Herodes. König der Juden - Freund der Griechen - Verbündeter Roms - Ute Schall - E-Book

Herodes. König der Juden - Freund der Griechen - Verbündeter Roms E-Book

Ute Schall

4,3

Beschreibung

Die Gestalt Herodes, Königs der Juden, ist in der Geschichtsschreibung äußerst umstritten. Die einen bewundern seine staatsmännische Tüchtigkeit, den schwierigen Balanceakt zwischen der Wahrung jüdischer Interessen und dem Nachgeben gegenüber dem Anspruch Roms, und billigen ihm das seltene Prädikat "der Große" zu. Andere verurteilen den Gatten- und Kindermörder, der, allzu oft ein Opfer seiner ungezügelten Leidenschaften, grund- und wahllos nicht nur in seiner Familie wütete, und in den Augen seiner Kritiker nichts anderes als ein willfähriger "Römling" war. Welcher Seite man sich auch zuneigen möchte, fest steht, dass Herodes' Umsicht und politischer Weitblick den Juden noch für eine Weile die Unabhängigkeit vom römischen Joch sicherten und das Ansehen Judäas in der alten Welt beträchtlich stärkten. Für alle Zeiten bleibt sein Name mit dem Bau des großartigen Tempels verbunden, den er dem Gott seiner Untertanen stiftete und der die gesamte alte Welt in Staunen versetzte: 70 n. Chr. wurde er von Titus, dem nachmaligen Kaiser, dem Erdboden gleichgemacht. Trotz allem war Herodes' Herrschaft am Ende zum Scheitern verurteilt. Zeitlebens blieb ihm die geistige Dimension der jüdischen Weltanschauung verschlossen. Ihm entging, dass man nicht gleichzeitig ein frommer Jude, ein Bewunderer des Hellenismus und ein guter Römer sein konnte. Darin liegt ein Großteil seiner persönlichen Tragik. In dieser an ein breites Publikum gerichteten Biographie begegnet man einer faszinierenden Persönlichkeit, deren geschickte Politik bis in die Gegenwart fortwirkt und die es deshalb verdient, immer wieder erneut ins Bewusstsein der Nachwelt gerückt zu werden. Von aktuellem Interesse ist Herodes auch deshalb, weil erst 2007 nach Jahrzehnte langer Suche sein Grab in Herodion in der Nähe von Jerusalem entdeckt wurde. Der Fund der letzten Ruhestätte einer biblischen Figur gilt als archäologische Sensation.

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Ute Schall

Herodes

König der Juden Freund der Griechen Verbündeter Roms

Schall, Ute: Herodes. König der Juden – Freund der Griechen – Verbündeter Roms. Eine Biografie, Hamburg, ACABUS Verlag 2011

Originalausgabe

ISBN: 978-3-941404-59-5

Die Buch-Ausgabe dieses Titels trägt die ISBN 978-3-941404-43-4 und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.

Lektorat: Michaela Schümann, ACABUS Verlag

Umschlaggestaltung: ds, ACABUS Verlag

Umschlagmotiv: © TimurD - Fotolia.com, © ElaKwasniewski - Fotolia.com, © puschenka - Fotolia.com, © Redbeauty - Fotolia.com

Der ACABUS Verlag ist ein Imprint der Diplomica Verlag GmbH, Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© ACABUS Verlag, Hamburg 2011

Alle Rechte vorbehalten.

http://www.acabus-verlag.de

eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

Meinen Kindern

Alexander Constantin,

Natalia

und

Anna Lucia

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte – Die Politik der Makkabäer

Der Verfall der Makkabäerherrschaft

Sage mir, woher du kommst …

Das Ende des Hasmonäerreichs

Herodes’ Vater, Antipater

Caesar und Antipater

Der Beginn einer Karriere

Antipaters Ermordung – Herodes’ Rache

Herodes als Tetrarch

Kampf um den Thron

Aller Anfang ist schwer

Marc Anton und Octavian

Mariamnes Hinrichtung

Die Festigung der Herrschaft

Ruhige Herrscherjahre

Recht und Gesetz – Die Innenpolitik

Jerusalem, die Geschichte der heiligen Stadt

Herodes’ Regierungsstil

Verbündeter Roms

Herodes, der Bauherr

Samaria-Sebaste; Caesarea; Masada

Messias der Juden?

Marcus Vipsanius Agrippa. Ein König und sein bester Freund

Intrigen und Verrat

Ein Bruderzwist im Königshaus

Streit und keine Ende

Die Geburt Jesu von Nazareth und der Kindermord von Bethlehem

Die Hinrichtung Alexanders und Aristobuls

Antipater wird entlarvt

Antipaters und Herodes’ Tod

Was bleibt, ist fragmentarisch

Anmerkungen

Zeittafel

Literatur

Vorgeschichte – Die Politik der Makkabäer

Nachdem Alexander der Große, der einen Gutteil der alten Welt neu geordnet und seinem Willen unterworfen hatte, im Jahr 323 vor der von der christlichen Geschichtsschreibung später so genannten Zeitenwende im Alter von nur 33 Jahren in Babylon einem schweren Fieberanfall erlegen war, teilten seine Feldherrn und Nachfolger, die Diadochen, das von ihm hinterlassene Großreich nach heftigen Kämpfen unter sich auf. Es entstanden hellenistische Herrschaftsgebiete, die sich gegenseitig das Gleichgewicht halten sollten: Das in diesem Zusammenhang nicht näher interessierende der Antigoniden in Makedonien, das Ptolemäerreich in Ägypten und das der Seleukiden in Vorderasien, das etwa dem heutigen Syrien entsprach. Dazwischen lag Palästina, das Gelobte Land der Bibel, in das Jahwe, der Herr, sein auserwähltes Volk nach dem Auszug aus Ägypten geführt hatte und das abwechselnd die Begehrlichkeit der rivalisierenden Ptolemäer und Seleukiden weckte.

Seine geographische Lage, ein verhältnismäßig schmaler Küstenstreifen am östlichen Mittelmeer – als Durchgangsstraße für den internationalen Warenaustausch günstig gelegen, dadurch aber auch bedroht als Durchmarschgebiet zwischen Ägypten im Westen und den vorderasiatischen Reichen im Osten –, rückte es immer wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der benachbarten Großmächte.

Wollten sie einander Besitz und Herrschaft streitig machen, mussten sie zuvor jeweils das Heilige Land erobern oder doch wenigstens ihren Wünschen gefügig machen.

Im Lauf der Generationen übergreifenden Streitigkeiten hatten sich dort die Sympathien geteilt. „Die einen neigten zu den Ptolemäern, die anderen sahen ihren Vorteil eher bei den Seleukiden. Beiden Großmächten erschien daher eine volle Angliederung Judäas wünschenswert.“1 198 v. Chr. gelangte das kleine Land endgültig unter die Herrschaft der Seleukiden.

Als deren König Antiochos IV. mit dem schönen Beinamen Epiphanes, Erscheinung Gottes, 175 v. Chr. den Thron Syriens bestieg, war das kleine Judäa seinem Land tributpflichtig. Einen eigenen König hatte es nie gehabt, wenn es auch seit langem auf den in vielen Prophezeiungen angekündigten Messias hoffte, einen Erlöser nicht nur im heilsgeschichtlichen Sinn, sondern auch einen Befreier von jeder weltlichen Fremdherrschaft. Der neue König Syriens, Antiochos, ahnte nicht, dass ausgerechnet unter seiner Regentschaft für die Juden der Beginn eines neuen Zeitalters anbrechen sollte, in dem sich ihre Sehnsüchte wenigstens teilweise erfüllten.

Doch nur nach außen hin war Judäa ein Vasallenstaat der Seleukiden und diesen untertan. Im Inneren wurde es von Hohepriestern beherrscht, geistlichen Oberhirten und Würdenträgern, die aber durchaus auch weltliche Macht ausübten und ihren Vorteil zu nutzen wussten. Es versteht sich fast von selbst, dass für diese Aufgabe stets nur Männer ausgewählt wurden, die den fremden Herren genehm waren und nicht selten von ihnen selbst eingesetzt wurden.

Als Antiochos König wurde, versah in Jerusalem ein Mann namens Menelaos das Amt des Hohepriesters, der als eigensüchtig, schikanös und grausam beschrieben wird. Er bestach die Seleukiden – ein damals weit verbreitetes Mittel der Politik – und unterdrückte seine heimischen Gegner, vor allem die Anhänger eines gewissen Jason, den er im Jahr vor der Inthronisierung des neuen syrischen Königs aus dem Amt verdrängt hatte. Die Namen sind griechischen Ursprungs und deuten darauf hin, dass der Hellenisierungsprozess auch in Judäa bereits weit fortgeschritten war. Vor allem die führenden Kreise der Hauptstadt Jerusalem sprachen neben dem Hebräischen und Aramäischen auch Griechisch und versuchten überhaupt, den leichteren hellenistischen Lebensstil mit ihrem Judentum in Einklang zu bringen. Graeculi wurden sie ein wenig verächtlich genannt, besonders von denjenigen, die mit Leib und Leben für Gott und die Lehre der Väter eintraten und Chassidim hießen, die Frommen.

Schwer stöhnte Gottes auserwähltes Volk unter dem Joch des jungen Königs. Antiochos IV., grausamer noch als sein vor Jahren verstorbener Vater, hatte nicht nur dessen glanzvollen Thron geerbt. Er hatte auch gehofft, die Politik seines Vorgängers in Ägypten fortsetzen und das alte Land am Nil seinem syrischen Großreich einverleiben zu können. Diesen ehrgeizigen Plänen hatten jedoch die Römer, die zunehmend den Mittelmeerraum beherrschten, Einhalt geboten. Das aufstrebende Rom hatte, wie auch viele Nachbarländer Syriens, kein Interesse am Erstarken des Seleukidenreichs. So richtete dessen junger König seinen ganzen Zorn gegen das ohnehin stets unzufriedene Israel. Im Jahr 169 v. Chr. schleifte er die Stadtmauern Jerusalems, schändete den salomonischen Tempel, raubte den Tempelschatz, um seine maroden Staatsfinanzen zu sanieren, und verbot den jüdischen Kult. Alle Untertanen sollten zwangshellenisiert werden und den olympischen Zeus und andere Götter der Griechen verehren.

Den Juden war es fortan untersagt, ihre Söhne zu beschneiden und die strengen Sabbatregeln und Speisevorschriften zu beachten, Riten und Gebote, die nach ihrem Glauben einst Jahwe selbst seinem Volk auferlegt hatte und durch die es sich, zusammen mit dem strengen Monotheismus, von allen anderen Völkern unterschied.

Viele der Frommen Israels, die sich weigerten, ihrem Glauben abzuschwören, wurden getötet oder in die Sklaverei verkauft. Manchen gelang es, vor den blutigen Verfolgungen ins unbewohnte Hügelland oder in die Wüste zu entkommen. Sie mussten künftig nicht nur gegen die fremden Invasoren, sondern auch gegen ihre eigenen griechenfreundlichen Landsleute kämpfen.

Um diese Zeit, so berichtet der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus, von dem später noch ausführlich die Rede sein soll, „wohnte in Modi’im, einem Dorfe Judäas, ein Mann namens Mattathias … Er war Priester nach der Ordnung des Joarib und stammte aus Jerusalem. Der Herr hatte ihn mit fünf prächtigen Söhnen gesegnet: Johanan, Simon, Judas, Eleazar und Jonatan. Dieser Mattathias bejammerte vor seinen Söhnen das Elend des Volkes, die Plünderung der Stadt, die Beraubung des Tempels und die Änderung der Verfassung und erklärte ihnen, es sei besser, für die Gesetze der Väter den Tod zu erleiden als ein so schmähliches Leben zu führen …“2

Mattathias und seine Familie hatten einen beschwerlichen Weg hinter sich. Von Jerusalem aus waren sie auf gefährlichen Pfaden in die waldreichen Grophna-Hügel geflohen, und viele gleichgesinnte Juden aus dem ganzen Land hatten sich ihnen angeschlossen. Der Priester galt als Gelehrter und stand im Dorf Modi’im bald in hohem Ansehen. An eine baldige Rückkehr nach Jerusalem dachte wohl niemand mehr, denn Antiochos’ Spitzel waren allgegenwärtig und auf der Hut.

Eines Tages erschien ein königlicher Beamter in Modi’im, um die Einhaltung der neuen Kulte zu überprüfen. Er forderte den Priester auf, mit gutem Beispiel voranzugehen und mit den vorgeschriebenen griechischen Riten zu beginnen. Umso leichter, so mutmaßte er, würden sich seine Anhänger dem verehrten Vorbild anschließen. Um Mattathias anzuspornen, versprach er noch, dieser würde dem König dadurch besonders wohlgefällig werden.

Aber der Kämpfer Jahwes wies das Ansinnen entrüstet zurück. Andere mochten sich vergessen und aus Angst oder auch aus Liebedienerei Antiochos’ Befehlen nachkommen. Er und seine Söhne aber würden niemals den Gott ihrer Väter verraten.

Er hatte kaum ausgesprochen, da trat ein besonders willfähriger Jude hervor und schickte sich an, nach dem Willen des Syrers zu opfern. Mattathias aber zog sein Schwert, „sein Eifer glühte, sein Inneres erbebte. Er ließ seinem Zorn freien Lauf, wie es sich gehörte …“3 und erschlug den Treulosen vor dem Götzenaltar, hieb auch den königlichen Vertreter nieder und rief erregt aus: „Jeder, der noch für die Gebräuche unserer Väter und die Verehrung Gottes eifert, folge mir nach!“4 Und wieder musste er fliehen, gefolgt von seinen Kindern, diesmal in die Wüste, wo er sich mit seinen Anhängern vor den Schergen des Königs in Höhlen verbarg.

Dessen Heerführer riefen die Besatzung der Jerusalemer Burg, der Akra, zu den Waffen, um den Fliehenden nachzusetzen.

Als sie diese eingeholt und in ihren Verstecken aufgespürt hatten, versuchten sie, viele von ihnen mit Geduld und guten Worten zur Aufgabe zu bewegen. Aber die meisten ließen von ihren Vorstellungen nicht einmal ab, als Antiochos’ Leute sie gewaltsam angriffen. Unglücklicherweise war Sabbat, und die Juden glaubten, sich nicht wehren zu dürfen. Das blinde Vertrauen in die göttliche Gerechtigkeit wurde manchem zum Verhängnis. Als die Angreifer an die Eingänge der Höhlen Feuer legten, starben sie einen qualvollen Tod.

Wer dem wahnwitzigen Morden entkommen war, schloss sich Mattathias an, wählte ihn zum Anführer und ließ sich belehren, dass man sich auch am Sabbat verteidigen müsse, um nicht sinnlos sein Leben zu verlieren. Der fanatische Glaubenseiferer sammelte eine gewaltige Schar Gleichgesinnter um sich, ja, die Bewohner ganzer Dörfer liefen ihm geschlossen zu. Er ernannte sich jetzt selbst zum Richter, zerstörte fremde Altäre und ließ Abtrünnige gnadenlos hinrichten.

Aber sein Wüten währte nicht lange, da seine Tage gezählt waren. Schon ein Jahr später wurde er schwer krank. Er fühlte sein Ende nahen und ernannte seinen Sohn Simon, der „ein kluger Mann war“, zum geistigen Oberhaupt der Verschwörung. Sein Sohn Judas aber, „seit seiner Jugend ein tapferer Krieger“5, sollte der militärische Anführer der Widerstandsbewegung gegen die seleukidische Fremdherrschaft sein. Schon nannte man ihn den „Makkabäer“, was soviel wie „Hammer“ bedeutet. Und als solcher sollte sich der Spross des streitbaren Geistlichen wahrhaftig erweisen. Das Hohepriester- und Königsgeschlecht der Makkabäer oder auch – nach einem Vorfahren namens Hasmon – Hasmonäer, ging mit Mattathias und seinen Nachkommen als die erste Königsdynastie Judäas in die Geschichte ein.

Zum Zeitpunkt von Mattathias’ Tod (166 v. Chr.) war der so genannte Makkabäeraufstand noch nicht voll entbrannt. Noch hatten keine großen Kämpfe stattgefunden, aber ganz Judäa mit Ausnahme einiger befestigter Städte befand sich in aufständischer Hand. Der fromme Priester kannte seine Söhne genau. Judas enttäuschte die Erwartungen des alten Vaters nicht. Er bildete die Rebellen für einen Guerillakrieg aus. Mochten sie den gut gerüsteten syrischen Truppen zahlenmäßig auch unterlegen sein, so kannten sie sich doch im unwegsamen Gelände und den vielen verborgenen Schlupfwinkeln ihrer Heimat bestens aus. Auch wurden sie von den Dorfbewohnern kräftig unterstützt. Tagsüber gingen sie unauffällig ihrer scheinbar gewöhnlichen Arbeit nach. Nachts überfielen sie syrienfreundliche Siedlungen und königliche Spähtrupps.

Nahezu unbemerkt hatte sich unter dem Druck der immerwährenden Verfolgungen auch bei den Frommen „die noch vorherrschende Ansicht vom selbstverständlichen Lohn der Frömmigkeit gewandelt!“6. Gewisse hellenistische Vorstellungen von der den Körper überlebenden Seele waren ins jüdische Bewusstsein eingedrungen, sodass auch viele Juden jetzt auf die ausgleichende Gerechtigkeit nach dem Tod hofften.

Der Prophet Daniel, der als Visionär eher Gesichte von der Zukunft Israels zum Besten gab, sprach erstmals von Auferstehung und Vergeltung. „Viele von denen“, so sah er voraus, „die im Land des Staubes schlafen, werden erwachen, die einen zu ewigem Leben, zu Schmach und ewiger Verdammnis die anderen.“7 Diese Ansicht stärkte nicht nur den Widerstandswillen, sondern förderte auch die Bereitschaft zum Martyrium.

Judäas Partisanen setzten jedenfalls den syrischen Truppen heftig zu. Ihr Anführer ging dabei mit gutem Beispiel voran. „Er glich im Kampf einem Löwen“, hieß es von ihm, „einem Junglöwen, der nach Beute brüllt.“8 Zudem bewahrheitete sich bei ihm das Sprichwort vom Glück des Tüchtigen. Die syrischen Söldner, eher an offene Feldschlachten gewöhnt, konnten in dem unwirtlichen Gelände ihre Kriegskunst nicht richtig entfalten. Um den Guerillakämpfern wirksam begegnen zu können, hätte es eines vielfachen Aufgebots an Soldaten bedurft. Diese aber vermochte der neue König nicht aufzubringen, da ihm wegen zahlreicher Unruhen auch in anderen Teilen seines Reiches die Hände gebunden waren.

Judas hatte also verhältnismäßig leichtes Spiel. Aus einem Hinterhalt überfiel er Apollinaris, den Statthalter Samarias, den die Syrer ihm mit einem Heer aus Bürgermilizen entgegengeschickt hatten. Er vernichtete die Truppe und tötete den Anführer, nahm dessen Schwert an sich und bestritt damit Zeit seines Lebens jeden Kampf. Ebenso fügte er Seron, einem anderen syrischen Befehlshaber, eine vernichtende Niederlage zu.

Spätestens jetzt muss Antiochos begriffen haben, dass er es mit einem gefährlichen Gegner zu tun hatte, der keineswegs unterschätzt werden durfte. Schnaubend vor Wut schickte er dem Rebellen seinen Reichsverweser Lysias mit einem großen Heer entgegen, um seine Macht zu brechen und sogar „die Erinnerung an die Juden auszulöschen“9. Die beiden führenden Feldherrn hießen Nikanor und Georgias. Sie marschierten vorsichtig von Norden her in Judäa ein und lagerten bei Emmaus.

Nikanor hatte in Erfahrung gebracht, dass sich Judas in Mizpe aufhielt. Also befahl er Georgias, das jüdische Lager nachts mit 6.000 Mann zu überfallen. Aber als dieser in Mizpe eintraf, fand er nur verlassene Unterkünfte vor. Getreue aus der einheimischen Bevölkerung hatten ihre Glaubensbrüder gewarnt. Er fahndete zwar im umliegenden Hügelland nach Flüchtigen, fand aber niemanden. Als er sich wieder seiner eigenen Niederlassung bei Emmaus näherte, sah er schon von ferne dicke Rauchwolken aufsteigen. Judas hatte während seiner Abwesenheit die seleukidischen Truppen angegriffen und ihnen schwere Verluste zugefügt. Wer überlebt hatte, war in panischer Angst geflohen. Da sahen Georgias’ Männer in der Ebene das in Schlachtordnung aufgestellte jüdische Heer …

Lysias erkannte, dass seine Generäle, so gut ausgebildet sie auch waren, gegen den begabten Strategen aus Israel nichts ausrichten konnten, und beschloss, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Er stellte sich Judas bei Bet-Zur, etwa 25 Kilometer von Jerusalem entfernt. Aber auch über ihn und seine Leute fielen die Partisanen wie Heuschrecken her und töteten 5.000 Mann. Ahnend, dass für ihn und die Seinen ein Sieg nicht oder doch nur mit unverhältnismäßigen Verlusten herbeizuführen wäre, leitete er eine Revision der eigenen Politik ein. Ein an die Gerusia, den Ältestenrat in Jerusalem, – aus dem wahrscheinlich der Sanhedrin, von dem später noch die Rede sein soll, hervorging – gerichteter Brief seines Königs vom April 164 v. Chr. sicherte allen Aufständischen, die binnen vierzehn Tagen in ihre Heimat zurückkehrten, eine Amnestie und das Recht zu, wieder nach ihren alten Geboten zu leben.

Judas Makkabäus aber war von seinem Glück berauscht und dachte nicht daran, sich auf einen Kompromiss einzulassen. „Unsere Feinde sind nun vernichtend geschlagen“, wandte er sich an seine Landsleute. „Lasst uns also nach Jerusalem hinaufziehen, den Tempel reinigen und neu weihen.“ Tatsächlich machte er noch im Dezember desselben Jahres dieses Vorhaben wahr, sodass die Kerzen am Leuchter im Heiligtum seines Gottes wieder entzündet werden konnten. Bis heute gedenkt das seinen Traditionen verhaftete Volk der Juden in aller Welt dieses Ereignisses mit der Feier des lichtreichen Chanukkafestes.

Nach Art aller Sieger ging auch Judas daran, unter den Einheimischen Ordnung zu schaffen. Er ließ die nötigen Thorarollen, von denen es infolge der Kriegsverluste nur noch wenige gab, neu herstellen und setzte die Schriftgelehrten wieder in ihre alten Stellungen ein. Die Priesterschaft hatte sich teilweise als sehr unzuverlässig erwiesen und musste ersetzt werden. Viele, die mit der hellenistischen Führungsschicht sympathisiert hatten, waren entweder geflohen oder hatten sich in der noch immer von den syrischen Besatzern gehaltenen Akra verschanzt. Als sich Judas jedoch anschickte, auch diese letzte Bastion seinem Volk zurückzuerobern, nahm Lysias den Kampf wieder auf. Wenn auch die Angaben im ersten Makkabäerbuch – sie sprechen von 100.000 Fußsoldaten, 20.000 Reitern und 32 Kampfelefanten – übertrieben erscheinen, so belagerte er Jerusalem doch mit der größten Streitmacht, die bisher gegen die Aufständischen eingesetzt worden war. Die Schlacht entschieden wohl die Kriegselefanten, denen Judas nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hatte. Sein Bruder Eleazar warf sich mutig unter eines der Ungetüme und schlitzte ihm den Bauch auf, wurde aber von der zusammenbrechenden Masse des Tieres erdrückt.

Dennoch war der Sieg der Seleukiden nicht vollkommen. Unruhen in der Heimat, die sich gegen seine Regentschaft richteten, zwangen den Reichsverweser, zurückzukehren. Er machte den Juden deshalb rasch ein Friedensangebot. Sie sollten ihre Festung auf dem Tempelberg räumen und dafür die Erlaubnis erhalten, nach ihren Geboten zu leben. Auch der neue, noch kindliche König Syriens, Antiochos V., der seinen kürzlich verstorbenen Vater abgelöst hatte, stimmte durch seine Berater dem Vorschlag zu.

Aber wiederum sahen Judas und seine Männer ihr Ziel nicht erreicht. Vor allem waren sie nicht gewillt, den von den Syrern eingesetzten Hohepriester, einen Mann namens Alkimos, zu dulden. Von den unverhofften militärischen Erfolgen geblendet, hatten sie längst nicht mehr nur eine Restauration der politischen Lage im Sinn, sondern erstrebten die völlige Autonomie.

Wirren im seleukidischen Königshaus kamen ihren Wünschen entgegen. Im Jahr nach der abgebrochenen Verteidigung Jerusalems entbrannte dort ein erbitterter Machtkampf zwischen den Nachkommen Antiochos’ und denen seines Bruder Seleukos, dessen Sohn Demetrios I. schließlich den Sieg davontrug.

Judas hatte die Kampfpause geschickt genutzt. Er hatte sich auf den Grophna-Hügeln einen Stützpunkt eingerichtet und sperrte von dort aus die Zugangswege nach Jerusalem. Auf einen Hilferuf des von den Syrern eingesetzten Hohepriesters entsandte Demetrios erneut seinen Feldherrn Nikanor mit 3.000 Mann nach Judäa. Dieser geriet jedoch in einen Hinterhalt der Freiheitskämpfer und wurde geschlagen. Ein zweiter Versuch, sich der begehrten Stadt zu nähern, kostete ihn das Leben. Der ungeliebte Alkimos wurde vertrieben, und Judas sicherte diesen Erfolg außenpolitisch ab, indem er bereits bestehende Kontakte zur aufstrebenden Großmacht Rom erneuerte. Möglicherweise reiste 161 v. Chr. eine jüdische Gesandtschaft nach Italien, um die Römer um ein Waffenbündnis und Aufnahme ihres Volkes als socius et amicus populi Romani zu bitten.

Doch die Seleukiden gaben noch nicht auf. Demetrios sandte den aufständischen Juden seinen hervorragenden Feldherrn Bakchides mit einer Eliteeinheit entgegen. Judas zögerte diesmal, sich zum Kampf zu stellen. Als er sich endlich entschloss, dem Syrer entgegen seiner bisherigen Guerillataktik in offener Feldschlacht zu begegnen, beschworen ihn seine Leute, die Entscheidung aufzuschieben. Doch davon wollte er nichts wissen. „Wenn unsere Zeit gekommen ist“, hielt er ihnen entgegen, „so wollen wir für unsere Brüder tapfer in den Tod gehen. Kein Schatten soll unsere Ehre beflecken.“10

Es war, als hätte er sein Ende vorausgesehen. Sein anfängliches Kriegsglück verließ ihn schon bald. Er fiel, und ganz Israel beweinte seinen Tod.

Die überlebenden Aufständischen schlossen sich seinem jüngsten Bruder Jonatan an und flohen mit ihm in die Wüste, wo sie sich zunächst wie Banditen durchschlagen mussten. Doch bald wurden sie von der Bevölkerung unterstützt und erstarkten, sodass ihnen wiederum Bakchides entgegengesandt wurde, um, wie es hieß, die hellenisierten Juden gegen die Rebellen zu schützen. Jonatan gelang es indes, den Nachschub des Generals empfindlich zu stören, bis dieser schließlich den hellenenfreundlichen Juden Jerusalems vorwarf, ihn in eine Falle gelockt zu haben. Er drohte, in seine Heimat nach Antiochien zurückzukehren und sie ihrem Schicksal zu überlassen. Davon hörte Jonatan und bot an, die hellenisierten Juden in Frieden zu lassen, wenn der General sich zurückziehe. Und tatsächlich zog der Syrer ohne weiteres Blutvergießen ab.

Denn auch der Anführer der aufständischen Juden hatte genug vom Krieg. Er legte das Schwert beiseite und widmete sich fortan der Politik. Im Laufe nur weniger Jahre wandelte sich der jüngste Sohn des kämpferischen Priesters Mattathias von einem verachteten Unruhestifter zu einem geachteten Staatsmann, um dessen Wohlwollen die rivalisierenden Thronanwärter des Seleukidenhofs buhlten und der es sich leisten konnte, seine Gunst bald dem einen, bald dem anderen zu gewähren.

Unter ihm waren die wichtigsten Ziele des Makkabäeraufstands erreicht. Zwar war Judäa noch kein unabhängiger Staat, aber doch ein autonomes Gebiet innerhalb des Seleukidenreichs, dessen südlichen Teil es weitgehend beherrschte. Bei aller Zufriedenheit mit dem Erreichten verlor Jonatan aber die endgültige Souveränität seines Landes nicht aus den Augen. Wie sein Bruder wenige Jahre zuvor sicherte auch er sich die Unterstützung Roms und suchte darüber hinaus die Verbindung zu Sparta, das damals noch beachtliche Macht besaß und zu dem möglicherweise schon sein Vorgänger diplomatische Beziehungen unterhalten hatte.

Er hätte womöglich die völlige Unabhängigkeit erlangt, wäre er nicht einem schändlichen Verrat zum Opfer gefallen. Tryphon, General des neuen und von ihm inthronisierten Herrschers Antiochos VI. und dessen eigentlicher Regent, befahl ihn nach Ptolemais mit dem Versprechen, ihm Jerusalem zu übergeben. Jonatan machte sich arglos mit einer 1.000 Mann starken Ehrengarde auf den Weg und stolperte geradewegs in die Falle. Der Syrer tötete die Männer, nahm den Anführer gefangen und schleppte ihn auf einen erneuten Kriegszug gegen Judäa mit.

Inzwischen hatte dort eine Volksversammlung Jonatans Bruder Simon, dem der Ruf besonderer Klugheit vorauseilte, zum Führer der Aufständischen ernannt. Simon erkannte die militärische Überlegenheit des Gegners, vermochte aber trotz einiger Zugeständnisse das Leben des Bruders nicht zu retten. Nach dessen Ermordung spielte er die seleukidischen Rivalen untereinander aus. Er ging daran, die Bewohner seines Landes zu zwangsjudaisieren und war schließlich stark genug, die Akra zu erobern, das letzte Bollwerk der Fremdherrschaft auf jüdischem Boden. Jetzt kontrollierte er ein geschlossenes Herrschaftsgebiet, das weit über die Grenzen Altisraels hinausging. Das Volk bewunderte ihn und begann, „Urkunden und Verträge mit der Formel einzuleiten: Im Jahr 1 der Regierung Simons, des Hohepriesters, Befehlshabers und Führers der Juden“11.

Seit sein Vater im Dorf Modi’im den Aufstand geprobt hatte, waren 25 Jahre vergangen. Die Juden hatten für ihre Unabhängigkeit einen gewaltigen Blutzoll entrichtet. Alle Brüder Simons hatten darin ihr Leben verloren. Und das Blutvergießen sollte weitergehen, auch wenn sich Judäa am Ziel seiner Wünsche glaubte.

Hätte Herodes, der seinen Führungsanspruch mehr als hundert Jahre später erhob, seine Wurzeln auf jenes überragende Makkabäer- oder Hasmonäergeschlecht zurückführen können, dessen Andenken man noch zu seiner Zeit in hohen Ehren hielt, sein Königtum wäre womöglich in sich gefestigter und er selbst fremden Einflüsterungen weniger zugänglich gewesen und den vielfachen, an seinem Hof gesponnenen Intrigen vielleicht nicht oder nicht mit den bekannten Folgen erlegen. Der Titel „der Große“, von der Nachwelt selten verliehen, hätte ihn dann sicherlich in den Geschichtsbüchern nicht nur von seinen gleichnamigen Kindern unterschieden, sondern seine unbestreitbaren Verdienste als Herrscher, weniger freilich seine menschlichen Eigenschaften, gewürdigt.

Die Ereignisse jedenfalls, die unter dem Priester Mattathias in Modi’im ihren Anfang genommen hatten, waren für die spätere Entwicklung Ausschlag gebend, und die Geschichte Israels hätte ohne sie sicherlich einen anderen Verlauf genommen.

Der Verfall der Makkabäerherrschaft

Simon, der letzte überlebende Sohn des Mattathias, war seinem ermordeten Bruder Jonatan nicht nur als Hohepriester nachgefolgt. Ihm wurde 140 v. Chr. nach einer Art stillschweigenden Waffenstillstands mit Syrien von seinem Volk auch der Titel eines Fürsten verliehen und die Erblichkeit dieser Würde bestätigt. Als weltlichem Führer der Juden gelang ihm die Rückeroberung einiger Städte Judäas, die in die Hände feindlicher Stämme gefallen waren. Er festigte seine Herrschaft, und bald kehrten in Israel Ruhe und ein gewisser Wohlstand ein, wenn auch die Auseinandersetzungen mit den Seleukiden nie ganz aufhörten.

Nicht alle Juden zeigten sich indes mit dem Erreichten zufrieden. Viele sahen in naher oder ferner Zukunft noch immer den Anbruch der Gottesherrschaft und wollten die getroffenen Vereinbarungen nur so lange gelten lassen, „bis Gott einen wahren Propheten erweckt“1. Manche der endzeitlich ausgerichteten Frommen zogen sich nach Qumran am Nordufer des Toten Meeres zurück, wo sie sich der Schriftauslegung widmeten und der verheißenen Ankunft des Messias entgegenträumten. In den Hasmonäern sahen sie „Frevelpriester“, die in ihren Augen das heilige Amt profaniert hatten.

Die meisten von Simons Untertanen aber waren sich einig, dass unter ihm der Wohlstand zurückgekehrt war und man in Ruhe die Felder bebauen konnte. Nach dem Vorbild seiner Brüder festigte auch er den Frieden durch ein Bündnis mit Rom, in dem der römische Senat dem jüdischen Volk das uneingeschränkte Recht auf sein Land garantierte.

In Syrien hatte inzwischen der Bruder des Demetrios, Antiochos VII., den Thron bestiegen, der letzte bedeutende Vertreter eines dem Untergang geweihten Geschlechts. Dieser erhob erneut Anspruch auf Judäa. Offensichtlich verbündete sich mit ihm Simons Schwiegersohn Ptolemaios, der Gouverneur von Jericho, gegen die eigenen Verwandten. Während eines Gastmahls ließ er Simon und zwei von dessen Söhnen ermorden (135 v. Chr.). Ein weiterer, Johannes (Hyrkan), sollte ebenfalls umgebracht werden, konnte sich aber in Sicherheit bringen. Hatte der verwegene Ptolemaios geplant, die gesamte Familie der Hasmonäer auszurotten und die Herrschaft über Judäa an sich zu reißen?

Johannes Hyrkan I. jedenfalls trat die Nachfolge seines Vaters an und setzte sich allmählich gegen den ehrgeizigen Verwandten durch. Auch ihm machten die Syrer noch Schwierigkeiten. Sie belagerten ein Jahr lang Jerusalem, bis die Stadt aus Mangel an Nahrungsmitteln zu kapitulieren gezwungen war. Die Friedensbedingungen waren jedoch ungewöhnlich mild, da plötzlich eine gemeinsame Gefahr aufgetreten war: Die Parther, gegen die wieder einmal Krieg geführt werden musste. Allerdings hatte Johannes Hyrkan dreihundert Talente Silber sofort und zweihundert weitere binnen einer bestimmten Frist zu bezahlen und im anstehenden Partherfeldzug Heeresfolge zu leisten.

Um diesen Verpflichtungen nachkommen zu können, ließ er das Grab Davids öffnen, in dem Judäas Silberreserven lagen. Er warb mit dem Geld auch fremde Söldner an. Beides erschien den frommen jüdischen Kreisen äußerst bedenklich.

Aber die Herrschaft des Enkels des Mattathias stand unter einem günstigen Stern. König Antiochos VII. kehrte vom Partherfeldzug nicht zurück, was die Auflösung des Seleukidenreichs beschleunigte. Geschickt nutzte Johannes Hyrkan die dort erneut auftretenden Thronstreitigkeiten, um sein Herrschaftsgebiet zu erweitern. Nach nur zehnjähriger Regierung hatte er bereits Samaria annektiert, ebenso das im Süden gelegene Idumäa. Die Bevölkerung der unterworfenen Gebiete wurde gezwungen, den jüdischen Glauben anzunehmen, da man sich ihrer Loyalität versichern wollte. Unter den Zwangsbekehrten befanden sich auch die Vorfahren Herodes des Großen. Das gab diesem später „die Möglichkeit, sich zum König der Juden aufzuschwingen“2.

Die Idumäer oder Edomiter waren ein den Juden verwandtes Volk, das seine Herkunft auf Esau oder Edom, den Sohn Isaaks und älteren Bruder Jakobs, zurückführte. Möglicherweise waren sie sogar älter als die Juden selbst.3 Sie hatten ursprünglich südlich des Toten Meeres gesiedelt. Ihre Hauptstadt hieß Sela, das in der griechischen Übersetzung Petra genannt wurde, der Fels. Allmählich waren sie jedoch von den Nabatäern verdrängt worden und ins südliche Judäa westlich des Toten Meeres ausgewichen. Ihre neue Hauptstadt wurde Hebron, das noch heute immer wieder für Schlagzeilen sorgt.

Gelegentlich hatten sich die Idumäer, wenn sie sich Vorteile davon versprachen, mit den Juden verbündet. Im Allgemeinen aber waren sie diesen feindlich gesonnen. Schon König Saul hatte Edom niedergerungen, und auch seine Nachfolger hatten sich gegen diesen Erbfeind nach Kräften gewehrt.

Leider ist nirgendwo überliefert, wie die Zwangsjudaisierung vor sich ging. Jedenfalls scheint in den Tagen des Johannes Hyrkan I. die frühere Praxis, die auch die Hebräer beachtet hatten, dass nämlich jemand, der in das Land einer anderen Gottheit zog, die seine aufgab und gegen die des neuen Ortes tauschte, nicht mehr geübt worden zu sein. Das Babylonische Exil im sechsten vorchristlichen Jahrhundert hatte hier eine starke Veränderung auch im jüdischen Denken bewirkt. Nicht mehr Land und Gott wurden jetzt miteinander verknüpft, sondern Gott und Volk, das sich auch im Exil mitten unter Fremden als geschlossene Gesellschaft sah, die überlieferten Bräuche beachtete und weiterhin Jahwe als seinem Herrn verbunden blieb. Die Religion war damit nicht mehr die Folge einer zufälligen Wohnsitzveränderung, sondern bewusste Wahl, die sich an jedem Ort der Welt zum einigenden Band aller, die sich gleichen Zielen verpflichtet fühlten, entwickeln konnte.

Dieses Bewusstsein war auch im ausgehenden zweiten vorchristlichen Jahrhundert noch vorhanden, wenn auch das Judentum zu dieser Zeit schon alles andere als eine geschlossene Glaubensgemeinschaft war. Als der Makkabäeraufstand seinen Höhepunkt erreicht hatte, hielten wohl die meisten Juden noch am überlieferten, auf den Tempel in Jerusalem gerichteten Opferkult fest, der sich bis zu dessen Zerstörung im Jahr 70 n. Chr. behauptete. Daneben zeichneten sich aber schon die Anfänge des rabbinischen Judentums der Synagoge ab, eines „beweglichen“ Glaubens, der das Tempelopfer nicht mehr in den Mittelpunkt des Kults stellte und damit besonders den in der Diaspora lebenden Juden entgegenkam. Der Tempel stand unverrückbar in Jerusalem, oft Hunderte von Kilometern von jüdischen Siedlungen entfernt. Die heiligen Schriften hingegen begleiteten die Gläubigen, wohin diese auch wanderten, und Gebetshäuser ließen sich mit verhältnismäßig geringen Mitteln überall errichten.

Es ist nicht bekannt, wie weit diese Entwicklung zur Zeit der Unterwerfung der Idumäer schon fortgeschritten war. Deshalb kann auch nicht endgültig geklärt werden, „welche Gestalt und Version bzw. welche Intensität des Judentums ein Konvertit in der Zeit des Johannes Hyrkanus übernahm“4 .

Ebenso wenig ist überliefert, wie sich die Bekehrung vollzog. Wurde dem zu Bekehrenden nur gut zugeredet? Begnügten sich die neuen Herren mit der Beschneidung der männlichen Konvertiten? Oder legte man seitens der Eroberer nur Wert auf die Übernahme bestimmter sozialer Verhaltensweisen, etwa den Verzicht auf Schweinefleisch und die Beachtung des Sabbatgebots? Wie stand es mit der Tempelsteuer, die in Höhe eines halben Schekel jährlich nach Jerusalem zu entrichten war? Waren Zwang und Gewalt erforderlich, um die Bewohner des eroberten Landes von der Notwendigkeit des religiösen Umdenkens zu überzeugen? Wir wissen es nicht. Sicher ist nur, dass auch noch hundert Jahre nach diesen Maßnahmen die Nachkommen der Bekehrten allenfalls als Juden minderen Ranges galten, eine Tatsache, die – neben seiner nichtköniglichen Abstammung – die Durchsetzung von Herodes’ Anspruch beim eigenen Volk erschwerte und sein Selbstbewusstsein als Herrscher tief erschütterte.

Sicherlich erwies sich die Eingliederung der Konvertiten als schwierig, da sich selbst die frommen Juden in ihren Glaubensvorstellungen uneins waren. Zum einen gab es die Rivalität zwischen dem Tempel mit seinem Aufgebot an Priestern und der Bewegung der stärkeren Betonung der Schrift, zum anderen gab es innerhalb dieser gegensätzliche Vorstellungen, was die buchstabengetreue Auslegung und die Interpretation vor allem der Bibel betraf. Für die einen stellte die wörtliche Auslegung die einzige Wahrheit dar. Die anderen folgerten, zogen Lehren und passten das überlieferte Wissen den Forderungen der jeweiligen Epoche an. Doch wie sehr hatten sich die gegensätzlichen Standpunkte zur Zeit des Makkabäeraufstands verhärtet? Auch hier kann niemand gesichertes Wissen für sich in Anspruch nehmen, zumal sich schon die alten Quellen widersprechen. In den beiden Hauptwerken des Flavius Josephus, die die Zeiten überdauert haben und aus denen wir trotz mancher Ungereimtheiten unsere größte Kenntnis des antiken Judentums schöpfen – den „Jüdischen Altertümern“ (Antiquitates Iudaicae) und dem „Krieg der Juden gegen die Römer“ (Bellum Iudaicum) – spricht der Geschichtsschreiber einmal von einem Anwachsen der pharisäischen Strömung in der Regierungszeit der Königin Alexandra, die von 76 bis 67 v. Chr. herrschte;5 an anderer Stelle behauptet er, es hätte bereits zur Zeit des 142 v. Chr. ermordeten Jonatan drei religiöse Parteien gegeben: die Sadduzäer, die „ökonomisch und sozial eine Oberschicht darstellten“6, die Pharisäer als volksnahe Repräsentanten der Mittelschicht und die besonders schriftgetreuen Essener.

Dass es schon damals zumindest verschiedene wie auch immer ausgeprägte Richtungen gab, beweist die Tatsache, dass sich Johannes Hyrkan I. gegen Ende einer fast dreißigjährigen Regentschaft bemühte, einen zwischen Sadduzäern und Pharisäern schwelenden Konflikt zu lösen. Testamentarisch trennte er das Amt des Hohepriesters von den weltlichen Machtbefugnissen und setzte seine Witwe als Erbin des Thrones und seinen Sohn Aristobul als geistlichen Oberhirten ein.

Aber der Jüngling dachte nach dem Tod des Vaters nicht daran, auf die weltliche Macht und die Möglichkeiten, die sie ihren Inhabern bot, zu verzichten. Er warf seine Mutter ins Gefängnis, wo sie langsam verhungerte, nahm den Königstitel an und setzte die Expansionspolitik seines Vaters fort. Zu seinen herausragenden und für die Geschichte des Judentums (und später des Christentums) folgenreichsten Leistungen gehörte die Unterwerfung Galiläas, das wie andere bereits annektierte Gebiete zwangsjudaisiert wurde. Der König stellte damit sicher, dass auch jedes von galiläischen Müttern geborene Kind zum Judentum gehörte – bis hin zu Jesus von Nazareth.

Aristobuls I. Herrschaft endete nach nur einem Jahr. Er starb, ohne leibliche Erben zu hinterlassen.

Auch sein Bruder Alexander Iannaeus, grausamer noch als der Vorgänger, war vom Schicksal nicht begünstigt, wenn er sich auch 27 Jahre lang auf dem Thron hielt. Er konnte sein Herrschaftsgebiet zwar geringfügig erweitern, hatte aber innenpolitisch schwere Auseinandersetzungen mit den Pharisäern zu bestehen, die sich von ihm bis zur Schmerzgrenze provoziert sahen. Er hatte unvorsichtigerweise auf seine Münzen „Alexander der König“ schlagen lassen, zweisprachig, hebräisch und griechisch, worin viele seiner Gegner eine Hellenisierung erblickten. 90 v. Chr. kam es zum offenen Aufruhr. Flavius Josephus spricht von einem Bürgerkrieg, der sieben Jahre gedauert und 50.000 Opfer gefordert habe. Doch wie immer, wenn der Geschichtsschreiber Flavius Josephus von Zahlen spricht, sind seine Angaben mit größter Vorsicht zu bewerten. Man darf aber trotzdem annehmen, dass während der Auseinandersetzungen sehr viele Menschen ihr Leben verloren. Stimmen indes dürfte die Nachricht, der König habe damals die Kreuzigung als Todesstrafe eingeführt, eine bis dahin in Israel nicht bekannte Hinrichtungsart.

Alexander Iannaeus wäre in diesem Konflikt wohl unterlegen, hätte er nicht fremde Söldner zu Hilfe geholt. Doch auch seine Gegner suchten auswärtige Unterstützung. Sie wandten sich an die Seleukiden, die ihnen tatsächlich gegen ihren König zu Hilfe eilten. Erst mit der Zeit sahen sie ein, dass es doch vorteilhafter war, sich dem eigenen Herrscher zu beugen, mochte der auch seine Schwächen haben. Die Lage beruhigte sich, nachdem auch Alexander Iannaeus erkannt hatte, dass ihm in der Behandlung der Pharisäer schwerwiegende Fehler unterlaufen waren. Es kam zur Aussöhnung, deren Wirkungen der König aber nicht mehr lange genießen konnte. Übermäßiger Alkoholgenuss hatte seinem Körper schwer zugesetzt. Er setzte seine Witwe Alexandra Salome zur Regentin ein und empfahl ihr noch auf dem Sterbebett, den inneren Frieden zu bewahren. Die Pharisäer waren zuletzt mit ihm sehr zufrieden gewesen. Nach seinem Tod traten sie vor das Volk und rührten es durch ihre Lobeshymnen auf den Verstorbenen zu solcher Trauer, dass man ihm ein Begräbnis ausrichtete, wie es noch kein König vor ihm gehabt hatte.7

Wie er es verfügt hatte, folgte ihm Alexandra Salome auf dem Thron nach, die zunächst Aristobul I., dann dessen Bruder Alexander Iannaeus geheiratet hatte. Ihr zweiter Gatte starb im Alter von 49 Jahren. Die Witwe war bei seinem Tod bereits 64 Jahre alt und hatte damit ein zu damaliger Zeit hohes Alter erreicht. Dennoch führte sie die Staatsgeschäfte mit sicherer Hand. Schon zuvor hatte sie offensichtlich großen Einfluss besessen und von Johannes Hyrkans I. fünf Söhnen zwei töten lassen, – ein damals übliches Mittel der Thronsicherung – zwei geheiratet und den jüngsten, Absalom, zum Rückzug ins Privatleben gezwungen.

Von ihrem zweiten Gatten hatte sie die Söhne Hyrkan und Aristobul. Als Frau konnte sie zwar Regentin sein, nicht aber das Hohepriesteramt bekleiden, das die Herrscher Judäas bisher traditionsgemäß mit der weltlichen Macht in sich verbunden hatten. Selbst ihr Gatte Alexander Iannaeus, ein Trunkenbold und Sadist, war der Hohepriester Jahwes gewesen. Dieses Amt ging nun auf den Sohn Hyrkan II., den älteren der beiden Nachkommen, über. Es enthielt zugleich die Anwartschaft auf den Thron.

Trotz der den Menschen der Neuzeit abschreckenden Grausamkeit galt Alexandra, die einzige Frau auf dem jüdischen Thron, als gute Königin. Von Kriegen während ihrer neunjährigen Regierungszeit ist nichts bekannt, und auch der innere Frieden scheint während ihrer Regentschaft einigermaßen gesichert gewesen zu sein. Das sollte sich noch vor ihrem Tod ändern.

Denn die Dinge entwickelten sich anders, als es die Eltern erwartet hatten. Die Hoffnung, Aristobul werde sich mit einer Stellung als Bruder des künftigen Königs begnügen und sich in ein gemächliches Privatleben zurückziehen, erfüllte sich nicht. Es zeigte sich vielmehr, dass er einiges vom Temperament seines Vaters geerbt hatte, während sein Bruder Hyrkan willensschwach, behäbig und lethargisch wie sein Onkel Absalom war. Die Mutter hatte Aristobul deshalb zum Oberbefehlshaber ihrer Streitmacht ernannt. Als Hyrkan nach ihrem Tod das Erbe antreten wollte, zettelte der Jüngere einen Aufstand an, um den Thron an sich zu reißen. Wieder einmal herrschte in Judäa Bürgerkrieg. Aber es war nicht Hyrkan, der den Forderungen seines Bruders Einhalt gebot. Ein Fremder wies ihn in die Schranken, ausgerechnet ein Mann aus dem Volk der verhassten Idumäer, der Erbfeinde der Juden, die erst von Hyrkans Großvater unterworfen worden waren. Sein Name war Antipater, Sohn des Antipater. Er war der Vater Herodes’ des Großen.

Mit ihm und seiner Zeit gilt es nun, sich näher zu beschäftigen.

Sage mir, woher du kommst …

Kein Geringerer als der römische Geschichtsschreiber Publius Cornelius Tacitus charakterisierte in seinen Historien den Zustand Judäas zur Zeit von Herodes’ Geburt wie folgt: „Die Makedonier waren schon schwach, die Parther noch nicht stark genug und die Römer fern. Da setzten die Juden selbst Könige ein. Durch des Volkes veränderlichen Sinn vertrieben, gewannen sie ihre Herrschaft mit Waffengewalt zurück und begannen, Kinder, Gattinnen und Eltern zu ermorden und all die Freveltaten zu begehen, deren Tyrannen fähig sind. Schließlich missbrauchten sie noch die Würde des Priestertums zur Stütze ihrer politischen Macht.“1

Drehen wir das Rad der Geschichte ein wenig zurück. Die Tage der Königin Alexandra Salome waren gezählt. Zufrieden blickte sie von ihrem Sterbebett auf das tiefe Tal, das die Oberstadt Jerusalems vom Tempel trennte, auf dem „der Rauch des großen Brandopferaltars mit seiner nie erlöschenden Flamme regelmäßig gen Himmel stieg. Ja, die Verehrung des Einen Gottes war für alle Zeiten gesichert. Welch gesegneten Wandel hatte die nationale Erhebung geschaffen! Denn noch vor hundert Jahren hatte sich genau hier, an der Stelle ihres Palastes, die Akra, die Zitadelle der heidnischen Griechen erhoben und den heiligen Berg beherrscht. Unter ihren Fenstern hatte sich das lästerliche Gymnasion erstreckt; junge Juden und sogar Priester hatten dort voller Eifer – nackt oder den fremdländischen Hut auf dem Kopf – Sport und Spiel der Heiden getrieben, und der Hohepriester selbst hatte solche Hurerei gefördert! War es da ein Wunder, dass Antiochus glauben konnte, das Judentum sei tot und der Hellenismus triumphiere? Aber der Eine, Heilige Gott – er sei gepriesen! – hatte die Söhne des Mattathias erweckt, um die Heiden aus Seinem Erbe zu vertreiben. Alles war wieder gut, Frieden und Überfluss herrschten im Lande, und Gottes Lobpreis erscholl auf dem Berg Zion …“2

Ein günstiger Himmel verhinderte, dass die Königin erleben musste, welche fremden Mächte bereits darauf lauerten, ihr mit Blut und Schweiß errichtetes Reich zu zerstören. Binnen eines Jahrzehnts nach ihrem Tod sollte der Hellenismus in ihrem Land vorherrschen und ein Ungläubiger ungehindert nicht nur den Tempel, sondern das Allerheiligste betreten, was nach dem Glauben der Väter nur dem Hohepriester, und auch ihm nur einmal im Jahr, nämlich am Versöhnungstag, gestattet war.

Ein tiefer Riss spaltete das jüdische Volk. Oberflächlich betrachtet, hatten ihm die hasmonäischen Führer zwar zu nationaler Einheit verholfen. Aber nur Judas Makkabäus hatte wirklich für den Ruhm seines Gottes gekämpft und den Juden noch einmal das Gefühl der Auserwähltheit gegeben. Seine Brüder und Nachfolger ließen sich vor allem vom weltlichen Ehrgeiz leiten, profanierten das heilige Amt des Hohepriesters und führten ein ausschweifendes, Gott kaum gefälliges Leben. Simon fiel betrunken durch Mörderhand. Alexander Iannaeus galt, obwohl Hohepriester Jahwes, als Sadist und brutaler Trunkenbold, wenn er vielleicht auch auf dem Sterbebett noch einen moralischen Wandel erfuhr. Es verwundert nicht, dass sich die Frommen angeekelt abwandten und „die Makkabäer im rabbinischen Schrifttum nur wenig Beachtung fanden“3. Die „Bücher der Makkabäer“ blieben apokryph.

Denn anders als alle bis dahin bekannten Staatsführungen legte die jüdische „alle Gewalt und Autorität in die Hände Gottes“, wie Flavius Josephus bemerkte und wofür er einen eigenen Begriff prägte: Theokratie.4 „Es war eine kühne Formulierung, die aber den jüdischen Schriftsteller unsterblich machen sollte.“5

Wenn Tacitus auch meinte, die Makedonier seien schon schwach gewesen, bevor die Makkabäer den Schauplatz der Geschichte Judäas betraten, so hatte doch der Hellenismus in Vorderasien einen gewaltigen Siegeszug angetreten, noch ehe Alexander der Große seine berühmten Feldzüge unternahm. Die griechische Zivilisation, vor allem die zumindest von allen Gebildeten gesprochene und verstandene Sprache sowie die polis, die Stadt, als Ziel und Mittelpunkt eines für jeden Einzelnen erstrebenswerten Lebens, hatten auch auf viele Juden, vor allem die liberalen, einen unwiderstehlichen Reiz ausgeübt, sodass sie sich fortan westlich orientierten. Sie argumentierten, man müsse mit der Zeit gehen und dürfe sich Neuerungen nicht verschließen.

Gläubige und hellenistisch gesinnte Juden bildeten die Bevölkerung Judäas, und unter den Gläubigen gab es noch Schattierungen. Streng am überlieferten Glauben und den alten Riten hielten die „Söhne Zadoks“ fest, die Sadduzäer, die die einflussreichen und wohlhabenden Kreise der Bevölkerung vertraten und den Tempelkult kontrollierten. Sie waren mit der ihnen bekannten Welt zufrieden und wünschten sich zunächst keine Veränderung. Misstrauisch betrachteten sie die volksnäheren Pharisäer, die neuerdings von Geistern und Engeln, von der Auferstehung und einem ewigen Leben träumten. Zweifellos waren sie eine Gefahr für die bestehende Ordnung. Aber ihre Zahl und ihr Einfluss waren so stark, dass sich ihnen die Sadduzäer, wollten sie als strenggläubige Juden überleben, zwangsläufig anpassen mussten. Die Pharisäer, die „wesentlich aus der Bewegung der Chassidim entstanden und sicher wie diese aus Schreiberkreisen hervorgegangen waren“6, gewannen nach der Aussöhnung mit Alexandra Salome auch zunehmend an Einfluss im Sanhedrin, der obersten politischen und religiösen Körperschaft des jüdischen Volkes. Dennoch scheint bis zur Zerstörung des Tempels unter Titus im Jahr 70 n. Chr. die sadduzäische Tempelaristokratie die stärkste gesellschaftliche Position innegehabt zu haben.

Von parasch, sich absondern, leitete sich der Name Pharisäer ab, und so wurden sie von ihren Gegnern auch als „sich Absondernde“ beschimpft. Sie fühlten sich dem Ideal der Kedusch verbunden, der Heiligkeit. Zu ihren Grundüberzeugungen gehörten das Fernhalten von Sünden und das Beachten der Gebote. Deshalb war ihnen das Studium der Thora ein Hauptanliegen, wobei das ganze Volk einbezogen werden sollte. Sie verstanden sich als Schriftgelehrte und Nachfahren jenes Esra, der einst nach der Heimkehr aus der Babylonischen Gefangenschaft den Juden „das Gesetz“ zurückgegeben hatte. Sie förderten die Synagoge als Ort von Gottesdienst und Lehre, polemisierten, wenn auch nicht geschlossen, gegen den Tempel und waren überzeugt, dass Gott überall und allgegenwärtig sei und deshalb an jedem beliebigen Ort angebetet werden könne. Und doch haben auch sie später um den zerstörten Tempel geweint.

Erstaunlich modern muten ihre Vorstellungen vom freien Willen des Einzelnen in Verknüpfung mit der göttlichen Vorsehung, der Eigenverantwortlichkeit des Menschen und schließlich seiner Entlohnung für dieses Leben in der kommenden Welt an.

Aber auch sie bildeten keine homogene Einheit. Die rabbinische Literatur nennt sieben pharisäische Richtungen. Eine davon waren die Zeloten. Wie ihr Name, Eiferer, andeutet, handelte es sich bei ihnen um eine auch politisch besonders aktive, ja fanatische Gruppe, die im Krieg der Römer gegen die Juden in den Jahren 66 bis 73 n. Chr. eine verhängnisvolle Rolle spielen sollte.

Eine weitere, äußerst fanatische Strömung bildeten die Essener, über die nur wenig und zum Teil sogar Widersprüchliches bekannt ist, zumal sich die jüdischen Geschichtsschreiber Philon von Alexandria (20 v. – 40 n. Chr.) und Flavius Josephus in ihrer Schilderung dieser frommen Priestersekte unterscheiden. Es scheint, als hätten sie das städtische Leben verachtet und ein einfaches Dasein in ländlicher Abgeschiedenheit vorgezogen. Die Kommune, die sich am Westufer des Toten Meeres, in Qumran, ansiedelte, gehörte wohl zu ihren fanatischsten Anhängern. Aber Essener waren auch in den Dörfern über ganz Judäa verstreut. Ihre Unterschiede zu den anderen religiösen Gruppierungen waren nicht grundlegender Art. Man könnte sie als „Extremisten mit pharisäischem Einschlag bezeichnen“8. Sie hassten den Tempel mit seinen Priestern und nahmen nicht am Kult teil, vielleicht weil sie die Hoffnung aufgegeben hatten, die Entwicklung des Landes noch beeinflussen zu können. Ihr Verzicht auf jegliche Zivilisation mag ein Protest gegen den Zustand der Gesellschaft gewesen sein. Aber sie bildeten zu den Pharisäern nicht den Gegensatz, der jene von den Sadduzäern trennte.

Im Laufe der Zeit wurden die Sadduzäer, die am Königshof und im Tempel von Jerusalem den Mittelpunkt ihrer Weltanschauung sahen, immer stärker von den Pharisäern verdrängt, nicht zuletzt, da diese auch außerhalb der Hauptstadt weite Teile der Bevölkerung hinter sich hatten.

Schon zu Herodes’ Zeit waren sie eine einflussreiche Gruppe, die von ihm wahrscheinlich sogar gefördert wurde. Die Sadduzäer betrachtete er hingegen als Anhänger der Hasmonäerpartei und Repräsentanten der jüdischen Oberschicht und damit als natürliche Feinde, und es bestand kein Anlass, sie besonders zu privilegieren.

Herodes selbst gehörte später keiner dieser konkurrierenden religiösen Strömungen an. Von seiner Weltanschauung her fühlte er sich am ehesten zum Hellenismus hingezogen, wie fast alle bedeutenden und gebildeten Regenten jener Zeit. Das jüdische Geistesleben interessierte ihn nur, soweit es seine Macht betraf.

Doch zurück zum Geschehen: Noch zu Lebzeiten seiner Mutter hatte Aristobul versucht, sich der Herrschaft zu bemächtigen. Eines Nachts verließ er heimlich Jerusalem, sammelte ein Heer und besetzte 22 Festungen in der unmissverständlichen Absicht, seinen älteren Bruder Hyrkan zu verdrängen. Aber Alexandra Salome wusste sich zu wehren. Sie ließ die Frau und die vier Kinder ihres Jüngeren – zwei Söhne und zwei Töchter – festnehmen und hielt sie als Geiseln in der Zitadelle Baris, die später zu Ehren des Römers Marc Anton in Antonia umbenannt wurde, in Jerusalem gefangen. So brach erst nach ihrem Tod der offene Bruderzwist aus. Hyrkans Truppen wurden bei Jericho geschlagen. Hyrkan selbst floh und suchte in der Zitadelle seiner Mutter Schutz. Die Familie seines Bruders diente nun ihm als Garant für seine Sicherheit. Offensichtlich aber verspürte er wenig Lust, sich den Mühen und Gefahren des Regierens auszusetzen und seinen Thron zu verteidigen, zumal ständig Nachrichten von Aristobuls Siegen zu ihm drangen. Man fand eine Lösung, indem Hyrkan auf seine weltlichen und wohl auch geistlichen Ansprüche zu Aristobuls Gunsten verzichtete. Im Gegenzug wurden ihm alle Ehren als Bruder des Königs zuerkannt. Die Belagerung wurde aufgehoben, und Aristobul erhielt seine Angehörigen unversehrt zurück. Die Versöhnung fand im Tempel statt, wo sich die beiden Brüder in feierlicher Zeremonie herzlich umarmten.

Hyrkans Berater Antipater hielt sich gerade in Nabatäa auf. Er und andere Feinde Aristobuls verhinderten, dass der ausgehandelte Friede von Dauer war.

Antipaters gleichnamiger Vater, der Großvater Herodes’ des Großen, war der erste aus der Familie der Herodäer, der die politische Bühne Palästinas betrat. Nach Flavius Josephus, der Hauptquelle der Lebensgeschichte des Herodes, entstammte der ältere Antipater einem alten, vornehmen und wohlhabenden Idumäergeschlecht.7 Doch Nikolaos von Damaskus, Philosoph, Ratgeber und Vertrauter des Herodes, der an dessen Hof lebte und wirkte, weist die Familie den angesehenen Heimkehrern aus dem Babylonischen Exil zu, möglicherweise, um die jüdische Herkunft seines Dienstherrn und Freundes aufzuwerten. Frühe Kirchenväter hingegen versuchten, den König der Juden herabzusetzen: Dessen Vorfahre sei nichts weiter als ein gewöhnlicher Bürger Askalons gewesen oder gar nur ein Tempelsklave Apollons in dieser berühmten Philisterstadt.

Soviel jedenfalls steht fest: Alexander Iannaeus ernannte den älteren Antipater zum Oberbefehlshaber über ganz Idumäa. Was dieses Amt beinhaltete, ist nicht bekannt. Möglicherweise kam es dem eines Militärgouverneurs gleich. Jedenfalls gelang es seinem Inhaber, die Freundschaft seiner arabischen Nachbarn, der Nabatäer, zu gewinnen. Die guten Beziehungen kamen auch dem Hasmonäerkönig zustatten. Er konnte zufrieden sein.

Was die antiken Autoren auch immer über ihn berichten: Der Großvater Herodes des Großen war zweifellos ein tüchtiger, angesehener und wohlhabender Mann. Was hätte seinen Sohn ansonsten in die Nähe des Hofes, ja in den unmittelbaren Einflussbereich des Königs gebracht?

Der jüngere Antipater, der noch höher steigen sollte als sein Vater, lebte in Jerusalem, wo er in den obersten Kreisen verkehrte. Er avancierte zum Ratgeber Hyrkans II. und hegte zweifellos den Wunsch, seine einflussreiche Stellung noch weiter auszubauen, zumal er erkannt hatte, dass der Erstgeborene des Alexander Iannaeus antriebsschwach und alles andere als zum Herrschen geeignet war.

Dennoch: Er war der rechtmäßige König, und es war nicht mehr als recht und billig, ihm diese Stellung wieder zu verschaffen und sie gegen die ehrgeizigen Pläne Aristobuls zu verteidigen.

Woher rührte Antipaters abgrundtiefer Hass gegen Aristobul? Wir wissen es nicht und können darüber nur Vermutungen anstellen. Rechnete er sich schon jetzt durch die Unterstützung des zurückhaltenden, lustlosen Hyrkan für sich und seine Söhne bessere Karrieremöglichkeiten aus? Glaubte er, mit Hyrkan leichtes Spiel zu haben? Denn hätte ihm an der Erhaltung der Macht der Hasmonäer wirklich gelegen, hätte er sich eigentlich dem dynamischen und durchsetzungsfähigen Aristobul zuwenden müssen, der allein eine Herrschaft mit fester Hand gewährleistet hätte.

Antipaters Aufgabe, Hyrkan II. wieder auf den Thron zu bringen, war nicht leicht. Er wusste, dass er sie ohne fremde Hilfe nicht würde erfüllen können. Aber, was vielleicht noch schwieriger war, auch Hyrkan musste von seinem Erstgeborenenrecht überzeugt werden. Ihm flüsterte er immer wieder ein, Aristobul trachte ihm nach dem Leben, um auch in Zukunft des Thrones sicher zu sein.

Lange vermochte sich Hyrkan mit der Vorstellung, dass es sein Bruder nicht ehrlich mit ihm meinte, nicht anzufreunden. Es bedurfte Antipaters ganzer Überredungskunst, den rechtmäßigen Thronerben zu veranlassen, nach Petra zu fliehen und dort bei Aretas III., dem König der Nabatäer, mit dem Antipater verschwägert war, Zuflucht zu suchen. Dieser werde ihm, so versprach Antipater listig, nicht nur Asyl gewähren, sondern ihn auch im Kampf um die Zurückgewinnung der Macht unterstützen.

Immerhin ließ Hyrkan durch Antipater selbst bei Aretas anfragen, ob er zur Hilfestellung bereit sei, und erst als jener mit einer entsprechenden Versicherung nach Jerusalem zurückgekehrt war, machten sich die beiden Männer eines Nachts heimlich auf den Weg.

Hohe Bestechungsgelder und das Versprechen, zwölf Städte, die Alexander Iannaeus den Nabatäern abgerungen hatte, wieder zurückzugeben, veranlassten deren König, ein gewaltiges Heer – Flavius Josephus spricht, wohl übertrieben, von 50.000 Mann8 – gegen Aristobul zu schicken. Der Usurpator wurde geschlagen und zog sich nach Jerusalem auf den Tempelberg zurück. Viele vornehme Bürger der Stadt flohen, des ewigen Mordens müde, nach Ägypten.

Aretas, Antipater und Hyrkan belagerten die Festung. Die pharisäische Mittelschicht, die einst zu den Feinden des Alexander Iannaeus gehört hatte, schloss sich ihnen an. Nur die Sadduzäer unterstützten Aristobul. Diese Ereignisse fielen in das Jahr 65 v. Chr., in die Zeit kurz vor dem Paschafest.9 Antipater muss also schon damals eine führende Stellung innegehabt und in Judäa großes Ansehen besessen haben.

Scheiden sich über Antipaters Herkunft auch die Geister der Gelehrten, so sind sie sich doch einig, dass seine Frau Kypros Nabatäerin war. Sie entstammte, so wieder Flavius Josephus,10 einer vornehmen Familie, doch ist nicht bekannt, ob sie zum Judentum konvertiert war. Man warf Herodes später gern vor, dass er als Sohn eines jüdischen Vaters und einer nichtjüdischen Mutter allenfalls ein halber Jude war. Die Zugehörigkeit zum Judentum richtete sich nach dem Glauben der Mutter, da die Vaterschaft nicht nachzuweisen war. Immerhin gab es auch Konvertiten, deren Judentum vielen nicht weniger als das ererbte galt. Herodes sollte sich jedenfalls zeitlebens um ein entspanntes Verhältnis zu den Juden bemühen, wenn er von ihnen auch als „Römling“ geschmäht wurde.

Misstrauisch, aber verhältnismäßig ohnmächtig hatten die Völker der damaligen zivilisierten Welt mit ansehen müssen, wie sich im westlichen Teil des Mittelmeeres ein anfangs eher unbedeutender Stadtstaat zur führenden und alle bedrohenden Macht entwickelte, die nahezu unersättlich schien: Rom.

Bis zum Ende des dritten vorchristlichen Jahrhunderts (das damals freilich noch nicht so genannt wurde, da die alten Götter noch herrschten) hatten sich dessen territoriale Interessen nach Westen gerichtet, dann nach Süden, wo 146 v. Chr. seine größte Handelsrivalin, Karthago, die Hauptstadt des Punischen Reiches, gefallen war, am selben Tag übrigens wie das griechische Korinth, das ebenfalls eine blühende Handelsmetropole gewesen war. Schließlich lenkte Rom, schon jetzt eine Großmacht, seine Aufmerksamkeit nach Osten, wo es noch unbekannte Länder in ungeheuren Weiten zu entdecken und zu erobern galt.

Im Zuge der Erweiterung seines Imperiums, das nach antiken Maßstäben schon bald die halbe Welt umspannen sollte, gelangten die römischen Legionen im Jahr 66 v. Chr. auch an die Nordgrenze des Judenstaats, den die zerstrittenen Hasmonäersöhne einander nicht gönnten.

Gnaeus Pompeius, Kollege, Freund, später Schwiegersohn und erbitterter Gegner Gaius Iulius Caesars, dazu einer der bedeutendsten Feldherrn des Altertums, hatte gerade Mithradates, den König von Pontus (an der südlichen Schwarzmeerküste), besiegt und die Reste des alten Seleukidenreichs in Syrien zerstört, als er von dem Bruderzwist im Hause der Hasmonäer und von der Einmischung des Königs Aretas hörte. Schon damals mag das Sprichwort von dem Dritten, der sich freut, wenn zwei sich streiten, Gültigkeit gehabt haben. Pompeius jedenfalls witterte mit dem praktischen Scharfsinn des Römers für sich und Rom eine Gelegenheit, die so schnell nicht wiederkäme. Zwar marschierte er selbst weiter nach Armenien, aber er wies einen Unterfeldherrn, M. Aemilius Scaurus, an, von dem römischen Standlager im soeben eroberten Damaskus unverzüglich nach Judäa aufzubrechen, um den Streit im Sinne Roms zu schlichten.

„Auf die Kunde von dem Herannahen des Römers beeilten sich denn auch die Hasmonäer, Abgesandte zu ihm zu schicken und ihre Sache ihm zu unterbreiten.“11 Rom hätte sich wohl, unabhängig von dem Bruderkrieg, in Kürze ohnehin des hasmonäischen Palästinenserstaats bemächtigt. Denn er galt als äußerst aggressiv, und es wäre politisch unklug gewesen, ihm seine volle Souveränität zu belassen.

Gewaltig war die Streitmacht, die Hyrkan und der Nabatäerkönig aufgeboten hatten, eine Furcht einflößende Armee, die Aristobul und seine Anhänger derweil im Tempel von Jerusalem belagerte. Das Paschafest rückte näher, und es war Sitte, Jahwe zu diesem Anlass reiche Opfer darzubringen. Besonders den Sadduzäern lag viel daran, dieser religiösen Verpflichtung nachzukommen, jedoch standen ihnen keine Tiere zur Verfügung. Sie baten deshalb ihre sie belagernden Glaubensbrüder, ihnen die nötigen Opfergaben zur Verfügung zu stellen und ließen den verlangten Kaufpreis – eine weit überhöhte Summe von 1.000 Drachmen für jedes einzelne Tier – durch Maueröffnungen hinab. Die Belagerer nahmen zwar das Geld, verweigerten den Belagerten aber die zugesagten Schlachttiere. „Als die Priester sich getäuscht sahen, flehten sie zu Gott, er möge sie an ihren Landsleuten rächen …“ Angeblich habe der Herr die Rache nicht aufgeschoben, sondern einen heftigen Sturm geschickt, der alle Feldfrüchte der Gegend zerstörte.12 Auch der griechische Geschichtsschreiber Dio Cassius berichtet von einem Erdbeben, das 64 v. Chr. Vorderasien heimgesucht habe. Noch lange erinnerten die Juden in ihren Erzählungen an die Strafe Gottes für diesen an den Belagerten begangenen Wortbruch.

Kaum hatte Scaurus mit seinem Heer den Boden Judäas betreten, da sandten ihm, wie gesagt, beide Brüder Boten entgegen, die mit dem Versprechen reicher Bestechungsgelder ausgestattet waren. Sie sollten dem römischen Feldherrn ihre Sache unterbreiten und um sein Urteil bitten. Jede Partei bot Scaurus 400 Talente. Da der Römer Aristobul als wohlhabenden und großzügigen Mann einschätzte, der zudem weniger Gegenleistungen als der geizige Hyrkan erwartete, gab er jenem den Vorzug. Möglicherweise war für seine Entscheidung auch die Tatsache Ausschlag gebend, dass Aristobul im Augenblick der Throninhaber war.

Aretas wurde auf jeden Fall befohlen, die Belagerung abzubrechen und mit seinen Leuten aus Judäa abzuziehen. Ansonsten würde er zum Feind Roms erklärt.

Kaum war Aristobul frei, setzte er mit seinen Truppen Hyrkan und dem Nabatäerkönig nach und fügte ihnen in einem Gefecht bei Papyron schwere Verluste zu. Unter den angeblich 6.000 Gefallenen der vereinigten Streitmacht befand sich auch Antipaters Bruder Phallion, der sich als Verbindungsmann beim Heer befunden hatte, ein schwerer Schlag für Herodes’ Vater, zu dessen feindseligen Gefühlen gegenüber Aristobul sich jetzt noch Rachegedanken gesellten. Für den Augenblick schien Hyrkan den Kampf um den Thron verloren zu haben.

Antipater erkannte, dass seine Pläne hoffnungslos fehlgeschlagen waren. Die Römer, auf die er eigentlich gesetzt hatte, waren nun die Verbündeten Aristobuls geworden! Aber er hatte aus der Niederlage gelernt. Er durfte weder Hyrkan noch irgendeiner Mittelsperson vertrauen. Es war am besten, sich selbst um alles zu kümmern. Überhaupt: War jener Scaurus nicht ohnehin nur der Handlanger eines Mächtigeren, in dessen Entscheidungskraft letztlich ihrer aller Schicksal lag? Er beschloss deshalb, den Streit der beiden Brüder Pompeius selbst zur Entscheidung vorzulegen.

Der römische Oberbefehlshaber zog inzwischen südwärts Richtung Damaskus, um dort die Angelegenheiten Syriens in Ordnung zu bringen. Schon eilte ihm der Ruf voraus, ein zweiter Alexander zu sein. Vor einiger Zeit hatte er stolz im Alter von nur 43 Jahren den Titel „der Große“ angenommen, der ihm, wie er meinte, völlig zu Recht verliehen worden war. Hatte er doch nicht nur in Spanien und Afrika triumphale Erfolge errungen und das Mittelmeer von den Seeräubern befreit. Er hatte Rom auch einen guten Teil Asiens zu Füßen gelegt. Zu ihm, Pompeius Magnus, machte sich nun Antipater auf. Aber auch ein Mann namens Nikodemus, Abgesandter Aristobuls, fand sich vor dem Römer ein. Und schließlich hatten die Pharisäer eine Abordnung geschickt.

Wenig diplomatisch begann Nikodemus sofort, sich über Scaurus und seinen Helfer, den Tribunen Gabinius, bitter zu beklagen. Sie hätten, so seine Anschuldigung, von Aristobul Bestechungsgelder in Höhe von 800 Talenten (heute ca. 2,5 Millionen Euro13) erpresst. Die unbedachten Äußerungen des Gesandten ließen die beiden Beschuldigten sogleich zu Todfeinden Aristobuls werden, wie Flavius Josephus trocken bemerkt.14 Dies aber vermehrte noch die Zahl derer, die dem jüdischen Usurpator ohnehin nicht freundlich entgegenkamen. Und auch der mächtige Römer scheint von ihm nicht eingenommen gewesen zu sein. Denn nicht einmal das kostbare Geschenk, das ihm Nikodemus im Namen seines Auftraggebers überreichte, eine goldene Rebe im Wert von 500 Talenten (ca. 1,5 Millionen Euro15), die später wohl in Rom im Tempel des kapitolinischen Jupiter ausgestellt wurde, vermochte ihn von der Rechtmäßigkeit Aristobuls Anspruch zu überzeugen. Aber er wollte noch keine endgültige Entscheidung treffen und verwies die Antragsteller auf einen Empfang, den er im nächsten Frühjahr, 63 v. Chr., in Damaskus geben wollte. Dort sollten die streitenden Brüder persönlich vor ihm erscheinen.

Leider konnte von der Wissenschaft noch immer nicht eindeutig geklärt werden, wo sich Pompeius damals aufhielt, zumal Flavius Josephus’ Angaben hierzu widersprüchlich sind. Wahrscheinlich kam er mit seinen Truppen vom kleinasiatischen Aspis (dessen genau Lage noch immer unbekannt ist), um im syrischen Antiochien den Winter 64/63 v. Chr. zu verbringen.16Einig sind sich die Gelehrten allerdings darüber, dass „Antipaters Überlegungen dabei ähnliche Wege wie die gewisser angesehener Judäer und auch Aristobuls“ gingen: „Pompeius sollte dazu gebracht werden, für keinen der beiden Brüder einzutreten, sondern die Königsherrschaft ganz abzuschaffen und durch ein Hohepriestertum zu ersetzen.“17

Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, dass sich die Dinge ganz anders entwickeln würden.

Das Ende des Hasmonäerreichs

Im Frühjahr des Jahres 63 v. Chr. fanden sich nicht nur die beiden Brüder mit ihrem jeweiligen Gefolge in Damaskus ein. Auch die Pharisäer hatten eine Gesandtschaft geschickt, die sich als Vertretung des jüdischen Volkes ausgab. Bitter beklagte sich Hyrkan, dass ihm Aristobul sein Erstgeborenenrecht und damit die Herrschaft streitig mache. Geschickt verstand es Antipater, der zudem, „um den Pharisäern die Waage halten zu können, … für eine Deputation respektheischender Notabeln gesorgt“ hatte1, den ihm verhassten Aristobul anzuklagen: Jener habe genau die Verbrechen begangen, auf die Pompeius, wie er wusste, am empfindlichsten reagieren würde, nämlich die Seeräuberei und die Plünderung griechischer Städte Palästinas. Damit aber wurde Aristobul in eine Reihe mit jenen Feinden Roms gestellt, die Pompeius gerade vernichtet hatte. Aber Antipater ging noch weiter. Auch die Pharisäer und mit ihnen das Volk lehnten Aristobul ab, da er nach ihrer Meinung aufsässig und von undurchschaubarem Charakter wäre.

Eifrig bestätigten die über 1.000 angesehenen Leute der mitgeführten Anhängerschaft diese Anschuldigungen, sodass Aristobuls Gegendarstellung zur Farce geriet. Es sei nötig gewesen, so verteidigte er sich, seinem schwachen Bruder die Herrschaft zu entreißen, da ansonsten die Gefahr bestanden hätte, diese würde dem Hasmonäerhaus völlig entgleiten.

Auch Aristobul hatte eine Zahl von Anhängern mitgebracht, junge Sadduzäer aus adligen Familien, die in juwelenbesetzten Gewändern, nach der neuesten Mode gekleidet und parfümiert, ihre Wirkung auf den nüchternen Römer allerdings verfehlten.

Schließlich trugen die Abgesandten des Volkes ihr Anliegen vor: Seit jeher hätten die Juden nach alter Vätersitte unter der Herrschaft von Priestern gelebt, und die selbst ernannten Könige hätten das hohe geistliche Amt profaniert und missbraucht. Damit aber hätten sie altes Herkommen mit Füßen getreten. Es sei wohl am besten, die Monarchie überhaupt abzuschaffen und die alte vorhasmonäische Volkssouveränität wiederherzustellen.

Leider ist nicht bekannt, ob Pompeius schon damals erwog, Aristobul die Herrschaft und den Juden die von dessen Vorfahren eroberten Gebiete zu nehmen. Er befahl vorerst den Brüdern, sich zu gedulden und in Ruhe seine Entscheidung abzuwarten. Er wollte zuvor noch die nabatäischen Angelegenheiten in Ordnung bringen, das heißt, gegen König Aretas oder Harith, wie er auch genannt wurde, Krieg führen. Gemeinsam brachen alle Richtung Süden auf.

Aber Aristobul verlor bald die Geduld. Bis Dion, einem Ort am Ostufer des Sees Genezareth, ging alles gut. Alexander Iannaeus, Aristobuls Vater, hatte es einst erobert, und sein Sohn ließ sich hier von seinen Erinnerungen hinreißen. Ohne von den Römern entlassen worden zu sein, stahl er sich heimlich davon und verschanzte sich in der Feste Alexandreion (oder Sartabe, wie sie heute noch heißt), die hoch über dem Jordantal lag und als fast uneinnehmbare Zitadelle galt.

Pompeius, der ein wachsames Auge auf den selbst ernannten König der Juden geworfen hatte, änderte sofort seinen Plan. Er verschob den Feldzug gegen die Nabatäer und setzte Aristobul nach. So betraten römische Legionäre erstmals die heilige Erde Judäas, Truppen, denen der Ruf der Unbesiegbarkeit vorauseilte.