Domitian. Der römische Kaiser und seine Zeit - Ute Schall - E-Book

Domitian. Der römische Kaiser und seine Zeit E-Book

Ute Schall

3,8

Beschreibung

Der römische Kaiser Titus Flavius Domitianus (81 - 96 n. Chr.) wird selbst von der strengen Wissenschaft in einem Atemzug mit den größten Despoten der Weltgeschichte genannt. Von früher Jugend an fühlte sich Domitian seinem älteren Bruder Titus hintangesetzt. Er litt an Minderwertigkeitskomplexen, die erst seine eigene Thronbesteigung nach dem Tod des Bruders (dem er nach allgemeiner Ansicht nachgeholfen habe) vorübergehend kompensierte. Die überraschenden Züge seines Wesens könnten gegensätzlicher kaum sein: Sanftmut mischte sich mit beispielloser Grausamkeit, er war launenhaft, aufbrausend und schüchtern zugleich, von fast kindlicher Naivität und doch auch von messerscharfem Verstand, schon als Jüngling von großer Sehnsucht getragen und einem schier zügellosen Ehrgeiz geprägt. Zu Domitians bleibenden Verdiensten um das Römische Reich zählen die Einverleibung des Gebiets der Chatten und die Anlage des Obergermanischen Limes. Ute Schall nähert sich mit dieser Biografie dem "Rätsel" Domitian, seiner Kindheit und Jugend, die ganz im Schatten seines Bruders standen, dem lange ersehnten Aufstieg zur Macht und der allmählichen Entdeckung der Möglichkeiten, die sie ihrem Besitzer bietet, bis hin zu seinem tragischen Ende.

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Ute Schall

DOMITIAN

DER RÖMISCHE KAISER

UND SEINE ZEIT

Schall, Ute: Domitian. Der römische Kaiser und seine Zeit, Hamburg,

ACABUS Verlag 2011

Originalausgabe

ISBN: 978-3-86282-034-4

Die Buch-Ausgabe dieses Titels trägt die ISBN 978-3-86282-033-7 und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.

Lektorat: Marlene Schmidt/Claudia Müllerchen, ACABUS Verlag

Covermotiv: © Piotr Przeszlo - Fotolia.com; Büste Domitian: mit freundlicher Genehmigung der NY Carlsberg Glyptotek, Copenhagen

Umschlaggestaltung: ds, ACABUS Verlag

Der ACABUS Verlag ist ein Imprint der Diplomica Verlag GmbH,

Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© ACABUS Verlag, Hamburg 2011

Alle Rechte vorbehalten.

http://www.acabus-verlag.de

eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

Inhaltverzeichnis

Kindheit und Jugend

Die politische Lage bis 68 n. Chr.

Gefährliche Jahre

Ein jüdischer Seher und der Aufstieg eines neuen Geschlechts

Der Übervater

Bürger Vespasian

Das Amphitheatrum Flavium

Blut und Spiele

Neue Männer braucht das Land

Reformen

„… Keinen Besseren als Titus …“

Der Unglücksrabe

Domitian – Frühe Herrscherjahre

Herr und Gott – Domitian und seine Mitmenschen

Domitian und die Frauen

Der Bauherr und Selbstdarsteller Domitian

Schriftsteller und Geschichtsschreiber – Das geistige Leben in flavischer Zeit

Der Herrscherkult Domitians

Die Provinzen

Kriegsherr Domitian – Die Erschließung Britanniens

Eingliederung der Chatten, Unruhen an der Donau und in Ägypten

Der Limes und die neuen Provinzen

Die Donaukriege

Verschwörungen

Die stadtrömische Opposition und das consilium principis

„Es ist genug!“

Was bleibt

Anmerkungen

Bibliographie

Kindheit und Jugend

Wer war jener Mann, römischer Kaiser von 81 bis 96 n. Chr., den selbst die strenge Wissenschaft in einem Atemzug mit den größten Despoten der Weltgeschichte nennt, der gemeinhin mit Caligula und Nero in eine Reihe gestellt wird und der sich, folgen wir den antiken Quellen, schon zu Lebzeiten als „Herr und Gott“ anreden ließ?

Sein vollständiger Name war Titus Flavius Domitianus. Er war der letzte aus dem Geschlecht der Flavier, jener neuen, gleichsam aus dem Nichts aufgetauchten Dynastie, die in Rom das unrühmliche Dreikaiserjahr 69 n. Chr. beendet und dem Reich im ausgehenden ersten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung (die damals freilich noch nicht so genannt wurde, da die alten Götter noch herrschten) drei Herrscher geschenkt und das in seinen Grundfesten erschütterte Imperium Romanum gefestigt hatte: Vespasian und dessen Söhne Titus und Domitian.

Nur 27 Jahre blieben sie auf dem Thron, und es hieß, Vespasian habe für Ordnung und Geld gesorgt, Titus für Menschlichkeit und Spiele und der jüngste, Domitian, für Gerechtigkeit und Majestät.

„Vespasian war ein Bauer, der als Bauer starb, Titus ein Soldat, der als Menschenfreund verschied, und Domitian ein Kaiser, der ermordet wurde.“1

Titus Flavius Domitianus, dem vorliegende Lebensgeschichte überwiegend gewidmet ist, wurde am 24. Oktober des Jahres 51 n. Chr. – die Römer schrieben das Jahr 803 ab urbe condita (seit Gründung der Stadt) – in Rom geboren, und zwar „im sechsten Stadtbezirk in einem Haus in der Granatapfelstraße, das er später in den Tempel der Flavischen Familie umwandelte“2.

Der Dichter Martial, der zu Domitians Regierungszeit in Rom seine berühmten Epigramme schrieb und Triumphe feierte, drückte es im Dienste der Majestät poetischer aus:

„Dieser Boden hier, der jetzt ganz zutage liegt,

bedeckt mit Marmor und mit Gold,

hat einst die Kindheit unseres Herrschers erlebt

glücklich zu preisen, o!, da er von so erhabenem Geschrei

ertönte und die krabbelnden Händchen eines

solchen Kindes sehen und stützen durfte:

hier hatte das verehrungswürdige Haus gestanden,

das dem Erdkreis

eine (ebenso große) Gottheit geschenkt hat

wie (einst) Rhodos und Kreta dem bestirnten Himmel …“3

Doch ob poetisch oder prosaisch: Es ist überliefert, dass sich in der Nähe der alta semita, der Hauptstraße des Quirinals, dort, wo heute die Kirche S. Carlino liegt, ein templum gentis Flaviae, ein Tempel des Flavischen Geschlechts, befand. Er soll später sogar die sterblichen Überreste der flavischen Kaiser aufgenommen haben.4

Domitians Vater hieß Titus Flavius Vespasianus, seine Mutter Flavia Domitilla. Die Familie war arm und von dunkler Abstammung und sie konnte auf keine ruhmreichen Ahnen zurückblicken. Nicht einer der flavischen Vorfahren hatte die Würde des Konsulats erlangt, jenes neben dem Principat noch immer höchsten Staatsamts, das sich jährlich wechselnd zwei Männer aus Roms vornehmsten Kreisen teilten. Doch gehörte auch zu Beginn der neuen Zeitrechnung in Rom nur der zum inneren Kreis der Nobilität, der mindestens einen Konsul zu seinen Ahnen zählte. Aber es war nicht mehr ausgeschlossen, dass auch einem homo novus der Sprung in jene bislang eifersüchtig abgeschirmte Gesellschaftsschicht gelang, die, wenigstens zum Schein, noch immer alle Macht in Händen hielt.

Wenn das von Augustus eingeführte Principat, die Herrschaft des Ersten unter Gleichen, auch längst zum absoluten Machtinstrument ausgeartet war, so war und blieb die Würde eines Konsuls als höchste Auszeichnung, die Rom nach der kaiserlichen zu vergeben hatte, allezeit heiß begehrt.

Doch blickten auch die Flavier auf eine lange Familientradition zurück, die aber nicht unbedingt zu übermäßigem Stolz und erst recht nicht zu hochtrabenden Hoffnungen berechtigte. Die Angehörigen dieser gens stammten aus dem Sabinerland und hatten sich als Soldaten oder Beamte um das Reich verdient gemacht.

Mehr als 100 Jahre zuvor hatte Titus Flavius Petro, der Großvater des nachmaligen Kaisers Vespasian, als Centurio, Führer einer Hundertschaft, oder freiwilliger Veteran im Heer des Pompeius gedient, das im Bürgerkrieg 48 v. Chr. bei Pharsalos von den Truppen Caesars vernichtend geschlagen worden war. Petro war der Schlacht unbeschadet entkommen, nach Hause zurückgekehrt, begnadigt und aus der Armee entlassen worden, woraufhin er seinen Lebensunterhalt aus den Einzügen bei Versteigerungen bestritt.

Sein Sohn, der den Beinamen Sabinus trug, war Steuereintreiber in Vorderasien, „wo noch lange Statuen zu sehen waren, die, ihm zu Ehren von den Städten errichtet, die griechische Inschrift trugen: ‚Dem redlichen Zollbeamten‘“5. Offensichtlich erhob er das Hafengeld, das in Höhe eines Betrages von 2,5 v. H. des Wertes der Ladung zu entrichten war.

Später soll Sabinus, Vespasians Vater, bei den Helvetiern als Bankier gelebt haben und auch dort gestorben sein.

Es ging übrigens das Gerücht, Petros Vater sei dem leicht anrüchigen Broterwerb der Vermietung von Tagelöhnern nachgegangen, die alljährlich zur Feldarbeit von Umbrien ins Sabinerland kamen. Doch konnte der antike Biograf Suetonius Tranquillus, Sekretär unter Kaiser Hadrian (117–138 n. Chr.), – sein Werk über die ersten zwölf römischen Kaiser ist eine der Hauptquellen zur Erforschung der flavischen Zeit – hierfür keinerlei Beleg finden.

Titus Flavius Sabinus hatte zwei Söhne. Der ältere, der römischer Tradition gemäß wie sein Vater Sabinus hieß, war Präfekt von Rom. Der jüngere, Vespasian, bestieg 69 n. Chr. nach einer Verkettung für ihn glücklicher Umstände den Thron der Caesaren.

Kaiser Vespasians Mutter Vespasia Polla stammte aus weitaus angesehenerem Geschlecht, das im umbrischen Nursia beheimatet war. Ihr Vater, Vespasius Pollio, war drei Mal Militärtribun und Lagerkommandant, sein Sohn Senator im Range eines Prätors. An der Straße, die von Nursia nach Spoleto, der 241 v. Chr. zur Kolonie erhobenen Stadt Spoletium im südlichen Umbrien, führte, gab es im Altertum einen Ort namens Vespasiae. Dort bewahrten mehrere Denkmäler das Andenken der Vespasier und zeugten von Alter und Berühmtheit der Familie. In Spoleto selbst sind noch heute Reste eines Hauses von Vespasia Polla erhalten.6

Wie sich Titus Flavius Sabinus und Vespasia Polla fanden, ob ihre Ehe nach den Gepflogenheiten der Zeit von den Eltern arrangiert worden war, ist nicht bekannt. Das Ehepaar lebte in dem bescheidenen Dorf Falacrinae oberhalb von Reate im Sabinerland, wo ihr jüngerer Sohn Vespasian am 17. November 9 n. Chr., fünf Jahre vor Augustus’ Tod, das Licht der Welt erblickte. Seine Erziehung übernahm Tertulla, die Großmutter väterlicherseits, auf ihrem Landgut. „Das ist der Grund, weshalb er auch als Kaiser häufig diesen Ort, wo seine Wiege stand, besuchte und das Landhaus in seinem ursprünglichen Zustand beließ, damit er den gewohnten Anblick immer wiederfände.“7

War die alte Dame ihrer Schwiegertochter bei der Kindererziehung zur Hand gegangen? Lebten die Eltern zu dieser Zeit bereits in Helvetien und zogen es vor, das Kind in seiner vertrauten Umgebung und in der Wärme Italiens zu lassen? Wir wissen es nicht. Fest steht nur, dass Vespasia Polla ihren Gatten überlebte, der ihr die beiden Söhne hinterließ.

Teuer waren Kaiser Vespasian nicht nur die Stätten seiner Kindheit und Jugend. Auch das Andenken seiner Großmutter hielt er zeitlebens in Ehren. So pflegte er beispielsweise an Festtagen und bei Feiern stets aus dem silbernen Becher zu trinken, den sie ihm vererbt hatte.

Bereits in jungen Jahren scheint der nachmalige Kaiser Vespasian, dessen Bescheidenheit später beinahe sprichwörtlich war, keinen großen Wert auf besondere Ehrungen gelegt zu haben, zumal nicht auf solche, die er sich nicht im wahrsten Sinne des Wortes verdient hatte. So weigerte er sich über längere Zeit, beim Anlegen der Männertoga auch den breiten Purpurstreifen anzunehmen, den sein Bruder schon lange stolz trug. Längst war diese Auszeichnung, früher ein Privileg des städtischen Senatsadels, auch auf die Söhne angesehener Ritter ausgedehnt worden, und als solcher dürfte der „redliche Zollbeamte“ Titus Flavius Sabinus durchaus gegolten haben. Vespasians Mutter, eine offensichtlich kluge und äußerst diplomatische Frau, gelang es schließlich, auch ihren jüngeren Sohn zur Annahme zu überreden – nicht durch Bitten oder Befehle, von deren Aussichtslosigkeit sie sicherlich überzeugt war, sondern durch spöttische Bemerkungen, in denen sie Vespasian als Lakaien seines Bruders bezeichnete.

Anders als sein Vater schlug Vespasian die militärische, später die politische Laufbahn ein, die in der Regel durch erstere bedingt war. Er wurde Militärtribun bei den Kämpfen in Thrakien und erhielt als Quästor die Provinzen Creta und Cyrene. Mit der Quästur, der niedersten Stufe im cursus honorum, waren Sitz und Stimme im Senat verbunden.

Dann bewarb er sich um das Amt des Ädilen und später erfolgreich um die Prätur. Vespasian hatte den immer noch schwierigen Durchbruch der eifersüchtig gehüteten Gesellschaftshierarchie geschafft. Vielleicht war ihm dabei ja sein gutes Einvernehmen mit Kaiser Caligula (37–41 n. Chr.) zu Hilfe gekommen, dem er bei jeder ihm günstigen Gelegenheit schmeichelte.

Dieser hatte ihn sogar einer Einladung zum Gastmahl gewürdigt, wofür sich Vespasian vor dem Senat beim Kaiser bedankte. Es war sein Glück, dass Caligula 41 n. Chr. einer Palastrevolte zum Opfer fiel. So blieb keine Zeit, die Harmonie der beiden Männer zu trüben.

Der hoffnungsvolle Aufsteiger, der trotz Ehrgeiz und Erfolg immer bescheiden bleiben und sich seiner verhältnismäßig einfachen Herkunft nie schämen sollte, heiratete in jungen Jahren Flavia Domitilla, die eine bewegte Lebensgeschichte hinter sich hatte. Sie hat für einen ehrgeizigen jungen Mann sicherlich nicht als besondere Partie gegolten. Es muss sich also um eine damals seltene Liebesheirat gehandelt haben.

Domitilla war die frühere Geliebte des römischen Ritters Statilius Capella aus Sabrata in Nordafrika, die nicht einmal das römische, sondern nur das latinische Bürgerrecht besaß. Erst später wurde sie, vielleicht wegen der Aussicht auf Einheirat in die flavische Familie, von einem frei geborenen Römer als Tochter anerkannt, was ihren Status erheblich aufwertete. Dennoch muss die Ehe glücklich gewesen sein, Nachteiliges ist jedenfalls nicht bekannt. Domitilla schenkte ihrem Gatten drei Kinder, Titus, Domitianus und die Tochter Domitilla. Sie und ihre Mutter starben, noch ehe Vespasian Kaiser geworden war.

Folgen wir dem antiken Biografen Suetonius Tranquillus, so hatte sich Vespasian die Herrschaft seines Geschlechts schon früh in Zeichen angekündigt, die zu den größten Hoffnungen berechtigten: Auf seinen Ländereien wuchs eine alte, dem Kriegsgott Mars geweihte Eiche. Bei jeder der drei Geburten spross ihr ein neuer Ast: Der erste war zwar schwach und verdorrte bald, was auf das Schicksal des von Domitilla geborenen Mädchens hindeutete. Tochter Domitilla wurde nicht einmal ein Jahr alt. Der zweite Ast, der bei Titus’ Geburt trieb, war lang und stark und ließ künftiges Glück ahnen. Der dritte gar glich in seinem Umfang einem ganzen Baum. Kein Römer jener Zeit, der in diesen Zeichen der Natur keine günstigen Omina gesehen hätte!

Vespasians Vater Sabinus muss die Geburt seiner Enkel noch erlebt haben. Er zog nämlich noch einen Eingeweidebeschauer zu Rate – auch das ganz im Einklang mit den Gepflogenheiten der Zeit –, der ebenfalls ein günstiges Schicksal für die Flavier voraussagte. In überschwänglicher Freude teilte Flavius Sabinus daraufhin seiner greisen Mutter mit, ihr sei ein Nachkomme geboren worden, der einst das höchste römische Staatsamt erringen werde. Aber sie lachte ihn nur laut aus und gab ihrer Verwunderung darüber Ausdruck, dass sie selbst als alte Frau noch über einen klaren Verstand verfüge, während ihr soviel jüngerer Sohn den seinen offenbar bereits verloren habe.

Vespasian heiratete nach Domitillas Tod nicht mehr. Er wollte möglicherweise seinen Söhnen eine Stiefmutter und weitere Geschwister ersparen, um die Erbschaftsverhältnisse nicht zu verwirren. Aber er nahm seine frühere Mätresse Caenis, Freigelassene und Schreiberin Antonias, der Mutter des Kaisers Claudius, ins Haus, wo diese, nachdem Vespasian auf den Thron gelangt war, fast die Stellung einer rechtmäßigen Gattin einnahm.

Als Domitian 51 n. Chr. unter der Herrschaft des Kaisers Claudius zur Welt kam, erhielt sein Vater „das Consulat, das er während der letzten zwei Monate des betreffenden Jahres ausübte“8. Er war also nur consul suffectus (wegen des Wegfalls eines der Amtsinhaber so genannter nachgewählter Konsul), der nach der ungeschriebenen Verfassung Roms viel weniger als der consul ordinarius galt. Die Ernennung war dennoch erstaunlich, und ohne einflussreiche kaiserliche Ratgeber wäre Vespasian wohl nie so hoch gestiegen.

So war er auf Empfehlung des Narcissus, des Freigelassenen am claudischen Hof, der alle Fäden zog und dem Kaiser Claudius blind vertraute, als Legionskommandant nach Germanien und von dort in den Jahren 43 bis 44 n. Chr. nach Britannien geschickt worden, wo er an 30 größeren Schlachten teilgenommen und neben zwei Volksstämmen etwa 20 Städte unterworfen hatte. Für seine Verdienste billigte man ihm zu Hause nicht nur die Triumphalzeichen zu, sondern man bedachte ihn auch mit zwei Priesterstellen und dem Konsulat, was wahrscheinlich mehr war, als er erwartet hatte. Dann zog er sich für einige Jahre von der politischen Bühne zurück. Er hatte wohl Angst vor Neros Mutter Agrippina, die auf ihren jugendlichen Sohn größten Einfluss ausübte und Vespasian als Freund ihres Gegenspielers Narcissus auch über dessen Tod hinaus hasste.

Erst nach dem Tod der Kaiserinmutter, die 59 n. Chr. auf Veranlassung ihres Sohnes ermordet worden war, kehrte Vespasian in die Öffentlichkeit zurück. Nero schickte ihn als Prokonsul in die nordafrikanische Provinz Cyrene, die etwa dem heutigen Libyen entsprach. Anders als die meisten anderen Statthalter missbrauchte er dieses Amt aber nicht dazu, sich zu bereichern und seine Finanzen zu gesunden. Seine Uneigennützigkeit erwarb ihm allseitige Achtung. Dafür waren seine eigenen finanziellen Mittel derart zusammengeschrumpft, dass er nach der Rückkehr nach Rom alle seine Güter seinem Bruder verpfänden und sich selbst als Maultierhändler durchschlagen musste. Dies brachte ihm beim Volk prompt den Spitznamen „Maultiertreiber“ ein, was ihn jedoch nicht besonders gestört zu haben scheint. Erst 66 n. Chr., als er im Gefolge Kaiser Neros nach Griechenland reiste, war seine Unglückssträhne überwunden, wenn er sich dort auch vorübergehend den Unmut der kaiserlichen Majestät zuzog.

Vespasian war ein Mann des Krieges und anders als seine Söhne den schönen Künsten nicht sonderlich zugetan. Kein Wunder also, dass ihn in Griechenland Neros Gesangskunst nicht erreichte. Der junge Kaiser aber war zu keinem anderen Zweck über das adriatische Meer gereist, als sich in der Heimat der Musen als Künstler mit Lyra und Stimme Anerkennung zu verschaffen.

Der General brachte dafür wenig Verständnis auf. Wenn er an den kaiserlichen Auftritten in verschiedenen Theatern überhaupt teilnahm, so schlief er meistens ein, was Nero verständlicherweise aufs tiefste beleidigte. Er fiel schließlich in Ungnade und wurde nicht nur aus der näheren Umgebung des Kaisers entfernt, sondern auch von den öffentlichen Empfängen bei Hofe ausgeschlossen. Dass ihn Nero nicht ganz verbannte oder gar wegen Majestätsbeleidigung anklagen und hinrichten ließ, mag darauf hinweisen, dass sich der Kaiser als Künstler wohl selbst nicht ganz ernst nahm.

Um dem Zorn des Tyrannen nicht gänzlich zu verfallen, zog sich Vespasian in eine kleine abgelegene Stadt zurück und tat das Klügste, was man in seiner Lage tun konnte: Er wartete ab.

Im nahen Osten waren in der Grenzprovinz Judäa schwere Unruhen ausgebrochen, die das Eingreifen eines erfahrenen und energischen Oberbefehlshabers über die römischen Truppen erforderten. Hartnäckig hatte sich in diesem Teil des Römischen Reiches der Glaube behauptet, das Schicksal habe einen aus Judäa gebürtigen Mann dazu ausersehen, die Weltherrschaft zu erlangen, eine Voraussage, die die Juden mit ihren Jahrhunderte alten Messiaserwartungen verknüpften. Sie begehrten gegen das römische Joch auf und versuchten, es abzuschütteln.

Anfangs nahm die römische Führungsschicht die Unruhen wenig ernst. Judäa war nur ein unbedeutender Fleck auf der riesigen Landkarte des Römerreichs, und es lag vom Zentrum der Macht zu weit entfernt, als dass man es als bedrohliche Gefahr betrachtet hätte. Aber die Unzufriedenheit der Juden wuchs; sie begehrten auf, und nicht zuletzt wegen des Ungeschicks der römischen Statthalter – man hatte es für überflüssig gehalten, wirklich fähige Männer in den entlegenen Winkel zu schicken – drohte bald ein Flächenbrand, der dem Bestand des Römertums hätte gefährlich werden können.

Im fernen Griechenland versuchte Kaiser Nero, sich von den schlimmen Nachrichten die Stimmung nicht verderben zu lassen und seine Bestürzung gelassen zu überspielen. Aber er war tief beunruhigt und überlegte, wem er den aufgebrachten Osten anvertrauen könnte, um die Juden zu bestrafen und sich deren Nachbarvölkern zu versichern, die vom Bazillus des Aufruhrs schon angesteckt waren. Da schien ihm nur Vespasian, der im Kriegsdienst aufgewachsen und ergraut war, geeignet, die schwierige Aufgabe zu übernehmen. Ihm sollte sein älterer Sohn Titus zur Seite stehen.

Eine Tatsache mochte Neros Entscheidung begünstigt haben: Ein erfahrener Heerführer, der über zwei Legionen und mehrere Hilfstruppen verfügte, stellte immer auch einen potentiellen Thronrivalen dar, eine Gefahr, die ihm bei dem aus einfachen Verhältnissen stammenden Vespasian ausgeschlossen zu sein schien.

Roms Krieg gegen die Juden war dann ein sich lange hinziehender Konflikt, dessen Beendigung noch vom Kampf um den Caesarenthron in Rom selbst hinausgezögert wurde und aus dem schließlich die Flavier als Sieger hervorgehen sollten.

Als Vespasian den Oberbefehl im römisch-jüdischen Krieg übernahm, war sein jüngerer Sohn Domitian gerade 15 Jahre alt, befand sich also in einem Lebensabschnitt, in dem ein junger Römer die toga virilis, die Männertoga, anlegte und damit in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen wurde.

Der Übergang ins Erwachsenenalter war mit strengen rituellen Bräuchen verbunden. Das Ablegen der purpurverbrämten Knabentoga und das Anlegen der Männertoga war ein festliches Ereignis, der Höhepunkt im Leben eines jungen Römers, vergleichbar mit Erstkommunion oder Konfirmation im christlichen Brauchtum. Verwandte und Freunde waren eingeladen. Zur Weihe des Tages wurde den häuslichen Schutzgöttern, den Laren, geopfert. Dann begleiteten die Gäste den iuvenis, den jungen Erwachsenen, in feierlicher Prozession auf das Forum. Der Zug wurde vom Vater oder vom Vormund angeführt. Aber erst, wenn der Jüngling dort in die Liste der kriegsfähigen Männer eingetragen war, war die Mündigkeitserklärung vollzogen. Der neue Bürger durfte von da an drei Namen führen, in unserem Fall Titus Flavius Domitianus.

Es ist anzunehmen, dass die traditionsbewussten Flavier auf die strenge Einhaltung dieser alten Bräuche geachtet haben.

Mündigkeitserklärungen wurden in der Regel am Festtag der Liberalia (17. März) unter der erwachenden Frühlingssonne vollzogen. Mochten sie einflussreichen Patriziersöhnen Tür und Tor für eine glänzende Zukunft öffnen, bei Domitian deutete noch nichts auf eine glückliche Fügung des Schicksals hin.

Über Kindheit und Jugend unseres Protagonisten ist wenig bekannt. Suetonius Tranquillus spricht von beschämender Armut, in der Domitian diesen Lebensabschnitt angeblich verbracht hat, aber er beruft sich auch hierbei auf das Zeugnis anderer und übernimmt dafür keine Gewähr.9

Fest steht, dass Domitians Vater, nachdem er als Statthalter aus der Provinz Africa heimgekehrt war, über keinerlei Geldmittel verfügte. Das wenige, das der Familie zur Verfügung stand, wurde auf Titus’ sorgfältige Erziehung und Ausbildung verwendet, des zehn Jahre älteren, glänzend begabten Bruders Domitians. Für den jüngeren, kaum weniger begabten Flaviersohn blieb nichts übrig, worüber er sich gelegentlich bitter beklagte.

Wie wuchs Domitian heran? Wie gestaltete sich vor allem seine Erziehung? Wie so oft schweigen hierüber die antiken Quellen, und wir können nur von der allgemeinen Praxis auf den besonderen Fall schließen.

Die römischen nobiles verpflichteten für ihre Sprösslinge Privatlehrer, unter denen Männer aus Griechenland, der Schatztruhe aller römischen Erfahrungen, besonders beliebt waren. Es ist aber kaum anzunehmen, dass die finanziellen Mittel der Flavier, deren Familienoberhaupt den Unterhalt aus Viehhandel bestritt, ausreichten, einen oder gar mehrere Hauslehrer zu beschäftigen. Doch gab es zu damaliger Zeit öffentliche Schulen mit ausgezeichnetem Ruf, freilich noch keine geräumigen Schulhäuser. Der Unterricht fand in kleinen Räumen statt, wenn es die Witterung zuließ, sogar im Freien. Solche öffentlichen Lehranstalten, die ludi, waren in der Regel für Minderbemittelte eingerichtet. Aber sie waren so stark frequentiert, dass man in Rom kaum Analphabeten fand.

Der Lehrer, der das Grundwissen zu vermitteln hatte, hieß grammaticus. Bei ihm wurde vor allem die richtige Aussprache der lateinischen Sprache geübt, die der Römer als schwierig empfand.

Das Schreiben lernten die Kinder, Jungen und Mädchen gleichermaßen, auf kleinen Holztäfelchen, die mit farbigem Wachs überzogen waren. In dieses wurden mit spitzen Griffeln Buchstaben und Worte geritzt. Mit dem spachtelförmigen Ende des Werkzeugs konnte man das Geschriebene wieder glätten.

Ein fundiertes Wissen um das Griechentum galt allen römischen Rittern und Patriziern als Bildungspflicht. (Frauen war diese höhere Ausbildung in der Regel verwehrt.) Zunächst wurde die griechische Sprache gelernt, erst anhand lateinischer Übersetzungen, dann an Originaltexten. Homers Odyssee diente dabei als bevorzugtes Lehr- und Lernmittel. Die Kenntnis der Sprache war Voraussetzung für die Beschäftigung mit griechischer Philosophie und Literatur. Und sie war notwendig für einen Aufenthalt in Griechenland selbst, wohin jeder gebildete Römer wenigstens einmal im Leben reisen sollte.

Nicht im Römertum hatten Gelehrsamkeit und die Lehre der Weisheit ihre Geburtsstätte. Das Natur- und Bauernvolk der Römer war von Anfang an der Scholle und dem Schwert verbunden, ordnete seit jeher menschliches Zusammenleben nach Recht und Gesetz. Trotzdem oder gerade deshalb bewunderten die Römer das Griechentum. Die Stoa, die von Zenon 300 v. Chr. in Athen ins Leben gerufene Lehre von Bescheidenheit und Askese, reifte in Rom zu letzter Vollendung. Das Volk der Waffen schmückte seinen grauen Alltag mit Gedichten und stellte sich mit Vergils Aeneis kühn neben Homers heroische Epen. Große Historienschreiber wie Tacitus oder der Jüngere Plinius, die beide unter Domitians Regierung lebten und wirkten, sollten bleibenden Ruhm erringen.

Aber der Römer kannte durchaus die Grenzen seiner Begabung. Er wusste um die nüchterne Schlichtheit seines Wesens. Denn er hatte längst erfahren und bitter erfahren, dass er Griechenland zwar mit dem Schwert bezwungen hatte, seiner Kunst und Kultur jedoch nur mit der sprach- und machtlosen Bewunderung des Staunenden gegenüberstehen konnte. Und er hatte in weiser Voraussicht diese Kunst nicht zerstört, sie vielmehr übernommen, „in verzückter Andacht gehegt und als heiliges Erbe weitergegeben an die kommenden Jahrhunderte“.10 So blieb durch die Vermittlerrolle Roms vieles erhalten, was in den Wirren der Zeiten vielleicht für immer verloren gegangen wäre, wenn das Erhaltene auch eine gröbere und härtere Form aufweist.

Griechisches Kulturgut glich einer unerschöpflichen Quelle. In ihm lagen die Wurzeln der zivilisierten Menschheit, jedenfalls, was bis dahin greifbar war. Nichts gab es im gegenwärtigen Rom, was es nicht schon einmal dort gegeben hätte. Alles, was in Rom geschah, das Gute wie das Böse, Tugend und Laster, Mäßigung und Ausschweifung, hatte im Griechischen seine großen Vorläufer. So sprach der durchschnittlich gebildete Römer schon seit Generationen Latein und Griechisch fließend nebeneinander. Und Quintilian, der große Philologe der flavischen Ära, trat sogar dafür ein, dass Griechisch in den Schulen bevorzugt gelehrt werden müsse, da die Kinder die lateinische Muttersprache ohnehin von zu Hause mitbrächten.

Latein und Griechisch waren also die Kommunikationsmittel der zivilisierten Welt. Hinter deren Grenzen lebten die unverständlich sprechenden Barbaren, die es immer wieder von den Segnungen der mediterranen Stadtkultur, was immer man im Zentrum der Macht darunter verstehen mochte, zu überzeugen galt.

Domitian hatte trotz seiner bescheidenen Mittel zweifellos eine umfassende Bildung erworben. So verfasste er schon als junger Mensch Gedichte. Als Thronanwärter förderte er Wissenschaft, Literatur und Kunst. Auch die unter seiner Schirmherrschaft als Kaiser errichteten Bauten, seine umsichtige Reichsverwaltung und sein Gerechtigkeitssinn lassen zumindest in den ersten Jahren seiner Herrschaft einen regen, wenn auch vielleicht nicht überragenden Geist erkennen.

Lag die geistige Erziehung des Kindes in der Regel bei der Mutter oder besonderen Erziehern, so hatte der Vater für die körperliche Ertüchtigung seines männlichen Nachwuchses zu sorgen. Hierfür stand allen Römern das Marsfeld kostenlos zur Verfügung. Dort konnte man sich im Diskuswerfen, Laufen und Springen, im Ringen, Reiten und Schwimmen üben.

Es ist anzunehmen, dass sich Vater Vespasian auch an diese Gepflogenheiten, die alter Vätersitte entsprachen, hielt.

Die politische Lage bis 68 n. Chr.

Im Rom des Jahres 51 n. Chr., zu der Zeit von Domitians Geburt, saß der vorletzte Vertreter der julisch-claudischen Dynastie auf dem Thron, der als Kaiser Claudius in die Geschichte einging.

Tiberius Claudius Drusus Nero Germanicus, wie sein offizieller Name lautete, galt lange als körperlich und geistig zurückgeblieben, da ihn besonders in seiner Kindheit und Jugend hartnäckige Krankheiten quälten, die seine Entwicklung behinderten. Folgen wir den antiken Quellen, sprach selbst seine Mutter, die jüngere Antonia, von ihm als von einem Menschen, den die Natur nur begonnen, aber nicht vollendet habe, „und wenn sie jemand für besonders dumm hielt, sagte sie, er sei blöder als ihr Sohn Claudius“1.

So hatte er vor allem als Kind keinen leichten Stand. Die ganze Familie schämte sich seiner und verbarg ihn lange vor den Blicken einer neugierigen Welt. Als man ihn jedoch nicht länger im Palast verstecken konnte, da die ersten öffentlichen Ämter seiner harrten – er war immerhin Mitglied des Kaiserhauses –, stellte sich bald heraus, dass Claudius so zurückgeblieben gar nicht war. Er, der im privaten Kreis wegen seines Stotterns zu einer vernünftigen Konversation nicht fähig zu sein schien, zeichnete sich draußen durch fundierte Reden und sicheres Auftreten aus, was besonders seinen Großonkel, Kaiser Augustus, in Erstaunen versetzte. Sollte man sich in diesem Menschen etwa getäuscht haben? Schlummerten in ihm vielleicht sogar Begabungen, die man bislang nur noch nicht entdeckt hatte?

In jedem Fall hätte niemand vorauszusagen gewagt, dass der vermeintlich behinderte Claudius den Thron der Caesaren besteigen und dort keineswegs zu den schlechtesten Reichsverwaltern gehören würde.

Als Claudius 10 v. Chr. geboren wurde, herrschte Kaiser Augustus. Als er 23 Jahre alt war, folgte jenem dessen Stief- und Adoptivsohn Tiberius auf den Thron (14–37 n. Chr.). Und im Jahr 37 n. Chr. fiel die Regentschaft schließlich Gaius Caligula zu, Claudius’ jungem Neffen, der sich bald zu einem Tyrannen schlimmster Prägung entwickelte und vor allem potentielle Thronrivalen mit abgrundtiefem Hass verfolgte.

In dieser für ihn hoch gefährlichen Zeit besann sich Claudius wieder der Rolle des schwachsinnigen Trottels, die er zum Selbstschutz am Hofe des Verwandten so überzeugend zu spielen wusste, dass ihn dieser weitgehend unbehelligt ließ.

Als dann Caligula 41 n. Chr. einer Palastrevolte zum Opfer fiel, gelangte Claudius durch eine Reihe für ihn glücklicher Umstände auf den Thron. An seiner Inthronisierung maßgeblich beteiligt war Agrippa I., König der Juden, der sich gerade zu einem Freundschafts- und Staatsbesuch in Rom aufhielt. Ihm gelang es, den zögernden Claudius, der sich nach dem Attentat auf seinen Neffen im Palast hinter einem Vorhang versteckt hatte, um von den revoltierenden Prätorianern nicht entdeckt zu werden und das Schicksal Caligulas zu teilen, zur Annahme der Kaiserkrone zu überreden.

Einmal zu Amt und Würden gelangt, fand Claudius bald zu seiner schon früher gelegentlich unter Beweis gestellten Selbstsicherheit zurück. Bescheidenheit und würdiges Benehmen sicherten ihm die Volksgunst, die er allerdings durch manche Ungeschicklichkeit ebenso rasch wieder verlor.

Wie seine beiden Vorgänger Tiberius und Caligula regierte er anfangs umsichtig und gerecht, ließ sich aber bald durch Einflüsterungen schlechter Ratgeber beeinflussen. Weniger als die seines Neffen artete jedoch seine Tyrannis aus, vielleicht, weil er es vorzog, sich nach und nach von den Regierungsgeschäften zurückzuziehen und das Schicksal Roms und der Römer anderen zu überlassen.

Seine große Leidenschaft waren Frauen, deren berüchtigste Vertreterinnen er als Ehefrauen in sein Bett holte: Die leidenschaftliche Messalina, die ihm zwei Kinder, Britannicus und Octavia, gebar und der der Volksmund einen unmoralischen Lebenswandel nachsagte. Angeblich verdingte sie sich als Prostituierte in Roms Lupanaren und war dort als Liebesdienerin äußerst begehrt. Und die ehrgeizige Agrippina, seine Nichte, von der man außer einer übertriebenen Strebsamkeit nichts Nachteiliges zu berichten wusste. Doch soll sie immerhin ihren zweiten Gatten, Gaius Crispus, vergiftet haben, um sich seines unermesslichen Vermögens zu bemächtigen.

Agrippinas fast krankhafter Ehrgeiz war es dann auch, dem ihr kaiserlicher Gemahl und schließlich sie selbst zum Opfer fielen. Sie brauchte seinen Platz für Nero, ihren in die Ehe mitgebrachten nichtswürdigen Sohn.

Allzu bereitwillig überließ Claudius, wie gesagt, das Regieren anderen, seiner Frau Agrippina und den beiden Freigelassenen Pallas und Narcissus, um sich ganz seiner wahren Neigung und vermeintlichen Bestimmung, der Geschichtsschreibung, zu widmen. Der Ältere Plinius zitierte ihn sogar mehrmals in dieser Hinsicht als Autorität.

In der Tat scheinen seine historischen Kenntnisse und Betrachtungen überragend gewesen zu sein. Er verfasste Geschichtswerke über Etrurien, Karthago und Rom (Letzteres begann mit den Wirren nach Caesars Ermordung), die einen regen Geist erkennen lassen. Seine Bildung entsprach dem Ideal der Zeit. So beherrschte er Latein und Griechisch fließend nebeneinander. Aber womit, wenn nicht mit Geschichte, Literatur und Kunst, hätte er, den man stets von allen Staatsgeschäften fern gehalten und nie auf seine Rolle als Kaiser vorbereitet hatte, sich auch beschäftigen sollen?

Er starb 54 n. Chr. im Alter von 63 Jahren wahrscheinlich an Gift, das ihm seine vierte Gattin, Agrippina, in einem Pilzgericht – er liebte Pilze über alles – hatte verabreichen lassen. Sein Stiefsohn Nero bemerkte später, Pilze müssten eine Götterspeise sein, da sie Claudius zum Gott befördert hätten …

Nicht Britannicus, sein leiblicher Sohn, sondern Nero, den er auf Agrippinas Drängen an Sohnes statt angenommen hatte, folgte ihm auf den Thron. Er war jung, zu jung, um die wachsende Last eines sich noch immer vergrößernden Reiches tragen zu können, und er war zu verwöhnt, um zu begreifen, dass es einem Herrscher gut ansteht, sich zu bescheiden und sich mehr um das allgemeine als um das eigene Wohl zu kümmern. Nach den albtraumhaften Erfahrungen mit Tiberius und Caligula ging Rom und besonders seine oberste Schicht erneut einer Schreckensherrschaft entgegen.

Wie bei den genannten Vorgängern ließ sich Neros Regierungspolitik zunächst gewaltfrei an. Er war von keinem Geringeren als dem Philosophen Seneca, unter dem in Rom die Lehre der Stoa zu letzter Vollendung reifte, erzogen worden, und Nero zeigte sich besonders von dem Aufsatz De clementia seines berühmten Lehrers angetan. So äußerte er angeblich, als er einmal das Todesurteil eines Verbrechers bestätigen musste: „Oh, hätte ich doch nie schreiben gelernt!“

Doch leider hatte die Philosophie nie zu seinen bevorzugten Lernfächern gehört. Seine Mutter erachtete sie für einen künftigen Kaiser als überflüssig, ja verderblich, und verpflichtete Seneca, sich insofern gegenüber seinem Schüler zurückzuhalten. Überhaupt hatte die Kaiserin in der Erziehung ihres Sohnes versagt, obwohl sie dessen negative Eigenschaften erkannt haben musste. Wurde der Junge von Seneca getadelt, lief er zur Mutter, die ihn in übertriebener, ja blinder Liebe in Schutz nahm. Sein eigener Vater, Gnaeus Domitius Ahenobarbus, hatte anlässlich der Glückwünsche zur Geburt des einzigen Kindes, das er mit Agrippina hatte, geäußert: „Unmöglich kann von mir und der ein gutes Früchtchen stammen.“2 Eine prophetische Voraussage, die sich nur allzu bald bewahrheiten sollte.

Doch noch war es nicht soweit. Zunächst erkannte Nero, dass er wegen seiner Unreife der ihm zugefallenen Aufgabe noch nicht gewachsen war. So war er dankbar, dass ihm seine Mutter die Regierungsverantwortung weitgehend abnahm. Sie empfing Gesandtschaften und ließ auf die kaiserlichen Münzen neben dem Bildnis ihres Sohnes das eigene prägen. Vieles erinnerte an die Zeit nach Augustus’ Tod, als dessen Witwe Livia Drusilla glaubte, in den Staatsgeschäften mitmischen zu müssen, wenn auch ihr Sohn, Kaiser Tiberius, ein über 50-jähriger reifer Mann mit langjähriger Regierungserfahrung war. „Die Lage Roms schien sich nun zu wiederholen: Der an die Spitze der Staatsführung gelangte Adoptivsohn, daneben die Mutter, deren Einfluss allerdings, da der jetzige Herrscher, ein 17-jähriger Jüngling, Wachs in den Händen einer dominierenden Frau war, ein ganz anderes Gewicht bekam als seinerzeit unter Livia“3. Agrippina trug übrigens, seit ihr Gatte Claudius sein Stiefkind Nero an Sohnes statt angenommen hatte, den Titel Augusta, und war damit nach Livia die zweite Frau der römischen Geschichte, der dieser zuteil geworden war.

„Umgewandelt war von nun an der Staat“, stellt der Geschichtsschreiber Tacitus fest, „und alles war einer Frau hörig, die nicht mutwillig wie Messalina mit Rom ihr Spiel trieb. Stark und gleichsam männlich war die Knechtschaft. Nach außen hin gab sie sich streng, häufig auch hochmütig; in ihrem Privatleben aber verstieß sie nur dann gegen Sitte und Moral, wenn es dem Erhalt ihrer Herrschaft diente.“4

Schon lange duldete die römische Gesellschaft, dass Frauen auf die Politik ihrer Männer einwirkten, verwehrte ihnen aber noch immer beharrlich, in der Öffentlichkeit in Erscheinung zu treten. Wäre es ausschließlich nach Agrippina gegangen, hätte sich auch das geändert. So erschien eines Tages eine Gesandtschaft aus Armenien, der eine Audienz beim Kaiser gewährt wurde. Schon schickte sich die hohe Frau an, sich neben ihrem Sohn niederzulassen. Die Zeugen dieser Szene hielten den Atem an. Selbstbewusst näherte sich die Kaiserin „dem Tribunal, und niemand wagte, sie aufzuhalten, als Seneca geistesgegenwärtig Nero einen Wink gab, dass er seiner Mutter entgegengehen müsse. Die Sitzung wurde aufgehoben, der Skandal vermieden, aber dieser Zwischenfall war das Vorspiel einer langen Krise …“5 Es verwundert kaum, dass das Verhältnis von Mutter zu Sohn und umgekehrt daraufhin merklich abkühlte.

Aber da war noch ein weiterer Thronanwärter, Britannicus, der leibliche Sohn des verblichenen Fürsten, dessen bloße Gegenwart dem jungen Nero ein Dorn im Auge war. Ihn benutzte Agrippina als Druckmittel, was ihrem Sohn nicht entging und dessen Entschluss, sich von dem lästigen Nebenbuhler zu befreien, beschleunigte. Gehorchte das „Früchtchen“ nicht, ließ die gestrenge Mutter durchblicken, werde sie es ebenso schnell stürzen, wie sie es erhoben habe, und an seiner statt den wahren Erben auf den Thron setzen, eben jenen ungeliebten Sohn des Kaisers Claudius, Britannicus. Ausführlich schildert Sueton, wie Nero den unglücklichen Stiefbruder – angeblich aus Eifersucht auf dessen schöne Stimme – bei einem Gastmahl vergiftete und bei strömendem Regen ohne jegliche Feierlichkeit beisetzen ließ. Der Giftmord wurde vom gerissenen Kaiserlein übrigens als epileptischer Anfall mit tödlichem Ausgang „betrauert“.

Nero glaubte, seiner Stellung noch weitere Opfer schuldig zu sein. Unter dem Einfluss seiner Geliebten und späteren Gattin, der römischen Adligen Poppaea Sabina, die es sich in den Kopf gesetzt hatte, selbst Kaiserin zu werden, beschloss er, sich der lästigen Mutter zu entledigen. Aber wie sollte sie beseitigt werden, ohne dass die Tat Verdacht erregte? Etwa durch Gift an der Tafel des Sohnes? War nicht schon Britannicus auf diese Weise ums Leben gekommen, und hätte dort ein wie zufällig erscheinender Tod der Augusta nicht erst recht für Gerede gesorgt? Im Übrigen war bekannt, dass die äußerst kluge und vorsichtige Frau seit Jahren durch die Einnahme von Gegengiften vor jedem Giftanschlag gefeit war. Ein Versuch wäre also wenig Erfolg versprechend gewesen. Würde man sich für den Tod durch das Schwert entscheiden? Fände sich aber überhaupt jemand, der zur Ausführung des Attentats bereit war? Agrippina war immerhin die Tochter des überaus beliebten Feldherrn Germanicus, dessen Andenken in Rom noch sehr lebendig war.

Nero war nahe daran, seinen Plan aufzugeben, und hätte ihn nicht Poppaea Sabina immer wieder gehänselt und ihn ein Muttersöhnchen genannt, hätte er von seinem Vorhaben wahrscheinlich ganz abgelassen. Ein Mündel nannte sie ihn zudem scherzhaft, einen, der nicht nur keine Herrschaft, sondern nicht einmal die Freiheit besäße, sich von seiner ungeliebten Octavia, Kaiser Claudius’ Tochter, scheiden zu lassen, um sie, die Königin seines Herzens, zu heiraten. „Missfällt dir etwa meine Gestalt oder der Ruhm meiner Ahnen? … Oder liegt es daran, dass deine Mutter nur eine Schwiegertochter zu ertragen vermag, die gegen ihren Sohn arbeitet?“ Lieber wolle sie weit weg von Rom leben, wo sie „des Imperators Schmach doch nur zu hören und nicht tagtäglich mit ansehen müsse“. Ihre Vorwürfe verstand sie durch Tränen geschickt zu untermauern, und es trat keiner gegen ihre Hetze auf, „da … niemand glaubte, Neros Hass gegen“ Agrippina „werde sich bis zum Mord steigern“6.

So wurde endlich ein Anschlag auf die Mutter verübt, die sich demonstrativ hinter ihre Schwiegertochter Octavia gestellt hatte. Nero hatte dazu Anicetus, den Flottenbefehlshaber von Misenum, einen üblen Freigelassenen, in seinen Plan eingeweiht und mit der Ausführung des Vorhabens beauftragt. Dieser schlug vor, Agrippina auf hoher See zu ermorden, weil dort kein Unfall unmöglich sei und niemand auf den Gedanken käme, einem Verbrechen zuzuschreiben, was die Naturgewalten verschuldet hätten. Sollte dennoch je ein Verdacht aufkommen, könnte Nero ja, um seine Sohnesliebe zu bekunden, der verunglückten Mutter einen Tempel und Altäre weihen. Er wolle ein Schiff bauen, das durch eine besondere Vorrichtung mitten auf dem Meer auseinander bräche und die Nichtsahnende in die Tiefe zöge.

Unter dem Vorwand, sich mit ihr nach manchen Unstimmigkeiten versöhnen zu wollen, lud der Kaiser die Mutter nach Baiae, dem bekannten Nobelbadeort der römischen Aristokratie am Golf von Neapel, zu einem opulenten Abendessen ein. Agrippina überwand ihr anfängliches Misstrauen und folgte der Einladung, obwohl ihre Spitzel sie gewarnt hatten.

Das Essen zog sich in die Länge. Als die Nacht hereingebrochen war, verabschiedete sie sich von ihrem Sohn, bestieg das für sie bereitgestellte Schiff, das sie nach Hause bringen sollte, mit wenigen Vertrauten. Die Nacht war sternenklar, und an Bord herrschte große Ausgelassenheit wegen der gelungenen Versöhnung,

Man hatte erst eine kurze Strecke zurückgelegt, als auf ein verabredetes Zeichen hin das mit Blei beschwerte Vordeck krachend einstürzte. Wie durch ein Wunder wurde die Kaiserin von den Seitenwänden ihres Ruhebetts geschützt und erlitt nur leichte Verletzungen. Todesmutig schwamm die tapfere Frau ans Ufer, wo Fischer sie aus dem Wasser zogen und in ihr nahe gelegenes Landhaus brachten.

Natürlich hatte sie erkannt, welchem plumpen Schauspiel sie aufgesessen war. Ein Schiffsunglück in unmittelbarer Nähe der Küste bei völliger Windstille und ohne dass Felsen oder andere Schiffe beteiligt gewesen wären! Da mochten Dümmere an Zufall glauben. Doch Agrippina war zu klug zu zeigen, dass sie die Situation durchschaute. Sie könnte sich, so dachte sie, am besten vor einem weiteren Anschlag schützen, wenn sie die Unwissende spielte. So ließ sie ihrem Sohn durch einen Boten ausrichten, er solle trotz des Schreckens, den ihm ihr Unfall verursacht habe, seinen Besuch bei ihr verschieben. Denn sie bedürfe jetzt dringend der Ruhe. Dann verband sie ihre Wunden, stärkte sich mit einem Heilmittel und wartete ab.

Mehr Angst als seine Mutter, die ihrem Tod tapfer entgegensah, hatte der nichtswürdige Sohn. Er kannte sie gut. Sie konnte keinen Augenblick daran zweifeln, wem dieser „Unfall“ zuzuschreiben war. „Gleich wird sie kommen und sich furchtbar rächen“, jammerte er. Er ließ seine Erzieher, darunter Seneca, rufen. Bis heute weiß die Wissenschaft nicht, ob dieser in Neros Mordplan wirklich eingeweiht gewesen war. Roms bedeutendster Freund der Weisheit schlug angeblich vor, Anicetus möge befohlen werden zu vollenden, was er begonnen habe.

„Wenn du gekommen bist, um mich zu besuchen“, schleuderte die furchtlose Frau ihrem Mörder entgegen, „dann melde, ich habe mich erholt. Bist du aber gekommen, um mich zu töten, dann weigere ich mich zu glauben, mein Sohn habe den Muttermord befohlen.“

Es bedurfte, so heißt es, vieler Hiebe, ehe Agrippina tot war. Übrigens hatten sie einst die Astrologen, von ihr über Neros Schicksal befragt, gewarnt: „Er wird Kaiser sein und seine Mutter umbringen.“ Darauf soll sie erwidert haben: „Mag er mich töten, wenn er nur herrscht!“7

Wenn ihn auch schwere Gewissensbisse plagten, ließ Nero seiner Sinnlichkeit jetzt freien Lauf, unkontrolliert von der strengen Agrippina. Der „Orest der Kaiserzeit“ gestand oft, dass er vom Schatten seiner Mutter und den Geißeln und brennenden Fackeln der Furien umgetrieben werde. Er soll sogar versucht haben, durch ein von Magiern vollzogenes Opfer Agrippinas Geist heraufzubeschwören und zu versöhnen. Es war vergeblich. An der Lebenden hatte er gelitten. Die Tote wurde er nicht los.

Neros Herrschaft artete bald völlig aus. Verkleidet suchte er Bordelle auf, besuchte mit seinen Spießgesellen üble Spelunken, plünderte Läden und belästigte Frauen. Ein Senator, der sich gegen den vermummten Kaiser erfolgreich wehrte, wurde gezwungen, Hand an sich zu legen. Seneca versuchte, seinen Schützling von Begierde und Ausschweifung abzulenken und führte ihm Acte, eine ehemalige Sklavin, zu, die ihn wohl als einzige Frau wirklich liebte. Doch bald wurde er ihrer Zärtlichkeit überdrüssig und wandte sich ganz der raffinierten Poppaea Sabina zu, die in den kommenden Jahren sein Leben und Handeln beherrschte.

Als nächste in der Reihe von Neros „Feinden“ trat die erst 22-jährige Octavia 62 n. Chr. die vorzeitige Reise in den düsteren Hades an. Schweigend hatte sie die Ausschweifungen ihres Gatten ertragen, geschützt von ihrer Schwiegermutter, die sich mit allen Mitteln gegen eine Scheidung ihres Sohnes von seiner Frau wehrte. Jetzt, da diese tot war, war die junge Frau ganz auf sich allein gestellt – und sie war verloren. Zunächst wegen Unfruchtbarkeit, dann paradoxerweise wegen Ehebruchs, Abtreibung einer Leibesfrucht und Hochverrats angeklagt, wurde sie in der Tradition des julisch-claudischen Kaiserhauses, das mit allen unliebsamen Frauen so verfahren war, auf die Insel Pandateria weit vor der Küste Neapels verbannt, wohin ihr Nero auf Poppaeas Betreiben hin bald ihre Mörder nachschickte. Sie öffneten ihr, die um ihr junges Leben flehte, gewaltsam die Adern und verbrühten sie, da das Blut nicht fließen wollte, in einem kochenden Bad. Poppaea brachten sie das abgeschlagene Haupt, das diese mit Genugtuung betrachtete, nicht ahnend, dass auch ihre Tage gezählt waren.

Die Ermordung dieser Unschuldigen war keineswegs Neros letzte Schandtat. Er, der sich gern als großer Künstler aufspielte und als Gott ansah, ärgerte sich über die schmutzige Stadt, die er beherrschte und die seine Sinne beleidigte. Er verachtete die grauen Paläste, die er geerbt hatte. Er beklagte sich über ein Rom, das ohne jeden Plan gewachsen war, und beschloss, die Stadt ein zweites Mal zu gründen und in Neropolis umzubenennen.

Am 18. Juli 64 brach im Circus Maximus ein Feuer aus, das sich rasch ausbreitete und tagelang in der Stadt wütete. Zu zwei Dritteln wurde sie dem Erdboden gleich gemacht. Wohnhäuser, Tempel, Kunstwerke, unermesslich war der materielle Schaden, den die Flammen anrichteten, abgesehen von den Tausenden von Menschen, die verbrannten, erstickten, obdachlos, von herabstürzenden Trümmern erschlagen oder in den überfüllten Straßen zu Tode gequetscht wurden. Die Geschichtsschreiber Tacitus, Sueton und Cassius Dio beschuldigen Nero übereinstimmend der Brandstiftung und ständigen Erneuerung des Feuers.8 Er habe Rom neu aufbauen lassen wollen und vom Dach des Hauses des Maecenas, wohin er sich in Sicherheit gebracht habe, sein Werk bewundert und, sich selbst auf der Leier begleitend, Verse über die Zerstörung Trojas geschmiedet. Der Kaiser tat alles, um von sich abzulenken: Er öffnete seine Gärten und alle öffentlichen Gebäude für die Obdachlosen, ließ auf dem Marsfeld Zeltstädte errichten und in der Umgebung Roms Lebensmittel requirieren. Den schlimmen Verdacht wurde er dennoch nicht los. Da suchte er nach einem Sündenbock und fand ihn „in jenen, die, dem Volk wegen ihrer Schandtaten verhasst, Christianer genannt werden …“9. Sie verfolgte er nun mit all den Grausamkeiten, die einem absolutistischen Herrscher der damaligen Zeit zur Verfügung standen, und leitete damit die Reihe blutigster Christenverfolgungen ein, aus denen nach etwas mehr als 300 Jahren die Anhänger dieser neuen Lehre paradoxerweise als Sieger hervorgehen sollten.

Mit großer Freude machte sich Nero an den Wiederaufbau seiner Wirkungsstätte, die er ganz nach seinen künstlerischen Vorstellungen gestaltete. Jede andere Stadt des gewaltigen Römerreichs wurde gezwungen, ihr Scherflein beizutragen. Prächtig erhob sich Rom gleich einem Phönix aus der Asche, und jedermann war bald überzeugt, dass es gesünder, reicher und schöner wieder auferstanden war.

Das prachtvollste Gebäude wurde allerdings Neros „Goldenes Haus“, eine Villa mit weitläufiger Parklandschaft am Fuße des Esquilin, deren Reste noch heute einen Eindruck der vergangenen Herrlichkeit vermitteln. Die Anlage bedeckte ein Gebiet, das einst viele tausend Arme bewohnt hatten, die der Kaiser kurzerhand enteignet hatte. Der Umfang und die prächtige Ausstattung des Palastes rissen Nero zu wahren Begeisterungsstürmen hin. „Endlich beginne ich zu leben wie ein Mensch“10, soll er bei seinem Einzug geäußert haben. Dem imposanten Anwesen war allerdings keine lange Lebensdauer bestimmt. Schon Vespasian gab das Areal gewissermaßen dem Volk zurück. Er ließ es weitgehend einebnen und an seiner Stelle das gewaltige Amphitheatrum Flavium, heute als „Colosseum“ bekannt, errichten. Dieses sollte sich zum Symbol des alten Rom schlechthin entwickeln.

Auch Poppaea Sabina starb eines gewaltsamen Todes. Gerechterweise muss man sagen, dass Nero, der sie durch einen Tritt in den Unterleib ins Jenseits beförderte, ihren Tod nicht gewollt hatte. Verspätet war der Kaiser von einem Rennen nach Hause zurückgekehrt und von seiner schwangeren Frau angeblich mit heftigen Vorwürfen empfangen worden. Nero, bislang kinderlos – eine von Poppaea geborene Tochter war noch als Säugling gestorben – war tief betroffen. Er hatte sich sehnlichst einen Erben gewünscht. Er ließ den kostbaren Leichnam einbalsamieren und bestellte ein prunkvolles Leichenbegängnis. Kurze Zeit später traf er einen jungen Mann, der Poppaea Sabina zum Verwechseln ähnlich sah. Er wurde kastriert und Nero in offizieller Zeremonie angetraut. Daraufhin ging ein Witz durch Rom: „Ach, hätte doch Neros Vater auch nur eine solche Frau umarmt!“11

Das Jahr 65 brachte eine weit verbreitete Verschwörung zu Tage, in die auch Seneca und der Dichter Lucan verwickelt gewesen sein sollen. Neros Rache war so grausam, dass bald das Gerücht aufkam, er habe gelobt, den gesamten Senatorenstand auszurotten. Lucan, Seneca und Petronius, der „Schiedsrichter des guten Geschmacks“, die alle zu den engsten Vertrauten der kaiserlichen Majestät gehörten, erhielten den Selbstmordbefehl. In ruhiger Gelassenheit öffneten sie sich die Pulsadern. Viele andere wurden hingerichtet oder verbannt. Der römische Widerstand gegen Nero war dadurch aber nicht gebrochen.

66 n. Chr. reiste der Kaiser, wie bereits erwähnt, nach Griechenland, um an den Olympischen Spielen teilzunehmen und die Griechen, die allein er seiner und seiner Kunst für würdig erachtete, mit seinem Gesang zu verwöhnen. Er musste seinen Aufenthalt schon 67 jäh beenden, nachdem Berichte von Aufständen und neuen Verschwörungen zu ihm gedrungen waren. Stolz zeigte er in Rom seine 1808 Trophäen, die er in Griechenland gewonnen hatte.

Im März 68 verkündete der gallische Statthalter Iulius Vindex die Unabhängigkeit Galliens. Als Nero auf dessen Kopf 2.500.000 Sesterzen aussetzte, verkündete Vindex unbeeindruckt: „Wer mir den Kopf des Nero bringt, bekommt den meinigen dafür.“12 Im April traf die Nachricht ein, Galba, der Befehlshaber der in Spanien stationierten Truppen, habe sich mit Vindex verbündet und marschiere auf Rom. Nero floh, ausgerüstet mit einem Dolch, zu den Servilischen Gärten an der Straße nach Ostia. Keiner seiner Prätorianer hatte sich bereiterklärt, ihn zu begleiten. Auf Empfehlung eines seiner Freigelassenen begab er sich in dessen Landhaus an der Via Salaria, wo er sich im Keller, in eine verschmutzte Tunika gekleidet, verbarg. Dort erreichte ihn die Nachricht, der Senat habe ihn zum Staatsfeind erklärt und angeordnet, ihn „nach der Vorfahren Brauch“ zu bestrafen. Er wollte wissen, was das bedeute, und erfuhr, dass man den Verurteilten nackt in eine Gabel spanne und dann mit Ruten zu Tode peitsche. Entsetzt wollte sich Nero daraufhin den mitgebrachten Dolch ins Herz stoßen. Er prüfte die Spitze und fand sie unangenehm scharf. Aller Mut verließ ihn. „Qualis artifex pereo“13, jammerte er. „Welch ein Künstler geht mit mir zu Grunde!“ Er beschloss, das Sterben noch eine Weile zu verschieben. Am nächsten Morgen gab es aber kein Entrinnen mehr. Er hörte Pferdegetrampel. Die Häscher des Senats hatten ihn aufgespürt. Zaghaft stieß er sich den Dolch in den Hals. Der Freigelassene führte ihm die zitternde Hand.

Seine verschmähte Geliebte Acte begrub seine Asche in den Grabgewölben der Familie der Domitier.14

Ein guter Teil des Volkes freute sich über seinen Tod. Aber viele, besonders die armen Leute, die mit seiner Herrschaft zufrieden waren, hatte er sie doch weitgehend unbehelligt gelassen, trauerten um ihn und waren geneigt, den Gerüchten zu glauben, die behaupteten, er sei gar nicht tot, sondern erkämpfe sich gerade seine Rückkehr nach Rom. Als er aber nicht mehr kam, fanden sie sich allmählich mit seinem Hinscheiden ab und streuten noch lange Blumen auf sein Grab.

Solcher Art waren die äußeren Verhältnisse, unter denen Domitian aufwuchs. Ob die flavische Familie von Neros Schandtaten, vor allem vom Stadtbrand Roms, betroffen war, ist nicht bekannt. Dass sie beschämend arm war, wurde bereits erwähnt. Allerdings dürfte sich ihre finanzielle Lage gebessert haben, als Vespasian wieder Truppenführer wurde.

Trifft Suetons Behauptung zu, der junge Domitian sei dem ehemaligen Prätor Clodius Pollio und vielleicht auch seinem späteren Nachfolger Nerva sexuell gefällig gewesen?15 Wollte er mit dem Verkauf seines Körpers vielleicht sogar das Familienbudget aufbessern? Wir wissen es nicht. Jedenfalls versichert der antike Biograf Suetonius, Pollio habe hin und wieder einen von Domitian eigenhändig geschriebenen Brief gezeigt, in dem jener dem Prätor eine Nacht versprach. Da aber gerade dieser antike Geschichtsschreiber für den Klatschcharakter seiner Überlieferung bekannt ist und nachweislich versucht hat, durch pikante Geschichtchen seinen grauen Berichten ein wenig Farbe zu verleihen, sollte diese Behauptung nicht überbewertet werden.

Es gibt ansonsten keine Anzeichen dafür, dass Domitian unter Neros Herrschaft aus der Rolle fiel. Sein Leben scheint vielmehr eintönig dahingeflossen zu sein, bis es mit Neros Ende eine jähe Wende erfuhr.

Gefährliche Jahre

„Dazu herrschte eine allgemeine Verwirrung infolge von Neros Tod. Diese Gelegenheit verlockte viele, die Oberherrschaft anzustreben, und die Soldaten waren begierig nach Veränderungen, die ihnen etwas einbrächten.“1 Mit dieser Bemerkung weist der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus, von dem später noch ausführlich die Rede sein soll, auf Unruhen in Rom selbst hin, aus denen schließlich Titus Flavius Vespasianus als Sieger hervorgehen sollte.

Im ausgehenden siebenten Jahrzehnt der neuen Zeitrechnung wurden aber nicht nur der Osten des Reiches, namentlich Judäa, und die Hauptstadt selbst von Unruhen erschüttert. Auch im Westen brodelte es, versuchten unterworfene und längst romanisiert geglaubte Volksstämme, durch Neros launige Herrschaft und die Querelen in Palästina ermutigt, das römische Joch abzuschütteln. Die Zeit war gefährlich. Das ganze Imperium Romanum, in vielen Jahrhunderten mühsam und mit gewaltigen Verlusten zusammenerobert, drohte auseinander zu brechen.

Schon im Frühjahr 68 hatte sich die Gallia Lugdunensis mit der Hauptstadt Lyon, bislang ein Paradebeispiel gelungener römischer Provinzialverwaltung, von Rom losgesagt, aber die Legionen des von der Reichsgrenze herbeigeeilten Legaten L. Verginius Rufus hatten die Lage rasch unter Kontrolle gebracht.

Die Lugdunensis blieb kein Einzelfall. Ihrem Beispiel folgten die Bataver, ein Germanenstamm, der am Niederrhein, im heutigen Holland, siedelte. Ein bunt zusammengewürfelter Heereshaufen rechtsrheinischer Germanen, darunter Chatten, Usipeter und Mattiaker, überschritt den Mittelrhein und belagerte das Kastell von Mainz, Mogontiacum, einen der wichtigsten römischen Stützpunkte auf germanischem Boden und Sitz der Legio XXII Primigenia Pia Fidelis. Nur mit Mühe gelang es dem Legaten Vocula, die Ordnung einigermaßen wiederherzustellen und die römische Herrschaft in dieser Ecke des Weltreichs für eine Weile zu sichern.

Da traf Rom ein weiteres Unglück, das im ganzen Reich als göttliches Zeichen angesehen wurde: Im Dezember 69 – Nero war bereits tot – brannte bei Ausschreitungen das Capitol mit dem berühmten Iupitertempel ab, dem symbolischen Mittelpunkt des Weltreichs, dessen Ende nun viele kommen sahen.

Durch diese vermeintliche Botschaft ermuntert, schlossen sich nun auch die gallischen Stämme der Treverer und Lingonen den Aufständen an mit dem Ziel, sich von Rom zu lösen und ein eigenständiges Imperium Galliarum zu errichten.

Zum Glück für das Weltreich bestieg – nach den Interimskaisern Galba, Otho und Vitellius – Titus Flavius Vespasianus den Thron der Caesaren, und der tatkräftige Feldherr, bald unangefochtener Alleinherrscher, hatte zuverlässige Leute, die den stadtrömischen Bürgerkrieg rasch beendeten. Dies war sicherlich auch einer der Gründe dafür, dass sich noch keineswegs alle Gallier erhoben hatten, da sie Vespasians Schlagkraft fürchteten. Die, die bereits den Aufstand probten, konnten unmöglich wissen, dass die Römer über schier unermessliche Reserven verfügten. Auch waren die Aufrührer nicht in der Lage, ihre Handlungen zu koordinieren und errungene Siege auszunutzen.

Nachdem der Bürgerkrieg beendet war, hatte Rom also freie Hand, mit der gefährlichen Situation am Rhein fertig zu werden. Im Frühjahr 70 marschierten aus Italien fünf Legionen ab, drei kamen aus Spanien, und auch in Britannien setzte sich eine Legion Richtung Süden in Bewegung. Der Aufstand brach rasch zusammen. Bis zum Herbst 70 hatte Rom die Lage wieder in der Hand. Die siegreichen römischen Feldherren waren klug genug, über die geschlagenen Völker kein Strafgericht zu verhängen.

Bereits im Juni 68 hatte der von Nero mit dem Oberbefehl über die römischen Truppen in Judäa betraute Vespasian fast das ganze Land mit Ausnahme Jerusalems und einiger Festungen bezwungen. Als er von Neros Selbstmord hörte, brach er den Feldzug ab. Nach außen hin erkannte er jeden der drei neuen Kaiser an. Insgeheim aber traf er Vorbereitungen, den Thron der Caesaren für sich zu gewinnen. Er sicherte sich die Unterstützung des Mucianus, des Statthalters von Syrien, und Tiberius Alexanders, des Präfekten von Ägypten, eines einflussreichen jüdischen Renegaten. Mucianus betraute er später mit der Leitung der Staatsgeschäfte in Rom, ehe er selbst im Herbst 70 n. Chr. dort erschien.

Bereits im Juli 69 riefen ihn die in Ägypten, Syrien und Judäa stationierten Legionen zum Kaiser aus. „Die Donaugarnisonen folgten nach, und man entwarf Pläne für den Angriff auf Italien. Während Vespasian selbst in Ägypten blieb, um Rom die Getreidezufuhr abzuschneiden, sollte Mucianus das Hauptheer nach Westen führen.“2

Der Bürgerkrieg des kommenden Jahres forderte dann auch in Vespasians Familie ein prominentes Opfer. Sein Bruder Sabinus, Stadtpräfekt von Rom, suchte während der blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern von Vitellius und denen der aufstrebenden Flavier am 18. Dezember 69 auf dem Capitol Zuflucht, wurde aber von Vitellius’ Leuten aufgespürt und kam um. Man hatte ihn in Ketten vor Vitellius geführt, der ihn mit durchaus nicht feindseliger Miene empfing. Aber der blutgierige Pöbel nötigte dem noch amtierenden Kaiser Sabinus’ Hinrichtung ab. Man schleppte den zerschundenen Leichnam, dem man den Kopf abgeschlagen hatte, auf die Gemonische Treppe, den Ort öffentlicher Leichenschändung.

Domitian, Sabinus’ Neffe, der mit ihm geflohen war, brachte, „als … der Tempel in Flammen stand“, die Nacht heimlich beim Tempelhüter zu. „Am nächsten Morgen verkleidete er sich als Isispriester, mischte sich unter die Opferdiener verschiedener Religionen und begab sich mit nur einem Begleiter zur Mutter eines Schulkameraden auf das andere Tiberufer, wo er sich so gut verborgen hielt, dass er von den Häschern, die seinen Spuren gefolgt waren, nicht ausfindig gemacht werden konnte.“3 Er verließ sein Versteck erst, nachdem feststand, dass sein Vater Kaiser geworden war, wurde als Caesar begrüßt und übernahm das Amt des Stadtprätors mit konsularischer Gewalt. Er war jedoch nur nominelles Staatsoberhaupt, da Mucianus inzwischen im Auftrag seines Vaters die Staatsgeschäfte führte. Dennoch hätte er sich trotz seiner Jugend an seine Stellung gewöhnen können. „Nachdem er Kaiser geworden war, sorgte Domitian dafür, dass seine Taten aus jener Zeit durch Reliefs und die Hofdichtung verherrlicht wurden.“4 Die Hütte des Tempelhüters ließ er niederreißen und „baute Jupiter dem Erretter eine kleine Kapelle nebst einem Altar, der auf dem Marmor seine Begegnisse darstellte; nachher, als er zur Regierung gelangt war, weihte er Jupiter dem Hüter einen ungeheuren Tempel und sein eigenes Bild im Schoße des Gottes“5. Seine frühe Karriere endete jäh, als Vespasian vom jüdischen Kriegsschauplatz nach Rom zurückkehrte. Offensichtlich wurde Domitian von da an zu keiner vernünftigen Beschäftigung mehr herangezogen. Sein Vater und danach sein kaiserlicher Bruder übertrugen ihm eine Reihe bedeutungsloser Ehrenämter. Er blieb bis zum Jahr 81, als er nach dem frühen Tod seines Bruders Titus selbst den Thron bestieg, stummer Beobachter, wenn er auch mit großem Interesse und wachem Verstand das Staatsgeschehen verfolgte. Die Zügel der Macht schon ganz allein in Händen haltend, habe er sie, sagt der zeitgenössische Dichter Martial, dennoch wieder abgeben müssen und sei in einer Welt, die schon einmal ihm gehört habe, nach Vespasian und Titus nur mehr der Dritte gewesen.6

Vespasian überließ Titus, seinem älteren Sohn, der mit ihm zur Befriedung Judäas ausgesandt worden war, die Beendigung des jüdischen Krieges und machte sich auf den Heimweg. Ihm muss bewusst gewesen sein, dass Titus die Angelegenheiten im Osten in seinem Sinn fortführen und zur Zufriedenheit Roms beenden würde. Dass sein Sieg ein so vollkommener wäre, konnte der Vater aber kaum voraussehen. Titus’ überwältigender Triumph stellte den jüngeren Flaviersohn nun endgültig in den Schatten des politischen Geschehens.

Fast ein ganzes Jahr lang hatten die Römer den Juden eine unfreiwillige Ruhepause gewährt, da Vespasian mit der Sicherung seiner eigenen Stellung beschäftigt war. Die Juden nutzten diese kampffreie Zeit allerdings schlecht. Statt ihre noch vorhandenen Kräfte zu schonen und zu erneuern, begannen sie wieder, sich wie früher gegenseitig zu bekämpfen. Es kam in Jerusalem zu innerstädtischen Auseinandersetzungen zwischen Gemäßigten und Anhängern der radikalen Zelotenpartei, die Angehörige des Stadtadels gefangen nahmen und den Einfluss der Hohepriesterschaft zu unterwandern versuchten. Sie ersetzten den amtierenden Hohepriester durch einen Mann niederen Standes, der nicht nur ungebildet, sondern auch mit der Pflicht des obersten religiösen Würdenträgers der Juden nicht vertraut war. Damit brachen sie mit der romfreundlichen Tradition und schafften die angestammten Vorrechte jener Familien ab, die bislang die Amtsträger gestellt hatten – eine ungeheure Provokation der römischen Schutzmacht, die entsprechend reagierte.

Aber nicht nur sie war brüskiert. Das Volk empörte sich über das Sakrileg, und der älteste Hohepriester, Ananos, heizte die Stimmung gegen die Aufrührer in geschickter Rede noch an. Der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus bezeichnet ihn als einen höchst verständigen Mann, „der vielleicht auch die Stadt gerettet haben würde, wenn er den Händen der Mörder entkommen wäre“7. Das Schicksal war den Juden aber nicht so gnädig.