Tears of Tess - Buch 4 - Pepper Winters - E-Book

Tears of Tess - Buch 4 E-Book

Pepper Winters

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Beschreibung

Die heiß erwartete Fortsetzung der TEARS OF TESS-Serie. Es gab warnende Hinweise: Schon am Abend, als Q mit Tess in einem Restaurant aß, fühlte er sich beobachtet. Später dringen Gangster in ihr Hotelzimmer ein und verschleppen Q ... »Ich schlang die Arme um seinen Hals und zog seinen Mund auf meinen. Die Rolle der ungebrochenen Sklavin, die Quincy Mercer nicht fortschicken konnte, schenkte mir Trost. Ich gab ihm alles. Aber es reichte nicht.« Verrucht, heiß, ergreifend. Jedes Buch von Pepper Winters ist eine gewaltige Reise voller Schmerz und Leidenschaft.

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Seitenzahl: 417

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Aus dem Amerikanischen von Doris Attwood

Impressum

Die amerikanische Originalausgabe

Twisted Together (Monsters in the Dark – Volume 3)

erschien 2014 im Verlag Pepper Winters.

Für die vorliegende Ausgabe wurde der Text in zwei Bände aufgeteilt. Dies ist Band Zwei.

Copyright © 2014 by Pepper Winters

Copyright © dieser Ausgabe 2019 by Festa Verlag, Leipzig

Lektorat: Katrin Hoppe

Titelbild: www.istockphoto.com – Julialvanova

Titelgestaltung: Ari – www.coveritdesigns.net

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-86552-754-7

www.Festa-Verlag.de

Für alle, die an »Glücklich bis an

ihr Lebensende« glauben.

Kapitel 1

TESS

Verwoben, verworren, auf ewig verknüpft,

unsere Seelen ineinander verschlungen,

unsere Dämonen, unsere Monster zusammen gerungen.

Verneige dich vor mir, ich verneige mich vor dir –

endlich frei sind wir

Es konnte nicht wahr sein.

Das kann es nicht.

Ich konnte es nicht glauben.

Das tue ich nicht!

In dem Moment, als die Tür mit einem Klicken ins Schloss fiel und mir den Blick auf Q versperrte, fühlte ich mich, als würde ich mich auflösen. Als wäre ich zerbrochen. Als würde mir der andere Teil meiner Seele fehlen.

Ich kam nicht damit klar, dass mir etwas so Fundamentales entrissen wurde, konnte nicht mehr denken. Ich war wie erstarrt, hörte in meinem Kopf immer wieder den Schuss, den Kampf, den niemals endenden Satz des Schreckens: Dein verfluchtes Leben, natürlich.

Sie wollten ihn töten. Er war gegangen, damit ich es nicht mit ansehen musste. Er war gegangen, um mich zu beschützen. Immer beschützte er mich – ohne Rücksicht auf seine eigene Sicherheit.

Wut.

Ich hatte noch nie zuvor eine so intensive Mischung aus Wut und vollkommener Hilflosigkeit gespürt.

Ich sollte ihnen nachjagen! Los!

Ich raufte mir die Haare, riss sie mir beinahe aus. Mein Herz hämmerte, pumpte reine Qual durch meine Brust. Mein Instinkt schrie mich an, eine Waffe zu finden und loszurennen. Aber ich musste bei klarem Verstand bleiben.

Sie werden ihn töten!

Aber daran war überhaupt nichts klar.

Los! Ich konnte ihnen nicht nicht nachjagen. Obwohl ich absolut nutzlos war – ein emotionales Wrack, dessen nahezu perfektes Leben gerade völlig in sich zusammengestürzt war. Das Schicksal hatte mir einmal mehr alles genommen – und erinnerte mich wieder daran, dass ich mittellos war, obwohl Q mich so reich gemacht hatte.

Ich konnte nicht nur dastehen und zusehen, wie er den ultimativen Preis bezahlte. Ich würde nicht zulassen, dass Q sich selbst opferte. Ich würde ihnen nachjagen. Ich ballte die Fäuste und rannte zur Tür.

»Tess. Warte!«

Ich drehte den Kopf und schaute einem blutüberströmten Mann in die Augen, der sich mühevoll aufrappelte.

Franco! Heilige Scheiße, ich hatte ihn völlig vergessen. Ich blieb stehen und schwankte zwischen der Tür und der Entscheidung, dem einzigen Mann zu helfen, der mich vielleicht retten konnte. Er war an Qs Seite gewesen, als sie nach mir gesucht hatten. Er hatte die Ressourcen, das Wissen.

Ich weigerte mich, den Blick von der Tür abzuwenden – von der grauenvollen Tür, die mich von der Liebe meines Lebens trennte, während sie mit einer Kugel im Oberschenkel davongeschleppt wurde.

Erneut schoss ein quälender Schmerz durch meinen Körper, als ich daran dachte, was mit ihm passieren könnte. Das konnte nicht sein. Nicht Q. Ich würde es nicht zulassen.

Er darf nicht sterben! Nicht jetzt.

Dann hilf Franco. Er ist deine einzige Hoffnung.

Frische Wut erhitzte meinen Körper, als ich mir meiner eigenen Sterblichkeit bewusst wurde. Ich konnte die Männer verfolgen, versuchen, die Heldin zu spielen, und mich schreiend und kreischend von hinten auf sie stürzen … aber letzten Endes war alles, was ich damit erreichen würde, dass sie Q noch früher erschossen – und mich gleich mit.

»Komm, hilf mir hoch«, befahl Franco. »Was immer dir auch durch den Kopf geht – hör auf damit. Es ist nicht so schlimm, wie du denkst.« Seine tiefe Stimme riss mich aus meiner ungläubigen Trance und zog mich wieder zurück auf die Erde.

Meine Finger umkrallten den Stoff des Kleides, als ich herumwirbelte. »Nicht so schlimm, wie ich denke?Nicht so schlimm?« Ich taumelte auf ihn zu. »Sie haben ihn mitgenommen, Franco. Sie haben ihn aus meinen Armen gestohlen und auf ihn geschossen.« Meine Augen brannten, aber es strömten keine Tränen. Ich wollte schreien, bis meine Kehle blutete. Ich wollte jedes einzelne dieser verfluchten Dreckschweine töten, die mir das eine genommen hatten, ohne das ich nicht leben konnte.

Ich kann nicht.

Du musst.

Alles, was Q für mich getan hatte, um mich zu heilen, stand kurz vor dem Einsturz. Mein Turm, den ich nach Teneriffa eingerissen hatte, ließ seine zerbrochenen Ziegel erzittern und versuchte, sich aus Schutt und Asche wieder aufzurichten und mich zu sich zu holen.

Aber das würde ich nicht zulassen. Nicht diesmal. Diesmal würde ich nicht das Opfer sein. Diesmal würde ich gewinnen.

Franco rollte sich zur Seite und hievte sich wackelnd auf ein Knie. Schuldgefühle brachen über mich herein, weil ich ihm nicht längst geholfen hatte, aber meine Füße waren auf dem Teppich wie festgenagelt. In mir herrschte das reinste Chaos. So viele widersprüchliche, schreckliche Gedanken schossen mir durch den Kopf, während mein Körper und Geist ausfochten, was ich tun sollte.

Ich hatte mich noch nie so gefühlt. So verloren, wütend und gelähmt vor Angst. Als Opfer war mir die Wahl zu kämpfen in dem Moment genommen worden, als sie mich gefangen hatten. Aber als diejenige, die zurückblieb, blieb mir eine Wahl, blieben mir Entscheidungen – Hoffnung.

Aber dann schlug die Angst zu und vernichtete alle Hoffnung. Was, wenn ich die falsche Entscheidung traf? Was, wenn ich Franco zutraute, mir zu helfen, obwohl sich das Fenster, in dem wir Q retten konnten, längst geschlossen hatte? Ich spielte Roulette mit Qs Leben, ganz egal welche Entscheidung ich traf.

Handeln.

Ich musste irgendetwas unternehmen.

Aber das Einzige, wozu ich in der Lage schien, war, eine Statue zu spielen, während endlose Szenarien durch meinen Kopf rauschten, die alle ein schreckliches Ende nahmen.

Ich rannte Q nach, nur um ihn in der Lobby mit einer Kugel in der Stirn zu finden.

Ich rannte Q nicht nach, und sie schickten eine Lösegeldforderung, woraufhin es nur noch galt, einen simplen Austausch zu arrangieren.

Ich jagte Q nach, nur um mit anzusehen, wie er gefoltert wurde – und das alles nur meinetwegen.

Sie hatten ihn meinetwegen mitgenommen.

»O mein Gott.« Warum hatte ich das nicht erkannt? Ich war so dumm. Ich hatte das getan. Ich hatte sein Leben zerstört. Ruiniert. Zertrümmert. Ein Schluchzen baute sich in mir auf, so mächtig und dröhnend laut, dass ich wusste, es würde mich zerreißen, wenn ich es losließ.

Arme schlangen sich um mich, rissen mich an ein metallisch riechendes Hemd und einen wunden, gebrochenen Körper. Franco drückte mich fest an sich. Ein Fels, an den ich mich klammern konnte, um nicht im Elend zu ertrinken.

»Es ist meinetwegen. Es ist meine Schuld.«

»Natürlich ist es deine Schuld.«

Ich riss die Augen auf. Er stimmte mir zu! Ich konnte es nicht mehr ertragen. Ich kauerte mich zusammen, umschloss den Knoten der Qual in meinem Herzen und wünschte mir, ich würde sterben.

Franco drückte mich noch fester an sich. »Es ist deine Schuld, dass er glücklich ist. Es ist deine Schuld, dass er endlich seine Vergangenheit akzeptiert und sich auf eine Zukunft freut, vor der er sich nicht mehr verstecken muss.« Er zuckte zusammen und ein Schauer schüttelte seinen Körper. »Das hier wäre mit dir und ohne dich passiert, Tess. Du hast erst einen Bruchteil der Männer gesehen, die in dieser Branche tätig sind. Aber Q kennt Tausende. Er hat persönlich mit ihnen zu Abend gegessen und Geschäfte mit ihnen abgeschlossen. Er wurde in eine Welt aufgenommen, zu der man ein Leben lang gehört und in der jedes Fehlverhalten den Tod bedeutet. Ja, dass er so skrupellos nach dir gesucht hat, hat dazu geführt, dass sie schneller erkannten, wer Q wirklich war, aber es wäre ohnehin dazu gekommen. Irgendwann.«

Er löste sich von mir und blickte in meine finsteren Augen. »Aber wenn es passiert wäre, wäre er nicht dort gewesen, wo er heute ist. Er hätte nicht so hart gekämpft wie jetzt, wo er diese Liebe hat, die ihm Kraft gibt.« Francos Smaragdaugen wurden weicher. »Wenn sie gekommen wären, um ihn zu holen, ohne dich an seiner Seite, dann hätte er sich gegen sie gewehrt – natürlich. Aber letzten Endes hätte er aufgegeben. Weil er aus irgendeinem verdrehten Grund glaubt, er hätte es verdient.«

Ich schüttelte den Kopf. »Das hat er nicht …«

»Du kennst ihn – zumindest die Seiten an ihm, die er dich sehen lässt. Aber ich bin schon seit neun Jahren bei ihm. Und glaub mir, wenn ich dir sage, dass er sein Leben immer in dem Wissen gelebt hat, dass er jung sterben wird. Er hat es nie offen ausgesprochen, aber er hat sein ganzes Leben entsprechend geplant, Tess. Er hatte einfach nicht die Kraft, gegen das anzukämpfen, was in ihm lauert.«

Mein Herz fühlte sich an, als wäre es völlig durchlöchert, weil all das Gute darin ausgehöhlt worden war. Nur Q konnte diese Löcher wieder füllen und es spielte keine Rolle, welche Entscheidung ich traf, weil die Folgen stets dieselben sein würden. Ich würde ihn zurückholen. Genau wie er mich gerettet hatte. Ich konnte mir den Luxus potenzieller Zweifel und Verdrängung nicht erlauben. Es war Zeit zu gehen.

Ich hielt mein zerfetztes Kleid zusammen und riss mich von Franco los. Er geriet ein wenig ins Schwanken und mein Blick fiel auf seine zerrissene Hose und das blutüberströmte Hemd. »Scheiße, Franco. Es tut mir so leid.« Ich berührte ganz vorsichtig eine Platzwunde an seinem Arm, und er zuckte unwillkürlich zusammen.

Dann sah ich sie.

Die purpurgetränkte Krawatte um seinen Daumen. Oder besser gesagt: seinen fehlenden Daumen.

Ich schaute ihm in die Augen und spürte, wie mir die Tränen kamen. »Was … was haben sie dir angetan?«

Er zuckte mit den Schultern. »Das ist die einzige Möglichkeit, ins Zimmer zu kommen. Gespeicherte Fingerabdrücke. Ich habe mich geweigert, als sie mich höflich gefragt haben. Ich schätze, das hat ihnen nicht gefallen.« Er griff in seine Hosentasche und zog den abgetrennten Finger heraus.

Galle stieg meine Speiseröhre hinauf und flutete meinen Mund.

Ich rannte los.

Schlitterte ins Badezimmer, klappte den Toilettensitz hoch und erbrach würgend die Litschi-Martinis und die italienischen Vorspeisen in einem heftigen Schwall.

Kalter Schweiß kroch an meiner Wirbelsäule hinauf und Krämpfe verknoteten meinen Magen.

Francos Daumen. Sie hatten ihm den Daumen abgeschnitten.

Ich würgte erneut.

Wenn sie das getan hatten, nur um sich Q zu schnappen, was würden sie dann erst ihm antun?

Ich stöhnte, würgte noch heftiger, als würde meine Seele versuchen, sich auf dem Weg durch meinen Mund zu befreien.

Sanfte Finger huschten über meinen Nacken, strichen feuchte Haarsträhnen beiseite und fassten sie zu einem zerzausten Knoten zusammen.

Ich blickte auf, klammerte mich aber weiter an das Porzellan. Franco lächelte mich traurig an. »Es ist wahrscheinlich gut, dass du das alles losgeworden bist. Aber wir müssen gehen. Glaubst du, du schaffst das?« Ich konnte nicht anders, als seine linke Hand anzustarren. Sie war blutüberströmt, die Krawatte um den Stummel gewickelt, wo einst sein Daumen war.

Mir drehte sich erneut der Magen um, als ich von der Vorstellung überwältigt wurde, wie sie auch Qs Finger abschnitten, aber ich schob sie mit aller Kraft beiseite.

Hör auf, dich wie ein verfluchtes Mädchen anzustellen.

Ich weigerte mich, auch nur eine weitere Minute zu vergeuden. Ich wischte mir den Mund ab, stand auf und ging zum Waschbecken. Franco schlurfte mir hinterher und hielt mein Haar fest, damit ich mir das Gesicht waschen konnte. Das zerfetzte Kleid klaffte auf und enthüllte meine Brüste, aber es war mir egal. Franco und ich waren längst über Kleinigkeiten wie ein wenig nackte Haut hinaus. Er war meine einzige Chance, Q zurückzubekommen.

»Gib mir nur eine Minute«, krächzte ich mit von Galle verbrühter Kehle.

Franco nickte und ließ mein Haar los.

Ich eilte zum Kleiderschrank, schnappte mir einen dicken schwarzen Pullover und eine Jeans. Ich schob das Kleid bis zu meinen Hüften hoch, streifte hastig die Jeans über und zog mir dann schnell den Pullover über den Kopf, bevor ich in flache Ballerinas schlüpfte.

Franco humpelte auf mich zu, ein schiefes Grinsen auf den Lippen. »Ich muss gestehen, dass ich gerade daran denken musste, wie ich damals zugeschaut habe, als du für Qs Dinnerparty in diesen goldenen Fummel geschlüpft bist.« Dann verfinsterten sich seine Augen. »Hat er dir je erzählt, warum er das getan hatte?«

Ich reiste in Gedanken in die Vergangenheit zurück – zu dem filigranen Meerjungfrauenkleid, das nichts verhüllte und dem Russen im weißen Trainingsanzug alles dargeboten hatte.

Ich schüttelte den Kopf und murmelte: »Nein. Aber was immer er auch für einen Grund hatte, ich akzeptiere ihn. Ich wusste selbst damals schon, dass er nicht so schlimm war, wie er wirkte. Ich glaube, ich habe ihn von dem Moment an geliebt, als du mich gezwungen hast, mich vor ihm zu verbeugen.«

Franco lächelte leise. »Ich habe dich nur gezwungen, weil ich den Blick in seinen Augen verstanden habe. Diesen Blick hatte ich vorher noch nie bei ihm gesehen.«

Ich ging zu ihm und legte seinen Arm um meine Schultern, um ihn zu stützen. »Was für einen Blick?« Wir humpelten zur Tür.

Es war gut, an etwas anderes zu denken. Es lenkte mich davon ab, was Q vielleicht gerade durchlitt – es half mir, einen klaren Kopf zu bewahren.

Franco seufzte. »Lust … Anziehung … vielleicht sogar Liebe. Wer weiß?« Er lächelte flüchtig und fügte dann hinzu: »Wie dem auch sei, ich wusste, dass er dich wollte – und ich wollte, dass er glücklich ist.«

Franco drückte auf die Türklinke und wir traten langsam in den Korridor hinaus.

Das wird ewig dauern. Er ist zu schwer verletzt.

Ich wollte für Francos Hilfe nicht undankbar erscheinen, aber wir mussten los. Wir mussten sie jagen. Aber wie konnten wir das, wenn Franco kaum gehen konnte und dringend operiert werden musste?

Franco zischte vor Schmerzen, als ich ihn schneller mitschleppte. »Wir haben einen Plan. Wir sind nicht allein. Du musst also nicht in Panik verfallen.«

Mein Herz raste. Q – Moment mal. »Was für einen Plan?«

»Wir haben darüber diskutiert, nachdem Q dich gerettet hatte. Wir wussten, dass die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch war, dass sie ihn angreifen würden. Deshalb haben wir einen Plan entwickelt. Er läuft bereits.« Franco schaute auf seine Uhr. »Ich würde sagen, seit 25 Minuten – seit dem Moment, als sie in mein Zimmer geplatzt sind und mir die verfluchte Seele aus dem Leib geprügelt haben.«

Mir wurde erst heiß, dann kalt. Mein Blut kochte und gefror zu Eis. Ich wollte mich selbst in eine mächtige Armee aufspalten und ganz Italien nach Q durchkämmen. Ich wollte wissen, wie dieser Plan aussah.

Er darf nicht sterben. Das werde ich nicht zulassen.

Der Fahrstuhl vor uns klingelte und entlud seine Fracht in einem Tsunami aus Waffen und Polizeimarken. Franco und ich blieben wie angewurzelt stehen.

»Was zur …«, brummte er, als eine Horde Polizisten in schicken schwarzen Uniformen mit silbernem Brokat auf uns zustürmte.

Wir standen da wie eine Insel, umspült von einem Meer aus Polizisten, die in dem Zimmer verschwanden, das wir soeben verlassen hatten. War das Teil des Plans? Die örtliche Polizei für die Suche nach Q einzuspannen?

Mir stellten sich die Nackenhaare auf. Wenn sie wirklich hier waren, um uns zu helfen – großartig. Aber wenn nicht …

Franco spannte sich an und stieß mich weg, um auf eigenen Füßen zu stehen. Sein Kiefer bebte, als er seine blutige, daumenlose Hand in die Hosentasche steckte.

Ein Kommissar mit zurückgekämmtem schwarzem Haar und grau melierten Schläfen stieg aus dem Lift und kam auf uns zu. Er kniff die Augen zusammen. »Ist alles in Ordnung, Sir? Ma’am?«

Mein Herz hüpfte in meinen Kehlkopf und ich quiekte irgendeine dämliche Antwort. Mein Instinkt warnte mich mit einem Kribbeln. Der Typ gefiel mir nicht. Mir gefiel das alles nicht. Was vollkommen lächerlich war – schließlich waren sie Gesetzeshüter. Wir hatten nichts falsch gemacht – wir waren die Opfer. Also warum kam ich mir plötzlich vor wie eine Kriminelle?

Der Blick des Kommissars fiel auf Franco. Er betrachtete seine blutige Kleidung und seine beschützende Haltung. »Was ist hier passiert?«

Franco funkelte ihn an. »Nichts. Was tun Sie hier?«

Die Miene des Polizeibeamten verfinsterte sich. »Wir müssen Ihnen unsere Anwesenheit nicht erklären. Vor allem nicht, wenn es ganz danach aussieht, als wäre dies der Tatort eines schweren Verbrechens.« Seine Augen bohrten sich in meine und er begutachtete mich von oben bis unten.

Mir war klar, welchen Eindruck ich machen musste: blasses Gesicht, verschmierte Wimperntusche und ein Zittern, das vermuten ließ, dass ich high war und den nächsten Schuss brauchte. Wie sollte ich ihm erklären, dass das Adrenalin in meinem Körper daher stammte, dass ich mit angesehen hatte, wie der Mann, den ich liebte, erst angeschossen und dann verschleppt worden war?

»Ma’am, hat dieser Mann Ihnen wehgetan?« Er legte die Hand auf die Waffe in seinem Holster.

»Was? Nein!« Ich sprang schützend vor Franco. »Überhaupt nicht. Hören Sie, wir …«

»Tess, sei still.« Mit einem Finger in einer meiner Jeansschlaufen zog mich Franco bestimmt nach hinten. Er warf dem Kommissar einen abschätzigen Blick zu und blaffte: »Mischen Sie sich nicht ein. Dies ist eine Undercover-Operation. Und nun lassen Sie uns vorbei.«

Der Kommissar hob eine Augenbraue, streckte die Brust raus und schien vor Testosteron förmlich anzuschwellen. »Sie gehen nirgendwohin, solange ich nicht weiß, was hier heute Nacht passiert ist.« Er zog ein Notizbuch aus seiner Brusttasche und überflog seine Notizen. »Wissen Sie irgendetwas über einen Fall von unsittlicher Entblößung, der sich vor etwa 30 Minuten hier zugetragen hat? Ein Passant hat ausgesagt, dass er in einer der Suiten auf dieser Etage etwas Verstörendes beobachtet habe.« Er blickte Franco durchdringend an. »Laut den Zeugen wurde eine Frau, deren Gesicht maskiert war, gewaltsam gegen das Fenster gepresst, während ein nicht zu erkennender Mann Geschlechtsverkehr mit ihr hatte. Das waren nicht zufällig Sie, oder?«

Franco warf mir einen ungläubigen Blick zu und ich konnte die Frage in seinen Augen ablesen: Q hat was getan?

Ich wäre errötet, wenn noch ein Rest Blut in meinem Kopf gewesen wäre, aber es war komplett in meinen Beinen geronnen und mir war eiskalt. Ich hatte mich einmal gehen lassen und kam dafür sofort in polizeilichen Gewahrsam.

Scheiße, was konnte ich schon tun? Lügen.

Mein Instinkt schrie mich an davonzurennen. Ich musste davonrennen, bevor sie …

»Sie sind verhaftet«, verkündete der Kommissar. »Es interessiert mich nicht, ob Sie irgendetwas mit diesen Vorwürfen zu tun haben. Sie sind blutüberströmt und entfernen sich vom Ort eines Verbrechens. Sie kommen beide mit, bis wir die Wahrheit herausgefunden haben.«

O nein. Nein!

»Sir, es ist nicht so, wie Sie denken. Bitte …«, flehte ich.

»Tess, halt …«, begann Franco und stöhnte vor Schmerzen, als ihn der Polizist am Ellenbogen packte und seine Hand aus der Hosentasche riss, um ihm Handschellen anzulegen.

»Che cazzo?!« Dem Polizisten klappte die Kinnlade herunter und er starrte auf Francos abgehackten Daumen. Die Krawatte, die um den Stummel gewickelt war, triefte purpurrot auf den makellosen schneeweißen Teppich. Der Kommissar funkelte uns an, eine Mischung aus Verwirrung und einem Anflug von Angst in den Augen. »Jemand sollte lieber anfangen, mir zu erklären, was hier passiert ist.«

Ich wollte aus diesem Albtraum erwachen. Das alles überstieg mein Verständnis bei Weitem. Q war von Männern verschleppt worden, die ihn töten wollten – und wir wurden von einer ausländischen Polizeitruppe aufgehalten, die alles hinauszögern würde, bis es zu spät war.

Wahnsinniges, tränenüberflutetes Gelächter drohte sich Bahn zu brechen.

»Bringen Sie mich ins Krankenhaus«, schnauzte Franco den Polizisten an. »Ich bin nicht in der Lage, Fragen zu beantworten, wie Sie selbst sehen können.«

Einige Polizisten kehrten von der Inspektion unserer Suite zurück. »Alles in Ordnung, Boss. Es ist niemand dort. Aber wir haben Blut entdeckt und glauben, dass einige Männer das Gebäude bereits verlassen haben.«

Mein Herz machte einen Satz. Ja, sie hatten es verlassen. Mit Q. Verdammt, das hier war einfach schrecklich. Der Gedanke, mir eine Waffe zu klauen, sauste mir durch den Kopf. Ich könnte einen von ihnen als Geisel nehmen, um aus dem Gebäude zu kommen.

Aber Franco konnte nicht rennen. Scheiße.

»Verhaften Sie die Frau. Nehmen Sie sie zur Befragung mit. Und bringen Sie den Mann ins Krankenhaus.«

Franco und ich brüllten gleichzeitig: »Nein! Ich muss mit ihm gehen.« – »Sie muss mit mir kommen.«

Der Kommissar verzog die Lippen und überlegte. Schließlich brummte er: »Von mir aus. Bringen Sie beide ins Krankenhaus. Ich denke, dass ich sie in ein paar Stunden vernehmen kann.«

Ich biss mir auf die Lippe und versuchte, gegen den Schrecken anzukämpfen, der die Kontrolle über mein Leben übernommen hatte. Dann wurden mir die Arme auf den Rücken gerissen und das kalte Klicken von Handschellen legte sich um meine Handgelenke. Franco wurde nicht mit Handschellen gefesselt, sondern nur von zwei großen Polizisten flankiert, die ihn in einen Käfig aus schwarzen Uniformen und gezogenen Pistolen einschlossen.

»Mitkommen«, knurrte einer von ihnen. Ich zitterte und kämpfte gegen die erneut aufsteigende Übelkeit an. Einmal mehr war es meine Schuld. Es waren meine Brüste, die die Fremden gesehen hatten. Meine kleine Darbietung, die dazu geführt hatte, dass wir nun wie Ketzer abgeführt wurden.

Dann schäumte brodelnde Wut in mir hoch. Falls Q wegen dieser Männer sterben sollte, dann würde ich jeden Einzelnen von ihnen aufspüren und im Schlaf ermorden.

Ich würde mich von ihnen nicht davon abhalten lassen, ihn zu finden. Ich würde eher zur gesuchten Verbrecherin werden, als dies zuzulassen.

Franco blickte über seine Schulter. Seine smaragdgrünen Augen sahen aus wie schrecklich funkelnde Edelsteine. »Ne dis rien.Tout est sous contrôle.« Sag kein Wort. Ich habe alles unter Kontrolle.

Ich wollte ihm vertrauen. Ich wollte glauben, dass ihr geheimnisvoller Plan Q retten würde, selbst wenn wir in einer italienischen Zelle verrotteten. Aber Pessimismus war mein neuer bester Freund und die schwarze Leere der Trauer lockte mich zu sich.

Wir wurden Seite an Seite in den Lift gedrängt. Franco beugte sich zu meinem Ohr herunter. »Er ist noch nicht verloren, Tess. Er hat einen Peilsender in deinen Verlobungsring eingebaut – hast du nie daran gedacht, dass er dieselbe Vorsichtsmaßnahme auch für sich selbst getroffen hat? Vor allem wenn er wusste, dass er die Aufmerksamkeit einiger mieser Arschlöcher erregt hatte, die versuchen würden, ihn zu töten?«

Ich erstarrte. Sein heißer Atem an meinem Ohr gab mir wichtige Informationen, die ich so dringend brauchte.

Ich sprach leise, in der Hoffnung, die anderen sechs Männer im Fahrstuhl würden mich nicht hören. »Er hat einen Peilsender in einem Ring?« Q trug keinen Schmuck. Und wir waren noch nicht verheiratet, deshalb hatte er auch keinen Ehering.

Franco schüttelte den Kopf. »Nicht in einem Ring. Tiefer.« Er tippte an die Unterseite seines Handgelenks und hob eine Augenbraue. Das Puzzle fügte sich zusammen.

O mein Gott. Q trug einen Peilsender.

Aber nicht in einem Schmuckstück oder seiner Kleidung oder in sonst irgendwas, das man ihm leicht abnehmen konnte. Er war noch einen Schritt weiter gegangen. Er hatte sich selbst die beste Chance gegeben, gefunden zu werden, selbst wenn sie ihn nackt auszogen und alles wegwarfen, was er am Leib trug.

Er hatte sich wie ein Haustier gekennzeichnet. Er hatte einen Mikrochip im Körper, damit seine Armee aus Wachmännern seiner Spur folgen und ihn wieder nach Hause holen konnte.

Er war nicht verloren.

Aber es lag an uns, ihn zu finden, bevor es zu spät war.

Die Zeit entwickelte sich zu meinem schlimmsten Feind.

Vier Stunden.

Vier lange, quälende, nervenaufreibende Stunden.

Jede Sekunde entfernte mich weiter von Q. Jede Minute errichtete eine neue Mauer, über die ich klettern musste, um ihn zu finden. Hatte er sich auch so gefühlt, als er nach mir gesucht hatte? Hatte er auch diese lähmende Hilflosigkeit gespürt?

Tick …

Tack …

Franco war sofort in den OP gebracht worden, damit sie seinen Daumen wieder annähten. Er hatte für den Eingriff eine Vollnarkose verweigert und nur einer lokalen Betäubung zugestimmt.

Bei der Liste seiner Verletzungen drehte sich mir der Magen um.

Leichte Gehirnerschütterung. Ausgekugelte Schulter. Verdrehte Kniescheibe. Abgetrennter Daumen. Ganz zu schweigen von unzähligen Prellungen, blauen Flecken und Kratzern dank der Arschlöcher, die ihn beinahe getötet hätten, um an Q heranzukommen.

In diesen vier Stunden durchlebte ich ein ganzes Leben. Nein, nicht nur eins. Mehrere.

Ich wurde halb wahnsinnig – eingesperrt in einem Privatzimmer, bewacht von zwei Polizisten, die auf Franco warteten. Wenigstens hatten sie mir die Handschellen abgenommen, aber ich war trotzdem eine Gefangene.

Mein Geist war mein Feind, schleuderte mir ständig neue Horrorszenarien und Folterszenen von Qs Ende entgegen. Ich biss die Zähne zusammen und summte leise irgendetwas, nur um mein Hirn zu beschäftigen und zu verhindern, dass es neue, grauenvolle Bilder heraufbeschwor. Dreimal versuchten die Polizisten, mich zu vernehmen. Dreimal weigerte ich mich. Ich würde nicht reden – nicht solange Franco mir nicht mitteilen konnte, was ich sagen sollte. Ich hatte keine Ahnung, was sich außerhalb unserer traurigen, kleinen Gruppe abspielte. Ich wollte Qs Fluchtchancen nicht noch mehr zerstören, als ich es ohnehin bereits getan hatte, weil ich leichtsinnig genug gewesen war, mich in einem fremden Land verhaften zu lassen.

Ich hob den Blick, als die weiße Tür aufging. Franco wurde von einem Krankenpfleger ins Zimmer gerollt. Er hatte den Arm in einer Schlinge und seine Hand war dick bandagiert. Nur seine Fingerspitzen waren zu sehen.

Auf seinem Gesicht leuchteten die schwarzen und grünen Flecken von Prellungen wie Wasserfarben.

Ich sprang vom Bett auf, vor lauter Warten ganz fahrig. Die Tür schwang hinter dem Mann in der Pflegeruniform wieder zu. »Geht’s dir gut? Hat es funktioniert?« Ich starrte auf den Verband und suchte angestrengt nach einem Anzeichen für eine Daumenkuppe. Meine Augen weiteten sich vor Schreck. »Aber da ist kein …«

»Sie haben es versucht, aber diese Wichser haben das Gelenk so zertrümmert, dass es vollkommen nutzlos ist. Außerdem ist das hier nur ein lokales Krankenhaus. Sie haben hier nicht so viele Spezialisten auf Abruf. Dafür müssten sie mich woandershin fliegen.«

Ich war hin- und hergerissen. Direkt in der Mitte gespalten. Ich wollte Q hinterherjagen, aber ich wollte auch nicht, dass Franco ein daumenloses Leben führte. Verdammt, das war schließlich der wichtigste Finger. Ich würde ganz allein sein. »Na, dann geh. Sag mir, wie euer Plan aussieht, und dann verschwinde. Ich kümmere mich um den Rest.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich habe die Papiere schon unterschrieben. Selbst wenn sie ihn wieder annähen könnten, müsste ich eine Woche lang zur Beobachtung hierbleiben. Aber so brauche ich erst in 24 Stunden zur Kontrolle wiederzukommen.« Seine Augen blitzten auf. »Ich weigere mich, einfach nur auf meinem verprügelten Hintern zu sitzen. Nicht solange er da draußen ist. Ein Daumen kann warten – wir wissen aber nicht …« Er verstummte und jagte mir damit eine Heidenangst ein.

Wir wissen aber nicht, was sie ihm antun.

Der Satz blieb unausgesprochen, aber Franco hätte ihn auch ebenso gut mit wasserfestem Stift auf ein Transparent schreiben und mich damit verfolgen können. Es ließ sich nicht leugnen, was es nur umso grauenvoller machte.

»So dankbar ich auch für deine Loyalität ihm gegenüber bin, du kannst deinen Daumen nicht mal eben so wegwerfen.«

Er zuckte mit den Schultern. »Dank Qs Großzügigkeit bin ich Millionär. Außerdem ist er stinkreich. Wenn ich ihm seinen dürren Hintern rette, bin ich mir sicher, dass es ihm nichts ausmacht, für einen irre teuren, hochmodernen Roboterdaumen zu bezahlen.« Franco stellte mit seinem gesunden Arm die Bremse des Rollstuhls ein, klappte die Fußstützen hoch und streckte eine Hand aus. »Und jetzt hilf mir hoch. Wir gehen.«

Ich stellte mich neben ihn, packte ihn am Ellenbogen und tat mein Bestes, seinen massigen Körper aus dem Stuhl hochzuhieven. In dem Moment, als er aufrecht stand, humpelte er sofort zu dem Schrank, in dem die Ärzte seine Kleider verstaut hatten. Ohne jede Scham öffnete er das rückenfreie Krankenhausnachthemd und ließ es fallen.

Ich räusperte mich und wandte die Augen ab – aber erst nachdem ich einen Blick erhascht hatte. Er war kräftiger gebaut als Q. Mit dicken, harten Muskeln, die nicht so elegant waren wie Qs schmale, sinnliche Figur. Doch was ihm an Sexappeal fehlte, machte er durch schiere Kraft wieder wett.

Hüpfend und fluchend zog er die Hose über den Verband an seinem Knie. Mit hoch konzentrierter Miene machte er mit einer Hand den Reißverschluss zu. Als dieser Teil von ihm bedeckt war, drehte er sich zu mir um und hielt mir sein blutbeflecktes Hemd hin.

»Hilf mir. Das kann ich nicht alleine.«

Ich hielt den Blick gesenkt, nahm ihm das Hemd ab, schob mich an seine Seite und zog vorsichtig seinen Arm aus der Schlinge. »Haben sie deine Schulter wieder eingerenkt?« Ich sprach leise, versuchte ihn abzulenken, während ich die Manschette über seine Hand schob und dann den Ärmel nach oben zog.

Er biss die Zähne zusammen. »Ja, sie funktioniert wieder, sie tut nur noch ein bisschen weh. Wahrscheinlich wird sie bald anschwellen und erst mal schlimmer werden, bevor sie heilt. Aber ich werde es überleben.«

»Ist dir das schon mal passiert?«

Er lachte, zuckte jedoch zusammen, als ich das Hemd hinter seinem Rücken vorbeiführte. »Ich bin schon eine ganze Weile bei Q, Tess. Ich war schon in schlimmerer Verfassung. Er war schon in schlimmerer Verfassung. Und wir haben es beide überlebt – im Gegensatz zu denen, die glaubten, sie müssten uns herausfordern.«

Sein Körper vibrierte vor gefährlicher Anspannung. Ich ließ mich von seiner Kraft mitreißen. Es war mir zwar äußerst unangenehm, neben ihm zu stehen, während er halb nackt war, aber auf seltsame Weise beruhigte es mich auch. Ich vertraute darauf, dass er Q wieder nach Hause bringen konnte.

Franco führte den Arm nach hinten, damit ich ihm auch den anderen Ärmel überstreifen konnte, und zupfte das Hemd dann zurecht. Als es über seinen beiden Schultern hing, drehte er sich zu mir um und hob eine Augenbraue. »Kannst du es zuknöpfen, bitte? Mir fehlt ein Daumen.«

Ich lachte, aber es verwandelte sich in ein seltsam schniefendes Schluchzen.

Q, ich vermisse dich so sehr, verdammt.

Ich wollte jemanden, der mir sagte, dass alles gut enden würde. Ich wollte eine Kristallkugel, die mir verkündete, dass er überleben und unverletzt bleiben würde, bis wir ihn fänden. Es fühlte sich so falsch an, all diese banalen Dinge zu tun, wenn sämtliche Instinkte in mir nur jagen und morden wollten.

Francos Tonfall klang nicht mehr scherzhaft, als er hinzufügte: »Wir werden ihn finden, Tess. Du wirst schon sehen. Der Einzige, der hier irgendwelche Körperteile einbüßt, bin ich. Schließlich bin ich der Leibwächter. Ich stecke die harten Schläge ein, damit er es nicht tun muss.« Seine großen Knöchel strichen unter meinem Auge vorbei und fingen eine entflohene Träne ein. »Glaub mir. Ich werde ihn nicht sterben lassen.«

Franco war stark. Ich musste ihm vertrauen. Das war nur leider leichter gesagt als getan.

Die Tür schwang im selben Moment auf, in dem ich den letzten Knopf zumachte. Ein Arzt mit tiefschwarzem Haar, das wie polierter Obsidian glänzte, blinzelte überrascht. »Was glauben Sie, was Sie da tun? Sie sind noch nicht entlassen. Legen Sie sich wieder ins Bett, Sir.«

Franco knurrte leise. »Ich bin fertig. Ich habe es Ihnen erlaubt, an mir herumzudoktern und mich wieder zusammenzuflicken. Aber jetzt gehe ich. Vielen Dank für Ihre fachmännische Beurteilung, aber Sie können mich nicht gegen meinen Willen hier festhalten.«

»Er vielleicht nicht – aber ich schon.« Der Kommissar mit dem schwarzen Haar und den silbernen Schläfen tauchte hinter dem Arzt auf. Sein glatt rasierter Kiefer war angespannt, um Autorität auszustrahlen. Seine Körperhaltung wirkte überheblich und machtvoll, dank der Marke über seinem Herzen. »Da es Ihnen gut genug geht, um sich selbst zu entlassen, geht es Ihnen auch gut genug, um mich zu begleiten und ein paar Fragen zu beantworten.«

Er nickte ein paar der Männer zu, die vor der Tür standen, und befahl: »Bitte begleiten Sie die beiden aufs Revier. Ich werde sie selbst befragen.«

Zwei Polizisten betraten das Zimmer und schoben den Arzt beiseite, der ein Klemmbrett an seine Brust drückte. Er protestierte nicht, als einer der Männer auf mich zusteuerte und der andere Franco anvisierte.

Franco stieß den dürren Polizisten weg und schlüpfte demonstrativ allein in sein Jackett. Als der schwarze Blazer auf seinen Schultern hing, legte er behutsam seinen verletzten Arm wieder in die Schlinge. »Wenn Sie eine Befragung wollen: Ich fange gerne an. Sie haben noch etwas, das mir gehört. Zwei Dinge, um genau zu sein, und ich will sie wieder zurück. Meine Waffen. Wo sind sie?«

Ich riss mich los, als mich ein dicklicher Polizist mit Milchgesicht am Ellenbogen packte. »Nehmen Sie Ihre Hände weg.« Ich funkelte ihn an. Ich hatte nicht die Absicht zuzulassen, dass sie mich von Franco trennten. Mir war egal, wer sie waren und welches Gesetz sie vertraten. Ich würde gegen sie alle kämpfen.

Der Kommissar zeigte seine Zähne. »Ja, und das ist noch ein Grund, warum wir uns unterhalten müssen. Waffen nach Italien einzuführen ist ein schweres Vergehen. Ich hoffe, Sie haben alle notwendigen internationalen Papiere, sonst könnten Sie beide einen sehr langen Urlaub hinter Gittern verbringen.«

Mein Herz raste und Panik rumorte in meinem Magen. »Bitte, das ist alles ein schreckliches Missverständnis. Lassen Sie uns gehen. Wir kommen wieder, um uns Ihrer Befragung zu unterziehen, wenn wir erledigt haben, was wir erledigen müssen.«

Wenn ich meinen Verlobten wiederhabe. Wenn er wieder in meinen Armen und zu Hause ist. Dann konnten sie mich einsperren und mich foltern, es wäre mir egal. Wenigstens wäre Q dann in Sicherheit.

Der Kommissar lachte – unverschämt laut. »Sie glauben, Sie könnten einfach so wieder vorbeischauen, wenn es Ihnen gerade passt? Für wen zur Hölle halten Sie sich? Für irgendeine hochnäsige Touristin, für die die Regeln nicht gelten? Ich habe es so satt, dass Ihresgleichen in mein Land kommt und die Gesetze nicht respektiert. Wir nehmen Sie mit. Und es gibt nicht das Geringste, was Sie tun könnten, um uns davon abzuhalten.« Er nickte dem Mann neben mir zu.

Ich schrie auf, als er mich vorwärtsschubste.

Franco fluchte, als ihm dieselbe Behandlung widerfuhr.

Sie bugsierten uns durch die Tür und zerrten uns einen langen weißen Korridor hinunter, in dem es nach Bleichmittel und Medizin stank. Grelles Licht stach in meine Augen und mein Gehirn lief heiß.

Denk nach! Ich musste hier raus.

Lodernde Wut löschte meine Panik aus. Plötzlich sah ich alles klar vor mir und hatte die volle Kontrolle.

Q hatte mir sein Unternehmen geschenkt. Ich war seine Zukünftige. Er hatte mir neun Milliarden an Macht verliehen.

Geld ist Macht.

Nutze sie.

Ich streckte den Rücken durch, rammte meine Füße in den Linoleumboden und wirbelte herum.

Der Kommissar blieb abrupt stehen. Seine Marke war genau auf meiner Augenhöhe und ich konnte seinen Namen lesen: Sergio Ponzio.

»Hören Sie, Mr. Ponzio. Wir sind keine Kriminellen. Wir haben jetzt keine Zeit, es Ihnen zu erklären, aber Sie machen einen großen Fehler.«

In Sergios schwarzen Augen blitzte eine Mischung aus Verärgerung und Amüsement auf. »Ach, wirklich? Und wieso? Für mich sieht es eher so aus, als ob ich nur meinen Job mache.« Er rieb sich das Kinn und tippte theatralisch mit dem Fuß auf. »Bitte … nur zu. Klären Sie mich auf.«

»Tess … nicht«, zischte Franco.

Ich hatte nicht vor, Q zu erwähnen. Ich wollte nicht, dass diese überheblichen Idioten Q und dem Plan für seine Rettung in die Quere kamen. Aber ich würde auch nicht zulassen, dass sie mich so behandelten und mich davon abhielten, meinen Teil dazu beizutragen.

Ich richtete mich so hoch auf, wie es mir in den flachen Ballerinas möglich war, und blaffte ihn an: »Sie lassen uns sofort gehen. Dieser Mann ist mein persönlicher Leibwächter und wir haben in Frankreich dringende Geschäfte zu erledigen. Sie sollten mich wirklich nicht noch länger aufhalten.«

Ich wünschte, mich umgäbe dieselbe mühelose Aura des Wohlstands wie Q. Ich wünschte, ich wüsste, wie man diese Macht wirklich zur Schau stellte. Ich war nichts weiter als eine Hochstaplerin in Jeans und Pullover, aber aus meinen Augen sprach pure Überzeugung.

Sergios Miene verfinsterte sich. »War das etwa eine Drohung, Miss?«

O Scheiße.

Ich schrie, als der Polizist meine Arme packte und sie mir unsanft auf den Rücken bog. Handschellen schnappten so eng um meine Handgelenke zu, dass mir die Knochen wehtaten.

»Warten Sie!«

Nein. Bitte, nicht.

»Nehmen Sie die Hände von ihr«, brüllte Franco. »Sie ist die Eigentümerin von Moineau Holdings, verdammt noch mal. Wenn Sie Ihre Hausaufgaben gemacht hätten, wüssten Sie, dass sie demnächst Frankreichs mächtigsten Firmenboss heiraten wird.« Franco fluchte, als einer der Polizisten seinen gesunden Arm packte und ihn mit einer Handschelle an seinen Gürtel fesselte.

Dann hallte ein schrilles Klingeln im Korridor wider.

Ein Handy.

Alle erstarrten. Franco senkte den Kopf und schien in sich zusammenzusacken. »Scheiße.« Er blickte mich an.

Mein Instinkt strauchelte und geriet außer Kontrolle. Wer auch immer ihn anrief, es hatte etwas mit Q zu tun.

Ich drehte durch. Zappelte, wand mich, versuchte mich zu befreien. Ich musste an dieses Telefon gehen. »Bitte. Lassen Sie uns rangehen.«

Sergio legte eine Hand auf mein Brustbein und knallte mich gegen die Wand. Die Schnittwunden an meinem Schulterblatt, die Q mir zugefügt hatte, schrien auf. »Benehmen Sie sich. Sonst transportieren wir Sie hier in einer Zwangsjacke ab.«

Das Klingeln steigerte sich zu Technoklängen und Pfeiftönen. Das schrille Läuten schnitt sich in mein Gehirn. Ich war mir sicher, ich würde in Ohnmacht fallen, wenn ich den Anruf nicht entgegennehmen könnte.

Franco fauchte: »Sie müssen mich da rangehen lassen. Sie mischen sich in Dinge ein, die Sie nicht verstehen.«

Ich erstarrte, wandte jedoch keine Sekunde den Blick von ihm ab. Mein Herz hämmerte vor Hoffnung. Franco würde dafür sorgen, dass wir wieder freikamen.

Sergio lachte. »Und was genau verstehe ich nicht? Bitte, klären Sie mich auf – ich möchte es wirklich gerne wissen.«

Das grauenvolle Klingeln des Telefons erstarb.

Mein Herz starb mit ihm. Q – irgendetwas war passiert, aber wir hatten den Anruf nicht entgegengenommen. Hatten wir seine einzige Überlebenschance zerstört? Hatten diese Mistkerle uns unserer einzigen Chance beraubt, ihn lebend zu finden?

»Franco«, wimmerte ich. »Was sollen wir denn jetzt tun?«

Sergio verschränkte die Arme und beobachtete uns aufmerksam.

Franco sprach nur zu mir: »Ich bin nicht ans Telefon gegangen, deshalb tritt die nächste Phase der Operation in Kraft. Sie werden annehmen, dass ich tot bin, und direkt Blair zum Teamleader machen.«

Mein Ausdruck war völlig emotionslos. Würde dieser mir unbekannte Blair seine Aufgabe erfüllen? Würde er ebenso fokussiert und skrupellos handeln wie Franco? Gott, ich hoffte es wirklich.

Sanfter fügte Franco hinzu: »Mach dir keine Sorgen. Sie werden ihn finden.«

»Wen finden?«, fragte Sergio dazwischen.

Franco verlor die Geduld. Er sah aus wie eine Bestie in einem zu engen Käfig. Eine Bestie, die mit Freuden jeden töten würde, um freizukommen. »Den Mann, von dessen Rettung Sie uns abhalten, Sie verfluchtes Arschloch. Wenn er stirbt, während Sie auf Ihrem machthungrigen Egotrip sind, wird Ihnen das verdammt noch mal noch sehr leid tun.«

Sergios Gesicht erstrahlte vor selbstgerechter Zufriedenheit. »Drohung Nummer zwei. Damit gelten Sie als hochgefährliche Gefangene und ich habe das Recht, Sie festzuhalten, bis ich der Meinung bin, dass Sie keine Gefahr für meine Beamten mehr darstellen.«

Dann packte er mich am Ellenbogen und zwang mich vorwärts. »Gehen wir. Es wartet eine Zelle mit Ihrem Namen auf Sie.«

Ich hatte nichts mehr zu verlieren. Nichts mehr zu verbergen, denn wenn sie mich einsperrten, wusste ich tief in meinem Herzen, würde ich Q nie wiedersehen. Ich würde allein sterben. Ich würde in dem Moment aufhören zu existieren, in dem ich spürte, wie Qs Leben für immer von meinem getrennt wurde. »Bitte! Das war keine Drohung. Es ist die reine Wahrheit.« Ich schluckte die Tränen hinunter. »Sie haben ihn. Quincy Mercer. Fünf Männer sind aufgetaucht und haben ihn mitgenommen. Sie müssen uns glauben!«

Sergio sagte kein weiteres Wort, sondern stapfte mit uns durch das Krankenhaus, vorbei an gaffenden Patienten und Krankenschwestern mit weit aufgerissenen Augen.

Er versetzte der großen Schwingtür einen Tritt und zerrte mich aus dem grellen Gebäude in die dunkle Nacht.

Ein Streifenwagen wartete am Straßenrand.

Ich wehrte mich. »Nein! Sie haben keinen Grund, uns zu verhaften. Überhaupt keinen Grund.«

Sergio bedeutete einem seiner Männer mit einem Nicken, die Autotür zu öffnen. »Keinen Grund? Wollen Sie mir vielleicht erklären, warum mehrere Passanten davon berichtet haben, sie hätten eine barbusige Frau gegen die Fensterscheibe gedrückt gesehen?« Seine Augen huschten zwischen Franco und mir hin und her.

Franco blickte mich mit hochgezogener Augenbraue an. »Verfluchter Mercer. Immer muss er einen Schritt zu weit gehen.« Er sah mir in die Augen, ein sanftes Lächeln auf den Lippen. »Ständig muss ich das Chaos aufräumen, das er hinterlässt.«

Mir krampfte sich der Magen zusammen, als ich mich daran erinnerte, wie es sich angefühlt hatte, Q in mir zu spüren. Das Brennen, als er in meine Schulter geschnitten hatte. Ich würde alles dafür geben, mich jetzt neben ihn ins Bett zu kuscheln, um einfach zu reden oder einen Film anzuschauen.

Ich würde meine Seele dafür verkaufen, ihn wohlbehalten wiederzufinden.

Ich neigte den Kopf und erwiderte: »Das war ich. Ich übernehme die volle Verantwortung. Können Sie mir nicht einfach eine Verwarnung ausstellen und mich gehen lassen?«

Sergio lachte. »Öffentliche Unsittlichkeit zieht mehr als nur eine Verwarnung nach sich, Miss. Aber das ist längst nicht mehr alles. Ich glaube, hier ist eine Verschwörung im Gange. Ich glaube, ein Mann – vielleicht nicht unbedingt der Mann, der hier bei Ihnen ist, aber irgendein Mann – hat Sie zum Geschlechtsverkehr gezwungen. Ich glaube außerdem, dass dieser Sexualakt von irgendjemandem unterbrochen wurde, der vor Eifersucht tobte und daraufhin verletzt worden ist – von ihm.« Sergio zeigte auf Franco. »Und solange ich nicht die ganze Geschichte kenne, geht niemand irgendwohin, capisce?«

»Ich war das nicht. Ich habe dem Mann nichts getan – ich bin derjenige, der verletzt wurde.« Franco zeigte mit ironischer Geste auf seine bandagierte Hand in der Schlinge. »Wie Sie unschwer an Beweisstück A erkennen können.«

Sergio kniff die Augen zusammen. »Wie viele Männer haben sich an Ihnen vergangen, Miss? War es ein flotter Dreier? Eine verdammte Orgie, in meiner Stadt? Wie viele Übertretungen wollen Sie der Liste hinzufügen?«

Franco schüttelte den Kopf und schnaubte wütend. »Es ist nicht so, wie Sie denken. Wenn Sie nur mal eine gottverdammte Sekunde lang zuhören würden, könnten Sie sich eine Menge Papierkram sparen – und möglicherweise einem Mann das Leben retten!«

Sergio brach aus seiner Guter-Bulle-Rolle aus und stürzte sich auf Franco. Er knallte ihn seitlich gegen den Wagen und grunzte: »Wir haben Blut auf dem Teppich gefunden. Und eine Patronenhülse neben dem Fenster. Wenn wir herausfinden, dass die Kugel zu einer der Waffen passt, die wir Ihnen abgenommen haben, dann stecken Sie verdammt noch mal mächtig in Schwierigkeiten. Sie können es sich also sparen, hier ›Wer hat den Größten?‹ zu spielen – das wird nicht funktionieren.«

Er wandte sich ab und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Setzen Sie die beiden in den Wagen, wir fahren.«

Panik infizierte mein Herz, als jemand meine Schultern nach unten drückte und mich in den Wagen stieß. Ich fiel auf die Seite und die Vinylsitze quietschten. Ich konnte mich nicht wieder hochdrücken, weil meine Hände auf dem Rücken gefesselt waren.

Tränen kribbelten meine Wirbelsäule hinauf, aber ich weigerte mich, sie fließen zu lassen.

Franco landete halb auf mir. Er stöhnte vor Schmerzen, aber es gelang ihm, sich aufrecht hinzusetzen. Mit ein wenig Anstrengung zerrte er auch mich wieder in eine sitzende Position. »Alles okay?«

In meinem Kopf verschwamm alles. Wie hatte diese ganze Situation nur so vollkommen außer Kontrolle geraten können?

Tick …

Tack …

Jede verstreichende Minute riss Q immer weiter von mir fort. Ich wollte keine Uhren sehen. Ich wollte nicht sehen, wie viel Zeit von diesen Idioten der italienischen Polizei verschwendet wurde.

Q. Es tut mir so leid. Das ist alles meine Schuld.

Ein Schluchzen entwich meiner Kehle.

Franco tätschelte mir das Knie. »Mach dir keine Sorgen, Tess. Es wird alles gut.«

Sergio setzte sich auf den Beifahrersitz und blickte uns durch die vergitterte Trennwand an. »Das glauben Sie vielleicht.«

Der Verhörraum war die reinste Hölle.

Nichts als Metall, Spiegel und Stahl. Meine Hände und Füße waren vor Angst und Kälte schon ganz blau. Vor etwa 15 Minuten hatte man mir die Handschellen abgenommen und mich in das Zimmer geworfen.

Franco hatten sie irgendwo anders hingebracht.

Ich tigerte in dem kleinen Raum auf und ab wie ein Tier im Käfig. Die Gedanken in meinem Kopf wollten einfach nicht aufhören, sich zu drehen. Mein Herz hörte nicht auf zu hämmern. Klaustrophobische Panik schnürte mir die Kehle zu und ich hatte das Gefühl, an den Wänden würden sich Eiszapfen bilden, während sie immer näher und näher und näher kamen. Sie begruben mich bei lebendigem Leib in einem eisigen Grab, in dem ich Q niemals finden würde.

Ich bin ganz allein.

Ich ballte die Fäuste und schlug mein Selbstmitleid in die Flucht. Ich weigerte mich, vor solch nutzlosen Emotionen in die Knie zu gehen. Ich würde wieder hier rauskommen. Ich würde Q finden. Ich würde ihn lebend finden und ich würde ihn in der Sekunde heiraten, in der ich ihm in die Arme fiel.

Die schwere Tür wurde krachend aufgerissen.

Sergio Ponzio betrat den Raum. Er sah aus wie ein arroganter Pfau mit viel zu viel Macht. Ich hasste den mitleidslosen Glanz in seinen Augen. Den gnadenlosen, abgestumpften Blick, der zeigte, dass er längst alle Geschichten gehört hatte und sämtliche Lügen kannte. Er hatte es satt, dass die Leute ihn zum Narren hielten.

Was in Ordnung war. Ich verstand das gut. Aber wenn ihn das wirklich so blind gemacht hatte, dass er die Wahrheit nicht mehr sehen konnte – und damit das Leben eines Menschen in Gefahr brachte –, dafür fehlte mir das Verständnis. Ich konnte den Lavastrom der Frustration und des Hasses nicht kontrollieren, der durch meine Adern floss. Ich wusste nicht, wie lange ich noch in der Lage sein würde, mich zurückzuhalten und ihm nicht das Herz herauszureißen – auch wenn er ganz offensichtlich keines hatte.

»Bitte, setzen Sie sich«, forderte er mich auf und zeigte auf die Metallstühle.

Ich bewegte mich steif, setzte mich jedoch mit fest auf dem Schoß geballten Fäusten. Ich musste mich schon gegen genügend Anschuldigungen verteidigen, ohne dass ich der Liste noch Körperverletzung und einen tätlichen Angriff auf einen Polizeibeamten hinzufügte.

»Wasser?« Er hob eine buschige Augenbraue.

Ich schüttelte den Kopf und blickte in die obere rechte Ecke des Raumes.

Feindin. Saboteurin. Verräterin.

Die Uhr.

Tick …

Tack …

Es war vier Uhr morgens. Q war seit fast sechs Stunden verschwunden. Seit sechs lebensverändernden, von Schrecken erfüllten Stunden.

Das Schluchzen, das sich wie ein Unwetter in mir zusammenbraute, drohte aus mir herauszubrechen. Ich musste all meine Kraft aufbringen, um es zu unterdrücken.

»Name?«

Die Stirn in tiefen Falten funkelte ich ihn an. Ich wollte ihn anspucken und ihm sagen, dass er sich seine verdammten Fragen sonst wohin schieben könne. Aber ich musste kooperieren. Ich musste so höflich und gefügig wie möglich sein, wenn ich eine Chance haben wollte, mich aus dieser ganzen Sache herauszureden.

Werd nicht wütend. Bleib ruhig.

»Tess Snow.«

»Staatsangehörigkeit?«

»Australierin.«

Er blickte auf und ein Lächeln umspielte seine Lippen. »So weit von zu Hause weg. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich bei einem Ihrer volltrunkenen Landsleute Härte walten lassen oder eine gerichtliche Vorladung wegen ungebührlichen Verhaltens beantragen muss.«

Ich ignorierte die Bemerkung. Ich wollte überhaupt nicht mit ihm interagieren – ganz davon zu schweigen, dass ich irgendetwas über seine Trophäensammlung erfahren wollte. Er betrachtete mich als Unruhestifterin. Aber ich wollte ihn vom Gegenteil überzeugen.

Ich bin reich. Ich bin mächtig. Ich gehöre Q.

Außerdem fühlte ich mich nicht mehr als Australierin. Ehrlich gesagt hatte ich so viel Zeit mit Q verbracht, dass ich sogar schon angefangen hatte, auf Französisch zu denken. Englisch war nicht mehr meine bevorzugte Sprache, die beiden verschmolzen eher miteinander.

Ich bin nicht mehr Tess Snow.

Meine Augen funkelten. »Ich habe Ihnen den falschen Namen angegeben.«

Sergio blickte finster. »Sie lügen schon wieder? Ist Ihnen klar, dass jede Lüge Ihre Situation nur noch schlimmer macht?« Er schüttelte den Kopf und stieß ein leises »Tss, tss, tss« aus. »Es scheint Ihnen Spaß zu machen, gegen Regeln zu verstoßen.« Sein Blick fiel auf meine durch den Pullover bedeckten Brüste. »Ich muss zugeben, dass ich die Show gerne gesehen hätte, die Sie abgeliefert haben, anstatt nur die Berichte darüber zu schreiben.«

Du verdammtes, perverses Dreckschwein.

Meine Wirbelsäule versteifte sich. »Ich lüge nicht. Ich bin Tess Snow. Aber ich werde auch bald Tess Mercer sein. Mein Verlobter hat mir bereits sein Vermögen überschrieben und ich habe das Recht, den Namen Mercer zu tragen.«

Er kniff die Augen zusammen und sein Gesicht zuckte nervös. »Mercer?«

Ich spürte einen Riss in seiner Gewissheit. Bitte, lass es einen Riss sein. »Ja, von Moineau Holdings. Franco hat Ihnen das doch bereits erklärt. Wenn Sie wissen, was es mit dem Unternehmen und dem Geschäftsführer auf sich hat, wäre es klug von Ihnen, mich und meinen Angestellten gehen zu lassen.«

Sergio lachte, strich sein Haar nach hinten und öffnete die Knöpfe seiner Uniformjacke. »Sind Sie sich da wirklich sicher, Miss Snow? Sie lügen mich doch nicht schon wieder an, oder?«

Ich knirschte mit den Zähnen. »Wie erklären Sie es sich, dass ich in einem der teuersten Hotels in Rom abgestiegen bin?» Ich verdrehte die Augen. »Haben Sie sich die Gästeliste überhaupt angesehen? Quincy Mercer – mein Verlobter – wird darauf stehen.«

Sergio ließ die Hände auf den Tisch sinken und faltete sie in einer drohenden Geste. »Sehen Sie, genau da stürzt Ihre hübsche Geschichte in sich zusammen. Ein Mann namens Joseph Roy hat am gestrigen Abend ohne Begleitung in die Suite eingecheckt.«

Die Luft in meiner Lunge verklebte und entwich dann mit einem Schlag. Natürlich würde Q nicht unter seinem richtigen Namen reisen. Nicht im Moment. Nicht solange er gejagt wurde.

Ich zuckte zusammen, als mich ein stechender Schmerz in meinem Herzen überrumpelte. Die Vorsichtsmaßnahmen, die er getroffen hatte, spielten keine Rolle – sie hatten ihn trotzdem mitgenommen.

Bleib am Leben. Bitte, bleib am Leben.

Ich stützte die Ellenbogen auf dem Tisch ab und presste die Stirn gegen meine Handflächen. Die Welt war einfach zu viel für mich. Ich hätte niemals geglaubt, dass ich mich wieder danach sehnen würde, eingesperrt zu sein, aber wenigstens hatte die Rolle der Entführten meinem Schicksal einen gewissen Luxus verliehen: Entweder ich überlebte oder ich starb. Ich war weder für das eine noch für das andere verantwortlich gewesen. Ich hatte nicht mit jeder Sekunde meines Versagens die Last einer ganzen Galaxie auf den Schultern gespürt.

Tick …

Tack …

Sergio kickte seinen Stuhl nach hinten und baute sich vor mir auf. »Wollen Sie irgendwelche Angaben ändern, die Sie hier gemacht haben? Das ist Ihre letzte Chance, mit Ihren Lügen aufzuhören, bevor ich meinen Bericht über Sie schreibe.«

Ich blickte auf. Ich hatte nicht die Kraft, etwas zu sagen. Ich schüttelte den Kopf.

Ohne ein weiteres Wort stapfte er davon.

Tick …

Tack …

Die Uhr neckte mich mit jeder verstreichenden Sekunde. Eine Minute verging, dann zehn, dann 20.