Dornröschen wachte nicht mehr auf - Gudrun Leyendecker - E-Book

Dornröschen wachte nicht mehr auf E-Book

Gudrun Leyendecker

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Beschreibung

Bonn 1971: Ein Mord, der eine ganze Stadt ins Wanken bringt. Im Sommer 1971 wird Stefanie, eine junge und beliebte Journalistin, tot im Rosengarten ihres Vaters aufgefunden. Die aufstrebende Ermittlerin Janina stößt bei ihren Nachforschungen auf eine Mauer des Schweigens und auf ein soziales Geflecht, das von Eifersucht, Prestige und alten Wunden durchzogen ist. Zwischen diplomatischem Glanz und bürgerlicher Fassade beginnt Janina, das Leben der Toten zu entwirren. War Stefanie wirklich so beliebt, wie es schien? Oder verbarg sich hinter dem Lächeln eine Wahrheit, die jemand um jeden Preis schützen wollte? Mit viel Gespür für Atmosphäre entführt dieser historische Krimi in ein Bonn voller Widersprüche: elegant, gefährlich, menschlich. Wird Janina den Schlüssel zu Stefanies Geheimnissen finden, bevor alles zu spät ist?

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Seitenzahl: 154

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Gudrun Leyendecker ist seit 1995 Buchautorin. Sie wurde 1948 in Bonn geboren.

Siehe Wikipedia.

Sie veröffentlichte bisher über 110 Bücher, unter anderem Sachbücher, Kriminalromane, Liebesromane, und Satire. Leyendecker schreibt auch als Ghostwriterin für namhafte Regisseure. Sie ist Mitglied in schriftstellerischen Verbänden und in einem italienischen Kulturverein. Erfahrungen für ihre Tätigkeit sammelte sie auch in ihrer Jahrzehntelangen Tätigkeit als Lebensberaterin.

Inhaltsangabe:

Bonn 1971

Stefanie, eine beliebte junge Frau, wird ermordet im Rosengarten ihres Vaters aufgefunden. Die Ermittlerin Janina hat alle Mühe, in dem großen Bekanntenkreis der schönen Journalistin zu recherchieren und Spuren zum Täter zu finden. Nach und nach erfährt sie, dass Stefanie nicht nur Freunde hatte und dass nicht jede Rose duftet. Die Bundeshauptstadt Bonn verbirgt mehr Geheimnisse, als man denkt.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 1

Kommissar Mauser zeigt an die Fotowand. „Sieht sie nicht aus wie ein Dornröschen, so wie sie da zwischen den Rosen liegt?“

Ich betrachte das Foto des jungen Opfers, das von ihrem Vater vor zwei Tagen in seinem Ziergarten gefunden wurde. „Diesmal hat das Schreckensblättchen recht. Dieser Name passt zu dem Fundort und der schönen Frau, die aussieht, als schlafe sie. Gibt es brauchbare Spuren oder einen möglichen Täter?“

„Bis jetzt tappen wir noch völlig im Dunkeln“, teilt er mir mit und weist erneut auf die Fotowand. „Hier siehst du ihren Vater, zu dem sie ein gutes Verhältnis hatte. Bis vor kurzer Zeit hat sie noch bei ihm gewohnt.“

Ich betrachte das attraktive Gesicht eines gepflegt aussehenden Herrn mittleren Alters. „Ein Durchschnittsmensch“, schätze ich, „scheint viel Wert auf sein Äußeres zu legen. Vielleicht ist er ein bisschen eitel.“

Mauser sieht mich mit großen Augen an. „Woran erkennst du das?“

„Das sagt mir sein Gesichtsausdruck“, behaupte ich. „Vielleicht sind es die Mundwinkel, die so aussehen, als wolle er unbedingt gefallen.“

Der Kommissar stöhnt gespielt. „Du fängst wieder einmal mit deiner Intuition an, liebe Janina. Aber zum Glück weiß ich, dass du bei deinen Recherchen in der Regel deinen Verstand einsetzt und taktisch vorgehst. Es wird diesmal nicht einfach werden. Stefanie hat einen riesigen Bekanntenkreis, in dem du dich austoben darfst.“ Er reicht mir eine lange Liste mit Namen, Adressen und Telefonnummern.

Ich blicke auf das Papier, das von oben bis unten vollgeschrieben ist. „Es war ein Schuss ins Herz? Habe ich das am Telefon richtig verstanden?“

Mauser nickt und kehrt zu seinem Schreibtisch zurück. „Ja, und zwar aus nächster Nähe, woraus mancher sofort schließen würde, dass das Opfer seinen Täter gekannt hat. Aber das muss nicht sein. Der Garten ist voller Bäume und Büsche, der oder die Unbekannte können sich auch unbemerkt herangeschlichen haben, und das Opfer hat sich erschrocken zu ihm umgedreht.“

„Ist Stefanie so sanft gefallen, oder hat sie der Täter in diese Position gelegt, so, als schlafe sie?“

„Sie wurde wohl so hingelegt, während oder nachdem sie zusammenbrach“, vermutet der Kommissar. „Alles weitere kannst du im Polizeibericht lesen, ich habe ihn dir zugeschickt, und er müsste heute in deiner Post sein.“

„Du denkst wieder mal an alles“, spotte ich. „Du bist wie ein Vater zu mir. Und ich werde tatsächlich zuerst einmal Stefanies Vater aufsuchen. Vielleicht kann er mir zu einigen Personen der Liste schon einmal ein paar Angaben machen.“

„Tu das!“ empfiehlt mir Mauser. „Und vergiss nicht, mich auf dem Laufenden zu halten!“

Ich winke ihm mit dem Papier fröhlich zu. „Du bist der erste, der erfährt, wer der Täter ist. Versprochen!“

*

Kapitel 2

„Es tut mir leid“, entschuldige ich mich bei Herrn Kollodium. „Wahrscheinlich komme ich sehr ungelegen, denn der Tod Ihrer Tochter hat Sie sicher sehr stark mitgenommen. Aber leider brauche ich von Ihnen ein paar Informationen, und es wäre nett, wenn Sie sich kurz ein paar Minuten Zeit dafür nähmen.“

„Ich habe Verständnis für Sie“, antwortet er freundlich. „Und ich möchte auch, dass der Mörder meiner Tochter so schnell wie möglich gefunden wird. Und ich muss mich entschuldigen, dass ich Sie nicht in mein Zuhause eingeladen, sondern in das Café gebeten habe.“

„Es gefällt mir sehr gut“, beruhige ich ihn. „Und hier, in der ruhigen Ecke, können wir ungestört sprechen.“

„Ich kann mich momentan nicht in meinem Haus aufhalten“, verrät er mir. „Dort erinnert mich einfach viel zu viel an Stefanie.“

„Das kann ich mir gut vorstellen. Wenn sie noch bis vor kurzer Zeit bei Ihnen gewohnt hat, sind wahrscheinlich noch einige Sachen von ihr dort. Und jede Menge Erinnerungen werden Ihnen täglich begegnen.“

Er nickt und sieht mich traurig an. „Deshalb wohne ich momentan bei meiner Freundin. Eigentlich wollten wir in drei Wochen heiraten. Aber jetzt werden wir dieses Fest natürlich erst einmal absagen und verschieben.“

Überrascht sehe ich ihn an. „Oh, das habe ich nicht gewusst. Dann haben Sie aber zum Glück einen Zufluchtsort, und Ihre Verlobte kann Sie vielleicht ein bisschen trösten. Obwohl ich glaube, dass es momentan wenig gibt, das Sie trösten kann.“

„Brigitte ist zwar nicht viel älter als meine Tochter, aber sie ist eine sehr reife Frau, die im Leben schon viel mitgemacht hat. Ich bin übrigens schon einmal Witwer und zweimal verheiratet gewesen und wurde die letzten beiden Male geschieden. Das alles hat aber für Sie sicherlich keine Bedeutung.“

„Es ist sehr freundlich von Ihnen, dass Sie mir so offen Ihre privaten Verhältnisse darlegen. Und ein Gesamtbild von Stefanies Umgebung ist immer von Vorteil für meine Recherchen. Ich will Sie aber auch nicht länger als nötig aufhalten. Deswegen komme ich zur Sache: Hatte Ihre Tochter Feinde? Kennen Sie jemanden, mit dem sie Streit hatte?“

Herr Kollodium überlegt einen Augenblick. „Mit meiner Verlobten hat sie sich sehr gut vertragen. Bestimmt wären sie mit der Zeit noch Freundinnen geworden.“

„Und warum waren sie es nicht?“ frage ich geradeheraus.

„Stefanie hatte viel zu wenig Zeit, überhaupt keine Freizeit. Ständig war sie unterwegs für Recherchen. Sie war sehr ehrgeizig und wollte stets auf dem neuesten Stand sein.“

„Bevorzugte sie als Journalistin ein besonderes Thema? Politik vielleicht?“

Er schüttelt den Kopf. „Für Politik hat sie sich zwar privat interessiert, aber für das Boulevardblättchen musste sie berühmte Leute interviewen. Dabei könnte sie sich natürlich jemanden zum Feind gemacht haben, weil sie zu viel wusste.“

Ich sehe ihn interessiert an. „Sie meinen, irgendein Promi hatte Angst vor ihrem ausführlichen Wissen?“

„Ja, darauf laufen meine Vermutungen hinaus. Denn privat war sie ein durch und durch liebenswerter Mensch, der sich immer freundlich und hilfsbereit zeigte.“

„Hatte Ihre Tochter einen Freund?“

„Roland, das war ihr ständiger Begleiter. Aber sie waren nicht verlobt, und sie hat ihm auch immer wieder gesagt, dass es nichts Ernstes zwischen ihnen sei. Aber einen sehr großen Bekanntenkreis, den hatte sie, in dem fühlte sie sich wohl, und dort war sie selbst auch sehr beliebt.“

„Beliebte Leute haben oft Neider. Könnte sie eine eifersüchtige Kollegin oder einen eifersüchtigen Kollegen gehabt haben?“

Er denkt nach. „Nicht, dass ich wüsste! Davon ist mir nichts bekannt. Aber ich gebe auch zu, dass ich ihre Kollegen nicht kenne. Die Arbeit war für sie immer tabu, da durfte sich niemand hineinmischen.“

„Hatte sie eine feste Freundin oder vielleicht mehrere“, möchte ich wissen.

„Die Freundinnen aus der Schulzeit sind alle weit weggezogen. Mit denen hat sie nur noch ganz selten mal ein Telefongespräch geführt. In der letzten Zeit hatte sie sich ein wenig mit ihrer netten jungen Wohnungsnachbarin

angefreundet. Sie heißt Miriam und ist Einkäuferin in einer großen Schuhfabrik. Aber gesehen habe ich sie auch noch nicht.“

„Wenn die beiden nebeneinander wohnen, kann mir diese junge Frau bestimmt ein paar Auskünfte geben. Das hört sich doch schon einmal gut an. Und Ihre Verlobte möchte ich später auch noch gern sprechen. Frauen untereinander erzählen sich doch manchmal mehr als Töchter ihren Vätern.“

Auf seiner Stirn zeigt sich eine Falte. „Das glaube ich zwar nicht, weil mir meine Tochter immer alles Wichtige mitgeteilt hat, aber wer weiß. Ich möchte es nicht ganz ausschließen.“

„Tatsächlich muss ich im Moment noch mit allem rechnen“, gestehe ich. „Es gibt noch keine Anhaltspunkte. Die Polizei hat bereits alle Ihre Nachbarn befragt, aber niemand hat jemanden auf das Grundstück gehen sehen. Das liegt vermutlich daran, dass zu dieser Tageszeit keine im Garten waren.“

Herr Kollodium nickt und sieht mich traurig an. „In unserer Villengegend gibt es vorwiegend ältere Menschen, und mittags legen sich einige noch zu einem Mittagsschläfchen auf die Couch. Ich frage mich nur, ob der Täter gewusst hat, dass ich zu dieser Zeit auf Geschäftsreise war?!“

„Das ist anzunehmen. Sicher hat er das Haus beobachtet, wahrscheinlich schon die ganze Gegend eine Weile vorher inspiziert. Wir nehmen an, dass er den Mord gut geplant hat.“

„Das habe ich befürchtet“, antwortet er mit leiser Stimme.

„Haben Sie zufällig mit Ihrer Tochter an dem Vormittag noch telefoniert? Wissen Sie, was sie vorher gemacht hat, bevor sie in den Garten ging?“

„An dem Morgen haben wir nicht miteinander telefoniert, leider. Nur am Abend vorher, da fragte sie mich ein bisschen über meine Geschäftsreise aus, und sie wollte wissen, wie es mir geht, so ganz ohne meine Verlobte. Sie teilte mir dann ganz beiläufig mit, dass sie am anderen Morgen in unserem Haus etwas zu tun hat. Das machte sie oft so. Denn ihr Zimmer ist noch komplett eingerichtet. Sie kam oft sonntags oder montags morgens in unser Haus. Meist hat sie dann in der großen Bibliothek herumgestöbert und hinterher noch ein ausgiebiges Bad genommen, denn in ihrer Wohnung gibt es nur eine Dusche. Vielleicht wollte sie dann später draußen noch nach den Rosen schauen, die liebte sie nämlich sehr.“

„Ja das passt schon einmal alles zusammen“, registriere ich seine Informationen. „Ist Ihnen sonst noch irgendetwas vorher aufgefallen, bevor Sie auf Geschäftsreise gingen?“

Bedächtig schüttelt er den Kopf. „Nein. Stefanie war wie immer, gut gelaunt und munter. Sie war ein Mensch, der Freundlichkeit um sich herum verbreitete. Vor einer Woche, also ich sie zum letzten Mal sah, hat sie mich wie immer ganz überschwänglich begrüßt, und sich später ganz herzlich von mir verabschiedet.“

„Was war das für ein Treffen? Kam sie zu Besuch?“

„Sie kam noch kurz vorbei, um zu fragen, was wir uns für die Hochzeit wünschen. Sie hatte gerade einen Bonus von ihrer Zeitung bekommen und hatte nichts Besseres damit im Sinn, als uns ein Geschenk davon zu kaufen. Ja, so war sie. Ein Mensch, der immer Freude machen möchte.“

Ich seufze. „Ich sehe schon. Ich werde auf jedes Detail angewiesen sein, denn offensichtliche Gründe für ein Mordmotiv habe ich bis jetzt noch nicht gefunden.“

Mit guten Wünschen verabschiede ich mich von Stefanies Vater und verlasse das stilvolle Café.

*

Kapitel 3

Auf dem Weg zu Brigittes Wohnung befasse ich mich noch einmal gedanklich mit den Informationen, die mir der Kommissar vor wenigen Minuten über die junge Frau zukommen ließ. Ich lasse mir den Steckbrief durch den Kopf gehen:

„Brigitte Gilletto, zweiunddreißig Jahre alt, ledig, von Beruf Dessous-Verkäuferin, arbeitet in einer Bonner Boutique. Hobbys: Mode, Reisen, Theater, Konzerte und Pferde.“

Alles ziemlich teure Hobbys, denke ich. Was für ein Glück, dass sie den wohlhabenden Bernhard Kollodium gefunden hat, der ihr da ein bisschen unter die Arme greifen kann. Und wenn sie erst einmal seine Frau ist, hat sie sicher noch mehr Zugang zu seiner finanziellen Unterstützung. Stefanie war Bernhards einziges Kind gewesen, somit steht Brigitte jetzt wohl auch als Erbin an erster Stelle. Aber der elegante Herr sieht noch recht munter aus, da ist eine Erbschaft wohl noch nicht so schnell in Aussicht. Gut, einige Menschen versuchen, rechtzeitig vorzusorgen. Aber war Brigitte solch ein Typ?

Die blonde junge Frau, die mir die Tür öffnet, sieht mich freundlich an. „Bitte kommen Sie herein! Ich bin Brigitte und hoffe, dass ich Ihnen helfen kann.“

Ich folge ihr in das kleine, modern eingerichtete Wohnzimmer und nehme auf dem weißen Ledersofa Platz.

„Schön haben sie es hier“, bemerkte ich und sehe mich um. „Es ist alles sehr geschmackvoll eingerichtet.“

Sie nickt. „Ich liebe alles, was schön ist. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“

„Danke, im Moment lieber nicht. Ich glaube, ich habe heute schon zu viel Kaffee getrunken. Aber lassen Sie sich durch mich nicht stören!“

„Nein, nein!“ wehrt sie ab. „Ich bin wach genug. Haben Sie bestimmte Fragen, oder soll ich Ihnen einfach etwas über Stefanie erzählen.“

„Für mich ist alles wichtig“, teile ich ihr mit. „Jedes kleinste Detail kann von Bedeutung sein.“

„Ich kenne Bernhards Tochter jetzt seit einem Jahr“, beginnt Brigitte. „Und Sie haben bestimmt schon gehört, dass sie eine Frohnatur ist, Entschuldigung, ich meine natürlich, sie war es.“

„Sie müssen sich nicht entschuldigen!“ bemerke ich. „Ich denke, die meisten Menschen können es noch nicht fassen, dass sie nicht mehr lebt. Ja, von ihrer Fröhlichkeit habe ich schon gehört.“

Brigitte nickt und wischt sich mit der Hand die Augenwinkel aus. „Sie war doch noch so jung, noch jünger als ich. Das kann man gar nicht fassen. Und die meisten Menschen waren ihre Freunde.“

Ich horche auf. „Die meisten? Was gab es da sonst noch?“

Sie druckst etwas herum. „Ich bin nicht ganz sicher, ob es nicht vielleicht Männer gab, die sie ein wenig enttäuscht hat.“

„Das verstehe ich jetzt nicht“, gebe ich zu.

„Sie war eben sehr freundlich zu allen, man könnte sagen, sie hat sehr viel geflirtet. Das hat sie eigentlich nur spaßig gesehen, aber ich glaube die Männerwelt sieht so etwas oft schon als Aufforderung zu mehr.“

„Können Sie mir ein Beispiel nennen?“

Brigitte überlegt. „Vielleicht lag es daran, dass sie ein Typ war, den man auch sexy nennen kann. Wenn sie einen Mann ansah, dann funkelten ihre Augen auf eine ganz natürliche Art und Weise. Ihre Lippen sahen auch oft so aus, als wolle sie geküsst werden. Ich denke, da steckte keine böse Absicht dahinter. Aber sie wirkte eben verführerisch, und wusste wahrscheinlich gar nicht, wie sehr.“

„Dann meinen Sie, es könnte sich jemand verschaukelt gefühlt haben? Aber begeht man deswegen einen Mord?“

Sie überlegt. „Mhm, wahrscheinlich eher nicht. Ich kann das Ganze auch nicht so gut beschreiben. Sie müssten sie gekannt haben, dann wüssten Sie, was ich meine. Ihr Freund, dieser Roland ist auch ein ganz stilles Wasser. Ich bin nicht sicher, ob er mit ihrem Verhalten einverstanden war. Sie war zu jedem Mann sehr freundlich.“

Ich hebe die Augenbrauen. „Aber Stefanies Vater hat mir versichert, dass zwischen den beiden nur eine lockere Beziehung bestand.“

Brigitte seufzt. „Vielleicht hat Roland das anders gesehen. Ich denke, er hat sich große Hoffnung auf Stefanie gemacht, auch wenn sie ihn dabei nicht unterstützt hat.“

„Ich habe vor, ihn selbst über seine Beziehung zu seiner Freundin auszufragen“, teile ich der jungen Frau mit. „Es gibt häufig Beziehungstaten, und bis jetzt darf ich niemanden ausschließen.“

„Ich möchte auch gar nicht schlecht über Stefanie reden“, bedauert die junge Frau. „Aber ich glaube, sie war sehr unschuldig und hat gar nicht bemerkt, was sie so anrichtete.“

„Das klingt aber ziemlich konkret“, finde ich. „Wann ist Ihnen das denn das letzte Mal aufgefallen, und wobei?“

„Als Bernhard einmal auf Geschäftsreise war, sind wir zusammen ins Theater gegangen, Stefanie und ich. Schon in der ersten Pause hatten sich um Stefanie ein paar Männer versammelt, die von ihr hingerissen waren. Sie scherzte und lachte mit ihnen, und ihr Lächeln, das sie jedem schenkte, wirkte sehr vielversprechend. Aber als danach am Ende der Vorstellung zwei von diesen Herren ihren Namen und ihre Adresse haben wollten, da gab sie ihnen falschen Namen und eine genauso falsche Telefonnummer. Auf eine Adresse ließ sie sich natürlich gar nicht erst ein. Sie fand das alles sehr lustig und hat sich später noch darüber amüsiert, während wir nach Hause gingen. Ich fand das alles weniger harmlos. Ich dachte da schon, hoffentlich nimmt ihr das nicht mal einer übel. An einen Mord habe ich natürlich nicht gedacht.“

„Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ihr deswegen schon einer so böse ist und sie gleich umbringt. Herr Kollodium hat mir erzählt, dass Sie sich mit Stefanie sehr gut verstanden haben. Würden Sie das so bestätigen?“

„Ja, natürlich. Sie war sehr liebenswert und auch hilfsbereit. Sie hat mir geholfen, einen ganzen Teil meiner Habe in Bernhards Haus zu bringen. Wir haben uns immer gut unterhalten und ab und zu einmal etwas unternommen, wenn Bernhard unterwegs war.“

„Dann hatte Stefanie also keine Probleme damit, dass ihr Vater eine so schöne junge Frau heiratet?“ provoziere ich sie.

„Oh nein, mit mir war sie einverstanden, das hat sie immer betont. Vermutlich liegt das daran, dass ihr Vater nach der ersten Scheidung ziemlich viele Freundinnen, natürlich nacheinander, mit ins Haus brachte. Danach war er noch einmal kurz verheiratet. Und nach der zweiten Scheidung ging es von vorn los. Er geriet einfach immer an die falschen Frauen, und das waren wohl nicht wenige. Als Bernhard mir Stefanie vorstellte, was ich sehr überrascht, aber auch erleichtert, und sie sagte: „Ich bin wirklich froh, dass er jetzt eine so nette und passende Frau gefunden hat. Und ich hoffe, dass es mit euch beiden etwas länger hält.“

Ich überlege. „Ja, ich kann mir vorstellen, dass sie gewissermaßen schon Freundinnen waren. Denn offenbar wussten sie doch schon mehr als Stefanies Vater. Er hat mir gar nichts davon erzählt, dass seine Tochter so gern geflirtet hat.“

„Nun ja, Männer sehen das eben nicht so. Und er ist ja selbst auch kein Heiliger gewesen. Außerdem würde er bestimmt nie etwas Zweifelhaftes über seine Tochter sagen. Sie ist ihm wichtig, und er war froh, dass wir uns verstanden haben. Stefanie sollte sogar unsere Trauzeugin werden.“

Ich überlege. „Das sagt eigentlich schon sehr viel. Sie glauben also, dass es irgendein abgewiesener Freund sein könnte, der sie ermordet hat?!“

„Ich weiß, dass ich mit dieser These allein auf weiter Flur stehe. Bernhard glaubt, dass es irgendetwas mit ihrem Beruf zu tun hat. In ihrem Job hat sie die Aufgabe, viel zu recherchieren und möglichst viel Wissen über die Schönen und die Reichen zu erlangen. Da kann man schon einmal ins Fettnäpfchen treten, oder Menschen begegnen, die etwas Dreck am Stecken haben. Natürlich wird sie allerlei gewusst haben. Aber daran glaube ich nicht als Mordmotiv. Wer sie kannte, der wusste, dass sie sehr diplomatisch war. Sie hätte nie ein dunkles Geheimnis unerlaubt in die Öffentlichkeit gebracht.“

„Auch das werde ich abchecken müssen“, verrate ich ihr. „Man weiß nie, in welche Kreise man bei solchen Recherchen geraten kann.

Auch bei den Schönen und Reichen ist der Weg zur Unterwelt manchmal nicht weit.“