Drei Grazien - Petros Markaris - E-Book

Drei Grazien E-Book

Petros Markaris

0,0
10,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Kostas Charitos und seine Frau Adriani machen Urlaub in Epirus. Dort lernen sie die »Drei Grazien« kennen, die nichts aufregender finden, als einen echten Kommissar kennenzulernen. Dabei ist die Arbeit vor allem aufreibend. Zurück in Athen erwartet Charitos ein brutaler Fall. Ein Uni-Professor wurde vergiftet, und mörderische Intrigen verunsichern den akademischen Betrieb.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 367

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Petros Markaris

Drei Grazien

Ein Fall für Kostas Charitos

Roman

Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger

Diogenes

{7}1

»Ein weiter Weg liegt vor dir, Tassia.«

»Führt er bergauf?«

Kalliopi studiert eingehend den Kaffeesatz. »Nein, ich sehe nur eine lange, steinige Straße. Aber an ihrem Ende strahlt ein Licht, das aussieht wie eine aufgehende Sonne.«

»Das betrifft wohl eher deinen Sohn als dich selbst«, sagt Argyro lächelnd zu Tassia.

»Mein Sohn hat sich an drei Universitäten im Fach Biologie beworben«, erklärt Tassia Adriani und bekreuzigt sich. »Wenn das klappt, mache ich eine Wallfahrt zur Gottesmutter nach Tinos.«

Die Unterhaltung über Tassias Zukunft und die ihres Sohnes findet in einem Hotel in Papingo statt.

Eines Morgens war Adriani voller Sehnsucht nach dem Epirus aufgewacht. Da wir aus der gleichen Gegend stammen, steckte sie mich damit an. So beschlossen wir, unsere alte Heimat zu besuchen. Seit unserem Wegzug damals waren wir nur zu zwei traurigen Anlässen zurückgekehrt: zum Begräbnis von Adrianis Mutter und zu dem meines Vaters. Beide Male hatten wir Katerina – einmal als Baby, dann als Kleinkind – mit dabei.

Wir reisten also nach Papingo, und jetzt sitze ich in Gesellschaft von vier Damen, darunter meine Ehefrau, {8}im Speisesaal des Traditionshotels Zum Granatapfel. Das Frühstück ist zwar schon abgeräumt, aber die Damen haben sich noch einen Mokka bestellt, damit ihnen Kalliopi die Zukunft aus dem Kaffeesatz lesen kann. Durch das Fenster sieht man das imposante Astraka-Massiv, wo ich als kleiner Junge mit Leimruten auf die Jagd nach Amseln und Wachteln gegangen bin.

Überrascht sehe ich, wie rege sich Adriani an der Interpretation der bevorstehenden Ereignisse beteiligt. Anscheinend haben die drei Damen sie mit ihrer Begeisterung für die Wahrsagekunst infiziert. Von ihrer Mutter hat sie das bestimmt nicht. Obwohl, früher befassten sich die Frauen – in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft – ausführlich mit dem Kaffeesatz. Da ich sonst immer den ganzen Tag auf der Dienststelle bin, habe ich keine Ahnung, was Adriani tagsüber so treibt. Kann sein, dass sie in meiner Abwesenheit ständig zwischen Tarotkartenlegerinnen und Kaffeesatzleserinnen hin und her pendelt. Wer weiß.

»Siehst du vielleicht ein großes Gebäude?«, fragt Tassia Kalliopi.

»Was für ein Gebäude?«

»Die künftige Uni meines Sohnes«, erklärt Tassia.

Kalliopi mustert die Kaffeetasse ausgiebig. »Ein Gebäude kann ich nicht erkennen, aber eine größere Menschengruppe«, meint sie schließlich.

»Das wird der Fachbereichsvorstand sein, in dem über seine Bewerbung entschieden wird«, schlussfolgert Tassia und bekreuzigt sich erneut. »Ach, heilige Muttergottes!«

»Jetzt sind Sie dran, Frau Adriani«, sagt Kalliopi und nimmt die umgedrehte Tasse meiner Frau zur Hand.

{9}Ich ergreife die Flucht, da ich keine Lust habe, Adrianis Zukunft zu erfahren, die vermutlich auch mich selbst betrifft.

»Glauben Sie nicht an den Kaffeesatz, Herr Charitos?«, fragt Argyro, als sie merkt, dass ich Anstalten zum Aufbruch mache.

»Ich will lieber keine Prophezeiungen hören. Sie könnten mich beeinflussen«, antworte ich, während Adriani mir einen undefinierbaren Blick zuwirft. Sie scheint hin- und hergerissen, ob sie sich über meine Worte aufregen oder mir meine Befürchtungen abkaufen soll.

Bevor sie auf die eine oder andere Art reagiert, verlasse ich den Speisesaal und trete auf die Veranda vor dem aus großen Steinquadern gebauten Hotel. Ich atme tief durch, während mein Blick über die Bäume hinweg zum Gipfel des Astraka schweift.

Es ist Mitte September, aber das Wetter ist – zumindest bis zum Sonnenuntergang – noch mild. Wenn es dunkel wird, kühlt es ab, und an manchen Abenden muss man in einem Kafenion oder Restaurant Zuflucht suchen. Aber ich will mich nicht beschweren, wir fahren ja immer im September in Urlaub. Uns ist es lieber, den Hochsommer in Athen zu verbringen, als uns Mitte Juli an dem alljährlichen Exodus der Athener zu beteiligen. Selbst wenn wir auf eine entlegene Insel oder in ein Bergdorf fahren würden, müssten wir das Martyrium der Hin- und Rückfahrt auf uns nehmen. Dann verwandelt sich das griechische Verkehrsnetz in eine einzige, riesige Straßenblockade, und Adriani ruft schon, wenn ich den Seat nur in Gang setze, vorauseilend »Pass auf!«.

{10}Argyro, Kalliopi und Tassia haben wir hier im Hotel kennengelernt. Alle drei sind Rentnerinnen, Argyro und Kalliopi sind unverheiratet, Tassia ist verwitwet, und sie fahren immer gemeinsam in Urlaub. Schnell haben sie sich mit Adriani angefreundet. Am ersten Tag stellten sie sich einander vor, am zweiten Tag waren sie bereits unzertrennlich. Seitdem sind wir zu fünft unterwegs und unternehmen gemeinsam Ausflüge.

Auf einen Spaziergang habe ich gerade keine Lust. Außerdem plant Adriani mit ihren Freundinnen vielleicht eine Exkursion, da darf ich mich nicht aus dem Staub machen, sonst kriege ich was zu hören. Deshalb nehme ich auf einem der Loungesessel Platz, betrachte den Astraka und erinnere mich an meinen Vater, der mir, wenn er gut gelaunt war, von den Bürgerkriegsschlachten zwischen Astraka und Gamila erzählte.

Das Läuten meines Handys unterbricht meine Gedanken. Katerina. »Was gibt’s Neues, Papa? Wie geht es euch?«

»Wunderbar. Die Sonne scheint, und deine Mutter hat nette Gesellschaft gefunden.«

»Was für Gesellschaft?«, will sie wissen.

»Drei sehr sympathische Damen, die mich zu ihrem Chauffeur ernannt haben. Und jetzt bringe ich sie zu allen Sehenswürdigkeiten.«

»Ach, du Ärmster!«, meint sie und kann dabei ein Lachen nicht unterdrücken.

»Und wie ist es in Athen?«, frage ich.

»Wie immer im September, wenn alle aus den Ferien zurück sind«, antwortet sie. Mit beiderseitigen Grüßen an alle legen wir auf.

{11}Ich frage mich gerade, wie lange das eingehende Studium eines Kaffeesatzes eigentlich dauert, als Adriani auf‌taucht.

»Na, was habt ihr herausgelesen?«, frage ich.

Sie blickt mich mit einem verschmitzten Lächeln an. »Sag ich nicht.«

»Seit wann interessiert dich so etwas überhaupt?«

Von ihrer Miene her zu schließen, müssen die Zukunftsaussichten rosig sein. Aber ich bedränge sie nicht weiter. Sie hat die Schotten dicht gemacht und wird mir nichts sagen.

»Was soll das denn sein?«, hören wir eine Stimme hinter uns.

Als wir uns umdrehen, erblicken wir die drei Grazien. Ihre Blicke sind auf einen riesigen Vogel geheftet, der die Hänge des Astraka herunterschwebt. Als er zur Seite gleitet, erkennt man, dass Rücken und Bauch weiß, Flügel und Beine rot sind. Er hält die Schwingen reglos ausgestreckt und gleitet langsam in die Schlucht hinunter. Wenn es tatsächlich ein Vogel ist, dann muss er sich von einem anderen Kontinent hierher verirrt haben.

»Ist das ein Adler?«, fragt Kalliopi.

»Bist du noch bei Trost?«, wirft Argyro ein. »Hast du jemals einen Adler mit roten Flügeln gesehen? Gut, im bekannten Lied von Chatzidakis kommt ein Adler mit gestutzten Flügeln vor. Aber einen mit roten Schwingen gibt’s nirgends.«

»Der hat nicht nur rote Flügel, sondern auch noch eine Brille auf«, fügt Tassia hinzu.

»Eine Brille?«, wundert sich Adriani.

»Ja, siehst du denn nicht, dass er eine schwarze Brille trägt? Eine richtige Fliegerbrille!«

{12}»Dann ist es vielleicht ein Mensch?«, fragt Kalliopi.

»Es ist ein Mensch, und noch dazu ein Deutscher«, hören wir eine Stimme hinter uns sagen.

Als wir uns umwenden, sehen wir Maria, die fünfzigjährige Hotelbesitzerin, am Eingang stehen. »Es sind ein paar verrückte Deutsche«, erklärt sie uns. »Sie klettern auf den Astraka und den Gamila hoch, ziehen sich Flügel an und stürzen sich hinunter. Es heißt sogar, sie gleiten die Hänge des Smolikas hinunter, aber das habe ich nicht mit eigenen Augen gesehen.«

»Gütiger Gott!«, sagt Adriani und bekreuzigt sich.

»Schauen Sie in die Schlucht hinunter«, meint Maria.

Unten erblicken wir ein paar Typen, die nach oben winken.

»Und was machen die dort? Nur zuschauen?«, fragt Argyro.

»Nein, das ist das Bodenpersonal. Sie helfen beim An- und Ablegen der Flügel und der übrigen Ausrüstung«, erläutert Maria.

»Die sind verrückt«, schlussfolgert Tassia.

»Das ist nicht gesagt. Jedenfalls scheinen sie ihren Spaß dabei zu haben«, erwidert Argyro.

»Wollen wir uns das nicht aus der Nähe anschauen?«, schlägt Adriani vor.

»Aber wir wollten heute doch nach Zagori fahren«, meint Kalliopi unschlüssig.

»Das können wir verschieben, Kalliopi«, antwortet Argyro. »Die Zagori-Dörfer stehen auch morgen noch, die Vogelmenschen können jederzeit davonfliegen.«

Alle drehen sich gleichzeitig nach mir um und fixieren {13}mich mit ihren Blicken. Sie haben offenbar nicht vor, zu Fuß in die Schlucht zu wandern.

»Na dann, los!«, sage ich, weil ich ihnen einerseits den Gefallen tun, andererseits selbst das Schauspiel aus der Nähe sehen möchte.

»Zieht euch etwas Warmes an, in der Schlucht ist es kühl«, warnt uns Maria.

Dann kehren wir alle ins Hotel zurück, um Jacken und Pullover zu holen. Ein paar Minuten später treffen wir uns am Eingang wieder und machen uns mit dem Seat auf den Weg.

{14}2

Der Seat müht sich über die holprige Straße. Bei jeder Unebenheit stößt eine der Damen auf dem Rücksitz einen kleinen Schrei aus. Ich aber habe ganz andere Sorgen. Ich fürchte, dass unsere Rückfahrt nach Athen problematisch werden könnte und der Seat zuvor in die Werkstatt muss.

»Sollen wir den Wagen nicht besser stehen lassen?«, frage ich. »Das ist die reinste Via Dolorosa für ihn.«

Unter allgemeiner Zustimmung stelle ich den Seat unter einem Baum ab. Aber auch der Fußweg ist nicht leicht zu bewältigen, da uns der steinige Wanderpfad zu schaffen macht. Die Zeiten sind vorbei, als wir barfuß über schroffe Felsen liefen, sage ich mir. Am besten hat es wohl der Seat getroffen.

»Meine armen Beine«, stöhnt Argyro. »Ich werde ins Hotel zurückhumpeln und morgen nicht aus dem Bett kommen.«

»Ich habe euch doch gesagt, wir sollten in die Zagori-Dörfer fahren, aber ihr wolltet ja den Fliegenden Holländer sehen«, bemerkt Kalliopi.

»Was für einen Holländer? Es sind doch Deutsche! Hast du nicht gehört, was Maria gesagt hat?«, hält ihr Adriani entgegen.

{15}Kalliopi lacht auf, während ihr die anderen drei irritierte Blicke zuwerfen.

Wir erreichen die Ausläufer des Astraka-Gebirges genau in dem Moment, als der Flugkörper deutscher Provenienz zur Landung ansetzt. Nur, dass er nicht wie ein Vogel oder Flugzeug im sanften Anflug landet, sondern quasi senkrecht vom Himmel fällt. Zwei Leute, die in der Schlucht warteten, heißen ihn mit Applaus willkommen. Als er die Brille ablegt, stellen wir fest, dass Graf Zeppelin weiblichen Geschlechts ist. Es handelt sich um eine vierzigjährige Frau, die sich lächelnd vor ihrem Publikum verbeugt.

»He, das ist ja eine Frau!«, wundert sich Tassia.

»Das fehlte noch!«, meint Argyro.

»Warum sollen Frauen nicht fliegen?«, fragt Kalliopi. »Soviel ich weiß, gibt es nicht nur Männchen unter den Vögeln.«

Damit bringt sie uns alle zum Lachen.

Die Deutschen drehen sich um und blicken uns überrascht an. Die beiden Männer bleiben ernst, aber die Fliegerin lächelt uns zu.

»Kommt, wir gratulieren ihnen zu ihrer Leistung«, bemerkt Tassia. »Auch wenn sie uns Faulpelze und Schmarotzer nennen, so sind wir doch noch immer gute Gastgeber.«

Wir gehen lächelnd auf die Deutschen zu, die unsere Freundlichkeit erwidern.

»Bravo!«, sagt Kalliopi bewundernd zur Fliegerin.

»Danke«, antwortet die zuerst auf Deutsch und fügt dann auf Englisch hinzu: »Thank you.«

Plötzlich spricht Argyro die Leute auf Deutsch an, was die drei sichtlich freut.

{16}»Kann sie denn Deutsch?«, will Adriani von Kalliopi wissen.

»Ja, sie hat es im Goethe-Institut gelernt. Wie gut sie wirklich spricht, kann ich nicht beurteilen. Wenn es so gut ist wie mein Französisch, das ich am Französischen Kulturinstitut gelernt habe, ist es wohl mehr ein Radebrechen.«

Ich verschweige lieber, wie traurig es um meine eigenen Englisch-Kenntnisse steht. Aber ich finde Trost beim Gedanken, dass ich die Sprache an keinem ausländischen Kulturinstitut, sondern an der Polizeischule gelernt habe und mich danach im Präsidium mit Hilfe von Migranten weiterbildete.

Argyro unterbricht kurz das Gespräch, um uns ihre Konversation mit den Deutschen zu übersetzen. »Sie haben mir erzählt, dass sie jedes Jahr herkommen«, weiß sie zu berichten. »Sie reisen immer in einer Gruppe an. Die anderen sind vom Gamila-Gebirge aus gestartet. Es gefällt ihnen hier, weil die Leute freundlich sind und ihren Flugkünsten Beachtung schenken. In Deutschland kräht kein Hahn nach ihnen.«

»Hast du gefragt, was sie beruf‌lich machen?«, fragt Tassia.

»Alle drei arbeiten an der Uni. Die Frau unterrichtet Soziologie, der Bärtige ist Germanist, und der Dritte mit dem Strohhut ist Jurist.«

»Den Winter verbringen sie als Bücherwürmer in den Bibliotheken, den Sommer frei wie die Vögel in der Luft. Eine schöne Kombination«, bemerkt Kalliopi.

Wir nähern uns, um uns zu verabschieden. Die beiden Männer strecken uns sofort die Hand entgegen, was mich {17}an Uli erinnert, der mir stets zum Gruß die Hand drückt. Die Frau beschränkt sich auf ein Nicken und ein Lächeln. Aber wohl nur deswegen, weil ihre Hände noch an die Flügel fixiert sind.

Zurück beim Seat, ruhen wir uns zehn Minuten aus, um wieder zu Atem zu kommen. Die Frauen auf den Rücksitzen massieren sich unter leisen Seufzern Beine und Knie. Nur Adriani sitzt stoisch da.

»Offenbar hast du nicht vergessen, wie man über Felsen klettert«, necke ich sie.

»Doch doch, ich hab’s verlernt. Aber ich habe die Ziegenpfade meines Heimatdorfes vermisst. Deshalb genieße ich es jetzt«, antwortet sie und wendet sich an ihre Freundinnen: »Begreift ihr jetzt, warum wir uns mit den Deutschen nicht verständigen können?«, fragt sie.

Alle blicken sie gespannt an. »Na sag schon!«, meint Argyro.

»Weil sie hoch oben fliegen wie die Vögel, während wir unten gründeln wie die Fische. Wie soll man da zusammenkommen!«

Die drei Grazien lachen auf, für sie sind Adrianis Sentenzen noch etwas ganz Neues.

»Adriani, wie toll, dass wir dich getroffen haben!«, sagt Tassia.

»Hat sie immer gleich den passenden Spruch parat?«, will Argyro von mir wissen.

»Ja, und jetzt ist sie auch noch in heimischen Gefilden, und da ist sie besonders inspiriert«, erwidere ich.

Die anderen merken nicht, dass mir Adriani einen erzürnten Blick zuwirft.

{18}»Jedenfalls seid ihr die ideale Ferienbekanntschaft! Wenn ich jemals noch ein böses Wort über Polizisten höre, werde ich sauer«, fügt Kalliopi hinzu.

Zufrieden starte ich den Seat, nachdem ich meinen Anteil an den Komplimenten eingeheimst habe. Diesmal fahre ich im Schritttempo, um die Fahrgäste und nicht zuletzt auch den Seat vor allzu heftigen Stößen zu bewahren.

Als wir im Hotel ankommen, eilen wir auf unsere Zimmer, um uns ein wenig frisch zu machen.

»Was sollte die Bemerkung über die heimischen Gefilde?«, sagt Adriani, sobald die Tür des Hotelzimmers ins Schloss fällt.

»Ich kann es nicht fassen«, sage ich. »Nach so einem anstrengenden Marsch bist du immer noch streitlustig?«

»Ehrlich gesagt bin ich aus der Übung«, gesteht sie. »Ich habe zwar nicht ständig gejammert, aber die Zähne musste ich schon zusammenbeißen. Allzu angenehm war die Wanderung nicht. Ich gehe jetzt zur Entspannung unter die Dusche.«

Ich warte, bis ich an der Reihe bin, und schlüpfe im Anschluss zu Adriani ins Bett. Schlagartig versinken wir beide im Tiefschlaf.

 

Erst als es an der Tür klopft, schlage ich die Augen wieder auf. »Herr Kommissar, störe ich?«, höre ich eine Stimme flüstern.

Ich fahre aus dem Bett hoch und gehe zur Tür. »Nein, wir sind schon wach«, wispere ich, damit Adriani nicht aufwacht.

»Bleiben Sie im Hotel?«

{19}»Nein, geben Sie uns eine halbe Stunde.«

»Gut, wir warten unten.«

»Wer war das?«, ertönt Adrianis Stimme hinter mir.

»Eine unserer Ferienbekanntschaften. Sie fragt, ob wir heute Abend im Hotel bleiben.«

»Natürlich nicht! Wir sind doch nicht hergekommen, um im Hotel zu hocken.«

Zwanzig Minuten später begeben wir uns in die kleine Lobby hinunter, die am Morgen als Frühstücksraum dient. Obwohl uns die anderen geweckt haben, sind wir die Ersten. Kurz darauf erscheint Argyro, und ein paar Minuten später folgen Kalliopi und Tassia.

Wir beschließen, essen zu gehen, und Kalliopi schlägt vor, in ein anderes Dorf zu fahren. »Wir wollten doch schon am Morgen einen Ausflug machen, aber die geflügelten Deutschen haben uns ganz aus dem Konzept gebracht.«

»Schön, und wohin soll es gehen?«, fragt Tassia. »Es gibt an die vierzig Zagori-Dörfer.«

»Adriani weiß bestimmt Rat«, meint Argyro.

»Dann fahren wir nach Kato Pedina, in mein Heimatdorf«, sagt Adriani. »Dort liegt eine alte Steinbrücke in der Vikos-Schlucht, die einen Besuch wert ist.«

»Ich würde ja gern mit meinem Auto hinfahren, aber leider kenne ich den Weg nicht und habe Angst, mich zu verfahren«, meint Tassia. »Vielleicht wollten Sie, Herr Kommissar, sich ans Steuer setzen? Sie kennen sich hier doch gut aus!«

Sie besitzt einen funkelnagelneuen Toyota, und ich habe keine Lust, mich von der ständigen Angst, einen Kratzer zu verursachen, stressen zu lassen.

{20}»Nein, wir fahren besser mit meinem Wagen, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden.«

Da niemand etwas dagegen hat, steigen wir alle wieder in den Seat. Ich hoffe inständig, dass er anspringt, und zum Glück enttäuscht er mich nicht.

»Wie fahren wir am besten?«, frage ich Adriani, die sich hier besser auskennt als ich.

»Über die Landstraße nach Ano Pedina«, antwortet sie. »Das ist der kürzeste Weg.«

Ich fahre zunächst auf die Landstraße und biege dann nach links nach Ano Pedina ab. Die Fahrzeit wäre nicht lang, käme man auf der schmalen, einspurigen Straße etwas schneller voran. Aber sie ist nur andeutungsweise asphaltiert, und alle fünfzig Meter muss man ausweichen, wenn es Gegenverkehr gibt.

Schließlich gelangen wir unter Adrianis Führung zum zentralen Dorfplatz von Messochori.

»Was ist das für eine Kirche?«, fragt Kalliopi und deutet auf einen Bau, der ein Stück entfernt am Straßenrand steht.

»Die Sankt-Athanassios-Kirche«, klärt Adriani sie auf.

»Wollen wir sie besichtigen?«

»Ja, aber später. Die Brücke in der Vikos-Schlucht sehen wir uns am besten noch vor der Dämmerung an.«

Wir lassen den Seat stehen und marschieren los. Adriani übernimmt die Führung, und wir folgen im Gänsemarsch wie die Pfadfinder.

Der sogenannte Wanderweg ist allerhöchstens ein Ziegenpfad. Keuchend kommen wir bei unserem Ziel an. Wir bleiben auf der alten Steinbrücke stehen und blicken uns {21}um. Beiderseits erheben sich die Felsen der Vikos-Schlucht, unter uns verläuft ein ausgetrocknetes Flussbett.

Nicht nur die Damen bewundern die Landschaft. Auch ich selbst bin ganz bezaubert, ich hatte vergessen, wie schön es hier ist. Man könnte Stunden hier stehen und schauen, aber Adriani bringt uns auf den Boden der Tatsachen zurück. »Wir müssen umkehren, bevor es dunkel wird, sonst können wir den Weg nicht mehr erkennen.«

»Was wir Städter alles verpassen«, bemerkt Kalliopi.

»Tja, und was die Dörf‌ler erst verpassen«, antwortet Adriani.

Wir schlagen den Rückweg ein. Mittlerweile haben wir uns an den Ziegenpfad gewöhnt und fühlen uns sicherer. Die Damen bestehen darauf, noch vor dem Essen die Sankt-Athanassios-Kirche zu besichtigen.

Ich füge mich ins Unvermeidliche und folge ihnen lustlos, da mir schon der Magen knurrt. Glücklicherweise ist die Besichtigung nur kurz, da man in der lichtlosen Kirche kaum etwas erkennen kann.

Ein Stück weiter erblicken wir auf dem Dorfplatz den Steinbau einer kleinen Taverne.

»Habt ihr damals im Sommer hier gegessen?«, fragt Tassia Adriani.

»Dafür reichte unser Geld nicht«, lautet die trockene Antwort meiner Frau.

Der Abend ist mild, und es sitzt noch eine weitere Gruppe im Gastgarten. Kalliopi schlägt vor, auch draußen zu bleiben.

»Erkälten wir uns nicht, wenn es gleich abkühlt?«, fragt Argyro.

{22}»Nein, so schlimm ist es um diese Jahreszeit noch nicht. Wir haben ja Jacken dabei«, meint Adriani.

Die draußen sitzende Gesellschaft besteht aus der Fliegerin und den beiden Männern, die wir am Vormittag am Astraka getroffen haben. An ihrem Tisch hat noch ein deutsches Pärchen Platz genommen.

Unsere Bekannten geben uns lächelnd die Hand. Mit Argyros Hilfe stellen sie uns das Pärchen vor.

»Sie arbeiten auch an der Uni«, erläutert uns Argyro zusammenfassend.

Wir nehmen am Nebentisch Platz und bestellen Tsipouro, den einheimischen Tresterschnaps, nur Adriani ordert ein Glas Weißwein.

»Tsipouro!«, rufen die Deutschen dem Kellner zu, wobei sie ihre kleine Karaffe schwenken. Dann verwickeln sie Argyro in eine Unterhaltung auf Deutsch.

»Seit sie hier sind, trinken sie jeden Abend Tsipouro«, übersetzt Argyro. »Sie sind ganz verrückt danach.«

Der Kellner bringt die Salate und Grillgerichte. Schweigen macht sich an beiden Tischen breit, da alle sich auf das Essen konzentrieren. Nur sporadisch fliegen – mit Argyros Vermittlung – ein paar Sätze hin und her, aber mehr, um den höf‌lichen Anschein zu wahren. Dann bringt uns der Kellner eine neue Karaffe Tsipouro.

»Aber wir haben doch gar nichts bestellt«, wundert sich Tassia.

»Spendiert vom Nebentisch«, erklärt der Kellner.

Die Deutschen helfen uns aus der Verlegenheit, indem sie ihre Gläser heben. »Jia mas!«, prosten sie uns einstimmig auf Griechisch zu.

{23}»Zum Wohl und vielen Dank!«, gibt Kalliopi zurück. »Das war doch nicht nötig.«

Die Deutschen sagen etwas, und Argyro übersetzt. »Sie reisen morgen nach Deutschland zurück, weil die Uni wieder anfängt«, erklärt sie uns. »Die drei Männer müssen unterrichten, die Fliegerin und die andere Frau an ihren Forschungsvorhaben weiterarbeiten.«

»Auf ihren Höhenflügen haben sie hier die gute Luft genossen, aber jetzt kehren sie in ihre Büros zurück«, sagt Tassia. »Ehrlich gesagt, sind sie zu beneiden. Hoffentlich ist meinem Sohn auch so ein Schicksal beschieden.«

»Wie? Was? Vom Astraka herunterzufliegen?«, zieht Kalliopi sie auf.

»Tja, da hätte ich auch nichts dagegen. Es scheint ja richtig Spaß zu machen.«

Die Deutschen stehen auf und kommen herüber, um sich zu verabschieden. Wieder geben sie uns die Hand, und wir bedanken uns für die Einladung zum Tsipouro. Als sie gegangen sind, setzen wir uns wieder hin und trinken den spendierten Schnaps aus.

{24}3

Wir diskutieren ein letztes Mal die Fahrtroute, bevor wir die Heimfahrt nach Athen antreten, denn Adriani beharrt darauf, die Straße nach Arta zu nehmen, um nach Rio zu gelangen. Endlich fahren wir los, und hinter uns folgt der Toyota mit den drei Grazien.

Die Idee, gemeinsam nach Hause zu fahren, stammt von Kalliopi. Sie wollte unsere nette Ferienbekanntschaft noch über den Hotelaufenthalt hinaus auf die Heimfahrt ausdehnen, so dass wir immer wieder gemeinsam Station machen könnten. Das ist auch der Grund, warum wir früh morgens losfahren, um Zeit für längere Pausen zu haben und nicht erst um Mitternacht zu Hause zu sein.

Die Landstraße ist ziemlich befahren. Da sie nur notdürftig geflickt und voller Schlaglöcher ist, kommen wir nur im Schneckentempo voran.

Ich schalte zur Entspannung und Ablenkung das Radio an und erwische eine jener Sendungen, in der Hinz und Kunz, ob weiblich oder männlich, irgendeinem Radioreporter das Herz ausschüttet.

»Mach entweder Musik an oder schalte es ganz aus«, meint Adriani genervt.

Hinter mir höre ich das Hupen des Toyota. Im Rückspiegel sehe ich, wie mir Tassia zuwinkt. Bei der nächsten {25}Gelegenheit fahre ich an den Straßenrand und bleibe stehen. Der Toyota stoppt hinter mir, und Argyro steigt aus, um mit uns zu reden.

»Tassia fragt, ob wir in Agrinio auf einen Kaffee gehen.«

»Warum in Agrinio?«, wundert sich Adriani. »In Patras haben wir bestimmt eine größere Auswahl an Lokalen. Oder wollt ihr lieber an der Autobahn Korinth–Athen einen Zwischenstopp machen?«

»Dort haben wir schon Souf‌laki einprogrammiert. Eine gute alte Tradition!«, meint Argyro lachend.

Die Aussicht auf ein Souf‌laki-Lokal hebt meine Laune. Adriani weiß, wie sehr ich Souf‌laki liebe, möchte es mir aber am liebsten verbieten. Zu Hause haben wir schon ewig kein Souf‌laki mehr gegessen, das letzte Mal war 2004 beim Endspiel der Fußballeuropameisterschaft. Damals hatten Fanis und Katerina welche mitgebracht, um das Spiel nach allen Regeln der Kunst zu genießen. Adriani war zwar überhaupt nicht begeistert, doch Fanis hatte sie zum Schweigen gebracht, indem er sagte: »Ein Endspiel ohne Souf‌laki ist wie Fußball ohne Ball.«

Die Vorfreude auf den Kaffee und die Portion Souf‌laki lassen mich aufs Gas steigen. Wir schlagen den Weg zum Hafen von Patras ein, doch dort stoßen wir auf eine polizeiliche Absperrung: Jeder Wagen wird samt Insassen kontrolliert. Vor dem Hafen haben sich Migranten versammelt. Einige blicken zu den Terminals hinüber, andere unterhalten sich.

Ich halte vor einem der Terminals an und frage einen Polizeibeamten, was los sei. Das ist eine Art Berufskrankheit, eigentlich geht es mich gar nichts an.

{26}»Damit haben wir jeden Tag zu kämpfen«, erklärt mir der Beamte. »Die Migranten versuchen, auf das Hafengelände zu kommen und auf ein Schiff zu schlüpfen – egal, wohin es fährt. Damit haben wir schon alle Hände voll zu tun. Zusätzlich kontrollieren wir auch noch die LKWs, weil viele der Fahrer gegen Bezahlung Migranten als blinde Passagiere auf die Schiffe einschleusen.«

Wir machen eine kurze Lagebesprechung, um uns auf ein Kafenion zu einigen, das allen zusagt. Kalliopi und Tassia lassen jedoch nicht mit sich verhandeln.

»Ich trinke keinen Kaffee, wenn ich dabei Migranten vor Augen haben muss«, erklärt Kalliopi. »Ab morgen werden wir in Athen mehr als genug davon zu sehen kriegen.«

»Warum fahren wir nicht nach Rio? Dort ist es netter«, schlägt Argyro vor.

Unter allgemeiner Zustimmung brechen wir nach Rio auf.

»Wenn Kalliopi wüsste, dass Katerina Migranten als Mandanten hat«, sagt Adriani im Wagen zu mir.

»Gut, dass das beim Kaffeesatzlesen nicht schon herauskam«, antworte ich lachend.

Sie wirft mir einen schrägen Blick zu, aber ich bin froh, dass ich weiteren kritischen Bemerkungen über die Mandanten unserer Tochter zuvorgekommen bin.

Wir brauchen circa eine halbe Stunde nach Rio. Dort suchen wir uns einen Platz in einem gut besuchten Café mit Meerblick.

»Schön, hier ist es prima«, gibt sich Tassia nun zufrieden.

Adriani bestellt Tee, ich wie üblich griechischen Mokka und die drei Damen Cappuccino.

{27}»Haben Sie bei der Mordkommission viel mit Migranten zu tun, Herr Kommissar?«, fragt Argyro.

»Du stellst Fragen! Die tun ja nichts anderes als sich gegenseitig abschlachten!«, erwidert Tassia an meiner Stelle.

»Es sind nicht alles Mörder, die meisten Migranten sind ganz normale Berufstätige«, wiegle ich ab, da ich keine Lust habe, mich an meinem letzten Urlaubstag auf eine solche Diskussion einzulassen.

»Wenn Sie mehr über Migranten wissen wollen, müssen Sie meine Tochter fragen. Sie hat sich auf diesen Bereich spezialisiert«, mischt sich Adriani ein.

»Wieso? Arbeitet sie in einer NGO für Flüchtlinge?«, fragt Kalliopi.

»Nein, sie hat eine Anwaltskanzlei«, antwortet Adriani knapp, während die anderen sie erstaunt anblicken.

Ich beeile mich, die Sache wieder ins Lot zu bringen, weil sonst eine Diskussion nicht mehr zu vermeiden ist. »Die Migranten haben immer wieder mit Behörden zu tun«, erkläre ich. »Von Asylanträgen, Aufenthaltsbewilligungen und Arbeitserlaubnissen bis hin zu Pachtverträgen gibt es eine Menge bürokratischer Hürden zu überwinden.«

»Schön, aber können sie das auch bezahlen?«, will Kalliopi wissen.

»Sie haben nicht viel, aber es reicht. Die meisten kommen mit Ersparnissen hierher.«

»Da geht es ihnen besser als uns Griechen«, mischt sich Argyro ein. »Frag meine Nichte, die hat einen Gewerbebetrieb. Die kann dir was erzählen, wer alles bei ihr in der Kreide steht.«

»Als ich sagte, dass ich keinen Kaffee mit Migranten vor {28}Augen trinken will, meinte ich damit nicht, dass ich sie nicht ausstehen kann, sondern dass mir der Anblick ans Herz geht«, sagt nun überraschend Kalliopi. Man sieht, dass sie mit ihren Worten den Eindruck von vorhin ausbügeln möchte. Keiner geht weiter darauf ein. Schweigend leeren wir unsere Tassen, wobei Tassia und ich aufs Meer und die übrigen drei Damen zu den Leuten an den Nebentischen blicken.

Dann verlassen wir Rio und fahren nach Korinth weiter. Kurz vor Egio treffen wir auf eine Baustelle. Eine der beiden Fahrspuren ist gesperrt, und die Autoschlange, die nur noch im Schneckentempo dahinkriecht, ist schon drei Kilometer lang.

»So sind wir bis zum Abend nicht in Athen«, bemerkt Adriani.

»Es gibt keinen anderen Weg. Irgendwann kommen wir ans Ziel.«

»Hätten deine Kollegen hier keinen Verkehrspolizisten platzieren können?«, bemerkt sie spitz.

»Meine Kollegen arbeiten im Athener Präsidium, nicht bei der Verkehrspolizei von Patras oder Egio. Demzufolge geht es hier nicht um meine Kollegen.«

Darauf hat sie nichts zu erwidern, und ich erlebe die seltene Befriedigung, dass ich sie zum Schweigen gebracht habe.

Zum Glück wird die Verkehrslage nach Akrata besser, und wir kommen rascher voran. Bis nach Korinth brauchen wir trotzdem mehr als zwei Stunden. Als wir auf die Autobahn Korinth–Athen auf‌fahren, atme ich auf. Beim ersten Grillrestaurant biegen Tassia und ich wie verabredet ab.

{29}»Ich gebe die Souf‌laki aus«, erklärt uns Kalliopi, sobald wir Platz genommen haben.

»Warum du und nicht ich?«, frage ich.

»Weil ich als unverheiratete, kinderlose Rentnerin nicht oft die Gelegenheit habe, Leute zum Essen einzuladen«, antwortet sie.

Wir bestellen einen großen Teller mit Souf‌laki-Spießchen, zwei Bauernsalate und hausgemachte Pommes. Ich persönlich hätte Gyros im Pittabrot mit Zwiebeln und Soße vorgezogen, aber ich finde es unappetitlich, vor den Augen der anderen in ein Pittabrot zu beißen, aus dem das Tsatsiki herausquillt, deshalb schließe ich mich den anderen an. Außerdem freut es mich, dass ich Adriani in meine kulinarischen Jagdgründe gelotst habe. Ich merke, wie sie die Zähne zusammenbeißt und aus der Not eine Tugend macht.

Hungrig machen wir uns über das Essen her, so wie alle Griechen, für die Ausgehen immer mit Fressorgien verknüpft ist, auch wenn es sich bloß um Souf‌laki oder Hamburger handelt.

»Wir sollten unbedingt Kontakt halten«, sagt Kalliopi, »schließlich haben wir eine wunderbare Zeit mit euch verbracht.«

»Wir haben doch schon abgemacht, in den nächsten Tagen ein Treffen zu vereinbaren«, meint Adriani.

Bevor ich noch darüber nachdenken kann, wann sie das schon wieder besprochen haben, mischt sich Tassia ein. »Ja, aber wir wollen auch den Kommissar wiedersehen.« Dann meint sie lachend zu mir: »Damit du die drei Grazien nicht vergisst, wenn du zu deinen Bösewichtern zurückkehrst.«

{30}Wir verabschieden uns unter gegenseitigen Versprechungen, in Kontakt zu bleiben, und Adriani und die drei Damen umarmen sich herzlich.

Als wir in der Aristokleous-Straße ankommen, ist es schon Abend. Doch so schnell kommen wir vom Wagen nicht los, da Adriani den Kofferraum mit Plastiktüten vollgestellt hat.

»Was ist das denn alles?«, frage ich.

»Das sind Esswaren aus Epirus, damit ich morgen Lauchpitta machen kann. Mir ist dieses Gericht aus meiner Kindheit wieder eingefallen, und ich möchte es unbedingt mal wieder machen. Auch, damit ich Sissis von meinen Pittakochkünsten überzeugen kann!«, fügt sie heiter hinzu. Dann fasst sie eine Tüte nach der anderen an und zählt dabei auf: »Das hier ist Blätterteig, das Schafskäse und das Ziegenkäse. Das kommt beides in die Pitta. Und hier sind Auberginen.«

»Was?«, wundere ich mich. »Sind in Athen die Auberginen ausgegangen?«

»Nein, aber ich möchte Imam Bayildi mit epirotischen Auberginen machen.«

»Dann kann ich davon ausgehen, dass es morgen Imam Bayildi gibt?«, will ich wissen.

»Nein. Morgen essen wir Lauchpitta. Dazu möchte ich die Kinder und Lambros einladen.«

Ich persönlich hätte ja das Imam Bayildi bevorzugt, halte aber den Mund. Dann tragen wir, schwer beladen, die Tüten zum Fahrstuhl.

»Bring alles in die Küche«, sagt Adriani. »Ich räume die Sachen dann weg.«

{31}Ich lasse sie dort allein und gehe ins Schlafzimmer. Die lange Fahrt hat mich angestrengt, und morgen muss ich wieder an die Dienststelle. Da brauche ich genug Schlaf.

{32}4

Die Rückkehr aus den Ferien an die Dienststelle ist jedes Mal mit Euphorie und Melancholie verbunden. Euphorie, weil ich mich gut gelaunt und ausgeruht fühle. Und Melancholie, weil ich nicht weiß, was mich erwartet, und ich mich wieder auf den Büroalltag einstellen muss.

Diesmal beginnt der Tag melancholisch. Es regnet sintflutartig, und die Straßen sind verstopft. Ich arbeite mich mühsam bis zur Kurve an der Ajios-Savvas-Klinik vor, wo es einen Verkehrsunfall gab. Ein Kleintransporter hat einen kleinen Fiat gerammt, und die Straße ist blockiert.

Ich lasse den Seat an der Ecke zum Alexandras-Boulevard stehen, eile zum Haupteingang des Präsidiums, trage dem Wachmann auf, den Seat in die Tiefgarage zu schaffen, und fahre zur Cafeteria hoch.

Dort empfangen mich Vellidis von der Abteilung für Computerkriminalität und Sonaras von der Abteilung für interne Ermittlungen.

»Willkommen zurück! Wie war’s im Urlaub?«

»Sehr schön. Ich hatte Epirus vermisst.«

»Das freut mich für dich, die Landung im Alltag wird dann aber ein wenig turbulent werden«, sagt Sonaras.

»Wenn du das Wetter meinst – das halte ich aus. Hauptsache, es gibt keine Bruchlandung …«

{33}»Keine Bruchlandung, aber eine Überraschung«, erwidert er.

»Was für eine Überraschung?«, frage ich und wappne mich innerlich schon gegen eine unerfreuliche Neuigkeit.

»Gikas geht in Rente«, verkündet mir Vellidis.

Sprachlos starre ich ihn an. »Hat er das Rentenalter schon erreicht?«, frage ich, als ich mich etwas gefangen habe.

»Nicht ganz, aber fast. Die letzten Beförderungsrunden haben die Sache dann beschleunigt.«

Das hat man davon, wenn man im September Urlaub macht, sage ich mir. Während hier Beförderungen vorgenommen wurden, saß ich in Papingo. Andererseits kratzt es mich nicht besonders, weil ich keine einschneidenden Veränderungen für meine beruf‌liche Zukunft erwarte.

»Und wer wird sein Nachfolger?«, will ich von Vellidis wissen.

»Das ist noch unklar. Offenbar wird gerade eine Lösung ausgebrütet.«

»Ansonsten herrscht im ganzen Land Ruhe und Ordnung«, sagt Sonaras. »Bis auf das ewige Räuber-und-Gendarm-Spiel mit den Anarchisten im Exarchia-Viertel, die mit ihren Molotow-Cocktails um sich werfen und Busse abfackeln.«

Er schaut mich abwartend an, doch ich bringe keine Antwort zustande, da mich die personellen Veränderungen noch umtreiben. Ich lasse die beiden mit einem knappen »Bis dann!« stehen und eile schnurstracks in die fünf‌te Etage hoch.

Man könnte sagen, Anteilnahme und Neugier kämpfen in meiner Brust. Zum einen möchte ich Gikas zeigen, dass {34}ich seinen Abgang bedauere. Wir haben fast ein ganzes Menschenleben zusammengearbeitet, deshalb lässt mich die Sache nicht kalt. Zum anderen vergehe ich fast vor Neugier und möchte unbedingt erfahren, ob er schon weiß, wer sein Nachfolger werden könnte.

Stella empfängt mich mit einem schwachen Lächeln. »Schön, dass Sie wieder da sind. Wie war der Urlaub, Herr Kommissar?«

»Wunderbar. Das Wetter war herrlich, und es war schön, die alte Heimat wiederzusehen. Aber nun höre ich, dass es hier Veränderungen geben soll.«

Seufzend deutet sie mit dem Kopf zur Bürotür. »Er bereitet sich auf seinen Abschied vor. Mal sehen, wo ich dann lande.«

Das ist die Sorge aller, wenn ein Chef geht, mit dem man sich im Lauf der Zeit arrangiert hat. Die erste Frage lautet, wo man selbst landet, und die zweite, wer der neue Chef sein wird.

»Ist er drin?«, frage ich.

»Ja, er räumt gerade sein Büro.«

Da ich ihn kaum aus tiefsinnigen Gedanken reißen werde, klopfe ich an und trete ein. Mit der Auf‌lösung des Büros ist er augenscheinlich nicht beschäftigt. Der Raum ist blitzsauber aufgeräumt und bereit zur Übergabe. Vermutlich war er schnell fertig, weil er nie Akten im Büro gehortet, sondern sie sofort an andere Dienststellen weitergeleitet hat.

Gikas steht am Fenster und genießt den Ausblick – entweder aus alter Gewohnheit oder um ihn sich einzuprägen. Als er die Tür gehen hört, wendet er sich um. Er sieht nicht {35}so aus, als würde ihn seine Pensionierung betrüben. Ja, er schenkt mir sogar eines seiner seltenen Lächeln.

»Was höre ich da! Sie sollen in Rente gehen?«, sage ich.

Er lächelt immer noch. »Irgendwann muss man einen Schlussstrich ziehen. Nur noch wenige Tage, und ich bin weg.« Er bedeutet mir, Platz zu nehmen, und setzt sich an seinen Schreibtisch. »Alle kommen mit betrübter Miene zum Kondolenzbesuch hier an«, meint er. »Aber ich fühle mich weder traurig noch gescheitert. Ich kann Ihnen, ganz unter uns, sogar sagen, dass ich meine Versetzung in den Ruhestand durch ein paar Telefonate selbst beschleunigt habe.«

»Aber warum?«, frage ich verwundert.

»Der Kreis schließt sich, Kostas. Ich weiß, dass ich mir keine Hoffnung mehr auf eine Beförderung machen kann. Die nächsten zwei Jahre würde ich hier in diesem Büro absitzen. Da gibt es Schöneres.«

»Und was?«

»Fischen! Meine Frau hat von ihrer Großtante in Eretria ein Häuschen am Meer geerbt. In den Ferien sind wir hingefahren, um nachzusehen, was wir daran alles renovieren müssten. Die ursprüngliche Idee war, es im Sommer zu vermieten und im Frühjahr und Herbst an den Wochenenden selbst zu nutzen. Eines Morgens saß ich auf dem Balkon und schaute den Fischern im Golf von Euböa zu. Und urplötzlich tauchte der Wunsch auf, angeln zu gehen. Ich ging in einen Laden, der entsprechendes Zubehör führt, und kauf‌te mir eine Ausrüstung. Ich fragte, welche Köder ich nehmen sollte, und der Ladenbesitzer erklärte mir alles. Am nächsten Morgen ging ich zum Strand und {36}warf die Angelschnur ins Meer. Und so auch die folgenden Tage. Meine Frau hat sich vor lauter Schreck bekreuzigt, sie wusste nicht, was in mich gefahren war, denn ich hatte mich zwar selbst zum Angler ernannt, aber Fang brachte ich keinen nach Hause.« Er blickt mich kurz an – vermutlich, um sich zu vergewissern, dass ich ihn nicht für verrückt halte. Mein Gesichtsausdruck verrät nur, dass ich ihm angeregt lausche, und er fährt fort: »Eines Tages blieb ein Einheimischer bei mir stehen und erklärte: ›Am Strand tummeln sich nur Menschen. Die Fische finden Sie in den tieferen Gewässern, weiter draußen auf dem offenen Meer.‹ Seither träume ich davon, mit meiner Abfindung ein Fischerboot mit Außenbordmotor zu kaufen und dann zum Fischen rauszufahren. Ich habe gemerkt, dass mich das Meer und das Fischen glücklich macht. Meine Frau bekreuzigt sich immer noch, aber jetzt, um Gott zu danken, dass ich eine Beschäftigung gefunden habe und ihr nicht ständig im Weg bin.«

Er macht erneut eine Pause und lächelt. »Den Fang, den ich als Polizist einfahren konnte, habe ich eingefahren. Meine Möglichkeiten sind erschöpft. Aber als Rentner kann ich ein neues Glück finden. Oder anders formuliert: Jahrelang habe ich am Strand gestanden, aber kaum etwas damit erreicht. Erst jetzt habe ich begriffen, dass es besser ist, aufs Meer rauszufahren.«

Mir sitzt ein entspannter Mann gegenüber, dem ein Stein vom Herzen fällt. Ich erinnere mich nicht, Gikas je mit einem solchen Dauerlächeln auf den Lippen gesehen zu haben. Anscheinend ist er froh, dass er bald mit seinem Bötchen in See stechen kann. Ich hingegen laufe Gefahr, {37}durch die kommenden Umstrukturierungen die Abfahrt des großen Dampfers zu verpassen.

»Wissen Sie vielleicht etwas über Ihren Nachfolger?«, frage ich und versuche meine Anspannung zu verbergen.

»Vorläufig gibt es noch keinen«, teilt er mir mit und blickt mich an. »Was ich Ihnen jetzt inof‌fiziell sage, vergessen Sie sofort wieder.«

»Sie haben mein Wort«, sage ich und befürchte schon das Schlimmste.

»Bis ein Nachfolger bestimmt ist, werden Sie übergangsweise den Pflichten des Leitenden Kriminaldirektors nachkommen, da Sie der Dienstälteste in der Direktion sind. Sie werden direkt dem Vizepolizeipräsidenten unterstellt.« Er bemerkt meine verstörte Miene und fühlt sich genötigt, mich noch einmal zu ermahnen.

»Wie gesagt, Sie wissen von nichts. Lassen Sie mich Ihnen aber einen letzten Rat geben. Wenn Sie sich klug verhalten und vor allem Ihr Verhältnis zum Vizepolizeipräsidenten nicht wie sonst aufs Spiel setzen, eröffnen sich für Sie Aufstiegschancen.« Gleich beeilt er sich jedoch, mir die Flügel zu stutzen. »Das heißt noch nicht, dass Sie Leitender Kriminaldirektor werden, aber Sie könnten endlich den nächsten Dienstgrad erreichen, nachdem Sie so lange nicht befördert wurden.«

Ich bin mir sicher, dass dieser Plan von ihm stammt. Er hat genug Beziehungen, um ihn durchzusetzen. »Ich danke Ihnen, sowohl für die Auskünfte als auch für den Rat«, sage ich.

»Für die Auskünfte, geschenkt. Meine Ratschläge hingegen haben Sie ja noch nie befolgt.«

{38}»Trotzdem danke ich Ihnen dafür«, beharre ich und stehe auf.

Auch Gikas erhebt sich und reicht mir die Hand. »Wir sind gut miteinander ausgekommen, Kostas«, sagt er. »Vielleicht sind wir uns gegenseitig auf die Nerven gegangen, aber am Schluss haben wir uns immer zusammengerauft, weil wir einander vertrauen konnten.«

Das stimmt. Abgesehen davon, dass er jedes Mal auf Tauchstation gegangen ist, wenn ich ins Kreuzfeuer geriet. So wie im Fall des letzten Vizepolizeipräsidenten, der mich den letzten Nerv gekostet hat.

Gikas’ Abgang ist die letzte einer ganzen Reihe von Veränderungen. Meine eigene Abteilung hatte sich schon vor meinen Ferien neu formiert. Nachdem Koula und Papadakis geheiratet hatten, ließ sich Papadakis in die Ausländerbehörde versetzen, da sie nicht zusammen in derselben Abteilung bleiben konnten. Adriani und ich nahmen an der Trauung teil – als Gäste, und nicht, wie ursprünglich von den beiden geplant, als Trauzeugen. Nach der Zeremonie gingen wir gleich nach Hause und blieben nicht zur Hochzeitsfeier.

Auch Vlassopoulos arbeitet nicht mehr bei mir. Er beantragte seine Versetzung zur Polizeidirektion Chalkida, um bei seinen schulpflichtigen Kindern sein zu können, die auf Euböa bei seinen Eltern wohnen.

An ihre Stelle traten zwei Neue. Der eine, Thanassis Askalidis, war zuvor bei der Drogenfahndung in Patras. Der andere, Fotis Dervissoglou, kam aus der Antiterrorabteilung zu uns. Askalidis ist noch Anfänger, Dervissoglou hingegen hat Jura studiert und bereits einige {39}Berufserfahrung sammeln können. Der Nutznießer all dieser Personalrochaden ist Dermitsakis, der durch Vlassopoulos’ Weggang zum Dienstältesten der Abteilung aufrückte.

Ich trete ins Büro meiner Assistenten, die sich gerade angeregt unterhalten. Sie unterbrechen sofort ihr Gespräch, heißen mich willkommen und fragen, wie meine Ferien waren. Ich erstatte kurz Bericht und frage sie dann, ob in meiner Abwesenheit etwas vorgefallen ist.

»Das von Gikas haben Sie bestimmt schon erfahren«, meint Dermitsakis.

»Stimmt. Und sonst?«

»Erfreulicherweise liegt nichts weiter an«, antwortet er.

Koula ist mit ihren Mails beschäftigt, während Thanassis und Fotis alte Akten durchblättern, um sich ein Bild von der Arbeit der Abteilung zu machen. Also alles bestens: Zum einen freut mich die Nachricht, dass ich – und sei es auch nur vorläufig – an Gikas’ Stelle trete, und zum anderen ist auf der Dienststelle alles ruhig. Die Herbstsaison fängt gemütlich an.

»Wahrscheinlich warten die Mörder so lange ab, bis die Umstrukturierungsphase vorbei ist und wir wieder handlungsfähig sind«, scherzt Dervissoglou.

Die Einzigen, die den Mund nicht aufmachen, sind Askalidis und Koula. Der Erste ist aufgrund seiner Unerfahrenheit sehr zurückhaltend, die Zweite aufgrund der in die Brüche gegangenen Trauzeugenschaft.

Ich bestelle Dermitsakis für etwas später in mein Büro und fahre einstweilen in die Cafeteria hinunter, um mir meinen Kaffee zu holen, zu dem ich noch gar nicht gekommen bin.

{40}Als ich zurückkehre, wartet Dermitsakis schon auf mich.

»Ich hätte da eine Aufgabe für dich, damit es dir nicht langweilig wird«, sage ich.

»Aber gern! Worum geht’s?«

»Du könntest Askalidis ein bisschen einarbeiten. Er ist neu aus Patras und fühlt sich hier wie ein Fisch auf dem Trockenen. Als Dienstältester könntest du seine Ausbildung übernehmen. Sonst müssen wir später seine Fehler ausbügeln.«

»In Ordnung, das mache ich. Aber er wirkt nicht sehr helle.«

»Keiner von uns war helle, als wir hier anfingen«, stichele ich ein bisschen. »Wir alle mussten in den Job reinwachsen.«

Nachdem das gesagt ist, bitte ich ihn, Koula zu mir zu schicken. Sie nimmt, den Blick auf den Boden geheftet, mit ausdrucksloser Miene mir gegenüber Platz.

»Hören Sie, Koula«, sage ich und komme gleich zum Thema. »Es gibt keinen Grund, dass Sie wie ein begossener Pudel vor mir sitzen, nur weil sich die Sache mit der Trauzeugenschaft zerschlagen hat. Die Sache ist einfach schiefgegangen. Ich war in den oberen Etagen in Ungnade gefallen und habe nicht von euch erwartet, dass ihr dasselbe riskiert. Doch die Situation hat sich zum Glück sowohl für mich als auch für euch gebessert. Daher tragen Adriani und ich euch nichts nach. Es hat sich zwischen uns nichts geändert. Also lassen Sie diesen Heulsusen-Ausdruck sein. Als frisch gebackener Ehefrau steht Ihnen so etwas nicht.«

Einen Moment lang zögert sie, doch dann springt sie von ihrem Stuhl auf und umarmt mich. Ich spüre ihre Tränen auf meinen Wangen.

{41}»Sie wissen gar nicht, was für eine Freude Sie mir machen«, wispert sie. »Die ganze Zeit hat mich der Gedanke belastet, dass Sie mich immer gefördert haben und ich mich umgekehrt Ihnen gegenüber abscheulich verhalten habe. Wenn ich das Jorgos erzähle, freut er sich bestimmt genauso wie ich.«

»Prima, dass wir das geklärt haben«, sage ich und schicke sie in ihr Büro zurück, um das Süßholzraspeln zu beenden. Egal, wer morgen im Präsidium das Sagen hat, die Mordkommission ist jetzt wieder voll funktionsfähig.

{42}5

Um drei Uhr nachmittags weiß ich nicht mehr, wie ich meine Langeweile bekämpfen soll. Dreimal war ich schon in der Cafeteria – zweimal holte ich mir einen Mokka, einmal ein Sandwich. Ich nahm sogar an einem Tisch Platz, biss in mein Sandwich und hörte mit halbem Ohr den Gesprächen zu, die sich um Gikas’ Abgang drehten.

Dann kehrte ich in mein Büro zurück mit dem festen Vorsatz, mir am nächsten Tag ein Kartenspiel zu besorgen, um Patiencen zu legen. Da läutete das Telefon.

»Der Herr Vizepolizeipräsident möchte Sie in einer Stunde in seinem Büro sprechen, Herr Kommissar.«

»Gut, ich komme.«

Seit der letzte Vizepolizeipräsident in die Direktion für Internationale Zusammenarbeit versetzt wurde, hat sich die Lage beruhigt. An seine Stelle trat Stefanos Kapsidis, der aus der Ausländerbehörde und nicht wie sein Vorgänger aus internationalen Hoheitsgewässern kam. Die Informationen, die von der Ausländerbehörde durchsickerten, sprachen von einem bescheidenen, fähigen und teamorientierten Mann.

Die Einschätzung erwies sich als richtig, und nach unserem ersten Gespräch bei ihm hatten erfreulicherweise {43}weder ich noch Gikas weiter mit ihm zu tun. Dies alles rufe ich mir ins Gedächtnis, während ich im Seat die Katechaki-Straße hinunterfahre. Ich brauche also eigentlich nicht nervös zu sein.

Als man mich ins Büro des Vizepolizeipräsidenten vorlässt, bin ich erst mal überrascht, so viele Leute vorzufinden. Außer dem Vizepolizeipräsidenten sind nämlich Vellidis, Sonaras und Karabetsos, der neue Leiter der Antiterrorabteilung, erschienen. Daraus lässt sich schließen, dass der Vizepolizeipräsident meine vorläufige Beförderung bekanntgeben wird.