Drei Tage Glück - Iris Fox - E-Book

Drei Tage Glück E-Book

Iris Fox

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Beschreibung

Marie glaubt nicht mehr an die große Liebe und schon gar nicht an die Liebe auf den ersten Blick. Gerade hat sie es geschafft sich von ihrem gewalttätigen Freund endgültig zu trennen und versucht verzweifelt, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Da tritt Jonas in ihr Leben und alles, was sie bisher über die Liebe dachte, wird über den Haufen geworfen. Plötzlich findet sie sich in Jonas' blauem Mustang auf dem Weg nach Dänemark wieder und verliebt sich Hals über Kopf. Und auch Jonas kann sein Glück kaum fassen, Marie begegnet zu sein. So lange war er im Dunkel, sie scheint wie das Licht an seinem Horizont. Gibt ihm das Schicksal eine zweite Chance? Doch wenn es für ihn eine Zukunft geben soll, muss er die Vergangenheit endgültig hinter sich lassen. In nur wenigen Tagen will er deshalb das Land für immer verlassen. Aber ist eine Zukunft ohne Marie überhaupt noch denkbar? Und gibt es die Liebe auf den ersten Blick wirklich?

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Die AutorinIris Fox, 1982 in Elmshorn geboren, lebt heute mit ihrer Familie in Syke in der Nähe von Bremen. Nach ihrem Schulabschluss absolvierte sie eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten. Viele Jahre blieb sie dem medizinischen Bereich treu, bis sie nach ihrer Elternzeit in eine Einrichtung für körperlich und geistig beeinträchtigte Menschen wechselte. Obwohl seit jeher unzählige Geschichten in ihrem Kopf herumschwirren, widmet sie sich erst seit 2014 mit viel Herz und Leidenschaft aktiv dem Schreiben von Romanen.

Das Buch

Marie glaubt nicht mehr an die große Liebe und schon gar nicht an die Liebe auf den ersten Blick. Gerade hat sie es geschafft sich von ihrem gewalttägigen Freund endgültig zu trennen und versucht verzweifelt ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Da tritt Jonas in ihr Leben und alles, was sie bisher über die Liebe dachte, wird über den Haufen geworfen. Plötzlich findet sie sich in Jonas‘ blauem Mustang auf dem Weg nach Dänemark wieder und verliebt sich Hals über Kopf. Und auch Jonas kann sein Glück kaum fassen, Marie begegnet zu sein. So lange war er im Dunkel, sie scheint wie das Licht an seinem Horizont. Gibt ihm das Schicksal eine zweite Chance? Doch wenn es für ihn eine Zukunft geben soll, muss er die Vergangenheit endgültig hinter sich lassen. In nur wenigen Tagen will er deshalb das Land für immer verlassen. Aber ist eine Zukunft ohne Marie überhaupt noch denkbar? Und gibt es die Liebe auf den ersten Blick wirklich?

Iris Fox

Drei Tage Glück

Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Mai 2017 (1)  © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © Matthias Strohmeyer  ISBN 978-3-95818-188-5  Hinweis zu Urheberrechten Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Für Amelie, meinem Augenstern.

Im Herzen zu Hause.

Ohne Ziel ticken die Zeiger der Uhr.Unbeirrt. Unermüdlich. Gnadenlos.

Prolog

Etwa ein Jahr zuvor

Das Gehör kehrt als Erster meiner Sinne zurück. So kann ich hören, wie dass Blech des Autos um mich herum knarzt und versucht, der ungewohnten Belastung auf das Dach standzuhalten. Meine Welt steht Kopf. Hilflos hänge ich im Sicherheitsgurt fest. Die Panik droht, mich zu überrollen, doch das darf ich jetzt nicht zulassen.

Rechts neben mir im Beifahrersitz höre ich es ganz leise keuchen. Kathleen versucht zu atmen, aber sie scheint nicht genügend Luft zu bekommen. Hektisch zieht sich ihre flatternde Atmung durch meine Ohren direkt bis in mein Herz hinein. Augenblicklich schlägt es rasend schnell. Ich muss ihr helfen! Draußen prasselt weiter der Regen auf das Auto, als wäre nichts geschehen.

Ich versuche zu sprechen, aber tatsächlich bekomme ich nicht mehr als ein kehliges Krächzen zustande. Erst langsam, dann immer heftiger, umspült mich eine Woge des Schmerzes, die sich in jeder Faser meines Körpers festzusetzen droht, doch auch das will ich nicht zulassen. Vielmehr muss ich irgendeinen Weg finden, um uns aus dieser Situation zu befreien, und vor allem muss ich Kathleen helfen. Dieses rasselnde Geräusch, welches ihre Lunge mittlerweile von sich gibt, treibt mir die Schweißperlen auf die Stirn.

Ich zwinge meinen Körper, sich nur noch darauf zu konzentrieren, endlich die Augenlider zu öffnen. Alles andere blende ich um mich herum aus. Es gelingt mir erstaunlicherweise ganz gut. Zuerst ist zwar noch alles sehr verschwommen, doch die Konturen werden klarer, nachdem ich es schaffe, die Augen länger als einen Bruchteil einer Sekunde aufzuhalten. Dies versursacht mir zwar unsägliche Kopfschmerzen, und mir ist so, als würde mir jemand mit einer Kettensäge den Schädel spalten, doch die Euphorie darüber, dass ich so langsam wieder etwas erkennen kann und Kathleen neben mir noch nicht verstummt ist, sondern immer noch versucht zu atmen, lässt mich meine weiteren Schritte durchdenken.

Ich ziehe meine Beine über das Lenkrad, presse meine linke Hand entschieden gegen das Autodach und öffne dann beherzt mit meiner Rechten den Sicherheitsgurt. Meine linke Hand bringt nicht viel. Vielmehr verdrehe ich mir mein Schultergelenk noch zusätzlich zum harten Aufprall, der jetzt folgt. Mein Mund schickt einen stummen Schmerzensschrei gen Himmel, weil meinem Kopf der Schlag so gar nicht bekommen ist. Doch auch dieser Augenblick vergeht, und ich habe mein Ziel noch nicht aus den Augen verloren.

Mit zusammengekniffenen Zähnen drücke, schiebe, trete ich wie ein Wilder auf die völlig zerbeulte Autotür ein. Schlussendlich ist es dann die Fensterscheibe, die ein Erbarmen mit mir hat und mich endlich in die Freiheit entlässt.

Wenige Momente später öffne ich wortlos mit Herkules-Kräften die Beifahrertür. Mit zusammengepressten Lippen und stummen Gebeten ziehe ich Kathleen aus dem Autowrack heraus und lege sie etwas abseits ins Gras.

Behutsam fahren meine Hände über ihr Gesicht. Ich betrachte ihre leicht geöffneten Augen und die blau angelaufenen Lippen. Mein Blick wandert über ihren Hals hinab zu ihrem Brustkorb. Sie atmet nicht mehr.

Kapitel 1

Marie

In einem kleinen Hamburger Vorort an einem ganz normalen Freitag. Es ist gerade einmal 11:55 Uhr. Der Feierabend ist noch in weiter Ferne. Lustlos etikettiere ich eine Jeanshose nach der anderen, um sie anschließend ins Regal zu räumen. Die Hintergrundmusik dudelt leise. Ich etikettiere schon eine ganze Weile. Seit heute Morgen, um genau zu sein. Karton für Karton. Diese öde Handlung typisiert eigentlich ganz gut mein Leben. Im Prinzip tue ich zurzeit nichts anderes, als mich von einem Tag zum anderen zu schleppen. Eintönig. Monoton. Pflichtbewusst. Und das nun schon seit einer viel zu langen Zeit. Irgendwie abgestumpft – doch so ist das nun einmal. Innerlich mir selbst weiter gut zuredend, das Richtige zu machen, lege ich die fertig etikettierte Jeans ins vorgesehene Regal und widme mich sofort wieder der nächsten. Jetzt bloß keine Gefühlsduselei. Das kann ich hier echt nicht gebrauchen. Heute Abend ist genügend Zeit, um sich im Selbstmitleid zu suhlen.

Tina, meine beste Freundin, die mir vor ein paar Wochen diesen Job hier besorgt hat, versucht gerade, eine besonders kritische Kundin von einem Oberteil zu überzeugen. Zum x-ten Mal probiert sie es an, und es steht ihr auch wirklich gut. Und nein. Sie wirkt keineswegs zu fett darin. Und ja, natürlich passt dieses Oberteil zu ihrer Hose. Bla, bla, bla … Probleme haben die Leute. Ich schmunzle in mich hinein, als ich den ungläubigen Blick meiner Freundin erhasche.

»Entschuldigen Sie bitte. Haben Sie kurz Zeit?«, höre ich jemanden hinter mir fragen. Während ich antworte, drehe ich mich zu der Person um.

»Ja, hab ich, was …« Abrupt bleibe ich stehen und sehe in zwei hinreißend blassblaue Augen. Sie gehören einem Mann, der erwartungsvoll vor mir steht und ganz sicher darauf wartet, dass ich meinen Satz zu Ende spreche. Doch das ist gar nicht so einfach, weil sein stählerner Blick mich so dermaßen gefangen hält, dass ich innerlich direkt nach Luft schnappen muss. »Ja, also. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«, stammele ich. Verstört lächele ich ihn an. Er lächelt zurück. Und was für ein Lächeln! Die Models in der Zahnpasta-Werbung würden vor Neid erblassen, könnten sie seine weißen Beißerchen sehen.

»Haben Sie die Jeans auch in 36er-Länge? Im Regal hab ich schon nachgesehen. Dort ist keine mehr.« Er hält mir eine dunkelblaue Jeans hin. Wie fremdgesteuert nehme ich sie entgegen und prüfe das Etikett.

»Ich kann gerne im Lager nachsehen, wenn Sie mögen?« Erneuter Blickkontakt. Boah, hat der Typ einen Augenaufschlag. Ich kann mich beim besten Willen nicht entscheiden, ob er jetzt anziehend oder abschreckend auf mich wirkt. In jedem Fall lässt seine bloße Präsenz mein Herz höher schlagen.

Unsicher drehe ich mich von ihm weg. Gehe ein Stück, dann drehe ich mich noch einmal zu ihm um. Eine Hand lässig in der Hosentasche vergraben, steht er da und sieht mir nach.

»Das ist nett von Ihnen.« Seine Stimme hat einen angenehmen, warmen Klang, als er die Floskel hinwirft. Meine Füße tragen mich weiter Richtung Lager, doch bei jedem Schritt fühle ich mich beobachtet. Und zwar von ihm. Mich noch einmal umzusehen traue ich mich aber nicht.

Kurze Zeit später komme ich mit der richtigen Hosenlänge wieder aus dem Lagerraum. Ich lege meine Hand auf die Türklinke, die in den Verkaufsraum führt, doch ich drücke sie nicht sofort hinunter. Meine Finger zittern leicht, und ich spüre, wie meine Hand feucht wird. Mein Herz hat mittlerweile begonnen, wie wild zu rasen. Verstehe ich jetzt mal so gar nicht und ärgere mich über mich selbst. Das ist doch einfach nur ein ganz gewöhnlicher Kunde, rede ich mir gut zu. Ein Kunde, der eine x-beliebige Hose von einer x-beliebigen Verkäuferin kaufen möchte. An einem x-beliebigen Tag, versteht sich.

Innerlich schimpfe ich mit mir. Es kann doch nicht sein, dass nur die bloße Anwesenheit eines Mannes mich so dermaßen aus der Fassung bringt. Vielleicht sollte ich doch den Rat meiner Freundin befolgen und mir endlich einen Psychiater suchen. Ich bin mir zwar ziemlich sicher, dass der an meinem verkorksten Leben auch nichts mehr richten könnte, doch so kann es schließlich auch nicht weitergehen. Jetzt, in dieser Situation muss ich da allerdings alleine durch. Mal wieder.

Ich versuche, mich selbst zu beruhigen, indem ich einmal tief Luft hole und langsam wieder ausatme. Denn bloß weil der Typ jetzt zufälligerweise mal hübsche Augen hat und einen Augenaufschlag, der zum Niederknien ist, muss ich doch noch lange nicht so Herzklopfen bekommen. Und dabei gleichzeitig dieser eisige Blick. Ist dem überhaupt bewusst, wie einschüchternd der schaut? Man fühlt sich ja direkt wie eine Kleinkriminelle, wenn er einen so anstarrt. Warum macht der das?

Links von mir sehe ich mein Spiegelbild. Skeptisch betrachte ich mich selbst. Mein Gesichtsausdruck wirkt abgespannt und müde. Schon vor langer Zeit ist die Farbe aus meinem Gesicht gewichen und hat sich seitdem auch nicht mehr blicken lassen. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wie ich wohl mit rosigen Wangen und leuchtenden Augen ausgesehen haben mag. Auch wenn Tina ständig behauptet, man würde mir den Stress der letzten Zeit kaum anmerken, so sehe ich selbst es doch ganz deutlich.

»Egal, was du jetzt auch denkst, Marie«, spreche ich mit meinem Spiegelbild. »Gib ihm einfach die Hose, und gut ist.«

Noch einen letzten abfälligen Blick in den Spiegel werfend, schreite ich festen Schrittes durch die Tür. Er muss mir vorhin gefolgt sein und hat direkt neben der Tür zum Lager auf mich gewartet. So gut ich kann, überspiele ich den Moment der Überraschung und sehe ihm fest in die Augen.

»Hier, bitte sehr. Sie haben Glück. Eine war noch da.« Er kommt einen Schritt näher und nimmt die Hose. Ich muss mich direkt zwingen, nicht sofort einen Schritt zurückzuweichen. Angespannt blicke ich in sein Gesicht. Ob man mir ansehen kann, wie durcheinander ich gerade bin?

»Klasse. Jetzt muss sie nur noch passen.« Er legt, während er abdreht, noch kurz zum Dank die Hand auf meine Schulter. Es geschieht unwillkürlich und ist sicherlich einfach nur nett gemeint – mehr eine Geste als gewollt.

Zum Glück bekommt er nicht mehr mit, wie ich nach Luft schnappe. Tausend Stecknadelköpfe piksen gleichzeitig auf meinen Körper ein. Von der Stelle aus, die er gerade eben berührt hat, geht ein Schaudern aus, das sich über den ganzen Rücken hinweg verteilt. Erstaunlicherweise ist es ein angenehmes Schaudern. Eines von der Sorte, von der ich fest glaubte, es niemals mehr fühlen zu können. Seit geraumer Zeit meide ich Körperkontakt – ertrage ihn nur noch schwer. Doch genau in diesem Augenblick habe ich Gänsehaut bis in die Zehenspitzen. Wie kitschig das klingt, ja. Doch was hilft es denn? Genau so fühlt es sich jetzt gerade an. Atmen, Marie, denke ich und zwinge mich, die Atmung wieder aufzunehmen, bevor ich noch hier im Laden vor allen Leuten in Ohnmacht falle. Wie fremdgesteuert und mehr aus Reflex, fühle ich nun selbst mit der Hand nach meiner Schulter. Komisch. Fühlt sich ganz normal an. Warum dann gerade eben diese Explosion?

Meine Augen sehen ihm nach. Das ist so unwirklich. Ich glaube nicht an solch einen Schwachsinn. Von wegen Liebe auf den ersten Blick. Das gibt es nur im Märchen oder bestenfalls im Schundroman. In der nächsten Buchhandlung oder gleich im Netz für ein paar Euro zu erwerben. Alles Fake. Alles Illusion. Wahre Liebe gibt es nicht! Trotzdem ertappe ich mich dabei, wie ich ihn klammheimlich beobachte. Sehe, wie er in der Umkleidekabine verschwindet, um die Jeans anzuprobieren.

Ich hingegen sollte mich wieder meinem Berg Jeanshosen widmen. Immerhin habe ich noch eine Menge Kartons vor mir, bevor der Feierabend naht. Mein Stehtisch steht nur ein paar Meter entfernt.

Auf dem Weg dorthin erkenne ich plötzlich Martin, der sich zwischen den Regalen an mich heranpirschen will. Das darf nicht wahr sein. Sofort drehe ich ab und versuche, ins Lager zu verschwinden, aber Martin war schon immer ein blitzschnelles Kerlchen. Flink wie ein Wiesel rast er auf mich zu und packt mich, ohne lange zu überlegen, unsanft am Oberarm. Bettelnd redet er auf mich ein.

»Marie, warte! Ich hab noch mal über alles nachgedacht. Ich kann mich ändern. Wirklich! Dass du gleich ausgezogen bist, war keine gute Idee. Wir sind doch ein Team. Bitte, komm zurück.« Hoffnungsvoll sieht er mich an. Nein. Die wahre Liebe gibt es wirklich nicht, kommt mir sofort in den Sinn. Was auch immer mich so lange bei Martin gehalten hat - es mag Gewohnheit oder die Angst vor dem Alleinsein gewesen sein, aber Liebe war es zu keiner Zeit. Angst. Ja, auch Angst. Zumindest in der letzten Zeit. Angst vor ihm!

Unsicher befreie ich mich. »Du bist verrückt. Ich komm nicht mehr zurück.« Martins flehender Dackelblick verschwindet, dafür formen sich seine Augen blitzschnell zu kleinen Schlitzen. Ich weiß, es war nicht das, was er jetzt von mir hören wollte. Die Schnapsfahne, die ihn umweht, verheißt zudem auch nichts Gutes. Es braucht nicht mehr viel, und Martin rastet aus. Damit mir hier im Laden nicht gleich dasselbe Schicksal droht wie auf meiner letzten Arbeitsstelle, versuche ich, ihn schnell zu besänftigen.

»Martin, bitte nicht hier. Ich verliere nur wieder meinen Job, wenn du jetzt Ärger machst.« Während ich dies sage, merke ich, wie meine Stimme zu zittern beginnt und ich mich ängstlich nach allen Seiten umblicke. Ich hoffe, meine Chefin sitzt gerade mit einem Vertreter in der Küche und dampft eine Zigarette. Nicht auszudenken, was los ist, wenn sie Martin hier sieht.

Martin redet auf mich ein, während ich den Mann mit den blassblauen Augen von gerade eben aus seiner Kabine kommen sehe. Sein Blick streift mich zwar nur am Rande, doch trotzdem fährt er mir bis unter die Haut.

»Marie, wie kannst du mir das nur antun? Du bist so egoistisch. Ich liebe dich doch. Als ob du es bei mir jetzt so schlecht gehabt hättest.« Er drängt sich näher an mich heran. »Och, nun komm schon«, säuselt er mir ins Ohr. Mein ganzer Körper ist zum Zerreißen gespannt. Ich kann seine Nähe einfach nicht mehr ertragen. »Gib dir einen Ruck. Es ist so einsam ohne dich. Du fehlst mir, und ich fehl dir doch auch, oder? Du weißt, ich hab dich nie betrogen.« Hey, Mann! Das ist so unfassbar peinlich. Hier vor allen Leuten. Verzweifelt versuche ich, ihn wieder auf Abstand zu bekommen, bevor die Panik mich überrollen kann.

»Martin, du weißt genau, was das Problem war.« Er blökt zwar nicht durch den ganzen Laden, aber sein Benehmen fällt trotzdem auf. Die verstohlenen Blicke der Kunden um mich herum sind mir unangenehm. Ich hasse das. So sehr, dass ich mich dazu durchringen kann, meinen Ex unsicher vor mir her durch den Laden zu schieben. Und zwar Richtung Ausgang. Erstaunlicherweise lässt er das sogar zu. »Du bist betrunken«, flüstere ich leise. »Geh nach Hause und schlaf dich aus.« Wir passieren jetzt den jungen Mann mit der Hose. Der, genau wie die anderen Kunden, uns beiden nachsieht.

Tatsächlich schaffe ich es, Martin ohne Aufstand durch den kleinen Laden bis vor die Tür zu geleiten. Ich zerre ihn noch ein paar Schritte weiter, bevor ich seinen Arm loslasse und bereits wieder im Begriff bin hineinzugehen. Jetzt, da er merkt, dass ich nicht mit ihm nach Hause gehen will, packt er mich wieder von hinten an den Armen. Erneut reißt er mich zu sich herum. Boah, er stinkt fürchterlich nach Fusel. Eigentlich bin ich gar nicht sonderlich überrascht über seine Reaktion. So reagiert er nun einmal, wenn er etwas getrunken hat und seinen Willen nicht bekommt, doch wenigstens sind wir jetzt nicht mehr im Laden drin.

»Marie«, spricht er jetzt in einem deutlich schärferen Ton mit mir. »Marie, du kommst jetzt sofort mit! Hast du verstanden? Wir zwei … wir gehören zusammen.« Hilflos stehe ich vor ihm und wage ihm nicht in die Augen zu sehen. Ganz still bleibe ich. Ich weiß, wenn ich mich jetzt losreiße, tickt er vollkommen aus. Hier vor allen Leuten. Mitten in der Einkaufspassage. Da kennt er nichts. Trotzdem möchte ich die Hoffnung noch nicht aufgeben, ihn für den Augenblick zur Besinnung bringen zu können.

»Martin, lass mich bitte los. Ich muss arbeiten«, gebe ich daher flüsterleise von mir. Doch Martin denkt gar nicht daran. Er kommt jetzt erst so richtig in Fahrt.

»Deine Arbeit, deine Arbeit. Das ist alles, wovon du redest. Was ist mit uns? Schatz? Wir müssen noch einmal über alles reden.« Jetzt zwinge ich mich, ihm in die Augen zu sehen. Versuche, so ruhig und einfühlsam wie möglich zu klingen.

»Es gibt nichts mehr zu reden, Martin. Es ist vorbei.« Im nächsten Augenblick bekomme ich auch schon den Schlag seiner Faust zu spüren. Dumpf zieht der Schmerz durch die Zähne hindurch, und mein Kopf fliegt zur Seite. Ich taumele. Er hat es tatsächlich wieder getan. Hört das denn nie auf? Mir ist augenblicklich schwindelig. Innerlich bereite ich mich schon einmal auf einen harten Aufprall vor, da es mir unmöglich ist, das Gleichgewicht wiederzuerlangen. Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich verschwommen Martin, der sich die Faust reibt.

»Komm jetzt gefälligst mit nach Hause!«, schreit er voller Inbrunst. Es klingt, als wäre mein Kopf in Watte gepackt. Ich höre das Pfeifen der Sicherheitskontrolle im Hintergrund. Kurz darauf falle ich rücklings in etwas hinein, das nicht annähernd so hart und schmerzhaft ist wie das Kopfsteinpflaster, das ich erwartet habe. Mann, ist mir schlecht.

Ich halte mich an dem, was auch immer meinen Aufprall gemildert hat, fest, und versuche zu orten, wo oben und unten ist. Der Tag kann kaum noch schlimmer werden.

»Hast du ´nen Schaden, Alter? Du kannst sie doch nicht einfach so k.o. schlagen. Wie bist du denn drauf?« Ich versuche, mich zu konzentrieren, und schaue in die Richtung, aus der die Stimme kommt. Im nächsten Augenblick sehe ich zwei blassblaue Augen, die Martin böse anfunkeln. Ich bin mir ganz sicher, diese Augen heute schon einmal gesehen zu haben. Mir wird augenblicklich klar, wer mich gerade aufgefangen hat und in wessen Armen ich gerade liege. Peinlich berührt stehe ich sofort unbeholfen auf.

»Ist schon okay«, stammle ich. »Mir geht es gut. Ich bin ja irgendwie selbst schuld daran.« Der Unbekannte blickt mich ungläubig an. Sein Wimpernschlag geht mir erneut durch und durch. Kann der bitte damit aufhören?

»Meinst du das etwa ernst? Der Typ schlägt dich, und du gibst dir die Schuld dafür? Der ist doch einfach nur krank.« In weiser Vorahnung ducke ich mich. Keine Sekunde zu früh. Mit einem markdurchdringenden Aufschrei fällt Martin über ihn her. Er konnte es noch nie ertragen, wenn man ihn beleidigt.

Überrumpelt von diesem Spontanangriff, versucht der Unbekannte sich jetzt zu verteidigen. Beide rangeln miteinander zu meinen Füßen. Ich ducke mich weg und halte mir den Kopf und habe plötzlich so einen metallenen Geschmack auf der Zunge. Unweigerlich fahre ich mit der Hand zu meinen Lippen. Etwas Blut ist auf der Fingerspitze zu erspüren.

Zwei große Kerle kommen dem Fremden zur Hilfe und trennen die beiden wieder voneinander. Die blassblauen Augen funkeln Martin weiter an. Bei dem passt der Spruch: »Wenn Blicke töten könnten« direkt mal.

Tina steht am Eingang. Nachdem sie begriffen hat, was passiert ist, prüft sie meinen Zustand mit einem sorgenvollen Blick. Bis auf die Lippe bin ich so weit okay. Also nimmt sie sich kurzerhand der schaulustigen Meute an und versucht, diese zu verscheuchen.

Genau wie die beiden Männer stehe ich wieder auf meinen Beinen, wenn auch noch etwas wackelig. Der Blassblaue fasst sich kurz an die Nase. Auch er blutet. Er legt sich die Hand in den Nacken und dreht den Kopf einmal herum. Wahrscheinlich um zu überprüfen, ob seine Knochen noch heil sind.

Wie ein begossener Pudel steht Martin da und scheint mal wieder erst jetzt zu kapieren, was er angerichtet hat. Er macht einen Schritt auf mich zu. Automatisch weiche ich zurück und stoße dabei mit dem Blassblauen zusammen. Abermals will ich zurückweichen, doch noch ehe ich dazu komme, legt er mir den Arm um die Schulter und zieht mich schützend an sich heran. Selbst stellt er sich vor mich und streckt Martin abwehrend die freie Hand entgegen.

»Ich glaube, du solltest besser gehen. Du hast für heute wohl genug angerichtet, meinst du nicht?« Die Stimme des Unbekannten klingt wieder ganz warm, und sein Blick auf Martin ist sachlich und ruhig. Distanziert, ja, aber nicht mehr wütend oder aufgebracht. Ich finde das bewundernswert, wenn ich bedenke, wie sehr Martin gerade auf ihn eingedroschen hat. Zufrieden stelle ich fest, wie selbst Martin von der Reaktion des anderen Mannes beeindruckt ist. Mit hängenden Schultern steht mein Ex vor uns.

»Marie, es tut mir leid. Das wollte ich nicht. Ich kann mich wirklich ändern.« Er tut mir sogar leid, wie er so alleine da steht, doch ich kann nicht zurück. Ich habe dafür einfach keine Kraft mehr und bin dessen so müde geworden.

»Lass gut sein und geh einfach, ja?« Meine Stimme zittert. Ohne weiter auf Martin zu achten, sehe ich in die blassblauen Augen, die mich intensiv zu studieren versuchen. Auf der Stirn über ihnen zeichnet sich eine große Sorgenfalte ab. Mir läuft es eiskalt den Rücken hinab. So aufmerksam hat mich schon lange niemand mehr angesehen. Und wohin ist der eiskalte Glanz in seinen Augen so plötzlich verschwunden?

Tina schiebt sich vor Martin und liest ihm unverblümt die Leviten, bis dieser schlussendlich aufgibt und torkelnd das Weite sucht. Gegen Tina kommt er sowieso nicht an. Das weiß er genau.

Ich bemerke, wie der Fremde mich noch immer im Arm hält. Ganz deutlich kann ich die Wärme spüren, die ihn umgibt und mich nun ebenfalls umhüllt. Mit seinem Arm hält er mich weiterhin fest an sich gedrückt, so als hätte er Angst, mir könnte etwas Schlimmes geschehen, sobald er mich loslässt. Mir kommt es so vor, als wäre die Luft, die ihn umgibt, um ein so Vielfaches besser als all die restliche Luft dieser Welt. Tief hole ich Luft und fühle zum ersten Mal seit Minuten, wie sich meine angespannten Lungenflügel wohltuend weiten und den Sauerstoff dankbar in sich aufnehmen.

Als wir durch den Laden nach hinten ins Lager gehen, liegt seine Hand die meiste Zeit schützend in meinem Rücken. Obwohl wir kein Wort miteinander wechseln, habe ich das Gefühl, es ist ein stummes Abkommen zwischen uns beiden, und dass auch er die kleinen Berührungen gerade braucht. O Gott! Das ist so spooky. Ich brauche wirklich einen Psychiater. Dringend!

Kapitel 2

Marie

Tina geht eilig voraus und öffnet uns die Tür zum Lager, damit wir hindurchgehen können. In der Küche angekommen, wühlt sie auch gleich im Erste-Hilfe-Kasten. Mein Begleiter rückt mir einen Stuhl zurecht und setzt sich selbst auf den Stuhl daneben. Dann verschwindet seine Hand von meinem Rücken und hinterlässt eine eisige Kälte, die mich kurz frösteln lässt. Was passiert hier gerade zwischen ihm und mir? Doch eine Antwort auf diese Frage muss warten. Während ich mir den Kopf halte und mich mit den Ellenbogen auf dem Tisch abstütze, legt Tina nämlich schon los. Und das nicht zu knapp.

»Geht’s dir gut? Was war denn bloß los da draußen? Ich dachte, der Typ ist endlich Geschichte.« Für einen Moment hält sie inne und versucht, mich mit ihren Blicken zu fixieren. »Marie, du hattest dir doch fest vorgenommen, dich nicht mehr auf den Kerl einzulassen. Du weißt doch, dass das nichts bringt.« Mit einem lauten Schnarren stellt sie den Stuhl mir gegenüber zurecht und lässt sich draufplumpsen, ihre Augen weiter fest auf mich gerichtet.

»Glaubst du etwa, mir macht das Spaß, mich verprügeln zu lassen?«, bricht es aus mir heraus. »Glaubst du etwa, ich habe darum gebeten?« Ich fasse mir an die schmerzende Lippe, lasse jedoch sofort wieder los, da die Berührung alleine schon wehtut. Der Unbekannte rutscht neben mir auf dem Stuhl hin und her.

»Für mich sah es auch eher so aus, als hätte der Kerl das Stänkern angefangen«, gibt er mir sofort erneut Rückendeckung. Ein skeptischer Blick meiner Freundin streift ihn.

»Was hast du mit der Sache überhaupt zu tun?«, macht sie ihn auch gleich blöd von der Seite an. Sofort gehe ich dazwischen.

»Jetzt mach aber mal einen Punkt, ja? Schnauz ihn gefälligst nicht so an. Er kam mir zu Hilfe. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was geschehen wäre, wenn er mir Martin nach dem ersten Schlag nicht vom Leib gehalten hätte.«

Zufrieden nehme ich wahr, wie Tina darüber nachdenkt und sich dann wieder beruhigt. Versöhnlich hält sie dem Unbekannten ein Tuch hin. Sie scheint noch ganz gut im Gedächtnis zu haben, wie brutal Martin sein kann.

»Hier, nimm. Für deine Nase. Die blutet immer noch. Du hast da ganz schön was abbekommen. Ich bin übrigens Tina.« »Jonas.« Er nimmt das Friedensangebot an und hält sich das Tuch, welches Tina ihm hinhält, unter die Nase. »Und das mit der Nase ist nichts. Hauptsache dir ist nicht mehr passiert.« Dankbar blicke ich in seine blassblauen Augen, die mich mitfühlend ansehen. Mein Herz setzt zwei Takte aus. Warum nur habe ich das Gefühl, ihm geht es genauso?

Tinas Blicke gehen für einen Moment zwischen ihm und mir hin und her, bevor sie mir eine Jodflasche hinhält und den Zauber des Augenblicks bricht.

»Was soll ich damit?«, frage ich.

»Na, für deine aufgeplatzte Lippe. Wenn du nicht willst, dass sich das entzündet, solltest du besser Jod draufmachen. Ich muss wieder nach vorne in den Laden. Wenn ihr hier fertig seid, dann gehst du nach Hause und ruhst dich aus, verstanden? Ich mach deine Schicht zu Ende.« Sie drückt mir die Flasche in die Hand. Ich will protestieren, doch Tina fährt mir bereits über den Mund. »Keine Widerrede. Ich krieg das schon hin.« Einen letzten scharfen Blick auf Jonas gerichtet, verschwindet sie anschließend durch die Küchentür und lässt mich mit dem Fremden in der Küche alleine zurück. Ihr ist anzusehen, dass ihr seine Gegenwart hier bei mir gar nicht behagt.

Es wird still. Mit der Flasche in der Hand fühle ich mich wie in einem schlechten Film. Gequält lächele ich Jonas an. Jonas heißt er also. Ich mag den Namen. Nachdem ich die Flasche auf den Tisch gestellt habe, lege ich meine Hände in den Schoß.

»Du darfst ihr das nicht übel nehmen. Sie hat eine ganze Menge mit mir durchgemacht in den letzten Wochen. Da kann man verstehen, dass sie in Panik gerät, wenn sie Martin und mich in altbewährter Pose sieht. Da kommen quasi Erinnerungen hoch.« Noch immer hält er sich brav das Taschentuch unter die Nase.

»Ich verstehe. Du hast also nicht zum ersten Mal deinen Kopf hingehalten, was?« Darauf will ich jetzt nicht eingehen. Er scheint das zu spüren und hakt nicht weiter nach.

»Danke übrigens«, sage ich leise, denn ich habe mich noch gar nicht richtig bei ihm bedankt. Er schenkt mir ein strahlendes Lächeln.

»Kein Ding. Hab ich doch gern gemacht.«

»Tut es sehr weh?«, frage ich zaghaft. Mit dem Finger zeigt er auf seine Nase, und ich nicke. Lässig winkt er ab. Dabei steckt er das Taschentuch weg und nimmt stattdessen das Jodfläschchen zur Hand, welches immer noch vor mir steht, und öffnet es.

»Weißt du, Frauen zu schlagen ist das Allerletzte. Damit du aus der Schusslinie gerätst, hätte ich noch weitaus mehr über mich ergehen lassen. Wer war der Typ eigentlich? Ein Ex, nehme ich an?« Erneut weiche ich seiner Fragerei aus.

»Und dabei wolltest du nur eine Jeans kaufen, was?« Es dauert einen Moment, bis Jonas mir folgen kann, aber dann geht er geschickt auf meine Bemerkung ein.

»So kann´s gehen. Anstatt der neuen Hose hab ich eine charmante Bekanntschaft gemacht.« Ich stutze. Als er meinen Blick bemerkt, wirkt er direkt amüsiert. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht träufelt er etwas von dem Jod auf eine Kompresse. »Damit meine ich natürlich dich und nicht den Prügelknaben.« Im nächsten Augenblick kommt er mir mit der joddurchtränkten Kompresse näher. Verschreckt weiche ich zurück. Für einen Augenblick hält er inne. »Ich bin zwar kein Arzt, doch es wird sicher nicht schaden, wenn du ein wenig davon auf die Wunde aufträgst. Es wird zwar fürchterlich brennen, aber … darf ich?« Während ich darüber nachdenke, fragt er weiter: »Soll ich deine Kollegin lieber zurückholen, oder willst du vielleicht selbst …« Sofort unterbreche ich ihn.

»Nein, nein. Ist nicht nötig. Ich halt schon still. Versprochen.« Ich versuche zu lächeln und mir meine Beklemmungen nicht anmerken zu lassen.

Wieder kommt mir Jonas näher. Im nächsten Augenblick spüre ich, wie er mein Knie ganz leicht mit seinem Oberschenkel berührt. Sofort strömt eine prickelnde Hitze von dort aus, die sich wie ein Lauffeuer über meinen Körper verbreitet. Darauf war ich definitiv nicht vorbereitet. Ich bemerke, wie sich unter meiner Kleidung die kleinen, feinen Härchen aufstellen, und ich erschauere. Als wäre das noch nicht genug, umfasst er mit seiner linken Hand nun sachte mein Kinn. Er dreht mein Gesicht zu sich, um die kleine Wunde an der Lippe besser begutachten zu können. Mit leicht offen stehendem Mund schaue ich in seine blassblauen Augen hinein. Entschieden wendet er seine Aufmerksamkeit meiner Wunde an der Lippe zu. Die Kompresse in der anderen Hand bereits in Position haltend, vergewissert er sich noch einmal bei mir.

»Wie gesagt, es wird brennen. Kann es losgehen?«

»Mhm.« Tapfer nicke ich. Von seiner Nähe gebannt, schaue ich ihn nur die ganze Zeit über an, während sein Blick ruhig und besonnen auf meinem Mund ruht, dessen aufgeplatzte Lippe er nun vorsichtig mit der Jodkompresse abtupft. Er hat recht. Es tut wirklich weh. Sehr weh sogar. Doch ich reiße mich zusammen und halte tapfer durch.

Die ganze Zeit über schaue ich ihn an. Versinke quasi in der Tiefe seiner eisigen Augen, die mir das Gefühl geben, in die Antarktis zu blicken. So klar und rein wie das Wasser, das die Eisschollen am Südpol umspült, erscheinen sie mir. Seine Iris funkelt so glitzernd wie die Strahlen der Mittagssonne, die auf einen Eisberg treffen. Und doch sehe ich da auch diese unberechenbare Kälte in ihnen. Die Ungewissheit, was sich tief unter der Wasseroberfläche verbergen mag. Auch in ihm scheint dann und wann ein raues Klima zu herrschen – ähnlich wie auf dem weißen Kontinent. Und doch: Die Berührung seiner Hand auf meinem Kinn, der warmherzige Blick, mit dem er meine Wunde bedenkt, während er sie versorgt, lässt mich trotz der Schmerzen dahinschmelzen. Wer bist du? Frage ich ihn in meinen Gedanken. Eine Antwort bleibt er mir schuldig. Es ist ganz ruhig zwischen uns beiden. Nur das Klopfen meines Herzens und seinen regelmäßigen Atem höre ich.

Schließlich wage ich den Versuch eines Gesprächs. »Und? Passt die Hose wenigstens, die ich dir vorhin gebracht habe?« Er schmunzelt und schenkt mir kurz einen markdurchdringenden Blick, während er weiter an der Lippe herumtupft.

»Ja, sie passt perfekt. Ich habe eigentlich auch vorgehabt, sie zu kaufen, aber dann wurde ich unterbrochen.«

»Ich weiß gar nicht, wie ich das je wiedergutmachen kann. Ich meine, da bricht dir fast jemand die Nase, mit dem du eigentlich überhaupt nichts zu schaffen hast.« Jonas legt die Kompresse beiseite und lässt mein Kinn los. Er schaut mich an. Von seinem Augenaufschlag bin ich erneut völlig geflasht.

»Geschenkt. Im Übrigen hätte ich da eine Idee, wie du es wiedergutmachen könntest. Nur frage ich mich, ob es nicht dreist von mir wäre, dir das jetzt vorzuschlagen.« Meine verhaltene Reaktion bleibt ihm nicht verborgen. Er ist bereits im Begriff aufzustehen. »Ich lass es wohl besser. Ich will auch nicht aufdringlich sein oder so. War nur ein Gedanke.«

Abrupt und aus dem Nichts heraus halte ich ihn am Arm fest. Von meiner Reaktion überrascht, hält er inne und lässt sich langsam auf seinen Stuhl zurückfallen. Mit angespannter Neugier schaut er mir direkt ins Gesicht.

»Vielleicht solltest du es einfach machen«, spreche ich meine Gedanken aus, ohne groß darüber nachzudenken. Sein Blick bleibt verhalten. »Wenn du es nicht tust, wirst du niemals erfahren, was ich geantwortet hätte. Und ich würde darüber grübeln, was du mich fragen wolltest. Wir beide würden vor uns hin brüten und doch zu keiner Antwort kommen, weil du dich eben einfach nicht getraut hast.« Er stutzt. Wirkt überrascht und amüsiert zugleich. »Zu konfus?«, möchte ich von ihm wissen.

Er lehnt sich gegen die Stuhllehne. »Nein, nein. Gar nicht. Was du sagst, macht durchaus Sinn. Irgendwie. Nehme ich an.« Langsam fange ich an, mich an seinen glasklaren Blick zu gewöhnen. »Also gut«, höre ich ihn schließlich reden. Vor Nervosität beiße ich mir auf die Unterlippe. Davon lasse ich jedoch ganz schnell wieder ab, da die Lippe immer noch höllisch schmerzt und mich zusammenzucken lässt. Jonas bleibt das nicht verborgen. »Vorsicht, dein Mund! O Mann. Ich frag jetzt wohl mal besser, was?«

»Keine schlechte Idee«, versuche ich, die Situation etwas aufzulockern. Seine ganze Körperhaltung verrät, wie aufgeregt er gerade ist.

»Ich weiß, es ist so ziemlich der unpassendste Moment überhaupt. Wenn man bedenkt, dass ich noch nicht einmal weiß, ob du mit dem Typen von vorhin noch was am Laufen hast, dann muss ich schon ziemlich neben der Spur sein, es überhaupt in Erwägung zu ziehen, aber ich riskier es jetzt einfach mal.« Tief holt er noch einmal Luft. Dann lässt er die Katze aus dem Sack. »Also. Wie sieht es aus? Würdest du vielleicht mal mit mir ausgehen?« Nun ist ausgesprochen, was seit seiner Andeutung sowieso schon im Raum lag.

Ich muss einmal kräftig schlucken. Wie lange ist das noch mal her, dass ich zuletzt so eine Frage gestellt bekommen habe? Es kommt mir vor, als wäre dies in einem anderen Zeitalter geschehen. Ich hatte schon ganz vergessen, welch unglaubliche Schmetterlinge in einem herumwirbeln können, wenn man diese Art von eine Aufmerksamkeit geschenkt bekommt. Aber trotzdem fällt es mir schwer, den Kopf auszuschalten. Es ist einfach zu viel geschehen in der letzten Zeit. Verlegen druckse ich herum. Meine Füße wippen nervös ganz leicht auf und nieder.

»Ich hab mir schon gedacht, dass du mich das fragen willst, und ich bewundere echt deinen Mut dafür.« Sein verhaltener Blick lässt mich augenblicklich aussprechen, was mir durch den Kopf geht. » Entweder liebst du das gefährliche Abenteuer, oder dein Schädel hat vorhin bei dem Schlag mehr abbekommen, als wir denken. Schließlich hast du keine Ahnung, wie Martin drauf sein kann, wenn er erst so richtig wütend wird. Und wenn er mitbekommen sollte, wie wir beide miteinander ausgehen, dann wird er wirklich wütend. So richtig wütend! Glaube mir. Willst du so ein hohes Risiko echt eingehen? Wegen einer Unbekannten wie mir?«

Jetzt muss Jonas kurz auflachen. »Also wirklich. Glaubst du, dass würde mich abhalten? Ich kann nur ehrlich sagen, wie bezaubernd ich dich finde. Schon in der Umkleidekabine habe ich mich bei dem Gedanken an ein Date mit dir ertappt. Ich habe also keine Bedenken, mich mit dir zu verabreden. Zudem gestehe ich: Es wäre mir egal, falls ich deswegen mit diesem Kasper von vorhin noch einmal Ärger kriegen würde. Im Gegenteil.« Provokativ endet Jonas hier.

»Wie meinst du das: im Gegenteil?«, hake ich nach. Obwohl ich ihm ganz deutlich ansehen kann, wie sehr er mit einer Antwort auf meine Frage ringt, bleibt er sie mir letztendlich schuldig.

»Niemand sollte solche Erniedrigungen über sich ergehen lassen. Schon gar nicht von dem Menschen, den man liebt«, ist alles, was ich zu hören bekomme. Verlegen rutsche ich auf meinem Sitz hin und her. Mir ist unangenehm, wie direkt Jonas mit mir spricht und wie schnell er die Machtverhältnisse zwischen Martin und mir erkannt hat.

»Jetzt wirst du aber ziemlich persönlich.« Sofort schaltet Jonas zwei Gänge runter, nachdem er begreift, wie unangenehm mir das ist.

»Verzeih. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Geht mich ja eigentlich auch nichts an.«

»Nein. Ist schon okay«, erwiderte ich schnell. »Ist nur ungewohnt, von einem völlig Fremden den Spiegel vorgehalten zu bekommen. Im Übrigen bin ich auch gar nicht mehr mit Martin zusammen. Seit etwa fünf Wochen nicht mehr.« Ich weiß zwar nicht warum, aber dass Jonas für einen Augenblick länger glauben könnte, ich wäre doch noch irgendwie mit Martin zusammen, ist mir unangenehm. Jonas scheint ebenfalls froh, über meinen Beziehungsstatus nun offiziell im Bilde zu sein.

In diesem Augenblick wird mir bewusst, was er zu Anfang gesagt hat. Bezaubernd hat er mich genannt. An ein Date mit mir hat er gedacht. Und jetzt schaut er mich erwartungsvoll an, nachdem er sich dazu durchgerungen hat, mich tatsächlich um ein Date zu bitten. Und was tue ich? Ich druckse nur herum. Warum eigentlich? Ich bin schließlich frei und ungebunden. Zugegeben, mit den Nerven in der letzten Zeit ziemlich zu Fuß unterwegs, aber ich habe die letzten Monate auch nicht sonderlich viel zu lachen gehabt. Vielleicht ergibt sich hier gerade eine Gelegenheit, dies zu ändern. Außerdem kann ich nicht abstreiten, was für eine faszinierende Wirkung dieser Jonas auf mich hat. Schon so lange habe ich kein Kribbeln mehr in der Magengegend verspürt – jedenfalls keines von der positiven Art. Und überhaupt wusste ich bis vor gut einer halben Stunde überhaupt nicht mehr, wie schön es sein kann, wenn sich ein wohliger Schauer über den Rücken verbreitet durch die bloße Berührung eines Armes.

Ein erneuter Blick in seine Augen verrät mir, dass mir seine ungeteilte Aufmerksamkeit noch immer gehört. »Und du willst wirklich mit mir ausgehen?« Jonas lehnt sich wieder entspannt in seinem Stuhl zurück, und seine warme, klare Stimme hallt durch den Raum.

»Nenn mich meinetwegen völlig durchgeknallt, aber ich habe das Gefühl, du könntest die Antwort auf all meine Fragen sein.«

Wow! Das flasht mich. Fühle ich doch etwas in mir, von dessen Existenz ich bisher nichts geahnt habe. Genau die gleiche Erkenntnis lese ich in seinem Blick, und das macht diesen kleinen Moment zu etwas Besonderem. Wir zwei … wir kennen uns noch keine Stunde, und doch fühle ich es ganz deutlich. Zwischen uns beiden besteht irgendeine Verbindung. Fühlen? Ja. Begreifen? Nein!

»Okay.« Ich hauche das Wort mehr, als dass ich es ausspreche. Ungläubig wirkt sein Blick, so als ob er nicht richtig gehört hat. »Okay. Ist gut«, sage ich erneut. »Gehen wir miteinander aus. Ich bin dabei.« Ein Strahlen huscht über sein Gesicht.

Im nächsten Moment kommt Tina durch die Küchentür und bleibt überrascht im Türrahmen stehen. »Ihr seid ja immer noch hier. Ich dachte, ihr wärt längst über alle Berge.« Ertappt blicken Jonas und ich uns verschwörerisch an. Es ist Tina deutlich anzusehen: Sie hätte nun gerne gewusst, was in den letzten Minuten hier zwischen uns vorgegangen ist. Ich spüre direkt die Neugierde meiner Freundin. Hektisch springe ich auf und gebe Jonas zu verstehen, dass es jetzt besser wäre zu verschwinden, falls wir uns nicht einem Verhör stellen wollen.

»Wir sind quasi schon weg. Danke noch mal, dass du die Schicht für mich zu Ende machst. Ich ruf dich heute Abend an und erzähl dir dann, wie es mir geht.« Tina stellt sich mir in den Weg und schaut mir direkt in die Augen. Ihr ist mein leicht hysterischer Tonfall durchaus aufgefallen.

»Alles klar mit dir?«, fragt sie argwöhnisch. »Ist was mit deinem Kopf?« Hilfe suchend blicke ich zu Jonas hinüber.

»Sie hat tatsächlich Kopfschmerzen. Ich begleite sie eben noch zur Apotheke und bringe sie dann nach Hause, damit sie da auch sicher ankommt.« Es klingt so erschreckend selbstverständlich, was er da sagt.

»Ach so«, meint Tina und scheint tatsächlich zufrieden mit der Erklärung. »Dann komm gut nach Hause und ruh dich aus. Wir reden später.« Sie nimmt ihr Päckchen Zigaretten vom Küchentisch. »Ciao, Jonas. Man sieht sich«, hören wir sie noch sagen, dann ist sie wieder verschwunden.

Mir ist nun wirklich schwindelig, und der Kopf fängt tatsächlich an zu schmerzen. Die Augen werden mir schwer wie Blei. Ein unwohles Gefühl in der Magengegend macht sich bemerkbar. Ich spüre Jonas‘ Blick, der sorgenvoll auf mir ruht, und ich fühle erneut die Berührung seiner Hand in meinem Rücken, die mich frei aufatmen lässt.

»Das Aufstehen ist dir nicht sonderlich bekommen, was? Du siehst gar nicht gut aus.«

»Vielleicht ist deine Idee mit der Apotheke gar nicht so schlecht. Ich bekomme tatsächlich Kopfweh.« Schnell nehme ich meine Jeansjacke vom Haken, schultere meine Handtasche und verlasse mit Jonas zusammen durch den Hintereingang den Laden.

Kapitel 3

Marie

Die frische Frühlingsluft und der leichte Wind tun mir gut.

»Wäre auch ein Wunder gewesen, wenn du keine Kopfschmerzen bekommen hättest«, schlussfolgert Jonas, während wir uns auf den Weg zur nächsten Apotheke machen. »Das war ein handfester Faustschlag, den du vorhin abbekommen hast. Die Meisten wären danach k.o. gegangen.« Ich weiche seinem Blick aus und versuche es einfach mal mit Humor.

»Ich nicht. Ich hab genügend Übung darin. Hab einen Hang zu gewalttätigen Männern. Das ist bei mir angeboren, nehme ich an.« Ultraschwarzer Humor, denke ich und bin neugierig, ob Jonas versteht, wie ich es meine.

Im ersten Moment scheint er wie vor den Kopf gestoßen. Schmerzverzerrt erstarrt seine Miene zu Eis. Doch dieser Augenblick dauert wirklich nur den Bruchteil einer Sekunde, sodass ich schon beginne, an mir zu zweifeln, ob ich das gerade eben überhaupt richtig gedeutet habe. In sich hinein schmunzelnd, schaut er mich gleich darauf amüsiert von der Seite her an.

»Auf den Mund gefallen bist du schon mal nicht, und hart im Nehmen scheinst du auch zu sein. Für die erste halbe Stunde hab ich eine ganze Menge über dich erfahren können.« Angestachelt von seinen Worten, erwidere ich belustigt:

»In der Tat, Mister Unbekannt. Und was weiß ich von dir bisher? Ich kenne nur deinen Vornamen und deine Konfektionsgröße.«