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April 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)! Im Auftrag des Kartells kümmern sich Meroth Industries und weitere irdische Großkonzerne um die wirtschaftliche Eroberung des Sonnensystems. Der Ausbau der lunaren Werft wird vorangetrieben, erste Schritte zur Kolonisierung des Mars sowie weit entfernter Planeten werden umgesetzt. Zugleich trifft die terranische Raumflotte Vorbereitungen für ihren ersten interstellaren Krieg. Machtkämpfe und politische Intrigen sorgen dafür, dass sich der sagorische Botschafter-Roboter Veegun stärker in die Belange der Menschheit einmischt. Als ihr langjähriger Gönner und Vertrauter sieht er sich gezwungen, Entscheidungen zu treffen, die seinen Schützlingen nicht gefallen könnten. In diesen lebhaften Zeiten versucht die verbotene Neue Irdische Kirche, neue Wege zu gehen. Ihr Oberhaupt verfolgt Pläne, die von Veegun unterstützt werden, gleichzeitig aber auch dem Kartell entgegenkommen. Inmitten dieser politischen Winkelzüge stehen der junge Gordon Meroth und seine Freunde, die versuchen, eine bessere Welt zu erschaffen. Im dritten Roman des Meroth-Zyklus erreichen die Intrigenspielchen des Kartells und des sagorischen Botschafter-Roboters Veegun einen vorläufigen Höhepunkt, der seine Opfer fordert.
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Seitenzahl: 288
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Wenn sich erwachsene Menschen darüber streiten, wer den besseren imaginären Freund hat, wird dies als Religion bezeichnet und führt gerne zu sinnlosen Kriegen.
Sinnlose Kriege werden auch aus anderen Ursachen geführt. Eifersucht, Gier, Streit um Ressourcen, Geld, Machtgelüsten oder aus weitaus niedrigeren Beweggründen.
Kriege sind immer sinnlos, aber so menschlich.
Unbekannter Autor
Dieses Buch widme ich meinem treusten Fan. Danke dafür, dass Du mir deine Zeit schenkst, damit ich Dir meine Romane vorlesen kann.
Diese Geschichte ist frei erfunden. Alle Namen, handelnden Personen, Orte, Institutionen und Begebenheiten entspringen der Fantasie des Autors. Jede Ähnlichkeit mit real lebenden oder toten Personen, Ereignissen oder Schauplätzen wäre völlig unbeabsichtigt und reiner Zufall.
Kapitel 16. Finstere Einblicke
13. April 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)
14. April 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)
15. April 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)
16. April 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)
Kapitel 17. Geschäfte mit Piraten
16. April 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)
Kapitel 18. Schatten von morgen
17. April 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)
18. April 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)
Kapitel 19. Unruhen
18. April 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)
19. April 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)
Kapitel 20. Die Neue Irdische Kirche
21. April 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)
22. April 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)
23. April 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)
24. April 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)
29. April 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)
Kapitel 21. Das Mars-Projekt
27. April 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)
28. April 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)
30. April 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)
Kapitel 22. Verbündete
2. Mai 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)
Vergangenheit 24. September 12 DNW (Der Neuen Weltordnung)
2. Mai 34 DNW (Der Neuen Weltordnung)
Es dauerte Sekunden, bis überhaupt eines der Besatzungsmitglieder auf der Brücke der Samuel Baker reagierte. Wertvolle Sekunden, die sich bei einem feindlichen Angriff als tödlich erwiesen hätten. Dies warf kein gutes Licht auf die Ausbildung, vor allem nicht auf die mentale Stärke der Männer und Frauen der stolzen Republic Space Force.
„Warum greifen die Flisser nicht an?“, fragte sich Gordon Meroth. „Worauf warten sie? Auf eine Einladung?“
Beeindruckt von der überlegenen Größe des außerirdischen Raumschiffes, verfolgte er dessen Flug auf dem leicht gekrümmten Panoramaschirm des terranischen Forschungsraumers der Kyron-Klasse. Obwohl Meroth nicht der Raumflotte angehörte, verstand er genug von Angriffsmanövern, um zu erkennen, dass das fremde Schiff keines absolvierte.
Im Gegenteil!
Der etwa neunhundert Meter durchmessende Diskusraumer beschleunigte nur mit geringen Werten und blieb auf einem Parallelkurs zur Samuel Baker. Er hielt sich dezent abwartend im Hintergrund. Seine Besatzung schien die Gegebenheiten erst einmal aus sicherer Entfernung zu analysieren. Genauso hätte es Meroth auch gemacht.
„Funkspruch von der Vulture-01!“, durchbrach Ensign Byduo Karanja die beschämende Untätigkeit auf der Brücke.
Der junge, dunkelhäutige Kom-Offizier der Beta-Schicht, der sich ebenfalls um die Ortungsanzeigen der aufgezeichneten Sensordaten kümmerte, fügte aufgeregt hinzu:
„Captain Johansson lässt fragen, ob wir uns am Angriff beteiligen werden.“
„Angriff?“, gab Meroth zu bedenken. „Es gibt keinen Grund, die Flisser anzugreifen“, behauptete er von sich überzeugt. „Sollte der von uns gekaperte Satellit ihnen gehören, besäßen sie hingegen jedes Recht dazu, dies zu tun. In ihren Augen dürften wir nichts anderes sein als gemeine Diebe.
Außerdem glaube ich nicht, dass wir aus einem Gefecht mit einem so gewaltigen Schiff als Sieger hervorgehen würden. Ich würde zunächst eine friedliche Kontaktaufnahme vorschlagen und eine Auseinandersetzung vermeiden.“
„Ich bitte Sie, sich nicht in die militärischen Abläufe der Raumflotte einzumischen, Mr Meroth!“, wies Captain Abud Wambu den hochgestellten Gast auf seinem Schiff zurecht. „Dennoch stimme ich Ihnen zu! Mr Karanja, bevor der Wikinger anfängt, wild um sich zu ballern, stellen Sie bitte eine Sichtverbindung zu Captain Johansson her.“
Kurz darauf erschien in der linken oberen Ecke des Panoramaschirms dessen Konterfei.
„Wambu!“, grüßte er den Kommandanten des Forschungsraumer knapp. „Bleiben Sie mit der Samuel Baker in der zweiten Reihe und geben Sie uns, wenn nötig, Feuerschutz. Mein Geschwader übernimmt den Hauptangriff!“
„Halten Sie einen Angriff wirklich für sinnvoll?“, versuchte Wambu den Eifer seines ranggleichen Kollegen zu bremsen. „Wir wurden ja noch nicht einmal bedroht.“
„Wambu, das sind Flisser!“, schrie Johansson ihn aufgebracht an. „Wir müssen diese amphibischen Ungeheuer auf der Stelle vernichten, bevor sie in Erfahrung bringen können, wer wir sind. Oder schlimmer noch, sie durch uns irgendwie in den Besitz der Koordinaten der Erde kommen.“
Der blonde, raubeinige Skandinavier blickte den breitschultrigen Kenianer verächtlich an.
„Oder sind Sie ein Feigling, Wambu? Hat man Ihnen deshalb nur das Kommando über einen Forschungsraumer gegeben?“
Captain Wambu verzichtete auf eine Antwort. Stattdessen sagte er:
„Wir folgen Ihnen in den Kampf, Captain!“
„Gut!“, nickte Johansson zufrieden und unterbrach die Verbindung.
„Sir, das ist ein Fehler!“, mischte sich Gordon erneut ein.
„Bitte verlassen Sie auf der Stelle meine Brücke, Mr Meroth!“, forderte ihn Captain Wambu mit deutlichem Nachdruck auf.
✯
Gordon hasste es, hilflos zu sein! Zögerlich trottete er durch den Hauptkorridor der Samuel Baker. Er dachte an seine Leibwächterin, die er gegen ihren Willen auf dem Mond zurückgelassen hatte. Zum Glück! Lieutenant Prune hätte ihm in dieser Situation gar nicht helfen können. Somit würde seine Entscheidung wenigstens einen sinnlosen Tod verhindern.
Sterben jedoch wollte Meroth auch nicht!
Er musste etwas unternehmen, durfte nicht untätig zusehen, wie Johansson einen völlig unsinnigen Krieg vom Zaun brach. Egal, was Veegun ihnen über die Flisser berichtete, besser gesagt, in einer spektakulären holografischen Darbietung über den Dächern der Metropolen der Erde gezeigt hatte, Gordon würde stets einen friedlichen Erstkontakt bevorzugen.
„Die astronomische Abteilung!“, fiel es ihm spontan ein. „Von dort aus kann ich wenigstens unseren Untergang beobachten.“
Über eine Notleiter erreichte Meroth in kürzester Zeit das Oberdeck des Schiffes. Nur ein paar Schritte vom Notschacht entfernt befand sich der Eingang zur astronomischen Abteilung. Meroth eilte auf die Tür zu, die sich bei seiner Annäherung automatisch öffnete.
Er hatte erwartet, einige der dort arbeitenden Wissenschaftler vorzufinden, doch er betrat einen verlassenen Raum. Wahrscheinlich folgten die hier arbeitenden Leute irgendwelchen dubiosen Gefechtsvorschriften. Verständlich, schließlich waren sie in erster Linie allesamt Soldaten der Raumflotte.
Meroth trat auf die Aussichtsplattform.
Die zweieinhalb Meter hohe, gebogene Wand aus Stahlglas lag oberhalb und etwas hinter der Brücke. Sie erlaubte Gordon den unheilvollen Angriff von Johanssons Geschwader der Fargan-Klasse, dem Captain Abud Wambu gehorsam hinterherflog, zu verfolgen.
Sie würden diese … Schlacht verlieren! Daran zweifelte Meroth keinen Augenblick.
Gordon fiel auf, dass das Vulture-Geschwader mit viel zu hohen Werten beschleunigte.
Was sollte diese Energieverschwendung?
Konnte es Captain Johansson nicht erwarten, dem Tod ins Auge zu sehen? Oder versuchte er, sich seiner Unterlegenheit bewusst, gar das Schiff der Flisser zu rammen? Es mit seinen sieben Aufklärern zu torpedieren? Ein wahnsinniges und völlig unnötiges Manöver, beim dem die Samuel Baker vielleicht ihrer Vernichtung entkommen könnte, wenn Wambu klug reagieren würde.
Doch das Gefecht endete, bevor es begann.
Das gegnerische Raumschiff entmaterialisierte und das Vulture-Geschwader stieß ins Leere. Der erste unvermeidliche Kampf zwischen den Flissern und der Republic Space Force hatte sich vertagt. Erleichtert atmete Gordon Meroth auf und kehrte kurz vor Mitternacht auf die Brücke der Samuel Baker zurück.
Der Abschied von Captain Wambu verlief weniger herzlich als die Begrüßung vor zwei Tagen. Der Kenianer schien sich für sein gestriges Verhalten zu schämen, fand dafür aber keine erklärenden Worte. Meroth machte dem leicht untersetzten Mann keine Vorwürfe. Natürlich hätte sich Wambu dem Befehl Johanssons widersetzen können. Doch was hätte es ihm eingebracht? Sicherlich nur Ärger mit der Admiralität der Raumflotte.
Den zweiundzwanzigstündigen Rückflug mit der Vulture-04 zur Erde verbrachte Gordon in der kleinen Kabine, die ihm zugewiesen worden war. Selbst zwei Einladungen des Captains zu einem gemeinsamen Essen hatte Meroth dankend abgelehnt, was dieser wohl jedes Mal mit Erleichterung zur Kenntnis genommen hatte.
Meroth fühlte sich betrogen.
Sein erster Ausflug in die Weiten des interstellaren Raums hatte ihm nur wenig Freude bereitet. Dabei hatte alles so interessant angefangen. Selbst die Begegnung mit den Flissern hätte ein fantastisches Erlebnis werden können.
Die Mehrzahl der Menschen, vor allem jene, die der Republic Space Force angehörten, sahen dies nicht so. Für diese Leute bedeutete jedes Aufeinandertreffen mit einer außerirdischen Lebensform, egal ob es sich dabei um die Flisser oder eine andere Spezies handeln würde, sich einem tödlichen Kampf ums Überleben zu stellen.
Solche zutiefst abstoßenden Gedankengänge konnte Gordon nicht nachvollziehen, obwohl Überlegungen dieser Art nicht nur bei der Flotte zugegen waren. Es handelte sich um ein Phänomen, das sich immer mehr auf der Erde ausbreitete, was nicht nur an Veeguns provozierender Panikmache lag. Der sagorische Botschafter-Roboter nutzte diese tiefsitzenden Urängste der Menschheit vor dem Unbekannten nur, um damit seine eigenen Pläne voranzutreiben.
Wie auch immer! Der erbeutete Flisser-Satellit würde bei den Ingenieuren und Wissenschaftlern von Meroth Industries bestimmt für große Aufregung sorgen.
Ebenso bei Gordons Vater.
Die zu erwartenden Erkenntnisse aus den Untersuchungen der fremden Technologie würden sich in vielerlei Hinsicht verwerten lassen. Kommerziell und wissenschaftlich!
So weit sollte es jedoch nicht kommen.
Der Summer seiner Kabinentür weckte ihn.
Ein verschlafener Blick auf den blau leuchtenden holografischen Chronografen auf dem Nachttisch verriet ihm die exakte Uhrzeit. 01:15:32 Uhr! Noch knapp drei Stunden bis zur geplanten Landung der Vulture-04 auf dem Mond.
Warum weckte man ihn bereits jetzt?
„Herein!“, rief Meroth, während er sich, nur mit einer Unterhose bekleidet, aus dem schmalen Bett seiner Unterkunft schwang und dort sitzen blieb.
Ein weiblicher Ensign mit blonder Pferdeschwanzfrisur betrat seine Unterkunft. Die junge Frau musterte ihn kurz, bevor sie verlegen auf die gegenüberliegende Wand starrte.
„Ent… entschuldigen Sie die frühe Störung, Mr Meroth!“, stotterte die Kom-Offizierin schüchtern. „Der Captain war der Meinung, ich sollte Ihnen die wichtigen Neuigkeiten persönlich überbringen.“
„Welche Neuigkeiten?“, fragte Gordon müde.
„Die Admiralität hat sich über Gunarfunk gemeldet, Sir“, berichtete Ensign Webber. „Wir sollen direkt zur Erde fliegen und den Satelliten unverzüglich dem Kartell übergeben.“
„Wie bitte?“
Meroth winkte ab, als die Soldatin ihre Meldung wiederholen wollte.
„Schon gut, Ensign! Ich habe Sie verstanden. Gab es eine Begründung für diesen Befehl?“
„Nein, Sir!“
„Natürlich nicht!“, brummte Gordon mürrisch vor sich hin. „Bitte, sprechen Sie dem Kommandanten meinen Dank für die persönliche Benachrichtigung aus, Ensign Webber.“
„Gern geschehen, Sir!“, verabschiedete sich die junge Frau mit einem freundlichen Lächeln.
Zum Glück hatte Gordon seinen Vater auf der Erde noch nicht über den Flisser-Satelliten informiert. Der alte Mann wäre über den unerwarteten Verlust des Geräts sicherlich nicht begeistert gewesen.
✯
Fünf Minuten vor der Landung der Vulture-04 auf dem Containerraumhafen Kelso, mitten in der Mojave-Wüste, erlaubte sich Gordon dennoch einen Besuch auf der Brücke.
Captain Wolter nickte ihm beim Eintreten kurz zu und verfolgte weiterhin aufmerksam die Landung seines Schiffes auf dem Frontschirm. Das Landefeld wurde von zahlreichen Flutlichtern hell erleuchtet. Meroth erkannte unter den dort liegenden Schiffen Frachter von Meroth Industries und der erst kürzlich gegründeten Mars Cargo seines Bruders Edward. Letztere bereits mit den entsprechenden neuen Logos versehen, was dank der verwendeten Nanotechnologie in den Außenhüllen der Schiffe eine leicht zu lösende Aufgabe gewesen war.
Wie gewöhnlich herrschte auf dem sich ständig ausweitenden Raumhafen reger Betrieb. Der wachsende Frachtverkehr zwischen der Erde und ihrem Trabanten sowie mittlerweile dem Mars verlief zum größtenteils über Kelso.
Es war schon ziemlich beeindruckend zu sehen, was rund um die ehemalige Geisterstadt im Staate Nevada in den letzten Jahrzehnten aus dem Boden gestampft worden war.
„Antigrav-Triebwerke ausschalten!“, befahl Wolter dem Piloten, nachdem das Schiff sicher auf den Verankerungsgriffen seines Landeplatzes zur Ruhe gekommen war. „Geben Sie den Bots der zuständigen Wartungseinheit Bescheid“, wandte er sich an Ensign Webber. „Sie können sich um das Schiff kümmern. Teilen Sie ihnen mit, dass wir unsere Fankton-Speicher auf Defender-One auffüllen werden.“
„Aye, Sir!“, bestätigte Webber und gab die Anordnungen pflichtbewusst weiter.
„Und fragen Sie im Tower nach, wo die Leute des Kartells bleiben! Ich möchte nicht die ganze Nacht hier tatenlos herumsitzen.“
„Jawohl, Captain!“
„Na, Meroth?“, erkundigte sich Captain Hans Wolter mit einem Hauch von Sarkasmus in seiner tiefen Stimme. „Nicht zu sehr enttäuscht, dass sich das Kartell den Flisser-Satelliten unter den Nagel reißt?“
„Die Kartellräte haben meinen Vater schon öfters um Hilfe gebeten, wenn ihre eigenen Leute wieder mal nicht weiterkamen“, nahm es Gordon sportlich. „Ich bin mir sicher, dass wir auch diesmal unser Stück von diesem Kuchen bekommen werden.“
„Wir sollen unverzüglich den oberen Frachtraum öffnen“, leitete die blonde Kom-Offizierin die von der Flugsicherung erhaltenen Befehle weiter. „Ein Frachtgleiter des Kartells befindet sich bereits im Anflug!“
Wolter gab dem Tech-Offizier einen Wink.
„Öffnen Sie dem Kartell die Türen, Mr Trapper!“
„Türen geöffnet!“, grinste der junge Mann.
„Gleiter im Anflug!“, meldete Webber.
„Die Verankerungen des Satelliten lösen, Mr Trapper!“
„Sind gelöst, Captain!“
„COS, Ansicht der oberen Schiffshülle auf den Frontschirm!“
Das Bild auf dem Panoramaschirm wechselte und zeigte vier verschiedene Ansichten des geöffneten Frachtraums.
„Was ist das denn?“, deutete der kleine Pilot der Vulture-04 auf ein Flimmern der Luft, das auf dem Schirm plötzlich zu erkennen war.
Keine drei Meter über dem Frachtraum des republikanischen Aufklärers wurde der goldene Rumpf eines nur allzu gut bekannten Raumschiffes sichtbar. Ein weißblauer Traktorstahl ergriff den erbeuteten Satelliten und beförderte ihn langsam ins Innere des goldenen Schiffes, das kurz darauf wieder unsichtbar wurde.
„Jetzt möchte ich gerne die enttäuschten Gesichter der Kartellräte sehen!“, grinste Gordon spitzbübisch, fragte sich aber gleichzeitig, welches Interesse der sagorische Botschafter-Roboter am Flisser- Satelliten haben könnte.
✯
„Für wen hält sich diese verdammte Maschine eigentlich?“, tobte Stefan Lobb durch das Wohnzimmer seines luxuriösen Appartements im Administration-Tower der Metropole Koblenz.
„Für denjenigen, der das Sagen hat!“, verriet Lady Gillian dem aufgebrachten Anführer des Kartellrats mit ruhiger Stimme.
„Vorsicht, Direktorin!“, warnte Stefan Lobb die Überbringerin der schlechten Nachricht. „Heute werden Köpfe rollen. Passen Sie auf, dass Ihrer nicht mit dabei ist.“
Die im Jahre 1973 der alten Zeitrechnung geborene Frau, die immer noch aussah wie eine jung gebliebene 60-Jährige, hatte es sich auf dem breiten Sofa niedergelassen und kreuzte lässig ihre Beine.
„Sie wissen ganz genau, dass Drohungen bei mir nicht wirken, Sir“, erwiderte sie unbeeindruckt. „Deshalb gaben Sie mir schließlich meinen Job. Und weil ich mich nicht davor fürchte, Ihnen die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, egal wie ungern Sie diese hören möchten. Wir haben ein viel größeres Problem mit Veegun als diesen kleinen Diebstahl. Obwohl, ich glaube, irgendwie hängt alles zusammen!“
Die Nachricht vom Verlust des Flisser-Satelliten verdeutlichte Lobb wieder einmal, auf welch wackligen Füßen, die Macht des Kartells stand. Sie alle waren der Gnade eines Kunstgeschöpfs ausgesetzt, das ein den Menschen völlig unbekanntes Volk vor fast zweihundert Jahren als Botschafter und Entwicklungshelfer zur Erde entsendet hatte.
Aber waren die Kartellräte nicht selbst schuld an dieser unerträglichen Situation?
Kurz nach dem aus dem Ruder gelaufenen Zweiten Weltkrieg empfingen die damaligen Mitglieder des Rats den Gesandten der Sagorer mit offenen Armen. Seine spektakuläre Landung nahe dem Städtchen Roswell wurde hingegen schnell vertuscht. Vor allem, nachdem die Räte erkannten, wie sehr nicht nur ihr Kartell, sondern auch sie persönlich von dieser Begegnung profitieren würden.
Mithilfe der sagorischen Technologie und der großzügigen Geschenke, die Botschafter-Roboter Veegun in seinem Diplomaten-Gepäck mit sich führte, gelang es dem Kartell schnell, seine globale Macht dauerhaft zu festigen. Und dies nicht nur, wie einst bei der Gründung des Kartells geplant, im wirtschaftlichen Sinne.
Die Räte waren nun in der Lage, ihre politischen Gegner unbemerkt auszuspionieren und für ihre Zwecke zu manipulieren. Aber auch der Rest der Menschheit ließ sich dank der bevorstehenden Computerrevolution leichter überwachen und lenken.
Nichts blieb dem Kartell und seinen Schergen verborgen, genauso, wie nichts, was die Räte taten, dem sagorischen Botschafter vorenthalten werden konnte.
Dafür erhielten die Räte jedoch den Schlüssel für eine einzigartige Zukunft. Interstellare Raumfahrt, unbegrenzte Energie aus dem Hyperraum, Heilmittel gegen fast jede Krankheit. Ein Segen, wie man glauben sollte. Dass sie damit auch ihre eigene Freiheit aufgaben, realisierten die Kartellräte erst viel später.
Stefan Lobb war ein Mann, der schnell seine Beherrschung verlor, sich aber ebenso schnell wieder beruhigte. Einige seiner Ratskollegen führten seine emotionale Sprunghaftigkeit auf seinen brillanten Verstand zurück.
Noch bevor Lobb vom Kartell erfuhr, gelang es ihm im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts mit ein paar kleinen technischen Bauteilen, die jemand ihm anonym zugeschickt hatte, die gesamte Computer- und Kommunikationswelt auf den Kopf zu stellen.
Erst Jahrzehnte später, nach seiner Aufnahme in den Inneren Kreis des Kartells, erkannte er die Verbindung seiner Produkte zur Technologie der Sagorer. Seine Arbeit, wie die von einigen anderen berühmten Persönlichkeiten auf der ganzen Welt, hatte dazu beigetragen, heimlich den Weg für diese bahnbrechende Kommunikationsmöglichkeiten zu ebnen.
Der hagere, leicht ergraute Mann mit dem Drei-Tage-Bart trug einen schwarzen seidenen Morgenmantel und starrte die ihm gegenübersitzende Frau eine Weile lang schweigend an.
„Alles hängt irgendwie zusammen!“, wiederholte Stefan Lobb den letzten Satz seiner Besucherin.
„Genau, Sir!“, äußerte sich Lady Gillian, die gelangweilt ihre weiß lackierten Fingernägel betrachtete. Mit einem leichten Tippen auf den Nagel des Zeigefingers ihrer linken Hand veränderte sie die Farbe in ein dezentes Rot.
Der Kartellrat ließ sich von ihre Gleichgültigkeit nicht täuschen. Er war einmal auf dieses hinterfotzige Miststück reingefallen, das würde ihm nie wieder passieren. Sie hatte ihm vor Jahren eine schmerzhafte Lektion erteilt. Er hatte daraus gelernt und war daran gewachsen.
Es hatte eine Weile gedauert, bis Lobb ihr diese Angelegenheit verziehen hatte, vergessen würde er die erlittene Schmach jedoch nie.
Er schätzte Lady Gillian für ihre Aufopferungsbereitschaft und für alles, was sie seit ihrer Zeit im Inneren Kreis geleistet hatte. Sie war eine der zuverlässigsten und erbarmungslosesten Frauen, die er kannte. Dazu besaß sie den Ruf einer eiskalten Geschäftsfrau, die selbst einen Harry Meroth in Verlegenheit bringen konnte.
Am wichtigsten war Lobb jedoch ihre Treue zum Rat, wobei Lady Gillian nie einen Hehl daraus machte, dass sie eine Mitgliedschaft im selbigen stets ablehnen würde, ohne dabei ihre Beweggründe zu offenbaren.
Lobb war dies egal.
Es gab so schon genug Schaumschläger, die alles tun würden, um eine Position im Rat zu ergattern. Gerade jetzt, wo durch den heimtückischen Verrat von Cyrus Stellumo ein Sitz frei geworden war.
„Lassen Sie hören!“, forderte er die immer noch sehr attraktive Frau mit dem vollen, nackenlangen hellblonden Haar auf.
Lady Gillian erhob sich, prüfte kurz den Sitz ihres schwarzen, knielangen Lederrocks und schritt auf ihren gut zehn Zentimeter hohen High Heels hinüber zum Positronikterminal des Wohnzimmers. Sie griff mit zwei Fingern in eine der kleinen, kaum auffallenden Taschen ihrer schnittigen Lederjacke und förderte einen flachen, roten Kristall zutage.
Ohne um Erlaubnis zu bitten, legte die Direktorin des Kartellgeheimdiensts den Datenträger auf die schwarzglänzende Oberfläche des Terminals. Augenblicklich schaltete sich das Gerät ein und reagierte auf das externe Speichermedium.
Ein Versuch, ihn zu scannen oder eine Datenübertragung zu verhindern, scheiterte. Die machtlose Positronik konnte nicht einmal eine Warnung abgeben.
Eine grünliche Energieentladung huschte über die leuchtende Oberfläche des Terminals und wanderte weiter durch den gesamten Raum, hin zu allen mit ihr verbundenen Geräten. Kameras, Mikrofone, Holoprojektoren, sogar die in den Wänden versteckten Bots mit ihren unterschiedlichen Funktionen wurden von grünen Energiepeitschen genötigt, kurzzeitig ihre geheimen Positionen zu verraten.
„Was haben Sie getan?“, wunderte sich Lobb. „Mein positronisches Überwachungssystem übernommen? Wie kann das sein? Ich habe es selbst programmiert. Es ist unmöglich, meine Sicherheitsmaßnahmen zu überlisten.“
„Jeder großer Meister wird eines Tages von einem seiner Schüler übertroffen.“
„Von Ihnen?“
„Wohl kaum!“, lächelte Lady Gillian amüsiert und fügte verführerisch hinzu. „Sie kennen ja meine unverwechselbaren Talente!“
„Ja, schon gut!“, überging Lobb die eindeutige Anspielung.
„Wie Ihnen bekannt sein dürfte, arbeiten für den Jalar die besten Spezialisten der Erde. Darunter eine ganze Abteilung, die nur damit beschäftigt ist, zu versuchen, die sagorische Technik zu überlisten beziehungsweise sie so zu überarbeiten, dass sie nicht mehr … sagorisch ist.“
„Und das funktioniert?“
„Nicht so gut wie erhofft“, antwortete Lady Gillian leicht enttäuscht. „Aber wir machen Fortschritte, wenn auch nur sehr kleine. So wie mit dieser Phasenverschiebungs-Technik.“
„Berichten Sie weiter!“, verlangte Lobb.
„Bitte verlangen Sie jetzt kein Techno-Gebabbels von mir“, wehrte sich Lady Gillian gegen ein solches Anliegen. „Ich verstehe nicht das Geringste von dieser Sache.“
Das entsprach wohl nicht ganz der Wahrheit, was Stefan Lobb wusste. Dennoch akzeptierte er ihre Zurückhaltung. Sie war schließlich keine Expertin auf diesem Gebiet, obwohl sie bestimmt genügend technisches Verständnis besaß, um ihm die Funktionsweise dieser Phasenverschiebungs-Technik zu erklären.
„Es ist uns gelungen, die sagorische Positronik-Technologie so zu beeinflussen, dass wir sie weiterhin problemlos benutzen können, sie aber in eine Art Unterprogramm verwandelt haben, über das wir allein die Kontrolle besitzen. Auch über die Daten, die von außerhalb des Systems abgerufen werden können.“
„Was eigentlich nur auf Veegun zutrifft!“, hielt Lobb fest.
„Genau!“, nickte Lady Gillian anerkennend. „Eine von uns programmierte künstliche Intelligenz, die nicht von sagorischen Elementen beeinflusst werden kann, stellt sicher, dass nur unverfängliche beziehungsweise von uns manipulierte Daten weitergeleitet werden.“
„Wäre es nicht klug, ab und zu ebenfalls etwas Wichtiges, etwas Wahres durchsickern zu lassen, nur damit Veegun keinen Verdacht schöpft?“
„Daran haben wir natürlich gedacht“, nickte Lady Gillian zuversichtlich. „Entsprechende, leicht anzupassende Szenarios wurden bereits ausgearbeitet und werden bei Bedarf ins System eingespeist.“
„Ich sehe, ich werde langsam alt!“, behauptete Stefan Lobb. „Früher hätte ich mich selbst um solche Dinge gekümmert, sie selbst erfunden.“
„Sie haben mittlerweile andere, wichtigere Aufgaben zu erfüllen, mein Lieber“, erinnerte ihn Lady Gillian.
„Und diese Phasenverschiebungs-Technik ist bereits voll einsatzbereit?“, fragte Lobb.
„Noch nicht ganz!“, gab Lady Gillian ehrlich zu. „Wir sind dazu in der Lage, einzelne, kleine Systeme wie Ihre Hauspositronik zu übernehmen, die großen Verbundsysteme sind jedoch viel zu komplex und werden uns noch eine Weile beschäftigen. Einem vollständigen Ausspionieren durch Veegun können wir uns leider noch nicht entziehen. Wir sind aber zuversichtlich, eines Tages dazu in der Lage zu sein.“
„Eines Tages?“
„Es ist ein Geduldsspiel, Sir“, gab Lady Gillian zu, „bei dem wir darauf achten müssen, unsere Absichten nicht zu verraten. Sie können sich sicher vorstellen, wie der sagorische Botschafter darauf reagieren würde, wenn er herausfindet, dass wir damit beschäftigt sind, eigene Technologien zu entwickeln.“
„Darum hat er uns den Satelliten weggenommen“, erkannte Stefan Lobb die Verbindung. „Wahrscheinlich mögen es seine Herren nicht, wenn jemand mit anderen Sachen spielt als den ihren.
Aber warum? Wie gefährlich können andere Technologien schon für die Sagorer sein? Vor allem, da wir ja erst an deren Basiswissen kratzen. Hat die sagorische Technik vielleicht Schwachstellen, von denen wir nichts ahnen oder wissen dürfen?“
„Das glaube ich eher nicht, Sir!“, bemerkte Lady Gillian. „Meiner Meinung nach geht es diesbezüglich nur um Abhängigkeit und Kontrolle.“
„Inwiefern?“
„Na, ja! Stellen Sie sich mal vor, wir oder eine der anderen von den Sagorern unterstützten Rassen würden sich gegen sie auflehnen. Vielleicht sogar versuchen, sie zu bekriegen oder gar auszulöschen.“
„In solch einem Fall bräuchten die Sagorer nur den sprichwörtlichen Stecker zu ziehen und der ganze Aufwand würde bereits im Keim erstickt werden“, schlussfolgerte Lobb richtig. „So viel zu der großzügigen Entwicklungshilfe der Sagorer, die mir stets verdächtig vorkam. Niemand tut so etwas, ohne dafür eine Gegenleistung zu verlangen.“
„Darum müssen wir versuchen, unsere Unabhängigkeit unbemerkt zurückzugewinnen, um nicht eines Tages von den Herren der Botschafter-Roboter einfach ausgeknipst zu werden.“
„Schon wieder dieses ,eines Tages‘ “, brummte Lobb unzufrieden. „Wie lange wird es dauern, bis wir uns von den Sagorern vollständig abnabeln können? Jahre? Jahrzehnte?“
„Wohl eher einige Jahrhunderte!“, hielt ihm Lady Gillian die ungeschminkte Wahrheit vor Augen. „Wie gesagt, wir kommen nur sehr langsam voran und jeder noch so kleine Fortschritt, den unsere Wissenschaftler in Hinsicht auf die sagorische Technik machen, stellt uns vor neue Herausforderungen. Dennoch müssen wir weiterhin an ihr festhalten. Wir müssen lernen, sie zu kontrollieren, bevor wir sie ersetzen.
Es sei denn, uns gelingt ein unerwarteter Durchbruch“, fuhr Lady Gillian zögernd fort.
„Wie darf ich das verstehen?“
„Einer meiner Agenten bei Republic Genetic ist auf etwas gestoßen, das mein Interesse geweckt hat!“
„Republic Genetic?“, wiederholte Lobb verwundert. „Dort wird am Projekt Zuchthof gearbeitet. Ich dachte, Sie hätten sich um die Sicherheitslücken in diesem Unternehmen gekümmert? Hat dieser schmierige Reporter von The Voice wieder was aufgedeckt, was uns in Verlegenheit bringen könnte?“
„Das Sicherheitsleck wurde eliminiert!“, versicherte Lady Gillian dem Kartellrat. „Nur Niki van Dengscht haben meine Leute nicht erwischt. Eine zufällig anwesende Ärztin konnte den bereits vergifteten Journalisten retten. Eine seltsame Geschichte, um die sich meine Leute bereits kümmern.
Aber zurück zu Republic Genetic“, lenkte Lady Gillian die Aufmerksamkeit Lobbs wieder auf ihr ursprüngliches Gespräch.
Sie wollte vermeiden, dass Lobb oder sonst einer der anderen Räte mehr als das Nötigste über Gordon Meroths Beteiligung an der Geschichte mit dem Reporter erfuhr.
„Bei den dortigen Forschungen wurden in einigen Gehirnen der freiwilligen Testpersonen, bei denen es sich ausschließlich um Soldaten der ehemaligen Schutztruppen der Metropolen handelt, aktive Bereiche entdeckt, die bei uns normalen Menschen brachliegen.
Die kurzsichtigen Wissenschaftler von Republic Genetic hielten ihre Entdeckung nicht für wichtig, da sie nichts mit ihrem Zuchtprogramm zu tun hatte. Außerdem schoben sie diese Anomalie der Herkunft der Soldaten zu, die ja ebenfalls das Resultat eines genetischen Eingriffes sind.“
„Kommen Sie zum Punkt, Gnädigste!“, verlangte Lobb mürrisch. „Die Wachen vor der Tür machen sich bestimmt schon ihre Gedanken darüber, weil wir schon so lange in trauter Zweisamkeit verweilen.“
Lady Gillian schenkte ihm ein wohlwollendes Lächeln
„Das hättest du wohl gerne, du kleiner Lustmolch“, dachte sie in Erinnerung daran, wie oft Lobb schon in den vergangenen Jahrzehnten vergeblich versucht hatte, mit ihr im Bett zu landen.
Warum sie gerade zu ihm so abweisend war, wusste sie selbst nicht. Vielleicht verglich sie ihn einfach zu sehr mit sich selbst. Jedenfalls, was einige seiner Charaktereigenschaften betraf.
„Nun, gut!“, sagte Lady Gillian mit verhaltener Stimme. „Vielleicht fällt Ihrem genialen Hirn eine Lösung zu meinen Gedankengängen ein.
Können Sie sich vorstellen, mithilfe der Phasenverschiebungs-Technik, sagorischen Naniten eine programmierbare, biologische Komponente zu verpassen, und diese wiederum in einem Verbund arbeiten zu lassen?“
„Eine biotechnologische Schwarmintelligenz!“, fuhr Lobb aufgeregt aus seinem Sessel hoch. „Was für ein fantastischer Gedanke! Natürlich, das wäre eine Möglichkeit. So könnten wir auch die Probleme, die wir mit unseren eigenen Naniten haben, lösen. Bei Meroth haben sie jedenfalls nicht lange funktioniert.“
Das zu hören beruhigte Lady Gillian sehr. Einen vom Rat manipulierten Gordon Meroth hätte sie für ihre eigenen Pläne nicht gebrauchen können.
„Wir erschaffen eine Art Superhirn“, fuhr Lobb begeistert fort, „mit dessen Hilfe wir unsere eigene Technologie entwickeln können, die alles, was die Sagorer je vollbracht haben, in den Schatten stellen wird.“
„Und dies vor ihren Augen und Ohren!“, lächelte Lady Gillian bei der Vorstellung an einen blinden und tauben Veegun. Der wäre über solch eine Entwicklung sicher nicht erfreut.
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Gordon kehrte mit einem Shuttle von Meroth Industries von Kelso aus zum Mond zurück. Kurz nach Mittag lunarer Zeit erreichte er sein Büro, wo er gleich von drei Frauen im Vorzimmer von Meroth Industries in Beschlag genommen wurde.
Zuerst fiel ihm seine Freundin Allison um den Hals und küsste ihn ungeniert ab, so als hätte sie ihn eine halbe Ewigkeit lang nicht mehr gesehen.
Gordon Meroth genoss den zärtlichen Austausch von Intimitäten mit seiner Lebensgefährtin, der von den beiden anderen Frauen schweigsam und verständnisvoll geduldet wurde.
Seine Leibwächterin hatte sich inzwischen an solche Liebesbezeugungen von Allison Cross gewöhnt. Sigrun Svensdottir, die auf Wunsch von Gordon erst seit kurzem die Geschäfte von Meroth Industries auf dem Mond zusammen mit ihm leitete, nahm es eher gelassen.
„Wow!“, löste sich Gordon nach einer knappen Minute von seiner Freundin und atmete erst einmal kurz durch. „Was für eine herzliche Begrüßung! Hoffentlich sind die beiden anderen Damen etwas zurückhaltender.“
„Du Schuft!“, boxte ihn Allison Cross freundschaftlich in die Rippen.
Sie kannte Gordon gut genug, um Bemerkungen dieser Art nicht allzu ernst zu nehmen. Außerdem, so nahm sie jedenfalls an, entsprachen weder die vollbusige und hochgewachsene Sigrun mit ihren roten, hochgesteckten Haaren noch die kleinere, sportliche Sandrine mit dem leicht kantigen Kinn seinem Frauengeschmack.
„Ich werde euch nicht weiter stören“, schmiegte sich Allison ein letztes Mal an Gordon. „Als ich von deiner Rückkehr erfuhr, nutzte ich meine Mittagspause, um dich zu sehen. Ich verlange aber von dir, dass wir heute Abend essen gehen. Die Moon-Ranch hat ein paar neue Rezepte auf ihrer Speisekarte. Darunter einen sehr pikanten Chili-Burger.“
„Klingt verlockend!“, stimmte Gordon dem Abendessen zu. „19:00 Uhr? Passt dir das?“
„Sicher!“, sagte Allison und verabschiedete sich mit einem weiteren Kuss von ihrem Liebsten.
„Ach je!“, seufzte Mrs Svensdottir mit rollenden Augen. „Junge Liebe ist doch was Schönes!“
Lieutenant Sandrine Prune schloss sich ihrem Stöhnen unverzüglich an.
„Schon gut, ihr beiden!“, beendete Gordon Meroth kurzerhand ihr rührseliges Theaterspiel. „Fehlt nur noch, dass unser Archie hier gewesen wäre und ein paar Tränen vergossen hätte. Wo ist der Kerl überhaupt? Hält er es nicht für nötig, seinen Boss zu begrüßen und mir zu berichten, was ich in den letzten Tagen so verpasst habe?“
„Mr Stoneclipper erlaubt sich ebenfalls, seine ihm vertraglich zugesicherte Mittagspause zu nutzen!“, verriet ihm Sigrun. „Ein Pad mit allen wichtigen Ereignissen liegt auf Ihrem Schreibtisch. Es ist aber nichts dabei, was Ihre Aufmerksamkeit benötigt. Verschaffen Sie sich bloß einen Überblick.“
„Danke, Sigrun! Ich werde mir das gleich anschauen!“, versprach er seiner Stellvertreterin und begab sich, gefolgt von Lieutenant Prune, in sein Büro.
„Kann ich noch etwas für Sie tun, Sandrine?“, fragte er seine Leibwächterin, nachdem sie die altmodische Tür hinter ihnen geschlossen hatte.
„Der TND hat einen Bericht verfasst, in dem Ihre Beziehung zu Ombudsmann Grillenwind analysiert wurde“, gab Lieutenant Prune zögernd von sich.
„Sollte mir das Sorgen bereiten?“
„Solange Ihre Zusammenarbeit mit der WWKA bisher den Richtlinien entspricht, nein!“, behauptete Prune ernsthaft. „Dennoch, Mr Grillenwind ist eine Person, mit der sich der terranische Nachrichtendienst seit einiger Zeit näher beschäftigt.“
„Warum?“, fragte Gordon verwundert. „Haben Ihre ehemaligen Kollegen herausgefunden, dass er bestechlich ist? Das würde mich nicht wundern!“
„Nein, Mr Grillenwind ist in dieser Hinsicht eine absolut integre Person.“
„Aber …?“
„Aber er verschwindet öfters für kurze Zeit vom Radar des TND“, fügte Sandrine ihren spärlichen Andeutungen hinzu. „Genauso überraschend taucht er wieder auf. Die Agenten des Terranischen Nachrichtendienstes sind diesbezüglich ratlos. Sie vermuten, dass eine technische Spielerei für Grillenwinds Verschwinden verantwortlich ist. Eventuell aus den Beständen des Jalars.“
„Oder aus dem Fundus von Meroth Industries, einem Unternehmen, zu dem Mr Grillenwind dem Anschein nach ein überdurchschnittlich gutes Geschäftsverhältnis besitzt“, erkannte Gordon. „Verständlich und nachvollziehbar! Aber dies ist nicht der Fall. Für uns ist Grillenwind nur ein Werkzeug, das wir hin und wieder für unsere Geschäfte benutzen. Möglicherweise ab und zu am Rande der Legalität. Mehr auch nicht.“
„Zu dem Ergebnis kam der TND ebenfalls“, verriet Sandrine ihrem Schützling. „Dennoch, seien Sie auf der Hut, mir zuliebe!“
Gordon blickte sie überrascht an, ging aber nicht weiter auf ihre Bitte ein, sondern nickte nur.
Mitten in der Nacht wurde Gordon vom Vibrieren seines flachen Multikoms, das er an der Rückseite seiner linken Hand trug, geweckt.
„Ja!“, meldete er sich leise, um die schlafende Allison neben ihm nicht zu wecken.
„Mr Gordon? Hier spricht Dr. Akasi!“
„Einen Moment, bitte!“, unterbrach Meroth die japanische Ärztin und eilte hinüber ins Wohnzimmer, wo er das Gespräch an einen Holoprojektor weiterleitete und annahm.
„Dr. Akasi!“, meldete der junge Mann sich, nachdem sich eine abhörsichere Verbindung aufgebaut hatte. „Was kann ich für Sie tun?“
„Entschuldigen Sie die Störung!“, sprach das fast lebensecht wirkende Hologramm der attraktiven Neurochirurgin ihn an. Die Frau schien sich an Meroths halb nacktem Erscheinungsbild nicht zu stören. „Es geht um den Schwarzen Geist. Das Mädchen ist aufgewacht und verlangt Sie zu sprechen.“
„Verstehe!“, murmelte Gordon in sich gekehrt. „Ich muss mich vorher bloß um ein paar Kleinigkeiten kümmern. Rechnen Sie in etwa drei Stunden mit meinem Erscheinen, Dr. Akasi. Ich hoffe, die Kleine kann so lange warten.“
„Sie erscheint mir zurzeit sehr geduldig, aber auch ungewöhnlich schweigsam!“, teilte ihm Dr. Akasi Misaki mit leichter Besorgnis mit. „Wir sehen uns!“
„Verdammt!“, fluchte Gordon leise vor sich hin, als das Hologramm der Ärztin erloschen war.
Schnell hinterließ er ein paar Sprachnachrichten für Mrs Svensdottir, seinen Sekretär Archibald Stoneclipper und natürlich für Allison. Um Lieutenant Prune brauchte er sich nicht zu kümmern. Sie trat gerade einsatzbereit aus dem Gästezimmer des Appartements, in das sie Gordon einquartiert hatte.
Bevor er wieder in seinem Schlafzimmer verschwand, meldete Meroth den Flug nach Toshima noch bei der Luna-Flugkontrolle an. Wenige Minuten später kehrte er, bekleidet mit einem schicken farngrünen Anzug und einem Hemd der gleichen Farbe, ins Wohnzimmer zurück.
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Kurz vor dem Anflug auf den sonnigen Südstrand der japanischen Izu-Insel Toshima überließ Gordon Meroth vorschriftsgemäß die Steuerung des Firmen-Shuttles der Positronik. Von einer Zentraleinheit auf dem japanischen Festland geleitet, setzte das Gefährt der Alandra-Klasse sanft auf einer kreisrunden, weiß lackierten Landeplattform auf, die rund fünfzig Meter vor dem Ufer im Meer lag. Ein drei Meter breiter Steg verband die Landezone mit dem vierstöckigen Kadochi-Komplex, der ebenso mehrere Etagen in die Tiefe hinabreichte.
Bereits während des schwungvollen Landeanflugs des Shuttles entdeckte Meroth die schlanke, 35-jährige Oberärztin, die normalerweise am Republic Hospital der Metropole Tokio ihren Dienst versah. Sie stand wartend auf dem Steg, innerhalb einer durch gelbe Signalleuchten markierten Sicherheitszone. Sobald sich das blinkende Gelb in ein stetes Grün verwandelt hatte, schritt Dr. Akasi dem Shuttle entgegen.
„Schön, Sie wiederzusehen, Mr Meroth! Lieutenant Prune“, begrüßte sie freundlich die Ankömmlinge.
„Danke, Dr. Akasi, und nennen Sie mich bitte Gordon.“
„Misaki!“, antwortete die Freundin von Kadochi Hiromi mit einer leichten Verneigung. Es wirkte beinahe schüchtern und wurde begleitet von einem charmanten Lächeln, das über ihre dezent geschminkten, vollen Lippen huschte.
„Hat sich zwischendurch etwas am Zustand Ihrer Patientin verändert?“, kam Meroth gleich zur Sache, während sie sich dem Eingang des Forschungskomplexes näherten.
„Nein!“, antwortete die Neurochirurgin, die über ihrer weißen Kleidung einen pastellblauen, knielangen offenen Kittel trug. „Das Mädchen ist friedlich, folgsam, hat gut gegessen, was nicht verwunderlich ist nach einem mehrtägigen Koma, hat ausgiebig gebadet und kann es kaum erwarten, Sie zu sehen.“
„Na, hoffen wir, dass sie mich diesmal nicht gleich wieder vernaschen möchte.“
Dr. Akasi errötete, was bei ihrem bleichen Teint ihres schmalen Gesichtes besonders gut auffiel. Lieutenant Prunes Lippen zuckten bei Gordons Worten ebenfalls verdächtig. Misaki kannte natürlich die Geschichte, wie der Schwarze Geist durch Sex mit Meroth Erleuchtung erfahren wollte, was seine Leibwächterin nicht hatte verhindern können. Vielleicht fand dieses sonderbare Verhalten heute Aufklärung.
„Erwartet uns Miss Kadochi im Innern?“, erkundigte sich Gordon.
„Hiromi … Miss Kadochi befindet sich auf einer Geschäftsreise und lässt sich entschuldigen“, antwortete die Ärztin in einer Manier, die dem Geschäftsmann Meroth nur allzu gut bekannt war. „Soll ich ihr etwas ausrichten? Oder ist Ihr Anliegen eher privater Natur?“
„Ganz schön neugierig, die Frau Doktorin!“, dachte Gordon amüsiert. „Eher von geschäftlichem Interesse“, erwiderte er laut.
„Seitens Ihnen oder Ihrem Herrn Vater?“