Dr. Stefan Frank Großband 14 - Stefan Frank - E-Book

Dr. Stefan Frank Großband 14 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

10 spannende Arztromane lesen, nur 7 bezahlen!

Dr. Stefan Frank - dieser Name bürgt für Arztromane der Sonderklasse: authentischer Praxis-Alltag, dramatische Operationen, Menschenschicksale um Liebe, Leid und Hoffnung. Dabei ist Dr. Stefan Frank nicht nur praktizierender Arzt und Geburtshelfer, sondern vor allem ein sozial engagierter Mensch. Mit großem Einfühlungsvermögen stellt er die Interessen und Bedürfnisse seiner Patienten stets höher als seine eigenen Wünsche - und das schon seit Jahrzehnten!

Eine eigene TV-Serie, über 2000 veröffentlichte Romane und Taschenbücher in über 11 Sprachen und eine Gesamtauflage von weit über 85 Millionen verkauften Exemplaren sprechen für sich:
Dr. Stefan Frank - Hier sind Sie in guten Händen!

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2330 bis 2339 und umfasst ca. 640 Seiten.

Zehn Geschichten, zehn Schicksale, zehn Happy Ends - und pure Lesefreude!

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Impressum

BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv von © shutterstock/Monkey Business Images ISBN 978-3-7517-2954-3 www.bastei.de www.luebbe.de www.lesejury.de

Stefan Frank

Dr. Stefan Frank Großband 14

Inhalt

Stefan FrankDr. Stefan Frank - Folge 2330Sira Altmann ist verzweifelt: Seit über einem Jahr wartet sie nun schon auf ein Lebenszeichen ihres Freundes, der kurz nach ihrem Kennenlernen zu einer lange geplanten Reise nach Thailand aufgebrochen war. Bei ihrem letzten Telefonat hatte Sira ihm noch glücklich mitgeteilt, dass sie ein Kind von ihm erwartete. Seitdem hat sie von Jan nichts mehr gehört. Schwangerschaft und Geburt sowie die ersten Monate als frischgebackene Mutter musste Sira ohne Mann an ihrer Seite durchstehen. Es sieht so aus, als hätte der werdende Vater sie eiskalt sitzen lassen. Und doch hat sie die Hoffnung nie aufgegeben, ihren geliebten Jan eines Tages wieder in die Arme schließen zu können ... Dann tritt plötzlich Siras Exfreund Axel wieder in ihr Leben. Er war früher gewalttätig, doch inzwischen scheint er sich geändert zu haben. Mit romantischen Geschenken bittet er um eine zweite Chance. Sira zögert - ihr Herz hängt noch immer an Jan. Aber lohnt es sich, weiter auf etwas zu warten, was sich doch nicht erfüllen wird?Jetzt lesen
Dr. Stefan Frank - Folge 2331Seit einem halben Jahr arbeitet die hübsche Jolanda als Krankenschwester in der Münchner Waldner-Klinik. Sie kann es kaum fassen, als eines Tages Henriette Geib auf ihrer Station liegt. Die alte Dame war früher wie eine Oma für sie. Gemeinsam mit deren Enkeln Volker und Axel hat Jolanda in ihrer Kindheit sehr viel Zeit verbracht, bevor sie im Alter von elf Jahren den Wohnort wechseln musste und den Kontakt zur Familie Geib verlor. Die Wiedersehensfreude ist bei den beiden Frauen groß, und Jolanda kann es kaum erwarten, auch die beiden Zwillingsbrüder wiederzusehen. Als es endlich zu einem Treffen kommt, stellt sich zwischen den dreien schnell wieder die alte Vertrautheit ein. Besonders Jolanda und Volker fühlen sich stark zueinander hingezogen, doch auch Axel hegt Gefühle für die ehemalige Schulkameradin. Trotzdem scheint er bereit, seinem Bruder den Vortritt zu lassen. Allerdings will Axel Jolanda vorher warnen, denn er weiß etwas über Volker, was eine gemeinsame Zukunft der beiden unmöglich macht ...Jetzt lesen
Dr. Stefan Frank - Folge 2332Die alleinerziehende Mirja Drombauer ist am Ende ihrer Kräfte. Seit ihr Mann sie verlassen hat, muss sie sich ganz allein um den achtjährigen Justus und die dreijährige Pauline kümmern. Da sie auf der Arbeit momentan auch noch jede Menge Überstunden leisten muss, sind die beiden Kinder nachmittags oft allein zu Hause. Zum Glück weiß Mirja, dass sie sich auf ihren Sohn verlassen kann. Justus ist ein sehr fürsorglicher Bruder, der rührend für seine kleine Schwester sorgt und seine Mutter so gut unterstützt, wie er nur kann. Schon lange hält der Junge außerdem Ausschau nach einem passenden Mann für seine Mama. Zuerst dachte er, der neue Nachbar, Peter Hornung, wäre vielleicht ein geeigneter Kandidat. Doch diese Hoffnung hat sich schnell zerschlagen: Herr Hornung grüßt kaum, schaut immer mit bösem Blick vor sich hin und meidet jeden Kontakt. Eines Tages aber erhält Mirja auf der Arbeit einen Anruf. Es ist ihr neuer Nachbar, der ihr vorsichtig erklärt, dass etwas Schreckliches passiert ist ...Jetzt lesen
Dr. Stefan Frank - Folge 2333Eigentlich hatten Julia und Andreas Voss vereinbart, sich die Erziehung ihres vierjährigen Sohnes Elias zu teilen. Schließlich sind beide berufstätig: Andreas führt seine eigene Autowerkstatt, Julia arbeitet in einem Museum. Doch in letzter Zeit bleibt alles allein an der jungen Mutter hängen. Andreas scheint sich nur noch für seine Werkstatt zu interessieren. Abends kommt er erst spät nach Hause, und er kümmert sich kaum noch um Elias und seine Frau. Wenn es dann doch einmal zu einem Gespräch zwischen den beiden Eheleuten kommt, endet dieses meist in einem handfesten Streit, worunter besonders der kleine Elias leidet. Als Julia zufällig den charmanten Historiker Helmut kennenlernt, scheint sie in ihm all das zu finden, was sie zu Hause in der letzten Zeit so schmerzlich vermisst hat: Helmut hört ihr zu, spendet ihr Trost und gibt der einsamen Frau das Gefühl, aufrichtig Anteil an ihrem Leben zu nehmen. Julia wird unsicher: Ist sie etwa dabei, sich in Helmut zu verlieben? Als dann Elias plötzlich schwer erkrankt, spitzt sich die Lage des Ehepaares weiter zu. Selbst Dr. Frank ist so beunruhigt, dass er sich auf den Weg zu Andreas' Werkstatt macht. Der engagierte Arzt will herausfinden, ob es noch etwas gibt, was das Glück der kleinen Familie retten kann ...Jetzt lesen
Dr. Stefan Frank - Folge 2334Im Leben der Fotografin Anna Gerstinger könnte es nicht besser laufen: Sie hat einen wunderbaren Beruf, der sie in der Welt herumkommen lässt, ist glücklich mit dem erfolgreichen und attraktiven Architekten Lukas verheiratet und wohnt in einem modernen Haus im schönen Grünwald. Als eines Tages neue Nachbarn im Haus nebenan einziehen, traut die junge Frau ihren Augen nicht: Das ist doch Ruben, ihre erste große Liebe! Zwar war Anna nie mit ihm zusammen, weil er damals mit ihrer Schwester liiert war, doch sie war während des Studiums heimlich unsterblich in ihn verliebt! Ruben freut sich aufrichtig, Anna wiederzusehen, und schnell werden die beiden wieder vertraut miteinander, als hätte es die Jahre dazwischen nicht gegeben. Erschrocken muss Anna feststellen, dass ihre Gefühle für Ruben auch nach so langer Zeit nicht erloschen sind. Noch immer schlägt ihr Herz schneller, wenn sie sich begegnen. Ruben scheint es nicht anders zu gehen. Obwohl er verlobt ist, schaut er Anna mit innigen Blicken an und zeigt ihr deutlich, dass er sie begehrt. Anna ist hin- und hergerissen. Sie liebt doch ihren Mann! Aber jeder Blick in Rubens Augen weckt ein namenloses Sehnen in ihr ...Jetzt lesen
Dr. Stefan Frank - Folge 2335Die alleinerziehende Sonja Habermayr ist verzweifelt: Ihre vierjährige Tochter ist schwer an Leukämie erkrankt, und bisher hat keine Therapie den gewünschten Erfolg gezeigt. Als letzte Möglichkeit wollen Dr. Frank und seine Kollegen in der Münchner Waldner-Klinik eine Stammzellentransplantation versuchen. Doch dafür müsste erst einmal ein passender Spender gefunden werden! Aus Sonjas bayrischem Heimatdorf kommen nicht nur Mayas Großeltern, sondern auch zig Bauern angereist, um testen zu lassen, ob sie als Spender in Frage kommen. Und noch ein weiterer Mann taucht im Labor der Klinik auf, um sich registrieren zu lassen: Markus, der sympathische Mann mit den strahlend blauen Augen, den Sonja im Krankenhaus kennengelernt hat und der ihr Herz irgendwie schneller schlagen lässt. Markus hat sich bei einem Klettertrip in den Bergen den Fuß gebrochen, als er mit seinem Freund Peter aus Frankfurt unterwegs war. Niemand ahnt, dass es zwischen Sonja, der kleinen Maya und Markus' Freund Peter eine Verbindung gibt, die nicht nur die Vergangenheit betrifft, sondern die auch für die Zukunft entscheidend sein könnte ...Jetzt lesen
Dr. Stefan Frank - Folge 2336Seit fast sieben Jahren ist Barbara Gewohn mit ihrer Jugendliebe Mathias Conrad zusammen. Während die Modeverkäuferin in München lebt, arbeitet ihr Freund größtenteils in Berlin. Mathias ist Schauspieler und seit einiger Zeit der umschwärmte Hauptdarsteller einer täglichen Vorabendserie. Seitdem er so erfolgreich ist, hat sich in der Beziehung von Barbara und Mathias einiges geändert: Sein Vertrag zwingt den jungen Schauspieler, seine Beziehung zu Barbara geheim zu halten. Für den Sommer hatten die beiden eigentlich eine große Hochzeit geplant, doch auch dieser Traum zerplatzt wie eine Seifenblase, als Mathias seiner Agentur davon erzählt. Seine Fans sollen in ihm weiterhin den ungebundenen Junggesellen sehen, eine öffentliche Trauung darf nicht stattfinden. Zerknirscht muss Mathias seiner Freundin gestehen, dass sie nur heimlich heiraten können - ohne Freunde und Familie, ohne Feier und ohne Hochzeitskleid. Zunächst will sich Barbara schweren Herzens darauf einlassen, immerhin liebt sie Mathias. Doch dann tauchen in der Klatschpresse eindeutige Fotos auf, die den attraktiven Schauspieler äußerst vertraut mit seiner Serienkollegin zeigen. Und auf einmal ist sich Barbara alles andere als sicher, ob sie Mathias wirklich heiraten möchte ...Jetzt lesen
Dr. Stefan Frank - Folge 2337Die fünfjährige Lara und ihre Mama Julia sind ein eingespieltes Team. Laras Vater hat die beiden schon vor der Geburt des Mädchens verlassen, und Julia ist seitdem keine neue Beziehung mehr eingegangen. Als Julia auf der Geburtstagsparty ihrer Freundin den sympathischen Sportlehrer Markus kennenlernt, verhält sie sich zunächst zurückhaltend. Sicher, dieser Mann sieht toll aus, und nett scheint er auch zu sein, aber sie hat nicht vor, sich an einen Mann zu binden. Sie will nicht noch einmal enttäuscht werden. Doch Julia verliebt sich so heftig in Markus, dass sie seinen Annäherungsversuchen einfach nicht widerstehen kann. Als sie dann auch noch erkennt, dass Markus kein Problem damit hat, dass sie bereits eine Tochter hat, schwebt sie auf Wolke Sieben. Bei dem ersten Zusammentreffen von Markus und Lara scheint Julias neu gewonnenes Glück jedoch wie eine Seifenblase zu zerplatzen: Lara reagiert panisch und hysterisch auf den neuen Freund ihrer Mutter. Das junge Paar hofft, dass es nur eine vorübergehende Eifersucht des Mädchens ist, die sich mit der Zeit legen wird. Sie ahnen ja nicht, dass Lara ganz andere Gründe für ihren Widerwillen gegen Markus hat ...Jetzt lesen
Dr. Stefan Frank - Folge 2338Katrin und Chris Stachelhaus führen eine glückliche Ehe. Die erfolgreiche Inhaberin einer Modelagentur und der berühmte Starfriseur stehen auf der Sonnenseite des Lebens und bewegen sich in der Welt der Schönen und Reichen. Nach einigen Jahren des vergeblichen Wartens geht dann endlich auch ihr größter Wunsch in Erfüllung: Katrin ist schwanger! Die beiden sind vor Freude selig. Verträumt planen sie die Zukunft ihres Kindes und schwelgen in schönen Vorstellungen. Eine weitere Untersuchung ändert jedoch schlagartig alles: Katrin erfährt, dass ihr Baby eine Chromosomenstörung hat. Es wird behindert auf die Welt kommen. Mit allem hat die junge Frau gerechnet, aber nicht mit einer solchen Hiobsbotschaft. Wie soll sie diese Nachricht ihrem Mann beibringen? Der interessiert sich doch nur für Schönheit und Perfektion, der wird wohl kaum ein behindertes Kind großziehen wollen! Und sie selbst kann sich das beim besten Willen auch nicht vorstellen. In ihrer Verzweiflung beschließt Katrin, die Sache mit sich allein auszumachen. Sie wird einfach abtreiben und Chris erzählen, sie habe eine Fehlgeburt erlitten. Oder soll sie es doch behalten? Rat holt sie sich bei ihrem Hausarzt Dr. Frank, der eine ganz eigene Idee hat, wie er seiner verzweifelten Patientin bei ihrer schwierigen Entscheidung helfen kann ...Jetzt lesen
Dr. Stefan Frank - Folge 2339Die siebenundzwanzigjährige Floristin Justina führt gemeinsam mit ihrer Tante Gisela einen Blumenladen in Grünwald. Schon seit Längerem hält die Tante Ausschau nach einem geeigneten Partner für ihre Nichte. Stammkunde Karl scheint ihr dafür der perfekte Kandidat zu sein: Der junge Mann liebt Blumen, und außerdem versteht er sich offensichtlich prächtig mit Justina. Doch die beiden können über Giselas Verkupplungsversuche nur lachen. Sie sind eben Freunde - auf den Gedanken, dass es mehr sein könnte, kommen beide nicht. Im Gegenteil: Karl bittet Justina, ihm Tipps zu geben, wie er am besten mit einer neuen Kollegin anbändeln kann. Bei diesem "Flirttraining" kommen sich die beiden plötzlich sehr nahe, und Justina muss erkennen, dass sie vielleicht doch mehr als nur freundschaftliche Gefühle für Karl hegt. Aber der scheint ja nur an seine Kollegin zu denken! Um ihn eifersüchtig zu machen, flirtet die Floristin heftig mit Karls Mitbewohner Ludger. Justina ahnt ja nicht, dass ihre beste Freundin Ulrike unsterblich in Ludger verliebt ist ... Bald befinden sich die jungen Leute im reinsten Liebeswirrwarr. Ein rätselhaftes Krankheitsbild führt Justina kurz darauf zu Dr. Frank, und am Ende ist es nur der Grünwalder Arzt, der den jungen Leuten vielleicht noch helfen könnte, ihr wahres Glück zu finden ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Warum meldest du dich nicht?

Vorschau

Warum meldest du dich nicht?

Das verzweifelte Warten einer jungen Frau

Sira Altmann ist verzweifelt: Seit über einem Jahr wartet sie nun schon auf ein Lebenszeichen ihres Freundes, der kurz nach ihrem Kennenlernen zu einer lange geplanten Reise nach Thailand aufgebrochen war. Bei ihrem letzten Telefonat hatte Sira ihm noch glücklich mitgeteilt, dass sie ein Kind von ihm erwartete. Seitdem hat sie von Jan nichts mehr gehört.

Schwangerschaft und Geburt sowie die ersten Monate als frischgebackene Mutter musste Sira ohne Mann an ihrer Seite durchstehen. Es sieht so aus, als hätte der werdende Vater sie eiskalt sitzen lassen. Und doch hat sie die Hoffnung nie aufgegeben, ihren geliebten Jan eines Tages wieder in die Arme schließen zu können …

Dann tritt plötzlich Siras Exfreund Axel wieder in ihr Leben. Er war früher gewalttätig, doch inzwischen scheint er sich geändert zu haben. Mit romantischen Geschenken bittet er um eine zweite Chance.

Sira zögert – ihr Herz hängt noch immer an Jan. Aber lohnt es sich, weiter auf etwas zu warten, was sich doch nicht erfüllen wird?

Mechthild Altmann stand am Tisch mit dem Orangensaft und rückte sorgfältig den Blumenschmuck zurecht. Ja, so sah es nett und einladend aus. Die ältere Dame war gespannt und auch ein bisschen aufgeregt, wie viele Leute aus Grünwald und Umgebung heute Abend wohl den Weg ins Gemeindezentrum finden würden.

Ihre siebenundzwanzigjährige Enkeltochter Sira war unbemerkt hinter sie getreten.

„Ach, Omi! Du und dein unendlicher Perfektionismus. Die Leute wollen unseren Vortrag hören. Sie werden garantiert nicht darauf achten, ob die Blumenvase exakt in der Mitte des Tisches steht!“

Mechthild Altmann gab ihrer Enkelin einen liebevollen Klaps auf den Arm.

„Das hat nichts mit Perfektionismus zu tun!“, verteidigte sie sich. „Aber du weißt doch, wie viele Vorbehalte speziell Menschen meines Alters haben, was das Thema Wohngemeinschaften betrifft. Die denken sofort an Kommunen wie in den Sechzigerjahren … an Gemeinschaftsküchen mit Stapeln von ungespültem Geschirr. Oder an dubiose Sekten, die den Tag mit gemeinsamen Gesängen beginnen!“

Sira musste lachen.

„Na ja, gesungen wird bei uns doch auch hin und wieder!“, gab sie zu bedenken. „Und es räumt auch nicht jeder zuverlässig sein gebrauchtes Geschirr in die Spülmaschine. Aber ansonsten gebe ich dir recht: Die Leute haben ein erschreckend falsches Bild von Wohnprojekten.“

Die ersten Besucher betraten den Raum – ein Ehepaar im Alter von etwa sechzig Jahren.

„Guten Abend! Hereinspaziert!“, begrüßte Mechthild die Gäste. Sie wirkte mehr als erleichtert. So würden sie heute Abend zumindest nicht vor leeren Stühlen sprechen.

Die nächsten Ankömmlinge folgten Schlag auf Schlag. Es schien, als wäre halb Grünwald daran interessiert, was es mit dem Mehrgenerationen-Haus im Zentrum des Ortes auf sich hatte. Seit knapp zweieinhalb Jahren gab es das Haus „Kunterbunt“ nun schon – eine Wohngemeinschaft für Menschen jeden Alters.

Wenige Minuten bevor der Vortrag begann, eilte noch ein letzter Zuhörer in den Raum: Dr. Stefan Frank, der seit vielen Jahren der Hausarzt von Mechthild Altmann war. Schlagartig wurde ihr klar, weshalb der Gemeindesaal aus allen Nähten platzte. Offenbar hatte der beliebte Mediziner Wort gehalten und für den Abend kräftig die Werbetrommel gerührt.

Das Wohnprojekt war seit einigen Monaten in großer Gefahr, da drei freie Appartements nicht vermietet waren. Der heutige Vortrag war also nicht nur dafür gedacht, den Grünwaldern einen Einblick in das besondere Zusammenleben der Wohngemeinschaft zu gewähren. Es ging auch darum, neue Mitbewohner zu werben.

Mechthild und Sira begannen mit ihrem Vortrag. Der Beamer projizierte Fotos aus dem Alltag des Mehrgenerationenhauses „Kunterbunt“ an die Wand. Bilder von den Gemeinschaftsräumen und Fotos von den Appartements der Bewohner. Selbstverständlich hatte jeder seinen privaten Rückzugsort. Aber es gab daneben eine Vielzahl an Räumen, die sie gemeinsam nutzten.

Im Keller hatten sie einen Hobbyraum speziell für die Kinder und jungen Bewohner errichtet, mit Tischtennisplatte, Kicker und einigen Sportgeräten. Dann gab es eine großzügige Gemeinschaftsküche, wo es möglich war, für größere Gruppen zu kochen, Brot oder Pizza auf dem heißen Stein zu backen oder sich Fondue-Sets, ein großes Raclette oder Waffeleisen auszuleihen.

Unter dem Dach befand sich der gemütliche Aufenthaltsraum. Er war ausgestattet mit kuscheligen Sofaecken, einer gut bestückten Bibliothek und Tischen, an denen man Karten spielen oder sich einfach nur zusammensetzen konnte.

Einen hübschen Garten gab es auch; er wurde von Bewohnern des Hauses bewirtschaftet.

Mechthild beschrieb den Alltag im Haus „Kunterbunt“ in schillernden Farben. Sie verschwieg aber auch nicht die Probleme, die es mitunter gab. Es lebten aktuell zweiundzwanzig Personen unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichen Interessen und Charakteren im Haus. Da blieb es nicht aus, dass es hin und wieder krachte.

Am Ende des Vortrags gab es herzlichen Applaus. Mechthild hatte wirklich alles gegeben, um Begeisterung für das Projekt zu wecken.

„Gibt es noch irgendwelche Fragen?“ Sira sah in die Runde. Sie hatte ihre Großmutter nach Kräften unterstützt und geschildert, wie es für sie als junge, alleinerziehende Mutter war, im Haus „Kunterbunt“ zu wohnen. Sie wollten ja nicht nur ältere Semester ansprechen, die das Gemeinschaftswohnprojekt als Alternative zu einem Seniorenheim sahen. Genauso wichtig war es, jüngere Einzelpersonen oder Familien ins Haus zu locken.

Ein gut aussehender Herr Mitte siebzig meldete sich scheu. Als sich alle Köpfe zu ihm wandten, errötete er, und seine Augen suchten hilfesuchend den Blick von Mechthild.

„Mein Name ist Peter!“, stellte er sich zaghaft vor. „Und mich interessiert, ob über das Zusammenleben hinaus auch gemeinsame Unternehmungen im Haus gepflegt werden?“

Immer noch sah er Mechthild Altmann direkt an. Die Blicke der beiden älteren Menschen waren für einen Moment tief ineinander versunken.

Sira bemerkte ein Zögern bei ihrer sonst so energischen und resoluten Oma. Ein sanftes Innehalten, das sie überhaupt nicht an ihr kannte. Dann aber war die alte Dame wieder ganz in ihrem Element.

„Danke, das ist eine gute Frage!“, sagte sie und sah die Besucher forsch an. „Natürlich sind wir nicht nur eine reine Zweckgemeinschaft. Es geht uns nicht nur darum, uns ein weitläufiges Gebäude zu teilen. Damit das Klima im Haus stimmt, ist es ebenso wichtig, Gemeinschaft zu pflegen. Wir kochen regelmäßig zusammen oder planen gemeinsame Ausflüge. Wenn jemand Geburtstag hat, wird unser Gemeinschaftsraum unter dem Dach schon mal zur heißen Partyzone …“

Ein Lachen schwappte durch den Raum.

„Das alles ist natürlich rein freiwillig, niemand muss sich beteiligen, wenn er das nicht möchte. Wir bieten jedem Bewohner Rückzugsmöglichkeiten in die privaten Räumlichkeiten. Und niemand, der für sich sein will, wird deshalb schief angeguckt. Aber es hat eben auch jeder die Möglichkeit, schnell und unproblematisch Anschluss zu finden.“

Bei dem letzten Wort fing ihr Blick wieder den Blick von Peter ein. Eine untypische Röte schoss ihr ins Gesicht, und sie sah rasch zu ihrer Enkelin hinüber.

„Nun. Ich schlage vor, dass wir uns nun alle dem kleinen Buffet widmen, das die Bewohner von Haus „Kunterbunt“ für Sie vorbereitet haben. Wer Fragen hat oder Interesse, bei uns einzuziehen, darf sich gern an mich oder meine Enkeltochter wenden. Wir stehen heute Abend als Ansprechpartner zur Verfügung. Und natürlich dürfen Sie jederzeit auch direkt bei uns im Haus „Kunterbunt“ vorbeischauen, um sich das Wohnprojekt unverbindlich anzuschauen.“

Die Zuhörer erhoben sich und verteilten sich mit ihren Papptellern und Bechern im Raum. Es herrschte eine fröhliche und gesellige Atmosphäre.

Sira begann, den Beamer abzubauen, als ein Schatten auf sie fiel. Mit einem freundlichen Lächeln drehte sie sich um. Axel stand vor ihr. Das Lächeln in ihrem Gesicht erlosch.

„Starker Auftritt!“, sagte er. „Hätte ich selbst nicht besser machen können.“

Sira verdrehte innerlich die Augen. Axel war ein Narzisst vor dem Herrn und vermutlich tatsächlich der Überzeugung, er hätte den Vortrag aus dem Stegreif selbst übernehmen können.

„Danke“, entgegnete sie kurz angebunden. Sie hatte Axel überhaupt nicht unter den Gästen bemerkt, spürte aber sofort, wie unangenehm sie seine Anwesenheit berührte.

Die kurze Beziehung, die sie noch bis vor zwei Jahren gehabt hatten, hatte auf denkbar schlechte Weise geendet. Axel hatte sie in betrunkenem Zustand gegen einen Küchenschrank gestoßen. Noch heute zeugte eine Narbe auf Siras Stirn davon. Damit war für Sira eine Grenze überschritten gewesen, und sie hatte sich sofort von Axel getrennt.

Seitdem hatte er vier recht kurzlebige Beziehungen mit anderen Frauen gehabt, aber immer waren ihm seine Alkoholeskapaden und Gewaltausbrüche im Weg gewesen.

„Ihr sucht also neue Mieter?“ Axel sah seiner Exfreundin untätig dabei zu, wie sie den Beamer in der Tasche verstaute.

„Ja.“ Sira überlegte krampfhaft, wie sie ihn wieder loswerden konnte. Sie hatte Axel damals wirklich geliebt, aber die Abgründe seines Charakters einfach nicht mehr ertragen.

„Ich könnte ja einziehen …“, bot er an. „Würde mich auch um die Kleine kümmern. Ehrlich!“

Misstrauisch zog Sira die Augenbrauen nach oben. Als Babysitter war Axel gänzlich unbrauchbar. Er brachte ja nicht mal sein eigenes Leben auf die Reihe.

„Danke“, blockte sie ab. „Marie und ich kommen auch gut ohne männliche Unterstützung zurecht. Es gibt im Haus genügend Leute, die sich gern um mein Baby kümmern.“

„Und der Kindsvater ist also immer noch abgetaucht?“ Eine Spur Boshaftigkeit schlich sich in Axels Augen.

Eine Welle von Trauer und Bitterkeit umspülte Sira. Wann immer sie an Maries Vater Jan dachte, hatte sie das Bedürfnis, laut aufzuschreien. Sie konnte sich immer noch keinen Reim darauf machen, was damals geschehen war. Wie hatte sie sich derart in einem Menschen täuschen können?

„Mit mir wäre dir das nicht passiert!“, behauptete Axel kühn.

Sira platzte der Kragen.

„Nein. Mit dir passieren ganz andere Dinge!“, zischte sie ihm zu und zeigte auf die Narbe. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt, um hinüber zu ihrer Großmutter zu flüchten.

Mechthild war in ein Gespräch mit dem schüchternen Herrn vertieft, der die Frage am Ende des Vortrags gestellt hatte.

„Auch Ihre Stimme …“, hörte Sira ihn schwärmen. „Sie haben wirklich eine ausgesprochen angenehme Stimme. Ich hätte Ihnen noch stundenlang zuhören können!“

„Ach, wirklich?“, fragte Mechthild geschmeichelt.

Peter nickte. „Wissen Sie, früher war ich Konditormeister, und ich habe in der Backstube immer Radio gehört. Aber keine Musiksender, sondern Reportagen, Hörspiele und Gesprächsrunden. Eine schöne Stimme konnte mich schon immer begeistern.“

Sira zögerte einen Moment. Sie wollte das Gespräch zwischen den beiden nicht stören. Aber in dem Augenblick trat Dr. Stefan Frank hinzu. Überschwänglich schüttelten er und seine Stammpatientin Mechthild sich die Hände.

„Großartig!“, sagte er statt einer Begrüßung. „Sie haben so begeistert von Ihrem Projekt erzählt, dass alle im Raum elektrisiert waren!“

Peter, der mit Ankunft von Dr. Frank völlig verstummt war, nickte bestätigend.

„Danke, dass Sie Werbung für uns gemacht haben!“, bedankte sich Mechthild lachend. „Ohne Ihre Mundpropaganda wären niemals so viele Leute gekommen!“

„Ach!“, winkte Dr. Frank ab. „Sie wissen doch, dass ich von Anfang an ein großer Fan des Wohnprojekts war. Außerdem sind Sie doch eine meiner treuesten Patientinnen. Apropos. Wie geht es Ihnen?“

Peter, der ebenfalls Patient in Dr. Franks Praxis war, war im Laufe des Gesprächs unbeabsichtigt ein wenig zur Seite gedrängt worden. Mechthilds Aufmerksamkeit galt nun völlig ihrem Arzt, und etwas verloren starrte Peter auf die Reste seines Kartoffelsalats hinunter.

Er warf noch einen letzten sehnsuchtsvollen Blick auf die gut aussehende Mechthild, murmelte dann einen kaum hörbaren Abschiedsgruß und verschwand durch den Eingang hinaus ins Freie.

Mechthild bemerkte seinen plötzlichen Aufbruch nicht, denn Ihre Osteoporose-Erkrankung war tatsächlich etwas, was sie in letzter Zeit mehr als alles andere bewegte.

„Ich bin inzwischen ja komplett auf basische Ernährung umgestiegen …“, sagte sie. „Sie wissen ja, dass ich auf Alternativmedizin schwöre. Und ich habe mir auf Ihren Rat hin diese scheußlichen Hüftschlüpfer angeschafft. Sehr unbequem, außerdem extrem unattraktiv. Aber was soll’s, ich bin ja schließlich schon fünfundsiebzig!“

Erheitert schüttelte Dr. Frank den Kopf.

„Bei Ihrem Krankheitsverlauf und der Vorgeschichte mit Ihrer Mutter ist Prävention das Allerwichtigste. Und übrigens sind Sie für eine fünfundsiebzigjährige Frau unglaublich attraktiv – wenn ich mir als Arzt erlauben darf, Ihnen dieses Kompliment zu machen. Kein Hüftprotektor dieser Welt wird daran etwas ändern.“

Mechthild errötete, und Sira sah den Arzt ihrer Großmutter dankbar an. Nach dem Tod ihres geliebten Ehemanns hatte sich ihre Oma lange Zeit zurückgezogen und auch etwas gehen lassen. Erst, seit sie gemeinsam mit Sira in das Wohnprojekt gezogen war, hatte sie zu ihrer alten Lebensfreude zurückgefunden und sah jetzt wieder strahlend aus.

„Ist Osteoporose eigentlich vererbbar?“, fragte Sira den netten Arzt ihrer Großmutter.

Dr. Frank nickte. „Ja. Es gibt durchaus eine genetische Veranlagung dafür. Wie Sie vermutlich wissen, litt schon ihre Urgroßmutter daran. Sie hatte hochgradig Osteoporose und verstarb nach einem Oberschenkelhalsbruch. An Ihrer Stelle rate ich Ihnen also, Ihr individuelles Risiko zeitig abzuklären. Haben Sie einen guten Hausarzt? Falls nicht, dürfen Sie gern bei mir in der Praxis vorbeischauen. Wir veranlassen dann einen Knochendichtetest. So haben Sie Gewissheit.“

„Gute Idee!“, stimmte Sira zu. „Omi, wir lassen uns einfach gemeinsam einen Termin bei deinem charmanten Doktor geben.“

Die Großmutter nickte. Aber die Freude in ihrem Gesicht war schlagartig verschwunden. Erst jetzt hatte sie bemerkt, dass der nette Konditor, der ihr so liebe Komplimente gemacht hatte, verschwunden war. Und so sehr sie den Raum auch mit den Augen absuchte – sie konnte ihn nirgends mehr finden.

***

Es herrschte eine behagliche Atmosphäre im Gemeinschaftsraum von Haus „Kunterbunt“ – und dennoch war die getrübte Stimmung, die seit ein paar Tagen über allem lag, nicht mehr zu überspielen.

„Hat sich immer noch niemand auf deinen guten Vortrag zurückgemeldet?“, fragte die dreiundsiebzigjährige Käthe. Sie war gemeinsam mit der gleichaltrigen Ulla eine enge Freundin von Mechthild, und die Damen traten gerne als dreiblättriges, unzertrennbares Kleeblatt auf. Sie kannten sich bereits seit ihrer Jugend und waren kurz hintereinander im Wohnprojekt eingezogen.

Ulla hielt die kleine Marie, Siras sechs Monate altes Baby, im Arm. Sira selbst lag, mit geschlossenen Augen und angespanntem Gesicht, erschöpft auf dem Sofa.

„Ich verstehe es auch nicht …“, murmelte Mechthild enttäuscht. „Sira und ich haben uns solche Mühe gegeben. Und das Buffet war köstlich. Alle schienen so begeistert von unserem Projekt. Aber nun ist der Vortrag schon eine ganze Woche her, und es ist weder eine Anfrage nach einem Besichtigungstermin eingegangen, noch eine konkrete Mietanfrage.“

Die drei alten Damen schwiegen, und das Baby schlief in Ullas Armen ein.

„Wie lange werden wir die Miete noch gemeinsam stemmen können?“, sprach Käthe das unliebsame Thema an.

Seit dem Auszug dreier Studenten, die allesamt ins Ausland gegangen waren, standen deren Appartements leer. Die Hausgemeinschaft legte solidarisch zusammen, um die Miete zu begleichen, aber langsam machte sich Unmut im Haus breit.

Viele kamen durch die Zusatzausgaben an ihre finanziellen Grenzen, und der Leerstand tat dem Haus auch atmosphärisch nicht gut. Es fehlten nette Nachmieter, die neuen Schwung in die Bude brachten!

„Wir könnten es noch einmal mit einem Zeitungs-Inserat versuchen!“, schlug Ulla vor. Sie legte die kleine Marie behutsam zurück in die Tragetasche. „Oder mit einer Annonce bei Immobilienscout. Gerade die junge Generation sucht Wohnungen doch nur noch online.“

Sira schlug die Augen auf. Sie war den ganzen Vormittag über im Fitnessstudio gewesen, um Kurse zu geben.

„Vielleicht müssen wir uns von der Idee dieses Wohnprojekts ja langsam verabschieden“, sagte sie traurig. „Ich gebe ehrlich zu, dass ich selbst auch schon darüber nachgedacht habe, auszuziehen.“

Die drei alten Damen sahen die junge Frau so entsetzt und sprachlos an, dass sie sich gezwungen fühlte, ihre Hiobsbotschaft rasch zu berichtigen.

„Es war nur ein Gedanke“, fügte sie deshalb schnell hinzu. „Ein Gedanke, der nicht nur mit dem Haus zusammenhängt, sondern natürlich meine gesamte Situation betrifft. Inzwischen ist ein ganzes Jahr vergangen. Ich glaube nicht, dass ich Jan jemals wiedersehen werde. Also wird es Zeit, sich Gedanken um meine und Maries Zukunft zu machen.“

Mechthild hatte sich langsam erhoben und setzte sich an den äußersten Rand des Sofas, auf dem ihre Enkelin lag. Mitfühlend legte sie ihre Hand auf deren Schenkel.

„Ach, Sira. Ich wünschte, ich könnte dir etwas von deinem Leid abnehmen …“, sagte sie sanft.

Bestätigend nickten Ulla und Käthe.

Sira musste lächeln. „Sei nicht komisch. Ohne euch wäre ich doch schon lange vor die Hunde gegangen! Ihr alle kümmert euch doch Tag und Nacht um mich. Nachdem Jan verschwunden ist, habt ihr euch wochenlang mein Geheule angehört und mich getröstet. Ihr habt mich durch die ganze Schwangerschaft begleitet und mich anschließend fleißig im Krankenhaus besucht.“

Sie schaute in die Runde.

„Und seit Marie da ist, reißt ihr euch alle ein Bein für sie aus. Ohne euren ständigen Einsatz als Babysitter hätte ich doch niemals wieder mit der Arbeit anfangen können. Dabei merke ich, wie gut mir der Ausgleich im Fitnessstudio tut.“

„Aber das machen wir doch gerne!“, beeilte sich Ulla zu sagen. „Wir lieben die kleine Marie!“

„Und wir lieben dich!“, ergänzte Käthe.

„Ich bin sicher, Jan kehrt irgendwann wieder zurück …“, wagte die Großmutter eine Prognose. „Ich glaube einfach nicht, dass wir uns alle derart in ihm getäuscht haben. Es muss eine Erklärung für sein Verschwinden geben.“

Sira schluckte schwer. Lange hatte sie auf seine Rückkehr gehofft und sich in Phantasien verstrickt, was mit Jan passiert sein konnte. Vielleicht war er irgendwo in Thailand entführt worden? Befand sich an einem Ort, von wo aus er keinen Kontakt zur Außenwelt aufnehmen konnte?

Es musste einen logischen Grund dafür geben, dass er nicht mehr nach Grünwald zurückgekehrt war. Und dieser Grund durfte nicht sein, dass er sich einfach aus dem Staub gemacht hatte.

Bitter erinnerte sich Sira an das Telefonat, das sie damals mit der Polizei in Österreich geführt hatte. Sie hatte mit stammelnden Worten die Situation erklärt – und war sich selbst unglaublich naiv vorgekommen.

„Entführt? Und dann auch noch in Thailand?“ Sie hörte immer noch das dröhnende und abschätzige Lachen des Polizeibeamten. „Es sieht doch eher danach aus, als wäre Ihr Freund vor seinen Vaterpflichten geflohen. Das kommt häufiger vor, als Sie ahnen! Einiges an Ihrer Geschichte klingt leider stark danach.“

So ganz unrecht hatte der Polizist nicht gehabt, denn Jan war ausgerechnet nach dem Telefonat abgetaucht, in dem Sira ihm von ihrer Schwangerschaft berichtet hatte.

Und trotzdem – der aus Österreich stammende Jan mit seinen thailändischen Wurzeln hatte lediglich ein paar Wochen in Thailand bleiben wollen, um sich dort auf die Suche nach seinen leiblichen Eltern zu machen. Das aber war nun schon ein ganzes Jahr her, und seine Spuren hatten sich völlig verloren.

„Vielleicht hat Jan ja tatsächlich seine Eltern gefunden!“, überlegte Käthe laut. „So ein Ereignis würde wohl jeden aus der Bahn werfen, oder?“

Nachdenklich sahen sich die Frauen an.

„Aber dann hätte er sich doch trotzdem gemeldet!“, entfuhr es Mechthild. „Nein. Es muss eine andere Erklärung für sein Verschwinden geben.“

„Wahrscheinlich hat er unterwegs eine andere Frau kennengelernt. Sich verliebt und sie inzwischen geheiratet. Vielleicht leben sie in einem romantischen Haus an irgendeinem thailändischen Strand, und er verschwendet keinen einzigen Gedanken mehr an mich oder seine ihm unbekannte Tochter.“

Es war Sira einfach so herausgerutscht, und ihr stiegen Tränen in die Augen. Sie glaubte ja selbst nicht daran, aber manchmal nistete sich eben doch Unsicherheit bei ihr ein – und dann hielt sie eine solche Erklärung für durchaus denkbar.

„Es müssen ihn doch auch noch andere Menschen als vermisst gemeldet haben?“, fragte Ulla zum wiederholten Mal.

Sira seufzte leise. „Das ist ja das Fiese daran. Jan hatte vor, mindestens ein ganzes Jahr lang in Thailand zu bleiben. Nachdem seine Adoptiveltern bei einem Autounfall gestorben sind, hat er seine Koffer gepackt und das gemeinsame Haus abgeschlossen. Er wollte sich nach dem Schock erst einmal selbst finden – und sich endlich auf die Suche nach seinen leiblichen Eltern machen. Das hat er aus Rücksicht auf seine fürsorglichen Adoptiveltern nämlich nie getan.“

„Aber er sprach doch perfekt Thailändisch?“, fragte Ulla.

Sira nickte. „Ja. Die Adoptiveltern haben alles gemacht, um Jans Wurzeln nicht zu verleugnen. Sie haben ihm von klein auf Thailändisch beigebracht. Sein Adoptivvater sprach es fließend, denn er hat als Sohn eines Ingenieurs seine Kindheit in Bangkok verbracht. Daher stammt auch der Bezug zu diesem Land. Das österreichische Ehepaar hat sich ganz bewusst für ein Adoptivkind aus Thailand entschieden.“

„Rührend …“, murmelte Mechthild. Der junge hübsche Mann mit dem dunklen Teint und den unglaublich schönen Augen hatte ihr von Anfang an gut gefallen. Sie hatte sich über die Verliebtheit ihrer Enkeltochter gefreut und die Nachricht der Schwangerschaft begeistert aufgenommen. Siras Eltern waren bereits tot – also fühlte sich Mechthild für ihre Enkelin und deren Glück verantwortlich.

Nie hätte sie gedacht, dass Jan von seiner Reise nicht zurückkehren würde. Sie verstand diese ganze Entwicklung selbst nicht so recht.

„Und sein Freundeskreis?“, unterbrach Käthe die Stille. „Es muss doch Leute geben, die ihn vermissen?“

„Logisch …“ Sira wirkte verzweifelt. „Er hat etliche nette Leute in Österreich sitzen. Aber die sind alle überzeugt, dass er immer noch auf der Suche nach sich selbst und seiner Herkunft ist. Mit diesem Ziel ist er schließlich damals von zu Hause weggegangen. Keiner von ihnen hat mitbekommen, dass er kurz vor der Abreise mich kennengelernt hat. Dass er vier herrliche Monate im Haus „Kunterbunt“ gewohnt und sich mit mir verlobt hat, ehe er seine Reise angetreten hat.“

„Ja, das war wirklich eine sehr stürmische und romantische Liebesgeschichte!“, stimmte Ulla versonnen zu. „Warum hat er es seinem Freundeskreis wohl verschwiegen?“

Sira zuckte mit den Schultern.

„Er hatte Gewissensbisse, weil er so kurz nach dem dramatischen Tod seiner Eltern so verliebt und voll Lebensfreude war. Er fand es unanständig, nicht ausgiebig zu trauern. Aber Liebe passiert eben einfach … man hat das nicht in der Hand. Allerdings erklärt das, warum er sowohl seinen Aufenthalt hier als auch unsere Liebesgeschichte erst mal für sich behalten wollte.“

Die kleine Marie fing wieder an zu weinen, und behutsam nahm Sira ihr Baby aus der Tasche. Es war Zeit, das zierliche Mädchen zu füttern.

„Jetzt ist aber Schluss mit den katastrophalen Geschichten über meine Männer!“, sagte Sira entschlossen. „Trinker und Fahnenflüchtige … das ist wirklich erbärmlich! Stattdessen sollten wir uns jetzt über den Verehrer von Oma unterhalten. Omi, hast du Ulla und Käthe von deinem charmanten Konditor erzählt?“

Verwirrt wanderten die Blicke der zwei Freundinnen hinüber zu Mechthild. Die alte Dame wirkte ertappt.

„Ach, Unsinn!“, wiegelte sie ab. „Das war lediglich ein älterer Herr, der sich nach dem Vortrag nett mit mir unterhalten hat.“

„Unterhalten?“ Sira suchte in ihrem Korb nach der Babyflasche. „Ihr zwei habt richtig miteinander geflirtet. Offensichtlich war dieser Peter sehr interessiert. Er hat dich mit Komplimenten überhäuft, und seine Augen strahlten!“

„Glaubt ihr kein Wort!“ Verlegen hatte Mechthild sich erhoben. „Der Mann war einfach nur nett zu mir. Aber ich gebe zu, die kurze Begegnung hat mir gefallen!“

***

Dr. Frank saß mit konzentriertem Blick über einem Arztbrief, als Schwester Martha den nächsten Patienten ins Zimmer führte.

„Chef, ick hab hier jemanden für Sie! Hab ihm heute Morgen schon Blut abgezapft. Die Ergebnisse finden Sie in der Akte.“ Schwester Martha zwinkerte Stefan Frank zu und ging zurück zur Anmeldung.

Rasch speicherte Dr. Frank die Datei, um sich ganz dem Neuankömmling zu widmen.

Peter Schlesinger zählte wegen seiner Zuckererkrankung zu seinen Stammpatienten, und der Arzt nickte dem ehemaligen Konditormeister freundlich zu. Die zwei Männer gaben sich einen kräftigen Händedruck.

„Herr Schlesinger! Wie gut, dass wir uns wiedersehen. Ich hatte ein ganz schlechtes Gewissen, weil ich mich letzte Woche gar nicht um Sie gekümmert habe, als wir uns zufällig beim Vortrag im Gemeindezentrum über den Weg liefen.“

Der Rentner winkte ab.

„Kein Problem. Es ging an dem Abend ja nicht um mich, sondern um die zwei Bewohnerinnen von Haus „Kunterbunt“. Ist Mechthild Altmann nicht sogar eine Patientin von Ihnen?“

Peter Schlesinger bemühte sich, die Frage möglichst beiläufig zu stellen, aber Dr. Frank bemerkte das verdächtige Schimmern in den Augen seines Patienten.

„Ja“, antwortete er. „Frau Altmann ist seit vielen Jahren meine Patientin. Interessieren Sie sich für das Wohnprojekt?“

Herr Schlesinger nickte. „Ich interessiere mich generell für alternative Wohnformen. Ich lebe ja selbst seit langer Zeit in einer Wohngemeinschaft. Gemeinsam mit zwei anderen Männern meines Alters, die ich damals in einer Selbsthilfegruppe kennenlernte. Es war ein Angebot der katholischen Kirche – ein Netzwerk für verwitwete Männer.“

Er machte eine kurze Pause.

„Wir waren damals alle Ende fünfzig und haben beschlossen, aus der Not eine Tugend zu machen. Wir haben uns eine großzügige Altbauwohnung am Stadtrand von Grünwald gesucht, und seitdem leben wir als nette Gemeinschaft zusammen. Seit mehr als fünfzehn Jahren!“

Dr. Frank sah seinen Patienten staunend an. Er wusste wohl, dass Herrn Schlesingers Frau mit siebenundfünfzig an Krebs verstorben war. Aber dass er seither in einer Alters-WG mit anderen Witwern wohnte, das war ihm neu.

„Wieso haben Sie nie etwas davon erzählt?“, fragte er, während er die Ergebnisse des Blutzuckertests analysierte.

Peter Schlesinger wirkte verlegen.

„Ich rede einfach nicht so gern über mich selbst …“, gab er zu. „Und ich hatte Angst vor Vorurteilen. Irgendwie klingt das doch reichlich sonderbar, wenn drei Herren im gesetzten Alter wie in einer Studenten-Bude zusammenhausen!“

Dr. Frank lachte. „Da haben Sie mich aber völlig falsch eingeschätzt. Ich bewundere es, wenn Menschen Neues wagen. Auch Frau Altmanns Weg verfolge ich mit großem Interesse. Nach der Einsamkeit ihrer Witwenschaft hat sie sich noch mal richtig ins Leben gestürzt und gemeinsam mit anderen dieses großartige Wohnprojekt eröffnet.“

„Sie ist ebenfalls Witwe?“, entfuhr es dem Konditormeister eine Spur zu schnell.

Dr. Frank nickte. Erst jetzt fiel ihm auf, wie vertraut Frau Altmann und Herr Schlesinger letzte Woche beieinandergestanden hatten. Sie waren in ein intensives Gespräch verwickelt gewesen. Hatte er die beiden älteren Herrschaften etwa bei einem Flirt gestört? Schlagartig bekam der einfühlsame Arzt Gewissensbisse.

„Ihre Werte sind hervorragend!“, murmelte er. „Ich denke, die Entscheidung, es mit einem SGLT2-Hemmer zu versuchen, war goldrichtig.“

„Ja“, pflichtete der Rentner ihm kopfnickend bei. „Seither habe ich auch über zwei Kilo abgenommen.“

„Das ist ein Nebeneffekt der Therapie!“, erklärte Dr. Frank. „Das Medikament blockiert die Zuckeraufnahme in den Nieren und sorgt dafür, dass Blutdruck und Blutzucker sinken. Aber auch darüber hinaus tun Sie ja etliches, um Ihrem Diabetes an den Kragen zu rücken. Sie machen doch noch regelmäßig Sport, oder?“

Peter Schlesinger nickte. „Natürlich wird es mit jedem Jahr mühsamer. Aber ich gehe nach wie vor zum Tennisspielen. Und zweimal die Woche bin ich in einer Nordic-Walking-Gruppe.“

„Sehr gut!“, lobte der Arzt. „Nordic-Walking beansprucht eine Vielzahl von Muskeln. Es ist eine der gesündesten Sportarten, die es gibt.“

Der Patient nickte. „Ja. Und es macht darüber hinaus Spaß. Ich bin einfach ein Gruppenmensch. Das bin ich immer gewesen. Mit meinen Mitbewohnern gehe ich regelmäßig zum Männerchor. Und ich bin Mitglied in einer Schachgesellschaft.“

Dr. Frank schrieb seinem Patienten ein Rezept aus und erhob sich langsam.

„Na, dann muss ich mir ja keine Sorgen machen, dass Ihnen die Decke auf den Kopf fallen könnte“, sagte er. Peter Schlesinger nickte unschlüssig. Er schien noch etwas auf dem Herzen zu haben, rückte aber nicht damit heraus.

Dr. Frank ahnte, was den alten Herrn beschäftigte.

„Wie sieht es eigentlich mit der Liebe aus?“, fiel er also einfach mit der Tür ins Haus. „Sie sind nun ja schon viele Jahre allein.“

Erleichterung zeichnete sich im freundlichen Gesicht des Konditors ab. Offenbar hatte Dr. Frank genau ins Schwarze getroffen.

„Ja“, sagte er. „Sie haben recht. Ich habe viele Hobbys und Freunde. Und trotzdem merke ich seit einiger Zeit, dass mir etwas in meinem Leben fehlt. Die Zuneigung, Zärtlichkeit und Ansprache einer netten Frau in meinem Alter.“

Dr. Franks Gedanken wanderten zu seiner Freundin Alexandra Schubert. Auch er war nach dem Tod seiner vorherigen Partnerin lange Single gewesen. Aber sein Leben hatte an Tiefe und Intensität gewonnen, seit die nette Augenärztin in sein Leben getreten war. Es war nicht gut, zu lange allein zu bleiben.

„Und, gibt es jemanden, den Sie im Auge haben?“ Dr. Frank ahnte, auf wen das Gespräch gleich fallen würde.

„Wie konnten Sie das nur erraten, Herr Doktor?“ Peter Schlesinger war vor Aufregung und Verlegenheit rot geworden. Er nahm mit bebenden Fingern das Rezept in Empfang. „Ich gebe zu, ich bin über beide Ohren verschossen!“

Stefan Frank lächelte. „Doch nicht etwa in meine Patientin Mechthild Altmann?“

Peter Schlesinger bejahte die Frage überschwänglich.

„Es war Liebe auf den ersten Blick, als ich sie letzte Woche am Rednerpult erlebte. Sie ist so ein mitreißender, humorvoller und liebenswürdiger Mensch – eine Frau, die Gesellschaft und Zusammenhalt genauso schätzt wie ich. Mal ganz davon abgesehen, dass sie aussieht, wie Greta Garbo.“

Dr. Frank musste schmunzeln. Seinen Patienten hatte es wirklich schwer erwischt!

„Ahnt die Dame denn etwas von Ihren Gefühlen für Sie?“, versuchte er, dem sympathischen Rentner auf den Zahn zu fühlen.

Unsicher hob dieser die Schultern hoch.

„Unser Gespräch nach dem Vortrag wurde leider unterbrochen.“

Schlagartig kehrte das schlechte Gewissen zurück. Dr. Frank fühlte sich wirklich schäbig. Er war doch sonst so einfühlsam, wenn es um die Belange anderer Menschen ging. Wie hatte er das Glück der beiden verwitweten Leute derart stören können?

Nachdenklich sah er zum Fenster hinaus. Dann wandte er sich mit ernster Miene an den ehemaligen Konditor.

„Es tut mir unendlich leid, dass ich dazwischen gefunkt habe, als Sie versucht haben, Frau Altmann kennenzulernen …“, entschuldigte er sich. „Sie müssen nun also mit härteren Bandagen kämpfen. Ich hatte damals durchaus den Eindruck, dass auch Frau Altmann an Ihren Lippen hing. Also sollten Sie einen mutigen Vorstoß wagen!“

„Was meinen Sie damit?“, fragte der Rentner ängstlich.

„Dass Sie die alte Schule der Verführungskunst bemühen sollten!“, riet Dr. Frank ihm ernsthaft. „Rote Rosen haben noch jede Frau bezirzt. Ich rate Ihnen, Ihrem heimlichen Schwarm einen prächtigen Blumenstrauß zukommen zu lassen!“

***

Die Sonne stand hoch, und das Licht brach sich in den Blättern der mächtigen Palmen, die den Weg hoch zu dem bescheidenen Klinikgebäude säumten.

Der junge Mann saß nachdenklich auf einer Parkbank. Hübsch sah er aus – wie das Motiv auf einer Postkarte!

Die achtzehnjährige Krankenschwester in Uniform, die mit kleinen Schritten aus dem Gebäude trippelte, hielt für einen Moment inne, um ihn heimlich zu betrachten. Seit knapp einem Jahr lebte Jan nun schon in diesem Haus, ohne dass seine Erinnerung zurückgekehrt wäre.

„Sawadee-kha!“, flötete sie in seine Richtung und errötete sanft, als er tatsächlich den Kopf hob.

„Sawadee-khap!“, antwortete er mit seinem besonderen Akzent, der bei manch einem hier die Vermutung weckte, dass er von einer der Inseln kam.

Aber das Meer war unendlich fern, und das kleine Krankenhaus befand sich tief im Landesinneren des Nordens.

Im Schwesternzimmer war der bildschöne, fremde Jan seit langem das Gesprächsthema Nummer eins. Es gab keine einzige Krankenschwester, die nicht für ihn schwärmte. Diese geheimnisvollen, mandelförmigen Augen! Das zarte, ein wenig jungenhafte Gesicht. Ein sportlicher, durchtrainierter Körper, dessen Konturen sich deutlich durch das eng sitzende T-Shirt abzeichneten.

Die Krankenschwester seufzte verträumt und wandte sich endlich dem buddhistischen Altar zu. Deshalb war sie überhaupt hinaus ins Freie gegangen. Sie legte ehrfürchtig den prächtigen Blumenschmuck ab, den sie von einem vorbeifahrenden Händler gekauft hatte, und sprach ein kurzes Gebet für ihre Eltern. Dann wanderte ihr Blick zurück zu ihrem Lieblingspatienten.

Er war damals von Kokosbauern auf einem Feld gefunden worden. Nackt, bewusstlos und schrecklich zerschunden. Mit einer stark blutenden Wunde am Kopf – und blauen Flecken, die darauf verwiesen, dass er Opfer eines Raubüberfalls geworden war.

Nach seinem Erwachen hatte sich der junge Mann an nichts mehr erinnern können. Nicht an den Vorfall, nicht an seinen Namen. Nicht an seine Herkunft und auch nicht an seine Vergangenheit. Alles, was ihn selbst betraf, war wie durch Zauberhand einfach ausgelöscht worden. Die Zauberhand eines bösen und hinterlistigen Magiers. Denn nichts war schlimmer, als sich selbst nicht mehr zu erkennen!

Dann hatte man auf seinem Oberarm eine Tätowierung entdeckt – die zwei Namen „Jan“ und „Sira“ in thailändischen Buchstaben. „Dschan“ sprach man den typisch thailändischen Namen aus – und so nannte man den Fremden seither.

Aber außer dem Namen war nichts weiter über ihn herausgefunden worden. Nirgends im Land wurde ein junger Mann vermisst, auf den die Beschreibung von Jan gepasst hätte. Vielleicht stammte er ja wirklich von einer der winzigen Inseln? Einiges an seiner Aussprache ließ aber auch darauf schließen, dass er direkt aus der Hauptstadt kam. Khrung Thep – Stadt der Engel –, wie die Thailänder die Metropole Bangkok nannten. Wie einen orientierungslosen Engel hatte das Schicksal den Jüngling zu ihnen in den Norden geweht, wo er nun Monat um Monat grübelte und wartete und ihnen allen durch seinen Anblick die Tage versüßte.

Für einige Sekunden starrte Jan in die Richtung der jungen Krankenschwester, und ihre Augen leuchteten freudig auf. Sie schenkte ihm ein entwaffnendes Lächeln.

Jan senkte traurig den Blick, und mit einer kurzen Verbeugung vor dem Foto des Königs, das über dem Eingang des Krankenhauses hing, verschwand das Mädchen enttäuscht wieder im Inneren des Hauses.

Jan starrte auf den Boden hinab. Körperlich war er fit. Seit seinem Unfall hatte man im Krankenhaus alles dafür getan, ihn zumindest physisch in Bestform zu bringen. Er hatte ein nettes kleines Zimmer und bekam drei köstliche Mahlzeiten pro Tag. Und natürlich bemühten sich die Ärzte und Schwestern nach Kräften, seinen Heilungsprozess zu unterstützen.

Von ihnen hatte er erfahren, dass er vermutlich das Opfer eines Überfalls geworden war. Dass er aufgrund einer Hirnverletzung das Gedächtnis verloren hatte. Dass bislang niemand herausgefunden hatte, woher er kam.

Die Ungewissheit seiner eigenen Existenz bedrückte ihn. Es fühlte sich an, als würde er gar nicht existieren. Aber eine Sache beschäftigte ihn noch mehr: diese unerklärliche, brennende Sehnsucht. Er wusste nicht, wonach oder nach wem er sich sehnte. Aber sein Herz war schwer, und eine Stimme in seinem Inneren sagte ihm unablässig, dass es jemand gab, der auf seine Rückkehr hoffte.

Jan schluckte. Die Stimmen, das war ein ganz anderes Thema. Ja, er war wohl Thailänder … sowohl sein Aussehen als auch seine Sprachkenntnisse und die Tätowierung auf seinem Arm sprachen dafür. Aber es gab noch eine zweite Sprache, die er fließend beherrschte. Die Wörter sprudelten ihm leicht aus dem Mund, aber keiner hier verstand oder wollte verstehen. Jan fühlte sich wie der einsamste Mensch auf diesem Planeten.

Ein dicklicher, hellhäutiger Mann im Morgenmantel verließ das Gebäude. Er musterte Jan kurz, kam dann mit gemächlichen Schritten zu ihm, setzte sich ohne Aufforderung neben ihn und nestelte in seiner Tasche nach Zigaretten.

„Höllisch ungesund!“, murmelte der Herr. „Aber nach dem Schock die einzige Möglichkeit, mich selbst zu beruhigen!“

Fassungslos starrte Jan den Fremden an. Die Stimme kannte er! Nein, nicht die Stimme. Sondern die Sprache!

„Sie sprechen Deutsch?“, fragte er. „Ich habe hier noch nie jemanden Deutsch reden hören!“

Irritiert blies der andere Patient einen Rauchkringel in seine Richtung.

„Jetzt bin ich aber wirklich sprachlos!“, polterte der Raucher lachend los. „Da wird man im tiefsten thailändischen Hinterland mit Verdacht auf Schlaganfall in ein Dorfkrankenhaus gesteckt, kann sich nur mit Händen und Füßen verständigen … und nachdem endlich alles abgeklärt ist, trifft man im Garten auf einen anderen Deutschen!“

Jan riss die Augen auf. Ja, das stimmte. Er war wohl deutsch. Aber schon korrigierte sich der Mann wieder.

„Pardon. Österreicher!“, verbesserte er sich dröhnend. „Zumindest verrät mir das Ihr Dialekt.

Immer noch starrte Jan seinen Sitznachbarn an wie eine Erscheinung.

„Machen Sie Urlaub hier?“, fragte der Fremde neugierig.

Jan schüttelte den Kopf. Dann nickte er. Dann zog er die Schultern unwissend nach oben.

„Ich weiß es nicht …“, murmelte er. „Ich wurde vor einem Jahr mit Gedächtnisverlust nur wenige Kilometer entfernt aufgefunden. Das Einzige, was etwas über meine Herkunft verrät, ist eine Tätowierung auf meinem Arm. Der Name von mir und vermutlich meiner Frau. Wie es aussieht, ist sie Thailänderin, denn Sira ist ein typisch thailändischer Name. Das Tattoo wurde wohl erst kurz vor dem Unfall gestochen – deshalb gehe ich stark davon aus, dass irgendwo eine Frau auf mich wartet.“

Der Mann neben ihm sagte erst einmal gar nichts mehr. Verdutzt schickte er eine Rauchfahne in den Himmel. Dann räusperte er sich.

„Das ist ein sehr sonderbarer Zufall, mein Freund. Und wieder einmal ein Beweis dafür, dass das Leben manchmal die besten Romane schreibt. Ich bin ein recht bekannter Neurologe aus Deutschland – und mein Spezialgebiet ist die Amnesie.“

„Amnesie?“, wiederholte der junge Mann fragend.

„Gedächtnisverlust. Mit Menschen wie Ihnen arbeite ich in meiner Praxis in Frankfurt. Menschen wie Sie waren das Thema meiner Doktorarbeit. Und über Menschen wie Sie halte ich Fachvorträge in ganz Deutschland.“

„Können Sie meine Erinnerung zurückholen?“, rief Jan aufgeregt. Er war plötzlich wie unter Strom. Diese Begegnung war der größte Glücksmoment seit seinem Erwachen aus dem Koma!

Der Herr schüttelte den Kopf.

„Nein. Ich bin kein Wunderheiler. Aber ich kann zumindest herausfinden, wer Sie sind. Denn wie mir scheint, sind Sie in Österreich aufgewachsen.“

Zum ersten Mal bekam Jan einen glaubhaften Hinweis an die Hand. Einen Anhaltspunkt, wo seine Vergangenheit liegen könnte. Vielleicht war er mit seiner thailändischen Braut nach Österreich ausgewandert? Nein … Sein Blick schweifte in die Ferne. Sira musste wohl auch in Thailand sein. Vielleicht war er für sie von Österreich in ihre Heimat gezogen.

Warum aber war er überhaupt in Österreich aufgewachsen? Sein Schädel brummte – das alles ergab keinen Sinn.

Zwei Krankenschwestern kamen nach draußen. Die ältere war recht drall und fürsorglich; sie bemutterte Jan seit seiner Ankunft schrecklich. Die andere war jünger und frecher und himmelte Jan unverhohlen an. Sie hatte ihn sogar schon einmal um eine Verabredung gebeten.

Die zwei Frauen blieben erstaunt vor den beiden Patienten stehen.

„Wir haben beobachtet, dass du dich mit diesem fremden Patienten unterhalten hast!“, redete die Ältere in Thai auf ihn ein. „Wie ist das möglich, Jan? Der Mann ist Ausländer und spricht nicht unsere Sprache!“

Jan erklärte in kurzen Worten, dass er sehr wohl die Worte des Fremden verstand, und dass dieser vermutete, dass Jan Österreicher war. Dass seine Wurzeln vielleicht sehr weit in der Fremde lagen!

Erschrocken sahen die zwei Pflegerinnen sich an. Sie sahen ihren Lieblingspatienten bereits im nächsten Flieger nach Europa entschwinden.

„So ein Unsinn!“, widersprach die Jüngere prompt. „Lass dir bloß keine Märchen erzählen.“

„Es ist sowieso Zeit für die Physiotherapie!“, drängte die Ältere mit unverkennbarer Strenge. Die zwei hakten den überrumpelten Jan an beiden Seiten unter und zogen ihn unsanft zurück zum Gebäude.

„Wie lange bleiben Sie noch hier?“, rief Jan auf Deutsch verzweifelt über seine Schulter zurück.

Der deutsche Arzt sah ihm kopfschüttelnd nach.

„Nachdem meine Schlaganfallanzeichen falscher Alarm waren, reise ich noch heute Abend zurück“, rief er dem jungen Mann nach. Aber ich verspreche Ihnen, dass ich mich in Österreich auf die Suche nach Ihrer Familie mache!“

***

Das Wartezimmer war übervoll, und Sira blätterte nervös in einer Zeitschrift. Ihr Baby hatte sie bei Käthe und Ulla gelassen. Die beiden liebten das süße Kind. Dennoch hatte Sira ein schlechtes Gewissen, die Zeit ihrer Mitbewohnerinnen in Anspruch zu nehmen.

„Warum bist du so hibbelig?“ Ihre Oma schaute sie prüfend an.

„Ich bin nicht hibbelig“. Sira ließ ihre Zeitschrift sinken. „Ich habe nur ein schlechtes Gewissen wegen Käthe und Ulla. Die beiden kümmern sich schon die ganze Woche um Marie. Das kann doch nicht ewig so weitergehen!“

„Aber sie machen es doch gern!“, erwiderte Mechthild. „Deshalb wohnt man in solch einer Wohngemeinschaft. Um sich gegenseitig zu unterstützen.“

„Aber was habe ich zu bieten?“, rutschte es Sira heraus. „Momentan arbeite ich fast jeden Tag im Fitnessstudio. Wenn ich daheim bin, kümmere ich mich um Marie. Und die restliche Zeit bade ich in Selbstmitleid. Ich bin keine wirkliche Unterstützung für die Gemeinschaft.“

Zärtlich sah Mechthild Altmann ihre einzige Enkelin an.

„Ach, Sira! Das erwartet doch auch niemand von dir. Nach allem, was du im letzten Jahr durchgemacht hast. Du und Marie, ihr seid eine absolute Bereicherung für die Hausgemeinschaft.“

„Wirklich?“ Siras Frage klang zögernd.

„Wirklich!“ Ihre Großmutter lächelte ihr aufmunternd zu.

Sira seufzte. „Manchmal denke ich, dass es Zeit wäre, mir einen neuen Freund zu suchen. Jemand, auf den ich zählen kann. Ich muss mich von der romantischen Vorstellung verabschieden, dass Jan zurückkommen wird. Ich sollte die Augen nach anderen Männern offenhalten. Marie braucht endlich einen Vater. Und ich brauche dringend Unterstützung.“

„Ich bin mir sicher, dass Jan zurückkommt!“, behauptete ihre Großmutter eisern. Sie war von der fixen Idee nicht abzubringen – auch wenn sie selbst keine Erklärung hatte, wo er abgeblieben war.

„Vielleicht ist er längst tot“, rutschte es Sira heraus. Diese Vorstellung quälte sie schon seit langem. Was, wenn Jan beim Schwimmen im Meer ertrunken war? Wenn er bei einer Wanderung im Dschungel gestürzt und dort elendig verhungert war? Was, wenn er das Opfer eines Verbrechens geworden war – und sein Körper unentdeckt in thailändischer Erde vermoderte …

Nein, daran mochte sie gar nicht denken! Und trotzdem … seit Maries Geburt drängte sich diese Horrorvorstellung immer wieder auf. Es wäre eine plausible Erklärung, warum er sich nie mehr gemeldet hatte.

„Frau Altmann?“ Eine gut genährte Arzthelferin betrat den Raum, und Sira und Mechthild erhoben sich zeitgleich.

„Ach, du grüne Neune!“ Schwester Martha sah von Sira zu ihrer Großmutter und wieder zurück. „Zweimal Altmann? Also Altmann im Doppelpack? Det nenne ick einen Fall von geballter Frauenpower!“

Großmutter und Enkelin lachten erheitert.

„Ist es ein Problem, wenn wir gemeinsam ins Sprechzimmer gehen?“, fragte Sira. „Es geht unter Umständen um den gleichen Krankheitsbefund. Es macht vermutlich Sinn, gemeinsam mit Dr. Frank zu reden.“

„Wegen mir dürfen Sie mit Ihrer ganzen Großfamilie bei Dr. Frank anrücken!“, erwiderte Martha Giesecke lachend. „Solange Sie beide einverstanden sind und niemand sich um seine Privatsphäre sorgt!“

„Gar kein Problem!“ Mechthild Altmann nickte. „Ich und meine Enkeltochter haben keine Geheimnisse voreinander. Zumindest, was unsere Zipperlein und Gebrechen betrifft.“

Oma und Enkelin kicherten wie auf Kommando los und folgten der freundlichen Arzthelferin mit eiligen Schritten.

Als sie das Sprechzimmer betraten, kam ihnen Dr. Frank bereits entgegen.

„Ah. Die zwei zauberhaften Altmann-Damen!“, sagte er und wies dem Zweiergespann freie Stühle zu.

Mechthild strahlte. „Es ist immer wieder eine Freude, in Ihre Praxis zu kommen!“, sagte sie. „Auch, wenn es natürlich schöner wäre, wenn wir uns in einem anderen Zusammenhang begegnen würden. Denn hier geht es natürlich zwangsweise immer um Krankheiten!“

Dr. Frank nickte. „Das stimmt leider. Aber das letzte Mal haben wir uns doch zum Glück zu einem anderen Anlass gesehen. Ihr Vortrag war wirklich fabelhaft. Haben sich im Anschluss ausreichend Interessenten für Ihr Wohnprojekt gemeldet?“

Mechthild Altmann schüttelte den Kopf.

„Leider nein. Das ist für uns natürlich eine große Enttäuschung. Ich hatte wirklich gehofft, dass wir nach dem Informationsabend zumindest eines der leerstehenden Appartements vermietet bekämen. Aber das wird wohl nichts. Die Zuhörer fanden unser Projekt spannend – aber einziehen will trotzdem niemand. Wir versuchen es jetzt mit Anzeigen in der Zeitung und im Internet. Und wenn auch das nichts bringt …“

Sie endete mitten im Satz. Es war einfach zu schmerzhaft, es auszusprechen.

Dr. Frank musste an seinen Patienten Peter Schlesinger denken. Ob er der gut aussehenden Rentnerin inzwischen seine Liebe gestanden hatte? Irgendetwas sagte Dr. Frank, dass dem nicht so war. Vielleicht der traurige und sorgenvolle Ausdruck in Mechthild Altmanns graublauen Augen. Verliebte sahen gänzlich anders aus. Also hatte er den Vorschlag mit den Blumen wohl doch nicht ernst genommen.

„Ich verspreche Ihnen, dass ich unter meinen Patienten weiterhin die Werbetrommel rühre!“, bot Dr. Frank an. „Es kann doch nicht sein, dass ein so interessantes Wohnprojekt keine neuen Mieter findet.“

„Ich verstehe es auch nicht …“, sagte Sira enttäuscht. „Aber was sollen wir machen? Wir können die Leute ja nicht zum Einzug zwingen!“

Alle drei lächelten sich an, aber es wirkte nicht fröhlich, sondern sichtlich betroffen.

„Nun. Dann müssen wir nach diesem unangenehmen Thema leider ein weiteres unangenehmes Thema besprechen.“

Dr. Frank wandte sich direkt an Sira Altmann.

„Sira, Ihre Untersuchungsergebnisse sprechen leider eine deutliche Sprache. Trotz Ihres jungen Alters ist erkennbar, dass Sie die Osteoporose Ihrer Großmutter und Urgroßmutter geerbt haben. Das ist keine erfreuliche Botschaft, aber auch kein Weltuntergang.“

Erschrocken wechselten Mechthild und Sira einen Blick miteinander.

„Aber ich mache doch so viel Sport!“, platzte es ungläubig aus der jungen Frau heraus. „Ich bin Fitnesstrainerin und gebe jeden Tag mehrere Kurse. Und an den Wochenenden halte ich mich zusätzlich fit. Wenn es mein Zeitplan zulässt, mache ich Langlauf, gehe schwimmen oder aufs Laufband.“

Dr. Frank sah die aufgelöste Patientin mitfühlend an.

„Das ist sehr gut und hat definitiv positive Auswirkungen auf Ihr Immunsystem und Ihren Körper. Sie können sich dadurch aktiv daran beteiligen, bestimmte Krankheiten erst gar nicht zu bekommen. Aber Osteoporose gehört leider nicht dazu. Es gibt bestimmte Verhaltensweisen und Vorsorgemaßnahmen, die man ergreifen kann, um den Krankheitsverlauf deutlich zu verzögern. Aber Sport hilft bedauerlicherweise nicht, die Osteoporose zu heilen oder zu stoppen.

Erschüttert starrte die hübsche junge Frau auf ihre Hände hinab. Wie viele böse Überraschungen hielt das Leben noch für sie bereit? Reichte es nicht aus, dass ihr Verlobter verschollen war? Und dass sie in einem Zustand allerhöchster Unsicherheit hauste?

„Verzweifle nicht!“, sagte ihre Oma tröstend. „Ich plage mich schon mein ganzes Leben mit dieser Erkrankung herum. Wenn man sich informiert und einen so guten Arzt hat wie Dr. Frank, dann kann man das Leiden relativ gut in den Griff bekommen. Ehrlich!“

Die aufmunternden Worte schienen die junge Frau nicht zu erreichen. Dr. Frank beugte sich nach vorn.

„Was Ihre Großmutter sagt, stimmt!“, pflichtete er seiner Stammpatientin bei. „Auch wenn Osteoporose nicht heilbar ist, gibt es doch etliches, das man machen kann, um einen raschen Verlauf zu verhindern. Wussten Sie, dass Sie an einem extrem ausgeprägten Vitamin-D-Mangel leiden? Das haben die Blutuntersuchungen ergeben, die Anfang der Woche von meiner Arzthelferin Frau Flanitzer bei Ihnen gemacht wurden.“

„Vitamin D? Was hat das mit Osteoporose zu tun?“

„Nun. Vitamin D ist an zahlreichen Zell- und Immunvorgängen beteiligt. Speziell was die Stabilität der Knochen betrifft.“

Gespannt lauschte die junge Fitnesstrainerin den Worten des Arztes.

„Vitamin D sorgt für die Aufnahme von Kalzium. Und das ist speziell für Osteoporose-Patienten enorm wichtig. Wir müssen unbedingt darauf achten, dass Ihre Knochen nicht noch mehr Kalzium verlieren, denn dadurch werden sie brüchig.“

„Aber … ich ernähre mich doch vitaminreich und gesund!“, verfiel Sira Altmann in eine Verteidigungshaltung.

Dr. Frank nickte. „Sie müssen sich überhaupt nicht rechtfertigen. Für Ihre Mangelerscheinung können Sie nichts. Normalerweise übernimmt der Körper nämlich selbst die Versorgung mit Vitamin D. In der Haut wird durch Sonneneinstrahlung dieser wichtige Vitalstoff gebildet.“

Er blickte Sira freundlich an.

„In den Sommermonaten ist das alles kein Problem, aber in den langen düsteren Wintermonaten stößt der Körper an seine Grenzen. Dann muss man selbst nachhelfen. Ich werde Ihnen also eine großzügige Portion Vitamin D verschreiben. Die Alternative wäre eine Reise in wärmere Gefilde.“

Verträumt sah Dr. Frank hinaus in die Kälte.

„Indien oder Thailand zum Beispiel.“

Sira Altmann schossen Tränen in die Augen. Es war, als hätte sich eine Schleuse geöffnet, und ungehemmt schluchzte sie los. Erschrocken kramte ihre Großmutter nach einem Taschentuch in ihrer Jacke.

Verwirrt erhob sich Dr. Frank. Mit diesem Gefühlsausbruch hatte er nicht gerechnet. Osteoporose war schlimm, aber kein Todesurteil. Und die junge Frau hatte alles in der Hand, um sich gegen ihre Erkrankung zu wappnen.

„Ich …“ Dr. Frank wusste nicht, was er sagen sollte.

Freundlich lächelte Mechthild Altmann ihn an.

„Es tut mir leid“, sagte sie leise. „Aber Sie haben unbewusst einen wunden Punkt bei Sira getroffen. Ihr Verlobter verschwand vor ziemlich genau einem Jahr. Wir vermuten ihn irgendwo in Thailand.“

Das klang nach einer abenteuerlichen Geschichte, aber der diskrete Mediziner wagte es nicht, nachzubohren. Es war Sira selbst, die ihre Großmutter aufforderte, das Vorgefallene in wenigen Sätzen nachzuerzählen.

„Ich habe keine Geheimnisse vor Dr. Frank“, sagte sie, von Schluchzen geschüttelt. „Von mir aus kannst du ihm alles berichten. Dann hören wir, was seine Einschätzung der Lage ist.“

Mechthild Altmann fasste das Drama in aller Kürze zusammen. Die Liebesgeschichte zwischen Sira und Jan, die in einer Diskothek in München begonnen hatte – am Abend, bevor Jan nach Thailand abreisen wollte. Die vier Monate, die er dann bei Sira geblieben war – weil es Liebe auf den ersten Blick gewesen war!

Eine Liebe, die so stark gewesen war, dass er ihr sogar versprochen hatte, sie nach seiner Rückkehr zu heiraten. Dann der Flug nach Bangkok, von wo aus er sich noch regelmäßig gemeldet hatte.

Und dann das verhängnisvolle Telefonat. Sira hatte ihm mit klopfendem Herzen eröffnet, dass sie von ihm schwanger war. Dass sie in einem halben Jahr ein Baby erwartete.

Die Telefonverbindung war denkbar schlecht gewesen, und sie hatte seine Reaktion auf die Nachricht nicht mehr verstanden.

Vielleicht war sein Akku leer gewesen. Vielleicht gab es dort, wo er war, keinen Empfang. Auf jeden Fall hatte er sich seither nicht mehr gemeldet. Und er war auch nirgends mehr aufgetaucht. Nicht in seinem Haus in Österreich. Und erst recht nicht in Haus „Kunterbunt“ in Grünwald.

Verstört lauschte Dr. Frank der Erzählung. Er hatte in seiner Praxis schon oft mit Frauen gesprochen, die von ihren Ehemännern aufs Übelste betrogen oder belogen worden waren. Auch war es immer wieder vorgekommen, dass seine Patientinnen aufs Schäbigste verlassen worden waren. Allein mit ihren Kindern, allein mit Schulden, allein mit ihren geplatzten Träumen.

Aber das, was die Großmutter von Sira hier erzählte, übertraf bei weitem die schlimmsten Geschichten. Was musste die junge Frau seither alles durchgestanden haben? Die Ungewissheit, was mit ihrem Verlobten geschehen war. Die Einsamkeit, ohne die Unterstützung des Partners eine Schwangerschaft zu durchlaufen. Die Scham und Enttäuschung, vielleicht von ihm im Stich gelassen worden zu sein.