und ich drückte zu. Meine angespannten Finger brachten die Sehnen in meinem Handgelenk zum Schmerzen. In mir brüllte teils Reue, weil ich Hand an die Frau legte, teils Verärgerung, weil ich nicht genug Kraft besaß, um sie zu töten.
Ich schluckte meine Gewissensbisse und die Übelkeit hinunter und zischte: »Behalt deine Lügen für dich. Und dein Essen kannst du auch behalten. Niemand wird mich anfassen. Nicht du. Nicht der Mann, der mich entführt hat. Niemand.« Ich achtete nicht auf die vor Anstrengung zuckenden Muskeln meines Unterarms und zwang mich, rücksichtslos zu sein, obwohl ich eigentlich loslassen und zur anderen Seite des Zimmers flüchten wollte. Meine vergangene Konditionierung und Sklaverei waren so schwer zu überwinden.
Aber es gelang mir.
Wegen Elder.
Zitternd und etwas atemlos ließ ich die Frau wissen: »Ich werde jetzt hier rausspazieren. Hörst du?«
Ihre Kehle arbeitete unter meinen Fingern. »Ich verstehe.«
»Gut.«
Die nächste Stufe meines Plans kannte ich noch nicht. So weit hatte ich nicht vorausgedacht.
Hätte ich echt tun sollen.
Wenigstens stand die Tür offen, und die erste Phase meiner Flucht war im Gange.
»Du begleitest mich.« Mit einem Ruck zerrte ich sie von der Wand, wirbelte sie herum und packte den ordentlichen Dutt an ihrer Schädelbasis.
In dieser Position konnte ich sie nicht mehr würgen. Dafür riss ich an ihrem Haar, um ihr zu verdeutlichen, dass ich einen anderen Weg finden würde, sie zu verletzen. »Zeig mir den Weg nach draußen.«
Scham breitete sich in mir aus. Ich verabscheute mich so sehr dafür, in Alriks Schuhe geschlüpft zu sein, dass ich fast losgelassen hätte.
Fast.
Ich würde mich rehabilitieren, sobald ich frei wäre. Ich würde Buße dafür tun, dass ich jemanden verletzt hatte. Aber nicht jetzt.
»Wissen Sie … Das müssen Sie nicht tun.« Angeschoben von mir setzte sich die junge Frau in Bewegung. »Es ist nicht so, wie Sie denken. Wir haben nicht vor, Sie zu verletzen …«
Ich versetzte ihr einen weiteren Ruck, mit dem ich ihr ein gequältes Quietschen entlockte. »Ich höre dir nicht zu. Deine Lügen interessieren mich nicht. Du zeigst mir den Weg hier raus, und damit hat es sich.« Ich schob sie schneller vorwärts.
»Sie werden nicht gegen Ihren Willen festgehalten. Sie können einfach …«
Wieder riss ich an ihrem Haar, brachte sie damit zum Schweigen.
Ich hatte nicht vor, sie irgendeinen Satz beenden zu lassen. Denn jedes Mal wenn sie sprach, drehte sich mir der Magen um und meine Finger flehten mich an, sich aus ihrem Dutt lösen zu dürfen.
»Von wegen.« Ich stieß sie in den Korridor und nahm flüchtig Notiz von der Umgebung und weiteren, genauso schön eingerichteten Zimmern. »Die Tür war abgeschlossen. Wenn ich nicht gegen meinen Willen festgehalten werde, warum konnte ich dann nicht nach Lust und Laune gehen?«
Warum stellst du ihr Fragen?
Halt lieber die Klappe und konzentrier dich.
»Das machen wir anfangs so. Wir wissen nie, wie mental gebrochen unsere Gäste sind. Es dient unserer und ihrer Sicherheit.«
Wenn sie so besorgt um ihre Sicherheit war, warum lieferte sie dann persönlich und allein Essen? Warum ließ sie sich nicht von einem Wachmann beschützen, der mich davon abgehalten hätte zu tun, was ich gerade tat?
Ich verdrängte die wenig hilfreichen Fragen und trieb die Frau schneller an. »Gäste?« Ich lachte frostig und ließ den Blick über die entfernte Treppe wandern. »Komisches Wort für Gefangene, findest du nicht?«
»Sie sind nicht unsere Gefangene. Sie waren eine Gefangene. Jetzt sind Sie das nicht mehr.«
»Falsch. Ich war verliebt, und irgendein Arschloch hat nicht auf mich gehört.«
Ihre Überzeugung geriet ins Wanken. »Wie bitte?«
»Du hast mich schon verstanden.« Als ich sie weiterstieß, löste ich die Aufmerksamkeit nicht von der mit mitternachtsblauem Teppich ausgelegten Treppe. Ich wollte weg. Das Verlangen danach löste ein Kribbeln auf meiner Haut aus. Mein Herz lechzte nach Freiheit. Die Frau verkörperte meinen Schild und meine Waffe in einem.
»Ich glaube, hier liegt irgendein Irrtum vor«, murmelte meine Gefangene. »Wie heißen Sie?«
Wir erreichten den Treppenabsatz, und ich schob sie die ersten Stufen hinunter. »Mein Name ist unwichtig.«
»Meiner ist Suzette.«
Ich wollte sie nicht als Frau mit einem Namen betrachten. Ich wollte überhaupt nichts über sie wissen, außer dass sie mich davon abhielt, Elder zu finden.
Was, wenn er nach dem Sturz über Bord ertrunken war? Was, wenn die Mannschaft der Phantom von den Chinmoku ermordet worden war? Was, wenn alles, was ich kannte, weg war, weil irgendein Arschloch beschlossen hatte, mich für sich zu beanspruchen?
Das Armband mit den Diamanten-Pennys, das Elder mir geschenkt hatte, klimperte an meinem Handgelenk und zerriss mein Herz vor Sorge.
Ich weigerte mich, ihn mir tot vorzustellen. Stattdessen hielt ich ihn mir lebendig und glücklich vor Augen. Doch als mein Kleid hinter mir raschelte, während ich die Stufen zu einem mir unbekannten Foyer hinunterstieg, hatte ich Mühe, erstickenden Kummer hinunterzuschlucken.
»Haben Sie gehört? Mein Name ist Suzette, und ich bin …«
»Schön für dich. Ist mir egal, wie du heißt.« Ich legte Gift und Galle in meinen Ton. »Falls du mich dazu bringen willst, dich als Person und nicht bloß als Werkzeug zu sehen, um hier rauszukommen, das wird nicht funktionieren.«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf und zwang meine Hand, sich mit ihr zu bewegen. »Ich versuche nur, das zu verstehen.«
»Tja, dann mach es leise.«
Gott, wie lang ist diese Treppe?
Die Stufen verliefen imposant und romantisch spiralförmig nach unten. Eigentlich die perfekte Kulisse für eine epische Liebesszene.
Mein Verstand verhöhnte mich mit Bildern von Elder, bevor er blutig und angeschossen war. In seinem Smoking hatte er so schneidig und attraktiv ausgesehen. Ich wollte für immer an diesem Bild festhalten und das grässliche Platschen auslöschen, als er mit einer Kugel im Körper über Bord ging.
Meine Wut steigerte sich in Übelkeit erregende Raserei. Ich verdrehte die Haare meines Opfers.
Das ist deine Schuld.
»Aua.« Sie wand sich und beschleunigte die Schritte. Ihre Hand legte sich abwehrend auf meine. »Ich helfe Ihnen. Sie müssen mir nicht wehtun.«.
»Gib du mir meine Freiheit, dann gebe ich dir deine. Ich werde mich sogar bei dir entschuldigen.«
Meinetwegen jahrelang jede Nacht.
Ohne die Hand von meiner zu entfernen, stieß sie atemlos hervor: »Sie werden mir mehr als das schulden, wenn wir unten ankommen.«
Mein Herz erstarrte. »Wieso? Was ist unten?«
»Mein Ehemann.«
Dieses Wort.
Gott, dieses Wort.
Elder … Miki … wie er auch heißen mochte – ich hatte ihm in jeder Hinsicht mein Herz geschenkt. Wenn ich ihn nicht haben konnte, dann sollte diese Frau ihren Ehemann auch nicht haben. »Ist mir egal.«
»Es wird Ihnen nicht mehr egal sein, wenn er Sie erschießt.«
»Wenn er auf den Mann geschossen hat, den ich liebe, dann viel Glück für ihn. Ich werde ihn für den Rest seiner Tage dafür heimsuchen, dass er jede Hoffnung auf Glück ausgelöscht hat, die ich je hatte.«
Die Frau ließ die Schultern hängen, als spürte sie den bestialischen Schmerz, den ich nicht verbergen konnte. »Ich verstehe nicht …«
»Es gibt nichts zu verstehen.« Ich wünschte, ich hätte sie geknebelt. Unterhaltungen konnten einen Feind auf verstörende Weise in einen Freund verwandeln. »Ich will nicht mehr reden.«
Als ich das Foyer erreichte, zischte ich ihr ins Ohr. »Schrei, und ich tue dir noch viel schlimmer weh. Ich will nur weg von hier.«
Es war keine leere Drohung meinerseits – ich würde sie wirklich verletzen. Wie, das wusste ich noch nicht. Aber eigentlich konnte sie meinen Bluff mühelos auffliegen lassen, denn welches Druckmittel hatte ich schon, um sie aufzuhalten?
»Wissen Sie, er war gestern Nacht dabei. Er heißt Franco. Mein Ehemann. Er sagt, es hat ein Kampf stattgefunden.«
Also war ihr Ehemann ein Handlanger des Mannes, der mich gepackt hatte. Der Mann, der danebengestanden hatte, als ich in den Armen meines Entführers das Bewusstsein verlor. Ihr Ehemann hatte Elder zuerst geholfen, indem er die Chinmoku erschossen hatte, dann hatte er ihn vernichtet, indem er mich von seinem Komplizen betäuben und entführen ließ.
Meine Gedanken verfinsterten sich. Und nach all dem Schmerz, den ich ertragen musste, bereute ich nicht mehr, dass ich ihr wehtat.
Meine Gefangene missachtete meine Aufforderung zu schweigen. Mit sanfter, aber kühler Stimme fuhr sie fort. »Franco hat mir erzählt, Q habe Ihnen alles erklärt. Er hat mir erzählt, Sie wurden angegriffen und die beiden hätten Sie gerettet. Warum tun Sie das, wenn Sie wissen, wer Q ist und warum er Sie mitgenommen hat?«
»Hör auf.« Wieder schüttelte ich sie und erfreute mich daran, wie sie gequält nach Luft schnappte.
»Aber ich muss es verstehen. Das ergibt keinen Sinn. Sie sollten dankbar sein, dass …«
Ein ersticktes Lachen drang über meine Lippen. »Dankbar? Ich soll dankbar dafür sein, dass sie den Mann, den ich liebe, angeschossen und mich mitgenommen haben, obwohl sowohl Elder als auch ich sie angefleht haben zuzuhören? Sie haben völlig falschgelegen. Ich musste nicht gerettet werden. Dafür sind sie zu spät gekommen. Elder hatte mich bereits vor Monaten gerettet. Mich gefunden. Mich in Ordnung gebracht. Mich geliebt. Und dann hat dein Arschloch von einem Ehemann danebengestanden, als sein Freund auf ihn geschossen hat.«
»Aber was ist mit den Männern, die Sie als Geisel genommen hatten, wie Franco mir erzählt hat?«
Ich wollte nicht zugeben, dass Q und Franco zum perfekten Zeitpunkt eingetroffen waren. In gewisser Weise hatten sie Elder vor einem Tod gerettet und ihn in einen anderen gestürzt. Hätten sie nicht auf ihn geschossen, wäre ich auf die Knie gesunken und hätte ihnen tausendfach dafür gedankt, dass sie gekommen waren und die Chinmoku niedergeschossen hatten.
Als ich nichts erwiderte, erschlaffte Suzettes Haltung. »Es tut mir leid.«
»Was?« Ihre Entschuldigung sprühte Eiswasser auf die knisternden Flammen, die mein Herz umgaben.
Ihre Finger drückten meine, die ich immer noch in ihr Haar gekrallt hatte. »Ehrlich. Ich weiß, Sie haben keinen Grund, mir zu glauben. Aber ihm ist vorher noch nie ein Fehler unterlaufen. Der Fairness halber …Was Sie da sagen, ist bisher nie vorgekommen, also … Woher hätte er es wissen sollen?«
Ich wollte wütend bleiben, aber ich konnte nicht die Wahrheit ignorieren, die in ihrem Ton mitschwang.
Also löste ich die Finger aus ihrem Dutt und ließ die Hand sinken. Das Blut strömte mir in die Fingerspitzen, als wollte es das Gefühl vertreiben, dass ich die Frau gegen ihren Willen festgehalten hatte.
Sie drehte sich langsam zu mir um, als könnte ich wegspringen oder sie angreifen. »Ich denke, Sie sollten mit Tess reden.«
»Tess?« Ich spähte an ihr vorbei zum Wohnzimmer. Identische Doppeltüren führten in zwei verschiedene Räume. Auf einer Seite des Foyers befand sich eine Bibliothek – dunkel und erhaben, voll Leder und Pergament. Das andere Zimmer erwies sich als einladender, gemütlicher Salon. Das Kauspielzeug eines Hundes lag auf einem hübschen violetten Teppich. Über der Rückenlehne der weißen Ledercouch hing eine abgelegte Strickjacke. Der Duft von etwas Süßem wie Muffins oder Kuchen wehte aus der entfernten Küche.
Was ist das für ein Ort?
Es sah so aus, als lebte hier eine Familie, nicht irgendein Vergewaltiger oder Psychopath.
Aber wie konnte das sein?
Die Eingangstür öffnete sich. Ein frostiger Luftzug wehte herein.
Sofort packte ich meine Geisel wieder, zog sie als Schutzschild vor mich und hakte einen Arm um ihre Brust. »Du!«, zischte ich, als der massigere der beiden Männer aus der schlimmsten Nacht meines Lebens erschien.
Suzettes sogenannter Ehemann.