Drei Wünsche - Petra Oelker - E-Book

Drei Wünsche E-Book

Petra Oelker

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Beschreibung

Zimtpunsch und Quittenbrot: Weihnachten im historischen Hamburg Dezember 1773. Auf dem Weihnachtsmarkt im Hamburger Dom, mitten im Gedränge der Marktleute und ihrer flanierenden Kundschaft, suchen drei Frauen das Glück: Theda hat ihre Stellung verloren, eine Vernunftehe in der ostfriesischen Heimat scheint der einzige Ausweg. Madame Augusta hadert mit dem Tod ihrer alten Vertrauten, trotz des Trubels fühlt sie sich allein. Elsi hat sich verliebt, doch ihr Vater ist alles andere als einverstanden mit ihrer Wahl. Drei Frauen, Drei Wünsche. Sie alle hoffen auf ein Weihnachtswunder ...

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Petra Oelker

Drei Wünsche

Eine Weihnachtswundergeschichte

Illustriert von Andrea Offermann

Du siehst dich um, woher du kommst, wohin du gehst.

Versuchst abzuschätzen, was noch vor dir liegt.

Ob es sich lohnt. Seitensprünge werden denkbar.

Querfeldein oder geradeaus, den Augen nach.

Wohin du dich auch wendest, es ist dein Weg, dein Tag.

Barbara Krohn

Für Kickel und Gerd,

natürlich wegen Weihnachten

Im Dezember 1773

ie vier kräftigen, gut im Futter stehenden Braunen scharrten ungeduldig mit den Hufen und schnaubten unternehmungslustig, als erwarte sie ein netter Ausflug in die Marsch und nicht Stunde um Stunde harte Arbeit im Geschirr der Postkutsche. Wie immer kurz vor der Abfahrt war das Gedränge auf der Hohen Brücke auch an diesem Samstagmorgen groß. Niemand blickte wie sonst hinunter auf den Binnenhafen, zwischen den Masten der Ewer und Großsegler hindurch auf die weite Insellandschaft südlich der großen Stadt. Dem schönen Ausblick, den man alle Tage und dazu ganz umsonst genießen konnte, hatten alle den Rücken zugewandt, um das Geschehen vor der Poststation zu beobachten.

Die meisten waren nur Neugierige, die fanden sich immer hier oder an den Posten der anderen Linien ein, um zu schauen, wer ankam oder die Stadt verließ, in welcher Kleidung und mit welchem Gepäck, auch in welcher Stimmung, wer von wem abgeholt oder hergebracht wurde. Abfahrten verursachten größere Aufregung bei denen, die sich für lange Zeit verabschiedeten und den Gefahren der Straßen aussetzten, ebenso wie bei den Gaffern, von denen die meisten kaum je weiter gekommen waren als bis nach Altona, Wandsbek oder Bergedorf. Die Vorstellung von dem Land und dem Leben jenseits der Elbe, von Achsenbrüchen, mörderischen Straßenräubern und durchgehenden Pferden rief stets einen wohligen Kitzel hervor, diese überaus anregende Mischung aus Abenteuerlust und Furcht vor Gefahren und dem Fremden ganz allgemein.

An diesem Samstagmorgen warteten alle auf die Abfahrt der Kutsche über Bremen nach Ostfriesland, was nicht so weit war wie Wien oder Antwerpen, Moskau gar, aber auch eine ordentliche Strecke. Die Räder sollten schon seit einer halben Stunde rollen, aber zuerst hatten der Kutscher und der Postillion mit dem Verstauen des Gepäcks auf dem Dach mehr Mühe als gewöhnlich gehabt, was vor allem an einem unerwartet sperrigen, nahezu einer Kommode gleichenden Weidenkorb gelegen hatte, und als endlich alles verstaut war und die Fahrgäste einstiegen, gab es ein neues, höchst seltenes Problem.

Eine Frau von vielleicht dreißig Jahren stand unschlüssig vor der Kutsche, anstatt hurtig einzusteigen. Unter ihrem aus gutem Wollstoff gefertigten burgunderfarbenen Mantelumhang trug sie ein schlichtes Gewand, das dem Dezemberwetter kaum trotzen konnte, ihr glattes rotblondes Haar war streng und schmucklos frisiert, an einer Kordel um ihren Hals hing ein Muff aus Kaninchenfell. Ihre Hände waren Arbeit gewöhnt, das sah man, sie umklammerten ein geknotetes Bündel, über der rechten Schulter der Reisenden hing ein weiteres. Ihr Gesicht war bleich, die Augen dunkel, die Lippen fest aufeinandergepresst.

«Nu’ aber los, Madam», rief der Kutscher vom Bock herunter. «Wir haben schon Verspätung! Einsteigen und los. Oder wir fahr’n ohne Euch. Entscheidet flink, ruck, zuck, wir könn’ keine Zeit mehr vertrödeln, was denkt Ihr bloß.» Und leise in seinen Kragen murmelte er noch: «Blöde Weiber, könn’ sich nie entscheiden.»

Die Frau machte einen Schritt auf die Kutsche zu, ihr Gesicht sah plötzlich sehr jung und verletzlich aus, sie setzte den Fuß auf den Tritt, nahm ihn wieder herunter, setzte wieder an – und wäre nicht just in dem Moment ein sehr junger Mann angerannt gekommen, ganz außer Atem, mit wehendem Mantel, den Hut im Rennen schon verloren und heftig winkend, wer weiß – wahrscheinlich wäre Theda Harling, die unentschlossene Frau vor der Kutsche, eingestiegen, und ihr ganzes Leben wäre anders verlaufen. Wahrscheinlich? Nein, ganz sicher. So ist es eben manchmal, man kann es Zufall nennen. Oder Schicksal? Bestimmung? Am besten, man nennt es einfach das Leben.

«Wartet», keuchte der junge Mann zu dem Kutscher hinauf. «Ich muss auch mit, unbedingt! Es geht, na ja, ich sage mal um Leben und Tod! Ich muss sofort nach Bremen, heute noch, meine ich. Ich MUSS! Und wenn ich der Kälte trotze und auf dem Dach mitfahre.»

«Zu spät», knurrte der Kutscher, der Postillion putzte gelangweilt mit dem Ärmel über sein Horn und setzte es schon mal an die Lippen, er war solche Verzögerungen gewöhnt, die meisten Menschen waren schlecht organisiert. «Der Wagen ist voll», erklärte der Kutscher, «das seht Ihr doch. Wo gibt’s denn so was, kein Billett reservieren und einfach herkommen und ’n Platz fordern? Auf dem Dach», er wies mit dem Daumen hoch zum Kutschendach, wo für gewöhnlich die billigen Plätze Raum für zwei oder drei, notfalls vier Reisende boten, «ist auch alles voll. Ja, alles voll. Es sei denn», er wies mit dem Daumen nach unten auf Theda Harling, die immer noch wie eine Salzsäule vor dem Schlag stand, «diese Madam entschließt sich endlich und bleibt hier.»

«Bitte!» Der Neuankömmling, er war übrigens ausgesprochen hübsch, was ihm schon häufig zum Vorteil gereicht hatte, fiel vor Theda auf die Knie und hob flehend die Hände. «Bitte, Madam, habt ein Herz und überlasst mir Euren Platz, Euer Billett. Ihr rettet mein Leben.» Für so einen Appell leuchteten seine Augen erstaunlich vergnügt.

Inzwischen hatte sich der Kreis der Schaulustigen enger um die Kutsche und dieses ergötzliche Theater gezogen, doch bevor sie das Für und Wider abwägen konnten und begannen, gute Ratschläge zu rufen, geschah, womit niemand, auch nicht der aufgeregte junge Mann, gerechnet hatte. Vielleicht nicht einmal Madam Harling. Plötzlich wurden ihre Lippen weich und ihre Augen froh. Sie nestelte ihr Billett aus dem Muff und rief zum Kutscher, er möge ihre Reisetasche vom Dach holen. Gegen die stürmische Umarmung des, wie schon erwähnt, ausgesprochen hübschen jungen Mannes wehrte sie sich nur wenig, ebenso gegen die großzügig bemessene Erstattung des Fahrpreises. Dann ging alles ganz schnell, ihre Tasche fiel direkt vor ihren Füßen auf die Erde und der Schlag hinter dem neuen Fahrgast in seine Raste, das Posthorn tönte grell, und die Pferde zogen an.

Als die Menge sich schon aufgelöst hatte, stand Theda Harling noch auf der Brücke und sah der verschwundenen Postkutsche nach. In ihrer Miene war nicht zu lesen, was sie dachte oder fühlte, das wusste sie selbst nicht genau. Endlich beschloss sie, froh zu sein und auf diesen Zufall, das Schicksal oder was auch immer zu vertrauen, womöglich war sogar ihr Schutzengel im Spiel. So, wie es war, musste es gut und richtig sein – hätte sie sonst zuvor vergessen, den Schlüssel zu der Wohnung in der Mattentwiete abzuliefern? Zu der Wohnung, die ihr nun den Unterschlupf gewähren konnte, ohne den sie nicht hätte bleiben können?

Im Übrigen war es müßig zu hadern. Die Kutsche war weg. In ihrem Muff steckte der Schlüssel, es wäre schändlich, das nicht zu nutzen. Nur für einige Tage, bevor sie dorthin zurückkehren musste, woher sie vor fünf Jahren gekommen war, um wieder eine ehrbare und gottesfürchtig dienende Ehefrau zu werden. Manch andere Witwe hätte sie beneidet, leider war ihr der Mann zuwider, der in der schläfrigen kleinen Stadt inmitten weiter Moore in eintönig verlaufenden Tagen, Wochen, Jahren auf sie und vor allem ihre Dienste wartete, ihre Dienste in Haus, Stall, Garten und Schlafkammer. Sie hatte vergeblich nach einem Ausweg gesucht, ihr blieb keine Wahl. Hätte sie eine Neigung zur Theatralik gehabt, hätte sie heute Morgen auf dem Weg zur Kutsche gedacht, es fühle sich an wie der Weg zum Schafott. Das war zweifellos ein bisschen übertrieben, dennoch hatte sie sich vorgestellt, einfach davonzulaufen.

Sie tastete nach dem Schlüssel, als könne er plötzlich verschwunden sein, nahm ihre Bündel und die Tasche und machte sich endlich auf den Weg zu der Wohnung, zu deren Schlüssel ihr das Glück verholfen hatte. Diese letzten Tage des Jahres blieben ihr, ihr ganz allein, heimlich und unbewacht.

Gut möglich, dass sie verrückt war.

Tatsächlich war Theda Harling eine überaus vernünftige Frau. Das hatte das Leben sie gelehrt, obwohl niemand behaupten könnte, es sei ungewöhnlich reich an dramatischen Ereignissen oder Schicksalsschlägen gewesen. Wenn sie darüber nachdachte, was sie in den letzen Wochen notgedrungen hatte geschehen lassen müssen, kam sie zu dem Schluss, sie habe sogar stets im rechten Moment Glück gehabt.

Als ihr Vater starb zum Beispiel, sie war noch ein kleines Mädchen gewesen, hatte ihre Mutter einen neuen Ehemann gefunden, der auch das Kind aufnahm, anstatt es zur Arbeit auf einen der umliegenden Moorhöfe zu geben. Natürlich hatte sie es ihm mit Fleiß und Gehorsam vergolten, erst recht, als die Halbgeschwister geboren wurden, fünf an der Zahl.

Auch dass just Friedrich sie zur Ehefrau wählte, war Glück gewesen, besonders, weil er sie mit in ein neues Leben nahm. Auch zur rechten Zeit und zur Zufriedenheit von Mutter und Stiefvater, die Halbschwestern waren längst groß genug, ihren Platz und ihre Pflichten im Haus zu übernehmen.

Sogar als Friedrich plötzlich starb, hatte sie bei allem Unglück wieder Glück gehabt, als sie die Anstellung bei Madam Zoller fand. Die hätte eine bessere Bedienstete einstellen können, eine, die neben der Küchenarbeit hübsch zu singen und vorzulesen, Gedichte und Psalmen zu deklamieren verstand. Vielleicht sogar auf Französisch, einer Sprache, die Madam liebte, obwohl sie selbst sie nur äußerst unzulänglich beherrschte. Sogar eine, die sich auf den Umgang mit dem Cembalo verstand, das ungenutzt im Salon verstaubt war.

Doch sie hatte sich für Theda entschieden, die wenig von den feinen Künsten, aber einen Haushalt zu führen und auf dem Markt zu handeln verstand und auch sonst keine Arbeit scheute. So war Theda von der Ehefrau und jungen Witwe wieder zur Dienstbotin geworden, von der jungen Madam zur Mamsell, trotzdem war auch das ein Glück gewesen.

Ja, Theda war eine durch und durch vernünftige Frau. Nur hin und wieder unterliefen ihr kleine Leichtfertigkeiten, wie im Sommer der Kauf dieser fünf so wunderbar polierten Hornknöpfe. Sie sahen fast wie Schildpatt aus. Oder Unbeherrschtheiten, wie diese irritierenden Tränen am Ende des rührseligen Romans, den Madam Zoller ihr überlassen hatte.

Einmal in ihrem nun schon drei Jahrzehnte währenden Leben war sie sogar sehr unvernünftig gewesen. Ihr Herz war damals schwach geworden, und es hatte sich nicht ausgezahlt (mit diesem Wort hätte Friedrich es benannt). Es war nur ein Sommersturm gewesen, ein törichter, wunderbarer Sommersturm. Dann hatte Simon angeheuert, sein Schiff war verschollen, untergegangen oder von den Barbaresken aufgebracht. Das hieß es von vielen Schiffen, und kehrten nicht trotzdem einige zurück? So hatte sie gewartet, Jahr um Jahr. Auch das war natürlich töricht gewesen. Es war lange her.

Der Einfall, der sie vergangene Nacht nicht hatte schlafen lassen, war verwegen. Womöglich flackerte unter aller Vernunft noch eines dieser tückischen Flämmchen, die ein geordnetes sittsames Leben unversehens schlingern lassen.

Theda war trotzdem an diesem Morgen des 18.Dezember anno 1773 mitsamt ihrem Gepäck in den Hausflur hinausgetreten, um sich auf den Weg zur Kutsche zu machen, die Stadt zu verlassen und sich in ihre Zukunft zu fügen.

Die Tür hatte sich nur widerwillig zuziehen lassen, auch der Schlüssel hatte sich schwerer als gewöhnlich im Schloss gedreht. Sie hatte prüfend die Klinke heruntergedrückt, dann hatte sie den Schlüssel dem Mann gereicht, der wartend neben ihr stand und von nun an über die Wohnungen des Hauses wachte.

«Tut mir wirklich leid.» Der Hauswart hatte die Fäuste mitsamt dem Schlüssel in die ausgebeulten Rocktaschen geschoben. «So kurz vor Weihnachten. Wenn’s nach Madam Zoller gegangen wäre – aber ihr Ältester war schon immer ein ruppiger Kerl. Soll ich wirklich keinen Träger rufen? Bis zur Hohen Brücke – das ist kein Katzensprung, und die Taschen sind viel zu schwer für so ’ne zarte Person. Dazu ohne Handschuhe», er hatte missbilligend schnalzend die Lippen gespitzt, «so ’n Muff mit Kaninchenfell ist hübsch, aber nur für Damen, die ihre Hände nicht gebrauchen. Na denn, geht mich ja nichts an, Mamsellchen. Gut, dass Ihr Euer Daunenbett dabeihabt. Im Dezember in der Kutsche bis Ostfriesland – das wird ungemütlich, wahrhaft ungemütlich.»

An seine Hutkrempe tippend, war er die Treppe hinuntergestapft, die Schultern hochgezogen, als schütze er sich schon vor dem vom Fleet herüberwehenden Dezemberwind. Unwillkürlich hatte auch Theda die Schultern gehoben, als sie seinen Schritten nachlauschte, und sich verboten zu seufzen. Dabei hätte sie sehr gerne geseufzt, sie hätte allen Grund dazu gehabt, genau betrachtet sogar für eine ganze Reihe von Seufzern.

Die größte Angst vor der Rückkehr hatte sie erst in der vergangenen Nacht gespürt, zum ersten Mal einen Anflug von Verzweiflung, weil es ihr in der kurzen Spanne Zeit nicht gelungen war, ein neues Leben zu finden. Ein neues Leben. Das hörte sich groß an, für eine einfache Person wie Theda Harling geradezu pompös. Tatsächlich bedeutete es nur eine neue Anstellung, wahrscheinlich eine erheblich weniger angenehme als die bei Madam Zoller. Aber es wäre der Ausweg.

Entschlossen hatte sie den Mantelumhang zurückgeschlagen, ein Abschiedsgeschenk ihrer großzügigen Dienstherrin, für das sie zutiefst dankbar war. Er war nur wenig getragen, aus dem soliden, warm gefütterten Tuch stieg leichter Bergamottgeruch auf. Theda hoffte, der Duft werde sie noch lange an Madam Zoller erinnern. Sie hatte sich das große, aber leichtere ihrer Gepäckstücke auf den Rücken gebunden, Daunenbett und Kissen zusammengerollt in einem Umschlagtuch aus weicher Wolle. Das war groß genug, auch als Decke zu dienen. Dann hatte sie mit der Rechten das in einem verknoteten Leintuch verstaute Bündel gegriffen, mit der Linken die alte Reisetasche, die Friedrich gehört hatte, und begonnen, behutsam die Stufen hinunterzusteigen.

Madam Zoller hatte nie darauf bestanden, dass ihre Gesellschafterin und Mamsell die so schmale wie düstere Stiege vom Hintereingang benutzte. Die Treppe im Vorderhaus war breit und licht. Wie etliche der schönen vier oder fünf Etagen hohen Bürgerhäuser hier in der Großen Reichenstraße war auch dieses erst gut drei Jahrzehnte alt. Da gab es kein krummes Fachwerk mehr, kein löchriges Dach, dafür helle Räume mit ebenen Fußböden, gut schließende Fenster und Türen, solide Kachelöfen. Madam Zoller hatte nur die Beletage bewohnt, aber das Haus gehörte ihr, genauer gesagt: Es hatte ihr gehört.

Theda sah die Postkutsche davonrollen und machte sich auf den Weg zur Mattentwiete. Vielleicht war das Haus der Grund, warum der junge Zoller von heute auf morgen seine Mutter bei sich in Antwerpen haben wollte, überlegte sie. Dieser Anfall von Sohnesliebe und Fürsorge! Erst war ein Brief gekommen, gleich darauf er selbst, einen Käufer für das Haus hatte er parat, so war rasch gegangen, was gewöhnlich etliche Wochen in Anspruch nahm. Das Haus war ruck, zuck verkauft, einige kostbarere Teile von Hausrat und Möbeln nach Antwerpen expediert, der größere Rest stand zur Auktion bereit. Madam Zoller hatte reisefertig dagestanden, schwankend zwischen dem Kummer des Abschieds von der Stadt, in der sie ihr ganzes Leben verbracht hatte und ihre alten Freunde zurückließ, und dem Glück, von der Familie ihres Sohnes aufgenommen zu werden, endlich den Enkeln nah zu sein. Das Haus in allerbester Lage hatte einen grandiosen Preis erzielt, Wohnraum jeder Art war knapp in der übervölkerten Stadt. Gut möglich, Zoller sehnte sich weniger nach der Nähe seiner alten Mutter als vielmehr nach deren Besitz.

Madam Zoller hatte ihre vertraute Mamsell mitnehmen wollen, aber ihr Sohn hatte verkündet, Dienstboten gebe es in seinem Haus schon jetzt mehr als genug, die Mamsell habe ihren Lohn für das nächste Quartal erhalten, sie finde leicht einen Platz in einem anderen reputierlichen Haus.

Theda hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als zu erklären, dass sie mit ihrem letzten Lohn die letzten Schulden getilgt hatte, die ihr aus Friedrichs Teehandel geblieben waren. Madam Zoller hatte mit bedauerndem Nicken Thedas Hand gestreichelt. Nun bestimmte ihr Sohn über ihr Leben wie früher ihr Ehemann, so lief die Welt. Als brave alte Dame und gute Mutter würde sie ihm als Oberhaupt der Familie kaum widersprechen. Sie liebte ihn, und er war die Sicherheit ihres Alters.