DSA 76: Der Tag des Zorns - Daniela Knor - E-Book

DSA 76: Der Tag des Zorns E-Book

Daniela Knor

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Beschreibung

Vor langer Zeit in der altehrwürdigen Zwergenbinge Xorlosch: Calaman, Sohn des Curthag, betet Aghira an und bat sie, seine Frau zu werden. Mit der Erlaubnis ihres Vaters stellte sie dem Verehrer eine schier unlösbare Aufgabe - er sollte ein Stück aus dem Hort des Drachengottes Pyrdacor entwenden. Calaman nahm die Aufgabe an. 15 Jahre später rechnet niemand mehr mit seiner Rückkehr … außer Cendrash, einem Hauerlehrling, der von seinem Cousin träumt. Und tatsächlich, Calaman hält Einzug in die Binge, ein rauschendes Fest wird gefeiert. Hat er seine Aufgabe erfüllt? Und wird er damit den legendären Friedenspakt mit den Drachen gefährden?

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Daniela Knor

Der Tag des Zorns

Ein Roman in der Welt von Das Schwarze Auge©

Originalausgabe

Impressum

Ulisses SpieleBand 76

Kartenentwurf: Ralf Hlawatsch E-Book-Gestaltung: Michael Mingers

Copyright © 2014 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems.DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN, DERE,MYRANOR, RIESLAND, THARUN und UTHURIA sind eingetragene Marken der Significant GbR.

Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt.

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Ulisses Spiele GmbH, Waldems, gestattet.

Print-ISBN 978-3-89064-573-5 E-Book-ISBN 9783868898835

Die Koschberge und Umgebung in der heutigen Zeit

Prolog

Das Echsenreich Zze Tha, 3075 v. BF

Der Zwergstarrte angestrengt durch die Sehschlitze der Echsenmaske in die Dunkelheit.Seine Augen konnten bei Nacht zwar besser sehen als diejedes Menschen, aber so gut wie Eulenaugen waren sie auchnicht. Und die Maske, aus dem Schädel eines Echsenwesens gefertigt, machte dieSache nicht einfacher.

Er fragte sich, ob eine echte Echseauch nur einen Augenblick auf diese lächerliche Verkleidung hereinfallen würde.Schließlich gab es keine Marus, die so klein und stämmig warenwie ein gestandener Angroschim. Der Mann hinter ihm, Assaf Sohn desKasim, trug ebenfalls eine Maske, aber er mochte mehrGlück haben, denn er war groß und schlank wie vieleMenschen seines Stammes.

„Was ist los, Calaman?“, fragte Assafleise. „Warum bleibst Du stehen?“

Calaman Sohn des Curthag hobdie Hand und gebot seinem Gefährten zu schweigen.Voller Ungeduld,diese Menschen, dachte er missbilligend.Sie sind so kurzlebig undhaben niemals Zeit.Wobei er sich eingestand, dass Ungeduld aucheinfach Assafs persönlicher Makel sein konnte, denn Calaman kannte sonstkeinen Menschen näher. Bis vor wenigen Jahren hatte er nichteinmal von der Existent dieser Wesen gewusst.

„Ich dachte, ich hätteeine Bewegung gesehen“, flüsterte er Assaf zu. „Dort, hinter demkleinen Felsbrocken.“

Assaf blickte in die angegebene Richtung. Zumindestdrehte sich die Maske dem Felsen zu. Mehr konnte Calamannicht erkennen.

„Da ist nichts“, behauptete der junge Menschenmann.„Sei zuversichtlich! Feqz ist mit denen, die in Dunkelheit undheimlich handeln.“

„Bei Angrosch bin ich mir da nicht sosicher“, brummte der Zwerg und huschte dann, so leichtfüßig wiedas in schweren Stiefeln möglich war, zu dem bezeichneten Felsbrocken hinüber. DerEchsenschwanz, der zu seiner Kostümierung gehörte, schleifte hinter ihm überden Sand.Bei Angroschs Bart, dachte Calaman angewidert,ichmuss lächerlich aussehen!Außerdem schwitzte er unter der schweren, geschupptenHaut sogar in dieser kalten Nacht.

Vorsichtig spähte er umden Felsen herum und zog rasch den Kopf zurück.Assaf war ihm mittlerweile gefolgt und wandte ihm die Maskezu. Wahrscheinlch blickte er ihn darunter fragend an. Calaman schlossdies jedenfalls aus dem schief gelegten Echsenkopf. Lautlos ahmte er den watschelnden Gang eines Marus nachund deutete energisch über den Steinblock. Assaf nickte verstehend.

Calaman zog seine Streitaxt unter derTarnung hervor, ein Meisterstück zwergischer Schmiedekunst, das ervon seinem Großvater Curoban geerbt hatte. Curoban war einer deracht Urväter der Angroschim gewesen, was diese Axt um sowertvoller machte. Calaman fand den Menschen mit seiner primitiv gehämmerten Speerspitzeziemlich bemitleidenswert. Wenn das alles hier vorbei war, würde erAssafs Stamm einen Schmied schicken, der ihn unterweisen konnte. DieseEntweihung des ehrwürdigen Stahls musste ein Ende haben.

Assafdeutete auf sich und nach rechts, dann wies er aufCalaman und nach links. Der Zwerg nickte kurz und machtesich zum Angriff bereit.

„Jetzt!“, raunte Assaf.

Calaman sprang los,um den Felsblock herum und landete den ersten Hieb. DerMaru brach blutend zusammen. Die Zwergenaxt hatte ihm den schmalenSchädel gespalten. Assaf brauchte seinen Speer gar nicht einzusetzten.

„Hatwahrscheinlich hier geschlafen“, vermutete Calaman leise.

„Ich sagte dir doch,dass sie nachts steif und träge werden. Genau wie Schlangenund Eidechsen“, flüsterte Assaf. „Es ist ein Kinderspiel, sie dannzu töten.“

Der Zwerg sah nachdenklich auf den Echsenleichnam zuseinen Füßen hinab.

„Ich weiß“, erwiderte er ernst. „Ich habees ja selbst schon gesehen. Aber was ist mit demeigentlichen Drachengezücht? Sie haben heißes Blut, die echten Drachen. Wiesollten sie da von der Kälte starr werden?“ Assaf wiegteungeduldig den Kopf. „Sind wir bis hierher gekommen, umjetzt zu zaudern?“, fragte er eine Spur zu laut. Er schiendie eigene Angst überspielen zu wollen. „Ich werde Zze Tha nichtverlassen, ohne einen

Blick auf Pyrdacors Hort geworfen zu haben.“

„Schon gut, schon gut“, beschwichtigte ihn Calaman.

„Kein Grund, sozu schreien. Die finden uns früh genug. Los, lass unsweitergehen!“

Der Angroschim watschelte im Licht der Sterne auf die Felswandzu, die sich sechzig Schritt vor ihnen in den Nachthimmelerhob.Wahrhaft die pummeligste Echse auf Dere, dachte Assafgrinsend und folgte dem Zwerg, wobei er weniger wackelte. Manmusste die Maskerade ja nicht übertreiben.

Calaman lehnte sich gegendas kühle Gestein, ohne es durch die dreilagige Kleidung zu spüren.Unter der Echsenhaut trug er das Kettenhemd, das er nicht mehr abgelegt hatte, seit er und Assafvor zwei Monaten zu diesem Wahnsinn aufgebrochen waren. Darunter schwitzte erin der wollenen, gepolsterten Unterwäsche.Angrosch sei Dank, dass Assafmich wenigstens überredet hat, den Umhang zurückzulassen, sagte Calaman zusich, während ihm unter der Maske der Schweiß herunterrann.

Wahrscheinlich bin ich auch der einzige Maru im ganzen Drachenreich,der einen schwarzen Vollbart trägt, fügte er in Gedankenhinzu und musste fast lachen.

Assaf übernahm nun die Führung.Scheinbar brauchte er keine Verschnaufpause. Im Schatten der Felswand war es noch finsterer, aber irgendwovor ihnen, ein paar Hundert Schritt weiter am Fuß dieserKlippe entlang, glaubte der Zwerg, einen Lichtschein zu erkennen.

„Davorne muss es sein“, flüsterte er. „Der Hintereingang.“

Der„Hintereingang“ zur Residenz des selbsternannten Drachengottes Pyrdacor. Der Ort,an dem dieser riesige goldene Drache einen unvorstellbar großen Hort anReichtümern angehäuft haben musste.

Aghira, meine schöne Aghira, heute Nachtwerde ich es wagen, dachte Calaman. Vor seinem geistigen Augeentstand das Gesicht dieser schönsten aller Zwerginnen und lächelteihm verliebt zu. Die strahlend blauen Augen leuchteten mit ganzbesonderem Licht in Aghiras ebenmäßigen Zügen. Ihre rundlichen Wangen warenleicht gerötet, ihre Lippen luden zum Kuss ein.Heute Nachtwerde ich für dich ein Stück aus Pyrdacors Hort stehlenoder sterben, beteuerte Calaman dem von dicken schwarzen Zöpfen umrahmten Antlitz,bevor er in die kühle, sternklare Nacht des Echsenreiches ZzeTha zurückkehrte. Zurück zu Assaf und der Gefahr, die in jedemFelsspalt lauern mochte.

Mittlerweile hatten sie den Lichtschein fast erreicht, deraus einer Öffnung in der Gesteinswand hervordrang. Eine Höhle, diewahrscheinlich zu Pyrdacors Hort führte – führen musste!

Assaf wandtezu Calaman . „Wenn ich mit der Maske versuche, umdie Ecke zu schauen, blitzen die Zähne schon im Licht,bevor ich den Kopf weit genug habe, um etwas sehenzu können“, meinte der junge Krieger.

„Nimm du sie solange!Und meinen Speer.“

Er reichte dem Zwerg seine Waffe, zogdie Maske vom Kopf und hielt auch diese dem Angroschimhin. Calaman war zutiefst befriedigt, als er sah, dass Assafs dunklesHaar feucht am Schädel klebte und Schweißperlen auf der Stirndes Mannes glänzten.Ich schwitze also nicht allein, beruhigteer sich.

Assaf schlich, mit der rechten Schulter dicht andie Felsen gedrückt, bis an den Rand der Öffnung und schautevorsichtig hinein. Ein kurzer Blick genügte ihm schon, dann bewegte ersich lautlos zu Calaman zurück.

„Der Echsenmensch hat die Wahrheitgesagt“, berichtete er leise. „Der Eingang ist recht klein. Nurzwei Marus bewachen ihn. Sie halten ein großes Feuer inGang, damit sie nicht zu kalt werden, und sind wohlin irgendein Spiel vertieft.“

„Wie sind sie bewaffnet?“, fragte erden Gefährten.

„Mit den üblichen Speeren“, antwortete Assaf gelassen.„Da sind ihre Zähne gefährlicher.“

Angrosch gebe ihmVerstand!betete Calaman.Er hat doch selbst nureinen Speer!

„Du nimmst den linken, weil du größere Schrittemachst“, bestimmte der Zwerg. „Willst du die Maske wieder aufsetzen?“

Der Mann nahm seine seltsame Kopfbedeckung nickend entgegen und zogsie wieder über. „Auf geht’s!“, zischte er dann und stürmtelos. Der Angroschim folgte mit kampfbereit erhobener Axt.

Der Felsspalt waram Boden sechs Schritt breit, aber mindestens zwanzig Schritt hoch.Hinten wurde er jedoch rasch flacher. Die Raubechsen am Feuersprangen mit wütendem Zischen auf und griffen nach ihren Speeren,als Assaf und Calaman um die Ecke gerannt kamen. Gleichzeitig wirktensie ein bisschen verblüfft, angesichts der seltsamen Echsen, die sie daoffensichtlich angriffen. Die Überraschung hielt allerdings nur kurz an,denn Marus gerieten im Kampf immer in eine Art Rauschzustand,in dem es ihnen egal war, gegen was sie kämpften.

Calaman wandte sich sofort der rechten, näher stehenden Echse zu und hoffte nur, dass sein schweres Kostümihn nicht zu sehr behinderte. Der Maru hielt den Zwergauf, indem er eine Finte mit dem Speer machte undgleichzeitig mit dem peitschenden Krokodilschwanz nach den kurzen Beinen desGegners schlug. Calaman hatte mit so etwas gerechnet und versuchte, sohoch wie möglich zu hüpfen, aber der Schwanz der Echseblieb an Calamans eigener Schwanzattrappe hängen, so dass der Zwergdoch das Gleichgewicht verlor und zur Seite stürzte.

Der Maru stieß einen Triumphschrei aus und wollte dem Angroschim denSpeer zwischen die Rippen jagen. Calaman war jedoch durch seine dickeKleidung recht weich gefallen und nicht benommen. So flink, wie man esden Angroschim meist nicht zutraut, riss er die Axt hoch undlenkte den Speer ab, der mit dem Ende des Schafts gegenden Schädel der Echse prallte. Der Maru störte sich nicht daranund schien nur noch wütender zu werden.

Calaman gelang es,eine weitere Speerattacke zu parieren, während er sich aufsetzte. Ohneabzusetzen schwang er die Axt in einem Bogen weiter und hackte nachdem Schwanz des Maru, der ihn sonst wieder getroffen hätte.Der Zwerg grinste zufrieden, als er das gelbliche Blut sah. DieEchse fauchte zornig und streifte Calamans Kopf mit der Speerspitze.Der Zwerg war nun doch froh, die Maske zu tragen,die Schlimmeres verhindert hatte.

Endlich gelang es ihm, denSpeer des Gegners zu kappen. Der Maru warf den verbliebenen Stockwütend weg, peitschte mit seinem gestutzten Schwanz nach dem Zwerg unddrang nun auch mit Klauen und Zähnen auf ihn ein. Calaman,dem das tobende Untier noch keine Zeit gelassen hatte,sich wieder aufzurappeln, verschaffte sich mit einem weiteren Hieb etwas Luft.

Nun stand er endlich wiederauf seinen kräftigen Beinen, hatte dem Maru aber eine Blöße gegeben,weil er mit der Axt so weit ausgeholt hatte. Die Echsestürzte sich auf ihn, bevor er die Waffe wieder nach vornbringen konnte. Der Zwerg spürte, wie die Krallen durch die Echsenhautdrangen und über das Kettenhemd kratzten. Fie Fußklauen desMarus zerkratzten Calamans Beine. Das Maul mit den zahllosen Zähnenschnappte gefährlich nah am Kopf zu. Zum Glück war er einenhalben Schritt kleiner als sein Gegner! Die Wucht des Angriffswarf ihn jedoch beinahe wieder um. Statt dessen klammerte sich der Zwerg mit der linken Hand an den Arm derRaubechse und holte mit der rechten zu einem neuen Hieb aus.

Der Maru versuchte sofort, Calaman abzuschütteln, aber dennoch traf der Zwergerneut. Der Schlag schnitt zwar nicht wie beabsichtigt einen tiefen Spaltin die Seite der Echse, schlitzte ihr aber eine böseWunde quer über den Bauch.

Jetzt erst ließ Calaman los,tauchte unter dem ausgestreckten Arm hindurch, an dem er sicheben noch festgehalten hatte, und stand zu seinem Entsetzen fastim Lagerfeuer der Echsen. Schnell warf er sich zur Seite, rolltesich ab, so gut es in der Verkleidung ging, und kam gerade rechtzeitig hoch,um dem erneuten Angriff des Maru begegnen zu können.

Die Echsestürzte sich wieder mit Zähnen und Klauen auf ihn. Calamanaber holte mit der Axt aus und hackte dem Maruso tief ins Bein, dass der Knochen splitterte. Die Echseging in die Knie, nicht ohne wieder nach Calaman zuschnappen, der zurücksprang und zur Seite wirbelte. Nun bot dermaru dem Zwerg den Nacken und Calaman führte den tödlichenHieb ins Genick.

Assaf, der den Speer gerade mühsam ausdem Rücken der anderen Raubechse zerrte, grinste wieder. Zum Glückkonnte der Zwerg das unter der Maske nicht sehen. Auchden Menschen hatte im Kampf das Kostüm behindert. Calaman sah,dass die Echsenhaut des Mannes an mehreren Stellen aufgeschlitzt war.

„Bist duverletzt?“, erkundigte er sich rasch.

Assaf schüttelte den Kopf. „Nurein paar Kratzer und ein geprellter Arm“, sagte er achselzuckend.„Es wird gehen.“

„Gut“, schnappte Calaman und hielt ihm seine Axt unterdie Nase. „Dann kappst du jetzt diesen unseligen Echsenschwanz an meinemRücken! Das Ding hat ein gefährliches Eigenleben. Wahrscheinlich sitzt die Seeleseines früheren Besitzers noch darin und sinnt auf Rache.“ Assafhob abwehrend die Hände. „Aber, Calaman“, versuchte er, den Zwergzu beruhigen, „die Echse ist doch tot. Der Schwanz gehört zur Verkleidung. Wer hat schon

einmal einen Maru ohne Schwanz gesehen?“

„Wer hat schon einmaleinen Maru mit meiner Statur gesehen?“, fragte der Angroschim grollendzurück. „Da liegt ein Maru mit kupiertem Schwanz und du hackst meinenjetzt auch ab, sonst…“

„Sonst was?“, erwiderte Assaf erheitert.

„Sonst spalte ich dir mitdieser Axt deinen hohlen Schädel“, drohte der Zwerg wütend.

„Wenn duweiter so schreist, werden das andere Wächter für dich besorgen“,behauptete der junge Krieger.

„Ich muss gar nicht schreien“, erwiderteCalaman stur.

„Ich bleibe einfach hier sitzen, bis du tust,was ich sage.“ Er nahm tatsächlich vor dem Feuer Platz,den Echsenschwanz sorgfältig nach hinten gelegt. Assaf

schüttelte resigniert denKopf.

„Nicht einmal ein Esel ist so störrisch wie du,mein Freund“, sagte er dann.

„Wenn du mein Freund wärst, würdestdu mich endlich von diesem Anhängsel befreien, damit wirweitergehen können“, brummte Calaman. „Da wartet noch ein Drache aufuns.“

Assaf griff seufzend nach der Axt und trennte miteinem kräftigen Hieb drei Viertel des Echsenschwanzes ab.

Ach, Aghira,ich hoffe, du weißt zu würdigen, was ich alles fürdich erdulde,wünschte sich Calaman, während er wieder aufstand. „VielenDank, Assaf“, sagte er und nahm die Axt wieder ansich. „Warum nicht gleich so?“

Der Mann drehte sich schweigendum und marschierte weiter in die Höhle hinein, derZwerg schnaubte und stapfte hinterher. Es war zwar Winter, aberdennoch würde die Nacht nicht ewig andauern. Es wurde allmählich Zeit, dass sie Pyrdacors Hort fanden.

Die Höhle warstellenweise nicht einmal zwei Schritt hoch und breit. Kein Wunder,dass sie nicht übermäßig bewacht wurde. Ein Maru konnte schonmit dem Kopf anstoßen. Calaman dagegen empfand die Größe desGanges als angenehm. Weniger erfreulich war, dass hier pechschwarze Dunkelheitherrschte, so dass die Gefährten sich an der Wand entlangtastenmussten. Assaf wollte zunächst zurück zum Eingang, um einen brennenden Scheitaus dem Lagerfeuer der Wächter zu holen mit dem er dieFinsternis erhellen wollte, aber Calaman hielt ihn davon ab. Wennim Dunkeln etwas auf sie lauerte, würden sie sich miteiner Fackel verraten.

„Aber so bin ich ganz einfach blind“,hielt Assaf dagegen.

„Dann lass mich vorangehen“, forderte der Zwerg.Ich bin zwar genauso blind, aber ich störe mich nichtdaran,fügte er in Gedanken hinzu.

So wie sich die Wändeanfühlten, war der Gang nur eine natürliche Felsspalte, die manstellenweise verbreitert hatte. Calaman ertastete problemlos, dass es sichum Sandstein handelte, wie er hier oft zu finden war.Gelegentlich zeigte ein Luftzug weitere Risse im Gestein an. DerAngroschim war in seinem Element. Aber auch wenn der Durchgang füreinen Drachen zu schmal und zu niedrig schien, wunderte Calamansich doch über die schlechte Bewachung. Der Echsenmensch, den sievor zwei Wochen gefangen und verhört hatten, war sich darüber nichtsicher gewesen. Er hatte behauptet, der Haupteingang, eine Schlucht, werde vonzwei Höhlendrachen geschützt. Für einen Menschen und einen Zwerg einegeradezu unüberwindliche Barriere. Der Hintereingang sei dafür nur vonMarus bewacht, hatte der Echsenmensch gesagt, er wisse abernicht, von wie vielen.

Calaman versuchte, nicht mehr an denGefangenen zu denken. Sie hatten ihn töten müssen, sonst hätte er sieverraten, aber es war ihnen nicht leicht gefallen. Der Angroschim fragtesich einmal mehr, ob das ein Frevel gewesen war.Sumu,verzeih mir,bat er im Stillen.Es war nur eineEchse. Eine Kreatur des Erzfeindes Pyrdacor!

Und warum sollte dieserZugang auch gut bewacht sein? Pyrdacor, der Goldene Drache, brauchte keinenGegner zu fürchten. Er war zweifellos das mächtigste Wesen aufganz Dere. Magie, Drachenfeuer und seine schiere Größe und gewaltigeKraft machten ihn nahezu unbesiegbar. Nicht umsonst hatte er sich zumDrachengott ernannt. Calaman fragte sich einmal mehr, was erhier eigentlich tat. Er musste wahnsinnig sein, wahnsinnig vor Liebezu Aghira, der ungekrönten Königin unter den Zwergenfrauen.

Assaf war,als seien sie schon meilenweit durch die Finsternis getappt. InWahrheit waren es nur einige Hundert Schritt.Feqz, verlassuns nicht!flehte er innerlich.Der große Drache ist ein allzuübermächtiger Gegner, wenn du uns deinen Beistand verwehrst.Wie alsAntwort auf sein Gebet glaubte er plötzlich, der Gang werdeheller. Aufgeregt schritt er rascher aus.

„Ruhe bewahren“, brummte Calaman.„Ich hab’s auch schon gesehen.“ Tatsächlich näherten sie sichdem Ende der Höhle. Der Zwerg konnte den Ausgang alshelleren Kreis bereits vor sich sehen. „Ab jetzt keinen Lautmehr!“, mahnte er. Assaf nickte, was Calaman mehr ahnen alssehen konnte. Langsam pirschten sie sich an den Ausgang heran. Von draußen war kein Laut zu hören. Der Zwergglaubte, seine Stiefel knirschten auf einmal unnatürlich laut und er schnaufewie ein Höhlenbär. Der Drache musste sie kommen hören.

Calamanrief tief in seinem Herzen„Für Aghira!“,und tat denletzten Schritt an den Höhlenrand. „Bei Angroschs Bart!“, hauchte erstaunend.

Sie standen am Boden eines gewaltigen Talkessels. Ringsherumtürmten sich die Felswände über einhundert Schritt auf und gabenerst darüber den Blick in den sternenübersäten Nachthimmel frei.Lediglich zur Rechten war die Felswand auf deranderen Seite des Tales an einer Stelledurchbrochen. Dort musste der Haupteingang sein, die von minderen Drachenbewachte Schlucht. Aber es war nicht die ungewöhnliche Felsformation, dieCalaman in Staunen versetzte, es war der riesige Drache.

Inder Mitte der etwa sechzig Schritt weiten Talsohle lag Pyrdacorauf seinem Hort. Calaman und sein menschlicher Freund hatten unwillkürlichden Atem angehalten. Das goldfarbene Ungetüm maß von derSchnauze bis zur Schwanzspitze mindestens dreißig Schritt. Der mächtige Dracheruhte schwer auf den angehäuften Schätzen, der lange Schwanz umden Leib geringelt. Die Schnauze, die allein schon so groß wie Calamanwar, hatte der Drache auf den Schwanz gelegt. So lager da, wie eine gigantische Katze gemütlich auf einem gigantischen Kissenvor dem warmen Herd.

Aber der Angroschim wusste, wie sehrder friedliche Eindruck täuschte. Pyrdacor war seit Tausenden von Jahren der Erzfeind der Zwerge. Jede einzelneSchuppe an seinem goldenen Körper symbolisierte die Gier dieses Drachennach Kostbarkeiten aller Art. Jeder Fingerbreit seiner immensen Größe standfür Skrupellosigkeit, Grausamkeit und Hinterlist. Und die Zwerge warenvon Angrosch geschaffen worden, um dieser Gewalt zu trotzen. Umdie Schätze der Erde vor den Drachen zu bewahren.

Calamanstraffte sich. Er war ein Angroschim, ein Streiter wider die Drachenin göttlichem Auftrag. Wenn er auch nur ein Stück aus Pyrdacors Hort mit sich nehmen und zurück unter die Erdebringen konnte, war das ein symbolischer Akt des Zwergenwiderstandes imAuftrag Angroschs.

Langsam und vorsichtig setzte Calaman einen Fußvor den anderen. Er wollte im Rücken des Drachen etwasaus dem Hort nehmen und dann denselben Weg zurückschleichen.Doch plötzlich knackte unter dem linken Stiefel ein trockenerZweig. In der nächtlichen Totenstille schien es Calaman, alshabe er einen Hammer auf einen Amboss krachen lassen.Angrosch, steh’uns bei!betete er verzweifelt,sonst ist alles verloren.

EinZittern lief über den Rücken des Drachen. Der Zwerg fiel aufdie Knie. „Das ist das Ende“, murmelte er.

„Mutter Sumu,nimm meinen Leib auf! Vater Angrosch, nimm meinen Geist auf!Ehrwürdige Ahnen, zu euch kehrt meine Seele heim.“

Assaf hatte dasKnacken ebenfalls gehört und war beunruhigt, als der Drache zuckte. Aberals der Zwerg vor ihm zusammenzubrechen schien und wirres Zeug murmelte,packte ihn blankes Entsetzen. Hatte Pyrdacor den Angroschim mit einemZauber gebannt? Assaf schnappte Calaman bei den Schultern und schüttelteihn. Das Gesicht des Zwergen war unter der Maske verborgen. Daher konnte Assaf nicht sehen, ob sein Freund wiederzu sich kam, aber schließlich stieß ihn der Zwerg fast gewaltsamweg und machte eine abwehrende Geste. Calaman hatte sich wiederim Griff. Der Drache schlief scheinbar immer noch tiefund fest. Jedenfalls rührte er sich nicht, abgesehen von einem fastunmerklichen Heben und Senken des Brustkastens. Näher und näherschlichen der Zwerg und der Mensch an das Ungetüm heran.Je geringer der Abstand wurde, desto beeindruckender erschien ihnen der Drache.

Und natürlich sein Hort. Ein wahrer Berg von Schätzen. Calamanglaubte, trotz der Dunkelheit ein paar Stücke unterscheiden zu können.Pyrdacor lagerte auf einem Durcheinander von bearbeiteten und rohen Edelsteinen, Perlen und Korallen. Große Goldklumpen, wie man sie nur inden reichsten Adern fand, lagen neben primitiven Götzenbildern aus massivem Edelmetallund feinsten Schmuckstücken, wie sie nur ein Zwergenschmied gertigenkonnte. Dazwischen Goldund Silbermünzen, Prunkwaffen und allerlei mehr,das der Zwerg nicht einordnen konnte. Auch Assaf stand vor Staunen der Mund offen. WelchesStück sollte er mitnehmen, um dem Stamm zu beweisen, dasser tatsächlich hier gewesen war?

Für Calaman stellte sich dieseFrage nicht. Aghira ließ sich nur durch Schmuck beeidrucken. Zwergenschmuck am besten, denn der stand dem Drachen ohnehinnicht zu. Das alles waren geraubte Stücke, für die Angroschimihr Leben gelassen hatten. Calaman streckte die Hand nach all diesen Schätzen aus. Er konnte ganz leise den Atem des Drachenhören. Sein Herz schlug so heftig wie noch nie. Calamanwar kein Freund von Heimlichkeiten. Er hatte noch nieetwas gestohlen. Ob Pyrdacor ein Recht auf diese Dinge hatteoder nicht, im Augenblick war Calaman ein Dieb, und erwischt zuwerden, bedeutete einen grauenvollen Tod.

Seine Hand schloss sichum etwas, das sich wie ein mit Juwelen besetztes Diadem anfühlte.Er zog das Schmuckstück behutsam heran, völlig lautlos. Der Angroschimsah sich nach seinem Freund um. Assaf hatte denSpeer beiseite gelegt und hielt einen riesigen geschliffenen Diamanten inder einen, ein prächtig verziertes Kurzschwert in der anderenHand. Abwägend blickte er zwischen beidem hin und her.

Calamankniff prüfend die Augen zusammen. Die Waffe war sicher Zwergenarbeit.Was sollte Assaf mit dem Edelstein anfangen? Der war zunichts nütze. Calaman bedeutete seinem Freund, das Schwert zu behalten.Der Mann nickte bedächtig und legte den Diamanten zurück. Esgab ein leises Klicken, doch Pyrdacor wachte nicht auf.

Schrittfür Schritt zogen die beiden Gefährten sich von dem Drachen undseinem Hort zurück. Es drängte sie, sich schneller zu bewegen. Nichtswie weg von diesem gefährlichen Ort, aus der Reichweite desDrachengottes. Aber genau das durften sie nicht tun. Wenn siesich jetzt hetzen ließen, war ein Fehler unausweichlich. Siemussten genauso langsam und lautlos verschwinden, wie sie gekommen waren.

Endlichhatten sie die Höhle erreicht, die sie hierher geführt hatte. Calamanatmete tief durch. Es war noch nicht vorbei. Vor ihnenlag noch eine wochenlange Flucht aus dem Echsenreich Zze Tha,bevor sie Assafs Stamm erreichen würden. Aber der Zwerg war zuversichtlich.Ichwerde Aghira diesen Schmuckreif bringen und sie heiraten,sagte ersich.Nichts wird mich davon abhalten.Er warf einen letztenBlick auf den schlafenden Drachen, der im Sternenlicht weißgolden glänzte,dann trat er in die tiefe Dunkelheit des Ganges zurück.

Pyrdacor hob träge ein Augenlid und verzog die Schnauze zueinem leisen Drachengrinsen.

1. Kapitel

Die Zwergenstadt Xorlosch, 3073v. BF

Cendrasch Sohn des Gudlim träumte. Er träumte, seinZwillingsbruder Cadrim sei wieder da und Cousin Calaman, der Draufgänger.Gemeinsam stiegen sie in eine unbekannte Höhle hinab, um ihreGeheimnisse zu erforschen. Genau wie früher, als sie noch Kinder gewesen waren.

Calaman, der Prinz ihres Stammes, hatte sie immer wiederzu solchen Abenteuern überredet. Waren sie nicht alle Söhne desCuroban und damit die wagemutigsten Angroschim?

Trotz der Strafpredigten ihrer Mutterund der Warnungen ihres Vaters waren sie wiederund wieder ausgezogen, um Drachen zu jagen und vergessene Schätzezu finden – in ihrer Vorstellung. Tatsächlich hatte Calaman oft recht behalten. Dann hatten sie alteZwergenbehausungen entdeckt, die lange aufgegeben worden waren, und sogar manche Kostbarkeitin den Überresten gefunden. Doch Calaman war mit diesen Schätzenschließlich zu Aghira gegangen. Er hatte gerade die Feuertaufe bestandenund war unrettbar in die schöne Zwergin aus dem StammeAboralms verliebt. Für seine kleinen Freunde und Bewunderer, Cendrasch undCadrim, hatte er keinen Blick mehr übrig.

Das war nunschon fast zehn Jahre her. Calaman war fortgezogen, um fürAghira Heldentaten zu vollbringen, hieß es. Cendrasch wusste es besser.Atogrosch, Aghiras jüngster Bruder, hatte ihm erzählt, welche Aufgabe Calamangestellt worden war. Er sollte ein Stück aus Pyrdacors Hortstehlen. Cendraschs Bewunderung für Cousin Calaman stieg ins Unermessliche. Ihm erschien es schon tollkühn, unter freiem Himmel indie Ferne zu ziehen. Ja, ihn selbst kostete es schonÜberwindung, überhaupt den Schutz einer Höhle zu verlassen. Aber direkt nachZze Tha zu marschieren und den Drachengott herauszufordern, daswar fast eine göttliche Tat.

Oder einfach Wahnsinn. Mittlerweilehielten die meisten Calaman für tot. Auch Cendrasch glaubte nichtmehr an die Rückkehr seines Helden. Doch im Traum war er da. Älter natürlich und von dem langenAufenthalt an der Oberfläche sonnengebräunt. Cendrasch und Cadrim standen wiederan seiner Seite in einer fremden, abenteuerverheißenden Grotte.

„He, Zeitaufzustehen!“, drang eine kräftige Frauenstimme durch die Höhle.

„Mutter?“,fragte Cendrasch erwachend. „Es war ein Traum?“

Abrupt setzteder junge Zwerg sich auf. Er hatte noch nie soeinen Traum gehabt.

„Beeil’ dich, Cendrasch!“, rief seine Mutter vonder Tür her. „Du kommst zu spät zur Schicht.“

„Zum GoldenenDrachen mit der Scheiß-Schicht!“, brummte Cendrasch. „Mutter, ich hatte einen Traum“, rief er seiner Mutter hinterherund schwang die Beine über die Bettkante. Rasch steckte er dieFüße in die ausgetretenen Pantoffeln, während er sich kurz prüfendüber den jungen Bart strich. Bald würde er schon wieein erwachsener Zwerg aussehen.

„So, so, ein Traum“, kam die Stimme Mischalas, seiner Mutter, aus derKüche herüber.

Cendrasch stand auf und ging im Nachthemd zuihr hinüber. Er vermied es, im Vorbeigehen aufdie leeren Betten seiner Geschwister zu achten. Es war gewiss abergläubisch zu denken, dass sie sonst nicht zurückkommen würden, dochder junge Angroschim wollte nichts tun, um ihre Rückkehr zu gefährden.

Das Zimmer, wie alle Zwergenbehausungen ohne Fenster in den nacktenFels gehauen, hatte drei in Wandnischen versteckte Betten,vor denen man Vorhänge zuziehen konnte. Cendraschs war das einzigezurzeit benutzte. Auch der aus Wolle gewebte Teppich aufdem Boden konnte die Einsamkeit des Raums nichtvertreiben. Nur das rötlicheLicht der Laterne auf dem Sims an der Wand strahlte einbisschen Wärme aus. Aber vielleicht kamen sein Zwillingsbruder Cadrimund seine Schwester Gerhala bald zurück. Der Traum hatte bestimmtetwas Derartiges zu bedeuten.

Cendrasch schlurfte mit Pantoffeln über denrotbraun gefliesten Boden der Küche.

„Calaman kommt zurück“, behaupteteer dabei ernst.

„Und Cadrim.“

Mischala sah von der großenFeuerstelle mit dem darüber gemauerten Herd zu ihrem Sohn hinüber.„Das sagt dein Traum?“, fragte sie besorgt.

Cendrasch setzte sichauf seinen Stammplatz an den schweren, runden Holztisch in derMitte des Raumes und nickte. „Ich glaube schon“, meinte ernachdenklich. Konnte der Traum eine andereBedeutung haben, als dass sie bald wieder vereint seinwürden?

„Cendrasch, mein Junge, du solltest dich nicht an so etwasVages klammern“, mahnte Mischala und füllte gleichzeitig einen tiefen Teller mit heißer Grütze.

„Cadrim kommt sicher bald wieder, aberCalaman…“ Sie stellte den Teller vor Cendrasch auf den Tisch.

„Dein Vater sieht es nicht gerne, dass duimmer noch solchen Hirngespinsten nachhängst. Ein Angroschim muss mit beiden Beinenfest auf dem Boden der Tatsachen stehen.“

„Es istkeine Tatsache, dass Calaman tot ist“, erwiderte Cendraschtrotzig. „Es ist nur eine Vermutung, weil er schon solange fort ist. Nicht alle glauben daran.“

„Cendrasch, iss deinFrühstück und zieh dich an!“, wechselte seine Mutter unvermittelt dasThema. „Du bist wieder spät dran.“ „Mutter, hör auf,mich zu behandeln, als wäre ich der Muttermilch noch nichtentwachsen!“, ärgerte sich Cendrasch. „In drei Jahren bin ich reiffür die Feuertaufe. Ich bin kein Kind mehr.“

„Solange dunicht ausgelernt hast und vernünftig geworden bist, bleibst du ein Kind“,stellte Mischala klar.

„Wenn du so erwachsen bist,spül deinen Teller selbst aus und mach dein Bett, bevordu gehst!“,

Gereizt griff sie nach ihrer Kappe und ließdie Tür heftig hinter sich zukrachen. Cendrasch schob sich bedrückt einenweiteren Löffel Haferbrei in den Mund. Er erzürnte seine Mutter nichtgern, aber er konnte es auch nicht leiden, wenn sie ihnherumkommandierte. Sicher war es nicht leicht für sie, dass Cadrim undGerhala mit Onkel Ubaraschax fortgegangen waren. Er vermisste die Geschwister jaauch. Deshalb durfte sich Mischala aber nicht so an ihn klammern.Auch er musste bald ein eigenes Leben führen. Cendraschseufzte ganz leise. Ein gestandener Angroschim blies kein Trübsal.

Er kratzte die Reste seines Frühstücksvom Teller, spülte sein Geschirr in der großen Schüsselab und ging wieder in das Zimmer zurück, das er jahrzehntelangmit Cadrim und Gerhala geteilt hatte. Wie es den beidenwohl ging? Er riss sich zusammen.Sie kommen bald zurück,dann werde ich es erfahren,sagte er sich.

Aufder Truhe neben dem Bett lag eine frische Hose fürihn bereit. Cendrasch schlüpfte in die robusten Beinkleider, stopfte dasNachthemd in den Bund und zog ein wollenes Wams darüber.Dann eilte er zurück in die Küche, wo die Stiefelneben der Tür standen und die lederne Überjacke hing. Zuguter Letzt setzte Cendrasch die Lederkappe auf und verließ dieWohnung. Sein Bett hatte er vergessen in Ordnung zu bringen,aber was machte das schon? Er durfte nicht schon wiederzu spät im Stollen auftauchen, sonst würde der Meister ihm die Hammelbeinelangziehen. Kurz darauf sahen erstaunte Angroschim den abgehetzten Cendraschdurch die Straßen Xorloschs eilen. Einige kannten den stets verspäteten Lehrlingbereits und lachten oder riefen ihm anspornende Worte zu. Cendraschwinkte dem einen oder anderen ohne anzuhalten. Bald hatte erdie vielbenutzten Gänge des inneren Xorlosch hinter sich gelassen undlief einen schlecht beleuchteten Stollen entlang, der leicht bergauf führte.

Mehrere Abzweigungen weiter stieg ihm endlich der Geruch in dieNase, der vielen Zwergen zuwider war und auch Cendrasch nicht gerade mit Begeisterung erfüllte. Der Stollenmündete in eine Felskammer von etwa zwanzig mal fünfzehn Schritt.Sie war mit vier Schritt Höhe für zwergische Begriffe fast einSaal und wurde von zwei Wetterschächten mit frischer Luft versorgt. Wahrscheinlichhätte der Gestank sonst jeden Bewohner dieser Kammer umgebracht. Dennbewohnt war sie.

Der junge Angroschim hörte die Tiere, bevorer sie sah. Sie hatten auf seine Schritte im Ganggelauscht und angefangen, einen Heidenlärm zu veranstalten. Es polterte, raschelte, schnaubte und schrie aus dem Stall. Cendrasch verzog dasGesicht.

„Womit habe ich das verdient?“, fragte er sich wieso oft, wenn er die Stallgasse betrat.

Kleine Hufe bearbeitetenBoxenwände, dass es nur so krachte. So manches Bein scharrteungeduldig im Stroh, aber am schlimmsten fand Cendrasch die markerschütternden Iah-Schreie der beiden Esel. Pfiffige Ponys mochten lästig sein,aber sture Esel waren einfach die Pest!

Cendrasch ging diesechs Boxen zu seiner Linken ab, tätschelte gelegentlich eine neugierigvorgereckte Nase und warf einen gewissenhaften Blick auf jedes Tier. Inden ersten drei Boxen standen Ponystuten mit ihren Maultierfohlen. Dahinterdie beiden Esel, ein Hengst und eine Stute, und inder letzten Box wartete Macke.

Nein, er lauert,dachte Cendrasch und machte lieber einen Bogenum den Ponyhengst. Dann stand er vor der Futterkammer. DerEselhengst schrie noch immer ohrenbetäubend.

„Halt endlich die Klappe!“,brüllte Cendrasch entnervt. Alle Tiere sahen ihn aus großen Augenaufmerksam an, nur Roscho iahte ungestört weiter.

„Eines Tageswerde ich etwas erfinden, das euch ersetzt“,schwor Cendrasch den Zugtieren. „Die Loren werden von allein rollen,und kein Angroschim wird mehr euren Gestank und euren Lärmertragen müssen.“

Einige Köpfe nickten heftig, andere wandten sich ab,da der Zwerg offenbar nichts Neues zu erzählen hatte. Zumindest kames ihm so vor.

Um dem zum Glück leiser werdendenGeschrei Roschos zu entkommen, betrat Cendrasch die Futterkammer. Angroschim,die nahe der Oberfläche lebten und Landwirtschaft betrieben, lieferten regelmäßigHeu und Hafer für die Grubentiere. Cendrasch lud eine kleineKarre voll Heu. Jeder Zwerg, der seine Schicht antrat oderbeendete, gab allen Tieren zu fressen. So kamen die gefräßigen kleinen Biester, wie Cendrasch sie nannte, zu vier kleinenMahlzeiten täglich, denn gearbeitet wurde im Berg in zwei Schichten, diesich überschnitten, damit man sich besser absprechen konnte.

Der junge Zwergschob die Karre auf die Stallgasse und beeilte sich, Macke, denPonyhengst, zuerst zu bedienen. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dasser sich damit zertretene Bretter ersparte und seine Nerven schonte.Wenigstens musste er heute nicht mit diesem Monster arbeiten.

Nachdem Cendrasch sichergestellthatte, dass jedes Tier ausreichend Heu und Wasser vorfand, außer denbeiden Maultieren, die er heute einspannen wollte. Dann ging esan die widerlichste Arbeit von allen: Striegeln. Cendrasch konnte es nichtleiden, weil man hinterher selbst wie ein Maultier stank. „Manmuss wahrhaftig eine elende Lehrzeit auf sich nehmen, um Diamantenhauer zuwerden“, murmelte er vor sich hin. Er wollte in denBergen nach Diamanten suchen wie sein Vater, aber wie jedervernünftige Angroschim legte er keinen Wert darauf, mit miefenden, unberechenbarenVierbeinern zusammenzuarbeiten. Leider gehörte das zur Ausbildung dieses Handwerks. Irgendjemand musstedie Tiere versorgen, die die Loren zogen, und wer wardafür besser geeignet als ein Lehrling? Wer die kostbarenDiamanten aus dem Fels hauen wollte, musste sich erst einmalein paar Jahre mit Ponys, Eseln und Maultieren herumärgern. Erstwer diese harte Prüfung bestanden hatte, wurdein der Technik des Edelsteinabbaus unterwiesen.

Nochein halbes Jahr,tröstete Cendrasch sich,nur noch ein halbesJahr.

***

Meister Hertogar, der Schmied, war eine beeindruckendeErscheinung. Das bereits gelichtete rote Haar flammte im Schein der Esse,als sei er selbst ein Feuergeist. Der ebenfalls rote Bartwallte bis zum Gürtel herab, und Atogrosch fragte sich einmalmehr, ob Meister Hertogar sich seine Haarpracht wirklich noch nieangesengt hatte. Der Schmied schien jedenfalls nicht besonders darauf zuachten.

Er stand, nur mit Lederhosen, Stiefeln und einer dicken,ledernen Schürze bekleidet, vor dem Amboss und bearbeitete ein glutrotesStück Stahl mit einem schweren Hammer. Unter der von schützendemFett und unvermeidlichem Schweiß glänzenden, rußverschmierten Haut traten deutlichgewaltige Muskeln hervor. Allein um solche Arme und Schultern zubekommen, lohnte sich die Schmiedelehre für Atogrosch, auch wenn er nochein paar Jahre daran würde arbeiten müssen. „Heize dieEsse an!“, befahl Meister Hertogar aus dem Stamme Harboschs seinem Lehrling.

Atogrosch schnappte sich den Schwengel des großen Blasebalgs undlegte sich mächtig ins Zeug, um die Glut in der Esseaufleuchten zu lassen.

„Langsamer, mein Freund!“, mahnte Hertogar zwischen zweiHammerschlägen. „Langsamer, aber dafür gleichmäßiger.“

Atogrosch Sohn des Alberik versuchtedie Anweisungen des Lehrers zu befolgen. Er wollte seineSache gut machen, denn nicht alle Mitglieder seiner Sippe warendamit einverstanden gewesen, dass er bei einem Waffenschmied in die Lehreging. Zwar war die Schmiedekunst ein ehrbares Handwerk und fastjeder Angroschim verstand ein wenig davon, aber Atogrosch gehörte zum Stammder Söhne Aboralms, die traditionell im Goldbergbau tätigwaren. Viele Sippenangehörige arbeiteten in Goldminen, Gießereien oder zumindest als Goldschmied. Atogrosch jedoch hatte schon als kleiner Zwergenjungewenig Interesse an dem weichen Edelmetall gezeigt und den harten Stahlbevorzugt.

Manchmal dankte er Angrosch dafür, dass sein Vater Alberiksich seinem Wunsch nicht verschlossen und ihm erlaubt hatte, beiMeister Hertogar in die Lehre zu gehen. Alberik war mitvier älteren Söhnen gesegnet, die alle das Gold zum Inhalt ihrerArbeit gewählt hatten. Deshalb empfand er es als verschmerzbar, dasssein Jüngster sozusagen aus der Art schlug.

„Das Werkstück spiegeltstets den Meister“, pflegte er zu sagen und fand auchan Atogrosch noch genug Ähnlichkeit mit sich und seiner FrauDagrima, um mit ihm zufrieden zu sein.

„Er ist einguter Junge, aber eben kein Goldjunge“, sagte Dagrima jedem, deres hören wollte – oder musste. Atogrosch machte sich nichtsaus diesem Gerede. Dass er kein Junge mehr war, sondernin zwei Jahren die Feuertaufe empfangen würde, konnte er seinerMutter genauso wenig begreiflich machen wie jeder andere Zwerg inseinem Alter. Mütter blieben eben Mütter, auch wenn aus ihrenKindern Männer wurden.

Meister Hertogar legte nun den Hammer beiseiteund trug das noch unförmige Stück Stahl mit der Zange zurEsse hinüber.

„Ich möchte, dass du es in die Gluthältst und entscheidest, wann es wieder heiß genug ist, umes weiter zu schmieden“, eröffnete er dem freudig überraschten Atogrosch, dersofort den Blasebalg losließ und neben seinen Meister eilte.

„Hier.“ Hertogarreichte ihm die Zange und betätigte nun selbst die Luftzufuhrseiner Esse. Atogrosch beobachtete aufmerksam den Stahl zwischen den Kohlestücken. Er war sich nicht sicher, ob die Hitze derEsse ausreichte, um das Metall flüssig zu schmelzen, aber wenn,dann durfte er den Rohling nicht zu lange in der Glutlassen.

Die Kohle leuchtete im Rhythmus des Blasebalgs auf. Atogroschbegann, im Stillen bis zehn zu zählen. Intuitiv entschied er,dass das Metall dann heiß genug sein würde. Dennoch hober die Zange nur zögernd aus der Glut.

„Es istsoweit“, sagte er so, dass es fast wie eine Frageklang. Meister Hertogar grinste.

„Nur nicht so unsicher, junger Freund“,ermunterte er den Lehrling. „Du hast gut entschieden.“

Er nahmAtogrosch die Zange mit der zukünftigen Beinschiene ab und nahmwieder den Hammer.

„Für heute… kannst du gehen“, eröffnete erdem jungen Zwerg zwischen den ersten Hammerschlägen.

„Morgen… darfst du…den Schmiedehammer schwingen.“

„Vielen Dank, Meister Hertogar“, sagte Atogrosch strahlend.Dann vertauschte er die Lederschürze mit Alltagskleidern und verließdie Werkstatt.

Draußen auf dem Gang war es erfrischend kühl.Atogrosch sog die kalte Luft tief in ein. Erfühlte sich sofort viel wacher und beschloss, nicht direkt nachHause zu gehen. Womöglich hatte seine Schwester Aghira wiederversucht zu kochen. Da sollten ruhig andere zum Probieren herhalten. Aghiramochte ja eine von allen umschwärmte Schönheit sein, aberein wohlschmeckendes Essen konnte sie nicht auf den Tisch bringen. Atogroschbedauerte das. Er mochte seine Schwester, auch wenn sie zickigsein konnte, aber die Liebe ging nicht so weit, dasser ihr die Wahrheit über ihre Kochkünste verschwiegen hätte.

Atogrosch ging zum „Kichernden Kobold“. Dort konnte er eine anständigeMahlzeit bekommen und vielleicht ein paar neue Geschichten hören.

Die Straßen im Zentrum Xorloschs waren wie zu jeder Tageszeitrecht belebt. Einem Menschen mochte es seltsam erscheinen, unterirdische Gänge alsStraßen zu bezeichnen, aber die hohen, breiten Stollen, die linksund rechts von Fenstern, Türen und Geschäftsauslagen gesäumt waren,unterschieden sich von den Straßen einer oberirdischen Stadt nur dadurch, dassman nicht wusste, ob es gerade regnete oder die Sonneschien. Und das war den Angroschim herzlich egal. Jedenfalls solangekein ungewöhnlich heftiger Sturm Wasser in die Belüftungsschächte drückte.

Atogroschschlenderte die weite Hauptstraße entlang. Aus einer Bäckerei wehteihm ein Duft entgegen, der seinen Magen knurren ließ. Ober sich ein Stück Kuchen gönnen sollte?

Vor demLaden hatte sich jedoch schon eine Traube von Zwergen eingefunden, undAtogrosch wollte nicht anstehen. Im Vorbeigehen fander es nur ungewöhnlich, dass die Kunden zum Teil laut lachten oder schimpften. Er warf einen neugierigen Blick aufdie Ansammlung und blieb abrupt stehen. Zwischen den Angroschim ragte ihmein rundlicher Ponyhintern mit buschigem Schweif entgegen. Dem braunweißgescheckten Fell nach zu urteilen, konnte es sich nur umMacke handeln.

Atogrosch drängte sich schnell durch die Zuschauer des Spektakels.Der arme Cendrasch konnte die Unternehmungslust dieses Vierbeiners wahrscheinlich wieder ausbaden.

„Anstattzu lachen, sollte jemand das Biest verjagen!“, ereiferte sich dieBäckersfrau. „Da, er frisst all die guten Brötchen!“,

Heldenhaft versuchte dieZwergin, dem Pony den Korb wegzuziehen, aber Macke legte drohenddie Ohren an und schnappte bösartig nach den Zöpfen derBäckerin.

„Hilfe!“, schrie diese und wich rasch zurück. Atogrosch versuchte,sich dem Kopf des kleinen

Hengstes „unauffällig“ zu nähern. „Angroschzum Gruß, Macke“, plauderte er möglichst gelassen. „Wie geht’s?“

„Ist dasetwa deine Ausgeburt eines Drachen?“, herrschte ihn die Bäckersfrau sofortan.

„Nein“, wehrte Atogrosch entsetzt ab. „Das ist ein Grubenpony.“

„Bei Angroschs Esse, kannst du nicht besser auf die Tiere aufpassen?“, schimpfte die Zwergin unbeeindruckt weiter. „Ihr jungen Kerle seiddoch zu nichts nütze! Ich werde mich beim Hauermeister beschweren.Die Brötchen wird man dir vom Lohn abziehen!“,

„Aber ichbin Schmiedelehrling“, protestierte Atogrosch. „Ich habe gar nichts mit denPonys zu tun.“

„Warum redest du dann mit ihm?“, kontertedie Bäckerin siegessicher.

„Du wolltest doch, dass dir jemand hilft“,erwiderte Atogrosch, der jetzt eigentlich niemandem mehr behilflich seinwollte. Cendrasch schuldete ihm für diesen Ärger einen Gefallen.

„Dannschaff dieses Monster endlich weg! Vielleicht drücke ich dann nochmal ein Auge zu“, herrschte die Bäckerin ihn an. Atogrosch wollte noch einmal zu seiner Verteidigungansetzen, überlegte es sich jedoch anders. Macke hatte inzwischen den Korbfast geleert und war nicht mehr so abgeneigt, als Atogroschihn am Halfter packte.

„Komm, du Vielfrass!“, befahl der junge