4,99 €
Spannung, Angst und Dunkelheit - eben dunkler als die Nacht! Eine beängstigende Vorstellung, oder? Freuen Sie sich auf 25 Kurzgeschichten, die sich alle mit diesem Thema beschäftigen. Monster gibt es nicht - reale Ängste sind da auch viel effektiver. Also lassen Sie lieber das Licht an, wenn Sie diese Autoren (alphabetisch) das Fürchten lehren: Astrid Bogat, Kirsten Bölke, Sina Dümmler, Eric Eaglestone, Alexandra Elsäßer, Bernhard Finger, Christiane Fischer, Sina Frambach, Renate Habets, Gerd Henze, Margit Hilde, Manuela Klumpjan, Anja Kubica, Simone Lamolla, Volker Liebelt, Monika Lorenz, Stephanie Manig, Dörte Müller, Andreas Niggemeier, Regina Offergeld, Karl Schwab, Mirja Seim, Sonja Servos, Nina Sock und Christian Stehrenberg.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Herausgeber: Manuela Klumpjan, insgesamt 25 Autoren
alphabetisch: Bogat, Astrid; Bölke, Kirsten; Dümmler, Sina; Eaglestone, Eric; Elsäßer, Alexandra; Finger, Bernhard; Fischer, Christiane; Frambach, Sina; Habets, Renate; Henze, Gerd; Hilde, Margit; Klumpjan, Manuela; Kubica, Anja; Lamolla, Simone; Liebelt, Volker; Lorenz, Monika; Manig, Stephanie; Müller, Dörte; Niggemeier, Andreas; Offergeld, Regina; Schwab, Karl; Seim, Mirja; Servos, Sonja; Sock, Nina; Stehrenberg, Christian
Cover-Motive: Pixabay
Bilder: Pixabay
Cover designed by Michael Frädrich
Auswahl der Geschichten und Korrektur: Manuela Klumpjan
©Edition Paashaas Verlag, Hattingen,
www.verlag-epv.de
Printausgabe: ISBN: 978-3-96174-160-1
März 2025
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.
Dunkler als die Nacht Kurzgeschichten
… eine beängstigende Vorstellung, oder? Genau darum geht es in diesen Kurzgeschichten! Dunkelheit trägt zu Ängsten bei, führt oft zu Unwohlsein oder bringt Schutz vor den Gefahren, die man eigentlich nicht sehen möchte.
Hier finden Sie die 25 besten Einsendungen zur Ausschreibung des Edition Paashaas Verlags. Lassen Sie besser das Licht an und bleiben Sie daheim.
Wer weiß schon, was da draußen so auf Sie wartet … Viel gruseligen Lesespaß wünscht Ihnen Manuela Klumpjan, die auch die Idee zu diesem Buch hatte.
Es war eine dieser Nächte, in der der Mond hinter dichten Wolken verborgen blieb und die Dunkelheit wie ein schwerer Vorhang über die Stadt fiel. Nina nahm sich vor, spät abends joggen zu gehen, um den Stress des Tages abzubauen. Sie liebte es, durch die leeren Straßen zu laufen, wenn die Welt zur Ruhe kam. Doch an diesem Abend fühlte sich die Stille anders an, eher erdrückend und unheimlich. Die ersten Schritte auf dem Asphalt waren noch wie immer. Das Geräusch ihrer Laufschuhe hallte wider. Je weiter sie lief, desto mehr umschlang sie die Dunkelheit. Die Straßenlaternen warfen schwaches Licht auf den kurvenreichen Gehweg. Zwischen den Schatten der Bäume und Häuser schien etwas zu lauern. Plötzlich hörte sie fern hinter sich ein Geräusch, ein leises Kratzen, wie das Scharren von Schuhen. Nina hielt inne und schaute sich um. Da war nichts, nur die leere Straße und das Flüstern des Windes. Sie schüttelte den Kopf und setzte ihren Lauf fort. Das Gefühl, beobachtet zu werden, ließ ihr Herz schneller schlagen. Das Geräusch erklang wieder. Kam es jetzt näher? Es klang nach schwerfälligen Schritten.
Ihre Gedanken rasten. Was könnte das sein? Wurde sie verfolgt? Von wem? Von Obdachlosen, die hier im Viertel hin und wieder zu sehen waren? Oder etwas Schlimmeres? Sie beschleunigte ihren Schritt und zwang sich, nicht zurückzublicken. Die Dunkelheit schien lebendig zu werden. Schatten bewegten sich am Rande ihres Sichtfelds. Waren das die Sträucher und Bäume, die vom aufkommenden Wind bewegt wurden? Nina spürte Panik aufsteigen. Sie bog in eine Seitenstraße ein, in der Hoffnung, dass sie dort sicherer wäre. Doch dort war es menschenleer und nur der Wind pfiff ein gruseliges Lied.
Das verfolgende Schlurfen und Kratzen war immer noch hinter ihr. Vielleicht etwas weiter zurück. War da nicht auch ein krächzendes Rufen? Eine Stimme, wie die einer Hexe im Gruselfilm?
Nina konnte nicht mehr klar denken. Ihre Beine trugen sie schneller als je zuvor. Plötzlich stolperte sie über einen unebenen Pflasterstein und fiel zu Boden. Der Schmerz durchzuckte ihren Knöchel. Sie rappelte sich hastig auf.
Etwas griff scheinbar nach der Kapuze ihrer Jogging-Jacke. Nina wirbelte panisch herum. Doch da war nichts. Eine heftige Windböe hatte wohl an ihrer Kleidung gezerrt. Ihr Herz raste. Die Abendkälte schien durch ihre Haut zu dringen. Nina wusste, dass sie nicht länger zögern durfte. Mit einem schmerzenden Knöchel und einer Adrenalin-Welle jagte sie weiter.
Die Seitenstraße war eng und von hohen Mauern gesäumt, die den Blick auf die umliegenden Häuser versperrten. Sie hörte das ferne Kratzen wieder. Es war jetzt ein ständiger Begleiter, der ihr in den Ohren hing. Ihre Gedanken wirbelten. Zur Dunkelheit kam nun noch dichter Nebel hinzu. Windböen rauschten irgendwo in Baumwipfeln, rissen Äste mit sich, zerrten an Ninas Haaren. Sie zog die Kapuze eng über den Kopf.
Plötzlich sah sie im Nebel ein schwaches Licht am Ende der Straße, es kam von einem beleuchteten Reklameschild einer Biermarke. Eine kleine Bar, die offen zu sein schien. Hoffnung blitzte in Nina auf. Sie sprintete los, ignorierte den stechenden Schmerz in ihrem Knöchel und konzentrierte sich nur auf das Licht. Als sie die Tür zur Bar erreichte, stieß sie diese auf und trat hastig ein. Der Geruch von Bier und Zigarettenrauch umhüllte sie wie eine warme Decke. Die wenigen Gäste drehten sich überrascht nach ihr um.
Nina keuchte und schaute über die Schulter, nichts folgte ihr hier herein. Sie atmete tief durch und versuchte, ihre Fassung wiederzugewinnen. Doch das Gefühl der Bedrohung blieb.
Ein älterer Mann hinter dem Tresen bemerkte ihren Zustand und fragte besorgt: „Alles in Ordnung, junge Dame?“
„Ich … ich glaube, ich werde verfolgt“, stammelte Nina und sah nervös zur Tür zurück.
Der Mann nickte verständnisvoll und deutete auf einen Tisch in der Ecke. „Setzen Sie sich! Ich hole Ihnen etwas Wasser.“
Nina ließ sich auf einen Stuhl fallen und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. War es wirklich nur ihre Einbildung gewesen? Hatte sie sich von der Dunkelheit so sehr beeinflussen lassen? Dann hörte sie es wieder, das Schlurfen, diesmal direkt vor der Tür der Bar.
Die Gäste schwatzten miteinander, während Nina mit weit aufgerissenen Augen zur Tür starrte. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass etwas Unheimliches draußen lauerte.
Der ältere Mann kam mit einem Glas Wasser zurück und stellte es vor ihr ab. „Hier, trinken Sie das. Es wird Ihnen helfen, sich zu beruhigen.“
Sie nickte dankbar, aber ihre Gedanken waren woanders. Das bedrohliche Geräusch an der Tür wurde lauter. Die anderen Gäste schienen das nicht wahrzunehmen oder ignorierten es. Nina fühlte sich wie in einem Film gefangen, in dem nur sie die Bedrohung sah.
„Haben Sie das da draußen an der Tür gehört?“, fragte sie den Barkeeper.
„Es ist nur der Wind, junge Dame. Manchmal spielen uns die Dunkelheit und das Wetter Streiche.“
Aber Nina war sich sicher, dass es mehr war als nur der Wind. Sie hatte das Gefühl, dass etwas hinter der Tür lauerte, etwas, das darauf wartete, hereinzukommen.
Plötzlich hörten alle ein lautes Krachen, als von draußen etwas gegen die Tür schlug. Die Gäste schauten nervös dort hin.
„Bleiben Sie ruhig“, sagte der Barkeeper mit fester Stimme. „Ich werde nachsehen.“
„Nein! Warten Sie!“, rief Nina panisch und griff nach seinem Arm. Doch er schüttelte den Kopf und ging zur Tür.
Er spähte mutig hinaus in die Dunkelheit. Ein kalter Luftzug strömte herein. Ninas Nackenhaare stellten sich auf. Der Barkeeper schaute beruhigend zurück zu Nina und erklärte: „Es ist nichts außer einem schweren Ast da, der vom Sturm gegen die Tür geprallt wurde.“
Nina wusste es besser. Das Geräusch war zwar fort, doch das Gefühl der Bedrohung war noch immer präsent.
„Ich möchte nicht hier bleiben!“, erwiderte sie und stand hastig auf.
Die anderen Gäste beobachteten sie neugierig, einige mit besorgten Blicken, andere mit einer Mischung aus Skepsis und Gleichgültigkeit.
„Wo wollen Sie bei diesem Wetter denn hin?“, fragte ein älterer Gast mit grauen Bart, der in einer Ecke sein Bier trank.
Nina antwortete nicht und verließ zögernd die Bar. Sie schaute sich um, aber es war nichts Gefährliches zu sehen. Sie wollte so schnell, wie es ihr verletzter Fuß zuließ, nach Hause.
Einige Straßenlaternen flackerten in der Dunkelheit und spendeten nur wenig Licht. Sie bekam Gänsehaut am ganzen Körper. Ob vor lauter Angst oder vor Kälte, das wusste sie nicht. Der Nebel umhüllte sie wie ein kalter Schleier. Jeder Schritt auf dem unebenen Gehweg war eine Herausforderung. Sie konnte das Pochen ihres Herzens in ihren Ohren hören.
Plötzlich hörte sie hinter sich wieder mal ein Geräusch, ein leises Rascheln. Nina drehte sich hastig um. Im Nebel war nichts zu erkennen. Der Wind zerrte an ihren Haaren. Sie zog die Kapuze enger.
„Komm schon, Nina, reiß dich zusammen“ ermahnte sie sich selbst.
Sie schaute nur noch nach vorne, denn es war nicht mehr weit bis zu ihrer Straße. Dort bog sie rasch ab. Nach wenigen Metern erreichte sie das Haus, in dem sie wohnte. Hastig holte sie ihren Schlüssel aus der Hosentasche. Mit zittrigen Händen versuchte sie, die Türe aufzuschließen. Ihr fiel der Schlüssel auf den Boden. Nervös hob sie ihn auf und schaffte es, endlich ins Haus zu gelangen. Rasch lief sie die Treppen hoch in den 2. Stock. Vor ihrer Türe angekommen, spürte sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter. Blitzschnell drehte sie sich herum und riss ihre Arme in Abwehrstellung nach oben.
„Entschuldigen Sie, junge Dame, ich wollte Ihnen nur sagen, dass vorhin eine ältere Frau nach Ihnen gefragt hat.“
Erleichtert atmete Nina auf. Es war nur ihr Nachbar.
„Hat die Frau denn gesagt, was sie wollte oder wie sie heißt?“
„Nein, ich kenne diese Frau nicht. Sie sah aus wie eine von diesen Obdachlosen. Sie will morgen noch mal vorbeikommen“, antwortete der Nachbar und ging wieder zurück in seine Wohnung.
Immer noch voller Panik schloss Nina ihre Wohnung auf und knallte die Tür hinter sich zu. Mit einer Hand klatschte sie auf den Lichtschalter. Erleichtert stand sie mit dem Rücken zur Tür und ließ sich erschöpft daran zu Boden gleiten. Sie saß auf dem Fußboden, bis sich ihr Puls beruhigte. Dann stand sie auf und nahm eine heiße Dusche. Sie ging in ihr Schlafzimmer, stieg völlig fertig ins Bett und verkroch sich unter der schützenden Bettdecke.
Am nächsten Morgen wachte Nina von Albträumen schweißgebadet auf. Die Angst hatte sie geweckt. Gut, dass heute freies Wochenende war. Mit zittrigen Knien stand sie auf und ging in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen. Zum Glück tat der Knöchel auch nicht mehr weh. Der Kaffeeduft stieg belebend in die Nase. Langsam kam ihre Energie zurück. Gierig griff sie zur Kaffeetasse und trank einen großen Schluck. Wohltuend ran dieser die Kehle hinunter.
Es klingelte. Vor Schreck ließ Nina fast die Tasse fallen. Behutsam stellte sie diese auf den Tisch und ging zaghaft Richtung Tür. Es klingelte erneut und jemand klopfte.
„Wer ist da?“, rief Nina ängstlich.
„Entschuldigen Sie die Störung. Ich will Ihnen etwas zurückgeben“, krächzte eine sonderbare Stimme.
Vorsichtig öffnete Nina die Tür.
Dort stand eine ältere Frau, die freundlich lächelte. Der faltige Mund hatte nur noch wenige braune Zahnstümpfe. Der Atem roch nach Zigarettenrauch.
Nina gruselte. Dennoch hatte die scheinbar Obdachlose mit ihrer ärmlichen Kleidung ein warmherziges und freundliches Auftreten.
„Ich glaube, das Portemonnaie gehört Ihnen. Das haben Sie gestern Abend verloren, als Sie an meiner Parkbank vorbeigerannt sind.“
Nina griff danach. „Danke, ich habe gar nicht bemerkt, dass ich es verloren habe.“
„Ich wollte es Ihnen schon gestern Abend wiedergeben. Ich habe gerufen, doch meine kaputte Stimme ist nur noch schwach. Ich bin Ihnen eine ganze Weile gefolgt, aber habe Ihre Spur im Nebel verloren. Ich habe nichts aus dem Portemonnaie genommen, sondern nur auf den Ausweis geschaut, wo Sie wohnen. Ich habe Sie schon öfters joggen gesehen, da ich meistens unten auf der Bank vor dem Haus meinen Schlafplatz habe.“
„Dann habe ich mir das gestern doch nicht alles eingebildet. Dann waren Sie es, die mich verfolgt hat und vor der ich weggerannt bin.“
„Ich wollte Ihnen wirklich keine Angst einjagen. Ich wollte Ihnen doch nur Ihr Portemonnaie wiedergeben, konnte aber mit Ihnen nicht Schritt halten."
„Wollen Sie nicht kurz herein kommen? Ich lade Sie auf einen Kaffee ein, den ich gerade aufgesetzt habe. Bestimmt habe ich auch noch einen warmen Pullover und eine noch gute Jacke für Sie, damit Sie bei dem Wetter nicht frieren müssen.“
Die alte Frau nahm die Einladung dankbar an und freute sich über die Kleidungsstücke.
Wie die Dunkelheit und der Wind einem doch einen gruseligen Streich spielen können, dachte sich Nina. Im Nachhinein musste sie über die Situation sogar lachen.
Autorenporträt:
Sonja Servos wurde am 19.12.1980 in Köln geboren. Sie hat einen angeborenen Grünen Star, der 2004 zur Erblindung geführt hat. Von 2000 bis 2003 schloss sie erfolgreich ihre Ausbildung zur Bürokauffrau im Berufsförderungswerk Düren ab.
Sonja Servos ist Hausfrau und arbeitet ehrenamtlich bei GIPS Spielen und Lernen e.V. Sonja Servos hat früher schon immer gerne Kurzgeschichten oder auch Gedichte geschrieben. Seit Januar 2024 ist sie Mitglied bei den BLAutoren.
Verdammt, das war echt eine Scheißidee gewesen! Unschlüssig stand ich vor dem maroden Zaun der ehemaligen Lungenheilstätte und wischte mir die schweißnassen Hände an meiner Jeans ab. Es war stockdunkel, gleich würde die Turmuhr neben meinem Zuhause Mitternacht schlagen. Zuhause, nirgends wäre ich jetzt lieber. Es fühlte sich an, als befände sich meine gemütliche Wohnung tausende Kilometer weit entfernt. Keinen Funken Licht gab es hier, weder Straßenlaternen noch der grelle Schein des Mondes erhellten diese wolkenverhangene, stockfinstere Nacht hier draußen. Dieser verlassene Ort lag fernab jeglicher Zivilisation mitten im Wald. “Betreten verboten!“ las ich mithilfe der Displaybeleuchtung meines Smartphones auf einem am Zaun angebrachten Schild. Darunter stand in kleinerer Schrift: “Dieses Areal wird rund um die Uhr vom Objektschutz überwacht.“
Ganz toll, dachte ich. Innerlich verfluchte ich den letzten Samstagabend bei Yannik. Denn nachdem wir zusammen einen gruseligen Film über Lost Places angeschaut hatten, war diese dumme Idee geboren worden, die ich nun ausbaden musste.
„Würdet ihr euch eigentlich trauen, nachts alleine in ein verlassenes Gebäude zu gehen?“, fragte Yannik in unsere Runde. Während Ben und Julian noch überlegten, tönte ich im Brustton der Überzeugung: „Na klar!“
Drei Augenpaare starrten mich ungläubig an. „
Was? Denkt ihr etwa, mir fehlt der Mut dazu, nur weil ich ein Mädchen bin?“
Anerkennendes Nicken, ein gerauntes „Wow, das hätte ich echt nicht gedacht“ und „Krass“ waren die Antworten meiner Freunde. „Dann ist es abgemacht. Du gehst in die verlassene Lungen-heilstätte. Allein. Um Mitternacht. Und du filmst mit deinem Smartphone, als Beweis.“
Wenig überzeugt, aber äußerlich wild entschlossen nickte ich. „Kein Ding, Yannik.“
Er reckte mir seine rechte Hand zum Highfive hin, und mit einem gequälten Lächeln schlug ich ein.
Nun stand ich also hier. Das Teufelchen auf meiner rechten Schulter flüsterte: „Komm schon, zeig den Jungs, dass du die Mutprobe ohne mit der Wimper zu zucken bestehst.“
Das Engelchen links entgegnete: „Was du hier machst, ist Hausfriedensbruch. Wenn der Objektschutz dich erwischt, bist du geliefert. Und das nur wegen einer albernen Mutprobe. Tu’s nicht.“
Das Teufelchen hatte schließlich die überzeugenderen Argumente: „Wenn du kneifst, werden die Jungs sich vor Lachen nicht mehr einkriegen. Sie trauen dir diesen kleinen nächtlichen Ausflug wahrscheinlich eh nicht zu.“
Ängstlich blickte ich nach links, dann nach rechts. Nichts. Kein Sicherheitsdienst, keine Polizei, keine Zeugen. Ich kletterte über den Zaun, bevor mich die Dunkelheit auf dem riesigen Klinikgelände verschluckte. Die Taschenlampen-App meines Smartphones erhellte den vor mir liegenden Weg. Zusätzlich schaltete ich die Kamera ein, um meine vermeintliche Heldentat für die Jungs aufzunehmen. Eine breite Allee führte zum Hauptgebäude, vor dem sich ein Rondell befand. Auf dem hatten vor langer Zeit wahrscheinlich einmal hübsche Blumenarrangements das Auge des Betrachters erfreut. Jetzt war es von Disteln und Unkraut überwuchert. Ich ließ das spärliche Licht meiner Handy-Taschenlampe über das Gebäude gleiten. Bei den meisten Fenstern waren die Scheiben eingeschlagen worden. Wie tote Augen starrten mich die dunklen Löcher an. Die Eingangstür war von einem gemauerten Bogen gesäumt und stand einen Spalt offen. Langsam setzte ich mich in Bewegung und öffnete die Tür. Das quietschende Geräusch, das sie dabei von sich gab, kam mir in der Stille der Nacht unnatürlich laut vor und fuhr mir durch Mark und Bein. Das hier war schlimmer als ein Horrorfilm. Aber ich hatte nun mal Ja gesagt. Die staubigen schwarz-weißen Bodenfliesen in der Eingangshalle erinnerten mich an ein Schachbrett. Eine marode Treppe, deren Geländer fehlte, führte über mehrere Etagen nach oben. Ich dachte an all die realen Gefahren, die in so einem verfallenen Gebäude lauerten: Die Decke könnte einstürzen, der Boden sich auftun, ich könnte über Schutt und Geröll stolpern und womöglich bewusstlos liegen bleiben, ohne dass mich jemals eine Menschenseele finden würde. Okay, ganz ruhig, sagte ich mir. Ich bin einfach vorsichtig und halte die Augen offen.
Wohin sollte ich zuerst gehen? Ich entschied mich für die morsche Holztür links, die in einen schier endlos langen Gang führte. Auch hier war der Boden gefliest. Links und rechts gingen zahlreiche Türen vom Flur ab. Das waren scheinbar die ehemaligen Patientenzimmer. Ich lugte vorsichtig in das erste Zimmer hinein. Es war leer. Der Putz war großflächig von den Wänden abgefallen, blanke Backsteine schauten hervor. Am Ende des Zimmers befand sich eine breite Flügeltür mit einem bogenförmigen Fenster darüber. Ich trat näher heran und blickte durch die Sprossenfenster der Tür. Im Schein meiner Handy-Taschenlampe erkannte ich eine Art Terrasse, deren Beton an den meisten Stellen aufgebrochen und mit Löwenzahn übersät war. Ich dachte daran, was ich einmal über die Heilstätte gelesen hatte. Die Tuberkulosekranken sollten möglichst viel Zeit an der frischen Luft verbringen. Da die meisten von ihnen allerdings zu schwach waren, um sich lange auf den Beinen zu halten, wurden sie in ihren Krankenbetten auf die zimmereigene Terrasse zur Liegekur im Freien gebracht.
Auch in den anderen Krankenzimmern zeugte nichts mehr davon, dass einst in diesem Gebäude hunderte lungenkranke Menschen untergebracht waren. Ich schritt weiter den langen Flur entlang. Meine Schritte echoten unheilvoll von den Wänden wider. Weiter vorn schälte sich plötzlich eine Gestalt aus der Dunkelheit. Mit jedem Schritt, den ich vorsichtig nähertrat, nahm sie mehr und mehr Form an. Als ich fast vor ihr stand, entfuhr mir ein panischer Schrei. Das konnte doch nicht sein! Obwohl ich für mein Leben gern Geschichten über Geister las, glaubte ich nicht an deren Existenz. Ich konnte schlicht nicht fassen, was da vor mir stand! Tausend Gedanken schienen gleichzeitig meinen Kopf zu fluten: Geister gibt es nicht. Oder etwa doch? War das ein Scherz, den sich Yannik und die Jungs erlaubt hatten? Und falls ja, dann wäre es ein verdammt mieser! Meine Beine zitterten. Ich glaubte, dass sie jeden Moment nachgeben würden.
Direkt vor mir stand sie: eine Nonne, mit dem Rücken zu mir gewandt. Ihr Umhang war so lang, dass er in einer Art Schleppe über den schmutzigen Boden wallte. Mit angehaltenem Atem wagte ich mich einen kleinen Schritt vor. Sie drehte sich nicht um. Nun sah ich sie im Profil. Ihre Hände hatte sie zum Gebet gefaltet. Ihr Gesicht jedoch konnte ich nicht erkennen. Es lag verborgen unter der großen Kapuze ihres Umhangs. Sie verharrte reglos vor dem rostigen Gestell eines alten Krankenbetts. Mein Herz hämmerte wild gegen meinen Brustkorb. Ich stand da wie eingefroren und war nicht einmal in der Lage, wegzurennen.
Vollkommen erstarrt konnte ich meinen Blick nicht von der gruseligen Szenerie abwenden. Die Zeit schien sich auszudehnen. Irgendwann kam wieder Bewegung in meinen Körper und eilenden Schrittes setzte ich meinen Weg durch den Gang mit seinen hohen, kahlen Wänden fort.
„Blick nicht zurück, blick nicht zurück, geh einfach weiter!“, flüsterte ich mir selbst mit zittriger Stimme zu.
Ganz hinten im Gang angekommen, bog sich der Weg nach links. Mein Atem ging schwer, als wäre ich einen Marathon gelaufen. Ich gönnte mir einen winzigen Moment des Ausruhens. Den Gang hatte ich jetzt hinter mir gelassen. Die Nonne war mir nicht gefolgt. Kraftlos sank ich an der Wand zu Boden und versuchte, meinen Atem zu beruhigen. Die Handykamera war nach wie vor eingeschaltet und fing nun mit wackeligen Bewegungen den Fliesenboden ein.
Nach ein paar Augenblicken stemmte ich mich hoch und setzte meinen Weg durch dieses Horrorhaus fort. Ich passierte Türen, auf deren abblätterndem Lack Aufschriften wie “Einzelinhalationsraum“ und “Untersuchungszimmer“ zu lesen waren.
Ich merkte, wie ich mich allmählich wieder beruhigte. Bald darauf sah ich in einem der Zimmer einen in die Wand eingelassenen Medizinschrank, dessen Türen aus morschem Holz offenstanden. Vermutlich war dies einst das Stationszimmer gewesen. In einem anderen Raum waren die Überreste von seltsamen Badebecken zu sehen. Die Winkel des Fensters dahinter waren von derart vielen und dichten Spinnweben überzogen, dass dieser Anblick schon fast etwas Malerisches gehabt hätte, wenn die Atmosphäre innerhalb dieser Mauern nicht so unheilvoll wäre. Rechts von mir führte eine Treppe nach oben. Auf der Wand ließ sich mit Mühe die Aufschrift “Aufgang zum Handtuchtrockenraum“ erkennen. Obwohl an dieser Treppe noch ein, wenn auch recht wackeliges, Geländer vorhanden war, beschloss ich, nicht hinaufzugehen. Ich hatte zu viel Angst vor einstürzenden Fußböden. Mich im Erdgeschoss aufzuhalten, erschien mir da weitaus sicherer.
Meine Gedanken schweiften ab. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie es hier wohl vor über hundert Jahren zugegangen sein musste. Wie lebten die Patienten? Wie musste ich mir die Ärzte und Schwestern jener Zeit vorstellen?
Ich folgte einer weiteren Biegung und blieb zu Tode erschrocken stehen. Was war das? An der Wand vor mir prangte auf einem Sockel stehend eine lebensgroße Figur. Sie trug einen weißen Kittel … und hatte keinen Kopf!
Schlagartig wurde mir übel. Die Angst verschluckte mich wie eine große Welle, der ich nicht entkommen konnte. Heftig um Atem ringend rannte ich los, so schnell ich konnte und fand bald den rettenden Ausgang. Ich keuchte. Nebel stieg von den feuchten Wiesen des Heilstättengeländes auf. In der Ferne ertönte der unheimliche Ruf eines Kauzes. Ich drehte mich um meine eigene Achse. Herrje, dieses Areal war so riesig. Die Jungs konnten unmöglich von mir verlangen, all die Klinik- und Wirtschaftsgebäude, die ehemaligen Schwesternwohnheime und die Stallungen zu erkunden.
„Geh in den Totenraum, wenn du dich traust!“, hatte Ben mit einem hämischen Grinsen an jenem unheilvollen Abend bei Yannik von mir gefordert.
Der Totenraum. Abgesehen davon, dass ich nichts lieber wollte, als schnellstens von hier zu verschwinden, wüsste ich gar nicht, wie ich den auf diesem unübersichtlichen Gelände finden sollte.
Ich ging an der Seite des Bettenhauses entlang. Aus dem Buschwerk neben mir hörte ich plötzlich ein Rascheln. Noch bevor ich es genau orten konnte, sprang direkt vor mir etwas aus dem dunklen Dickicht.
Ich schrie auf. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass es ein Reh war, das ich aufgescheucht haben musste und das vor mir wegrannte. Ich war also nicht die Einzige hier, die Angst hatte. Irgendwie fand ich diesen Gedanken tröstlich. Nach wenigen Schritten entdeckte ich zu meiner Linken ein seltsames Gebilde aus rostigem Metall. Was mochte das sein? Ich ging näher heran. Es erinnerte mich ein wenig an ein altes Gewächshaus, allerdings ohne Scheiben.
Durch meinen Kopf waberte eine Erinnerung an etwas, das Julian gesagt hatte, als Ben vom Totenraum sprach. „Stellt euch mal vor, Leute“, hörte ich Julians Stimme nun in meinem Kopf, „die hatten sogar einen Sargaufzug, um die Toten ungesehen von den Patienten nach draußen zu bringen!“
Der Sargaufzug. Das hier war er also. Und wo der Sargaufzug stand, konnte der Totenraum nicht weit sein. Eine Treppe mit ausgetretenen Stufen führte nach unten zu einer Tür, die offenstand – gerade so, als wollte sie mir einladend einflüstern: „Tritt ein.“
Mir fuhr es kalt den Rücken hinunter. Ich holte tief Luft und tastete mich vorsichtig nach unten. Schon bald fand ich mich in einem kleinen Raum wieder. Zwei zugemauerte Fenster, an den gegenüberliegenden Wänden je eine Sitzbank aus Holz und darüber jeweils ein Wandfries, mehr hatte dieses karge Kellerverlies nicht zu bieten. Eines der Bilder zeigte ein neugeborenes Kind mit seinen Eltern, während auf der gegenüberliegenden Abbildung ein Toter weggetragen wurde. Ganz klar: Ich befand mich im Totenraum. Hier wurden die verstorbenen Patienten einst aufgebahrt, bevor ihre Leichen mit dem Sargaufzug nach oben gebracht wurden, um schließlich auf dem Friedhof ihre letzte Ruhe zu finden.
Roch es hier noch nach Verwesung, oder bildete ich mir das ein? Wie viele Tote mochten einst hier gelegen haben? Ob ihre Seelen noch ruhelos hier umherwanderten? Ich ließ die Handykamera schnell über die Wandbilder gleiten und entschied dann, dass es jetzt wirklich reichte.
Der Rückweg über die Allee zum Ausgang erschien mir nach all den furchteinflößenden Erlebnissen an diesem verlassenen Ort endlos. Ständig wandte ich mich um, denn ich hatte das Gefühl, verfolgt zu werden. Womöglich würden jeden Moment die Nonne und der kopflose Arzt hinter den Bäumen hervorspringen und mir nach dem Leben trachten.
Als ich endlich den Zaun erreichte, kletterte ich schnell darüber und holte mein Fahrrad, das ich im angrenzenden Wald versteckt hatte. Unablässig trat ich in die Pedale, bis mir der Schweiß den Nacken hinabrann. Selbst, als ich mich wieder auf den beleuchteten Straßen der Stadt befand, auf denen mir trotz der späten Stunde hin und wieder ein Auto begegnete, hatte sich die Angst noch immer tief in meine Eingeweide gefressen. Sie wollte einfach nicht weichen, selbst dann nicht, als ich die sicheren vier Wände meiner kleinen Einzimmerwohnung erreicht hatte. Ich schloss von innen doppelt ab und fiel im heimeligen Schein meiner Nachttischlampe in einen unruhigen Schlaf. Im Traum suchten mich eine gesichtslose Nonne und ein kopfloser Arzt heim.
Ich schreckte hoch und bemerkte erleichtert, dass der neue Tag bereits die ersten Sonnenstrahlen durch die Jalousien schickte.
Als ich den Jungs bei unserem Treffen am nächsten Tag mein Video zeigte, staunten sie nicht schlecht.
„Aber diese Nonne, hey, die war echt gruselig!“, schloss ich ehrlich. „Ja, ganz schön krass. Wusstest du, dass die ein Überbleibsel von einem Kunstprojekt ist, das vor gut 20 Jahren in der Heilstätte ausgestellt wurde?“, fragte Yannik.
„Das ist doch nicht dein Ernst!“, entfuhr es mir. „Ein Kunstprojekt? Und der kopflose Arzt gehörte auch dazu, oder wie?“
„Nein, die Statue stand wohl schon dort, als die Heilstätte noch in Betrieb war. Eine Ehrung der Götter in Weiß, sozusagen. Seinen Kopf hat er sicherlich wegen ein paar Halbstarker eingebüßt, die sich dort mit Graffitis und Sachbeschädigung brüsten. Idioten.“ Yannik schüttelte den Kopf.
„Aber hey, auch wenn dein Video ziemlich verwackelt ist: Respekt, dass du das durchgezogen hast!“ Julian klopfte mir anerkennend auf die Schulter.
„Und zur Belohnung darfst du heute auch den Film des Abends aussuchen!“, grinste Ben.
„Okay. Dann wähle ich …“ Die Jungs schauten mich gespannt an. „… eine romantische Komödie.
Von Horrorfilmen hab ich nämlich erstmal genug!
Autorenporträt:
Stephanie Manig, Jahrgang 1981, lebt, liest und arbeitet im sächsischen Erzgebirge. In ihrer Freizeit beschäftigt sie sich hauptsächlich mit Büchern aus dem Spannungsgenre, betreibt seit 2011 einen kleinen Literaturblog, ist passionierte Hundemama einer vorwitzigen Beagledame, reist gern und liebt alles, was mit England zu tun hat.
Sie hatte die gut beleuchtete, vielbefahrene Straße überquert. Vor ihr lag das dunkle Viereck der Anlage mit dem Denkmal. Der Reiter auf dem großen schwarzen Stein reckte kriegerisch sein Schwert in die Luft. Dunkel und bedrohlich sah er gegen den noch etwas von den Straßenlampen erhellten Nachthimmel aus. Die Hecken um das Viereck schirmten das Licht der Straße vollkommen ab. Sie betrat zögernd das dunkle Viereck, wandte sich nach rechts, um in die Allee zu kommen. Hier ging sie jeden Abend hindurch, um nachhause zu kommen. Warum war ihr gerade heute so bang und warum scheute ihr Fuß, den ersten Schritt in die Mitte des Weges zwischen den hohen, dunklen, schweigenden Bäumen zu gehen?
An diesem Abend war es später geworden. Sie hatte noch einige Arbeiten im Büro erledigen müssen. Und, dieser Abend war hier zwischen den Bäumen irgendwie dunkler und der Himmel schwärzer. Waren einige Straßenlampen ausgegangen?
Warum war es heute hier so viel dunkler als sonst?
Oder kam ihr das nur so vor?
Noch ein paar Schritte um das Denkmal herum, dann schluckte die Schwärze zwischen den Bäumen ihre Schritte. Zögernd setzte sie Fuß vor Fuß. Ihre Schritte waren so verhalten, ihre Augen weiteten sich, um die Düsternis zu durchdringen und vielleicht doch wenigstens noch etwas sehen zu können. Fröstelnd zog sie die Schultern hoch, ihre Ohren lauschten konzentriert auf jedes noch so kleine Geräusch.
Da, etwas plumpste vor ihr auf den Boden. Erschrocken blieb sie stehen. Was war das? Bewegte sich das Herabgefallene? Kam es auf sie zu? Nein, es blieb alles still. Totenstill.
Ich muss durch diese Allee hindurch, sonst komme ich nie nachhause. Sie faste neuen Mut, ging rasch einige Schritte. Riesengroß hatte sie ihre Ohren aufgestellt, hin und her glitten ihre Augen und konnten die Dunkelheit doch nicht durchdringen.
Die erste Querstraße hatte sie erreicht. Sonst fuhr doch immer wieder mal ein Auto hier lang. Warum heute nicht? Eine merkwürdige Ruhe strömten die schweigenden Bäume aus. Kein Vogel sang sein Abendlied, kein Wind raschelte in den Blättern. Es war, als warteten die Bäume auf etwas. Auf was warteten sie nur? Sie riss sich zusammen.
Warum bin ich heute nur so schreckhaft? Hatte die Erzählung ihres Kollegen von dem unheimlichen Erlebnis in seinem Urlaub diese merkwürdige Angst in ihr ausgelöst? Hier zwischen den Bäumen in der Allee war es aber auch zu finster. Ringsherum nur tiefe Schwärze. Kein Mond, kein Stern ließ sich oben am Himmel sehen. Kein Rauschen des Windes in den Blättern lockerte dieses Schweigen auf. In ihre ängstlichen Gedanken versunken, versuchte sie, so leise wie möglich aufzutreten.
Ihre Augen konnten die Dunkelheit nicht durchdringen. Langsam ging sie weiter. Plötzlich stieß ihr linker Fuß an etwas Weiches. Sie zuckte zurück, hielt vor Schreck die Luft an. Ihr Herz klopfte laut. In der tiefen Schwärze des Bodens konnte sie nichts ausmachen. Vorsichtig tastete sie mit dem anderen Fuß, was da liegen könnte. Doch, sie fühlte NICHTS. Eben war da etwas Weiches gewesen, ein Tier, oder? Sie fand nichts mehr. Total verspannt setzte sie ihren Weg durch die Dunkelheit fort. Dann, am Ende der Allee, trat etwas noch Schwärzeres aus dem Dunkel hervor. Abrupt blieb sie stehen, ihr Herz klopfte so stark, dass es schmerzte.
Da ist doch etwas zwischen den Bäumen, kommt mir das entgegen?
Bleibt es stehen?
Oh Gott, was ist das?
Es kommt tatsächlich in der Mitte zwischen den Bäumen auf mich zu.
Ihr Blut dröhnte in ihren Ohren, ihr Herz raste, kalter Schweiß trat auf ihre Stirn.
Was kann ich tun, wohin kann ich laufen?
Kann ich so schnell laufen, um dem, was da auf mich zukommt zu entkommen?
Und, wenn ich stolpere, hinfalle, dann bin ich erledigt und das Schwarze erwischt mich. Wäre ich doch bloß mit dem Bus gefahren.
Das Schwarze kommt langsam immer näher. Sie rührt sich nicht, lauscht, kann sich nicht mehr bewegen. Ihre Beine sind wie Gummi, sie wollen ihr einfach nicht mehr gehorchen.
„Lieber Gott, hilf!! Lass‘ mich hier heil herauskommen“, flüstert sie vor sich hin.
Das dunkle Etwas wird größer. Eine menschliche Silhouette schält sich aus der Dunkelheit zwischen den Bäumen. Ist es eine Frau, ein Mann? Noch kann sie es nicht unterscheiden. Ihr Atem geht schwer, ihre Augen sind riesig weit aufgerissen. Sie möchte rennen, fliehen, doch sie ist wie gelähmt. Sie wartet.
Was kommt da auf mich zu? Und es kommt etwas auf mich zu! Näher und näher kommt es. Klarer wird die Silhouette. Ein Mann, dunkler Mantel, dunkler Hut, kommt mit einem merkwürdigen Schritt auf sie zu. Das Gesicht ist nicht zu erkennen unter der breiten Krempe des Hutes. Jetzt wird es passieren. Jetzt ist er herangekommen. Panisch schließt sie die Augen.
„Guten Abend, Frau Bergmann.“
Eine tiefe, dunkle Stimme dringt an ihr Ohr, doch irgendwie auch an ihr vorbei. Sie erwartet etwas Böses. Ihre Augen hat sie fest geschlossen, als ob sie damit das Böse von sich abwenden könnte. Sie spürt etwas sehr nah an sich herankommen. Die Ausstrahlung eines Körpers, es sirrt in ihren Ohren, ist das ihr Blut, das so rauscht?
„Hallo, Frau Bergmann.“
Jetzt berührt eine Hand ihren Arm. Sie erstarrt, was wird nun geschehen. Ihr Körper fängt an, unkontrolliert zu zittern. Sie kann nicht sprechen. Sie wartet auf einen Schlag oder so etwas. Warum passiert nichts? Er ist doch so nah vor ihr.
„Frau Bergmann, was ist mit Ihnen? Erkennen Sie mich nicht? Ich bin es doch, Ihr Nachbar aus dem Nebenhaus.“ Er fasst ihren Arm und schüttelt ihn leicht.
Sie zuckt zurück, reißt die Augen auf. Ganz langsam dringt die Stimme zu ihr durch. Ihre Augen erkennen etwas Bekanntes. Ein Schluchzer entwischt ihrer Kehle. Immer mehr nimmt sie wahr, das ist doch ihr Nachbar, der ihr immer so nett hilft. Ihr Herzschlag beruhigt sich langsam. Die Beine verlieren ihre Schwere. Die Füße lassen sich wieder bewegen. Zischend fährt ihr Atem aus ihrem Mund. Die Anspannung löst sich, fällt von ihr ab. Ihr ist schlecht, sie kann gerade noch die Bank zwischen den Bäumen erreichen, bevor ihre Beine nachgeben.
Der Nachbar ist nun genauso erschrocken wie sie. Rührend kümmert er sich um sie. Nach einer Weile kann sie wieder sprechen und erzählt ihm von der großen Angst und dem unguten Gefühl, das sie gerade heute hier in der Allee zwischen den dunklen Bäumen gepackt hatte.
Der Nachbar setzt sich zu ihr, beruhigt sie, nimmt ihre zitternden, eiskalten Hände in seine, bietet ihr an, sie nachhause zu begleiten. Sie stimmt zu. Der Nachbar nimmt sie fest am Arm und führt sie sicher durch die dunkle Allee und die Straßen bis zu ihrem Haus. Beim Abschied bietet er ihr an, sie möge ihn doch anrufen, wenn sie wieder mal so spät nachhause gehen muss und nicht allein durch die dunkle Allee gehen möchte. Dann würde er sie am Denkmal erwarten und sie durch die dunklen Bäume begleiten. Er hat doch jetzt Zeit und würde sich freuen, ihr etwas Gutes zu tun.
Wird es der Anfang einer guten Freundschaft oder sogar mehr?
Autorenportrait:
Monika Lorenz ist gelernte Rechtsanwalts- und Notariatsgehilfin und hat als Sachbearbeiterin bei verschiedenen Stadtverwaltungen gearbeitet. Sie ist verheiratet und hat einen erwachsenen Sohn.
Sie lebt in der Nähe von Stuttgart.
Seit Kindertagen liebt sie Bücher und liest sehr viel.
Ihre zweite große Leidenschaft ist das Reisen. Dadurch hat sie viele Länder und Kulturen kennengelernt.
Im Ruhestand machte sie eine Tanzausbildung im EDP und lernte Aquarellmalen. Durch die Kriegsereignisse in der Ukraine begann sie wieder mit dem Schreiben.
Seit Sommer 2022 ist sie Mitglied bei BLAutor.
Sie hat zwei eigene Bücher veröffentlich, in mehreren Anthologien sind Texte von ihr veröffentlicht.