Menschen und Amanen - Claude Peiffer - E-Book

Menschen und Amanen E-Book

Claude Peiffer

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Beschreibung

Ein technologisches Versprechen, ein düsteres Geheimnis und ein drohender Konflikt, der Kampf um die Zukunft der Amanen beginnt. Caidian Meroth kehrt mit seinen drei Begleiterinnen von seiner Reise zur zweiten Welt zurück, doch die Hoffnungen, die er in den technologischen Fortschritt der dortigen Zivilisationen gesetzt hatte, zerschlagen sich. Zurück auf der Arche, einem alten Relikt aus der Vergangenheit, macht Caidian eine erschütternde Entdeckung. Ein Konflikt mit den unerbittlichen Wächtern der Hammanon-Schleuse droht zu eskalieren. Der sagorische Botschafter-Roboter Veegun schreitet ein, doch seine Absichten bleiben undurchsichtig. Das Raumschiff Amusgan kehrt ins Land Wu zurück und bringt Überlebende mit, die bald Unruhe und Misstrauen im Dorf Aman säen. Gleichzeitig taucht ein alter Freund auf, der für Verwirrungen und Verwunderungen sorgt, während die Mutter des Ursprungs weiterhin eine würdige Nachfolgerin sucht. Inmitten all dieser Turbulenzen kämpft Caidian mit seinen eigenen inneren Dämonen und privaten Problemen. Kann er sich den Herausforderungen stellen, die Amanen von seinen Plänen überzeugen und seine Zweifel und Ängste überwinden? Welche Rolle spielt die junge Chiyoko Kadochi, deren Schicksal scheinbar mit dem von Caidian verflochten ist? Wie passt der zwielichtige Händler Sven Viklund in das große Puzzle? Und was hat es mit den mysteriösen Mandatszeichen auf sich? Ein episches Abenteuer voller Intrigen, Geheimnisse und der Frage, wie weit man gehen muss, um die eigene Welt zu retten.

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Seitenzahl: 288

Veröffentlichungsjahr: 2025

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„Viele unterschiedliche Blumen ergeben einen bunten Strauß. Doch Vorsicht! Manche von ihnen besitzen spitze Dornen.“

Umschreibung der Diversität laut dem sagorischen Botschafter-Roboter Veegun

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 23: Menschen

Kapitel 24: Zurück nach Aman

Kapitel 25: Rückkehr ins Land Wu

Kapitel 26: Noch mehr Geheimnisse

Kapitel 27: Ein freudiges Wiedersehen

Kapitel 28: Verwirrungen

Kapitel 29: Hass

Kapitel 30: Ein neuer Dorfrat

Kapitel 31: Rätselhafte Visionen

Kapitel 23

Menschen

16. Tag des Herbsts im Jahre 151 nach der Gründung von Aman

10. Joktar 1466 ZMA (Zeitrechnung der Masanischen Allianz) 10. Oktober 646 DNW (Der Neuen Weltordnung)

„Es wird Zeit!“

Mit dieser Behauptung betrat Veegun unangemeldet die großräumige Kabine, die er Caidian und seinen drei Begleiterinnen auf der Amusgan zugeteilt hatte.

„Wir müssen nach Aman zurückkehren!“

„Nicht bevor wir mit Japalangosch über seinen Zoo gesprochen haben“, trat Sinusi Khana dem zwei Meter großen, goldenen Roboter mutig entgegen. „Egal, wie viele Jahre inzwischen auf Aman vergangen sind.“

Furchtlos blickte sie in seine türkisblauen Augen. Erneut glaubte die junge Frau in deren undurchdringlicher Tiefe etwas Vertrautes, einen Hauch von väterlicher Zuneigung zu erkennen, was sie natürlich für völligen Unsinn hielt.

„Der Porko lehnt weiterhin jeglichen Kontakt mit euch ab!“, erwiderte Veegun emotionslos.

Er ging gar nicht erst darauf ein, dass er ihnen den unterschiedlichen Zeitablauf auf Aman und innerhalb der Hammanon-Wolke verschwiegen hatte. Für ihn spielten die Jahre keine Rolle, und seine Gäste begriffen die temporale Dynamik, die sich hinter diesem Phänomen verbarg, sowieso nicht.

„Außerdem“, fuhr er geduldig fort, „sind eure Anschuldigungen völlig aus der Luft gegriffen. Es gibt auf der Arche keine inhaftierten Menschen. Weder die Sensoren der Amusgan noch die meinigen konnten humane Lebenszeichen innerhalb des Asteroiden registrieren.“

„Die Porkini …“

„Die Porkini müssen sich irren!“, behauptete Veegun von sich und der Technologie seiner sagorischen Herren überzeugt.

„Was, wenn nicht?“, hielt Nele dagegen.

„Die Porkini sind zwar blind“, erinnerte ihre Zwillingsschwester Nila den Roboter, „ihre geistigen Augen reichen aber in Bereiche hinein, die einem Wesen wie dir vollkommen verschlossen sind. Selbst unsere speziellen Fähigkeiten sind in diesem interdimensionalen Raum völlig nutzlos.“

„Kannst du den Porko nicht dazu zwingen, mit uns zu reden?“, verlangte Caidian Meroth mit Nachdruck. „Schließlich bist du ein Goldener.“

Die Maschine antwortete ihm nicht.

„Verdammt, Veegun! Diese Angelegenheit ist wichtig“, ließ Caidian nicht locker. „Nicht für uns persönlich, sondern für Aman. Dem Dorf würde ein Zuwachs an Menschen von außerhalb sicherlich guttun.“

„Das würde er in der Tat!“, bestätigte ihm Veegun. „Eure Blutlinien sind zwar auserwähltes Erbgut, aber dennoch ist der Erhalt eurer genetischen Vielfalt bedroht. Vor allem da es mit der Drei-Kinder-Regel nicht so läuft wie geplant. Es wäre sinnvoller gewesen, die Blauen Kutten hätten fünfhundert Menschen für die Gründung von Aman ausgesucht.“

„Die Priester hatten sicherlich ihre Gründe, nur hundert Menschen auszuwählen!“, meinte Caidian. „Aber du lenkst nur von unserer eigentlichen Forderung ab.“

Wieder schwieg Veegun!

„Glaubst du etwa, niemand wäre schlau genug, um dich zu überlisten?“, provozierte Sinusi den Roboter. „Die Menschen haben das schon einmal geschafft. Ich erinnere dich nur ungern an den Silberschirm!“

„Na schön!“, gab der ehemalige sagorische Botschafter-Roboter der Terraner dem Drängen der jungen Amanen nach. „Folgt mir! Wir werden das ein für alle Mal klären.“

Über fünfunddreißig Jahre saß er nun schon auf diesem monströsen Steinbrocken inmitten einer kosmischen Anomalie fest. Ein einfacher Soldat im Dienste der Masanischen Allianz, der sich als junger und gutgläubiger Onar für diesen Weg entschieden hatte. Einen Weg, der seiner Familie und seinem Volk Ehre einbringen sollte.

Ob dem wirklich so war, wusste er nicht. Er hatte es nie erfahren! In den ersten Jahren seines Auftrags hatte er noch daran geglaubt. Heute hielt er alles, was mit den Wächtern der Hammanon-Schleuse zu tun hatte, für eine große Verarschung.

Vielleicht wäre alles anderes gekommen, wenn der Labora Nereidschan ihm und seinen Kameraden mehr Einblick in ihre Aufgabe gewährt, ihnen mehr Vertrauen geschenkt hätte. Doch so folgten die Porko nur ihren teilweise nicht nachvollziehbaren Befehlen und warteten darauf, dass sich die Hammanon-Wolke eines fernen Tages einfach auflösen würde und man ihre Dienste nicht mehr benötigte.

Die Arche war ein langweiliger Ort!

Jedenfalls für einen jungen Soldaten, der sich nach kosmischen Abenteuern sehnte. Und fünfunddreißig Jahre waren eine verdammt lange Zeit, um nur der täglichen Routine zu huldigen.

Für Japalangosch waren die ersten Monate vor dem Hammanon besonders schwer zu ertragen gewesen. Er gehörte einem Trupp von Porkos an, der sich um die Fäkalien einiger schwebenden Tiere kümmern musste, die im Innern der Arche auf einer Art Weide lebten und den ganzen Tag nur damit verbrachten, zu fressen und zu scheißen.

Von seinem damaligen Vorgesetzten wurden diese Wesen als Buhuudi bezeichnet. Ihm war es egal, wie diese aufgeblasenen, fliegenden Fische hießen. Er sah einfach keinen Sinn in dieser erniedrigenden Arbeit und fragte sich, wozu diese ganze Scheiße gebraucht wurde, die er täglich mit seinen Kameraden einsammeln und in einem Bereich der Arche abliefern musste, zu dem er noch immer keinen Zutritt hatte. Sämtliche Versuche seinerseits, in all den Jahren dort einzudringen, waren stets kläglich gescheitert. Es war einer jener Bereiche der Arche, zu denen nur die Porkini oder dieser arrogante Labora Zugang besaßen.

Anfang des Jahres 1436 ZMA, einige Tage vor dem Hammanon, überschlugen sich plötzlich die Ereignisse.

Eine kleine, vom Kampf gezeichnete terranische Flotte samt Raumstation tauchte innerhalb des Batuba-Nebels auf und versteckte sich in der Nähe der Arche, die sie jedoch nicht bemerkten. Kurz darauf verschwanden die Schiffe wieder und die Raumstation blieb allein zurück.

Dann wurde es seltsam.

Ein großes Handelsschiff der Kalaner tauchte in Begleitung eines Patrouillekreuzers der Timber auf. Beide positionierten sich in einem schmalen, plasmafreien Seitenarm des Nebels. Kurz darauf steuerte ein terranischer Aufklärer, begleitet von einem kalanischen Shuttle der Deivon-Klasse, die Raumstation an.

Der terranische Aufklärer verharrte nicht lange und versuchte, erkennbar an seinen waghalsigen Manövern, aus dem Nebel zu flüchten. Dabei wäre das Schiff beinahe mehrmals mit einer der tödlichen Plasmaentladungen des Nebels kollidiert.

Das kalanische Shuttle folgte ihm bedeutend vorsichtiger und verlor den Aufklärer schnell aus den Augen. Der wiederum nahm Kurs auf die beiden ersten Schiffe und wurde von den dort wartenden Timbern beschossen. Erstaunlicherweise verfehlten die Wölfe jedoch ihr Ziel und entzündeten dadurch einige Plasmawirbel. Währenddessen nahm das große kalanische Handelsschiff den Aufklärer in einem Hangar auf.

Das kleine Shuttle entkam der gewaltigen Plasmaexplosion nur knapp, fand ein paar Trümmerteile, die dem terranischen Schiff zugeordnet werden konnten, und verließ den Batuba-Nebel wieder. Etwas später folgten ihnen die anderen Kalaner und die Timber. Beide kehrten kurz vor dem Hammanon für wenige Stunden zurück, bevor sie endgültig verschwanden und den terranischen Aufklärer in der Raumstation zurückließen.

Keiner der auf der Arche stationierten Porkos fand je heraus, was sich vor ihren Augen abgespielt hatte. Auch Japalangosch nicht.

Der Batuba-Nebel entzündete sich, die Hammanon-Wolke entstand, dehnte sich überlichtschnell aus und umschloss schließlich das gesamte Herrschaftsgebiet der ehemaligen Republik Terra mit ihren siebzehn Kolonien.

Als die hyperenergetischen Abläufe sich schließlich beruhigt hatten, stellten die Porko überrascht fest, dass die terranische Raumstation nun in einer orbitalen Bahn um die Arche kreiste. Beide befanden sich im Auge der Wolke, wodurch sie vor deren tödlichen Strahlung und den temporalen Auswirkungen geschützt waren. Gleichzeitig nahm die Hammanon-Schleuse ihren Dienst auf, und die Erniedrigungen der Porko durch die Porkini verschlimmerten sich zusehends.

Seit seiner Versetzung bestand Japalangoschs Kontakt zur Außenwelt nur noch aus den spärlichen Berichten der jungen Neuzugänge, die in den Jahren seiner Dienstzeit die auf der Arche verstorbenen Porko-Soldaten ersetzten.

Wahrscheinlich würde keiner der stolzen Wächter der Hammanon-Schleuse die Arche je lebend verlassen. Dieses kosmische Gebilde, entstanden aus dem energetischen Plasma des Batuba- Nebels und den unvorstellbaren Kräften von Wesen, die lange Zeit in der Geschichte von Japalangoschs Volk den Platz von Göttern eingenommen hatten, war ein Grabmal.

Ein paar Wochen nach seiner Beförderung zum Hetron, zum Kommandanten der Station, entdeckte der Porko innerhalb der Arche Stasiskammern mit einhundert schlafenden Menschen. Es gelang ihm, den Captain eines ehemaligen terranischen Schiffes zu wecken, von dem Japalangosch mehr über das Hammanon und seine Hintergründe erfuhr. Doch die erzwungenen Aussagen brachten den Porko nicht weiter, und er tötete den Mann mit dem Namen Logan Jetter.

Aus Langeweile weckte er nach und nach weitere Menschen auf und steckte sie in ein Habitat, das allem Anschein nach speziell für sie errichtet worden war. Warum und von wem, interessierte ihn nicht. Ihm ging es nur darum, sich mit diesen Wesen, die niemand vermissen würde, die Zeit zu vertreiben.

Japalangosch studierte ihr soziales Verhalten, amüsierte sich über ihr primitives Sexualleben, beobachtete, wie sie auf Nahrungsentzug reagierten oder sich in anderen Notsituationen verhielten. Und wenn ihn die Langeweile mal wieder so richtig übermannte, brachte er den einen oder anderen von ihnen einfach um.

So vergingen einige Jahre, und in seinem violetten Fell machten sich die ersten weißen Strähnen bemerkbar.

„Sie haben nicht das Recht, sich in die Angelegenheiten meines Volkes einzumischen, Botschafter“, blockte Japalangosch sofort ab. Die leuchtenden roten Pupillen seiner Augen hatten sich vor Erregung stark geweitet und nahmen fast den Platz der grauen Iriden vollständig ein, die in einer gelblichen Sklera lagen. „Wenn Sie Ihren Bruder Vallsan …“

„Sollten Sie Menschen auf diesem Asteroiden in Gefangenschaft halten, geht mich das sehr wohl etwas an“, bremste Veegun den Redeschwall des aufgeblasenen Porkos. „Öffnen Sie das Schott, Hetron! Ich werde meine Anordnung nicht noch einmal wiederholen!“

Japalangosch stieß ein mürrisches Grunzen aus und gab per Hand am seitlichen Türrahmen einen achtstelligen Code ein.

Beinahe geräuschlos öffnete sich das Schott. Die Amanen und Veegun folgten dem Porko in einen Raum, der große Ähnlichkeit mit der Schleuse eines Raumschiffes besaß. Sie passierten ein weiteres Schott, und vor ihnen erstreckte sich plötzlich eine saftige, grüne Wiese mit einem Teich, durch den ein kleiner Bach floss.

Buhuudi

„Das sind Buhuudi!“, erkannte Veegun die schwebenden Tiere, die neugierig auf sie zugeflogen kamen. „Wozu halten sich Porko Buhuudi?“

„Die Buhuudi gehören den Porkini oder Nereidschan“, erklärte Japalangosch wenig begeistert. „Meine Leute machen nur ihren Dreck weg. Ich glaube, die wurden für das Hammanon benötigt. Aber fragen Sie mich nicht, wozu.“

Veegun betrat die Wiese.

Ein paar der bunt gemusterten Buhuudi schwebten vorsichtig auf ihn zu, schnüffelten kurz und wichen erschrocken zurück. Bei den Amanen waren sie nicht so schreckhaft. Sie näherten sich ihnen, wobei sie freudig mit ihren kleinen vorderen Flossen schlugen.

„Die sind aber lieb!“, freuten sich die Zwillinge und streichelten sanft die Köpfe der Buhuudi.

Den Porko hingegen ignorierten sie vollständig, fast so, als wäre er nicht würdig genug, um mit ihnen zu interagieren.

„Aus den Fäkalien dieser Tiere kann man Talwenium B herstellen!“, gab Sinusi ihr Wissen preis, das sie von Nereidschan während ihres Ausflugs in die zweite Welt erhalten hatte. „Die Porkini benötigen es für ihre Flüge durch den interdimensionalen Raum.“

Veegun bückte sich, griff nach einem Haufen Buhuudi-Fäkalien, analysierte sie kurz und presste seine Hand fest zusammen.

Fasziniert beobachteten die Amanen, wie der Inhalt in seiner Faust anfing, bläulich zu leuchten, während einzelne Fäkalienspritzer von der Haut des Botschafters aufgesaugt wurden.

Als Veegun seine Hand wieder öffnete, war sie sauber und in ihr lag ein funkelnder blauer Kristall.

„Talwenium B!“, schlussfolgerte der Roboter richtig. „Langsam begreife ich!“

Caidian Meroth erwartete weitere Erklärungen, doch Veegun schwieg und überquerte stattdessen zielsicher die Weide.

„Was befindet sich hinter dieser Felswand?“, fragte er den Porko. Seiner Stimme haftete ein bedrohlicher Unterton an.

„Das ist natürliches Gestein der Arche“, behauptete Japalangosch, weiterhin bemüht, sein kleines Geheimnis zu bewahren.

Er wusste schließlich, dass der Roboter den Bereich dahinter auf Grund der Abschirmung, deren Technologie er den Porkini gestohlen hatte, nicht wahrnehmen konnte.

Veegun streckte seine Hand mit dem Talwenium-Kristall vorsichtig aus. Je näher er der Felswand kam, desto intensiver leuchtete der Kristall.

„Schalten Sie den Schirm aus!“, befahl er dem Porko.

„Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Botschafter!“, blieb Japalangosch stur.

Veegun griff sich den untersetzten Porko, hob ihn hoch und warf ihn zusammen mit dem Kristall gegen die Felswand. Eine blauweiße Energieentladung durchzuckte den Körper des stämmigen Hetrons, bevor er bewusstlos zu Boden fiel.

Von der Brutalität des Roboters überrascht, schreckten die vier Amanen einen Schritt zurück.

„Hören Sie auf, Botschafter!“, verlangte eine grunzende Stimme hinter ihnen. „Sie bringen ihn ja um.“

Eine weibliche Porko, deren Fell um einige Nuancen heller war, kam aufgeregt auf sie zugelaufen.

„Wer sind Sie?“, fragte Veegun kühl.

„Mein Name ist Gaburbausch!“, sagte die Frau und kniete sich sorgenvoll neben ihren Artgenossen. „Ich bin Japalangoschs Stellvertreterin und werde Ihnen Zutritt zu seinem Zoo verschaffen. Nur, bitte, tun Sie ihm nichts.“

Die einen Meter dreiundneunzig große Frau mit dem kurzen weißen Haar, deren Haltung nicht mehr ganz so aufrecht war wie vor ihrer Gefangenschaft, sah den sich ihr nähernden Trägern des Leichnams mit einer Mischung aus Trauer, Verzweiflung, vor allem aber Wut entgegen.

Sie hatte den Kampf gegen die Porko-Grippe erneut verloren. Wie hätte sie ihn auch gewinnen können? Ihr fehlten einfach die Mittel dazu. Es reichte nicht, eine geniale Ärztin zu sein, die das Unvermeidliche mit dem Wenigen, was ihr zur Verfügung stand, nur hinauszögern konnte. Sie benötigte Zugang zu einem medizinischen Labor mit all seinen Utensilien und Möglichkeiten. Damit hätte sie sicher das Leben vieler ihrer Kameraden und Freunde retten können.

Doch das kümmerte Japalangosch nicht. Für den verfluchten Porko waren Menschen nur felllose Primaten. Verachtenswerte Kreaturen, denen nicht nur er gezeigt hatte, wo sie hingehörten.

„Wie konnte sie sich anstecken, Olga?“, fragte die kleine Edokkerin neben ihr. „Die letzte Bestrafung durch den Porko liegt schon Monate zurück. Könnte das Virus eine so lange Inkubationszeit haben?“

„Um dir darauf einen Antwort zu geben, müsste ich das verdammte Ding gründlicher untersuchen können“, antwortete die alte Ärztin. „Zum Glück überträgt es sich nicht von Mensch zu Mensch, sonst wären wir längst alle an Organversagen gestorben!“

Sie wischte sich die Tränen aus ihren verblassten Augen, die einst strahlend grün leuchteten.

„Jetzt bin ich die Vorletzte, die von der Besatzung der Greycrow noch übrig ist!“

Die Ärztin erinnerte sich schmerzhaft an die letzten Tagen vor dem Hammanon. Sie waren vor den Schergen der Republik Terra in den Batuba-Nebel geflüchtet und wiegten sich dort in Sicherheit.

Doch während Freidenker und Rebellen, die letzten Überlebenden eines hoffnungslosen Kampfes gegen das übermächtige Terra, eingepfercht in einer kleinen Raumstation namens Dragon, auf den unausweichlichen Tod durch das Hammanon warteten, wurde die Greycrow auf eine letzte Mission geschickt.

Eine Pflicht, durch deren Gelingen das Hammanon erst eingeläutet werden konnte. Die Greycrow kehrte nach erfolgreich abgeschlossenem Auftrag in den Batuba- Nebel zurück. Mit an Bord die ehemalige Kartellrätin Usagi Kadochi, die letzte Überlebende der Erde.

Doch der Captain der Greycrow war nicht mehr dieselbe.

Mit Klaus Bodenstock hatte Mady Stoma ihren besten Kumpel verloren. Ein Verlust, über den die bierliebende Frau nie hinwegkam. Auch nicht mithilfe der Bordärztin, die nichts unversucht ließ, ihre Kameradin von ihren Depressionen zu befreien.

Das Hammanon kam und brachte den Tod.

Jedoch nicht für alle.

Einhundert von ihnen überlebten und wachten sechs Jahre später in Stasiskammern liegend auf. Sie wurden zu Gefangenen von Japalangosch, der sie wie Tiere in eine Art Habitat steckte, das nur mit dem Mindesten ausgestattet war, das Menschen zum Überleben benötigten, und ihnen nur ein Dasein vergleichbar mit Laborratten bot.

„Ihr wart eine tolle Mannschaft und die besten Freunde, die man sich wünschen konnte“, versuchte Usagi Kadochi die Frau aus Gorbagrad, einer Stadt auf der ehemaligen terranischen Kolonie Russia, zu trösten.

„Ich muss unbedingt mehr über dieses verdammte Virus in Erfahrung bringen“, fauchte Olga Poschenko.

Kurz blitzte sie wieder auf, die Härte, welche die Ärztin in jungen Jahren in ihrer Heimatwelt geprägt hatte. Sie würde den Kampf gegen dieses monströse Wildschwein niemals aufgeben.

„Du tust doch schon alles Mögliche!“, erwiderte die kleine, zierliche Usagi, während die Leichenträger an ihnen vorbeizogen und die Verstorbene am Ende des Korridors in einem Müllschacht entsorgten.

„Was für eine Erniedrigung!“

„Es geht leider nicht anders!“

„Ich weiß!“, antwortete die Ärztin mit zitternder Stimme. „Ich habe es selbst so empfohlen, als damals Mady als Erste von uns ging. Aber allein schon die Tatsache, dass wir uns von unseren Toten auf diese Weise verabschieden müssen, ist für mich ein Grund, dieses arrogante Porko-Schwein eines Tages eigenhändig umzubringen.“

Mit gesenkten Köpfen zogen die vier Leichenträger wieder an ihnen vorbei. Usagi und Olga sowie der Rest der Trauernden folgten ihnen schweigend zurück auf den kleinen Versammlungsplatz des kuppelförmigen Habitats.

„Heute verabschieden wir uns von Jadira Masala“, wandte sich Usagi Kadochi an ihre Mitgefangenen. Mit ihren achtundsiebzig Jahren war sie wohl der älteste Mensch, der noch existierte. Ein Relikt aus fernster Vergangenheit.

„Jadira war uns stets eine wertvolle Stütze …“

„Verschone uns bitte mit diesem Blödsinn!“, unterbrach der aufgebrachte Virgil Hauser die ergraute Politikerin, die immer noch eine beeindruckende Würde ausstrahlte, in ihrer etwas konservativen, aber eleganten Kleidung.

Der schwarzhäutige Mann mit dem kahlen Schädel, der einst als Lieutenant unter Admiral Mygun auf der Bonaparte diente, hatte die letzten sechs Jahre mit der Frau von Bandul zusammengelebt. Mit Jadira hatte Hauser seine dritte Gefährtin seit ihrer Gefangenschaft in den Tod begleitet. Verständlich, dass ihm ihr Ableben besonderes nahe ging, zumal er seine drei Partnerinnen alle an die Porko-Grippe verloren hatte.

„Ich habe es endgültig satt!“, schäumte er wütend. „Ich kann nicht weiter mit ansehen, wie wir nacheinander krepieren. In den ersten Jahren unserer Auferstehung war ich froh darüber, dem Hammanon entkommen zu sein. Ich war diesem verfluchten anthropomorphen Wildschwein sogar dankbar dafür, dass er uns aus den Stasiskammern befreit hatte. Aber wozu?“, seufzte er niedergeschlagen.

„Um miterleben zu müssen, wie wir Opfer eines Virus werden, mit dem Japalangosch uns nach und nach dezimiert.“

„Das ist nicht bewiesen!“, warf Dr. Poschenko vorsichtig ein.

„Er hat es doch selbst zugegeben!“, fuhr Virgil Hauser die Ärztin unnötig schroff an. „Ich habe dieses Drumherumgerede so satt. Außerdem bist du ebenfalls davon überzeugt! Gib es doch zu!“

„Stimmt!“, erwiderte Olga. „Aber mir fehlen die Mittel, um es zu beweisen!“

„Wen interessiert das?“

„Mich!“, behauptete eine laute androgyne Stimme, die aus dem Korridor kam, durch den sie gerade Jadira Masala zu ihrem unwürdigen Grab geführt hatten. „Mich würde es brennend interessieren, was Japalangosch mit euch angestellt hat.“

Aus dem Schatten des Eingangs, der zum Habitat führte, trat eine kleine Gruppe hervor und bewegte sich langsam auf den Versammlungsplatz zu.

„Veegun!“, stieß Usagi Kadochi überrascht aus.

Sie traute ihren Augen nicht, als sie den ehemaligen terranischen Botschafter-Roboter erkannte, dessen plötzliches Auftauchen augenblicklich die unterschiedlichsten Erinnerungen in ihr hervorrief.

„Das sind … Menschen!“, brach Olga Poschenko, diesmal vor Freude, in Tränen aus. „Menschen! Junge Menschen! Wir sind nicht die Einzigen, die überlebt haben.“

„Dafür sind die meisten von euch schon ziemlich alt!“, bemerkte Veegun nüchtern. „Dieser trostlose Haufen ist keine große Bereicherung für das Dorf, Caidian! Ich frage mich, ob sie überhaupt von Nutzen sind.“

„Wir werden sehen!“, meinte der junge Mann neben dem Roboter und trat lächelnd auf Usagi zu.

Ein Funke neuer Hoffnung erwachte in der Frau, deren älteste Tochter so entscheidend zur Vernichtung oder zur Rettung der Menschheit beigetragen hatte, je nachdem aus welcher Sicht man es betrachtete.

Usagi ergriff die dargebotene Hand und sah dem Jungen ins Gesicht. Sein markantes Kinn, seine Haare, sein gesamtes Erscheinungsbild sowie sein sicheres, beinahe stolzes Auftreten kamen ihr sehr vertraut vor. Vor allem aber seine grauen Augen erinnerten sie an jemanden, den sie vor langer Zeit gekannt hatte.

„Ich bin Caidian“, stellte er sich den etwa fünfzig Personen vor. „Caidian Meroth!“

Erschrocken zog Usagi ihre Hand zurück.

„Meroth?“, fragte sie misstrauisch, während die Leute im Hintergrund anfingen zu tuscheln.

„Wer ist dein Vater? Charles oder Clayn?“, wollte die kleine Frau wissen. „Ich kannte sie beide. Sie waren menschenverachtende Verbrecher!“

„Mein Vater heißt Hylan!“, wunderte sich Caidian über die unerwartete Frage. „Die Namen Charles und Clayn sind mir nicht bekannt.“

„Es gibt keinen guten Meroth!“, rief eine Frauenstimme aus den hinteren Reihen.

„Ein Mörder bleibt immer ein Mörder, und ein Meroth immer ein Meroth!“, hörte Caidian einen Mann sagen.

„Anscheinend kennt man den lausigen Ruf deiner Familie selbst an diesem beschaulichem Ort!“, trat Sinusi spöttisch zur Unterstützung an seine Seite.

„Meine Name ist Khana!“, wandte sie sich an die Menschen. „Sinusi Khana! Wahrscheinlich hat keiner von euch je von meiner Familie gehört. Aber es gab Leute, die wenigstens einen meiner Vorfahren für würdig genug hielten, um ihn zu einem der Stammväter der neuen Menschheit zu erwählen. So wie sie es mit Caidians Ururgroßvater Gordon Meroth taten. Ich kann euch versichern, der Typ neben mir ist ein ordentlicher Kerl, so wie alle Meroths, die in Aman leben oder gelebt haben.“

„Du sprichst in Rätseln, Mädchen!“, ergriff Virgil Hauser das Wort und baute sich mit seinem muskelbepackten Körper drohend vor Sinusi auf, die sich jedoch nicht einschüchtern ließ.

„Ich nehme an, jeder der Anwesenden kennt mich oder hat wenigstens schon von mir gehört!“, trat Veegun vor und übernahm das Reden.

„Was ihr von mir haltet, interessiert mich nicht. Mir obliegt aber weiterhin die Aufgabe, mich um den jämmerlichen Rest eures Volks zu kümmern. Ganz gleich, ob ihr euch jetzt als Amanen oder Menschen bezeichnet. Ich schlage daher vor, ihr hört mir jetzt alle aufmerksam zu. Ich werde euch genauestens berichten, was sich in den letzten Jahren – für die Amanen waren es hundertfünfzig, für euch wahrscheinlich nur knappe dreißig – auf eurer ehemaligen Herkunftswelt abgespielt hat. Zwischenfragen könnt ihr euch sparen, ich werde keine beantworten.“

Veegun schaffte es, seinen Vortrag innerhalb einer Stunde abzuspulen. Mit seinem Schlusswort war alles Notwendige gesagt worden.

Fragen gab es dennoch. Und zwar jede Menge.

Der Roboter weigerte sich jedoch, diese zu beantworten.

Stattdessen zog er Dr. Poschenko beiseite, rede kurz mit ihr und wandte sich schließlich wieder an Caidian, während die Ärztin mit todbleicher Miene zu ihren Freunden zurückkehrte, um ihnen die schlechten Neuigkeiten zu verkünden.

„Ich ziehe mich auf die Amusgan zurück!“, teilte Veegun den Amanen mit. „Ihr wartet hier auf mich.“

„Was ist passiert?“, hielt Caidian Meroth den Roboter auf. „Was verschweigst du uns?“

„Ihr alle, Amanen und Menschen, werdet in wenigen Stunden tot sein, wenn es mir nicht gelingt, ein Mittel gegen jenen Virus herzustellen, der hier als Porko-Grippe bekannt ist. Es handelt sich um einen sehr aggressiven und hochgezüchteten Stamm von Viren, die seit kurzem in diesem Habitat herumschwirren und euch alle infiziert haben.“

„Und das hast du nicht bemerkt?“, fragte Caidian.

„Doch!“, antwortete der Roboter. „Gleich als sie eingeschleust wurden.“

„Wann war das?“

„Gegen Ende meiner Verlautbarung!“

„Und wer …?“

„Muss ich dir das wirklich erklären, Meroth?“

„Nein!“

„Wie lange haben wir noch Zeit?“, sah sich Sinusi Khana besorgt um.

„In zwei Stunden werden die ersten Symptome auftreten. Anfangen wird es mit Husten, Kopfschmerzen und Übelkeit, gefolgt von Atembeschwerden, Magen-Darm-Problemen und hohem Fieber. Zum Schluss kommt es zu neurologischen Schäden und Organversagen. Nach einem kurzen qualvollen Leiden tritt der Tod ein. Ich hoffe, vorher zurück zu sein.“

„Du hoffst?“

„Nun, vieles hängst von der Kooperation der Porko ab!“, meinte Veegun, drehte sich um und ging davon. Jede weitere Diskussion würde ihn nur vom Finden einer Lösung abhalten.

Weit kam Veegun nicht.

Eine größere Gruppe von Porko-Soldaten stellte sich ihm auf der Buhuudi-Wiese in den Weg. An ihrer Spitze stand Gaburbausch. Von den fliegenden Fischen war nichts zu sehen. Sie hatten sich in Sicherheit gebracht. Vielleicht ahnten diese wenigstens halbintelligenten Tiere, welche Tragödie sich gleich vor ihren Augen abspielen würde.

„Sie haben ihn getötet, Sie Mörder!“, schrie die Porko den Roboter an und deutete auf Japalangoschs Leichnam, der vor ihren Füßen lag. „Er hat Ihre … Befragung nicht überlebt.“

„Für so was habe ich keine Zeit!“, meinte er nur, und aus seinen Augen schoss ein gefächerter, hellblau leuchtender Strahl, der alle Porko bis auf Gaburbausch traf und sie für die nächsten zwölf Stunden außer Gefecht setzte.

Davon unbeeindruckt, rannte die Porko-Frau, aus ihrer Impulspistole feuernd, laut und wie ein wildes Tier grunzend, auf den Botschafter-Roboter zu.

Veegun, dessen Körperhülle die Energie der Impulsgeschosse spielend absorbierte, entwaffnete Gaburbausch mit Leichtigkeit und stellte ihr eine einfache Frage:

„Willst du leben oder deinem armseligen Liebhaber in den Tod folgen?“

„Bring mich ruhig um!“, schrie Gaburbausch ihn wütend an. „Deine geliebten Menschen kannst du nicht mehr retten. Verflucht seist du und deinesgleichen.“

„Deinem Wunsch soll entsprochen werden!“, teilte ihr der Roboter unbeeindruckt mit und brach der aufgebrachten Frau das Genick.

Er hob ihren toten Körper auf, legte ihn sich über die Schultern, schaltete die kleinen, aber leistungsstarken Antigravitatoren an seinen metallen Fußsohlen ein und flog mit der Leiche zur Amusgan.

„Warum hast du die Farbe deiner Kleidung gewechselt?“, wunderte sich Nele.

„Das Gelb war mir zu auffällig!“, erklärte ihre Schwester und deutete an sich herab. „In diesem Dunkelgrün stechen wir nicht so hervor. Ich finde das in der derzeitigen Situation irgendwie angebrachter.“

Nele nickte und änderte ebenfalls die Farbe ihrer eng anliegenden Kombination, über der beide ein kleines Röckchen trugen, mit Hilfe der Schaltfläche an ihrem Gürtel. Die Mutter des Ursprungs hatte ihnen diese spezielle Kleidung speziell für ihren Ausflug in die zweite Welt zur Verfügung gestellt.

„Ihr habt vielleicht Probleme“, schüttelte Sinusi verständnislos den Kopf.

Ein paar Meter von den Mädchen entfernt stand Caidian, der sich weiterhin angeregt mit den drei Anführern der Menschen unterhielt.

„Glaubt ihr, diese Leute sind dazu geeignet, Aman zu verstärken?“, fragte Sinusi ihre Freundinnen. „Veegun hat Recht. Einige von ihnen sind tatsächlich schon ziemlich alt. Viel frisches Blut bringen sie nicht mit.“

„Hauptsache, wir erlösen sie aus ihrer Gefangenschaft“, antwortete Nele mitfühlend.

„Ich hätte in dieser Umgebung längst meinen Verstand verloren“, schloss sich Nila an.

„Sollten wir Caidian nicht ein wenig unterstützen?“, schlug Sinusi vor.

„Der schafft das schon!“, meinte Nele nur.

„Der hat voll den Durchblick!“, versicherte ihr auch Nila.

Plötzlich stieß Nele ihre Schwester an.

„Da ist sie!“

„Wo?“

„Das Mädchen, links, ganz hinten in der Gruppe.“

„Das so aussieht wie eine jüngere Version von der Frau, mit der Caidian gerade spricht?“

„Ja, genau die!“

„Das ist …“

„… das Mädchen aus unserer Vision!“, vollendete Nele den Satz ihrer Schwester.

Sinusi horchte auf.

„Die mit den mandelförmigen Augen, die während Bürgermeister Paneks Beerdigung an Caidians Seite stehen wird?“, sah sie sich neugierig um und erblickte die junge Frau ebenfalls.

„Sie ist hübsch!“, bemerkte sie leise und konnte verstehen, dass sie Meroth gefallen würde. „Etwas flachbrüstig. Aber das scheint Caidian zu mögen, sonst hätte er sich längst für Caressa oder mich entschieden.“

„Die ist doch nicht flachbrüstig!“, sah Nele an sich herab.

„Wir haben weniger!“, meinte Nila.

„Und seit wann hängt Liebe von der Größe der Brüste einer Frau ab?“, fragte Nele.

„Woher hast du nur diesen Unsinn?“, wollte Nila wissen.

„Aus einem von Lutanas Büchern!“, erklärte Sinusi den perplexen Schwestern. „Dort steht, Frauen mit dicken Brüsten würde das Stillen von Neugeborenen leichter fallen.“

„Auch wenn das wahr sein sollte, hat das immer noch nichts damit zu tun, ob man jemanden liebt“, ließ sich Nele ebenso wenig überzeugen wie Nila.

„Mag sein“, erwiderte Sinusi leicht gereizt. „Dennoch schauen die meisten Männer den Frauen auf ihre Brüste oder ihre Ärsche“, vertrat sie weiterhin ihre Überzeugung. „Ist so eine Art natürliche Auslese, die es ihnen erleichtern soll, die richtige Gefährtin zu wählen. Caidian ist nicht so einer. Das mag ich so an ihm!“

Nele und Nila sahen sich erstaunt an, bevor sie laut loslachten und damit unfreiwillig die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zogen.

„Was ist so lustig?“, drehte sich Meroth zu ihnen um.

„Nichts!“, erwiderten die Zwillinge im Duett. „Sinusi hat nur etwas Ulkiges über dich erzählt.“

Caidian schüttelte irritiert den Kopf und wandte sich wieder seinem Gespräch mit Usagi Kadochi, Virgil Hauser und Dr. Poschenko zu.

„Was sollte das?“, fragte Sinusi gekränkt. „Ich finde das gar nicht komisch.“

„Tut uns leid!“, antworteten die Bandreso-Zwillinge grinsend. „Aber hast du wirklich nicht bemerkt, wie Caidian deinen Körper auf der Fahrt mit der Flosse über den Großen Teich immer wieder angestarrt hat?“

„Doch schon, aber …!“

„Nichts aber!“, erwiderten die Zwillinge im Duett. „Auch er ist nur ein Mann, der hinstarrt, wenn es was zu sehen gibt.“

„Ihr seid gemein!“, ließ Sinusi die Schwestern einfachen stehen, ging ein wenig herum und tat so, als würde sie sich für die Architektur des Habitats interessieren.

„Was du uns über das Leben in eurem Dorf berichtet hast, ist wirklich interessant“, sagte Dr. Poschenko zu dem Amanen. „Vielleicht lebt ihr etwas rückständig, was allemal besser ist, als hier langsam zu verrotten.“

„Dennoch erscheint es mir nicht als das von den Blauen Kutten versprochene Paradies, von dem Admiral Mygun stets sprach“, gab Hauser unzufrieden von sich.

„Das hängt von den persönlichen Erwartungen ab“, meinte Dr. Poschenko, die seine Meinung nicht teilte.

„Ich habe mir auch immer etwas Fortschrittliches vorgestellt“, äußerste sich Usagi Kadochi.

Sie musterte Caidian aufmerksam.

„Es liegt an uns Amanen!“, überraschte Caidian sie.

Er hatte gleich erkannt, dass Usagi ein Gespür für komplexe politische und gesellschaftliche Zusammenhänge hatte. Sie erinnerte ihn ein wenig an Bürgermeister Panek.

„Unser menschliches Erbgut können wir leider nicht verleugnen.“

„Wie darf ich das verstehen?“, fragte Dr. Poschenko.

„Ist doch klar!“, meinte Hauser. „Wir, ob wir uns nun als Menschen oder Amanen bezeichnen, waren stets sehr zwielichtige, wenn nicht sogar bösartige Wesen. Ich selbst habe während meiner Dienstzeit auf der Bonaparte nicht unbedingt zu den Vorzeigeexemplaren gezählt. Vor allem bei meiner Meinung über Außerirdische war ich immer ziemlich deutlich. Ich hasste es sogar, mit den eigentlich sehr umgänglichen und verständnisvollen Kalanern zusammenzuarbeiten.“

„Und dennoch wurden Sie von den Blauen Kutten gerettet“, erinnerte ihn Caidian.

„Eine schöne Auswahl!“, kommentierte Hauser Meroths Aussage. „Wir waren über sechshundert Menschen auf der Dragon. Warum also gerade ich?“

Hauser blickte ihn kurz schweigend an. Dann meinte er: „Und dafür hasse ich jetzt die Porko!“

„Verständlich, nach all dem, was sie Ihnen angetan haben“, zeigte sich Caidian mitfühlend.

„Also versetzten die Priester die Überlebenden des Hammanons in eine Welt, in der Technologie keine große Rolle spielte“, erkannte Dr. Poschenko. „Vielleicht erwarteten sie eine gewisse Demut von den Amanen. Oder wenigstens ein Zeichen, dass sie aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hatten.“

„Wie stellst du dir die Zukunft für euer Dorf vor?“, fragte Usagi. Ihre warmen dunkelbraunen Augen blickten Meroth durchdringend an. „Möchtest du die Amanen wieder zu den Sternen führen oder sie eher dort lassen, wo sie jetzt sind?“

„Unser kleiner Abstecher in die zweite Welt hat mir gezeigt, dass die Sterne, beziehungsweise die Raumfahrt oder die Technologie, nicht die Lösung für ein friedvolles Leben sind“, erklärte sich Caidian kurz.

Er hielt das Thema im Moment nicht für so wichtig. Außerdem würde er diese Entscheidung bestimmt nicht treffen. Weder jetzt noch irgendwann später.

„Abgesehen von Nereidschan scheint mir kein anderes Wesen die nötige Reife für eine interstellare Gemeinschaft zu besitzen. Das hat mich erschreckt, aber auch enttäuscht. Ich würde den Amanen nie zu diesem Weg raten. Dennoch, wenn die Hammanon-Wolke aufhört zu existieren, und das wird sie in naher Zukunft, wären die Amanen nicht in der Lage, sich gegen eine Bedrohung, die von anderen Sternenvölkern ausgehen könnte, zur Wehr zu setzen. Wir wären feindlich gesinnten Invasoren schutzlos ausgeliefert.“

„Außer Aman würde sich der Malaga-Union anschließen und um Schutz durch die Masanische Allianz bitten“, präsentierte ihm Virgil Hauser einen nicht von der Hand zu weisenden Vorschlag. „Ich könnte mir vorstellen, dass dieser Nereidschan etwas in der Richtung plant. Wie anders wäre sein Interesse am Überleben der Menschheit zu erklären.“

„Aber was hätten wir der Allianz dafür im Gegenzug zu bieten?“, wandte Caidian ein. „Wir sind nur ein kleines Volk von Bauern und wären nur eine Belastung, die den Aufwand nicht wert wäre.“

„Das sind Gedanken, über die sich nachkommende Generationen ihre Köpfe zerbrechen müssen!“, teilte Dr. Poschenko Caidians Meinung. „Im Moment zählt nur ein Gegenmittel für die Porko-Grippe. Sobald ein solches gefunden wurde, verschwinden wir erst einmal von der Arche. Alles Weitere ist vorläufig nicht von Bedeutung.“

„Gut!“, stimmte Usagi Kadochi zu. „Olga und Virgil, kümmert ihr euch um unsere Leute. Die sind sicher schon alle sehr gespannt zu erfahren, was wir ausgeheckt haben. Ich werde inzwischen nach meiner Tochter sehen.“

„Hallo!“, sprach sie eine sanfte, tiefe Stimme an.

Sinusi drehte sich um.

Vor ihr stand ein großer, junger, gut aussehender Mann mit einem schwarzen Kinnbart, der genauso kräuselte wie sein kurzes Kopfhaar. Er besaß große offene braune Augen, die eine einnehmende Freundlichkeit besaßen. Seine breiten, ausdrucksstarken Augenbrauen verliehen seinem Blick Charakter. Eine elegant geformte Nase fügte sich harmonisch in sein Gesicht ein. Über seine Lippen huschte ein einnehmendes Lächeln.

Was Sinusi aber besonders an dem Jungen gefiel, und das hatte sie nicht erwartet an diesem Ort anzutreffen, war seine Hautfarbe, die fast so schwarz war wie die ihre.

„Ich bin Hakim!“, stellte sich der Schönling ihr vor, wobei sie seinen muskulösen Körper in Augenschein nahm, der in einem ähnlichen schwarzen Anzug steckte, wie sie selbst einen trug. „Es war sehr mutig von dir, deinen Freund gegen meinen Vater zu verteidigen.“

„Caidian ist nicht mein Freund!“, antwortete Sinusi etwas zu überstürzt. „Doch, er ist mein Freund, aber nicht mein …, du verstehst?“, fügte sie verlegen hinzu.

„Ich verstehe!“, nickte Hakim verständnisvoll und es erschien Sinusi, als wirkte er erleichtert. „Ich hörte, ihr hättet eine weite, sehr aufregende Reise hinter euch! Dir soll sogar ein Raumschiff gehören!“

„Nein!“, winkte Sinusi erschrocken ab. „Da hast du etwas missverstanden. Mir gehört ein Schiff auf Aman, mit dem ich früher zusammen mit meinem verstorbenen Vater auf dem Großen Teich fischen gegangen bin!“

„Vor dir steht dein Traummann und du schwafelst nur dummes Zeug!“, versuchte sie sich zu beruhigen.

„Und was tust du so?“, fragte sie und versuchte ihre Nervosität irgendwie in den Griff zu bekommen.

„Ich? Ach weißt du, im Habitat gibt es nicht viel zu tun. Ich bekomme Unterricht von einigen Erwachsenen, habe so schreiben, lesen und rechnen gelernt, bin aber bei weitem nicht so klug wie einige der Alten. Aber das gilt für alle Nachkommen, die im Habitat geboren wurden.“

„Wie viele seid ihr denn?“

„Bisher erblickten vierzehn Kinder in Gefangenschaft das Licht der Welt. Eines starb gleich bei der Geburt, ein weiteres mit zwei Jahren an der Porko-Grippe!“

„Das ist ja schrecklich!“

„Unsere Ärztin tut, was sie kann!“, bedauerte Hakim ebenfalls ihre Verluste. „Japalangosch ist ein erbarmungsloser Porko, der sich an unserem Leiden ergötzt. Am Anfang waren wir einhundert Menschen. Verstehst du? Er hat bereits über die Hälfte von uns getötet.“

„Bei der Gründung von Aman waren wir auch einhundert Leute“, fiel Sinusi nichts anderes ein.

„Aman ist bestimmt ein schöner Ort!“

„Das Dorf würde dir sicher gefallen“, lächelte Sinusi den jungen Mann schwärmerisch an. „Es gibt Felder mit Weizen und Gemüse, jede Menge Obstbäume und Weiden, auf denen fast das ganze Jahr über Kühe und Schafe herumlaufen. Nur die Winter können kalt und trostlos werden. Doch dafür haben wir eine Menge Spaß im Schnee.“

„Schnee?“, fragte Hakim Hauser neugierig. „Ich kenne dieses Wort nicht.“