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Winter im Jahre 150 nach der Gründung von Aman. Der 18-jährige Caidian Meroth lebt zufrieden mit seinen Eltern in dem kleinen Dorf Aman. Sein Vater betreibt eine Farm und seine Mutter ist bekannt für ihre Heilsalben und -säfte. Sein Weg scheint vorgezeichnet. Spätestens mit 19 Jahren muss er ein Bündnis eingegangen sein und wird den Rest seines Lebens auf dem Hofe seiner Eltern verbringen. Damit könnte sich Caidian zufriedengeben, wäre da nicht seine brennende Neugier auf die unbekannte Welt jenseits des Dorfes. Mit den Problemen des Alltags beschäftigt, fängt er langsam an, bestimmte Dinge in seinem Leben infrage zu stellen. Warum muss er heiraten und unbedingt drei Kinder zeugen? Woher kommen die vielen Bücher, aus denen die Amanen ihr Wissen beziehen? Gibt es noch andere Dörfer? Was war vor der Gründung von Aman? All diese unbeantworteten Fragen lassen Caidian nicht mehr zur Ruhe kommen. Wäre dies nicht schon verwirrend genug, beginnen die gleichaltrigen Bandreso-Zwillinge ihn mit unerklärlichen Vorahnungen zu verwirren. Die beiden jungen Frauen Nele und Nila prophezeien ihm eine Zukunft, weit weg von Aman. Und sie werden ihn auf seinem Weg dorthin begleiten müssen.
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Seitenzahl: 293
Veröffentlichungsjahr: 2022
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„Der Weg der Erneuerung führt durch die Zeit. Für die einen vergehen dabei Jahre, für die anderen Jahrmillionen.“
Ausschnitt aus einem Gespräch zwischen dem Obersten Priester von Tanat V und dem Labora Nereidschan kurz vor dem Hammanon
Kapitel 1: Das Dorf der Amanen
89. Tag des Herbstes im Jahre 149 der Gründung von Aman
Kapitel 2: Caidian
1. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
2. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
3. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
4. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
Kapitel 3: Sinusi
6. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
8. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
Kapitel 4: Bürgermeister Panek
19. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
20. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
21. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
Kapitel 5: Maso
34. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
36. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
37. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
Kapitel 6: Hosin
61. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
69. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
Kapitel 7: Zarga
69. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
71. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
73. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
Kapitel 8: Caressa
74. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
Kapitel 9: Nele und Nila
77. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
78. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
80. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
81. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
Kapitel 10: Der Frühling naht
87. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
88. Tag des Winters im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
2. Tag des Frühlings im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
Kapitel 11: Bündnisvorbereitungen
12. Tag des Frühlings im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
13. Tag des Frühlings im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
Kapitel 12: Aufbruch
22. Tag des Frühlings im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
23. Tag des Frühlings im Jahre 150 nach der Gründung von Aman
„Morgen Abend ergibt sich für dich die Gelegenheit!“
Caidian blickte seinen Freund misstrauisch an.
Sie hatten eben als Letzte das Rathaus, das mitten auf dem Marktplatz stand, verlassen und schlenderten – trotz des eisigen Windes, der ihnen entgegenblies – gemütlich den Südweg hinab, an dessen Ende die Häuser ihrer Familien lagen.
„Ich kann mir schon denken, worauf du hinauswillst!“, beklagte sich Caidian müde. Er hatte dieses Thema so satt. „Haben dir meine Eltern eine Extraportion Rinderfilets versprochen, wenn es dir gelingen sollte, mich auf dem Fest zu verkuppeln?“
„Nein, natürlich nicht!“, spielte Maso den Empörten. Er schlug den Kragen seines dicken Wintermantels hoch. „Aber mal ehrlich! Es wird langsam Zeit, dir Gedanken über deine Zukunft zu machen. Eine große Auswahl an bündnisfähigen Mädchen gibt es nicht mehr.“
„Eigentlich gab es die nie!“, unterbrach ihn Caidian nachdenklich.
„Unsinn!“, hielt Maso voller Überzeugung dagegen. „Du hast einfach nur zu lange gewartet. Die Mädchen im Alter zwischen sechzehn und siebzehn sind fast alle weg. Und frühreife 15-Jährige gibt es dieses Jahr keine. Möchtest du vielleicht später so ein Einsiedlerleben führen wie der alte Hosin? Nur zu! Dann hast du aber niemanden, der sich in den kalten Winternächten im Bett an dich kuschelt und warmhält.“
„Sinusi ist noch keinem versprochen!“
„Die Schwarze!“
Der beinahe einen Kopf kleinere Maso drehte sich überrascht zu seinem Freund um. Er packte ihn am Arm und hinderte ihn daran weiterzugehen.
„Stehst du etwa auf Sinusi?“, fragte er verwundert. „Zugegeben, sie verbirgt neuerdings ein Paar prächtige Titten unter ihren dicken Winterkleidern und einen strammen Arsch hatte sie schon immer. Aber eine Schwarze? Die bleiben doch meistens unter sich, die Schwarzen.“
„Was stört dich an ihrer Hautfarbe?“, sah Caidian seinen Nachbarn erstaunt an.
Er begriff die Abneigung seines Begleiters gegenüber dem dunkelhäutigen Mädchen nicht. Sie hatten praktisch ihre gesamte Kindheit mit ihr verbracht. Zusammen gespielt und gelernt. Geweint und gelacht.
„Sie spricht wie wir, sie läuft wie wir, sie isst wie wir und bestimmt fickt sie auch wie wir!“
„Ja, mag sein!“, grämte sich Maso Hunagi. Er schien nach Worten zu suchen, um seine Missbilligung zu rechtfertigen. „Aber … ach, ich weiß auch nicht! Sie wirkt … unnatürlich auf mich. So fremdartig!“
„Fremdartig? Spinnst du? Unnatürlich? Was soll an Sinusi unnatürlich oder fremdartig sein?“
„Keine Ahnung!“, winkte Maso genervt ab. Weitere erklärende Argumente fielen ihm nicht ein. „Hauptsache, sie gefällt dir!“
„Das habe ich nicht gesagt!“
„Warum sprichst du denn die ganze Zeit von ihr?“
„Tue ich doch gar nicht!“
„Aber du hast doch … Ach, vergiss es. Mir doch egal, mit wem du eine Bindung eingehst. Hauptsache, du tust es und zeugst deine drei Kinder.“
„Warum nicht gleich jedes Mal Zwillinge?“
„Die verrückten Bandreso-Zwillinge!“, schrie Maso übermütig in die winterliche Nacht hinein. „Natürlich! Eine der blonden Gören hat es dir angetan. Nun gut, beide sind zwar etwas sonderbar und zu dünn für meinen Geschmack, jedoch hübsch anzuschauen.“
„Auch da muss ich dich enttäuschen, mein Freund!“, grinste Caidian vielsagend. „Ich interessiere mich weder für Nele noch für Nila.“
„Interessierst du dich überhaupt für Frauen?“
„Wofür sollte sich ein Mann sonst wohl interessieren, du Trottel?“
„Keine Ahnung! Du bringst mich ganz durcheinander mit deinem blöden Gelaber.“
„Ich glaube eher, daran ist der Gute-Geister-Saft nach dem Rezept deiner verstorbenen Großmutter schuld!“, meinte Caidian wissend und boxte Maso kameradschaftlich auf den Oberarm. „Ist deiner Mutter eigentlich noch nie aufgefallen, dass immer einer der gut versteckten Krüge leer ist, wenn wir nach einer Bürgerversammlung aufräumen?“
„Ich glaube schon“, rieb sich Maso an seiner von der Kälte rot gewordenen Nase. „Aber sie drückt wohl ein Auge zu, weil wir es sind, die sich den Gute-Geister-Saft heimlich genehmigen.“
„Dann begleite jetzt mal deine guten Geister ins Bett, damit du morgen für das Fest auch ausgeschlafen bist.“
„Prima Idee!“, gähnte Maso laut, verabschiedete sich mit einem Wink von Caidian und schlenderte hinüber zu dem Haus auf der linken Seite des breiten Weges. Sein Freund verschwand in dem gegenüberliegenden Holzbau.
„Seltsam!“, dachte Caidian, als er über die Treppen die beiden Stockwerke zu seinem Zimmer im ausgebauten Dachgeschoss hinaufstieg. „Wieso hat Maso sich nur so abfällig über Sinusis schwarze Hautfarbe geäußert? Wir sehen doch alle irgendwie anders aus. Er hat mandelförmige Augen und eine leicht gelbliche Haut, während ich, wie der größte Teil der Amanen, ein richtiges Bleichgesicht bin, verglichen mit dem bräunlichen Teint der Zwillinge oder dem der anderen dunkelhäutigen Dorfbewohner.“
Caidian gähnte herzhaft. Der Gute-Geister-Saft machte sich so langsam auch bei ihm bemerkbar.
Rasch entledigte er sich seiner winterlichen Kleidung, streifte das lange, warme Nachthemd über und verkroch sich unter die dicken Wolldecken seines Bettes. Innerhalb von Sekunden fiel er in einen tiefen Schlaf.
Langsam öffnete Caidian die Lider seiner grauen Augen.
Wie gewöhnlich hatte ihn das Glockenspiel der Rathausuhr, das erste an diesem Morgen, geweckt. In den späten Herbsttagen und den langen Winternächten erwachte das Dorf erst beim achten Schlag der großen Turmuhr, bei dessen Fertigstellung Caidians Großvater Mykon in jungen Jahren mitgeholfen hatte.
Immer wenn der alte Mann später mit seinem kleinen Enkelsohn das Rathaus besichtigte, versuchte er ihm das geheimnisvolle Innenleben der Uhr zu erklären. Inzwischen glaubte Caidian die beeindruckende Mechanik, die diesem Gerät zum Leben verhalf, begriffen zu haben. Sollte er jedoch einige Details vergessen haben, so gab es in der Schulbibliothek sicher ein Buch, in dem das komplizierte Uhrwerk bis ins kleinste Detail beschrieben wurde.
Caidian fragte sich, wer eigentlich diese Bücher verfasst hatte. Vieles, was in ihnen geschrieben stand oder mit Hilfe von Zeichnungen erklärt wurde, war für die meisten Dorfbewohner bloß unverständliches Zeug.
Schlagartig schossen Caidian dutzende Fragen durch den Kopf. Fragen, an die er in seinem bisherigen Leben noch nie einen Gedanken verschwendet hatte.
Sie feierten heute Abend den 150sten Jahrestag ihres Dorfes.
Aber was war vor dieser Zeit gewesen? Vor diesen 150 Jahren, die seine gesamte Verwandtschaft sowie der Rest der Dorfbewohner mittlerweile in Aman lebte?
Gab es vielleicht noch andere Dörfer?
Von woher kamen die Amanen eigentlich?
Warum redete niemand über die Zeit vor der Gründung?
Ein Blick aus dem Fenster lenkte Caidian von seinen Grübeleien ab. Draußen machte die Dämmerung dem heranschleichenden Tag nur schwerfällig Platz.
Caidian streckte sich gemütlich in seinem Bett aus, das ihn fast sein ganzes Leben begleitet hatte. Er konnte es ruhig angehen. Heute war ein Freudentag, der letzte Tag des Jahres, der mit einem krönenden Fest abgeschlossen wurde. Morgen würden der Winter und das neue Jahr beginnen. Dekaden der Ruhe und Gelassenheit, in denen die Arbeiten im Dorf und auf der Farm größtenteils stilllagen.
Obwohl er befürchten musste, dass eine Vielzahl von Leuten ihn heute Abend auf seine Bündnisabsichten ansprechen würde, freute sich Caidian auf das Fest. Er verstand die ganze Aufregung um seine Zukunftspläne nicht. Schließlich hatte er fast noch ein Jahr Zeit, um seiner Verpflichtung der Gemeinde gegenüber nachzukommen. Diese würde er nutzen, um noch einmal die Umgebung von Aman zu erforschen.
Vor zwei Jahren hatte er bei einer solchen Erkundung einen Salzstock in einer nahe gelegenen Höhle entdeckt, und damit den Salzbedarf des Dorfes für Jahrzehnte gesichert.
Natürlich dürfte er bei seinem geplanten Streifzug nicht seine Pflichten auf der Farm seines Vaters vergessen. Aber er hatte in den letzten Dekaden ziemlich viel vorgearbeitet: Reparaturen am Haus erledigt – die eigentlich noch Zeit gehabt hätten –; Fleischportionen für die kommenden Wintertage und darüber hinaus getrocknet und eingelagert; ziemlich viel Holz gehackt und gestapelt; Beeren gesammelt; Marmelade gekocht; und Unmengen von Kräutern getrocknet, aus denen seine Mutter ihre berühmten Heilsäfte und -salben herstellte.
„Caidian!“
Die Stimme seiner Mutter klang anders als üblich.
„Überfreundlich!“, urteilte der junge Mann.
Das konnte nur bedeuten, dass Besuch gekommen war.
„So früh am Morgen? Wer konnte das sein? Sicher nicht Maso. Dieser Lustmolch würde bestimmt nicht vor Mittag die Finger von seiner Frau lassen.“
So wie Maso sie bestieg, müsste die arme Caressa schon längst den drei von der Gemeinde gewünschten Kindern das Leben geschenkt haben. Eines für jedes Jahr, das sie jetzt schon gebunden waren. Damit hätten sie ihre Pflicht dem Dorf gegenüber erfüllt. Aber leider hatte es bei den Hunagis dieser Generation mit dem Kindersegen bisher noch nicht geklappt.
Caidian stutzte.
„Warum eigentlich diese 3-Kinder-Regel?“
„Caidian?“
Die Stimme seiner Mutter hatte bereits einen leichten Hauch von Ungeduld angenommen.
„Ich komme!“, antwortete er schnell, bevor sie ihn noch einmal rufen musste.
Er entledigte sich seines Nachthemdes und zog die warmen Wintersachen an, die seine Mutter ihm bereits gestern am späten Nachmittag auf den Stuhl neben dem alten Kleiderschrank rausgelegt hatte. Die Hose und das dicke Hemd, Produkte aus Ziegenwolle, waren neu. Er würde beides auch heute Abend zum Fest tragen. Ein schneller Blick in den Spiegel über der Kommode, die dichten schwarze Haare kurz mit den Händen und etwas Wasser aus dem Waschkrug zurechtgemacht, und schon war er vorzeigbar.
Caidian staunte nicht schlecht, als er unten im Flur ankam und ihm die Bandreso-Zwillinge lächelnd entgegentraten. Beide trugen dicke Winterkleidung. Ihr langes blondes Haar lag offen über den zurückgeklappten Kapuzen ihrer dunkelbraunen Mäntel.
„Wir wollten dich fragen, ob du nicht Lust hättest, mit uns spazieren zu gehen“, kam Nila gleich zur Sache.
„Was die wohl von mir wollen?“, fragte sich Caidian.
„Geh ruhig mit den netten Mädchen, mein Schatz!“, nahm ihm seine Mutter – wie gewöhnlich bei solchen Angelegenheiten – die Entscheidung ab. Sie hoffte natürlich, dass eine der Zwillinge ihm die richtige Frage stellen würde. „Die frische Luft wird dir sicher guttun nach dem gestrigen arbeitsreichen Tag.“
Der Gesichtsausdruck von Caidians fürsorglicher Mutter duldete keinen Widerspruch. Also tat er den drei Frauen den Gefallen, obwohl ihm eigentlich gar nicht nach einem Spaziergang in der Kälte zumute war. Lieber hätte er in einem Buch gelesen.
Er griff nach seinem Mantel, der in der Winterzeit an der Wand im Flur nahe der Tür hing, zog ihn an und verließ zusammen mit den Zwillingen das elterliche Haus.
Tiefe Schneewolken hingen über dem Dorf. Es konnte jeden Augenblick anfangen zu schneien.
Die beiden Mädchen hatten den 1,89 Meter großen, athletischen Mann in ihre Mitte genommen. Gemeinsam schritten sie auf dem Südweg aus dem Dorf hinaus. Sie hatten kaum die zurzeit verwaisten Weidefelder erreicht, als Nele sich übergangslos an Caidian wandte.
„Warum stellst du dir so viele unsinnige Fragen?“
„Was für Fragen?“
„Du fragst dich, wo unsere Vorfahren vor 150 Jahren gelebt haben oder ob es andere Dörfer mit Amanen gibt“, verriet ihm Nila besorgt.
„Woher wisst ihr …?“
„Es sind dumme Fragen!“, meinte Nele.
„Niemand lebte vor 150 Jahren!“, behauptete Nila.
„Woher wollt ihr das wissen?“
„Weil wir es gesehen haben!“, lautete die Antwort von Nele.
„Und wir sahen dich!“
„Mich?“
„Du hast uns geküsst!“
„Nun mal langsam“, bremste Caidian den Eifer der Zwillinge. „Was redet ihr für wirres Zeug. Ich habe euch noch nie geküsst und habe in absehbarer Zeit nicht vor, dies zu tun.“
„Dennoch wirst du es tun!“
„Na gut!“, sagte Caidian ernsthaft und ging auf das Gerede der Zwillinge ein.
„Jedem im Dorf ist bekannt, dass ihr das Wetter ziemlich genau vorhersagen könnt. Was einige Leute etwas beunruhigt, da ihr die einzigen Amanen mit dieser Fähigkeit seid. Mich interessiert nicht, wie ihr das macht oder warum ihr das könnt. Eure Gabe ist recht nützlich, vor allem bei der Feldarbeit. Also warum sollte ich euch deswegen für schlechte Amanen halten? Im Gegenteil, ihr seid sehr nette Mädchen. Aber wenn ihr mir jetzt verklickern möchtet, dass wir irgendwann miteinander wild herumknutschen werden, so habt ihr euch wohl einen Blick in die falsche Zukunft gegönnt.“
„Wir knutschen nicht wild mit dir herum!“, stritten die Mädchen gleichzeitig empört ab. „Du wirst uns küssen.“
„Wie auch immer!“
Caidian machten einen Schritt nach vorn und stellte sich ihnen in den Weg.
„Was wollt ihr eigentlich von mir?“
Die beiden sahen sich kurz an und nickten sich aufmunternd zu.
„Warum möchtest du das Dorf verlassen?“
„Nun, ich habe noch einmal vor, die Gegend ein wenig zu erkunden, ehe ich mich dem Leben in einem Bündnis hingebe“, verriet er ihnen freundlich. „Es hat mich schon immer interessiert, was sich hinter dem Laubwald befindet.“
„Das meinen wir nicht!“, flüsterte Nele. Sie wirkte leicht verstört.
„Du planst, den Großen Teich zu überqueren!“, sprach Nila ebenso leise.
„Aber das ist doch Wahnsinn! Niemand kann den Großen Teich überqueren. Warum sollte ausgerechnet ich so etwas Verrücktes versuchen? Ich kann nicht einmal schwimmen!“
Caidian Meroth und die Bandreso-Zwillinge
„Weil du in ein anderes Land reisen möchtest!“
„Welches andere Land? Glaubt ihr, hinter dem Großen Teich befindet sich noch weiteres Land?“
„Wir glauben das nicht, aber du!“, antworteten ihm die Zwillinge wieder im Duett. „Und wir begreifen auch nicht, warum wir dich begleiten werden.“
„Ich verstehe nicht …“
„Wir werden zusammen mit dir Aman verlassen!“, sagte Nele mit zitternder Stimme, und ihre Schwester fügte hinzu: „Wir, der alte Hosin und Sinusi!“
„Hört auf!“, wehrte sich Caidian gegen das überdrehte Geplapper der Mädchen. „Ich habe keine Lust, euch weiter zuzuhören. Ich glaube langsam, dass die Leute Recht haben, wenn sie behaupten, in euren Köpfen würde es ab und zu nicht richtig ticken.“
Grob stieß er die jungen Frauen beiseite und ging zügig zum Haus seiner Eltern zurück.
„Was ist passiert?“, fragte Lutana Meroth enttäuscht ihren Sohn, als dieser bereits nach nur wenigen Minuten, völlig aufgebracht, wieder vor ihr stand.
„Ach, lass mich doch in Ruhe!“, murmelte Caidian, stürmte an ihr vorbei die quietschende Holztreppe hoch und schlug oben krachend die Tür von seinem Zimmer zu. Schwer atmend stellte er sich ans Fenster. Draußen gingen gerade die Zwillinge mit gesenkten Köpfen am Haus vorbei.
„Blöde Gören!“, schimpfte er vor sich hin.
Sein Atem beschlug ein wenig das kalte Fensterglas. Caidian drehte sich um und warf sich aufs Bett, das unter seiner Last aufstöhnte.
Nach einer Weile, in der er versucht hatte, all die wirren Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben, taten ihm Nele und Nila leid. Er war gemein zu ihnen gewesen! Sehr gemein! Das hatten die Mädchen nicht verdient. Er musste sich unbedingt bei ihnen entschuldigen. Ein guter Zeitpunkt dafür wäre das Fest heute Abend. Vielleicht würde er sogar mit ihnen tanzen. Das wäre das Mindeste, was er tun könnte.
„Ein anderes Land!“
Caidian konnte sich keinen Reim auf diesen Begriff machen.
„Wir besitzen Land! Wir bearbeiten Land! Aber was bedeutete ein anderes Land? Maso besitzt einen anderen Körperbau als ich! Meine Mutter und mein Vater haben beide andere Geschlechter! Der Baum auf der Wiese ist ein anderer als die Bäume im Laubwald! Das Land ist anders! Es kann nicht bearbeitet werden! Nein, Land kann man immer bearbeiten, bloß ist es hin und wieder anstrengender oder leichter.“
Caidian zuckte innerlich zusammen.
„Was, wenn in einem anderen Land andere Leute in einem anderen Dorf leben würden? Ein ungeheuerlicher Gedanke! Welche Möglichkeiten könnten sich daraus ergeben? Aber wieso kam er nur auf eine solche absurde Idee? Es gab außer Aman kein anderes Dorf. … Oder doch?“
Caidians Gedanken schweiften ab in Regionen, die ihn fast zum Verzweifeln brachten. Er fühlte sich verloren in all diesen Möglichkeiten, die sich ihm offenbarten. Er vergaß die Zeit um sich herum.
Jemand klopfte an die Tür seines Zimmers. Caidian schreckte hoch und sprang von seinem Bett auf.
„Herein!“, rief er.
Die Tür öffnete sich und sein Vater trat ein.
„Ich habe nach dir gerufen, Junge! Hast wohl wieder vor dich hin geträumt?“
„Entschuldige!“, sagte Caidian verlegen. „Ich war tatsächlich in Gedanken versunken!“
„Wohl bei den Zwillingen!“, grinste sein Vater verständnisvoll, der noch genau wusste, was in einem jungen Mann vor sich ging, der einen Bund eingehen sollte und sein Leben von heute auf morgen plötzlich mit einer Frau teilen musste.
„Ja, auch bei denen!“
„Kannst dich wohl nicht für eine Bestimmte von ihnen entscheiden“, vermutete sein Vater. „Mir ging es damals ebenso. Hätte deine Mutter sich nicht so an mich rangeschmissen, hätte ich mich doch glatt für eine andere entschieden.“
„Ach ja!“, horchte Caidian auf. „Und für wen?“
„Das geht dich nichts an!“, blockte sein Vater schnellstens ab. „Schluss mit den alten Geschichten! Mutter wartet unten mit dem Mittagessen.“
„Ist es schon so spät?“, fragte Caidian überrascht.
„In der Tat!“, meinte Hylan Meroth und klopfte seinem gleichgroßen Sohn auf die Schulter. „Nur Mut, Junge! Vielleicht wirst du heute Abend ebenfalls von einem Mädchen auserwählt. So was ist in unserer Familie bereits öfters vorgekommen.“
„Ja? Und wie oft schon?“
Sein Vater blickte ihn überrascht an.
„Soviel ich weiß, soll schon deine Urgroßmutter sich deinen Urgroßvater Jaylon geangelt haben. Dein Großvater hingegen hat sich seine Frau selbst ausgesucht.“
„Wie viele Generationen von Meroths gab es eigentlich noch vor meinem Urgroßvater?“
„Was soll diese Frage, Junge? Wer denkt schon so weit zurück! Das ist doch unwichtig!“
Schweigend erreichten Vater und Sohn den Esstisch in der geräumigen Küche, einem Anbau, den Hylan, wie auch den Ausbau des Dachgeschosses, nach dem Bündnis mit seiner Frau eigenhändig gefertigt hatte.
Caidian setzte sich an seinen Platz. Sein Großvater Mykon saß ihm gegenüber. Er kaute bereits gierig an einem Stück Brot, das er in der Schüssel Erbsensuppe, die vor ihm stand, aufgeweicht hatte. Die beiden Plätze an den Kopfenden des Tisches gehörten, nach dem Tode von Caidians Großmutter Gawi vor zwei Jahren, der Tradition entsprechend seinen Eltern.
„Hallo, Opa!“, begrüßte Caidian den Greis, der im kommenden Frühling stolze fünfundachtzig Jahre alt werden würde.
Seit seine Frau die Welt verlassen hatte, war Mykon ziemlich wortkarg und auch keine große Hilfe mehr auf der Farm. Bereits der Weg zu den Viehweiden, die zwei Kilometer außerhalb des Dorfes lagen, machte ihm schwer zu schaffen. Er half hin und wieder beim Melken oder beim Ausmisten des Stalls. Beides nicht ohne Beaufsichtigung.
„Kanntest du eigentlich deinen Urgroßvater, Opa?“
„Es reicht jetzt mit dieser unsinnigen Fragerei, Caidian!“, kam Hylan einer Antwort seines Vaters zuvor. Er blickte sein Sohn warnend an.
Seine Mutter reichte Caidian eine Schüssel Suppe. Er nahm sie dankend an und stellte sie vor sich auf den Tisch. Er griff nach seinem Löffel und begann zu essen. Dabei ließ er seinen Großvater, der ihn verwirrt anstarrte, nicht aus den Augen. Nach dem sechsten Löffel Suppe begann der irritierte Mykon leise vor sich hin zu murmeln.
„Ich hatte keinen … ich hatte keinen … ich hatte keinen …“
Erst als seine Schwiegertochter ihm seinen üblichen Becher Rotwein reichte, hörte der Greis mit Säuseln auf. In kleinen, gierigen Zügen trank er den Becher leer. Die Wirkung des Alkohols ließ nicht lange auf sich warten. Hylan half seinem Vater sich auf die massive Holzbank neben der Feuerstelle hinzulegen. Dort hielt er jeden Tag sein Mittagsschläfchen. Mykon schlummerte augenblicklich ein.
Während des restlichen Teils der Nahrungsaufnahme herrschte eine angespannte und ungewohnte Stille in der Küche der Meroths. Nur noch ein leises Schnarchen war zu hören.
Wie üblich nutzte Caidian die Stunde nach dem Mittagessen, um in einem der Bücher aus der Schulbibliothek zu lesen.
Das Werk, das er sich bereits vor ein paar Tagen ausgeliehen hatte, handelte von der Erkundung des Nachthimmels. Es war nicht besonders dick und auch nicht auffällig illustriert, was verständlich war. Schließlich gab es außer dem Mond und etwa zweihundert Sternen dort oben nicht viel zu sehen. Die Mondkarte war interessant, wenn auch nicht sehr detailreich. Siebzehn der Sterne waren speziell gekennzeichnet. Caidian war es bisher noch nicht gelungen, den Grund dafür herauszufinden. Nach nur wenigen Minuten legte er das Buch wieder auf den Nachttisch zurück. Er starrte es an, als würde er es zum ersten Mal in seinem Leben sehen.
„Verdammt!“, fluchte er und fragte sich erneut, wer eigentlich all die Bücher aus der Schulbibliothek verfasst hatte und woher das Papier dafür stammte?“
In Aman gab es mehrere Farmer. Ihnen oblag die Versorgung der Dorfbewohner mit Agrar- und Fleischprodukten. Dafür gab es Betriebe für deren Weiterverarbeitung. Eine Bäckerei, eine Metzgerei oder eine Schneiderei, die den Leuten ihre Kleider anfertigte und wiederum von einer Gerberei mit Stoffen versorgt wurde. Ein Schmied fertigte die notwendigen Werkzeuge an, von Gabeln und Messern über Pfannen und Töpfe bis hin zu den großen Sensen und Äxten. Ein paar Frauen stellten Krüge, Schalen und Becher aus Tonerde her. In der Schreinerei wurden Dielen für den Bau von Häusern sowie Möbel für deren Einrichtung produziert. Und eine Glaserei produzierte Fensterscheiben.
Aber Papier und Bücher!
Niemand in Aman befasste sich mit der Herstellung von Büchern. Woher kamen also diese teilweise unverständlichen Werke aus der Schulbibliothek?
Das Glockenspiel der Rathausuhr lenkte Caidian von seinen Gedanken ab.
Drei Uhr nachmittags!
Maso wartete sicherlich schon auf ihn. Sie mussten noch eine weitere Fuhre trockenes Brennholz aus dem Lagerschuppen der Hunagis zum Marktplatz bringen. Außerdem oblag es ihren Pflichten, die große Feuerstelle vorzubereiten.
Caidian eilte die Treppe hinunter. Er schnappte sich seinen Mantel und nahm vorsichtshalber seine Wollmütze mit, die er in eine der großen Taschen steckte. Es schneite zwar immer noch nicht, aber der Schnee würde mit Sicherheit nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Maso ging bereits ungeduldig wartend im kleinen Vorhof seines Elternhauses auf und ab.
„Na endlich!“, brummte er mürrisch. „Dachte schon, du hättest dich wieder in eines der blöden Bücher vertieft, mit denen du deine kostbare Zeit so gerne vergeudest.“
Caidian wollte ihm von seinen Überlegungen berichten, doch Maso kam ihm zuvor.
„Caressa ist immer noch nicht schwanger!“
„Wie bitte?“
Maso warf ihm einen verärgerten Blick zu, als sie hinter das Haus zum Lagerschuppen schritten.
„Hörst du mir eigentlich zu, wenn ich mit dir rede?“
„Aber sicher!“
„Hmm!“, knurrte Maso Hunagi nachdenklich. „Vielleicht kann sie nicht empfangen?“
„Ich dachte, meine Mutter hätte deiner Caressa einen großen Kindersegen versprochen“, erinnerte sich Caidian.
„Das hat sie!“, bestätigte Maso ihm abfällig. „Wir versuchen es nun bereits seit drei Jahren. Alles vergebliche Mühe. Ich dachte schon über eine Auflösung unseres Bündnisses nach.“
„Eine Auflösung? Es gab noch nie eine Auflösung in Aman.“
„Dann wird meine eben die erste sein“, meinte Maso trotzig. „Ich werde auf keinen Fall meinen Samen länger an einen toten Schoß verschwenden.“
Für Caidian reagierte Maso übertrieben kaltherzig. Aber es gab im Leben seines Freundes nichts Wichtigeres als die Erfüllung der 3-Kinder-Regel. Aman und seine Bevölkerung mussten unbedingt wachsen, so stand es im Buch der Vernunft.
„Noch so ein komisches Buch, von dem niemand den Verfasser oder seine Herkunft kennt“, dachte Caidian bekümmert. „Wieso fällt dies außer mir niemandem auf?“
„Vielleicht gehen wir demnächst beide gemeinsam auf Brautschau!“, fasste Maso neue Hoffnung.
„Vielleicht solltest du Caressa noch eine Chance geben!“, erwiderte Caidian.
Die Frau seines Freundes tat ihm leid.
Caressa war eine wirklich nette, wenn auch einfach gestrickte Person. Nicht besonders klug, dafür aber mitfühlend, und sie scheute selbst die harte Arbeit in der Schreinerei ihres Schwiegervaters nicht. Sie packte mit an, wo sie nur konnte.
„War doch klar, dass du dich auf ihre Seite stellen würdest“, hielt Maso ihm vor.
„Ich stehe weder auf ihrer noch auf deiner Seite“, erklärte sich Caidian für unparteiisch. Sie erreichten den Lagerschuppen. „Vielleicht arbeitet Caressa nur zu hart und kann dadurch nicht empfangen.“
Maso schien kurz zu überlegen.
Er öffnete das große Tor zum Schuppen und stieß es weit auf. Beide Männer traten hinein, zogen einen großen Handkarren aus einem Unterstand und brachten ihn vor einem Holzstapel in Position.
„Daran habe ich auch schon gedacht“, gab Maso zögernd zu und begann mit dem Laden des Karrens. „Aber meine Mutter sagt stets, eine Schwangerschaft sei keine Krankheit und es gäbe daher keinen Grund faul herumzuliegen.“
Vorsichtshalber enthielt sich Caidian eines Kommentars. Er kannte das gute Verhältnis zwischen Maso und seiner Mutter. Eine Kritik an ihrer eher zweifelhaften Behauptung würde ihm nur Ärger einbringen.
Langsam füllte sich der Karren.
„So, ich glaube, das reicht!“, sagte Maso schwer atmend.
Beide Männer hoben den Handkarren an und schoben ihn hinaus ins Freie. Maso schloss den Schuppen ab. Schweigend brachten sie das Holz zum Marktplatz.
Nachdem das Holz gestapelt, die zentrale Feuerstelle hergerichtet und das Feuer angezündet worden war, fing es an zu schneien. Es war kurz nach achtzehn Uhr und bereits stockdunkel. Das Treiben auf dem Marktplatz verdichtete sich. In Aman lebten zurzeit 335 Personen und es gab niemanden, der sich das Fest heute Abend entgehen lassen würde.
Rund um das große, wärmende Feuer waren Tische und Bänke aufgestellt worden. Darauf saßen die in dicke Kleidung eingemummten Dorfbewohner, aßen, tranken und lachten. Der leichte Schneefall schien niemanden zu stören.
Caidians Eltern waren mit ihrem Grillstand gekommen. Sie boten unterschiedliche Fleischgerichte aus der eigenen Schlachterei an. Außerdem gab es Stände, an denen Suppen und warme Pasteten angepriesen wurden. Andere schenkten Säfte, Met, Bier sowie heißen Wein aus. Drei Musiker zogen singend mit ihren Instrumenten, in bunten, speziell für das Fest angefertigten Kostümen, über den Platz.
Meroth saß zusammen mit Maso und dessen Familie an einem der schmalen Holztische. Sie hatten sich Schweinefleisch mit Kartoffeln und unterschiedlichen Rübenarten sowie Bier und Met schmecken lassen. Vor allem Maso hatte einiges an Met getrunken und fiel mit seinem lauten, gestellten Lachen bereits an den Nachbartischen auf.
Caidian blickte auf die Rathausuhr.
In wenigen Minuten würden die Musiker zum Tanz auffordern. Zuvor hatte er jedoch noch etwas zu erledigen. Er entschuldigte sich bei den Hunagis und machte sich auf die Suche nach den Bandreso-Zwillingen.
Er schlenderte an einigen Tischen vorbei, bevor er die Eltern der Mädchen entdeckte. Sie saßen etwas abseits des Trubels am Tisch der Familie des Bürgermeisters. Von den Zwillingen fehlte jedoch jede Spur. Meroth ging grüßend an den Sitzenden vorbei.
Er erreichte die Stufen des Rathauses und entdeckte Nila oben an der schweren Doppeltür. Sie winkte ihm aufgeregt zu. Caidian eilte die Treppe hoch und folgte ihr ins Innere des Gebäudes. Dort wartete bereits Nele. Die beiden Schwestern wirkten sehr nervös, so als hätten sie vor, etwas Verbotenes zu tun.
„Mädels …“, begann Meroth, doch die Zwillinge unterbrachen ihn sofort.
„Wir wissen, dass du es nicht so gemeint hast!“, flüsterte Nila ihm zu. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.“
„Aber, du musst uns jetzt bitte genau zuhören“, verlangte Nele ebenso leise.
Quietschend öffnete sich die Eingangstür hinter ihnen.
Caidian drehte sich um und sah, wie sich Sinusi Khana hereinzwängte.
„Gut!“, meinte Nila. „Jetzt können wir anfangen!“
Caidian begrüßte die schwarzhäutige junge Frau höflich. Sie lächelte ihm freundlich zu.
„Warum habt ihr mich herbestellt?“, fragte Sinusi erwartungsvoll die Zwillinge.
„Stimmt es, dass du schon öfters mit deinem Vater auf dem Großen Teich zum Fischen warst?“, wollte Nila von ihr wissen.
„Ich begleite ihn seit meinem fünften Lebensjahr zum Angeln mit dem Nachen in Ufernähe“, antwortete Sinusi und strich sich eine Strähne ihres schwarzen Haares aus dem Gesicht. „Und seit zwei Jahren regelmäßig, wenn er mit der Flosse, unserem großen Schiff, hinausfährt. Dann stehe ich am Ruder und mein Vater fängt die Shakis.“
„Gut!“, meinte Nele zufrieden. Die vier Meter langen, leckerschmeckenden Raubfische interessierten sie im Moment jedoch nicht. „Und was weißt du über den Großen Teich?“
„Er ist riesig!“
„Wie riesig?“, forschte Nila nach.
„Das weiß niemand!“
„Wo endet er?“, fragte Nele ungeduldig.
„Er hat kein Ende … glaube ich!“
Caidian bemerkte die Angespanntheit der Zwillinge. Ihnen gefielen diese Antworten nicht.
„Was habt ihr gesehen?“, verlangte Meroth nach einer Erklärung für die eigensinnige Fragerei.
„Ein Schiff auf dem Großen Teich!“, sagte Nila
„Die Flosse!“, präzisierte Nele. „Mit uns vier an Bord! Weit weg von der Küste. Sehr weit weg. Um uns herum war nur noch Wasser zu sehen.“
„Niemand würde je so weit hinausfahren!“, behauptete Sinusi entsetzt. „Dort gibt es ja keine Anhaltspunkte zum Navigieren.“
„Du wirst es tun!“, verriet ihr Nila.
„Hoffentlich nicht bloß aus Liebe!“, befürchtete Nele.
„Ich verstehe nicht!“, sagte Sinusi Khana und blickte verwirrt zu Caidian, der nur schweigend mit den Schultern zuckte. „Ich muss jetzt wieder gehen“, sagte sie und lief davon.
„Ihr habt dem armen Mädchen richtig Angst gemacht“, wandte sich Caidian vorwurfsvoll an die Zwillinge. „Musste das wirklich sein?“
„Das war nicht unsere Absicht“, sagten sie gleichzeitig.
„Wie auch immer.“
„Hast du schon mit einer Frau geschlafen?“, wechselte Nila abrupt das Thema.
„Was geht das dich an?“
„Hast du schon?“, ließ Nele nicht locker.
„Nein!“
„Du wirst es noch heute tun!“
„Heute? Wieso? Und mit wem? Mit einer von euch?“
Die Zwillinge wichen erschrocken zurück.
„Nein!“, sagten sie. Es klang beinahe entsetzt. „Aber du wirst es tun, bevor du uns küsst.“
„Schon wieder diese Küsserei!“, stöhnte Caidian gequält auf. „Was habt ihr nur damit?“
„Die nächste Stunde wird alles verändern!“
„Und was, bitte schön?“
„Dein Leben! Du musst dich entscheiden zwischen einem Freund, einem Kind, Sinusi und dem Wohle von Aman!“
„Aber …?“
„Wir müssen jetzt gehen!“, sprachen die beiden gemeinsam und wandten sich zur Tür hin.
Nele wollte sie gerade öffnen, als die Tür förmlich aufflog und sie erschrocken zurücksprang. Maso Hunagis Frau kam weinend hereingestolpert und wäre beinahe mit Nele zusammengeprallt.
„Caressa!“, versuchte Caidian Meroth seine gleichaltrige Nachbarin aufzuhalten. Doch die junge Frau lief an ihm vorbei in den Sitzungssaal.
„Du wirst gebraucht!“, äußerten sich die Bandreso-Zwillinge im Duett und huschten eilig davon.
Caidian folgte Caressa. Er fand sie in dem kleinen Archiv hinter dem Sitzungssaal. Sie saß mit angewinkelten Beinen zusammengekauert am Boden und hielt ihr Gesicht an ihre Knie gedrückt.
„Caressa? Was ist passiert?“, fragte er vorsichtig.
Sie antwortete nicht. Erst als er sich neben sie setzte und liebevoll über ihr langes schwarzes Haar strich, hob sie langsam ihren Kopf. Sie blickte ihn mit traurigen und verweinten Augen an.
„Maso hat mich vor der gesamten Familie als unfruchtbare Hülle bezeichnet“, sprudelte es mit einem Male aus ihr hervor. „Wenn ich bis zum Frühjahr nicht schwanger werde, will er mich verstoßen. Caidian, was soll ich tun? Ich liebe ihn doch und ich tue alles im Bett, was er von mir verlangt. Warum werde ich nicht schwanger?“
„Vielleicht liegt es ja gar nicht an dir!“, sprach Caidian seinen ersten Gedanken unüberlegt aus.
„Wie meinst du das?“
„Es könnte ja auch sein, …“
„… dass sein Lebenssaft nichts taugt!“, vollendete Caressa seine Vermutung und wischte sich die Tränen aus ihrem bleichen Gesicht. „Warum bin ich nicht von selbst darauf gekommen?“
Plötzlich erschien sie Meroth gar nicht mehr so traurig.
Im Gegenteil! Sie wirkte wie verwandelt.
Und irgendwie gierig! Gierig nach ihm! Oder vielmehr nach dem, was sich in seiner Hose verbarg.
Bis Caidian überhaupt richtig begriffen hatte, wie ihm geschah, hatte Caressa ihn bereits umgestoßen und sich auf seine Beine gesetzt. Gekonnt befreite sie seine Männlichkeit aus seiner Hose und half ihr, den Weg unter ihre dicken Winterröcke zu finden.
„Nicht!“, versuchte Caidian eher halbherzig das Unausweichliche zu verhindern. Und je mehr sein Glied in den Fingern der Frau anschwoll, umso weniger war er in der Lage, einen klaren Gedanken zufassen.
Später erinnerte er sich nur noch daran, wie gut ihm das alles gefallen hatte. Die geborgene Wärme, die seinen Schwanz empfangen hatte, die rhythmischen Bewegungen der jungen Frau über ihm sowie der schnell erreichte Höhepunkt.
Viel mehr war von den nicht einmal drei Minuten seines ersten Mals, das er nie vergessen würde, in seinem Gedächtnis hängen geblieben.
„Du hast die Frau deines besten Freundes geschwängert!“
Nele und Nila standen bei Caidian am Grillstand. Seine Eltern befanden sich gerade auf der Tanzfläche und wurden so nicht Zeuge dieser kompromittierenden Behauptung.
„Geht es nicht noch ein bisschen lauter?“, ärgerte sich Caidian und reichte den Zwillingen ihre gewünschte, klein geschnittene Grillwurst in grüner Senfsoße.
„Entschuldigung!“, entgegneten sie und schauten sich um.
Die Musik war laut, und wer nicht tanzte, der gaffte den Tanzenden zu. Niemand aus dem Dorf stand nahe genug, um ihr Gespräch belauschen zu können.
„Ich wurde überrumpelt!“, verteidigte sich Caidian.
„Ach, du Ärmster!“
„Und was heißt hier geschwängert?“
„Es wird dein Kind sein, das ihr Bündnis rettet“, behauptete Nele.
„Und Caressa wird noch sehr oft schwanger werden!“, sagte Nila.
„Von mir?“
„Nein!“, kicherten die Zwillinge albern. „So gut warst du nun auch nicht.“
Die beiden Frauen pickten gleichzeitig ein Stück ihrer Wurst mit einem Holzspießchen auf und führten es in ihren Mund.
„Scheiße, ist das scharf!“, japsten beide nach Luft.
Caidian grinste
„Wärmt von innen!“
„Aber anständig!“, lobte Nele anerkennend. „Neues Rezept!“
„Meine Mutter hat im letzten Sommer ein neues Senfkraut gezüchtet. Ist nichts für Blutarme!“
„Wirst du es Maso sagen?“
„Dass der neue Senf scharf ist?“
„Idiot! Dass du es mit seiner Frau getrieben hast!“
„Spinnt ihr?“
„Feigling!“
„Maso besteht auf eine Auflösung, wenn Caressa nicht schwanger wird.“
„Aber doch nicht von dir!“
„Wenn niemand es ihm verrät!“
„Das wird dich eines Tages schwer belasten“, prophezeite ihm Nila. „Du entscheidest dich gegen dein Kind, damit ein anderer den stolzen Vater spielen kann.“